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Violettas unbeschwerte Kindheit endet abrupt, als ihre Mutter sie von einem Tag auf den anderen verlässt. Um den Gutshof der Familie vor dem Ruin zu bewahren, ist ihr Vater gezwungen, die besten Pferde zu verkaufen. Darunter auch Violettas geliebte Stute Remy. Fest entschlossen, das Gut einmal zu übernehmen und Remy zurückzuholen, macht Violetta sich auf den Weg in die Toskana, wohin ihr Pferd verkauft wurde. Dort trifft sie auf den temperamentvollen Giulio, der ihr immer wieder provokant sehr nahe kommt. Obwohl er sie einschüchtert, fühlt sie sich zu ihm hingezogen. Tatsächlich findet sie wenig später ihr Pferd wieder, und lernt den charmanten Alessandro, Remys neuen Eigentümer, kennen. Violetta ist hin- und hergerissen zwischen den Gefühlen für die beiden Männer, die in ihrer Art unterschiedlicher nicht sein könnten. Für wen soll sie sich entscheiden? Und wird Remy jemals wieder ihr gehören?
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Seitenzahl: 354
Die AutorinJani Friese, geboren 1970, lebt mit ihrem Mann, ihren Pferden und dem Hund im schönen Münsterland. Sie arbeitet als Intensivkrankenschwester und ist ausgebildete Tierheilpraktikerin und Heilpraktikerin. Die Leidenschaft, ihre Fantasien als Geschichten niederzuschreiben, entwickelte sich bereits in jungen Jahren. Einige Zeit lang verstaubten die Ideen zu vielen Geschichten in einer Hutschachtel unter ihrem Bett. 2012 begann sie, wieder zu schreiben und es entstand ihr erstes Buch. Bei ihren Reisen lässt sie sich gerne von Land und Leuten inspirieren, um neue Ideen für ihre Romane zu sammeln. Am besten entspannt sie sich in kreativen Pausen bei einem Ausritt in die Natur.
Das Buch
Violettas unbeschwerte Kindheit endet abrupt, als ihre Mutter sie von einem Tag auf den anderen verlässt. Um den Gutshof der Familie vor dem Ruin zu bewahren, ist ihr Vater gezwungen, die besten Pferde zu verkaufen. Darunter auch Violettas geliebte Stute Remy. Fest entschlossen, das Gut einmal zu übernehmen und Remy zurückzuholen, macht Violetta sich auf den Weg in die Toskana, wohin ihr Pferd verkauft wurde. Dort trifft sie auf den temperamentvollen Giulio, der ihr immer wieder provokant sehr nahe kommt. Obwohl er sie einschüchtert, fühlt sie sich zu ihm hingezogen. Tatsächlich findet sie wenig später ihr Pferd wieder, und lernt den charmanten Alessandro, Remys neuen Eigentümer, kennen. Violetta ist hin- und hergerissen zwischen den Gefühlen für die beiden Männer, die in ihrer Art unterschiedlicher nicht sein könnten. Für wen soll sie sich entscheiden? Und wird Remy jemals wieder ihr gehören?
Jani Friese
Mein Weg zurück zu dir
Eine Liebesgeschichte in der Toskana
Forever by Ullsteinforever.ullstein.de
Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin April 2017 (1) © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © Screensun - Magret Weiper ISBN 978-3-95818-166-3 Hinweis zu Urheberrechten Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.
Das Leben ist alles andere als ein langer, ruhiger Fluss, der sich entlang schlängelt und dich zu den Stationen deines Daseins führt. Es ist eher eine Reise über Berge und durch Täler, durch Höhen und Tiefen, mit Strömungen, die dein Herz und deine Seele berühren.
Dies wurde mir jedoch erst bewusst, als meine unbeschwerte Kindheit und Jugend plötzlich abrupt endeten. Ich musste feststellen, dass mein Leben nicht das war, was es zu sein schien. Und das Vertrauen, das ich in meine Eltern gesetzt hatte, enttäuscht worden war.
Eines Tages kam ich von der Schule nach Hause. Mein Vater saß sturzbetrunken auf dem Sofa und teilte mir mit, dass meine Mutter mit einem anderen Mann durchgebrannt sei und nie zurückkehren werde. Da war ich sechzehn. Sie ließ mich und meinen Vater alleine mit dem Hof und den Pferden, einfach so. Zum damaligen Zeitpunkt brach für mich eine Welt zusammen, und ich konnte nicht begreifen, warum sie das getan hatte. Nichts hatte darauf hingedeutet, dass jemals so etwas passieren würde. Mein Leben schien so perfekt. Ich wusste, dass meine Mutter mich liebte, und doch gab sie mich auf. Mein Vater versuchte mich zu trösten und mir zu erklären, dass das nichts mit mir zu tun hätte, aber das half mir nicht. Ich weinte tagelang. Er fühlte sich hilflos und konnte mit der Situation nicht umgehen, daher begann er regelmäßig abends zu trinken, anstatt mich aufzufangen.
Ich verkroch mich, fiel in der Schule ab und versuchte ihm abends aus dem Weg zu gehen. Unsere Haushälterin Margareta bemühte sich so gut es ging, alte Gewohnheiten beizubehalten. Sie arbeitete schon seit meinem vierten Lebensjahr bei uns, um meine Mutter mit dem großen Haus zu entlasten und für uns zu kochen.
Anfangs hatte sich meine Mutter dagegen gesträubt, um meiner Großmutter zu beweisen, dass sie es allein schaffen würde. Aber nach einiger Zeit musste sie sich eingestehen, dass sie überfordert war mit Kind, Haushalt und Hof. Schließlich gab sie auf und nahm die Unterstützung von Margareta an. Seitdem verbrachte sie die meiste Zeit im Stall bei den Pferden. Darin fand sie ihre Erfüllung. Sie hatte meinen Vater auf einem Turnier kennengelernt, als sie versucht hatte, ihren stattlichen Hengst aufzuladen. Dieser interessierte sich jedoch mehr für die Stuten, sodass er meine Mutter umrannte und sich losriss. Mein Vater hatte das Schauspiel von Weitem beobachtet. Ohne zu überlegen, war er sofort zu ihr geeilt.
Sie prallte bei dem Sturz gegen den Anhänger und zog sich eine Platzwunde am Kopf zu. Aufopfernd riss mein Vater ein Stück von seinem Turnierhemd ab und presste es ihr auf die blutende Stelle. Als sie ihn dankbar ansah, so erzählte sie es immer und immer wieder, verliebte sie sich sofort in seine blauen Augen. Ihm ging es nicht anders, so etwas nannte man wohl Liebe auf den ersten Blick.
Und nun? Alles vorbei! Die Liebe dahin und meine Mutter fort. Was hatte sie nur dazu bewegt, sich einem anderen zuzuwenden und uns im Stich zu lassen? Und warum war sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion gegangen? Sie hatte mir nicht einmal Lebewohl gesagt. Keine Erklärung, kein Brief, einfach nichts.
Es musste doch irgendeinen Grund für ihr Verhalten geben. Sie hatte mit ihrem Handeln unser Leben und mein Vertrauen zerstört. Nun saß ich hier, allein mit einem Vater, der seinen Kummer in Alkohol ertränkte. Margareta versuchte mich zu trösten und mir Halt zu geben, aber ich fühlte mich trotzdem so entsetzlich allein.
Meine Großmutter meinte, dass das irgendwann so hätte kommen müssen, dass es vorhersehbar gewesen wäre. Ich hatte nichts vorhersehen können, alles schien wie immer gewesen zu sein, bis zu dem besagten Tag.
Wegen unserer persönlichen Schwierigkeiten und meiner schlechten schulischen Leistungen entschied sich mein Vater, mich aufs Internat in die Schweiz zu schicken. Das konnte mir nur recht sein, ich wollte weg von hier. Fort von all den Erinnerungen und ein anderes Leben führen. Eines, das mich nicht dauernd an alte Zeiten erinnerte.
Das Internat tat mir gut. Ein neues Zuhause, neue Freunde, eine neue Schule. All das hätte mir helfen sollen zu vergessen, aber ich vergaß nicht, sondern verdrängte nur. Während der Schulzeit fuhr ich selten nach Hause, es erinnerte mich jedes Mal schmerzlich an die Vergangenheit. Hinzu kam, dass mein Vater den Hof verkommen ließ und sich kaum mehr um die Pferdezucht kümmerte.
Zum Glück hatte er Antonio, der schon seit einigen Jahren bei uns arbeitete. Er war aus Italien hierhergezogen, und mein Vater hatte sofort erkannt, dass er ein Händchen für Pferde hatte. Auf ihn konnte mein Vater sich verlassen. Antonio verwaltete die Zucht und den Verkauf, hatte überall freie Hand, während mein Vater sich selbst bemitleidete und seine Zeit mit Trinken verbrachte.
Die Geschäfte liefen schlecht, der Pferdehandel war am Boden. Nur wenige Leute verirrten sich auf unseren Hof, um teure Pferde zu kaufen. Mein Vater war gezwungen, unsere besten Stuten unter Preis zu verkaufen, um uns nicht in den Ruin zu treiben. Er hatte aus Verzweiflung Kontakt zu einem Pferdehändler aufgenommen, der ihm einige Pferde zu einem Spottpreis abkaufte.
Ich beschimpfte ihn und konnte nicht fassen, dass er mit diesem Mann, der im Umkreis den schlimmsten Ruf hatte, Geschäfte machte. Er zuckte nur mit den Schultern und meinte, er hätte keine andere Wahl. Machtlos musste ich mit ansehen, wie dieser Händler für wenig Geld unsere besten Pferde vom Hof holte.
Nachdem ich meinen Abschluss gemacht hatte, kehrte ich vorerst nach Hause zurück. Die Schatten der Vergangenheit hatten sich verzogen, sie waren versteckt hinter einer Mauer, tief in meinem Inneren. Endlich erwachsen, konnte ich nun mein Leben selber bestimmen. Daher beschloss ich, in einigen Jahren den Hof zu übernehmen und ihn zu retten, falls er bis dahin noch existieren würde. Obwohl ich mich immer wieder schmerzlich an die Vergangenheit erinnerte, so war es doch mein Zuhause. Wenn es sein musste, würde ich kämpfen wie eine Löwin, egal, was passierte. Ich teilte meinen Entschluss meinem Vater mit, während er eines Morgens noch nüchtern am Frühstückstisch saß. Er hörte aufmerksam zu, was ich zu sagen hatte.
»Ich meine es ernst, Papa. Ich möchte eines Tages den Hof weiterführen und ihn später an meine Kinder weitergeben. Es ist mir wichtig, dass du das weißt. Also bitte, tue alles dafür, dass er weiterläuft. Lass dich nicht hängen, kämpfe! Mama wird niemals zurückkommen, es gibt nur noch dich und mich. Akzeptiere das endlich, ich muss es doch auch. Es hilft dir nicht, wenn du deinen Frust in Alkohol ertränkst. Das ändert nichts, sondern macht alles nur noch schlimmer. Hör endlich auf damit, ich kann es nicht mehr ertragen. Was ist nur aus dir geworden? Sieh dich doch an! Wo ist der fröhliche, selbstbewusste, liebevolle Vater geblieben, der du einmal warst? Du bist in Selbstmitleid zerflossen und tust es noch. Nur leider hast du bei der ganzen Sache vergessen, dass es mich auch noch gibt, dass es für mich auch nicht leicht war. Du denkst nur an dich. Jetzt wird es Zeit, etwas zu ändern, sonst stehst du bald da ohne mich, ohne die Pferde und ohne den Hof. Willst du das?«
Ich wartete auf eine Reaktion von ihm. Schon lange hatte ich das Bedürfnis verspürt, ihm einmal die Meinung zu sagen. Es musste einfach sein, denn außer mir tat es keiner. Eine Zeit lang blickte er zu Boden und sagte kein Wort. Ich stand da und wartete, dass sich irgendetwas in ihm regte. Als er den Kopf hob und mich anschaute, entdeckte ich Tränen in seinen Augen.
»Du hast mit allem recht, was du sagst, Violetta. Ich habe mich hängen lassen und tue es noch. Ich war am Boden zerstört, als deine Mutter uns verlassen hat. Verletzt und überfordert mit allem, besonders was dich betraf. Wie sollte ich dir alles erklären, wie dich trösten? Ich hatte genug mit mir selber zu tun und konnte den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Ich weiß, ich war dir kein guter Vater in den letzten Jahren, bitte verzeih mir.« Er senkte erneut seinen Blick.
Jetzt tat er mir leid, wie er so in sich zusammengesunken dasaß. Am liebsten wäre ich zu ihm gegangen, hätte ihn umarmt und ihm gesagt, dass alles gut wird. Aber ich konnte es nicht, die Kluft zwischen uns war zu groß.
Stattdessen erzählte ich ihm, dass ich mich um einen Studienplatz im Fachbereich Pferdemanagement gekümmert hatte und in vier Wochen damit anfangen würde.
»Das ist ja großartig, Violetta. Du bist so schnell so erwachsen geworden. Geh nur deinen Weg, du wirst das schon richtig machen.«
»Ja, das werde ich, auch ohne deine Hilfe«, erwiderte ich entschlossen.
Er schaute mich einen Augenblick nachdenklich an. Dann erhob er sich plötzlich und bat mich, ihm in den Stall zu folgen. Was hatte er vor? Wir betraten die Stallgasse, und mein Vater ging zielstrebig zur hinteren Box. Er öffnete die Tür.
»Schau, Violetta. Tamia hat heute Nacht ihr Fohlen bekommen. Es ist eine kleine, hübsche Stute, und sie soll dir gehören. Wenn du fertig bist mit deinem Studium, kannst du mit ihr deine eigene Zucht beginnen.«
Überrascht starrte ich ihn an. Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. Das kleine, schwarze Fohlen, das dort in der Box neben seiner Mutter im Stroh lag, beobachtete uns neugierig.
Meine Mutter hatte Tamia damals von meinem Vater geschenkt bekommen. Sie besaß eine sehr gute Abstammung, und er hatte schon ein paar Fohlen von ihr für viel Geld verkauft. Meine Mutter hatte sie damals regelmäßig geritten, aber ich schaffte es emotional nicht, sie weiter zu trainieren.
Immer wenn ich sie sah, kamen alte Erinnerungen hoch. Jetzt sollte ausgerechnet dieses Fohlen mir gehören? Damit wollte mein Vater einen Schritt auf mich zugehen und mir vermutlich vermitteln, dass er hinter meinen Plänen stand.
Anscheinend von Neugierde getrieben, erhob sich das Fohlen, um seine Besucher genauer zu inspizieren. Es hatte erstaunlich lange Beine und einen wunderschönen, edlen Kopf. Auf seiner Stirn zeichnete sich ein kleiner, weißer Stern ab. Wenn es das Fohlenfell verlor, würde es eine wunderschöne Rappstute werden, genau wie seine Mutter. Es kam vorsichtig, aber interessiert auf uns zu und schnupperte an meiner Hand.
»Sie mag dich«, bemerkte mein Vater. »Also, was sagst du?«
»Ich werde darüber nachdenken«, verkündete ich desinteressiert, drehte mich um und ging aus dem Stall.
Ich spürte den Blick meines Vaters in meinem Rücken. Ein Fohlen von der Stute meiner Mutter, was dachte er sich nur dabei? Ich wollte keine Erinnerungen an meine Mutter. Sollte diese Geste etwa zur Vergangenheitsbewältigung beitragen? Na tolle Idee. Auf der anderen Seite hatte er recht. Ich könnte mit ihr tatsächlich eine Zucht beginnen, sie besaß eine sehr gute Abstammung. Vielleicht sollte ich eher rational statt emotional handeln. Entschlossen drehte ich mich auf dem Absatz um und ging zurück. Mein Vater stand noch immer in der Stallgasse.
»Na schön«, spie ich ihm entgegen, »ich nehme sie und werde mit ihr eine Zucht aufbauen, die die Welt noch nicht gesehen hat.« Ich schluckte, drehte ich mich um und ging davon.
Vier Jahre später bestand ich meine Prüfung mit Bravour und kehrte zurück nach Hause. Mein Fohlen war in den vergangenen Jahren zu einer bildschönen Stute herangewachsen. In den Semesterferien war ich immer nach Hause gefahren und hatte mich liebevoll um sie gekümmert. Ich brachte ihr all das bei, was sie zu einem gut ausgebildeten Reitpferd machte. Obwohl ich nicht an die Vergangenheit erinnert werden wollte, hatte ich sie Remember me genannt. Ich wollte mich während meiner Ausbildung daran erinnern, dass es zu Hause jemanden gab, der auf mich wartete. Und wie schwierig mir das Leben auch erschien, es gab immer einen Grund, weiterzumachen. Ich musste es nur zulassen und mein Schicksal selber in die Hand nehmen.
Nun war es an der Zeit, meine eigenen Entscheidungen zu treffen und mir etwas aufzubauen. Seit längerem freute ich mich endlich wieder darauf, nach Hause zu kommen. Unser Hof lag im Siegtal, umgeben von Wiesen und Wäldern, am Ufer des Flusses namens Sieg. Jedes Jahr bei starkem Regen, überflutete er einen Teil unsere Weiden. Hoch über dem Tal lag das idyllische, historische Örtchen Blankenberg mit seiner alten Burgruine. Früher waren meine Eltern und ich manchmal hinaufgewandert, um unser Land und den Hof von oben zu betrachten. Was für ein wundervoller Anblick, besonders im Frühjahr, wenn die Stuten mit ihren Fohlen auf den großen Weiden grasten. Nachdem meine Mutter fortgegangen war, hatte ich Blankenberg den Rücken gekehrt, ebenso dem Ausblick auf unseren Hof. Ich hätte es nicht ertragen, alleine dort oben zu stehen.
Auf dem Weg nach Hause träumte ich von den guten alten Zeiten und schmiedete Pläne für mein eigenes Gestüt. Es gab viel zu tun, vor allem weil mein Vater sich weiterhin hängen ließ und der Hof, wie schon so oft, kurz vor dem Ruin stand. Mein Versuch, ihn dazu zu bewegen, um den Hof zu kämpfen, war gescheitert, er hatte es schon vor langer Zeit aufgegeben. Wie sollte ich es nur schaffen, den Hof zu retten? Mir fehlten die Mittel, um alles wieder auf Vordermann zu bringen. Zuerst einmal musste ich mir ein Bild von der finanziellen Lage machen, vorher konnte ich keinen meiner Pläne verwirklichen.
Als Erstes würde ich Remember me von einem guten Hengst decken lassen. Das Fohlen zu verkaufen, würde kein großes Problem darstellen. Es hatten mir schon einige Leute eine Menge Geld für sie geboten, aber ich lehnte jedes Mal ab. In ihr steckte all meine Hoffnung und meine Liebe.
Als ich zu Hause ankam, lag mein Vater auf dem Sofa und schlief. Neben ihm auf dem Tisch stand eine leere Flasche Schnaps. Er schnarchte, und ich erkannte, dass er sich wieder tagelang nicht gepflegt hatte. Traurig blickte ich ihn an. Wenn er doch nur aufhören würde zu trinken. Wie konnte man sich nur so gehen lassen? Irgendwann musste er doch mal zu Verstand kommen. Aber meine Mutter hatte ihm das Herz gebrochen, für immer.
Gefrustet brachte ich die Koffer in mein Zimmer und zog meine Reitsachen an. Ein Ausritt mit Remy, wie ich sie immer liebevoll nannte, war jetzt genau das, was ich brauchte. Wenn ich bei ihr war und sie mir liebevoll in den Haaren wuselte, oder in meinen Taschen nach einem Leckerli suchte, vergaß ich all meine Sorgen. Sie gab mir Kraft und Energie.
Voller Vorfreude betrat ich den Stall und rief ihren Namen. Keine Antwort. Ich stutzte. Was war los? Sie antwortete mir sonst immer mit einem Wiehern. Noch einmal rief ich sie, wieder nichts. Seltsam. Es breitete sich ein ungutes Gefühl in mir aus. War sie vielleicht krank? Voller Sorge lief ich hastig zu ihrer Box und schaute hinein. Sie war leer. Mein Puls schnellte in die Höhe. Ganz ruhig, Violetta, ermahnte ich mich. Vielleicht hatte Antonio sie auf die hintere Weide gestellt, sodass ich sie vorhin nicht hatte sehen können. Während sich das beunruhigende Gefühl verstärkte, eilte ich hinaus zu den Koppeln. Aber auch dort keine Spur von Remy.
Plötzlich kam Antonio mit dem Trecker um die Ecke gefahren und blieb vor mir stehen. Er stellte ihn aus und stieg herunter. Ich erkannte sofort an seinem Gesicht, dass etwas nicht stimmte. Tränen stiegen mir in die Augen.
»Wo ist Remy, Antonio? Sag es mir, was ist passiert?«
Er antwortete nicht sofort, aber sein Blick sprach Bände.
»Nun sag schon«, fuhr ich ihn an, »wo ist sie?«
»Er hat sie verkauft«, antwortete er traurig.
»Er hat was? Nein! Das kann nicht sein! Sag mir, dass das nicht wahr ist, bitte!«
Tränen liefen mir über das Gesicht, und meine Knie wurden weich.
»Es tut mir so leid, Violetta. Ich konnte ihn nicht davon abhalten. Ein bekannter Züchter wollte sie unbedingt haben und hat deinem Vater eine große Summe Geld geboten. Damit hat er die meisten Schulden des Hofes getilgt. Wie du weißt, standen wir kurz vor der Pleite. Er wollte unbedingt den Hof halten, damit du ihn bekommst und etwas Besseres daraus machst als er.«
Antonio nahm mich in den Arm, und ich weinte hemmungslos. Nachdem ich mich etwas gefangen hatte, löste ich mich von ihm.
»Dazu hatte er kein Recht, sie gehört mir. Er hat sie mir geschenkt. Wie konnte er nur! Immer macht er alles kaputt. Ich hasse ihn!«
Antonio sah mich mitfühlend an und strich mir sanft über das Haar.
»Ich weiß, Violetta. Aber in seinen Augen hatte er keine andere Möglichkeit.«
»Was nützt mir der Hof ohne Remy? Ich wollte mit ihr eine Zucht aufbauen. Was soll ich denn jetzt machen?« Langsam schlug die Traurigkeit um in Wut, und ich wischte mir die Tränen vom Gesicht. »Wie konnte er es wagen, einfach über meinen Kopf hinweg zu entscheiden? Remy gehört mir, er hat sie mir verdammt noch mal geschenkt!«
Wutentbrannt drehte ich mich ohne ein weiteres Wort um und lief zum Haus. Er musste es rückgängig machen, und zwar sofort, koste es, was es wolle. Zornig öffnete ich die Tür und stürmte ins Wohnzimmer, wo er noch immer auf dem Sofa lag und schlief. Ich rüttelte ihn und fauchte ihn an:
»Papa, wach auf, sofort!«
Er brachte nur ein Murmeln heraus.
»Papa!«, rief ich jetzt lauter und rüttelte ihn.
Langsam öffnete er verschlafen die Augen.
»Violetta, du bist schon da?«
»Jawohl, das bin ich, und jetzt möchte ich von dir wissen, was in dich gefahren ist, dass du Remy verkauft hast. Wie konntest du das tun?«
Er setzte sich schwerfällig auf, während ich ihn verächtlich ansah.
»Es tut mir leid, Schatz, ich hatte keine Wahl. Ich musste es tun, sonst hätte die Bank uns den Hof weggenommen. Ich habe an dich gedacht. Du wolltest dir hier etwas aufbauen und außerdem konnte ich doch nicht zulassen, dass du dein Zuhause verlierst.«
Er blickte beschämt zu Boden.
»Du hast an mich gedacht? Dass ich nicht lache. Wenn du an mich gedacht hättest, würde Remy jetzt in ihrem Stall stehen. Wenn du mich richtig kennen würdest und nicht deinen Verstand versoffen hättest, wüsstest du, dass du mir damit das Herz gebrochen hast. Ja, ich wollte mir etwas aufbauen, aber mit Remy. Sie gehört mir, du hattest nicht das Recht, sie zu verkaufen!«
Als er nun endlich aufsah, erkannte ich die Schuld und den Schmerz in seinem Gesicht.
»Es tut mir so unendlich leid, Violetta, bitte verzeih mir.«
Seine Augen füllten sich mit Tränen, aber das war mir egal. Ich empfand kein Mitleid mehr mit ihm, nur Schmerz und Wut.
»Ich will, dass du sie zurückholst, sofort! Mach den Kauf rückgängig.«
»Das ist unmöglich, Violetta, es ist alles unter Dach und Fach. Ich habe sofort einen Teil des Kredits abgelöst, außerdem würde der Käufer Remy auf keinen Fall zurückgeben. Er hat eine Menge Geld für sie bezahlt, weil er sie unbedingt haben wollte. Es tut mir leid.«
Ich blitzte ihn wütend an.
»Wo wohnt dieser Züchter? Dann hole ich sie mir selbst zurück. Also, wohin hast du sie verkauft?«
Er schluckte. »Nach Italien.«
Ich starrte ihn fassungslos an.
»Nach Italien? Warum kommt jemand aus Italien hierher, um ein Pferd zu kaufen?«
»Antonio hat seinem Bruder Giuseppe von Remy erzählt. Wie du ja weißt, züchtet der Pferde und betreibt ein Weingut in der Toskana. Antonio schwärmte ihm vor, was für ein tolles Pferd Remy sei und dass sie mal eine herausragende Zuchtstute werden würde. Giuseppe hat es seinem Freund erzählt, der eine Halbschwester von Remy besitzt. Dieser Freund war so interessiert, dass er hierher kam, um sie sich anzusehen. Voller Begeisterung bot er mir eine Summe, die ich keinesfalls ausschlagen konnte. Ich hatte damit die Möglichkeit, den Hof zu retten. Bitte versteh das doch, ich habe es für dich getan. Bitte verzeih mir, dass ich das über deinen Kopf hinweg entschieden habe.«
Vorwurfsvoll blickte ich in seine noch immer mit Tränen gefüllten Augen.
»Ich, dir verzeihen? Niemals! Es ist zu spät. Du hast mich zu oft verletzt. Diese Entscheidung werde ich dir nie verzeihen. Ich gehe und führe ein Leben ohne dich. Mach doch mit dem Hof, was du willst, aber ohne mich. Du wirst mich nicht wiedersehen, ab heute habe ich keinen Vater mehr. Sauf dich doch zu Tode, mir ist es egal, du bist eh nicht mehr zu retten.«
Mit diesen Worten drehte ich mich um und rannte nach oben in mein Zimmer. Ich schloss hinter mir die Tür ab, warf mich aufs Bett und weinte. Mein eigener Vater hatte mich hintergangen, ins Herz getroffen, verletzt. Ich wollte jetzt nur noch fort von hier, für immer. Niemals wieder zurückkehren. Irgendwo würde auf mich bestimmt etwas anderes warten, etwas besseres.
Nach einiger Zeit hatte ich mich beruhigt. Ich ignorierte das Klopfen und Bitten meines Vaters an der Tür. Niemals wollte ich ihn wiedersehen.
Als schließlich Margareta an die Tür trat und mich fragte, ob ich etwas essen wolle, ließ ich sie herein. Sie umarmte mich liebevoll und tröstete mich damit, dass sie meine Reaktion verstehen und es sicher irgendeine Lösung geben würde. Von klein auf hatte sie sich um mich gekümmert, und nachdem meine Mutter uns verlassen hatte, war sie die Einzige, die es schaffte, meinen Schmerz ein wenig zu lindern. Sie stand mir all die Jahre zur Seite, aber meine Mutter konnte sie einfach nicht ersetzen. Margareta hatte auch meinen Vater zur Vernunft bringen wollen, leider ohne Erfolg.
Ich sagte ihr, dass ich fortgehen würde, aber noch nicht wisse, wohin. Zuerst hatte ich überlegt, vorübergehend in eine Pension zu ziehen. Anschließend wollte ich mich auf die Suche nach Remy machen, koste es, was es wolle.
»Du kannst erst einmal bei mir wohnen, bis du etwas gefunden hast«, schlug Margareta mir vor. »Es ist zwar klein, aber besser als eine Pension.«
»Geht das wirklich?«, fragte ich. »Ich möchte dir nicht zur Last fallen.«
»Ach Schätzchen, du könntest mir nie zur Last fallen. Du bist doch für mich wie eine eigene Tochter.«
Sie küsste mich auf die Stirn und wiegte mich in ihren Armen. Für einen kurzen Moment fühlte ich mich geborgen.
In kürzester Zeit hatte ich all meine Sachen gepackt. Margareta gab mir den Schlüssel zu ihrer Wohnung. Als mein Vater mit Antonio den Hof verließ, packte ich alles in mein Auto, das mir mein Vater zu meinem achtzehnten Geburtstag geschenkt hatte, und fuhr davon.
Schweren Herzens folgte ich der Straße, die mich in die Stadt und zu Margaretas Wohnung brachte. Es fühlte sich an wie in einem Albtraum. Was sollte ich jetzt nur machen? Ich war nun auf mich allein gestellt. Zum Glück lag etwas Geld auf meinem Sparbuch, das meine Eltern nach meiner Geburt für mich angelegt hatten.
Hin und wieder, an besonderen Tagen, zahlte auch meine Großmutter mütterlicherseits, etwas für mich dort ein, sodass es mittlerweile eine schöne kleine Summe ergeben hatte. Nachdem meine Mutter uns verlassen hatte, zog sie sich plötzlich aus unerfindlichen Gründen zurück. Ich erhielt zum Geburtstag und an Feiertagen eine Karte und einen Betrag auf mein Sparkonto. Sonst lehnte sie jeglichen Kontakt zu uns ab. Ich hatte nie einen besonders guten Draht zu ihr gehabt. Sie verhielt sich mir gegenüber kühl und unnahbar. Die liebevolle, offene Art musste meine Mutter von ihrem Vater geerbt haben, der schon früh verstorben war. Die Eltern meines Vaters, lebten schon sehr lange nicht mehr.
Warum hatte mein Vater mir nicht gesagt, wie schlimm es wirklich um den Hof stand? Ich hätte ihm doch helfen können. Gut, es wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen, aber vielleicht hätte man damit erst mal die Bank besänftigen können.
Ich wusste nicht, wie viel er für Remy bekommen hatte, aber vielleicht würde mein Geld reichen, sie zurückzukaufen. Zuerst jedoch musste ich sie finden, dann würde ich weitersehen. Es gab nur eine Person, die mir helfen konnte. Antonio. Er würde mir bestimmt sagen, wo genau sich das Gestüt in Italien befand, auf dem Remy nun lebte. Vielleicht konnte ich bei seinem Bruder arbeiten und so wenigstens in ihrer Nähe sein. Alles Weitere würde ich mir überlegen, wenn ich dort war.
In Margaretas Wohnung angekommen, stellte ich meine Koffer ins Gästezimmer und machte mir einen Tee. Es würde noch etwas dauern, bis sie nach Hause kam. Vielleicht wäre es klug, sie vorab anzurufen, damit sie Antonio in meine Pläne einweihte. Gesagt, getan. Entschlossen griff ich zum Telefon und rief zu Hause an. Prompt meldete sie sich.
»Hallo Margareta, ich bin es, Violetta. Du musst mir helfen, ich habe mir etwas überlegt.«
Ich informierte sie über meine Pläne und bat sie, bei Antonio ein gutes Wort für mich einzulegen. Begeistert versprach sie, mit ihm zu sprechen. Hoffnung keimte in mir auf. Ich würde Remy zurückholen, koste es, was es wolle. Aufgeben? Niemals!
Gegen sieben klingelte es. Ich sprang auf, eilte zur Tür und öffnete sie. Margareta trat ein, hinter ihr Antonio. Sie umarmte mich und flüsterte mir ins Ohr:
»Alles wird gut, wir haben tolle Neuigkeiten.«
Jetzt wurde ich noch nervöser. Antonio begrüßte mich kurz und folgte mir ins Wohnzimmer. Margareta preschte vor in die Küche. Als sie kurze Zeit später zurückkam, hielt sie in der einen Hand eine Flasche Wein und in der anderen drei Gläser.
»So«, rief sie entschlossen, »jetzt wollen wir mal zusammen schauen, wie wir die Situation meistern können.«
Voller Erwartung beobachtete ich, wie Margareta langsam die Gläser mit Wein füllte. Antonio machte es sich auf dem Sofa bequem und lächelte vor sich hin. Ich hatte ein gutes Gefühl und konnte es kaum abwarten, dass sie etwas sagten. Nervös wackelte ich mit meinem Knie, bis Margareta uns die vollen Weingläser reichte. Schließlich nahm sie ihres hoch, und rief feierlich:
»Salute, auf deine Zukunft, Violetta. Alles wird gut werden, du musst nur fest daran glauben.«
»Salute«, prosteten Antonio und ich ihr zu. Als unsere Gläser zusammenstießen und das Klirren mein Ohr durchdrang, wusste ich, dass Margareta recht hatte. Ich musste nur fest daran glauben. Genussvoll nahm ich einen großen Schluck von dem köstlichen Rotwein.
»Weißt du, woher dieser Wein kommt?«, fragte mich Margareta plötzlich.
Ich schüttelte den Kopf.
»Dieser fantastische Rotwein kommt aus der Toskana.« Sie zwinkerte Antonio lächelnd zu. »Um genau zu sein, aus den Weinbergen von Antonios Bruder, den du in den nächsten Tagen persönlich kennenlernen wirst, wenn du willst.«
Mit großen Augen schaute ich sie fassungslos an, während ich vor Aufregung kaum still sitzen konnte.
»Soll das heißen, ich kann bei deinem Bruder unterkommen, Antonio? Und du weißt, wo Remy ist?«
»Ja, so ist es, Violetta«, erwiderte er und lachte zufrieden. »Du kannst bei ihm auf dem Hof wohnen und arbeiten. Er braucht dringend Hilfe mit den Pferden und auch in den Weinbergen. Wenn du also keine Arbeit scheust und deine Lohnvorstellungen nicht zu hoch sind, kannst du dort anfangen.«
»Das ist ja fantastisch!«, jubelte ich und fiel den beiden vor lauter Glück um den Hals.
Plötzlich dachte ich an meinen Vater.
»Habt ihr Papa davon erzählt?«, fragte ich zögerlich.
»Noch nicht«, antwortete Antonio, »aber das ist die Voraussetzung. Der Deal findet nur statt, wenn wir es deinem Vater sagen dürfen und du dich regelmäßig meldest.«
Ich überlegte kurz. Eigentlich wollte ich nicht, dass er es erfuhr. Erstens hatte er mir in meinem Alter nichts mehr zu sagen, und zweitens existierte er für mich nicht mehr. Es ging ihn nichts mehr an, was ich tat. Ich traf meine eigenen Entscheidungen.
»Ich möchte nicht, dass er es weiß, und außerdem bin ich erwachsen«, erwiderte ich und versuchte möglichst überzeugend zu wirken.
»Es geht kein Weg daran vorbei, Violetta«, meinte Antonio ernst. Sein Blick verriet mir, dass jeder Widerspruch zwecklos sein würde. Letztendlich spielte es keine Rolle, ob mein Vater es wusste oder nicht.
»Ihr wisst, dass das Erpressung ist, oder?«
Beide nickten gleichzeitig und schmunzelten.
»In Ordnung, sagt es ihm, ich bin einverstanden«, knurrte ich. »Wann kann ich die Stelle antreten?«
»Wann immer du möchtest«, erwiderte Antonio zufrieden.
»Perfekt, dann kümmere ich mich gleich morgen um den Flug. Weißt du auch, wo der Hof ist, auf dem Remy steht?«
»Es ist nicht weit, die beiden sind direkte Nachbarn.«
»Das ist ja großartig«, rief ich begeistert. »Dann kann ja nichts mehr schiefgehen. Ich werde sie wiedersehen und sie irgendwann nach Hause holen. Noch weiß ich nicht, wie, aber mir wird schon etwas einfallen.« Erleichtert umarmte ich Antonio und Margareta. »Ich danke euch von Herzen. Was hätte ich nur ohne euch gemacht.«
»Das haben wir doch gerne getan. Nach all der schweren Zeit sollst du endlich glücklich werden und dein Ziel erreichen, das hast du einfach verdient.«
Am nächsten Tag buchte ich einen Flug nach Florenz. Ich hatte noch zwei Tage, um alles vorzubereiten. Margareta berichtete mir am Abend, dass mein Vater am nächsten Tag mit Antonio in die Stadt fahren wollte. Das schien mir die perfekte Gelegenheit, um meine Sachen zu holen. So würde ich ihm auf keinen Fall begegnen.
Nachmittags fuhr ich zum Hof. Schnell huschte ich in mein Zimmer und packte meine Sachen zusammen. Nachdem ich die Taschen ins Auto geladen hatte, stieg ich ein und ließ den Motor an. Ein letztes Mal blickte ich zurück.
»Ich werde wiederkommen, versprochen«, wisperte ich, legte den ersten Gang ein und fuhr schweren Herzens davon. Erst wenn ich mit Remy zurückkehrte, würde ich wieder einen Fuß auf dieses Stück Land setzen. Tränen stiegen mir in die Augen. Remy … Wie es ihr wohl ging? Ob sie mich auch so vermisste wie ich sie?
Als ich voller Hoffnung und mit dem Glauben daran, dass alles gut werden würde, im Flieger nach Italien saß, freute ich mich auf meine neue Herausforderung. Auf diesem Gestüt würde ich eine Menge Erfahrungen sammeln, die ich später bestimmt gebrauchen könnte. Aber am meisten freute ich mich darauf, Remy bald wiederzusehen.
Von Florenz aus fuhr ich mit dem Bus weiter durch die wunderschöne, hügelige Landschaft der Toskana. In keinem einzigen Moment kam in mir Langeweile auf. Begeistert schaute ich mir die verschiedenen Landstriche an. Wir fuhren durch kleine, entzückende Orte, vorbei an Zypressen, Pinien und Olivenhainen. Ich erblickte einige große Felder mit Sonnenblumen, und nicht zu vergessen die Weinberge, die für mich das Bild der Toskana vervollständigten. Ich fühlte mich großartig und irgendwie stark genug, meine Pläne durchzuziehen. Remy würde bald wieder mir gehören, daran glaubte ich ganz fest.
Nach etwa zwei Stunden erreichte ich Montalcino. Ich stieg aus, und der Fahrer half mir, meine Koffer auszuladen.
»Grazie«, bedankte ich mich freundlich und gab ihm ein Trinkgeld.
Zum Glück hatte ich in der Schule als zusätzliche Fremdsprache Italienisch gewählt. Ich liebte diese Sprache. Sie wirkte so lebendig, und ihr Klang war wie Musik in meinen Ohren. Jetzt stand ich zum ersten Mal in dem Land, das ich bewunderte und mir immer schon mal hatte ansehen wollen.
Montalcino lag auf einer Bergkuppe, umringt von Weinbergen, und war bekannt für einen der kostbarsten Weine Italiens, den Brunello di Montalcino. Dank seines Aromas wurde er in die ganze Welt verkauft. Antonio wusste eine Menge über Weine aus der Toskana. Er hatte oft mit meinem Vater an lauen Sommerabenden auf der Terrasse gesessen und mit ihm ein Glas Rotwein getrunken. Manchmal hatte ich mich zu ihnen gesellt, um Antonios Erzählungen von seiner Heimat und den Weinbergen zu lauschen.
Wer hätte gedacht, dass es mich ausgerechnet einmal hierher verschlagen könnte. Die alten Häuser und die Burg von Montalcino wirkten mittelalterlich und wunderschön. Efeu und wilder Wein rankten an einigen Häuserwänden empor Richtung Sonne. In den Straßen tummelten sich viele Leute. Einige von ihnen trugen Einkaufstaschen, andere wiederum gingen ihrer Arbeit nach. Auch Touristen liefen umher und hielten ihre Kameras auf alles, was ihnen vor die Linse kam.
Zuvor hatte ich mir keine Gedanken gemacht, aber jetzt fragte ich mich doch, ob ich mit Antonios Familie zurechtkommen würde. Er hatte gemeint, dass sie ihn einmal besucht hätten, aber ich war damals noch klein gewesen und konnte mich jetzt nicht mehr daran erinnern. Er hatte mich beruhigt und gemeint, alle wären sehr nett und würden sich schon auf mich freuen. Vor seinem Neffen allerdings sollte ich mich in Acht nehmen, der hätte es faustdick hinter den Ohren. Ich belächelte seine Aussage und versicherte ihm, dass ich mich schon zu wehren wüsste.
Antonio hatte mit seinem Bruder telefoniert und ihm meine Ankunftszeit durchgegeben. Irgendjemand würde mich schon abholen. Während ich so dastand und wartete, bemerkte ich plötzlich einen Trecker, der mit hoher Geschwindigkeit um die Ecke bog und genau auf mich zukam. Kurz vor mir blieb er stehen. Vor Schreck sprang ich einen Schritt zur Seite. Der Typ war wohl verrückt geworden, hatte er keine Augen im Kopf? Wütend blickte ich zu ihm hinüber. Er stellte den Motor ab, blieb aber hinter dem Lenkrad sitzen und blickte herablassend auf mich herunter.
»Buongiorno, Violetta. Du bist doch Violetta, oder?«
Bevor ich ihm antwortete, begutachtete ich ihn erst einmal. Dieser Typ konnte nur Antonios Neffe sein, vor dem ich mich in Acht nehmen sollte. Er trug ein blaues T-Shirt und eine kurze Jeans. Unter seinem Strohhut lugten seine blauen Augen und einige dunkle Haare hervor. Wie er mich schon ansah, so eingebildet und herausfordernd. Von dem Augenblick an wusste ich, dass wir keine Freunde werden würden. Obwohl ich nicht leugnen konnte, dass er verdammt gut aussah.
»Sag mal, hat es dir die Sprache verschlagen oder spreche ich undeutlich? Vielleicht bist du aber auch stumm oder man hat dir die Zunge herausgeschnitten.«
Ich bemerkte, wie es in mir brodelte. Hier war Schlagfertigkeit gefragt. Er brauchte nicht zu glauben, dass ich mich so schnell von ihm einschüchtern ließ.
»Ja, ich bin Violetta. Und du bist sicher Giulio, das schwarze Schaf der Familie, oder?« Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Bingo! Eins zu null für mich. Ich strahlte ihn mit einem Hollywoodlächeln an.
Plötzlich erhob er sich und stieg vom Trecker herunter. Sein Blick wirkte alles andere als vertrauenerweckend. Anscheinend war ich etwas übers Ziel hinausgeschossen. Ich wich einen Schritt zurück, aber er kam näher. Ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut, aber ich durfte mich nicht so von ihm einschüchtern lassen. Entschlossen, mich ihm entgegenzustellen, hielt ich seinem Blick stand. Auch noch, als er nur wenige Zentimeter vor meinem Gesicht innehielt. Ich versuchte ruhig zu bleiben, obwohl mir mein Herz bis zum Hals schlug. Seine Augen formten sich zu Schlitzen, und das leichte Zucken seiner Mundwinkel verriet seine Anspannung. Ich spürte, wie er versuchte mich zu verunsichern, aber ich blieb standhaft.
»Wer von uns beiden wohl das schwarze Schaf ist?«, schleuderte er mir schließlich entgegen. »Meine Mutter ist noch da, und mein Vater ist alles andere als ein Säufer.«
Ich hielt die Luft an. Das hatte gesessen! Reflektorisch erhob ich meine Hand und wollte ihn ohrfeigen. Blitzartig fing er meine Bewegung ab und hielt meinen Arm fest. Frech grinste er mir ins Gesicht.
»Gewalt ist keine Lösung, meine Schöne. Wer austeilt, muss auch einstecken können. Also sind wir quitt. Willkommen in Montalcino.«
Er beugte sich zu mir und küsste mich beidseits auf die Wangen. Wütend nahm ich die andere Hand, um ihn abzuwehren, aber schnell hatte er auch diese gepackt.
»Ich mag dein Temperament, Violetta. Das macht mich so richtig an, nur weiter so, dann werden wir viel Spaß miteinander haben.«
Anstatt mich endlich loszulassen, beugte er sich abermals vor. Ein Schauer lief mir über den Rücken, während er mich wild und leidenschaftlich ansah. Er würde mich doch wohl jetzt nicht …? Panik stieg in mir hoch.
»Wag es ja nicht«, fauchte ich ihn an.
Er grinste und hatte sichtlich seinen Spaß mit mir.
»Was soll ich nicht wagen, Violetta?«
Ich spürte, wie mich der Mut verließ, mich gegen ihn zu wehren. Innerlich hätte ich platzen können vor Wut darüber. Das Adrenalin raste durch meinen Körper, sodass mein Puls in Sekundenschnelle in die Höhe schoss. Ich stand einfach nur bewegungslos da, meine Arme noch immer von ihm fixiert. Er wirkte bedrohlich, aber auf der anderen Seite übte er eine ungemeine Anziehungskraft auf mich aus. Irgendwie betörend und beängstigend zugleich. Wie war so etwas nur möglich?
Plötzlich nahm er etwas Abstand, hielt aber weiterhin meine Arme fest umschlossen. Ich musste etwas unternehmen, dann eben auf die Mädchentour. Fest entschlossen atmete ich tief ein, senkte kurz den Blick und schaute ihn einen Augenaufschlag später leidend an.
»Bitte, Giulio, lass mich los«, flehte ich, »du tust mir wirklich weh.«
Er stutzte, aber nur ganz kurz.
»Ich mag es, wenn Frauen betteln«, gab er zurück, während ich ein Aufblitzen in seinen Augen bemerkte.
Jetzt nur nicht nachgeben, dachte ich.
»Bitte, Giulio, ich meine es ernst, du tust mir weh.«
»Na schön, ich werde dich loslassen«, stimmte er zu, »aber nur, wenn du brav bist und deine Krallen einfährst.«
»Ich verspreche es«, erwiderte ich, hoffentlich überzeugend.
»Wenn eine schöne Frau mich um etwas bittet, kann ich nicht nein sagen. Also, du kannst deine Koffer und Taschen auf den Anhänger packen.«
Als er mich tatsächlich losgelassen hatte, rieb ich erst mal meine Handgelenke. Seine Kräfte waren nicht zu unterschätzen. Er hatte ganz schön fest zugepackt, mir aber nicht wirklich wehgetan. Während ich mich abmühte, die Koffer auf den Anhänger zu wuchten, saß er bereits wieder hinter seinem Lenkrad. Noch immer wütend auf mich selbst, musste ich mir eingestehen, dass Antonio mit seiner Warnung wohl recht gehabt hatte. Ich hievte mein Gepäck auf den Anhänger und schaute fragend zu Giulio.
»Du kannst hinten mitfahren, auf dem Trecker ist kein Platz für dich«, rief er hämisch.
Na toll, auch das noch! Total genervt und erschöpft von der Reise, kletterte ich hoch und setzte mich auf eine Kiste neben meinem Gepäck. Ich kochte innerlich, aber was sollte ich machen? Wie ungehobelt und arrogant er sich verhielt. Noch nie zuvor war mir so jemand begegnet. Sicher war es das Beste, mich möglichst weit von ihm fernzuhalten.
Während ich mich anstrengte, meine Wut zu kontrollieren, startete er den Motor und fuhr los. Genauso schnell, wie er gekommen war, raste er nun die engen Straßen entlang stadtauswärts. Er fuhr wie ein Wahnsinniger, sodass ich mich krampfhaft an der Seitenwand festhalten musste, um nicht den Halt zu verlieren. Wollte er uns umbringen?
Nachdem wir den Ortskern hinter uns gelassen hatten, lenkte er den Trecker eine sehr steile Straße hinunter, die durch die Weinberge führte. Zum Glück verlangsamte er hier das Tempo ein wenig, aber nur kurzfristig, dann gab er wieder Gas. Ich konnte mich gar nicht sattsehen an der traumhaften Landschaft. Zu allen Seiten die Weinstöcke und weiter hinten Wälder mit großen Pinien und anderen Bäumen, die ich nicht kannte. Vereinzelt erblickte ich Häuser aus Sandstein mit roten Dachpfannen, an deren Hauswänden wilder Wein rankte. In den Gärten wuchsen Zypressen und Olivenbäume. Die warmen Strahlen der Sonne und die atemberaubende Natur ließen mich meine Wut für einen Augenblick vergessen. Wenn man davon absah, dass alles in Windeseile an mir vorbeizog, dank dem verrückten Kerl, der hinter dem Lenkrad saß.
Sicherlich würde ich Gelegenheit haben, die Gegend einmal mit einem Pferd zu erkunden, vielleicht sogar mit Remy. Ich wurde plötzlich wieder traurig, und die Erinnerung an sie ließ mich schwer schlucken. Sie musste hier ganz in der Nähe sein, ich konnte es spüren. Bald bin ich wieder bei dir, meine Süße, dachte ich, und dann bringe ich dich heim.
Nach einer Weile verlangsamte er das Tempo und bog in einen Sandweg ein. Eine Zypressenallee führte uns zu einem prächtigen, alten, aus Sandstein erbauten Gutshof. Mir stockte der Atem. Das Gut erschien mir noch schöner, als ich es mir in meinen Träumen ausgemalt hatte. Bewundernd schaute ich mich um, bis Giulio abrupt den Trecker vor dem Haupthaus zum Stehen brachte. Fast wäre ich von der Kiste gefallen. So ein Idiot! Ich hätte mich verletzen können.
Etwas unsicher kletterte ich vom Anhänger und nahm mein Gepäck herunter. Natürlich rührte Giulio keinen Finger, warum auch? Ich ignorierte ihn bewusst, als ich an ihm vorbei Richtung Haustür ging, aber ich spürte seinen Blick in meinem Nacken.
Die Tür öffnete sich. Eine Frau mittleren Alters trat heraus und kam lächelnd auf mich zu.
»Buongiorno, Violetta, herzlich willkommen in Montalcino. Antonio hat uns schon so viel von dir erzählt! Ich bin Sofia, seine Schwägerin.«
Ich senkte kurz den Blick. Er hatte so viel erzählt? Nun, dann kannte sie sicherlich meine traurige Familiengeschichte. Aber das störte mich in diesem Moment nicht weiter. Freudestrahlend nahm sie mich in den Arm und küsste mich rechts und links auf die Wangen. Ich überragte Sofia um ein paar Zentimeter. Ihr dunkles Haar hatte sie zu einem lockeren Knoten zusammengebunden, aus dem ihr ein paar Strähnen ins Gesicht fielen. Ihre Augen leuchteten, und ich erkannte die Ähnlichkeit mit Giulio in ihrem Gesicht. Durch ihr luftiges Sommerkleid und den bunten Sandalen wirkte sie jünger, als sie vermutlich war.
Nach einem kurzen Blick zu ihrem Sohn, fragte sie mich: