Liebe in der Toskana - Jani Friese - E-Book

Liebe in der Toskana E-Book

Jani Friese

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Beschreibung

Eine bewegende Liebesgeschichte vor der malerischen Kulisse der Toskana Schon als kleines Mädchen liebte die temperamentvolle Anastasia die Weinberge, zu denen sie ihr Vater Angelo nach der Arbeit immer mitnahm. Angelo ist Winzer mit italienischen Wurzeln, lehnt jedoch jeden Kontakt zu seiner Familie in Italien ab. Als er plötzlich an Krebs erkrankt und stirbt, bricht für Anastasia eine Welt zusammen. Sie braucht Zeit und Abstand, um wieder auf die Beine zu kommen. Das Angebot einer Geschäftsreise in die Toskana kommt ihr da gerade recht. Sie hofft, in Angelos Heimat mehr über seine Vergangenheit und ihre italienische Familie zu erfahren. Dort angekommen lernt sie den charmanten Vincenzo kennen, mit dem sie sich vom ersten Augenblick an verbunden fühlt. Gemeinsam machen sich die beiden auf die Suche nach Anastasias Verwandten und kommen dabei einem gut behüteten Familiengeheimnis auf die Spur …

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Die AutorinJani Friese, geboren 1970, lebt mit ihrem Mann, ihren Pferden und dem Hund im schönen Münsterland. Sie arbeitet als Intensivkrankenschwester und ist ausgebildete Tierheilpraktikerin und Heilpraktikerin. Die Leidenschaft, ihre Fantasien als Geschichten niederzuschreiben, entwickelte sich bereits in jungen Jahren. Einige Zeit lang verstaubten die Ideen zu vielen Geschichten in einer Hutschachtel unter ihrem Bett. 2012 begann sie, wieder zu schreiben und es entstand ihr erstes Buch. Bei ihren Reisen lässt sie sich gerne von Land und Leuten inspirieren, um neue Ideen für ihre Romane zu sammeln. Am besten entspannt sie sich in kreativen Pausen bei einem Ausritt in die Natur.

Das BuchEine bewegende Liebesgeschichte vor der malerischen Kulisse der Toskana  Schon als kleines Mädchen liebte die temperamentvolle Anastasia die Weinberge, zu denen sie ihr Vater Angelo nach der Arbeit immer mitnahm. Angelo ist Winzer mit italienischen Wurzeln, lehnt jedoch jeden Kontakt zu seiner Familie in Italien ab. Als er plötzlich an Krebs erkrankt und stirbt, bricht für Anastasia eine Welt zusammen. Sie braucht Zeit und Abstand, um wieder auf die Beine zu kommen. Das Angebot einer Geschäftsreise in die Toskana kommt ihr da gerade recht. Sie hofft, in Angelos Heimat mehr über seine Vergangenheit und ihre italienische Familie zu erfahren. Dort angekommen lernt sie den charmanten Vincenzo kennen, mit dem sie sich vom ersten Augenblick an verbunden fühlt. Gemeinsam machen sich die beiden auf die Suche nach Anastasias Verwandten und kommen dabei einem gut behüteten Familiengeheimnis auf die Spur …

Jani Friese

Liebe in der Toskana

Anastasia & Vincenzo

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Oktober 2016 (1)  © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016 Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © Screensun - Magret Weiper  ISBN 978-3-95818-139-7  Hinweis zu Urheberrechten Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Prolog

Was wäre gewesen, wenn …?

Wie wäre mein Leben dann verlaufen?

Hätte ich überhaupt ein Leben?

Diese Frage können sicherlich nur wenige beantworten und ich gehöre dazu. Das Schicksal sucht sich seinen eigenen Weg. Auch wenn wir annehmen, es beeinflussen zu können, so sind unsere eigenen Entscheidungen doch nur Umwege zu dem eigentlichen Ziel, das uns vorherbestimmt ist.

Ich lebte mit meinen Eltern in einem kleinen Ort an der Mosel, umringt von Weinbergen, an deren Reben Jahr für Jahr die besten Trauben heranwuchsen. Diese wurden schließlich im September geerntet und zu köstlichem Wein verarbeitet.

Mein Vater arbeitete auf einem kleinen Weingut ganz in der Nähe. Er verdiente nicht viel, aber es reichte, um uns zu ernähren. Viele Jahre zuvor war er von Italien nach Deutschland ausgewandert und hatte in seiner ersten Woche hier meine Mutter kennengelernt. Zehn Monate später wurde ich geboren. Bevor er hierher kam, hatte mein Vater auf einem Weingut in der Toskana gearbeitet. All sein Wissen über Trauben und Weine hatte er sich dort angeeignet.

Er sprach nie darüber, warum er Italien verlassen hatte, sagte nur, dass er niemals mehr dorthin zurückkehren wollte. Zu seiner Familie hatte er jeglichen Kontakt abgebrochen. Weder kannte ich meine Großeltern noch den Rest meiner Familie. Selbst meine Mutter kannte den Grund nicht und hatte es im Laufe der Jahre aufgegeben, ihn danach zu fragen.

Als ich älter wurde, sprach ich ihn darauf an, doch auch mein Bitten war vergebens. Eines Tages würde ich mich auf den Weg machen und selber herausfinden, wo meine Wurzeln lagen, ob es ihm gefiel oder nicht.

Das Interesse an Weinen hatte ich von meinem Vater in die Wiege gelegt bekommen. Immer wenn es möglich war, begleitete ich ihn auf Spaziergängen durch die Weinberge, oder sah zu, wie aus den Trauben der Wein gekeltert wurde.

Mein Vater war ein guter Lehrer und gab mit Freude sein Wissen an mich weiter. Voller Begeisterung klebte ich an seinen Lippen und sog alles in mich auf.

Somit stand eigentlich von Anfang an fest, dass ich beruflich unbedingt etwas in der Branche machen wollte. Nach dem Abitur entschied ich mich für eine Ausbildung als Handelsfachwirtin in einem großen Weingeschäft, unweit meines Wohnortes. Das aber reichte mir nicht, so dass ich die einjährige Weiterbildung zum »Sommelier«, also zum Weinfachberater, anschloss.

Während dieser Zeit arbeitete ich auf einem Weingut mit Gastronomiebetrieb. Der Chef meines Vaters, den ich von Kindesbeinen an kannte, hatte mir diese Stelle vermittelt und ein gutes Wort für mich eingelegt.

Schon als ich mich vorstellte, spürte ich, dass ich mich dort wohlfühlen würde. Es herrschte von Anfang an eine familiäre Atmosphäre, so dass ich die Besitzer des Weingutes sofort in mein Herz schloss.

So verging die Zeit wie im Flug und ich war überglücklich. Bis zu dem Tag, an dem meine Mutter mich während der Arbeit anrief und mir mitteilte, dass mein Vater im Krankenhaus lag. Danach ging alles sehr schnell. Es stellte sich heraus, dass er Krebs im Endstadium hatte. Die Ärzte machten uns keine Hoffnung, sie meinten nur, dass sie nichts mehr für ihn tun könnten. Er hatte bei der Untersuchung bereits überall Metastasen, die von einem großen Tumor in der Bauchspeicheldrüse ausgingen. Nicht mal eine Chemotherapie hätte irgendetwas daran geändert, es war zu spät. Mein Vater versuchte, stark zu sein und es uns möglichst erträglich zu machen. Uns! Dabei ging es doch um ihn. Er bat meine Mutter und mich darum, seine Krankheit zu akzeptieren, so wie er es tat. Jeden Tag sprach er davon, wie glücklich sein Leben mit uns war und wie stolz er auf mich sei. Er regelte alles, um uns sein Ableben zu erleichtern. Wir mussten ihm versprechen, unser Leben weiter zu leben und nicht zu trauern. Er war so unglaublich, so stark, so abgeklärt. Ich wünschte, ich hätte seine Stärke besessen, aber ich besaß sie nicht. Ich wollte den Schmerz verdrängen, nicht darüber nachdenken, dass ich meinen Vater bald nie wiedersehen würde. All das jedoch half nichts. Zwei Monate später musste ich völlig fassungslos mit ansehen, wie er in den Armen meiner Mutter starb. Der Krebs hatte gesiegt und ihn uns einfach genommen, ohne dass wir irgendeine Chance gehabt hätten, die Krankheit zu bekämpfen.

Es war eine schwere Zeit für uns, wie für jeden, der einen geliebten Menschen verliert. Meine Mutter versuchte, stark zu sein, aber an vielen Tagen konnte sie ihre Tränen nicht verbergen. Es brach mir jedes Mal das Herz, wenn ich sie so leiden sah.

Was mich betraf, so stürzte ich mich verbissen in die Arbeit und lernte wie eine Verrückte. Nur nicht nachdenken, nur nicht zusammenbrechen. Ich musste stark sein für meine Mutter, das war das Einzige, woran ich denken konnte. Ich blieb zu Hause, ging nirgendwo mehr hin, verkroch mich in mein Zimmer oder nahm meine Mutter in den Arm, wenn sie wieder weinte.

Die Karstens waren sehr verständnisvoll. Sie gaben mir frei und meinten, ich solle mir Zeit lassen. Das tat ich, doch irgendwann drängte mich meine Mutter, wieder arbeiten zu gehen. Ich wollte sie nicht alleine lassen, aber sie ließ mir keine Ruhe und gab nicht auf, bis ich schließlich zustimmend nickte.

Kapitel 1

»Du musst dein Leben weiterführen, Ana, das hätte dein Vater so gewollt. Er war unendlich stolz auf dich, du willst ihn doch nicht enttäuschen, indem du aufgibst, oder? Um mich mach dir keine Sorgen, ich komme klar, ganz sicher.«

»Ich weiß, Mama, aber mir ist nicht nach arbeiten, ich möchte hier bleiben, bei dir.«

Bestimmend erwiderte sie jedoch: »Keine Widerrede, Ana, ich möchte, dass du gehst.«

Ihr Blick vermittelte mir, dass sie es ernst meinte, also tat ich, was sie sagte.

Sie hatte recht. Die Arbeit lenkte mich ab und ließ mich eine gewisse Weile die Trauer vergessen. Ein paar Wochen nach der Beerdigung kam mein Chef zu mir und bat mich ins Büro.

»Meine liebe Anastasia«, begann er, »du hast viel mitgemacht in letzter Zeit und ich weiß, wie sehr du unter dem Verlust deines Vaters leidest. Daher haben meine Frau und ich uns überlegt, dass es gut wäre, wenn du mal hier raus kämst, um etwas anderes zu sehen und dich abzulenken.«

Ich schaute ihn mit großen Augen an, konnte jedoch kein Wort hervorbringen.

Er legte seine Hand auf meine Schulter und lächelte. »Wir möchten gerne, dass du uns in die Toskana begleitest. Ich muss dort einige Weingüter anfahren, um die neusten Weine zu probieren. Es wäre eine gute Erfahrung für dich und du kannst sehr viel dazulernen. Also, was sagst du?«

Ich starrte ihn ungläubig an. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Ich sollte die beiden tatsächlich nach Italien begleiten?

»Anastasia, was ist, hat es dir die Sprache verschlagen?«

Er grinste über das ganze Gesicht.

Ich holte tief Luft und räusperte mich erst einmal, bevor ich antworten konnte. »Herr Karstens, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Sonst begleitet Sie doch Ihr Sohn, warum ausgerechnet ich?«

»Das sagte ich doch bereits, wir möchten, dass du auf andere Gedanken kommst. Vielleicht tut es dir gut, in das Land zu reisen, aus dem dein Vater stammt. Er kam doch aus der Toskana, oder? Du könntest seine Familie dort besuchen. Was Steffen betrifft, der muss jetzt langsam anfangen, Verantwortung zu tragen, er soll sich um die Geschäfte hier kümmern, solange wir fort sind.«

Er blickte mich noch immer erwartungsvoll an.

»Die Vorstellung, in die Heimat meines Vaters zu reisen, ist einfach unglaublich«, antwortete ich vorsichtig. »Ich war noch nie in Italien und kenne auch keinen aus der Familie meines Vaters. Er hat den Kontakt zu ihnen vor vielen Jahren abgebrochen.«

»Oh, das tut mir leid, aber vielleicht erfährst du ja dort etwas über sie. Also Ana, was ist nun, sagst du zu?«

Etwas eingeschüchtert blickte ich zu Boden. Mein Gott, sie wollten mich tatsächlich mitnehmen in die Toskana, in das Land meines Vaters. Ich konnte es nicht fassen und Tränen stiegen mir in die Augen. Dieses Angebot war ein Traum, aber wie sollte ich diese Reise finanzieren? Das wenige Geld, was bei uns monatlich übrig blieb, brauchte ich für die Fortbildung.

Während ich noch immer vor mich hin grübelte, unterbrach er meine Gedankengänge. »Ach ja und noch etwas, Ana, falls du dir wegen des Geldes Sorgen machst. Du brauchst nur so viel, wie du für deine persönlichen Belange ausgeben willst. Alles andere bezahle ich und setze es später von der Steuer ab.«

Es schien ihn zu amüsieren, dass ich so sprachlos war, denn eigentlich hatte ich sonst immer etwas zu sagen. Er zwinkerte mir zu und fuhr fort.

»Außerdem hat uns ein junger Winzer auf seinen Hof eingeladen, damit wir seinen Wein kosten und ihm helfen, ihn in Deutschland zu vermarkten. Das Gut liegt relativ zentral, so dass wir von dort aus die anderen Weingüter gut erreichen können. Er hat zwei Gästezimmer, für die ich bereits zugesagt habe«

Mein Herz machte einen Satz … Italien! Ich wusste, so eine Chance bekam man nur einmal, daher überlegte ich nicht länger. »Sehr gerne nehme ich dieses Wahnsinnsangebot an, Herr Karstens. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen dafür danken soll.«

»Ganz einfach, indem du gut aufpasst und lernst. Denn in ein paar Monaten, so hoffe ich doch, wirst du deine Prüfung mit Bravour bestehen. Also abgemacht?«

Er hielt mir seine Hand entgegen und ich ergriff sie freudestrahlend.

»Ja, abgemacht, ich werde Sie nicht enttäuschen.«

»Das weiß ich, Anastasia und glaube mir, dein Vater wäre sehr stolz auf dich.«

Ich schluckte, als ich daran dachte, dass mein Vater am Tag der Prüfung nicht bei mir sein würde. In Gedanken tröstete ich mich jedoch damit, dass er bestimmt von oben auf mich herabsah und mir viel Glück wünschte.

Es klopfte an der Tür, die sich im selben Augenblick öffnete. Herein kam Frau Karstens. »Und, Hajo, was hat sie gesagt?«

Er grinste. »Frag sie doch selber«, antwortete er schmunzelnd.

Sie blickte mich erwartungsvoll an. »Und Ana, was ist, hast du dich entschieden?«

»Ja«, antwortete ich lächelnd.

»Ja, was?«, fragte sie noch einmal ungeduldig.

»Ja, ich fahre mit.«

Sie stürzte sich auf mich.

»Oh Ana, ich bin so froh, dass du ja gesagt hast. Du hattest es so schwer, es wird Zeit, dass du etwas Schönes erlebst. Und was kann schöner sein als die Weinberge der Toskana?« Sie zwinkerte mir zu und drückte mich mütterlich an sich.

Ich wusste wahrhaftig nicht, womit ich das verdient hatte. Diese Herzlichkeit und Offenheit, die sie mir entgegen brachten. In dem letzten halben Jahr, während der Krankheit meines Vaters, waren die beiden für mich so etwas wie eine zweite Familie geworden. Auch mit ihrem Sohn Steffen verstand ich mich blendend. Manchmal flirtete er mit mir, was ich jedoch nicht ernst nahm. Dann wieder vertraute er mir seine Frauengeschichten an und wollte wissen, was die Frauen wohl über ihn dachten. Lange hielt er es jedoch mit keiner aus.

Irgendwann meinte er, es könne nur daran liegen, dass niemand so wäre wie ich und dass er mich vom Fleck weg heiraten würde.

Ich belächelte das und amüsierte mich auch ein wenig über ihn. Er war einfach nicht der Typ Mann, den ich mir als Partner für die Zukunft vorstellte. Er war toll, keine Frage. Nicht nur, dass er unglaublich gut aussah und sehr auf sein Äußeres achtete, nein, er war auch noch sehr nett. Leider aber für meinen Geschmack schon zu perfekt. Irgendetwas fehlte mir. Ich sah ihn eher als kleinen Bruder, oder einfach nur als Freund.

Dass er jetzt Verantwortung übernehmen sollte, während sich seine Eltern eine tolle Zeit in Italien machten, würde ihm garantiert nicht gefallen. Aber sie hatten recht, er musste endlich erwachsen werden.

Meine Mutter freute sich trotz ihrer Trauer für mich.

»Ana, das ist ja großartig. Wie nett von ihnen, dich mitzunehmen. Das ist deine Chance, mal etwas anderes zu sehen. Du bist jetzt vierundzwanzig und hast noch nichts von der Welt gesehen. Es wird Zeit. Mach dir keine Sorgen um mich, ich schaffe das schon. Außerdem bist du ja bald wieder da.«

Sie lächelte mir zu und versuchte, stark zu sein, doch ich konnte an ihrem Gesicht ablesen, wie schwer es ihr fiel.

»Bist du sicher, dass ich dich alleine lassen kann?«, hakte ich nochmals nach.

»Aber bestimmt Ana, es ist okay. Fahr du nur, das wird dir guttun. Ich kann es kaum glauben, dass der Zufall dich ausgerechnet in die Toskana bringt, in das Land deines Vaters. Was er wohl sagen würde?«

Ich dachte kurz nach.

»Ich weiß es auch nicht Mama, aber ich wollte schon immer dorthin. Wenn Papa noch bei uns wäre, würde er vielleicht versuchen, es mir auszureden, aber ich bin jetzt erwachsen und treffe meine eigenen Entscheidungen. Daher wäre es egal gewesen, was er dazu gesagt hätte.«

»Du hast so recht, Ana. Wenn wir nur wüssten, wo er gelebt hat und ob es dort noch jemanden aus seiner Familie gibt, den wir über seinen Tod benachrichtigen sollten. Ich habe im Krankenhaus versucht, mit ihm darüber zu reden, ihn zu überzeugen, dass es vielleicht wichtig wäre, Kontakt zu ihnen aufzunehmen, sich zu verabschieden. Aber du kennst ja deinen Vater, er meinte nur, ich solle es ein für alle Mal gut sein lassen.«

Ich schaute sie betrübt an. Warum war er nur so verschlossen gewesen, was sein früheres Leben betraf? Es musste einen Grund dafür geben, nur welchen? Was für ein Geheimnis hatte er all die Jahre vor uns verheimlicht? Ob seine Familie ihn verletzt hatte, oder er sie? Vielleicht haben sie ihn rausgeworfen, oder er wurde polizeilich gesucht. So oft hatte ich mir darüber Gedanken gemacht und versucht, sein Verhalten zu verstehen. Aber ich kam zu keinem Ergebnis und würde es wohl auch nie, denn nun war er tot. Bei dem Gedanken verschluckte mich erneut eine Welle der Trauer und mein Herz krampfte sich zusammen. Wann würde dieser Schmerz endlich nachlassen? Vielleicht gelang es mir, mich auf der Reise mit den Karstens etwas zu entspannen und die Trauer zu verarbeiten.

Meine Mutter gab mir ein wenig Geld, obwohl sie selber kaum etwas hatte. Ich lehnte es ab, aber sie wurde ungehalten, so dass ich schließlich aufgab. Es lag ihr am Herzen, dass ich mir etwas Schönes davon kaufte. Bis das alles mit der Witwenrente geregelt war, würde es noch eine Weile dauern. Nach der Schwangerschaft mit mir hatte sie starke Rückenprobleme bekommen. Trotz vieler Ärzte und Behandlungen wurden ihre Schmerzen nur bedingt weniger. Sie musste sich immer wieder krankschreiben lassen, ein ständiges auf und ab. Zehn Jahre später sah sie ein, dass sie nicht mehr arbeiten konnte. Zum Glück hatte sie sich frühzeitig abgesichert, so dass sie wenigstens eine kleine Rente erhielt.

Als Kind bekam ich von den finanziellen Problemen nicht viel mit. Wir lebten zwar bescheiden, aber gut. Mir fehlte es an nichts und es störte mich nicht, dass wir nie in den Urlaub fuhren. Ich kannte es nicht anders, daher vermisste ich es auch nicht.

Ich war glücklich, wenn ich in den Ferien meinen Vater in die Weinberge begleiten durfte. Er hatte von Anfang an großen Wert drauf gelegt, dass ich zweisprachig aufwuchs. Jetzt war ich ihm dankbar dafür. Denn nun war ich tatsächlich im Begriff, in das Land zu reisen, dessen Muttersprache auch die meine war.

Zwei Wochen später fuhren wir mit PKW und Anhänger Richtung Süden. Es würde eine lange Fahrt werden, aber das störte mich nicht. Mit jedem Kilometer schien ich mich von meiner Trauer ein kleines bisschen zu entfernen.

Ich freute mich auf die Sonne, die Weinberge und die Landschaft, auf Zypressen und Olivenbäume. Ganz besonders aber auf die Menschen. Endlich würde ich die Toskana sehen, fühlen, spüren und schmecken. Allein der Gedanke daran ließ mein Herz schneller schlagen.

Kapitel 2

Die Vorfreude war grenzenlos und es war wie im Traum, als wir Italien erreichten. Nachdem wir die Autobahn verlassen hatten und durch die traumhafte Landschaft fuhren, drehte sich Frau Karstens zu mir um.

»Und, Ana, wie gefällt dir die Toskana?«

»Einfach unbeschreiblich, mir fehlen die Worte. Alles ist noch viel schöner, als ich es mir vorgestellt habe.«

»Ja, ich weiß genau, was du meinst. Daher lasse ich es mir auch nie entgehen, hierher zu kommen. Bei dir muss es ja noch viel emotionaler sein, denn schließlich bist du hier verwurzelt.«

Ich schluckte und dachte wieder an meinen Vater. Meine Augen füllten sich mit Tränen. »Ja, das Gefühl ist unbeschreiblich.«

Sie erkannte sofort, dass ich mitgenommen war, und streichelte mir über den Arm.

»Du wirst eine tolle Zeit hier haben, dafür werde ich sorgen, verlass dich drauf. Und jetzt husch husch, hinfort mit den trüben Gedanken, genießen wir Bella Italia.«

Ihre zauberhafte Art, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind und das Schöne in allem zu sehen, machte sie zu einem außergewöhnlichen Menschen. Ich mochte sie so sehr und ihre Nähe tat mir unendlich gut.

Wir fuhren durch die hügelige Landschaft, an deren Straßenrändern riesige Zypressen wuchsen. Als wir in das Gebiet des Chianti kamen, schlug mein Herz schneller denn je. Weinberge, soweit das Auge reichte. Ich konnte mich nicht sattsehen an ihrer Schönheit und es kaum abwarten, zwischen ihnen umher zu spazieren.

Etwa eine Stunde später bogen wir in einen sandigen, steinigen Feldweg ein, an dessen Wegesrand alte Olivenbäume wuchsen. Wir fuhren durch ein riesiges, schmiedeeisernes Tor, das die Sicht freigab auf ein altes Gut, welches idyllisch zwischen den Weinreben am Berghang lag. Es wirkte schon fast mittelalterlich durch seine aus Sandsteinen gebaute Fassade und das kleine Türmchen, das mit wildem Wein bewachsen war. Eine Zypressenallee führte uns direkt hinauf zum Weingut. Es war atemberaubend schön, geradezu romantisch. Sollten wir hier tatsächlich für die Zeit unseres Aufenthaltes wohnen?

Erstaunt sah ich mir alles an. Der vordere Bereich des Hauses war mit hellem Kies ausgelegt und eine Art Wehrmauer trennte den Hof von den Weinbergen. Auf den eckigen Pfeilern standen Tonschalen, die mit blühenden, rankenden Blumen bepflanzt waren, während vor dem Eingang ein alter, knorriger Olivenbaum wuchs. Unter seinen Ästen, im Schatten gelegen, stand ein aus Holz geschnitzter Tisch mit Stühlen, die zum Verweilen einluden.

Wir parkten seitlich des Hauses und Frau Karstens stieß voller Verzückung die Autotür auf. »Du liebe Güte, nun sieh sich das mal einer an«, rief sie begeistert, »das ist ja ein Traum hier. Ana komm, schau doch, wie schön es hier ist.«

Ihre Begeisterung steckte mich an. Als ich meine Füße auf den steinigen Boden setzte, der unter meinen Schuhen knirschte, war ich mir sicher, hier würde ich eine wundervolle Zeit erleben.

Wir sahen uns um, aber weit und breit war niemand zu sehen. Das Haus wirkte verlassen, bis auf den Hund, der uns freudig mit dem Schwanz wedelnd begrüßte.

»Na Kleiner«, meinte ich zu ihm, während ich sein weiches schwarzes Fell streichelte, »wo sind denn deine Besitzer?«

Plötzlich öffnete sich die schwere bogenförmige, aus Holz gefertigte Eingangstür des Hauses. Eine Dame mittleren Alters kam heraus und trat lächelnd auf uns zu.

»Buongiorno, Sie müssen die Karstens aus Deutschland sein. Ich habe Sie schon erwartet. Mein Name ist Giulietta, ich bin die Haushälterin von Signore Vincenzo. Er kann sie leider nicht persönlich begrüßen, weil er bei einem Termin aufgehalten wurde. Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihre Zimmer. Signore Vincenzo wird nicht lange auf sich warten lassen.«

»Vielen Dank, Signora«, erwiderte mein Chef freundlich, und bewegte sich in Richtung Kofferraum, um unser Gepäck auszuladen.

Wir folgten der Haushälterin durch die große Tür in einen riesigen Raum mit hohen Decken. Mein erster Blick fiel auf den offenen, aus Sandstein gemauerten Kamin im hinteren Bereich. Er war für normale Verhältnisse schon sehr üppig. In seine Feuerstelle hätte man einen halben Baum legen können, so groß war sie. Davor stand ein filigran geschmiedetes, schwarzes, gusseisernes Gitter. Ich war beeindruckt und konnte meinen Blick kaum davon lösen. Seitlich des Kamins führte eine breite Holztreppe hinauf in das obere Stockwerk. An den verputzten Steinwänden auf der rechten Seite standen zwei große Vitrinen, in denen eine Auswahl von Weinen gelagert wurde. Eine leichte Staubschicht bedeckte die Flaschen, die damit den Eindruck erweckten, schon eine geraume Zeit dort gelagert zu sein. Alte Schwarz-Weiß-Fotos von Menschen in den Weinbergen hingen neben der Treppe und wurden von kleinen Lampen angestrahlt. In der vorderen Ecke, unweit des Eingangs, stand ein großer, rustikaler Holztisch mit Stühlen. Dieser Raum schien Treffpunkt zu sein für geschäftliche Besprechungen und festliche Anlässe.

Giulietta führte uns die Treppe hinauf und zeigte uns unsere Zimmer.

Ich staunte nicht schlecht, als ich meines betrat. Es war sehr geräumig und liebevoll eingerichtet. Eine Tür führte in ein kleines Bad en Suite.

Ich blickte aus dem Fenster und hielt für einen Augenblick den Atem an. Eine herrliche Landschaft mit allem, was man mit der Toskana in Verbindung bringen konnte, lag hier zu meinen Füßen. In erster Linie natürlich die Weinberge, die das Gut wie ein warmer Schal umschlossen. Sobald wie möglich wollte ich sie von Nahem sehen und zwischen ihnen umherspazieren, ebenso die Süße ihrer Trauben schmecken.

Alles erschien mir wie in einem Traum. Sofort musste ich an meinen Vater denken, der früher auf genau so einem Weingut gearbeitet hatte. Hier hätte auch er sich wohlgefühlt.

Plötzlich erblickte ich einen Wagen, der die Einfahrt hinauf kam. Er parkte genau neben unserem. Als sich die Autotür öffnete, stieg ein junger Mann mit lockigen braunen Haaren aus. Seine Attraktivität war unübersehbar, ebenso wie seine Herkunft, typisch italienisch eben. Er trug hellblaue Jeans, dazu ein eng anliegendes weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt, das erkennen ließ, wie muskulös er gebaut war. Er hatte nicht zu viele Muskeln, aber er wirkte sehr durchtrainiert. Die silberne Uhr am Handgelenk glitzerte auf seiner braunen Haut in der Sonne, ebenso wie die silberne Kette mit dem Anhänger, der auf seiner Brust lag. Unfassbar, wie gut er aussah, ein Bild von einem Mann. Kaum zu glauben, dass so jemand frei herumlief. Der hatte bestimmt zehn Frauen an jeder Hand. Wer so aussah, konnte unmöglich Single sein. Welch ein Jammer, dass es solche Männer nicht bei uns gab. Tja, die Italiener hatten eben das gewisse Etwas.

Ich musste schmunzeln, während ich ihn vom Fenster aus beobachtete.

Ob er der besagte junge Winzer war, der in Zukunft mit den Karstens Geschäfte machen wollte? Bestimmt, anders konnte es nicht sein.

Plötzlich schaute er zu mir hinauf und grinste breit. Durch sein Lächeln und seinen direkten Blick schoss mir die Hitze ins Gesicht. Jetzt winkte er mir auch noch freundlich zu.

Verdammt, hoffentlich hatte er nicht bemerkt, wie sehr ich ihn angestarrt hatte. Wie peinlich!

Puterrot erwiderte ich kurz seinen Gruß und trat zurück in das Zimmer.

Das war ja wieder so typisch für mich, prekäre Situationen waren meine Spezialität.

Ich versuchte, mich abzulenken, indem ich meinen Koffer auspackte und meine Kleidung in den großen rustikalen Schrank legte.

Nach der langen Autofahrt entschied ich mich, erst mal zu duschen.

Es war unglaublich erfrischend, als das kühle Wasser meine Haut berührte.

Immer wieder dachte ich an den jungen Mann, dessen Lächeln mich in Verlegenheit gebracht hatte.

Sein Name war Vincenzo, wie die Haushälterin erwähnte. Mh, toller Name für einen tollen Mann.

Ich entschied mich, das geblümte Kleid zu tragen, das ich mir kurz vor meiner Reise gekauft hatte. Für meine Haare und das Make-up ließ ich mir besonders viel Zeit. Ich wollte gut aussehen, wenn ich ihm das nächste Mal begegnen würde.

»Anastasia, was machst du nur«, sagte ich zu mir selbst und schüttelte den Kopf. »Du bist hier, um zu lernen und nicht, um dir von irgendwelchen italienischen Männern den Kopf verdrehen zu lassen.«

Das stimmte schon irgendwie, aber etwas amüsieren war doch nicht verboten. Meine Mutter sagte immer, die Italiener wären die besten Liebhaber der Welt. Sie musste es ja wissen, schließlich war sie mit einem verheiratet gewesen.

»Gewesen«, was für ein furchtbares Wort.

Trauer kam in mir hoch und Tränen traten mir in die Augen, die sicherlich, wenn ich mich nicht zusammenriss, mein ganzes Make-up ruinieren würden.

Also schluckte ich sie herunter, warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel und öffnete die Tür zum Flur.

Hastig schloss ich sie hinter mir und lief eilig Richtung Treppe.

Ehe ich diese erreichte, prallte ich gegen einen kräftigen, muskulösen Körper. Erschrocken fuhr ich zusammen und schrie auf.

Mein Blick fiel in das Gesicht eines Mannes, dessen braune Augen mich amüsiert anblickten.

Ein breites Grinsen umspielte seine Lippen und seine weißen Zähne leuchteten geradezu.

»Attenzione, Signorina, wohin so schnell des Weges? Meine Mutter hat mir immer gesagt, ich solle mit offenen Augen durchs Leben gehen. Diese Weisheit haben deine Eltern sicher nicht an dich weiter gegeben, oder?«

Er grinste noch immer und ich spürte die Hitze in meinem Gesicht hochsteigen.

Auch ohne Spiegel wusste ich, dass der leicht bräunliche Teint meines Make-ups sich nun in ein glühendes Rot verwandelte.

Warum musste ausgerechnet mir immer so etwas passieren? Wie kam ich nur aus der Nummer wieder heraus?

Unsere Blicke kreuzten sich, was nicht gerade dazu beitrug, das meine Gesichtsfarbe zu ihrem Ursprung zurückkehrte.

Im nächsten Augenblick veränderte sich der Ausdruck seines Blickes. Er wurde intensiver und es schien, als würde er bis zum Grunde meiner Seele vordringen. Ich hielt die Luft an und ein seltsames Gefühl überkam mich. Ich spürte eine sonderbare Art von Verbundenheit zu ihm, für die es keine Erklärung gab. Mein Herz klopfte schneller und mein Magen schien sich zusammenzuziehen.

Sekundenlang sahen wir uns einfach nur an. Keiner sagte ein Wort, bis sich eine Tür öffnete und Frau Karstens heraustrat. Als ihr Blick uns traf, fühlte ich mich irgendwie ertappt.

Vincenzo hingegen setzte sein Hollywoodlächeln auf, ging auf sie zu und küsste ihr die Hand.

Wow, auch noch ein Kavalier der alten Schule, ich war beeindruckt.

Meine Chefin ebenso, die ihn geradezu verzückt ansah.

»Bongiorno, Signora«, begrüßte er sie mit schmeichelnder Stimme.

»Mein Name ist Vincenzo di Monte, willkommen in der Welt der italienischen Weine. Ich freue mich, dass Sie hier sind, um einen der besten Tropfen Italiens zu kosten.«

Dann trat mein Chef aus der Tür. Ihn jedoch begrüßte er glücklicherweise nicht mit einem Handkuss, sondern streckte ihm seine kräftige Hand freundschaftlich entgegen.

»Auch Sie heiße ich herzlich willkommen auf meinem Gut, Signore Karstens. Ich freue mich darüber, dass Sie Interesse an meinem Wein zeigen und mir vielleicht die Möglichkeit geben, ihn in Ihrem Land zu vermarkten.«

Mein Chef schien ebenso angetan von ihm, das erkannte ich sofort.

»Wir freuen uns ebenfalls sehr«, antwortete er freundlich, »besonders darüber, dass Sie uns hier bei sich beherbergen.«

»Das ist doch selbstverständlich, Signore Karstens, ich habe genug Platz, um eine Großfamilie unterzubringen. Mit ihrer Tochter habe ich mich schon kurz bekannt gemacht, allerdings hat sie mir bislang ihren Namen verschwiegen.«

Er schaute fragend zu mir herüber und grinste.

»Das wundert mich«, trällerte meine Chefin, »vorhin sahen Sie mit ihr doch sehr vertraut aus.«

Oh nein, das wurde ja immer peinlicher, irgendetwas musste geschehen.

Ich nahm all meinen Mut zusammen, vergaß meine Gesichtsfarbe und sprach Vincenzo in fast akzentfreiem Italienisch herausfordernd an: »Scusi, Signore Vincenzo, ich denke, ich muss hier etwas richtig stellen. Mein Name ist Anastasia Corella. Ich bin nicht die Tochter von Signor und Signora Karstens, sondern die Tochter eines aus der Toskana stammenden Mannes namens Angelo Corella, der, wie ich, die Weinberge liebte und genau darin seine Erfüllung fand. Ich habe die Ehre, bei der Familie Karstens zu arbeiten und zu lernen. Das ist auch der Grund, warum ich sie begleiten durfte. Also, Signor Vincenzo, ich freue mich darüber, Sie kennenzulernen, aber besonders darauf, Ihren Wein zu kosten.«

Mein Chef zog die Augenbraun hoch und meine Chefin lächelte in sich hinein. Scheinbar hatte ich sie beeindruckt, ebenso wie Vincenzo, der mich mit offenem Mund und erstauntem Blick ansah.

Das hatte er sicher nicht erwartet, nun hatte ich ihn aus dem Konzept gebracht.

Einen Augenblick später hatte er sich wieder gefangen. Er grinste übers ganze Gesicht und fixierte mich mit seinen braunen Augen.

»Entschuldigen Sie das Missverständnis, Signorina Corella. Ich freue mich sehr, Sie in ihrem Heimatland begrüßen zu dürfen. Es wird mir eine Ehre sein, Ihnen alles zu zeigen, Benvenuto.«

Er machte eine kurze Pause und löste seinen Blick von mir.

»Darf ich Sie nun alle bitten, mir zu folgen. Giulietta hat eine Kleinigkeit für uns vorbereitet, kommen Sie und erholen Sie sich erst einmal von der langen Fahrt.«

Wir folgten ihm die Treppe hinunter nach draußen. Unter dem alten Olivenbaum hatte Giulietta den Tisch reichhaltig gedeckt. Es gab Tomaten mit Mozzarella, frisches Brot mit Wurst und Käse, Oliven und Wildschweinbraten, den sie in Scheiben geschnitten auf einem Holzbrett angerichtet hatte. Eine große Karaffe Rotwein und wunderschöne, geschliffene Weinkelche standen in der Mitte des Tisches.

»Bitte meine lieben Gäste, machen Sie es sich bequem und lassen Sie es sich schmecken.«

Ich folgte seiner Einladung nur allzu gerne, denn mein Magen machte sich bereits seit einiger Zeit bemerkbar.

Nachdem wir alle Platz genommen hatten, schenkte er jedem von uns ein Glas Wein ein.

Der kleine schwarze Hofhund lief aufgeregt mit dem Schwanz wedelnd um uns herum, die Nase konzentriert Richtung Tisch gerichtet. Sicher fiel beim Essen für ihn immer mal wieder etwas herunter. Er schmeichelte sich bei uns ein, nicht ohne Hintergedanken. Nachdem er alles und jeden genau inspiziert hatte, gesellte er sich ausgerechnet zu mir. Ich streichelte ihm sanft durch sein langes Fell, das für einen Hofhund sehr gepflegt wirkte. Er genoss meine Streicheleinheiten sichtlich. Seine Schnauze lag entspannt auf meinem Bein, während seine Augen träumerisch in die Gegend blickten.

Vincenzo beobachtete mich aus dem Augenwinkel, aber ich ließ mir nichts anmerken. »Avanti, Piccolo, belästige die Signorina nicht«, schimpfte er plötzlich mit dem Hund.

»Er belästigt mich nicht, ich mag Hunde, lassen Sie ihn ruhig hier sitzen. Ich kann mich schon wehren, wenn es mir zu viel wird.«

»Wie Sie meinen, Signorina Corella.«

Er wendete sich wieder seinem Wein zu.

»Dies ist ein ganz besonderer Tropfen«, bemerkte er stolz.

»Er stammt von den Weinstöcken meines Großvaters, der vor vielen Jahren das Weingut seines Vaters, also meines Urgroßvaters übernommen und diesen Wein veredelt hat. Die Trauben wachsen hier am Südhang unterhalb des Gutes. Das Geheimnis der Veredelung hat er an meinen Vater und dieser wiederum an mich weitergegeben. Leider ist mein Vater letztes Jahr gestorben, so dass sie ihn bedauerlicherweise nicht mehr kennenlernen können. Er war ein ganz besonderer Mensch.«

Für einen Augenblick senkte er den Blick und in seinem Gesicht spiegelte sich der Schmerz, den er offensichtlich noch immer empfand.

Ich wusste so gut, was er in diesem Moment fühlte und plötzlich schossen mir die Tränen in die Augen. Ich musste an meinen Vater denken.

»Das tut mir sehr leid Signore Vincenzo«, sagte mein Chef plötzlich mitfühlend, »es muss schwer für sie sein, so alleine alles zu bewirtschaften. Aber ihre Mutter steht Ihnen doch sicher zur Seite, oder?«

Vincenzo schaute ihn an, sein Gesicht zeigte keine Regung, dann jedoch bewegten sich seine Lippen.

»Meine Eltern sind beide im letzten Jahr bei einem Skiunfall ums Leben gekommen, Signore Karstens. Eine Lawine hat sie unter sich begraben.«

Ich schluckte. Wie furchtbar. Ich hatte wenigstens noch meine Mutter, aber beide zugleich? Das musste schrecklich für ihn gewesen sein. Am liebsten hätte ich ihn getröstet, aber ich fand nicht die passenden Worte.

Herr und Frau Karstens waren ebenso erschüttert, wie ich.

»Das ist wirklich sehr bedauerlich, Signore Vincenzo«, sagte mein Chef, um die Stille zu durchbrechen. »Ich hätte Ihre Eltern gerne kennengelernt.«

Vincenzo sah ihn freundlich an, seinen Schmerz jedoch konnte ich noch immer fühlen.

»Ich danke Ihnen, aber lassen Sie uns nun anstoßen auf eine wundervolle Zeit, die Sie hier verbringen werden, und auf das Leben. Es ist das Wertvollste, was wir haben, Salute!«

Wir erhoben die Gläser und stießen miteinander an.

Als mein Glas das seine schwungvoll berührte, und der Klang mein Ohr durchdrang, kreuzten sich für einen kurzen Augenblick unsere Blicke.

Die Intensität dieses Augenblicks war einfach unbeschreiblich. Mein Herz machte einen Satz und schlug mir bis zum Hals. Aber ehe ich mich versah, war er auch schon vorbei. Ich versuchte tief durchzuatmen und mich wieder zu beruhigen, was alles andere als einfach war. Dieser Mann warf mich völlig aus der Bahn. Ein Blick von ihm und mein Körper schien außer Kontrolle zu geraten. So etwas war mir mit einem Mann noch nie passiert. Es beängstigte und faszinierte mich zugleich

Mein Herz klopfte noch immer wie wild, als meine Lippen sich öffneten, um einen kleinen Schluck von dem edlen Rotwein zu kosten.

Ich schloss die Augen, während meine Geschmacksnerven sich ausgiebig mit dem roten Tropfen auseinandersetzten, bis ich ihn schließlich langsam, meine Kehle hinunterfließen ließ.

Genüsslich fuhr ich mit der Zunge über meine Lippen. Was für ein köstlicher Tropfen.

Als ich meine Augen wieder öffnete, begegnete ich erneut dem Blick von Vincenzo. Er wirkte verführerisch und herausfordernd. Verlegenheit machte sich in mir breit, was sollten die Karstens nur denken? Ich musste mich auf den Geschmack des Weines konzentrieren und auf nichts anderes.

Nicht auf seine Augen und nicht auf seine vollen Lippen, die geradezu zum Küssen einluden.

Ich riss mich zusammen, löste mich von dem berauschenden Ausdruck seiner Augen und schwenkte erneut den rubinroten Wein in seinem bauchigen Glas. Konzentriert schnupperte ich daran, um schließlich kurze Zeit später einen weiteren Schluck zu mir zu nehmen. Er schmeckte wahrlich unglaublich.

Der Blick von Herrn Karstens sagte mir, dass auch er begeistert war von diesem Wein.

Vincenzo wirkte leicht angespannt.

»Und, was sagen Sie, Signore Karstens?«, fragte er schließlich.

»Nun, ich würde unserer Anastasia hier gerne den Vortritt lassen, wenn Sie erlauben«, erwiderte er.

»Aber sehr gerne.«

Er blickte wieder zu mir herüber und lächelte.

»Also Signorina Anastasia Corella, wie beurteilen Sie meinen Wein?«

Mein Herz begann wieder schneller zu klopfen, während ich etwas unsicher das Glas in meiner Hand hin und her bewegte.

Drei Augenpaare waren direkt auf mich gerichtet und warteten darauf, dass ich etwas sagte.

Nun musste ich professionell wirken, mir meine Nervosität nicht anmerken lassen. Entschlossen richtete ich meinen Oberkörper auf und sah Vincenzo direkt in die Augen.

»Nun, Signor«, begann ich vorsichtig, »er ist rassig herb, aber dennoch gleichzeitig samtig.«

Ich atmete tief ein, um einen Augenaufschlag später fortzufahren.

»Seine fruchtig würzige Note ist besonders beeindruckend, ebenso wie sein harmonisch berauschender Abgang. Ich kann nur sagen, hier handelt es sich um einen Wein der Extraklasse!«

Vincenzo klebte sichtbar an meinen Lippen und seine Augen strahlten.

Als ich meine Lobeshymne beendet hatte, nahm er meine Hand, küsste sie und schenkte mir ein atemberaubendes Lächeln. Ich war verloren. Was hatte er nur an sich, was mich so faszinierte?

»Ich danke Ihnen, Signorina Anastasia, Sie kennen sich aus mit Weinen, das haben Sie gerade bewiesen.«

Mein Chef lächelte.

»Anastasia, ich bin stolz auf dich und genau deiner Meinung. Ich hätte es nicht besser ausdrücken können. Signor Vincenzo, da haben Sie einen großartigen Wein geschaffen. Ich denke er hat die besten Chancen, in Deutschland den Markt zu erobern.«

Vincenzo erhob stolz sein Glas und prostete uns zu.

»Auf den besten Wein, den die Welt je gesehen hat, Salute!«

»Salute«, erwiderte mein Chef, »auf eine gute Zusammenarbeit.«

»Und nun meine lieben Gäste, lasst es euch schmecken, buon appetito!«

Ausgehungert fielen wir über die Köstlichkeiten her, die Giulietta vorbereitet hatte.

Die Sonne ging bereits langsam unter, als wir noch immer unter dem alten Olivenbaum saßen. Wir unterhielten uns über die besten Anbaugebiete, die Pflege der Rebstöcke, die Lagerung des Weines und, und, und …

Mit der Zeit wurde ich entspannter, geradezu locker. Das konnte nur am Wein liegen, aber gut so.

Wir merkten kaum, wie die Zeit verging, bis Frau Karstens schließlich aufstand und sich verabschiedete. Es war schon dunkel geworden, aber ein paar Fackeln und eine Kerze, die Vincenzo angezündet hatte, erhellten unseren Tisch.

Ich fühlte mich nicht müde, durch Vincenzos ständige Blicke war mein Körper hellwach.

Wir scherzten und lachten, bis Herr Karstens den Tod meines Vaters erwähnte. Ich schluckte und wurde ernst.

Er erkannte sofort, wie unangenehm mir dieses Thema war. Der Abend war bisher so wunderbar verlaufen, warum musste er gerade jetzt meinen Vater erwähnen? Sein Tod ging doch Vincenzo gar nichts an.

»Oh Ana, es tut mir leid, verzeih, ich habe nicht nachgedacht. Der Wein … entschuldige bitte. Ich glaube, es ist besser, ich gehe jetzt zu Bett. Signore Vincenzo, vielen Dank für den schönen Abend.«

Mit diesen Worten stand er auf und ging.

Ich schaute ihm hinterher und wollte ebenfalls aufstehen. Vincenzo hielt mich jedoch am Arm zurück.

»Bitte, Signorina Anastasia, bleiben Sie doch noch eine Weile. Vor dem Schmerz kann man nicht davonlaufen, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Bitte, setzen Sie sich doch wieder und erzählen mir von Ihrem Vater.«

Sein Blick und seine Hand auf meinem Arm beruhigten mich etwas.

Vincenzo goss ein weiteres Glas Wein ein und reichte es mir.

Dankend nahm ich es und trank einen Schluck.

Sein Blick verriet mir, dass er darauf wartete, dass ich etwas sagte.

Wollte ich überhaupt mit ihm darüber reden? Eigentlich nicht, aber es schien, als könnte ich ihm alles sagen, obwohl wir uns gerade erst ein paar Stunden kannten. Ich schüttelte den Kopf und lächelte.

»Was denn«, fragte er, »warum schütteln Sie den Kopf?«

»Warum? Nun, ich weiß nicht genau, wie Sie das machen, aber es ist mir so, als ob wir alte Freunde wären. Sie sind mir auf eine seltsame Art so vertraut, wie kommt das? Das ist doch verrückt. Ich bin mir sicher, Ihnen noch nie begegnet zu sein.«

Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

»Ja, ich weiß genau, was Sie meinen. Mir geht es ähnlich.

Aber spielt es eine Rolle? Nehmen wir es doch so, wie es ist.«

Er hatte recht. Warum sollte ich mir Gedanken machen? Ich fühlte mich wohl in seiner Nähe, nur das zählte.

»Also, Signorina Anastasia«, fuhr er fort, »würden Sie einem alten Freund von Ihrem Vater erzählen? Ich bin ein guter Zuhörer.«

War das zu glauben? Ich saß hier mit einem wildfremden Mann, der nicht nur unverschämt gut aussah, sondern auch noch psychologische Fähigkeiten in sich trug. Wer konnte da schon widerstehen?

Es schien mir fast ein Bedürfnis, ihm von meinem Vater zu erzählen.

Warum auch nicht, es gab kein Geheimnis, was ihn betraf. Hinzu kam, dass uns der Verlust unserer Väter und seiner Mutter irgendwie verband.

Ich holte tief Luft und begann meine Erzählungen damit, dass mein Vater gebürtig aus der Toskana stammte, ich jedoch nicht wusste, woher genau. Dass ich keinen aus seiner Familie je kennengelernt hatte, weil er den Kontakt abgebrochen hatte und auch nie wieder aufnehmen wollte.

Dass ich durch ihn alles über Weine gelernt hatte und wir diese Begeisterung miteinander teilten, bis zu seinem Tod.

Als ich meine Erzählungen beendete, legte er eine Hand an meine Wange, worauf mein Puls sich schlagartig beschleunigte.

»Anastasia, ich danke Ihnen, dass Sie es mir erzählt haben. Einen Menschen, oder in meinem Fall, zwei geliebte Menschen zu verlieren, ist so unendlich schmerzhaft und es braucht eine lange Zeit, um dieses zu verarbeiten. Sie sind für uns unersetzlich, aber wir müssen weiter leben und das Beste daraus machen. Ich möchte auch das Beste aus unserer Begegnung machen. Beginnen wir doch damit, dass wir uns Duzen, was meinen Sie, Signorina?«

»Sehr gerne, Vincenzo, bitte nenn mich doch Ana.

»Es ist mir ein Vergnügen, obwohl mir Anastasia besser gefällt.«

»Und mir ist Vincenzo zu lang, obwohl ich den Namen sehr gerne mag. Darf ich dich vielleicht Vince nennen?« Ich lachte Ihn an und war selbst überrascht von mir.

»Scusi Signorina, im Moment bin ich nicht in der Lage, dir etwas abzuschlagen. Du kannst mich gerne Vince nennen, wenn dich das glücklich macht.«

»Vielen Dank für deine Zustimmung und ja, es macht mich glücklich und zufrieden.«

Vincenzo schmunzelte, er amüsierte sich auf meine Kosten, aber ich ließ ihm den Spaß. Dann goss er uns Wein nach.

»Dein Vater wäre sicher glücklich, dich hier mit mir unter dem alten Olivenbaum sitzen zu sehen, umgeben von den besten Weinbergen Italiens. Ebenso wie mein Vater sich freuen würde, dass ich jemandem begegnet bin, der so viel von Wein versteht wie du, abgesehen von der Tatsache, dass italienisches Blut durch deine Adern fließt.«

Er zwinkerte mir zu und ließ seine Hand wieder sinken.

»Er wäre stolz, wenn unsere Trauben den Weinmarkt in Deutschland erobern würden. Daher ist genau das mein Ziel, im Namen meines Vaters.«

»Das wird er«, erwiderte ich, »ganz sicher.«

Er nickte kurz und redete weiter.

»Anastasia, ich würde dir gerne helfen, deine italienische Familie zu finden, aber ich habe ja so gut wie keine Anhaltspunkte. Die Toskana ist groß, kannst du mir nicht ein paar mehr Informationen geben?«

»Ich fürchte nicht. Selbst meine Mutter weiß nicht, wo mein Vater früher gelebt hat.«

»Mh, dann wird es fast unmöglich sein, etwas herauszufinden.«

»Ja, so ist das wohl«, bemerkte ich, während sich in mir die Enttäuschung breitmachte.

»Nun gut, auch wenn du deine Familie nicht finden kannst, ist das kein Grund, Trübsal zu blasen. Ich werde dir die Weinberge zeigen und dir dieses wunderbare Land näherbringen. Also, was sagst du?«

Ich brauchte nicht eine Sekunde überlegen. Bei so einem Angebot konnte man einfach nicht Nein sagen.

»Sehr gerne, Vincenzo, ich würde mich freuen, dir über die Schulter sehen zu dürfen.«

Er schmunzelte wieder.

Verunsichert sah ich ihn an. »Was denn, habe ich etwas Falsches gesagt?«

Er lachte laut auf. »Nein, ich überlegte nur kurz, von wegen über die Schulter sehen. Das dürfte etwas schwierig werden, bei deiner Größe.«

»Hey, jetzt nicht übermütig werden, Signore Vincenzo, so klein bin ich auch nicht.«

Wir lachten beide. Es tat gut, mal wieder richtig herzlich zu lachen.

Ich fühlte mich frei und leicht in seiner Nähe.

Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass er so ein guter Zuhörer und so verständnisvoll sein könnte. Mein erster Eindruck von Vincenzo war eher der eines typisch italienischen Machos. Jetzt jedoch wurde mir klar, dass ich mich getäuscht hatte.

Die ganze Zeit redeten wir nur über mich, nun war er an der Reihe. Ich wollte mehr über den Mann wissen, der mich so wahnsinnig faszinierte. »Jetzt bist du dran, gleiches Recht für alle. Erzähl mir von deinen Eltern, wie waren sie so?«

Sein Lächeln verschwand und er wurde für einen Augenblick ernst. Scheinbar fiel es ihm schwer, oder er konnte einfach nicht darüber reden. Ich wollte ihn nicht dazu zwingen, ich dachte nur, es wäre für ihn kein Problem. Und wieder hatte ich mich getäuscht. Noch während ich überlegte, wie ich dem Gespräch eine andere Wendung geben könnte, lächelte er wieder.

Aber anstatt auf meine Frage zu antworten oder sich rauszureden fragte er plötzlich und völlig unerwartet: »Hast du eigentlich einen Freund, Anastasia?«

Ich verschluckte mich fast an meinem Wein und starrte ihn an. »Was?«, rief ich völlig überrumpelt.

Er grinste übers ganze Gesicht. »Hast du einen Freund?«, wiederholte er. »So ein hübsches Mädchen wie du ist doch sicher nicht allein, oder?«

Er versuchte vom Thema abzulenken, das war eindeutig. Gut, wenn er nicht über seine Eltern reden wollte, dann eben anders.

»Und du?«, erwiderte ich. »Hast du jemanden?«

»Nein, nein, ich habe zuerst gefragt, also bist du am Zug.« Er lachte und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar.

Warum interessierte er sich dafür? Warum interessierte ich mich dafür? Na, weil ich ihn unglaublich anziehend und aufregend fand. Auch wenn die Antwort nirgendwo hinführen würde, er weckte ungeahnte Gefühle in mir, die mein Herz schneller schlagen ließen, deswegen!

»Anastasia, ich warte noch immer auf deine Antwort.« Übertrieben ungeduldig klopfte er mit seinen Fingern auf dem Tisch herum.

Schließlich gab ich mich geschlagen. »Wenn es dich so brennend interessiert …«

»Ja das tut es«, bestätigte er und trieb mich mit seinem Blick in die Enge.

»Schon gut, ich sag es dir ja. Also zur Zeit habe ich keinen Freund.«

Er lächelte verführerisch.

»Sehr gut! Ich habe auch zur Zeit keine Freundin.«

»Wieso nicht?«, entfuhr es mir spontan, was ich jedoch im selben Augenblick schon wieder bereute. Was war nur in mich gefahren? Ich verdrehte die Augen und biss mir auf die Unterlippe. Entschuldigend sah ich ihn an.

Er lachte laut auf. »Es ist nicht zu fassen, genau dieselbe Frage hatte ich gerade auf der Zunge. Wie ähnlich wir uns doch sind, Anastasia. Auf jeden Fall hätten wir das ja erst mal geklärt.«

Was meinte er damit? Was bedeutet erst mal geklärt? Wozu? Hatte er gewisse Absichten, was mich betraf? Nun, ich wäre nicht abgeneigt. Wer konnte so jemandem wie Vincenzo schon widerstehen? Ich ganz sicher nicht, keine Chance. Warum auch nicht, ich war schließlich jung, frei und ungebunden.

»Ach ja, und was meine Eltern betrifft«, meinte er plötzlich, »ich möchte im Moment nicht über sie reden, wenn das okay ist? Vielleicht ein andermal.«

Ich legte wie selbstverständlich meine Hand auf seinen Arm.

»Natürlich ist das okay, Vincenzo, keine Frage, wir müssen nicht über sie reden.«

Er nickte zustimmend. Sicher hätte ich gerne gewusst, was für Menschen sie waren, aber das hatte Zeit.

Ich hätte noch Stunden mit ihm hier sitzen können, doch so langsam überkam mich die Müdigkeit.

»Der Tag war lang, Vincenzo. Ich glaube, ich muss jetzt ins Bett. Ich danke dir für den schönen Abend und das tolle Gespräch.«

»Ich danke dir. Es ist schon eine Weile her, dass ich so ungezwungen reden und lachen konnte. Also, Anastasia Corella, meinen Dank an dich.«

Er nahm meine Hand und küsste sie. Sofort führten die Schmetterlinge in meinem Bauch einen Freudentanz auf.