Liebe - und tu, was du willst! - Christof Breitsameter - E-Book

Liebe - und tu, was du willst! E-Book

Christof Breitsameter

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Beschreibung

Die Rede von der kirchlichen Sexualmoral suggeriert das Bild einer zeitenthobenen, immer gültigen katholischen Lehre. Ein historischer Blick zeigt aber ein viel wechselvolleres und widersprüchlicheres Bild – mit überraschenden Folgen insbesondere für die zeitgenössische Bewertung von Empfängnisverhütung und Homosexualität. Der vorliegende Band arbeitet dabei Schritt für Schritt den Stellenwert der Liebe für menschliche Intimität heraus und entwirft ein frei machendes und frei setzendes Verständnis der Sexualmoral.

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Christof Breitsameter

Liebe – und tu, was du willst

Franziskanische Akzente

herausgegeben von Mirjam Schambeck sf undCornelius Bohl ofm

Band 40

CHRISTOF BREITSAMETER

Liebe – und tu,was du willst

THESEN ZUR KIRCHLICHENSEXUALMORAL

Herzlicher Dank geht an Elisabeth Herzog für die sorgfältige Zuarbeit bei den Korrekturen sowie an die Sponsorinnen dieses Bandes, die nicht genannt werden wollen.

Der Umwelt zuliebe verzichten wir bei diesem Buch auf Folienverpackung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abruf bar.

1. Auflage 2024

© 2024 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter.de

Umschlag: wunderlichundweigand.de

© Coverfoto: Mr. Nico / photocase.de

Innengestaltung: Crossmediabureau, Gerolzhofen

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

ISBN

978-3-429-05942-2

978-3-429-06641-3 PDF

987-3-429-06642-0 epub

Inhalt

Vorwort

1. Die grundlegende Logik der traditionellen Sexualmoral

2. Zwei Klassen von Normen

Starke Normen

Schwache Normen

Biblische Zeugnisse

Die Abwertung der sexuellen Lust durch die christliche Theologie

Augustinus

Thomas von Aquin

Zaghafte Veränderungen

3. Systematischer Zusammenhang

Generativ folgenlose Akte

Konsumatorisches und ludisches Begehren

Der Mythos von der Ganzhingabe

Was meint „offen für Zeugung“?

Sexuelles Selbstverhältnis: Zur Beurteilung der Masturbation

Gibt es Normen der Liebe?

Ungeteilte Aufmerksamkeit

Unersetzlichkeit und Einzigartigkeit

Minimale Ehe

Der Sinn von Normen

4. Eine kurze Bilanz

Anmerkungen

Zum Weiterlesen

Vorwort

Liebe, und dann tu, was du willst, so lautet ein berühmter, von Augustinus geprägter Satz. Folgt man seinem Wortlaut, müsste man schließen, vieles in unserer Welt ließe sich normieren, nur nicht die Liebe. Die Liebe scheint ihre eigene Norm zu sein. Nun wissen wir allerdings, dass sich die Gesellschaft in geradezu exzessiver Weise der Liebe bemächtigte, indem sie Formen und Normen kombinierte: Einige Erscheinungsweisen der Liebe wurden als erlaubt, andere als unerlaubt klassifiziert. Ziel dieser Abhandlung soll es schlichtweg sein, die Gründe dafür aufzudecken. Es wird sich zeigen, dass die traditionelle Sexualmoral einen nachvollziehbaren Sinn barg – abhängig von den gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen sie entstand. Konsequent muss überprüft werden, ob dieser Sinn in der modernen Gesellschaft weiterhin existiert.

1. Die grundlegende Logik der traditionellen Sexualmoral

These 1: Die traditionelle Sexualmoral zielt auf die Hervorbringung legitimer Nachkommen.

Ich möchte im Verlauf dieser Überlegungen drei Vorurteile korrigieren: die traditionelle Sexualmoral sei ein Spezifikum der christlichen Theologie, sie sei weltfremd und sie wirke repressiv. Tatsächlich verbindet sich diese Moral mit verschiedenen Kulturen, zum Teil über viele Jahrhunderte hinweg: Nicht nur Zeugnisse im Alten und Neuen Testament, sondern auch in der griechischen und römischen Antike teilen mit der christlichen Theologie einen Bestand von Normen, die sexuelle Akte regeln. In den meisten Kulturen – auch in den drei genannten – wird die Fähigkeit, Nachkommen zu zeugen, von der gesellschaftlichen Legitimation zur Zeugung von Nachkommen getrennt. Sachlich ist damit auf das Vermögen abgehoben, Kinder auch zu ernähren und zu erziehen, sozial werden die möglichen Ehepartner bezeichnet, und zeitlich treten Geschlechtsreife und Eheschließung – zum Teil deutlich – auseinander. Eine geschlechtliche Verbindung war, wenn man so will, keine private Interaktion, sondern Teil eines sozialen Transaktionsprozesses. Sie wurde vielfach unter den Familien ausgehandelt. Wo sich Begehren und Zuneigung abseits familiärer Kalküle einstellten, konnte etwa eine frühe Verlobung oder Ehe diese Passion neutralisieren. Auch die Knabenliebe in der Antike mochte ein Weg gewesen sein, sexuelle Energien in gesellschaftlich erwünschte Bahnen zu lenken, und natürlich die Verehrung der gesellschaftlich nicht erreichbaren Frau im Mittelalter. Gleichwohl zeigen sich feine Differenzen, auf die ich eigens zu sprechen kommen werde: Der Vergleich von Aussagen der biblischen Schriften, der antiken Philosophie und der antiken Theologie zur sinnlichen Liebe erweist die Eigenständigkeit dieser drei Reflexionskulturen, die zwar in sich wiederum keineswegs homogen sind, aber doch charakteristische Eigenschaften aufweisen: die antike Philosophie in der vernünftigen Begrenzung, die biblischen Schriften in der affektiven Entgrenzung und die antike Theologie in der erbsündlichen Bestimmung der Liebe.

Normen, die die Erzeugung von Nachkommen auf gesellschaftlich legitimierte Formen beschränken, entwickelten sich in spezifischen gesellschaftlichen Verhältnissen. So war etwa im Mittelalter die Akzeptanz vorehelicher Beziehungen und illegitimer Kinder in wohlhabenden bäuerlichen Milieus oder beim privilegierten Adel häufig ausgeprägter als innerhalb des städtischen Handwerks.1 Das Erfordernis, für die Erzeugung von Nachkommen das entsprechende Vermögen mitzubringen, führte dazu, dass Menschen, die nicht begütert waren, gar nicht oder erst spät heirateten bzw. die Zahl ihrer Kinder beschränkten. Die traditionelle Sexualmoral, wie hier vereinfachend formuliert werden soll, wird daher von einer gemeinsamen Logik getragen: Sie gilt der Erzeugung legitimer, also erbfähiger Nachkommen. Durch entsprechende Normen soll der Fortbestand einer Familie und einer Gesellschaft sichergestellt werden. Die grundlegende Institution dafür ist die Ehe. Von daher soll das erste Vorurteil widerlegt werden, die traditionelle Sexualmoral sei ein Spezifikum der christlichen Theologie.

Unmittelbar einsichtig ist, dass das Hervorbringen von Nachkommen für den Fortbestand einer Familie wie einer Gemeinschaft entscheidend ist. Außerdem hatte die Bindung einer Familie an Grund und Boden lange Zeit hohe Bedeutung. Ehe- und Erbrecht sind vor diesem Hintergrund traditionell eng miteinander verknüpft: Die Erzeugung von Nachkommen und die Weitergabe von Eigentum gingen in der Regel Hand in Hand. Deshalb lagerten sich an das Eingehen einer sexuellen Beziehung zahlreiche Normen und Riten an. Vor dem Hintergrund der Verknüpfung von Fortpflanzung und Eigentum war es nicht nur geboten, einfach Nachkommen, sondern legitime Nachkommen hervorzubringen. Wir können daraus schließen: Weil es (1) um den Fortbestand einer Familie sowie einer Gemeinschaft ging, wurde der Normierung sexueller Akte hohe Bedeutung zugemessen; weil es (2) galt, die Legitimität der Nachkommen zu sichern, kam, je nach Kontext, der Verlobung oder der Eheschließung ein besonderer Rang zu. Aus beiden Erfordernissen lassen sich die zwei dominanten Ziele der Ehe ableiten, nämlich das Hervorbringen von Nachwuchs und die Vermeidung von Untreue. Beide Zwecke ergeben, zusammengenommen, die Hervorbringung legitimer Nachkommen. Wenn neben der Ernährung auch die Erziehung der Nachkommenschaft hinzugezählt wird, ergibt sich ein weiteres klassisches Ziel der Ehe, nämlich die Beständigkeit einer Verbindung. Die Lehre von den Ehezwecken, die in der christlichen Theologie eine so bemerkenswerte Karriere entfaltete, ist hier bereits grundgelegt: Die Hervorbringung, Ernährung und Erziehung von Nachkommen innerhalb einer treuen und beständigen Lebensgemeinschaft der Gatten kennzeichnen die grundlegenden Zwecke der Ehe – auch in paganen Kontexten.

Von daher ist es nachvollziehbar, dass Heiraten strategisch eingesetzt wurden, um Wohlstand und Einfluss einer Familie zu sichern und, wo möglich, zu mehren. Wenn man vom Vermögen einer Familie spricht, sind darunter traditionell Güter genauso wie Ruhm und Ehre zu verstehen. Gesellschaften, in denen Heiraten aus politischen oder wirtschaftlichen Kalkülen heraus geschlossen wurden, werden auch als „Allianzgesellschaften“ bezeichnet. Man wird die Institution der Ehe nicht auf die Funktion reduzieren können, familiäre Kalküle bzw. Verwandtschaftsstrategien zu vereinen. Doch war die Ehe Voraussetzung dafür. Selbstverständlich war eine Ehe nicht nur in die Generationenfolge der Familie, sondern auch in das soziale Gefüge eines Gemeinwesens eingebettet. Die Ehe war jedenfalls nicht, was uns heute selbstverständlich scheint, die Angelegenheit zweier sich liebender Menschen: Man gründete keine Familie, die Familie bestand ja schon. Vielmehr bestimmten Eltern (der pater familias nahm eine herausgehobene Stellung ein) bzw. Verwandtschaftsgruppen nach den Maßstäben von Stand und Vermögen, wen ihre Kinder heiraten sollten. Die Übereinkunft der Familien war von daher lange Zeit wichtiger als die Zustimmung der künftigen Gatten.

Leidenschaftliches Begehren wirkte in dieser Logik als Störfaktor gegenüber familiären Kalkülen. Deshalb wurde die passionierte Liebe in der griechischen und römischen Welt als Krankheit bezeichnet, die es zu heilen galt – eine Beschreibung, die noch lange Zeit nachwirken sollte. Liebe ist Passion, weil sie den Menschen überfällt und zu unüberlegten Handlungen anleitet, Handlungen, die geeignet waren, den vernünftigen Kalkülen von Familie und Gemeinwesen zu widerstehen. Man kann deshalb an der Liebe auch leiden, wenn das eigene Begehren sich nicht erfüllt – Ovids „Pyramus und Thisbe“ ist ein berühmtes Beispiel dafür. Leidenschaftliche Liebe ist gefährlich, wenn es um die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung, sexuelle Neigung hinderlich, wenn es um die Erfüllung der ehelichen Pflicht geht. Es überrascht daher nicht, dass Liebe und Begehren nicht nur nicht als notwendige oder gar ausreichende Basis für eine Ehe angesehen wurden. Ehe und leidenschaftliche Liebe galten lange Zeit sogar als unvereinbar.

Allerdings wurden nur wenige Ehen im strengen Sinn arrangiert, weshalb junge Männer und Frauen meist beträchtliche Wahlmöglichkeiten genossen. Dadurch gab es zumindest Raum für affektive Bindungen, so dass Ehegatten einander freundschaftlich oder liebevoll zugetan sein mochten, wenngleich nicht mussten. Solche Gefühle konnten allerdings durch eine restriktive Heiratspraxis auch gelenkt sein. Man spricht dann von affektiver Konditionierung.2 Bezeichnenderweise entstanden zu einer Zeit, in der solche Arrangements nicht mehr selbstverständlich waren, Abhandlungen, die sich mit den Ursachen des Begehrens auseinandersetzten und diese klassifizierten, je nachdem, ob sie als erwünscht oder unerwünscht galten. Diese Auseinandersetzung mit den affektiven Komponenten des Begehrens zeigt bereits an, dass persönliche Motive, also Gründe der Liebe für das Eingehen einer Beziehung, an Kraft gewannen, weshalb sie bei Bedarf zurückgedrängt werden sollten, was freilich immer weniger gelang. Dabei stand die Lebensgemeinschaft der Eheleute, die ja zusammenpassen sollten, im Vordergrund, nicht passionierte Liebe. Dies gilt auch noch für die mittelalterliche Diskussion, die den Affekten der Partner erstaunlich viel Raum gab, ohne der passionierten Liebe den Vorrang vor der Ehe zuzugestehen.