Liebe und Leidenschaft - Christian Schlosser - E-Book

Liebe und Leidenschaft E-Book

Christian Schlosser

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Beschreibung

Kurz vor seiner Auswanderung begibt sich der Autor auf Spurensuche nach dem Ursprung seiner Familie. Die Ermittlungen führen ihn über Umwege in Deutschland nach Schlesien und dort nach erfolgloser Suche in die Nähe von Breslau. Zufällig landet er auf einem Bauernhof, übernachtet dort und nimmt am nächsten Morgen Joanna, die Tochter des Hauses, aus Gefälligkeit nach Dresden mit. Nur entwickelt sich diese scheinbar biedere Landei auf der Fahrt zum Biest, schafft es, ihren Chauffeur zu verführen und in kürzester Zeit gerät die Situation völlig aus dem Ruder. Nicht nur, dass sich die angeblich reiche Dresdner Verwandtschaft seiner Beifahrerin nicht als das entpuppt, was sie vorgibt zu sein, denn weder sind diese reich, noch gehen sie eine geregelten anständigen Arbeit nach, welche gesellschaftlichen Normen entspricht. Deren Versuch, Joanna in ihren Sog der Prostitution zu ziehen, scheitert. Endet letztendlich in einem handfesten Streit. Joanna überwirft sich mit der Verwandtschaft, bricht jeden weiteren Kontakt ab. Letztendlich geht die Tour wieder zurück nach Schlesien. Matthias erreicht sein eigentliches Ziel erst mit Joannas Hilfe und zwischen den beiden so unterschiedlichen Menschen entwickelt sich eine tiefe Freundschaft. Bei Joannas Rückkehr auf den Bauernhof zeigt man sich wenig begeistert über die Entscheidung der Tochter und diese nimmt ihr Leben gegen den heftigen Widerstand des Vaters in die eigene Hand - mit fatalen Folgen …

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Suche nach den Wurzeln

Start ins Abenteuer

Mecklenburg

Fremdes Polen

Breslauer Impressionen

Fremdes und seltsames Oels

Nikolai’s Bauernhof

Abfahrt nach Dresden

Übernachtung mit Überraschungen

Der Tag danach

Verwandtenbesuch

Flucht aus Dresden

Unser Tag in Breslau

Verschwiegener Friedhof

Zurück bei Nikolai

Epilog

Impressum

Vorwort

Wer hier eine der üblichen realitätsfernen billigen pornografischen Geschichte erwartet, möge sich bitte anderweitig umsehen. Zwar enthält die vorliegende Erzählung explizit beschriebene sexuelle Handlungen (deshalb FSK 18), basiert jedoch auf tatsächlichen Ereignissen, beschreibt, mit einigen notwendigen literarischen Ergänzungen versehen, das nicht ganz unproblematische Zusammentreffen zwischen einer Schlesierin und einem ausgewanderten Deutschen. Menschen, welche sich unter normalen Umständen niemals im Leben begegnet wären. Genau dieser Sachverhalt hat es in sich – erregt und berührt zugleich. Freunde der Geschichte und Erotik gleichermaßen, werden also keinesfalls nach dem allmählichen Einstieg in das Geschehen auf den folgenden Seiten enttäuscht!

Zum Inhalt des Buches: Genealogie – wer denkt dabei an erotische Abenteuer und hemmungslosem Sex? Zahlreiche Zeitgenossen müssten erst einmal nachschlagen, um überhaupt das komplizierte Wort zu eruieren. Sex bei der Suche nach seinen Altvorderen? Zum Beispiel in Bibliotheken, verstaubten Kirchenarchiven, Kirchen, Seniorenheimen, gar auf Friedhöfen? Zufällig vom Autor bei der Suche ermittelte „Seitensprünge“ und einige „Kuckuckskinder“ innerhalb der Familie bedingten zwar vor (Ur)Zeiten sexueller Handlungen, doch haben diese Funde nichts mit der im Buch beschriebenen Spurensuche zu tun. Jedem, welcher behauptet hätte, dass mich die Nachforschung nach meinen Wurzeln in ein geradezu unglaubliches erotisches Abenteuer verstrickt, dem hätte ich vor dem Start meiner Reise in die Vergangenheit den berühmten Vogel gezeigt; wahrscheinlich noch die Behandlung beim Psychiater empfohlen.

Zur Ereignis gehört die nur scheinbar langatmige Vorgeschichte dieser ungewöhnlichen Begegnung, welche in Deutschland startet, nach Polen springt und in Asien endet, jedoch von dort aus immer wieder zum ersten Begegnungsort (Schlesien) der beiden Protagonisten oszilliert. Gewissermaßen ein pendelndes Geheimnis zweier Menschen, welches erst viel später durch den Tod der Beteiligten in der Geschichte versinken wird. Spurlos – denn es gibt kein Ergebnis dieser Liebe in Form von Nachkommen, welche in naher oder ferner Zukunft, von neugierigen Nachkommen erforscht werden könnte …

Suche nach den Wurzeln

Kurz vor meiner endgültigen Auswanderung nach Asien stürzte ich mich in das Abenteuer Ahnenforschung. Auslöser war der Besuch bei einer befreundeten Familie im Münsterland, an deren Wand ein mächtiger Ahnenbaum prangte. Zu meinem Erstaunen reichte dieser bis in das Jahr 1635 zurück. Erstellt hatte ihn der Hausherr selbst, was sich als relativ einfach gestaltete. Verbunden mit der Scholle, Haus und Hof, verließ diese Familie seit Jahrhunderten nicht den Ort, heiratet nur in die Umgebung ein. Keine Unterlagen in den Kirchen waren durch Kriege oder anderes Unbill vernichtet und damit lagen die Daten praktisch vor der Nase. Kontakt, als überaus fleißiger Kirchgänger zum Pfarrer war vorhanden und damit der Schlüssel zur Quelle, zum Archiv. Grafisch kunstvoll auf einer dünnen Holzplatte verewigt und mit einem schlichten Rahmen versehen, hatte es ein Freund des Hauses und Kunde des Hofes. Beeindruckte mich ungemein. Neidisch und gierig, wie der Mensch von Natur aus nun einmal ist, weckte das bunte und trotzdem schlichte Kunstwerk in mir den Wunsch, gleiches besitzen zu wollen. Die Frage nach dem Sinn des Besitzes stellte sich mir nicht.

Von meiner Familie, genauer gesagt deren Wurzeln, war mir relativ wenig bekannt. Vertrieben im Zweiten Weltkrieg, infolge dann in alle Himmelsrichtungen versprengt, verlor man den Kontakt untereinander, der Alltag des Wiederaufbaus und die später einsetzende Wohlstandsträgheit inklusive des „Wirtschaftswunders“, verhinderten Suchaktionen. Gleichgültigkeit zog ein. Tot war eben tot, verschollen gleich verschollen, vermied man darüber zu reden. Man hatte als junger Mensch eben Onkel und Tanten, Großeltern, dachte nicht intensiver über innerfamiliäre Verbindungen nach. Bauer Gerhards Kunstwerk reizte mich, gedachte, mir ebenfalls so ein Schmuckstück ins Zimmer zu hängen, wollte mehr wissen. Computerprogramme wurden besorgt, Recherchen angestellt, noch lebende Verwandte befragt. Gar nicht so einfach, denn derer hatte es nur noch wenige und diese wurden eigentlich jeden Monat weniger. Allein in den ersten sechs Wochen meiner Recherchen verabschiedeten sich drei meiner Informanten aus dem Leben, konnten mir aber vor ihrem Ableben noch einige Informationen geben. Schnitter Tod hielt reichlich Ernte, peilte bereits die nächste Lieferung der „schon länger unter uns Lebenden“ an, strich sich quasi nur „nebenbei“ jüngere Leben ein.

Die von den drei Verblichenen erhaltenen Informationen reichten bis nach Frankreich und in das ehemalige Sudetenland im Zeitraum bis vor 1880. Gefundenes Fressen für mein Programm. Täglich wuchs die Datenbank mehr, hatte ich endgültig Feuer für die Sache gefangen. Ein Zweig der Vorfahren stammte aus Schlesien und dort wieder aus einer Ecke, welche mir selbst von der Landkarte her völlig unbekannt war.

Hartnäckig wurden von den zwei noch lebenden älteren Verwandten Antworten bei Nachfragen ausgespart. Bums, da war sie – die unsichtbare Mauer aus Stahlbeton, sorgfältig mit verbalem Stacheldraht und Sprengfallen umgeben. Statt Angaben gab es unwirsche Antworten wie: „Was willst du damit? Lass die Toten ruhen“ und „das geht dich nichts an.“ Aus Erzählungen meiner Großeltern, welche die Flucht aus ihrer alten schlesischen Heimat vor den Russen und Polen unter dem Verlust sämtlichen Hab und Guts nur knapp überlebten, konnte ich weitere Daten rekonstruieren. Dank eines polnischen Bekannten und Arbeitskollegen, kam ich erneut ein ganzes Stück weiter. Streng katholisch, selbst Schlesier, hatte er beste Kontakte zu allen möglichen Geistlichen und telefonierte sich durch. Erfuhr so Orte, Namen und was dort damals mit den Deutschen geschehen ist. Inklusive die Orte der Bestattung und die der Soldatenfriedhöfe. Obenauf noch Namen von Überlebenden und die Adresse eines Pfarrers, welche sich gern mit mir unterhalten würde. Sofern es die Zeit erlaubt, der Mann auch Zeit hat, würde ich dieses Angebot auf jeden Fall annehmen.

Wenige Monate später verfügte ich über die Daten von knapp 260 Personen. Nicht einmal die Großeltern, oder meine Mutter, hatten diese Angaben, staunten nur, belächeln inklusive. Hinzu kam verschämtes Schweigen, denn so ganz nebenher deckte ich bei meinen Recherchen drei „Verkehrsunfälle“ auf; sprich, uneheliche Abkömmlinge, über denen nicht nur der „Mantel“ des Schweigens, sondern gleich eine ganze Pelzhandlung lag. Zwei der Betroffenen wussten selbst nicht einmal davon und diese meine Erkenntnis, trug nicht gerade zur Wahrung des Familienfriedens bei. Sei es darum.

Endgültig neugierig geworden, wollte ich diese historischen Stätten und den Geistlichen aufsuchen, plante akribisch genau die Reise, welche die gesamte Fluchtroute meiner Vorfahren umfassen sollte. Erst von Sachsen quer rüber nach Thüringen, weiter in die Gegend Magdeburg, dann hoch, an Berlin vorbei, nach Mecklenburg.

Zwischenstation über Nacht auf dem Land und dann runter über Görlitz bis nach Breslau, was sich heute auf Polnisch Wrocław nennt. Von da aus sollte es nach Oels im ehemaligen Schlesien gehen. Auch diese Stadt änderte nach der „Verschenkung“ Schlesiens durch Stalin wieder ihren Namen und nennt sich heute Oleśnica. Endstation der Reise sollte Dresden sein, wo, nach meinen Informationen, mehr als 30 Familienmitglieder, allesamt aus einem schlesischen Flüchtlingstreck, in dem Flammeninferno verbrannten. Ausgelöst wurde das Inferno von einem Mann, welcher unter anderem auch für den Mord an Flüchtlingen mit Denkmälern geadelt wurde. Man sieht es bereits – die Bombardierung Dresdens, Krieg, Vertreibung, Flucht, das Zerstückeln und die „Verschenkung“ ganzer Länder, verstaubte Archive, tattrige Menschen mit Demenz in Altenheimen, Friedhöfe und im Stundentakt wegsterbende Überlebende. Was hat das mit Erotik zu tun? Oder etwa doch? Neugierig? Lassen wir doch ganz einfach das Leben weiter erzählen.

Jeder kennt das mit Ursache und Wirkung, mit Zufällen, welche keine sind. Oder doch? Bekanntlich lösen Taten Reaktionen aus, welche wieder zu neuen Taten und Reaktionen führen. Ball Reaktion lag heute auf meiner Seite. Noch einmal, außer der Zufall hilft nach, welcher kein Zufall wäre, dessen war ich mir relativ sicher, würde ich kaum nach Deutschland kommen, um eine derart große Tour machen zu können. Lediglich geschäftliche Reisen waren geplant, um ein weiteres finanzielles Standbein in der neuen Heimat zu haben. Demzufolge hieß es jetzt oder nie reagieren. Frank, langjähriger Freund seit meiner Schulzeit, seines Zeichens Automechaniker und Autohändler, lieh mir einen Wagen, denn meinen hatte ich bereits verkauft. Neu, kaum dreitausend Kilometer auf dem Tacho, mit eingebautem Navigationssystem, welches ganz Europa umfasste. Tests zeigten alle relevanten Städte und selbst Dörfer außerhalb der deutschen Grenzen an. Winzige Nester in den Pampas, selbst dort, wo sich Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen, waren enthalten. Damit entfiel der Kauf von teuren Karten und Stadtplänen. Packen war angesagt, dauerte einen ganzen Tag, die Reise sollte rund drei oder vier Tage dauern, war aber zeitlich nicht festgelegt. Würde die Tour längere Zeit als geplant beanspruchen, wäre es auch in Ordnung. Genau genommen hatte ich einen ganzen Monat bis zu meinem Abflug. Meine Familie, bereits vorausgeflogen, kümmerte sich in der Ferne um den Hausbau, welcher, aus für mich unerfindlichen Gründen, drüben ins Stocken geraten war.

Tief und fest hatte ich die letzte Nacht in der leer geräumten Wohnung geschlafen. Traumlos, was eher ungewöhnlich ist und in Anbetracht der bevorstehenden Reise umso mehr. Hier der alten Heimat hatte ich mich aller Verpflichtungen entledigt, war komplett ungebunden, doch wollte ich lieber an einem Wochenende statt, unter der Woche, in das Abenteuer starten. Freitag kam, Petrus meinte es gut mit dem Vorhaben, räumte sämtliche Wolken weg, schickte reichlich Sonne in die Spur und diese weckte mich noch vor dem Wecker. Letzte Dusche in der alten Wohnung, Kaffee machen, extra stark versteht sich, Thermoskanne füllen. Wohnungsschlüssel beim Nachbarn für den Nachmieter abgeben, letzte Überprüfung des Fahrzeugs und seiner Ladung – dann ging es los.

Start ins Abenteuer

Gestartet von einer mittelgroßen Stadt in Sachsen, fuhr ich gemütlich über Fernstraßen Richtung Thüringen mit Zielpunkt Blumenstadt Erfurt. Dafür brauchte ich weder Karten noch das geschwätzige Navi. Gera, Jena, Weimar und dann geradeaus nach Erfurt, konnte ich mir auch so merken. Letztmalig war ich als kleiner Junge dort gewesen, kannte Onkel, Tanten und deren Nachkommen nur noch vom Namen her. Gesichter waren verblasst. Immerhin verfügte ich über deren Anschriften, welche mir, wenn auch nach einigem Zögern, meine Mutter gab. Zwei Stunden später war ich am Ziel, stellte am Stadtrand das Navi auf die erste Adresse ein. Unterkühlt bis abweisend beschrieb den Empfang am besten. Weder konnte man sich an mich erinnern, noch bestand Interesse an meinem Besuch. Immerhin opferte man mir großzügig eine Stunde Zeit und in dieser Stunde, brachte ich für meine geplante Ahnentafel noch einige ergänzende Daten zusammen. Letztlich tat man fast so als handle sich um ein Staatsgeheimnis, rückte man nur unwillig und zögernd mit diesen heraus. Höflich ausgedrückt, wurde ich wegen meines Vorhabens mehr oder weniger offen als Spinner abgetan, denn: „Was vorbei ist, ist vorbei“; so wurde stereotyp und pausenlos betont, dabei ins Leere gestarrt.

„Wozu in alten Dingen stochern?“, fragte zwischendurch die bereits halb senile Tante, welche immer wieder im Gespräch die exzellente Lage ihrer zukünftigen Grabstätte und deren exorbitante Kosten betonte.

Fleißig benickt von ihrem Ehemann, welcher alles anhatte, nur keine Hosen, zeitlebens kuschte vor der Wortgewalt der Angetrauten, welche dann doch wieder zum Thema zurückfand, um unvermittelt schnell bei den letzten Sonderangeboten und bekloppten Politikern zu landen. Irgendwann blitzen durch halb verdämmerte und größtenteils schon dem Jenseits verfallene Hirne die Erkenntnis, dass ich mich „volksfremd verpaart“, der Heimat bereits den Rücken gekehrt hatte und das blockte ab dieser Sekunde alles ab. Meinerseits unterließ ich es mich für diese „Ungeheuerlichkeit“ des „Verrats an der Familie“ zu rechtfertigen – warum auch? Mehr als ein Glas „Leitungsheimer“ hatte man nicht für mich als Gast übrig. Aufatmend verließ ich die ungastliche Wohnung mit seinen skurrilen Bewohnern, genehmigt mir in einer Bäckerei ein opulentes Frühstück. Navi an und ab ging es über die Autobahnen nach Sachsen-Anhalt mit Zielpunkt Magdeburg.

Dort lag auf einem Friedhof, anonym in einem Massengrab für Kriegsopfer beigesetzt, ein Onkel, welcher kurz nach dem Krieg von den Russen erschossen wurde. Grund für die Erschießung war die Tatsache, dass er deutsch, männlich und im wehrfähigen Alter von 18 Jahren war. Kaum, dass er den barbarischen Bombenangriff länger als vier Monate überlebte. Seit der Wende ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, kannte keiner meiner noch lebenden Verwandten die Lage des Grabes. Ich jetzt hingegen jetzt schon.

Eigentlich hatte man den Namen des jungen Lebens längst aus dem kollektiven Gedächtnis der Familie gelöscht. Dies stimmte mich einmal mehr nachdenklich. Was bleibt von einem Menschen, was bleibt von mir nach nur einer Generation Abstand? Gar nach zwei? Nach drei Generationen gewöhnlich, sofern keine Fotos als besonders „wertvoll“ die Zeitspanne überstanden haben sollten, man zu Lebzeiten keine Person von „öffentlichen Interesse“ gewesen ist, nichts! Jeder Verbrecher, Vergewaltiger, Mörder, Massenmörder ohnehin, bleiben länger im Gedächtnis der Oberflächlichkeit der gesteuerten Massen haften.

Kurz nach Mittag kam ich in der Elbestadt an, suchte ein Restaurant und aß zu Mittag. Keine zwei Stunden später stand ich mithilfe eines netten Mitarbeiters des Friedhofes am Zielort. Fotos machen, Blumen ablegen und zurück in die Stadt, welche den Charme eines betonierten Schuhkartons mit integrierter Straßenbahn versprühte.

Bedient mit Eindrücken für heute, suchte ich mir eine Pension etwas außerhalb und übernachtete. Tags darauf ging es früh am Morgen los. Laut Navigationssystem betrug die Strecke etwas über 350 Kilometer. Wegen der gewählten Route, ich wollte so wenig wie möglich Autobahnen fahren, wollte mehr blühende Landschaften, als öde Autobahnen sehen, dauerte die Fahrt eben länger als normal. Mit den blühenden Landschaften meine ich die tatsächlichen und nicht die von einem gewissen Politiker versprochenen.

Mecklenburg

Zwei Stunden später ging es runter von der Autobahn. Tanken auf dem Dorf, zweites Frühstück, mehr schon ein trockenes Mittagessen, bei einem Bäcker. Weiter ging es wie geplant nur noch über Landstraßen. Mecklenburg war eine vollkommen andere Welt. Verschlafene Dörfer, endlose Felder, wo noch in schönster Eintracht Getreide, Kornblumen und Klatschmohn zusammen wuchsen. Feldlerchen sangen ihr Lied am fast wolkenlosen Himmel. Schon um diese Stille, den Frieden und die herrliche Natur zu genießen, legte ich regelmäßig Rauchpausen ein. Neubrandenburg kam in Sicht und von meinem Ziel, so verriet mir die ADAC-Karte meines Freundes, welcher diese, wahrscheinlich mehr aus nostalgischen Gründen, immer in der Seitenablage liegen hatte, trennten mich nur noch rund 50 Kilometer.

Dörfer tauchten auf, wo die Zeit um 1950 herum stehen geblieben zu sein schien. Ab hier kannte ich mich bestens aus. Nervend meckerte das Navi, beschwerte sich, dass ich aus der Jugendzeit bekannte Abkürzungen nahm. Hals umdrehen der geschwätzigen Tante in Form von „Klick und aus“ erfolgte. Ortsschild, neu, denn die politischen Verhältnisse hatten sich geändert, tauchte auf. Vor mir lag das Dorf und alles sah aus wie immer. So wie ich es vor 30 Jahren erlebt hatte und in Erinnerung habe. Lediglich dass viele Häuser nicht mehr grau in grau wie „bei Sonnenkönig Erich“ präsentierten, sondern modern hergerichtet waren. Auch die Straße hatte von Kohl’schen „Aufschwung Ost“ einen neuen Belag spendiert bekommen, hatte das rutschige Kopfsteinpflaster ersetzt. Dafür waren die einst im Ort ansässigen landwirtschaftlichen Betriebe verschwunden. Ziel erreicht, ich stieg vor einem kleinen Haus aus, drückte den verspannten Rücken durch, streckte die Arme.

Meine Tante und deren jüngster Sohn kamen aus der Tür, fragten hilfsbereit, ob ich etwas suche. Grinsend bejahte ich die Frage, begann meinerseits Fragen zu stellen, gab mich nicht zu erkennen. Länger als 10 Minuten dauerte es, bis auf der Gegenseite der Groschen fiel. Über 30 Jahre nicht gesehen, wurde dieser Besuch zur Sensation – genau wie früher auch. Kaffee und Kuchen wurde aufgetafelt. Kuchen vom Bäcker, denn jetzt gab es einen im Dorf, was die früheren Parteibonzen in 40 Jahren DDR nicht hinbekommen hatten. Bis auf mehr und tiefere Falten im Gesicht hatte sich die Tante nicht verändert, es war es herzlich und familiär wie immer.

Redselig, oder eben wortkarg, wie es die Situation oder das Thema gerade erforderte. Wenn schon wortkarg, kamen nur Fakten, kein überflüssiges und ausschmückendes Gelaber herum. Nachbarn stießen hinzu und beim Kaffeeklatsch gab es weitere Informationen. Ältere Dorfbewohner steuerten reichlich Namen und Geschichten bei. Letztendlich endete der Tag wie gewohnt. Kartoffelsalat wurde angerichtet, Grill an, Schweinernes darauf und sämtliche Vorräte an Bier und Hochprozentigen wurden erbarmungslos vernichtet.

Aufgewacht bin ich erst spät. Cousin schlief noch, dessen Bier war möglicherweise schlecht gewesen, denn er beglückte mehrfach lautstark in der Nacht das Bad und schaute nach dem Aufstehen aus, wie zweimal durch die Kanalisation gespült. Frühstück konnte er nur mit reichlich Bier, starkem Kaffee, Marmeladenbrot und Rollmops ertragen. Entsetzt nahm ich den Besuch einer jungen Frau zur Kenntnis, welche mir um den Hals fiel, mich stürmisch begrüßte. Blöd – mit der hatte ich mal zarte Bande gesponnen, wohnte Tür an Tür mit meiner Tante. Gertenschlank, dunkelblond, blaue Augen. Zum Anbeißen und jetzt folgt garstige das Wort „Damals“, denn die Gegenwart sah anders aus. Titten in einer Größe, wo ich das Fürchten bekam und 40 Kilogramm Übergewicht, ohne erst eine Waage zu bemühen, waren mit Sicherheit nicht übertrieben. Drei Kinder nannte sie ihr Eigen, hatte zwei Ehen hinter sich, daraus ihre Schlussfolgerungen gezogen und lebt in einer Lebensgemeinschaft mit einer Miniaturausgabe von „Der Bulle von Tölz“, an welchem sie kaum ein gutes Haar ließ.. Janina, so der Name der ehemaligen Schönheit, war jederzeit bereit für einen weiteren Wechsel – nun aber ohne gerichtlichen Stress und Kosten. Ich musste weg.

Nachdenklich stand meine Tante am Tor, schaute mir nach, ahnte wohl instinktiv (behielt leider auch Recht), dass es unsere letzte Begegnung auf dieser Welt sein würde. Abschied quer durch das halbe Dorf erfolgte und runter ging es nach Görlitz, der zweigeteilten Stadt an der Oder. Hatten die Alliierten ganz Deutschland zerstückelt, später letzten Endes zweigeteilt, geschah selbiges mit Görlitz durch die Polen und „Väterchen“ Stalin, einem der größten Massenmörder der Menschheit. Jenseits der Oder–Neiße–Grenze nennt sich die Stadt heute Zgorzelec. Kein Reiseziel für irgendwelche Besichtigungen oder Aktivitäten meinerseits, sondern reiner Ort zur Durchfahrt ins Landesinnere. Ab hier begann meine Suche im Nirgendwo nach den Wurzeln des weiblichen Zweiges meiner Familie. Dem Zweig, welcher von Ost nach West durch den Krieg vertrieben wurde.

Fremdes Polen

Nach Überquerung der Brücke befand ich mich im Nachbarland, welches mir neu und unbekannt war. Zielsicher gab mir das Navi mit seiner schmachtenden Frauenstimme die Route vor und ich verließ in Bunzlau, dort wo die hübsche Keramik herkommt, die Autobahn. Heute nennt sich der Ort Bolesławiec. Fortan ging es nur noch über Dörfer, in denen die Zeit irgendwo zwischen Mittelalter und 1900 stehen geblieben zu sein schien. Fortgeschrittener Verfall leer stehender Häuser, wechselt sich mit unglaublicher Armut und einigen wenigen neuen Häusern ab. Landschaftlich hingegen zeigte sich alles geradezu surreal schön. Reiseveranstalter jeder Art würden die Wiesen mit ihren unzähligen Blumen als „saftig grün“ beschreiben; da ich jedoch keine Kuh bin, konnte ich das mit dem saftig nicht bestätigen. Endlos scheinende Felder mit reifem Getreide wogten im Wind. Kaum, dass man Fahrzeuge oder Menschen traf. Immer wieder machte ich kurz Halt, um Fotos zu schießen. Bei der Ortseinfahrt nach Wahlstatt (heute Legnickie Pole) kam es völlig unerwartet zu einem Problem, womit ich bei dem neuen Wagen nicht gerechnet hatte.

Begleitet von einem Warnton, blinkte die Kühleranzeige. Runter vom Gas und am Wegesrand anhalten. Neugierig schauten ein paar Bauern herüber, steckten die Köpfe zusammen. Ein Blick unter die Motorhaube ließ mich sofort das Dilemma ersehen. Ein Klemmring hatte sich vom Kühlerschlauch gelöst, welcher natürlich genauso weg war, wie das nötige Kühlwasser. Guter Rat war teuer. Unverhoffte Hilfe nahte stehenden Fußes. Zwei Männer besahen sich den Schaden, grinsten und verschwanden, um nur Minuten später mit einem Klemmring zu erscheinen. Keiner sprach Deutsch, ich kein Polnisch, Englisch schien unbekannt zu sein. Hände und Füße kamen zum Einsatz. Nicht lange, hatte sich eine Menschentraube gebildet, welche sich mehr oder weniger fachmännisch Auto und den Schaden besahen und diskutierte. Jeder scheinbar den verlorenen Ring mit anschraubte, denn die im Wagen fummelnden Finger waren unüberschaubar. Kaum 15 Minuten später war der Fehler behoben. Eilfertig tauchte eine Oma mit Gießkanne und Trichter auf. Glucksend füllt sich der Kühler. Motor gestartet, alles in Ordnung. Ringsum erleichtertes Gelächter, Schulterklopfen war angesagt und ich wurde von den beiden Männern zum Essen eingeladen. Bauernbrot, selbst gemachte Wurst, Schinken und Käse wurde aufgetafelt. Wodka, klar doch, ebenfalls selbst gebrannt, machte die Runde und an eine Weiterfahrt war nach drei Gläsern nicht mehr zu denken.

Bei den drei Gläsern blieb es jedoch nicht. Bier ergänzte die Liste, später noch Wein und der stammte ebenfalls aus Eigenproduktion, hätte auf jeder Ausstellung den ersten Preis für mit Zucker gesüßten Essigs gewonnen. Dafür torkelte ich kurz vor Mitternacht auf ein gut durchgesessenes Sofa, welches außerdem sicherlich einen halben Meter zu kurz war. Immerhin gab es eine fusselige und kratzige Decke, welche mich Kamelhaar erinnerte, und einige Sofakissen dazu.

Früh am Morgen blinzelte ich mit dickem Kopf und schmerzendem Kreuz in die Sonne und mir fiel der gestern gesehene Brunnen mit der Handpumpe ein. Raus, Oberkörper frei machen. Eimer mit Wasser füllen und mit spitzen Fingern in der eiskalten Brühe Katzenwäsche halten. Zu mehr fehlte mir der Mut. Einfach so den Eimer über den Kopf kippen, wie oft in Filmen zu sehen? Nein! Man rief nach mir und mein Name war das einzige, was bei meinen Gastgebern an Deutsch vom gestrigen Abend hängen geblieben ist. Bei mir waren es immerhin zwei Namen. Verständigt hatten wir hatten uns den Abend über mühsam mit meinen rudimentären Russisch. Ausreichend, um gemeinsam Spaß zu haben und den Rest an Spaß lieferte Bruder Alkohol.

Typisches Bauernessen landete zum Frühstück auf den Tisch. Spiegelei mit Speck, Brot, Schinken. Marmelade und Kaffee dazu. Jede Art von Verständigung lief erneut über Hände und Füße und russischen Wortfetzen. Wohl wissend, was geschehen kann und entsprechend vorsichtig, fragte ich nach, was ich für die Hilfe schuldig bin. Heftig wurde abgewehrt, dafür Telefonnummern und Adressen ausgetauscht. Draußen am Auto war erneut das halbe Dorf zur Verabschiedung angetreten.

---ENDE DER LESEPROBE---