Liebe Leipzig - Janine Lückert - E-Book

Liebe Leipzig E-Book

Janine Lückert

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Beschreibung

Eine Abiturientin aus Niedersachsen kommt 2002 zum Studieren nach Leipzig. Die Stadt wird ihre große Liebe. Zwei Jahrzehnte später stellt sie die Beziehung zu ihrer Wahlheimat auf den Prüfstand. Tauscht sie nun Kneipen und Kultur gegen Kühe und Kraftorte im hessischen Odenwald? Hypezig oder Hofleben? 25 Liebesbriefe von 2002 bis 2021 über eine sehr persönliche Liebesgeschichte, wie sie tausendfach gelebt, aber bisher nie erzählt wurde. Eine moderne Ost-West-Romanze, die fragt: Was sehen wir im anderen? Was lieben wir am anderen? Passen wir zusammen? Und schließlich: Was wird aus uns? Ein authentischer Tauchgang in das Lebensgefühl einer sich wandelnden Stadt. Luft anhalten, reinspringen, mitreißen lassen!

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Seitenzahl: 91

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Für meine Oma Doris,

die mich stets ermutigt hat, meinen Weg zu gehen.

Die Autorin

Janine Lückert, geboren 1983 in Hannover, zieht 2002 zum Studium nach Leipzig. Einige Stadtteilwechsel und zwei Jahrzehnte später ist sie Diplom-Dolmetscherin und Relocation Consultant, verheiratet mit einem gebürtigen Leipziger, zweifache Mutter, Yogi und Autorin. Das alles hat ihre Wahlheimat mit und aus ihr gemacht. Zeit für eine Bestandsaufnahme.

Die Illustratorin

Luzie Holzgräbe, geboren 2003 in Berlin, lebt seit ihrem vierten Lebensjahr in Leipzig. 2021 absolviert sie ihr Fachabitur in Gestaltung. Diverse Leipziger Ausstellungen und Galerien schmückten sich bereits mit ihren Werken in Tinte, Aquarell und Öl. Mit LIEBE LEIPZIG hat sie ihr erstes Buch illustriert. Aber bestimmt nicht das letzte.

Inhaltsverzeichnis

Leipzig, Kulkwitzer See, Juli 2021

Leipzig-Gohlis Platnerstraße 2002 – 2006

Leipzig-Gohlis, Platnerstraße, September 2002

Leipzig-Gohlis, Platnerstraße, Oktober 2002

Leipzig-Gohlis, Platnerstraße, November 2003

Leipzig-Gohlis, Platnerstraße, Juli 2004

Barcelona, August 2004

Leipzig-Gohlis, Platnerstraße, Januar 2006

Leipzig-Zentrum Grünewaldstraße 2006-2009

Leipzig-Zentrum, Grünewaldstraße, Mai 2006

Leipzig-Zentrum, Grünewaldstraße, Silvester 2006

Irgendwo zwischen Leipzig und Sydney, Australien, August 2007

Leipzig-Zentrum, Grünewaldstraße, August 2009

Leipzig-Connewitz Simildenstraße 2009 – 2012

Leipzig-Connewitz, Simildenstraße, Dezember 2009

Leipzig-Connewitz, Simildenstraße, Juli 2011

Leipzig-Connewitz, Simildenstraße, Februar 2012

Leipzig-Plagwitz Aurelienstraße 2012 - 2016

Leipzig-Lindenau, Aurelienstraße, März 2012

Leipzig-Lindenau, Aurelienstraße, Silvester 2012

Leipzig-Lindenau, Aurelienstraße, November 2014

Leipzig-Lindenau, Aurelienstraße, Juli 2015

Leipzig-Neulindenau Dr.-Hermann-Duncker-Straße 2016-2021

Leipzig-Neulindenau, Dr.-H.-Duncker-Straße, Februar 2017

Leipzig-Neulindenau, Dr.-H.-Duncker-Straße, Oktober 2018

Leipzig-Neulindenau, Dr.-H.-Duncker-Straße, März 2020

Exil, März 2020

Leipzig, Neulindenau, Dr.-H.-Duncker-Straße, September 2020

Leipzig-Neulindenau, Dr.-H.-Duncker-Straße, Oktober 2020

Odenwald, Februar 2021

Leipzig, Kulkwitzer See, Juli 2021

Nun, Leipzig,

wie wollen wir uns begrüßen nach zwanzig Jahren? Uns kurz zunicken, abgeklärt, distanziert, als sei alles gesagt? Reichst du mir die Hand? Zum kurzen Druck oder damit ich sie halte? Wagen wir eine Umarmung? Wie fest, wie lang? Es ist kompliziert geworden nach all der Zeit. Nach allem, was zwischen uns passiert ist.

Erinnerst du dich, wie ich 2002 vor deiner Tür stand mit nicht viel mehr als meinem Abi in der Tasche? Mein kleiner Opel Corsa quietschte unter Koffern und einer Kommode. Die Fahrt von meinem Heimatdorf bei Hannover hatte ihn angestrengt. Während eines Regenschauers auf der A2 tropfte es durch das leckende Faltdach. Angstschweiß, Freudentränen, wer weiß das schon noch so genau? Ich war aufgeregt. Gerade neunzehn Jahre alt machte ich allein in den Osten rüber. Zog vom Dorf in die Großstadt, hungrig auf die Welt, das Leben, die große Freiheit. Mein Herz streckte ich dir mit beiden Händen entgegen. Du hast deine Tür aufgemacht und mich eingelassen, eine Flasche Wein geöffnet, mir deine Freunde vorgestellt, wurdest mein Zuhause. So einfach war das. Wie verliebt wir waren! Ach Leipzig, es lagen herrliche Zeiten vor uns.

Und heute? Hast du eigentlich noch all die Briefe, die ich dir im Lauf der Jahre geschrieben habe? Sollen wir sie gemeinsam noch einmal lesen? In die Zeitkapsel steigen, Jahr für Jahr aufleben lassen, um so vielleicht zu verstehen, wieso es so schwierig geworden ist zwischen uns? Komm, setz dich zu mir. Jetzt wackelt es gleich ein bisschen, wie damals im Corsa… Wir halten besser Taschentücher bereit, falls ein paar Tränen durchdrücken. Oh, festhalten, jetzt geht es los!

Leipzig-Gohlis Platnerstraße

2002 – 2006

Leipzig-Gohlis, Platnerstraße, September 2002

Leipzig, hallo?

Bist du da? Kneif mich mal! Ich kann es gar nicht glauben: Ich bin eingezogen! Heute waren meine Eltern hier, mit meinen Möbeln von zu Hause. Nee, warte mal, zu Hause … das ist ja jetzt hier, oder? Wie auch immer, mein hundertjähriger Kleiderschrank, altes Familienerbstück, beäugt von seinem neuen Platz aus noch skeptisch den neuen Pressspan-Schreibtisch in Birkenoptik. Das schmale Holzbett aus meinem Kinderzimmer wirkt verschüchtert. Kein Wunder, du großartige Leipzig, wir beide könnten hier locker einen Discofox aufs Fischgrätparkett legen. Später, denn jetzt müssen wir uns alle erst einmal an die neue Situation gewöhnen. Fast alle. Meine antike Kommode hat sich gleich vertrauensvoll an den starken Rahmen der Doppelflügeltür geschmiegt. Das Luder. Ob die sich heute Abend in Van Goghs Nachtcafé treffen? Das liegt nahe, wenn auch in einem billigen blauen Plastikrahmen. Nun ja, es hängt ein Bild, das ist die Hauptsache.

Und Vorhänge, jawohl, und das war kein Zuckerschlecken! Da kam mein lieber Papa ganz schön ins Schwitzen, als ihm beim ersten kleinen Bohrloch für die Halterung die halbe Wand als Sand durch die Finger rieselte. Es waren dramatische Momente, er fluchend, ich flehend, aber nun, wie ein Wunder, gleiten die roten Schals mühelos über die Seilspanngarnitur. Ich bin entzückt!

Jetzt sind meine Eltern wieder auf dem Weg in die niedersächsische Heimat. Ich liege allein auf dem roten Teppich, den du mir zum Einzug ausgerollt hast, eingehüllt in vier eierschalengelbe Wände. Drei Meter fünfzig über mir hocken kleine Teufel und glotzen mich mit aufgerissenen Mäulern an. Oder was auch immer diese Stuckornamente darstellen sollen. Das Eierschalengelb war übrigens nicht meine Idee. Ich wollte es knallig, wollte den Beginn meines neuen, freien Lebens mit viel Farbe feiern! Nachdem mir mein neues Heim beim Anbringen der Gardine fast zerbröselt wäre, verstehe ich jedoch die Appelle meiner Mitbewohner, die Raufasertapeten nicht durch übermäßiges Renovieren zu strapazieren.

Wie das wohl alles werden wird? Wir beide, Leipzig und Janine, hier zusammen? Wobei du immer hier warst. Trotzdem ist es auch für dich neu, obwohl wir uns nach einem Jahr Wochenendbeziehung bereits ein bisschen kennen. Doch jetzt steht meine Zahnbürste bei dir im Bad – für immer. Meine Möbel sind seit heute auch ein Teil von dir. Erst hast du mich erobert, nun erobere ich dich! Jeden Winkel von dir möchte ich kennenlernen! Morgens mit dir aufwachen, frühstücken in der winzigen Küche, dem kleinsten und gleichzeitig belebtesten Raum dieser 240 Quadratmeter großen Wohnung. In Zukunft teilen wir uns das Bett, das Bad und die zwei nach Geschlechtern getrennten Toiletten. Jeden Morgen werde ich auf meinem Drahtesel durch dein Rosental reiten und an der Uni mit meinen dummen Fragen dein Nervensystem reizen. Du wirst mir in der Mensa Essen zubereiten, das ich loben werde. Ich werde einkaufen gehen, mit meinem eigenen Geld wirtschaften, einen Haushalt führen! Wie aufregend ist das denn bitte?! Du wirst mir deine Freunde vorstellen, die zu meinen Freunden werden und mich auf Partys einladen! Wir werden jeden Abend zusammen einschlafen.

Es ist wahr, ich bin da. Ich kann es noch immer nicht fassen, aber ich sehe es genau vor mir. Da, durch diese zwei Kastendoppelfenster, blicke ich in meine Zukunft. Vorhang auf! Das Drahtseil ist gespannt. Der Tanz kann beginnen!

Leipzig-Gohlis, Platnerstraße, Oktober 2002

Hach Leipzig,

was soll ich sagen: Es ist dermaßen schön mit dir! Ich finde, ich habe mich in den ersten Wochen richtig gut gemacht. Ich habe die Uhrzeit gelernt, wie sie dir gefällt, nämlich viertel und dreiviertel statt viertel nach und viertel vor, und vielleicht werde ich sie irgendwann sogar verstehen. Letzte Woche habe ich ein Seminar verpasst, weil ich eine halbe Stunde zu spät war, nachdem ich erst eine halbe Stunde zu früh war. Ach, was soll’s.

Deine liebevoll zubereiteten Mahlzeiten in der Mensa lobe ich. Meistens. Nur neulich, da, nun ja, da rief ich laut und voller Begeisterung: „Juhu, es gibt Jägerschnitzel!“

So ist das wohl im Überschwang der Verliebtheit. Man denkt, alles ist toll am anderen! Dass es einfach perfekt ist! Dann kommen die ersten unbequemen Wahrheiten ans Licht. So eine war das. Nun werde ich nie mehr vergessen, dass es sich bei deinem Jägerschnitzel nicht etwa um ein Schnitzel mit leckerer Pilzrahmsoße handelt, oh nein! Sondern um eine … Wurstscheibe. Paniert.

Vielleicht lerne ich einfach zu kochen. Das macht sicher Spaß und ist preiswert! Wir fangen mit Nudeln an. Die kaufe ich in deinem lokalen Supermarkt. Es kostet mich ein bisschen Überwindung, ihn so zu nennen wie du. Noch spreche ich den Namen aus wie das Wort für Verbrauch oder Verzehr, „Konsum“, was meiner Meinung nach passend wäre für ein Geschäft, das Konsumgüter anbietet. Doch schon bald werde ich wie alle hier „Konnsumm“ dazu sagen, mit einem kurzen betonten „o“ und einem ebenso kurzen „u“, um nicht wie ein konsumgesteuerter Wessi daherzukommen, sondern wie ein den „Konsum“ ansteuernder Konsument.

Andererseits finde ich ja, dass man in einer Beziehung nicht nur dem anderen, sondern auch sich selbst treu bleiben sollte. Ich fürchte nämlich, dass ich es trotz meiner tief empfundenen Zuneigung zu dir einfach nicht über mich bringen kann, zu „dúschen“ oder gar „Spinnat“ oder „Sallat“ zu essen. Und in die „Kürsche“ geh ich sowieso nicht. Ich hoffe, du kannst mich trotzdem lieben. Wenn du mich fragst, wem irgendetwas ist statt gehört, oder mir antwortest, dass dies dir sei und nicht deins … da schlucke ich kurz, aber heftig, und küsse dich ganz schnell auf deinen „sägsischn“ Mund.

Du siehst, ich bemühe mich um Integration. Dabei können mir bestimmt auch meine sechs Mitbewohner helfen. Mittlerweile habe ich sie kennengelernt. Die meisten jedenfalls. Einige sind inzwischen aus- und neue eingezogen, glaube ich, doch die Stammbesatzung steht langsam, aber sicher wie die Flasche Wein abends auf dem Küchentisch. Da sitzen wir gemütlich zu viert auf dem Zweisitzer-Sofa in der Ecke, reden, trinken. Irgendwann holt einer den Rumverschnitt raus, den unser Physiotherapeut von einer Verkostung mitgebracht hat.

Sag mal, Leipzig, wenn du zu solchen Veranstaltungen lädst, musst du doch dazusagen, dass man da am Rum nur schnuppert und ihn nicht trinkt, um nicht am Ende stockbesoffen zu sein. Hast einfach zugesehen, wie unser Physiotherapeut jedes Gläschen beschnuppert und ausgetrunken hat und am Ende … Ich nehme es dir nicht übel, denn infolge deines Versäumnisses verfügen wir nun über drei Liter einer Mischung feinster Rumsorten, stilvoll zusammengeschüttet aus den Gläsern derer, die den Rum ordnungsgemäß olfaktorisch durch die Nase verkostet hatten. In zwei Anderthalb-LiterPET-Flaschen vom Aldi, die unser Physiotherapeut zufällig dabeihatte, lagert die Mixtur seitdem im Flurregal. Ich bin ein großer Fan des Rums und kann aus lauter Dankbarkeit leichter über meine morgendlichen Konflikte mit unserem Masseur hinwegsehen. Da streiten wir uns nicht selten über die Auswahl des Radioprogramms. Er stimmt sich gern mit intellektuellen Diskussionen über Rüstungsexporte, Abtreibung oder Selbstmord auf den Tag ein. Ich bevorzuge Musik. Während er sein Schüsselchen langsam aufgequollenen Haferbreis schlürft, beiße ich in mein Nutella-Toast. Versuche, meine Ohren zu verschließen, während mein Gegenüber die seinen spitzt, sich seine allmorgendliche Dosis Allgemeinbildung durch den Deutschlandfunk einverleibt. Unser Physiotherapeut ist der belesenste Mensch, den ich je getroffen habe. Oder der behörteste? Leipzig, denkst du, auch ich könnte so viel wissen, gar die Welt verstehen, wenn ich beim Frühstück williger wäre?

Ja, es hat Vorteile, die Wohnung mit einem auszubildenden Masseur zu teilen. Neulich klappte er seine Massageliege in unserem endlos langen Flur aus. Jeder durfte mal drauf und sich durchkneten lassen. Mit dem Kopf in dem Loch der Liege bekam der Teppich endlich die Aufmerksamkeit, die er