Liebesbriefe und Frauenpower - Helmut Brixel - E-Book

Liebesbriefe und Frauenpower E-Book

Helmut Brixel

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Liebesbriefe und Frauenpower Das spannendste halbe Jahr von Veronika und Jessica! Sie wohnten während ihrer Ausbildung zur Bürokauffrau in einer WG und schlossen Freundschaft. Zwei Freundinnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, arbeiten beide in der Stadt. Gemeinsam fahren sie nach Büroschluss von der Innenstadt an den Stadtrand in ihre ruhige Wohngegend. Veronika lebt seit ihrer Scheidung vor fünf Jahren sehr zurückgezogen. Jessicas Bleibe liegt gegenüber und ihr Hobby sind Kriminalfälle. Den Mörder kennt sie bereits nach der Hälfte des Buches. Außerdem versucht sie ständig ihr privates Glück mit Männern zu erzwingen. Alles läuft wie jeden Tag, jede Woche, jeden Monat. Bis zu jenem denkwürdigen Montag. Die Einsiedlerin Veronika erhält einen anonymen Liebesbrief! Ab diesem Tag kommt Schwung in das eintönige Leben der Freundinnen. Erleben Sie das aufregendste halbe Jahr mit allen Höhen und Tiefen von und mit Veronika und Jessica!

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Seitenzahl: 540

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Liebesbriefe und Frauenpower

 

Das aufregendste halbe Jahr von Veronika und Jessica!

Sie wohnten während ihrer Ausbildung zur Bürokauffrau in einer WG und schlossen wahre Freundschaft. Zwei Freundinnen, die unterschiedlicher kaum sein können, arbeiten beide bei einer größeren Gesellschaft für Bürovermietung. Veronikas Tätigkeit liegt in der Personalabteilung und Jessicas ihre im Rechnungswesen.

 

Gemeinsam fahren sie nach Büroschluss von der Innenstadt an den Stadtrand in ihre ruhige Wohngegend. Veronika lebt seit ihrer Scheidung vor fünf Jahren sehr zurückgezogen. Jessicas Bleibe liegt gegenüber und ihr Hobby sind Kriminalfälle. Den Mörder kennt sie bereits nach der Hälfte des Buches. Ständig versucht sie ihr privates Glück mit Männern zu erzwingen.

 

Alles läuft wie jeden Tag, jede Woche, jeden Monat. Bis zu jenem denkwürdigen Montag. Die Einsiedlerin Veronika erhält einen anonymen Liebesbrief!

Ab diesem Tag kommt Schwung in das sonst monotone Leben der Freundinnen.

 

Erleben Sie das aufregendste halbe Jahr mit allen Höhen und Tiefen von und mit Veronika und Jessica!

 

 

 

 

 

Impressum

 

Texte:© 2024 Copyright by Helmut Brixel

Umschlag: © 2024 Copyright by Helmut Brixel

Verantwortlich für den Inhalt:

Helmut Brixel

Berliner Str. 39

71229 Leonberg

[email protected]

www.helmut-brixel.de

Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

 

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis 

Kapitel 1 ................ 30.06. - 03.07.

Kapitel 2 ................ 04.07. - 09.07.

Kapitel 3 ................ 10.07. - 14.07.

Kapitel 4 ................ 15.07. - 19.07.

Kapitel 5 ................ 20.07. - 26.07.

Kapitel 6 ................ 27.07. - 29.07.

Kapitel 7 ................ 30.07. - 04.08.

Kapitel 8 ................ 05.08. - 11.08.

Kapitel 9 ................ 12.08. - 19.08.

Kapitel 10 ............... 20.08. - 26.08.

Kapitel 11 ............... 27.08. - 02.09.

Kapitel 12 ............... 03.09. - 04.09.

Kapitel 13 ............... 05.09. - 23.09.

Kapitel 14 ............... 24.09. - 29.09.

Kapitel 15 ............... 01.10. - 07.10.

Kapitel 16 ............... 08.10. - 23.10.

Kapitel 17 ............... 24.10. - 03.11.

Kapitel 18 ............... 04.11. - 13.11.

Kapitel 19 ............... 14.11. - 18.11.

Kapitel 20 ............... 19.11. - 25.11.

Kapitel 21 ............... 26.11. - 29.11.

Kapitel 22 ............... 30.11. - 11.12.

Kapitel 23 ............... 12.12. - 19.12.

Kapitel 24 ............... 20.12. - 21.12.

Kapitel 25 ............... 21.12. - Teil 2

Kapitel 26 ............... 22-12. - 23.12.

Kapitel 27 ............... 24-12. - 27.12.

Liebesbriefe und Frauenpower

 

30 06 Sonntag

 

Die Hauptstraße führte aus dem Zentrum der Großstadt hinaus, durch das ruhige Wohnviertel mit einigen Läden und einem Sportplatz, vorbei an einem See bis zur nächsten Ortschaft.

Von dieser breiten Straße zweigten weitere Straßen ab. Diese waren mit unzähligen Betonblöcken, von drei oder vier Etagen, auf beiden Seiten gesäumt. An der nächsten Hausecke, ein paar Meter weiter von der Haltestelle der Straßenbahn, hing an der Mauer ein emailliertes Schild. Es zeigte von der Hauptstrecke in eine ruhige Fahrbahn und auf ihm war der Name Veilchenweg zu lesen.

In dieser kurzen Straße reihten sich auf jeder Seite fünf alte Gebäude mit je drei Etagen aneinander. Zur Häuserreihe der nächsten ruhigen Querstraße ruhte dazwischen eine prächtige Wiese mit Bäumen. Auf ihr tobten Kinder aus den angrenzenden Häusern miteinander herum. Am Rand hatten die Mülltonnen in einem Bretterverschlag ihren Platz, separat für jeden Hauseingang. Daneben ein Fahrradständer mit einem Dach darüber, neben einem alten Schuppen, der in alten Zeiten vermutlich als Gärtnerhaus gedient hatte.

Oben im zweiten Stock lag Veronikas Wohnung. Sie saß mit einem Buch auf ihrem Balkon. Neben ihr dampfte eine Tasse Kaffee auf einem Hocker. Die letzten warmen Sonnenstrahlen des Tages wärmten ihre hochgelegten Beine auf dem anderen Stuhl. Der Balkon bot einen freien Blick über ein paar Bäume bis zum Sportplatz. Das war das Zuhause von Veronika. Sie lebte lieber hier im ruhigen Viertel am Stadtrand als in der hektischen Innenstadt.

 

Mit ihren dunkelbraunen Haaren und dem burschikosen Kurzhaarschnitt sah Veronika dementsprechend attraktiv aus. Überhaupt, wenn sie ihr Gegenüber mit ihren wasserblauen Augen fast aufzusaugen schien, war dadurch derjenige fast wie hypnotisiert. Veronikas Figur war übertrieben schlank, mit ihren langen Beinen optisch allemal.

Ihre beste Freundin, mit Namen Jessica, hatte auf der anderen Straßenseite ihre Wohnung. Jessica war genau das Gegenteil von Veronika: hellbraune, fast blonde, lange Haare bis auf die Schultern und grün funkelnde Augen. Ein paar kleine Pfunde mehr auf den Rippen fand sie zudem für ihr Ego und ihre Figur ausgesprochen gut. Ihre Freizeit verbrachte sie meist mit flüchtigen Männerbekanntschaften und Lesen von Krimis. Eine quirlige und lebenslustige Erscheinung war ihr Markenzeichen.

Die zwei Freundinnen verdienten beide im selben Gebäudekomplex in der Stadt ihren Lebensunterhalt. Sie fuhren mit der Straßenbahn ins Büro und kamen zum Kaffeetrinken und Plaudern im Stadtcafé zusammen.

Veronika tat es gut, mit jemandem zu reden. Es gab selten Neues in ihrem stillen Privatleben, außer dass seit Jahren ein gut aussehender Mann auf der gleichen Etage wohnte. Nach ihrem Einzug hatte sie mehrmals versucht, mit ihm in Kontakt zukommen. Sie sah, wenn er heimkam, wartete ein paar Minuten und läutete an seiner Türklingel. Entweder wollte er nichts von ihr wissen oder hörte schlecht. Vielleicht sah er sogar durch den Türspion, um zu sehen, wer vor der Tür stand? Er hatte nie reagiert. Enttäuscht über diese weitere negative Erfahrung mit Männern kapselte sie sich noch mehr ab. Die nette alte Dame, die zwischen den beiden auf der Etage wohnte, traf sie häufiger, entweder am Briefkasten oder oben auf der Treppe. Sie grüßte stets freundlich, wie Veronika sie ebenfalls herzlichst grüßte.

 

Vor einem halben Jahr fing sich Veronika seelisch und moralisch ein wenig und versuchte erneut zu leben. Mit ihrer Freundin Jessica, die stellenweise solo war, ging sie Freitagabend in die Eisdiele oder in den Park, samstags zum Einkaufsbummel und Kaffeetrinken. Das brachte sie zurück ins reale Leben, unter andere Menschen, außerhalb des Büros.

 

♥ JULI ♥

 

01 07 Montag

 

Wie jeden späten Nachmittag schleppte sich Veronika müde von der Arbeit, mit einer Einkaufstasche beladen, am Hauseingang zum Briefkasten. Sie fand Werbung oder Informationsblätter zu Veranstaltungen, selten Brauchbares. An diesem Tag blitzte aus dem Einwurfschlitz eine weiße Ecke heraus. Sie schloss den blechernen Kasten auf und entnahm die gesamte Post, die aus einer Handvoll bunten Papieren bestand.

Oben in ihrer Wohnung legte sie zunächst den Papierstapel auf den Tisch und räumte ihren kleinen Einkauf in die Küchenschränke. Sie schnappte eine Flasche Mineralwasser aus dem Kasten und ließ sich am Küchentisch auf einen Stuhl fallen. Veronika nahm zunächst einen großen Schluck und zog mit dem einen Fuß den Schuh des anderen Fußes aus. Mit dem anderen Schuh verfuhr sie genauso. Sie streckte zur Entspannung ihre Füße und nahm die Post in die Hand und blätterte die einzelnen Seiten durch: Werbung, Werbung und nochmals Werbung. Bis auf das letzte Papier, das fast ganz in Weiß glänzte.

‚Nanu, kein Umschlag? Ein einfach zusammen gefaltetes Papier?‘, dachte Veronika. Als sie es aufschlug, las sie:

 

Liebe Veronika,

ich möchte Dir sagen, dass Du mein Herz im Sturm erobert hast.

Deine Ausstrahlung und Dein Lächeln bringen mich jeden Tag zum Strahlen.

Jeder Blickkontakt mit Dir ist wie ein kleines Abenteuer, das ich gerne mit Dir erlebe.

Jeder Moment mit Dir ist wie ein kostbares Geschenk, das ich in vollen Zügen genieße.

Deine Präsenz und Dein Lächeln lassen mich jedes Mal schwach werden.

Du bist meine Inspiration und mein Anker in stürmischen Zeiten.

Ich schätze Deine Freundlichkeit und Deine Unterstützung, die Du mir immer entgegenbringst.

Eine Zukunft ohne Dich kann ich mir gar nicht mehr vorstellen.

Danke, dass Du in meinem Leben bist.

Mit all meiner Liebe grüßt Dich

Dein treuer Verehrer

 

Veronika wurde es heiß und kalt zugleich. Ihr Herz schlug plötzlich bis zum Hals. Ihr Körper durchlief ein Wechselbad der Gefühle. Sie hatte den Eindruck, ihr bliebe die Luft weg. Veronika drehte den Zettel und suchte auf der Rückseite nach einem Namen. Keine Adresse zu entdecken! Auf der Vorderseite nichts, außer dem schönen Liebesbrief, der ihr Herz dermaßen berührte. Ihr Mund wurde trocken, sie nahm schnell einen großen Schluck Wasser.

Sie fand zwischen all den anderen Werbeblättern keinen Umschlag! Es war einzig diese einzelne Seite mit den wundervollen Zeilen! Ohne Absender.

 

Den Brief las Veronika von Neuem und noch einmal von vorn. Sie bezweifelte zuerst, was da auf dem Papier stand. In ihrem Kopf überschlugen sich die Fragen.

‚Ist der Brief wirklich für mich? Das Schreiben trägt meinen Vornamen und hat in meinem Briefkasten gesteckt! Ja, von wem stammt er? Wer hat mir diesen schönen Brief mit den wundervollen Zeilen geschrieben, der mein Herz derart berührt? Ich muss ihn unbedingt kennenlernen! Wenn ich nur wüsste, WER ES IST?‘

 

Die Fragen drehten sich unaufhörlich in ihrem Kopf. Veronika platzte beinahe vor Ungewissheit! Sie benötigte dringend jemanden, um darüber zu reden! Eine vertraute Person! Sie wusste sofort, wen sie anrufen musste.

Ihre beste Freundin Jessica war dafür genau die richtige Person! Bei fast jeder Hälfte des Krimis kannte sie bereits den Mörder. Kriminalfälle waren ihr Hobby. Außerdem kannte sie ein paar bestimmte Personen, die sie bei ihren bisherigen Nachforschungen unterstützt hatten. Sofort rief Veronika bei Jessica an und ließ es länger läuten.

Im Wohnblock schräg gegenüber klingelte das Telefon. Jessica kam aus dem Bad, wo sie kurz davor unter der Dusche gestanden hatte.

»Ja, ja! Ich bin unterwegs und gleich da«, rief sie und trocknete nebenher ihren nackten Körper fertig ab. Endlich hob Jessica ab. »Hallo?«

»Jessica? Hier ist Veronika. Ich brauche dringend deine Hilfe. Bei mir im Briefkasten lag ein Brief.« »Das ist schön für dich, es ist deine Post.«

»Ja, stimmt. Sie ist für mich. Einen so netten Liebesbrief habe ich bisher nie erhalten.« Jessica fiel das Badetuch aus der Hand.

»WAS hast du bekommen? Einen Liebesbrief? Das ist etwas vollkommen anderes! Wo sollen wir uns treffen? Den muss ich unbedingt sofort lesen!«

»Ich bin so durcheinander, kommst du kurz zu mir rüber?« »Okay. Dauert keine fünf Minuten. Bis gleich!«

Veronika legte auf und überlegte weiter, wer der Briefschreiber sein konnte. Ihr Herz schlug wieder kräftiger, als sie auf den Brief sah.

Jessica sprang in das Kleid und die Schuhe und es bedurfte allein die paar Schritte quer über die Straße und sie war dort. Oben schnaufend, wegen der vielen Treppen im zweiten Stock angekommen, wurde sie bereits ungeduldig von Veronika an der offenen Tür erwartet. Die zwei Frauen gingen aufgeregt hinein und schlossen schnell die Tür. Am Tisch nahm Jessica Platz. Sie warf ihre Handtasche hin, nahm gleich das Papier in die Hand und las neugierig. Als sie geendet hatte, sah sie kurz zu Veronika auf und schnaufte laut und hörbar tief durch. Jessica las den Brief ebenfalls sofort, zum zweiten Mal, als hätte das Schreiben seine volle Wirkung bisher nicht entfalten können.

»Mein Kompliment! Wo hast du das tolle Mannsbild aufgegabelt?«

»Wenn ich das wüsste. Ich hab’ keine Ahnung, von wem der Brief ist!«

»Wenn mir das passiert wäre, ich hätte gleich an die zehn Männer im Verdacht …«, kam von Jessica, die das Papier ein paar Mal umdrehte und nichts Weiteres entdecken konnte. Auf der Vorderseite stand außer der Beteuerung seiner Liebe zu ihr kein einziger Hinweis auf den verliebten Absender.

 

Jessica startete im Geiste sofort die normale Prozedur der Untersuchungen bei ihren Kriminalromanen. Sie begann mit dem Umfeld von Veronika.

»Meine Liebe, er kennt dich gut, denn er schreibt dich mit deinem Vornamen an. Und du weißt bestimmt nicht, von wem?«

»Nein. Ich steh’ vollkommen auf dem Schlauch«, Veronika lief gereizt hin und her und gestikulierte mit ihren Händen, um das Gesagte zu unterstreichen. »Ich habe hin und her überlegt, wer mich im Haus mit Vornamen kennt. Niemand! Auf meinem Türschild, neben dem Klingelknopf und auf dem Briefkasten steht überall einzig V mit einem Punkt als Abkürzung für meinen Vornamen. Das habe ich vor fünf Jahren wegen meines Ex gleich im Anschluss der Scheidung und dem Umzug angefangen. Selbst er weiß nicht, wo ich jetzt wohne. Und ausgerechnet der? Nein, das kann ich mir kaum vorstellen! So etwas Schönes bekommt der nie hin!«

»Das wollte ich eben fragen«, warf Jessica kurz ein.

»Außerdem ist der viel zu sehr mit seinem Flittchen beschäftigt«, kam abfällig von Veronika und ballte ihre Fäuste, als wollte sie jemanden boxen.

»Und wenn er … vielleicht möchte er zurück zu dir?«, ließ Jessica es auf einen weiteren Versuch ankommen.

»Der weiß ganz genau, er hatte seine Chance! Der Typ ist seit einer Ewigkeit für mich Geschichte! Aus und vorbei! Mit dem will ich nichts mehr zu tun haben! Und davon abgesehen, so schön schreiben kann er ohnehin nicht.« Veronika warf ihre Hände in die Luft und schritt weiter durch den Raum.

‚Schön schreiben‘, ging durch Jessicas Kopf. Jetzt erst fiel ihr auf, dass der Brief vielleicht von Hand geschrieben sein konnte. Denn im ersten Augenblick hatte sie an eine spezielle Schriftart auf dem Computer gedacht.

»Weißt du was? Wir zwei machen morgen Nachmittag frei und gehen zu einem Computer-Freak! Da kenne ich einen. Der soll uns mit dieser Schrift weiterhelfen. Vielleicht bekommt er mehr über den Schreiberling heraus.«

Beide junge Frauen saßen eine Weile zusammen und beratschlagten. Alle Ansätze liefen ins Leere. Jessica war erfreut über den lieben Brief für Veronika, denn sie hatte in den vergangenen Jahren so gut wie keine Bekanntschaften.

‚Es wäre interessant, zu erfahren, wer den sehnsuchtsvollen Brief geschrieben hat. Den würde ich sehr gern kennenlernen‘, dachte Jessica. Sie nahm Abschied von Veronika, die durch den Besuch und das Gespräch bereits um einiges ruhiger am Tisch zurückblieb.

Jessica wusste genau, dass die nächste Zeit mit Veronika um einiges anstrengender werden könnte. Sie kannte letzten Endes ihre Freundin nur zu gut und wusste, dass sie in den nächsten Tagen häufiger als ihr persönlicher Rettungswagen im Einsatz sein würde. Eben deshalb benötigte Jessica eine Stärkung. Eine Kräftige, am besten von innen. Und am liebsten von einem Mann. Sie rief von zu Hause aus einen Bekannten auf seinem Mobiltelefon an.

»Hallo. Hier ist Jessica. Hast du heute Zeit für mich?«

»Ich wollte gerade Feierabend machen. Gib mir ein paar Minuten, um mich frisch zu machen. Wo sollen wir uns treffen?«

»Geht es heute bei dir zu Hause, mein kleiner Prof?«

»Okay, in einer Stunde.«

»In Ordnung. Küsschen.« »Auch Küsschen.«

Jessicas Bekannter saß in der Uni im Keller zwischen vielen alten Büchern. Er suchte und las, fotografierte mit dem Tablet, schickte die Bilder an seinen alten Computer, auf dem er alles zusammenfasste. In seinem hellgrauen Kittel sah er für sie wie ein Professor aus. Deshalb nannte sie ihn liebevoll ‚Prof‘.

Worüber er genau schrieb, wusste und interessierte Jessica nicht. Sie war lediglich an seiner Männlichkeit interessiert. Denn die schien immer zu halten, was er ihr versprach. Jessica ging ins Bad und das kalte Wasser erfrischte sie. Etwas Besonderes zog sie hinterher für ihren Prof an und stöckelte darauf zur Straßenbahn.

Vier Stunden später kam Jessica mit einem Taxi zurück. Sie zahlte die paar Euro für die Fahrt, denn diese kurze Nacht mit ihrem Prof war es wert gewesen. Breitbeinig und müde stieg sie die Treppen hinauf zu ihrer Wohnung.

Kurz geduscht und schnell abgetrocknet, fiel sie rückwärts aufs Bett. Erst jetzt spürte sie ihren strapazierten Unterleib. Das berauschende Gefühl, glücklich gewesen zu sein, überwog jeden Schmerz. Sie war von ihrem Prof bis zum Äußersten befriedigt worden und betrachtete nun Veronikas Problem mit aller Gelassenheit. Ein Gedanke schwirrte plötzlich durch Jessicas Kopf.

‚Warum habe ich nie einen Liebesbrief bekommen? Alle Männer, die ich bisher kennengelernt habe, mit denen habe ich mich mindestens zwei oder dreimal hintereinander getroffen. Keiner von ihnen hat mir jemals so einen schönen Brief geschrieben. Wieso nicht?‘

 

02 07 Dienstag

 

Veronika und Jessica konnten es am nächsten Tag kaum erwarten, in die Mittagspause zu gehen. Hinterher wollten sie zu diesem ‚Nerd‘ gehen, wie Jessica ihn nannte. Welcher Mensch das auch sein könnte, dachte Veronika. Sie trafen einander in der Kantine und Jessica hatte Hunger. Sie aß erst kräftig zu Mittag. Veronikas Magen revoltierte anfangs und sie nahm deshalb ein trockenes Brötchen mit einer Tomate. Mehr wollte vor lauter Aufregung absolut nicht rein.

Beim Nerd angekommen wurde ihnen die Tür von innen geöffnet, hinter der ein langer Bart mit einem jungen Mann stand. Sie gingen zu dritt durch einen langen Flur in sein Heiligtum, wie er es bezeichnete. Seine Designer-Jeans hing an seinem Hintern tiefer, als ein Mann sie sonst anzog. Sie achtete auf seine Spalte zwischen den Po-Backen. Veronika erwartete bei jedem seiner Schritte, dass er die Hose verlieren würde. Zu ihrem Erstaunen rutschte sie keinen Zentimeter.

In seinem fast abgedunkelten Zimmer schaltete der Nerd eine kleine Lampe an und setzte sich an eine große Holzplatte. Sie diente ihm als Arbeitstisch. Darunter und darüber betrachteten die Frauen sein Reich. Eine Wand voller Bildschirme in allen Größen, auf denen Uhren drehten oder Wasserfälle still dahin plätscherten. Davor lagen zwei Tastaturen. Einige Lüfter röhrten metallisch aus schwarzen Kisten. Sporadisch blinkte einer von denen in Rot, der andere in Blau. Der sogenannte Schreibtisch war fast vollständig von schwarzen verkabelten Kisten in verschiedenen Größen bedeckt. Veronika wurde zusehends blasser beim Anblick der vielen Elektroniksachen, denn solche Teile in diesem Ausmaß hatte sie nicht erwartet. Jessica stand neben dem Bartträger an seinem Stuhl.

 

»Wie kann ich helfen?«, kroch die junge Stimme unter dem Bart hervor. »Wir haben hier einen Brief und wollen wissen, von wem. Kannst du an der Schrift des Computers feststellen, mit welchem Gerät das geschrieben wurde?«, fragte Jessica den Herrn.

»Vielleicht. Darf ich mal sehen?«, kam vom Bart und er nahm den Brief und zog mit der anderen Hand eine große Lupe mit einer Lampe darunter näher heran. Er knipste das kleine Licht an und betrachtete durch die Lupe das Papier.

»Mmh. Ich glaube fast, das stammt kaum aus einem Drucker. Wartet mal kurz.« Er zog einen flachen schwarzen Kasten, ein wenig größer als der Brief, aus einer Schublade unter der Platte und schob mit dem Arm ein paar flache Kisten auf die Seite. Auf diesen gewonnenen freien Platz stellte er das Ding ab. Jetzt war wieder alles bedeckt!

Der Bartträger klappte einen Deckel des schwarzen Kastens auf und legte den Brief hinein. Er schloss den Deckel und ein leiser Summton ertönte. Ein wanderndes Licht an der Seite war zu sehen. Der Bartmensch lehnte sich in der Zwischenzeit gemütlich zurück. 25 Sekunden später erschien der Brief auf einem seiner Bildschirme. Der Nerd vergrößerte ein paar Ausschnitte auf dem zweiten Monitor und schob mit der Maus ein Schnipsel unter das andere. Am Ende standen einige Wörter stark vergrößert auf dem Monitor.

 

»Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass der Brief auf einem Farbdrucker entstanden ist. Das stimmt. Seht mal hier. Als Beispiel der kleine Buchstabe e. In vier Wörtern kommt der Buchstabe siebenmal vor. Jedes Mal sieht der Buchstabe ein wenig anders aus. Das ist definitiv nicht aus einem Drucker, sondern von Hand geschrieben. So eine schöne Handschrift habe ich noch nie gesehen. Das sieht eindeutig geil aus! Viel schöner als eine schnöde SMS mit unterdrückter Nummer«, erklärte der Nerd.

Jessica und Veronika dankten und verabschiedeten sich von dem Bart mit Mann und gingen ins nächste Café, um geistigen Abstand von der Elektronik zu bekommen.

Veronika bestellte ein kaltes Mineralwasser und Jessica eine Tasse Kaffee. Jessica hatte sich vom Nerd mehr erhofft. Sie konnten nach dem jetzigen Stand sicher sein: Der Brief war von Hand geschrieben. Sie legten den Brief auf den kleinen Tisch und lasen ihn nochmals. Eine ältere Dame als Bedienung kam zurück, stellte Jessica den Kaffee hin und reichte Veronika das Glas mit dem Wasser. Ein einzelner Tropfen, der am kalten Glas entstanden war, löste sich. Er fiel direkt auf den Brief. Veronika nahm ihre Papierserviette und tupfte den Tropfen vorsichtig weg. Ein hellblauer Fleck kam zum Vorschein. Aus der Schlusszeile ‚Dein treuer Verehrer‘ entstand ‚Dein Klecks Verehrer‘. Die Bedienung sah dies und entschuldigte sich sofort für das Missgeschick.

»Macht nichts. Geht in Ordnung«, beruhigte Veronika die ältere Dame. »Sie sollten aufpassen, dass sie keine Tinte an ihre Kleidung bringen. Die geht nämlich schlecht raus«, ergänzte die ältere Bedienung. Veronika dankte ihr für die freundliche Aufmerksamkeit.

»Tinte! Und Handschrift!« Rief Jessica. Sie hatten dadurch zwei Hinweise. »Wer schreibt heute noch von Hand? Okay, bestimmt viele Menschen. Überhaupt, wenn sie unterwegs sind«, überlegte Jessica laut. Sie hatte lediglich das Tippen auf den Handys in Erinnerung.

»Mh. Und wer schreibt heute von Hand und mit Tinte? Der Nerd hatte einen Farbdrucker erwähnt?« Jessica ließ es keine Ruhe und rief ihn an. Ja, er hatte Farbdrucker gesagt, er dachte, sie wüssten, dass es Tinte war. ‚Wieder einen Pluspunkt für den Nerd! Der Junge ist bald besser als ich!‘, dachte Jessica.

»Jetzt haben wir jetzt zwei Angaben: handschriftlich und mit Tinte!«, meinte Jessica leicht enttäuscht. Sie machte Veronika den Vorschlag, zu ihr zu gehen, da hätten sie an ihrem Esstisch mehr Platz.

 

Bei Veronika in der Wohnung angekommen, nahmen sie gleich am großen Tisch Platz und legten den Brief in die Mitte. Jessica zog aus ihrer Handtasche einen Block und einen Kugelschreiber, die sie beide auf den Tisch legte. Jessica vermutete einen Zusammenhang zwischen dem Geschriebenen und ihr.

»Ich lese dir eine Zeile nach der anderen vor, und du sagst mir, was dir spontan dazu einfällt. Probieren wir’s?« »In Ordnung.«

Zeile für Zeile wurde der Brief abgearbeitet.

 

‚Ich möchte Dir sagen, dass Du mein Herz im Sturm erobert hast.‘

»Wen soll ich um den Finger gewickelt haben? Und gleich im Sturm dazu? Ich kenne keinen, den ich in diese heikle Situation gebracht hätte«, kam sofort von Veronika.

‚Deine Ausstrahlung und Dein Lächeln bringen mich jeden Tag zum Strahlen.‘

»Ich sehe ihn lächelnd an? Er sieht mich jeden Tag? Und er strahlt zurück? Wer kann das sein? Mir fällt niemand dazu ein!«

‚Jeder Blickkontakt mit Dir ist wie ein kleines Abenteuer, das ich gerne mit Dir erlebe.‘

»Ich sehe beim Grüßen den Menschen immer ins Gesicht. Ich kenne keinen, der mich in letzter Zeit verliebt angesehen hat. Ich habe bestimmt niemanden so angesehen!«

‚Jeder Moment mit Dir ist wie ein kostbares Geschenk, das ich in vollen Zügen genieße.‘

»Mit wem bin ich kurzzeitig zusammen, dass für ihn diese Zeit so kostbar ist?«

‚Deine Präsenz und Dein Lächeln lassen mich jedes Mal schwach werden.‘

»Er sieht mich demnach öfter und ich lächle ihn an und bringe ihn dazu, dadurch schwach zu werden? Wahnsinn!«

‚Du bist meine Inspiration und mein Anker in stürmischen Zeiten.‘

»Wen soll ich so inspiriert haben? Wen habe ich beschützt, dass er mich in stürmischen Zeiten als seinen Anker sieht?«

‚Ich schätze Deine Freundlichkeit und Deine Unterstützung, die Du mir immer entgegenbringst.‘

»Ich bin freundlich und helfe jedem Menschen, was ist daran falsch?«

‚Eine Zukunft ohne Dich kann ich mir gar nicht mehr vorstellen.‘

»Wer hat mich ins Herz geschlossen, dass er mich so nett bittet?«

‚Danke, dass Du in meinem Leben bist.‘

»Der muss in meiner näheren Umgebung wohnen.«

‚Mit all meiner Liebe grüßt Dich Dein Klecks Verehrer‘

 

Der Brief warf mit jeder Zeile mindestens zwei neue Fragen auf, beschlich Jessica ihr Gefühl. Die zwei Freundinnen kamen trotz vieler Fragen und kaum Antworten in eine Sackgasse.

»Wenn es so ist, werden wir dein Umfeld erweitern müssen! Überdenke bitte deinen Tagesablauf. Wie sieht er aus, wen triffst du wann und wo?«

 

»Okay. Morgens gehe ich außer Haus, der Nachbar auf der gleichen Etage von gegenüber? Nein, längere Zeit nicht mehr gesehen.«

»Mh«, kam von Jessica.

»Am Briefkasten vorbei aus dem Haus auf die Straße. Um diese Zeit keinen Menschen getroffen«, erinnerte sich Veronika. »Die Schritte zur Straßenbahn, an der Haltestelle und in der Bahn selbst gibt es viele Menschen. Hauptsächlich Männer, die zur Arbeit fahren. Einige kenne ich vom Sehen, man grüßt und geht weiter.«

»Aha!«, warf Jessica ein. »Da könnte sich einer in dich verguckt haben?« Sie schrieb gleich das Wort ‚Straßenbahn‘ auf ihren Block. »Nein, nein«, schüttelte Veronika den Kopf. »Diese Männer sehen kurz von ihrer Zeitung auf und grüßen. Mehr ist da nicht! Es sind ausschließlich Männer, die mindestens fünfzehn bis fünfundzwanzig Jahre älter sind als ich. Damit scheiden die gleich aus!« Entmutigt strich Jessica die Straßenbahn von ihrer angefangenen Liste.

»Von der Haltestelle zum Büro gibt es kaum jemanden, außer dem Pförtner.« »Halt!«, bat Jessica und schrieb das Wort ‚Pförtner‘ auf. »Den kannst du gleich wieder streichen. Der geht in zwei oder drei Jahren in Rente.« Grinste Veronika. Erneut wurde der letzte Eintrag von der Liste gestrichen.

»Außer zwei Frauen sind mit mir noch zwei Männer im Büro. Einer ist der Lehrling, der kaum mit Tinte und von Hand schreiben wird. Der Zweite? Vielleicht. Der ist nicht mein Typ, und das lasse ich ihn seit dem ersten Tag spüren. Er geht mir sogar aus dem Weg und sieht woanders hin, wenn ich an ihm vorbeilaufe. Der? Nein. Kategorisch nein.« Jessica legte den Kuli aus der Hand.

»Auf dem Rückweg sieht es genauso aus. Am Briefkasten treffe ich meist den Hausmeister Hugo, der ist bereits seit vier oder fünf Jahren in Rente. Vom Alter her kannst du ihn vergessen.«

»Kennst du sonst jemanden hier im Haus?«, fragte Jessica voller Erwartung. »Wie gesagt, im Erdgeschoss in der großen Wohnung lebt Herr Hugo, unser Hausmeister. Seine Frau war sehr krank und verstarb vor zwei Jahren. Daneben wohnt Frau Mollersag, eine Dame mittleren Alters, so um die 50 aufwärts. Im ersten Stock wohnt Familie Seidler mit ihrem Sohn.«

»Und was ist mit dem? Da könnten wir vielleicht einhaken?«, unterbrach Jessica Veronikas Redeschwall. »Nein, das glaube ich weniger. Mit seinen vierzehn oder fünfzehn Jahren trainiert der Junge im Stadion fast jeden zweiten Tag. Das Stadion kann ich vom Balkon aus sehen. Du siehst ihn lediglich im Trikot seines Vereines laufen. Der wird in diesem Fall keinen Treffer abgeben.«

»Wer wohnt sonst auf dieser Etage?« »Herr Pratouris. Ich weiß nicht, genau welche Nationalität, dennoch immer sehr freundlich und nett.« »Könnte er das sein?«, freute sich Jessica bereits ein wenig und setzte gespannt den Kugelschreiber auf das Papier zum Schreiben auf. »Nein. Den habe ich etliche Male beim Einkaufen eng umschlungen mit einer tollen Frau gesehen. Wir grüßten uns und er stellte sie mir als seine Freundin vor. So sehen wir uns manchmal im Laden und er immer mit ihr im Arm.«

»Schade. Das hätte jetzt so gut gepasst. Und wer wohnt im zweiten Stock, ich meine außer Dir?«

»Der junge Mann gegenüber, Ludwig, soll er heißen. Den habe ich praktisch nie zu Gesicht bekommen und Frau Meyer mit ihren 65 oder 66 Jahren zwischen uns in der Mitte.«

 

»Meiner Meinung nach, meine Liebe«, fasste Jessica zusammen, »haben wir einen einzigen Namen übrig: Ludwig, dein Nachbar auf der Etage! Soll ich hinübergehen und ihn rein aus Spaß fragen?« »Nein. Das kannst du dir schenken. Ich habe nach meinem Einzug hier im Haus jeden Tag bei ihm geklingelt und er hat nie geöffnet. Meiner Meinung nach kannst du ihn gleich von der Liste streichen.«

»Meine liebe Veronika, damit haben wir keinen einzigen Verdächtigen! Aus meiner Sicht passt der Ludwig ins Raster! Ich streiche ihn mal nicht. Ich werde erst darüber schlafen. Mal sehen, was der nächste Tag bringt.«

Sie plauderten eine ganze Weile weiter und zwei Flaschen Wasser später verabschiedete sich Jessica von Veronika mit einer liebevollen Umarmung.

 

03 07 Mittwoch

 

Der nächste Tag in der Arbeit verlief für Veronika und Jessica sehr zäh. Wenn man auf etwas warten musste, wie auf den Feierabend, dauerte das grundsätzlich doppelt so lange. Jedenfalls kam es ihnen so vor. Nach Büroschluss rannte Veronika fast nach Hause, der Einkauf konnte noch bis morgen warten. Im Hausflur schloss sie den Blechkasten mit ihrem Namen auf. Sie sah vorsichtig hinein. Der Briefkasten war leider leer.

Enttäuschung stieg in ihr auf, denn innerlich hatte sie sich bereits auf die nächsten Zeilen gefreut. Wie ein begossener Pudel stieg Veronika Stufe für Stufe nach oben. Die ganze Zeit überlegte sie, wer der Schreiber des Briefes sein könnte. Sie gab auf, denn sie fand keine Lösung. Als Veronika oben in ihrer Wohnung ankam, nahm sie sofort den zu Herzen gehenden Brief zur Hand und las ihn wieder. Ein sehnsuchtsvolles Seufzen drang aus ihrem Mund. ‚Wer ist ER?‘

 

 

 

 

 

 

Liebesbriefe und Frauenpower - 2

 

04 07 Donnerstag

 

Am Donnerstagabend eilte Veronika nach Hause. Sie stieg die Treppe hinauf und sah seit langer Zeit ihren Nachbarn wieder. Er schloss seine Tür mit der rechten Hand auf und in der anderen hielt er einen Stapel Briefe. Veronika sah ein weißes Etwas. Sie grüßte freundlich, der Nachbar erwiderte mit einem Lächeln auf dem Gesicht den Gruß und jeder ging seines Weges. Unerwartet fühlte Veronika ihren Körper anders, als sei sie innerlich umgedreht worden. Sie fand dafür keine Erklärung.

‚War es der junge Mann von vorhin mit seinem verschmitzten Gesicht? Oder das weiße Etwas in seiner Hand, seine Post? Post! Meine Post – ganz vergessen!‘

Veronika rannte die Treppen hinunter und entnahm ihrem blechernen Kasten erneut ein weißes, zusammen gefaltetes Blatt:

 

Meine Liebe, Dir gilt dieses Gedicht,

Von Herzen geschrieben, voller Licht.

Dein Lächeln, so strahlend und schön,

Lässt mein Herz vor Freude vergeh’n.

 

In Deinen Augen, ein Ozean so blau,

Verliere ich mich, finde ich mich genau.

Deine Stimme, sanft wie ein Sommerwind,

Sie berührt mich tief, wie ein zarter Klang geschwind.

 

Du bist mein Sonnenschein, mein Sternenlicht,

Mit Dir fühle ich mich im Paradies, so leicht.

Deine Liebe ist wie ein kostbares Geschenk,

Dass mich erfüllt, ohne Ende, ohne Bedenk’.

 

Danke, dass Du in meinem Leben bist,

Mit Dir an meiner Seite, ich brauch keine List,

In Deinen Armen finde ich Geborgenheit,

Für immer möchte ich mit Dir gehen, Seit’ an Seit’. Dein treuer Verehrer

 

Veronika schnappte mehrmals nach Luft. Sie ließ sich auf die erste Stufe der Treppe sinken, denn ihre Knie wurden schwach. Sie war unentschlossen, in welche Richtung ihr Gefühlsleben kippen sollte. Ihr Herz schlug wieder bis zum Hals!

‚Soll ich mich dem Verehrer hingeben oder darüber ärgern, dass er wieder keinen Namen auf dem Papier hinterlassen hat?‘

Wie das letzte Mal gab es keinen Umschlag oder einen Hinweis auf den Verfasser des Schreibens! Diese Ungewissheit, wer es sein konnte, brachte sie wieder restlos durcheinander!

‚Halt!‘

Genau in diesem Moment fiel ihr ein, dass der Nachbar ein weißes Papier in der Hand hatte! Sie rannte mit pochendem Herzen an Frau Mollersag aus dem Parterre vorbei und jagte nach oben. Im zweiten Stock ging Veronika zwischen ihrer Wohnungstür und der des Nachbarn angespannt einige Male hin und her.

'Soll ich ihn fragen?' Sie traf die Entscheidung. Kräftig durch geschnauft las sie auf dem Türschild: Ludwig Lenz. Veronika klingelte. Sie hörte Schritte. Die Tür wurde von einem jungen Mann geöffnet.

 

Veronika betrachtete seine schwarze kurze Frisur und sein modernes Outfit. Rasiert unter der Woche fand sie attraktiv. Seine braunen Augen fixierten ihr Gesicht. Ihr Körper wurde wärmer. Sie konnte kaum sagen, ob sie errötete. Sie hätte ihn am liebsten in die Arme genommen. Kein bisschen hatte sie darüber nachgedacht, wie sie ihn auf den Brief ansprechen wollte!

Veronika ließ ihrem Mundwerk freien Lauf und fragte nach seiner heutigen Post und dem weißen Brief.

 

Dafür stieg Ludwig das Blut in die Wangen und er konnte nur zögerlich antworten. Ihr dunkelbrauner Haarschnitt faszinierte Ludwig. Veronikas wasserblauen Augen durchbohrten ihn buchstäblich. Für Ludwig schien rings um ihn herum alles stillzustehen, als er seinen Blick von ihren faszinierenden Augen auf ihren sich bewegenden Mund senkte. Er sah ihre zarten Lippen in dem leichten Rosé, Natur oder vielleicht geschminkt. Ihre schlanke Figur wurde durch das eng anliegende Top mit freiem Bauch zusätzlich betont. So wie sie dastand, hätte er am liebsten ihren Kopf zärtlich in seine Hände genommen und seine Lippen auf ihre gedrückt. Nein, unmöglich! Sie war eine Fremde für ihn! So schickte er den lieben Gedanken ins Nirwana und antwortete stattdessen:

 

»Ja. Vorhin habe ich meine Post geholt. Die hatte ich vergessen, als ich heim kam. Der weiße Brief, meinen Sie das einzelne Blatt Papier?« »Genau das meine ich. Stammt das von Ihnen?«

»Nein. Mein Zettel lag heute im Briefkasten. Haben Sie ihn geschrieben?«, fragte nun Ludwig hoffnungsvoll. »Nein. Sie würden es zugeben, wenn er von Ihnen wäre?«

»Sie meinen den schönen Liebesbrief?« ‚Endlich hat er verstanden, wovon ich die ganze Zeit rede‘, dachte Veronika hoffend. »Genau den meine ich. Ist der von Ihnen?«

»Nein. Leider.«

 

Mit der Zeit wurde Veronika ärgerlich, weil er nicht zugab, dass er der Verfasser der Briefe war. Es gab keinen mehr in diesem Haus, der dafür in Frage gekommen wäre! Plötzlich ging hinter Veronika die mittlere Tür auf und Frau Meyer trat heraus. Sie fragte sofort, wieso man hier herumschreit.

»Wir haben uns etwas lauter unterhalten. Sorry«, kam dezent von Ludwig. »Wir haben nicht geschrien!«, tönte Veronika ärgerlich und einen Tick lauter.

»Doch, das haben sie!«, beteuerte Frau Meyer, die ältere Dame mit der bunten Kittelschürze.

Ein Wort ergab das andere. Veronikas Stimme wurde lauter. Zu Ludwig und zu Frau Meyer. Ludwig wollte schlichten und bat Veronika, Frau Meyer, die ältere Dame, bitte nicht in diesem Ton anzureden. Da platzte Veronika der Kragen und hieß Ludwig einen Hampelmann. Er ließ das nicht auf sich sitzen und nannte Veronika eine doofe Kuh. Darauf gingen beide in die eigenen Wohnungen und knallten hinter sich die Türen zu.

Frau Meyer stand allein im Treppenhaus und sagte: »Ts, ts, ts! Immer diese hitzige Jugend.« Sie tappte zurück in ihre Wohnung und schloss leise ihre Tür.

 

Frau Mollersag aus dem Erdgeschoss war erschrocken über den Krach vom zweiten Stock und marschierte gleich zu Hugos Wohnung und läutete. Er sollte als Hausmeister den Lärm da oben sofort unterbinden. Es öffnete niemand.

‚Bestimmt ist er mit seinem Sohn unterwegs.‘ Seit dem Tod seiner Frau war der Kontakt von Vater und Sohn enger geworden und Hugo wurde x-mal von seinem Sohn abgeholt. Dies hatte bisher lediglich Frau Mollersag von gegenüber seiner Wohnung bemerken können. Anfangs hatte der Sohn seinen Vater an der Tür abgeholt. Nach einiger Zeit wartete er im Auto mit den abgedunkelten Scheiben. Frau Mollersag hatte den Sohn seit mindestens zwei Jahren nicht mehr gesehen.

Herr Pratouris aus dem ersten Stock war mit seiner Freundin beim Einkauf und hatte nichts mitbekommen.

Familie Seidler, auf derselben Etage, war bei ihrem Sohn auf dem Sportplatz und hatten vom Streit ebenfalls nichts gehört.

 

Veronika saß zitternd auf dem Stuhl. Sie war kalkweiß und am Ende mit den Nerven! Als hoffende Trost-Spenderin rief sie Jessica an. Keine sieben Minuten später sprintete sie schnaufend die Treppen hoch und traf bei Veronikas Tür ein. In der Wohnung schilderte Veronika aufgebracht, was vorgefallen war. Sie erzählte vom zweiten Liebesbrief und gab ihn Jessica zum Lesen. Sie nahm aus ihrer Handtasche einen roten Kugelschreiber und machte zwei Punkte auf den zweiten Brief und einen auf den ersten.

»Rein zur Unterscheidung«, erklärte sie.

»Es tut mir leid, dass ich meinen Nachbarn beschimpft habe. Warum hat er nicht zugeben, dass er die schönen Briefe geschrieben hat? Außerdem vermute ich, dass er noch mehr Liebesbriefe haben muss, denn er hielt vorhin ein weißes Papier in der Hand, genauso zusammengefaltet wie mein Liebesbrief.« Erklärte Veronika aufgebracht.

 

Wild entschlossen schnappte Jessica die zwei Briefe und marschierte zum Nachbarn auf der anderen Seite und drückte den Klingelknopf. Als er öffnete, nannte Jessica ihren Vornamen und bat um Verzeihung für die verunglimpfte Äußerung ihrer Freundin und zeigte auf Veronikas Tür. Jessica dachte, dass der Nachbar verdammt gut aussah, und sie absolut nicht verstehen konnte, ihn einen Hampelmann zu nennen. Ludwig senkte den Kopf und erwiderte leise, dass er es bereute, seine Nachbarin beschimpft zu haben.

»Komm bitte rein. Heute gab es genügend Lärm und Ärger im Treppenhaus. Ich bin übrigens Ludwig.«

»Danke«, sagte Jessica und betrat seine Wohnung. Sie stellte fest, dass er auf die Vorstellung mit ihrem Vornamen automatisch auf Du geschaltet hatte. In seinem Flur bemerkte sie sofort, dass es eine äußerst aufgeräumte Wohnung war.

»Nimm bitte Platz«, kam vom Nachbarn und er zeigte auf das Wohnzimmer. Jessica folgte ihm in den nächsten aufgeräumten Raum. Sie setzte sich auf das kleine Sofa, Ludwig gegenüber in den einzigen Sessel. Hier stand ebenfalls kaum unnützes herum.

‚Entweder ist er ein armer Schlucker oder er hält Ordnung.‘ Jessica tippte auf das Letztere, denn er trug eine modische Hose und, wie es aussah, ein frisch gebügeltes Hemd. Ihr liebstes Hobby, die Kriminologie, hatte sie fest im Griff. Durch Ludwigs Gesprächsanfang wurde Jessica abrupt aus ihren Gedanken gerissen.

»Wenn du mich fragen willst, ob ich die Briefe geschrieben habe, muss ich dich leider enttäuschen. So schöne Briefe bringe ich nicht mal annähernd zustande. Wenn ich es hätte können, würde ich sie ihr sehr gern geschrieben haben.«

»Du kannst keineswegs so schön schreiben?«

»Nein. Weder bringe ich den Text so wunderbar hin, noch kann ich bei meiner Klaue von Schrift mit einem Füller so schön malen statt schreiben. Denn ich habe selbst manchmal Probleme, mein Geschriebenes später zu entziffern.«

»Du meinst, der Brief wurde mit einem Füller geschrieben?«

»Ja. Bestimmt. Denn so sahen die Briefe meiner Oma immer aus, allerdings in Sütterlin. Meine Mutter hat ihn mir immer vorgelesen. Ich fand diese Schrift so schön verziert und fast musisch angehaucht. Das Einzige, was ich lernte, zu entziffern, war stetig die gleiche Überschrift: ‚Meine Lieben‘. Damit hat Oma jeden Brief angefangen.«

»An einen Füller hatte ich bis jetzt nicht gedacht«, musste Jessica gestehen. Ludwig stand auf und brachte von der Pinnwand im Flur einen weißen Zettel. »Heute habe ich den zweiten schönen Liebesbrief erhalten. Den Ersten in Gedichtform habe ich hier«, sagte Ludwig und reichte ihr beide.

»Oh, bitte nicht verwechseln. Welcher war der von heute?« »Ganz einfach, der ohne Loch. Das erste Papier hat ein Loch von der Pinnwandnadel.«

»Darf ich sie mir kurz ansehen und mit denen von Veronika vergleichen?«

»Natürlich, bitte hier. Veronika heißt die schöne junge Dame von gegenüber.« »Wie bitte?«, fragte Jessica scheinheilig, obwohl sie alles ganz genau verstanden hatte.

»Ich meinte, Veronika heißt die schöne junge Dame von gegenüber. Ich hatte gehofft, die Briefe wären von ihr. Ich hätte sie nicht beschimpfen dürfen. So wütend, wie ich war, als sie die alte Dame angefahren hat. Ich wollte schlichtend eingreifen und bekam sofort eins auf die Mütze. Im Geschäft geht momentan alles drunter und drüber. Wir müssen Überstunden schieben und haben kaum Freizeit. Das zehrt mächtig an den Nerven.«, gab Ludwig zu.

»Soweit ich weiß, sieht es bei meiner Freundin Veronika ähnlich aus. Wir mussten alle die letzten Wochen ackern bis fast zum Umfallen«, log Jessica frech, ohne mit der Wimper zu zucken. ‚Das lernt man aus einigen Krimis‘, dachte sie stolz.

»Frau Meyer wird jetzt von uns beiden eine negative Meinung haben. Wir sollten uns bei Ihr entschuldigen.«

»Die Idee finde ich hervorragend, könnte fast von mir sein.«

»Würdest du bei Veronika ein freundliches Wort für mich einlegen?«

»Gewiss. Das mache ich gern. Du warst immer schlecht zu erreichen, wenn Veronika bei dir nach Feierabend klingelte.«

»Oh. Das war keine Absicht. Ich sitze meist gleich vor dem PC und mache mit dem Keyboard elektronische Musik, wenn ich heimkomme. Dazu setze ich meinen Kopfhörer auf und ich höre nichts mehr, was von außen kommt. Ich muss mir eine Klingel mit einem lauteren Ton besorgen. Machst du das mit dem Wort einlegen gleich für mich? Ich lasse meinen Rechner aus, damit ich die Klingel höre.«

»Ich lege gern bei Veronika ein gutes Wort für dich ein. Das wird nicht lange dauern. Aber ich werde sie überreden müssen, sich bei Frau Meyer zu entschuldigen. Dürfte ich mir deine Briefe für ein paar Tage ausleihen? An der Uni kenne ich einen, der uns helfen könnte, herauszubekommen, woher die Schreiben sind. Du bekommst sie sicher zurück.«

»Bitte, nimm sie mit. Ich ging erst davon aus, dass sie von meiner Nachbarin Veronika wären. Wenn sie die gleichen Schreiben erhalten hat, war Sie es nicht. Vielleicht hat sich jemand einen Scherz erlaubt?«

»Danke für die Briefe. Veronika gibt sie dir nachher zurück. Das mit dem Scherz glaube ich weniger. Dafür wäre der Aufwand zu groß. Jetzt muss ich dringend zu Veronika zurück. Bestimmt wartet sie auf mich. Bis gleich.« »Ja, vielen Dank. Bis nachher.«

 

Jessica verließ die Wohnung von Ludwig und nahm die paar Schritte zu Veronikas Tür, die fast wie von selbst von innen geöffnet wurde. Veronika stand aufgeregt hinter der Tür und hatte fieberhaft gewartet.

»Und? Sag endlich! Du warst plötzlich in seiner Wohnung verschwunden! Was war los? Wie ist er? Hat er die Briefe geschrieben? Erzähl’ endlich!«

»Immer langsam und eins nach dem anderen. Als Erstes soll ich von ihm ein gutes Wort bei dir einlegen. Ihm tut es leid, genauso wie dir, dass ihr euch beschimpft habt. Und er hat tatsächlich genau dieselben Liebesbriefe erhalten, allerdings in der anderen Reihenfolge. Du hast den Liebesbrief erhalten und er das Gedicht. Beim letzten Mal war es genau umgekehrt, ihr habt beide dieselben Briefe und Gedichte erhalten. Und ich glaube ihm, dass er sie nicht geschrieben hat. Als ich deinen Vornamen erwähnte, kam von ihm ein leises ‚Veronika heißt die schöne junge Dame von gegenüber‘. Ich hakte sofort nach und tat, als ob ich es nicht richtig verstanden hätte. Er sagte es gleich noch einmal. Und er hätte dich nicht beschimpfen dürfen, war seine ehrliche Meinung.«

»Wenn ich es mir recht überlege, sieht er sympathisch aus. Er könnte mir beinahe gefallen.«

»Und Ludwig machte einen Vorschlag …« »Ist sein Name tatsächlich Ludwig?«

»Ja. Ludwig nannte ihn mir. Um auf seinen Vorschlag zurückzukommen, er möchte sich mit dir zusammen bei Frau Meyer entschuldigen. Diese Idee finde ich hervorragend!«

»Na ja, über diese Angelegenheit sollte noch etwas Gras wachsen.«

»Das darf auf keinen Fall passieren! Je eher man das Problem löst, desto besser geht es einem. Außerdem wartet er drüben auf dich …«

»WAS? Er wartet drüben auf mich? Wieso sagst du das erst jetzt?« Veronika sah aufgeregt im Flur in den Spiegel, richtete mit den Händen ihre Frisur und ging hinüber zur anderen Tür.

 

Jessica blieb in der Wohnung und sah durch den Spion in der Tür, was draußen passierte. Veronika klingelte, ein freundlich lächelnder Ludwig öffnete und bat sie herein. Veronika betrat seinen Flur und die Tür fiel ins Schloss. Es blieb ruhig, kein Geschrei. Ein paar Minuten später, die Jessica bald wie eine Ewigkeit vorkamen, öffnete Ludwig die Tür. Veronika trat lachend aus der Wohnung, hinter ihr folgte freudig Ludwig. Gemeinsam gingen sie zur Tür von Frau Meyer und läuteten. Jessica sah anhand der Gestik der spielenden Hände von Veronika und Ludwig, dass sie beide angespannt waren und versuchten es zu vertuschen. Frau Meyer bat sie herein und alle verschwanden in der Wohnung der alten Dame. Die Tür schloss leise hinter ihnen.

Jessica schrieb Veronika einen Zettel und legte ihn in die Mitte des Tisches der Küche. Die Liebesbriefe ließ sie daneben liegen. Sie ging leise aus Veronikas Wohnung und zog die Tür von außen zu.

‚Gott sei Dank‘, sagte Jessica in Gedanken, als sie rechts von Veronikas Tür den Gummibaum mit dem Topf anhob. Sie blickte im Übertopf auf den Reserveschlüssel zur Wohnungstür und stellte die Pflanze zurück.

‚Veronika hat in der Eile bestimmt keinen Schlüssel mitgenommen.‘ Jessica stieg leise die Treppen hinab und verließ das Haus.

 

Auf der anderen Straßenseite saß Jessica im Sessel und war vor dem Fernseher eingenickt. Das Klingeln des Telefons riss sie aus dem Schlaf. Sie sah auf die Uhr, sie hatte zweieinhalb Stunden geschlafen. Jessica hob den Telefonhörer ab. Wie ein Wasserfall hörte sie Veronikas Stimme.

»Du wirst dir niemals vorstellen können, was vorhin alles passiert ist.«

»Lass hören«, konnte Jessica schlaftrunken dazwischenrufen.

»Wir sind zu Maria, äh Frau Meyer, gegangen und haben uns beide für unser rücksichtsloses Benehmen bei ihr entschuldigt. Sie sagte, das sei kalter Kaffee von gestern und bat uns herein.«

»So viel habe ich sehen können«, warf Jessica ein.

»Im Wohnzimmer hat sie uns erst Kaffee und Kekse angeboten. Danach holte sie aus einem alten Schrank Likör und Schnaps. So jung würden wir nicht wieder zusammenkommen, sagte sie und goss uns jedem ein kleines Glas ein. Bei einem blieb es nicht. Sie bot uns als Älteste das Du an, sie heißt übrigens Maria. Ludwig und ich folgten ihrem Beispiel und tranken ebenfalls einen Kurzen darauf. Ich dachte, dies sei eine alte Oma mit vielen Enkeln. Weit gefehlt! Sie hat den modernsten Fernseher und Computer mit Drucker im Schrank stehen, die ich je gesehen habe. Und fit ist die für ihr Alter, kann ich dir sagen! Sie schreibt fast täglich mit ihren Enkeln E-Mails, bekommt Fotos von ihnen geschickt, druckt sie aus und macht Fotoalben daraus. Sie bekommt am Tag bis zu drei Besuche von ihren Enkeln mit den jeweiligen Partnern. Ich war vielleicht platt, als ich das alles gesehen und gehört hatte.«

 

Veronika musste Luft holen, um weiterzureden. Jessica nutzte die kleine Pause und hakte ein: »Und? Was ist mit Ludwig?«

»Der ist ganz in Ordnung. Er hält mich für nett, hat er mir gestanden. Ich glaube fast, ich habe mich ein klein wenig in ihn verliebt«, kicherte Veronika.

»Habt ihr über die Briefe gesprochen?«

»Nein, das betrifft allein Ludwig und mich. Maria, Frau Meyer, haben wir davon nichts gesagt.«

»Meine Liebe, heute hast du bestimmt einen wundervollen Tag hinter dir. Lass es dir gut gehen und bis morgen im Büro.«

»Ich muss mich bei dir vielmals bedanken, dass du mich so unterstützt hast. Ich überlege mir, wie ich das wiedergutmachen kann.« »Bringe mir morgen deine Briefe mit. Die von Ludwig habe ich bereits. Ich wollte sie an der Uni untersuchen lassen.« »Das machen wir. Bis morgen und Tschüss.«

 

05 07 Freitag

 

Am nächsten Tag im Büro entbrannte wieder die Frage: Wer hat die Briefe und Gedichte geschrieben? Ludwig, der Letzte auf Jessicas Liste, wurde endgültig gestrichen. Vier Schreiben im Original hielt Jessica jetzt in der Hand und sie verschwanden gleich in ihrer Handtasche.

Veronika war jetzt mit Ludwig beschäftigt, demnach konnte Jessica gezielt mit den Papieren loslegen. Sie telefonierte mit ihrem Prof und erklärte das Problem. Sie würde gern mehr über den Schreiber der Briefe erfahren. Leider musste er passen, wollte stattdessen zwei oder drei angehende Grafologen in der Uni fragen.

»Ich sollte die Briefe im Original haben. Kannst du sie mir heute Abend gegen 18 Uhr vorbeibringen?« »Kein Problem.«

»Was möchtest du gern essen? Nudeln oder Pasta? Ich habe heute zwei im Angebot, mit roter Tomatensoße oder mit Pesto in Grün?« »Von jeder Sorte einen halben Teller?« »Geht in Ordnung. Bis 18 Uhr.«

Jessica hatte das Gefühl, dass es mit der Aufklärung der Briefe vorwärtsging. Und ganz nebenbei konnte sie Spaß mit ihrem Prof haben. Gegen sechs Uhr am Abend tauchte Jessica bei ihm auf und klingelte. Er öffnete in seinen Shorts, mehr nicht.

»Du kommst genau richtig, die Nudeln und die zwei Soßen sind bald fertig.« Er zog Jessica an seinen Körper, umfasste sie mit einem Arm und mit dem anderen schloss er die Tür.

 

08 07 Montag

 

Veronika rief von ihrem Arbeitsplatz Jessica im Büro an. Niemand hob ihr Telefon ab. ‚Ist sie krank?‘, war Veronikas erster Gedanke. Jessica kam eine Stunde später ins Büro.

»Sorry, ich habe hoffnungslos verschlafen. Meinen Wecker habe ich im Schlaf abgeschaltet und es nicht bemerkt. Ich hole die Stunde unbedingt rein. Am besten gleich heute Abend.« »In Ordnung«, meinte kurz ihre Vorgesetzte.

Jessica hatte vor, die Stunde gleich am Abend anzuhängen. Denn der Prof hatte gesagt, es würde zwei Tage erfordern, um die Ergebnisse zu bekommen.

 

Veronika traf Jessica in der Pause und erzählte ihr, dass sie das Wochenende bei einem Lover zugebracht hatte. Deshalb habe sie heute verschlafen. »Ach, ja. Die Briefe sind jetzt beim Grafologen.« »Bei wem?«

»Beim Grafologen. Das sind Typen, die aus deiner Handschrift einiges herauslesen können. Vielleicht erfahren wir damit, wer der Schreiber ist.«

Sie verschwieg Veronika, dass es mittlerweile vier Menschen mehr gab, die die Briefe lasen. ‚Sie muss nicht alles wissen.‘ »Wie läuft es mit Ludwig?«

»Schleppend, wie mit den Briefen. Er kommt immer schlecht gelaunt und spät heim, was ich durch den Türspion sehen kann.«

»Hast du ihn angesprochen?« »Nein. Dafür hatte ich keine Gelegenheit.« »Brauchst du denn dafür eine?« »Da muss ich passen, wenn er spät heimkommt.« »Überlege dir einfach einen Grund.«

Die Pause war vorüber und sie gingen an ihre Arbeit zurück.

Es wurde Feierabend und Jessica blieb eine Stunde länger.

 

09 07 Dienstag

 

Veronika fasste den mutigen Entschluss, Ludwig jeden Tag zu fragen, ob er Post bekommen hatte. Ludwig verneinte ehrlich und fragte sie nach ihrer Post. Sie musste ebenfalls verneinen. Frau Maria Meyer aus dem zweiten Stock erzählte, dass die beiden gut miteinander auskommen würden.

Veronika wollte unbedingt mehr mit Ludwig anfangen als ständig dieses höfliche Blabla.

 

Jessica und Veronika plauderten nach Geschäftsschluss im Café.

»Sag mal, Veronika. Du machst dich in letzter Zeit sehr rar. Demnach läuft es gut mit Ludwig?« »Gut, das ist keine Beschreibung mit diesem Mann. Eine bestimmte Frage habe ich an dich, die mir seit Längerem auf der Zunge brennt.«

»Stell sie einfach.« »Ja, wie soll ich es fragen? Du bist in letzter Zeit immer so eiskalt und berechnend. So kenne ich dich nicht, außer, wenn du einen Krimi ansiehst oder liest.«

»Ich verstehe, was du meinst. Im Falle eines Kriminalfilmes oder jetzt in deinem Fall bin ich nun mal so! Da kann ich nichts dafür.« ‚Außer mit einem richtigen Kerl auf mir‘, dachte Jessica.

»In Ordnung. Dennoch gefällt mir die lustige Jessica besser, muss ich dir gestehen.« »Kann ich mir vorstellen. Das geht erst wieder, wenn dein Fall abgeschlossen ist.« »Mir fehlt deine Lebenslust. Das quirlige Leben mit dir war immer schön und aufregend.«

»Kommt alles wieder, glaube mir. Erzähle lieber, wie es um Ludwig steht.«

»Ich glaube fast, ich habe mich mehr in ihn verliebt.«

»Veronika! Endlich eine gute Nachricht!«

»Ich finde ihn nett und lieb. Er ist immer adrett angezogen, im Gegensatz zu deinem, wie hieß der noch mal? Nerd? Seltsamer Name. Ich würde Ludwig zu gerne einladen, weiß aber nicht wie und wohin.«

»Klingel an seiner Tür und mach ihm begreiflich, dass du keine Lust hast, allein ins Café zu gehen. Oder frage ihn, ob er dich begleitet.« »So vor allen Menschen hier im Haus?« »Lade ihn zu einem Eis oder einer Cola auf deinen Balkon ein. Wenn es da zu mehr kommt, ist es gut. Da wärt ihr unter euch. Wenn nicht, hat es keiner gesehen.« »Das ist eine gute Idee! Cola und Balkon habe ich zu Hause, Eis kann ich gleich von hier mitnehmen.« »Jetzt los und ab!« Sie zahlten und fuhren nach Hause.

 

Veronika klingelte bei Ludwig. Als er ihr erstaunlicherweise öffnete, lud sie ihn spontan zu einer Cola auf ihrem Balkon ein. Ludwig war hocherfreut, denn er hatte mit dem Gedanken gespielt, sie näher kennenzulernen. Bei ihm hatte der kleine Du-Kuss bei Maria Meyer vor paar Tagen ebenso einiges ausgelöst.

Auf dem Balkon von Veronikas Wohnung saßen beide bei einem Eis und einer Cola. Er erzählte von seiner Musik, die er arrangierte. »Du machst Musik?«

»Ja. Auf dem PC erzeuge ich elektronisch einen Ton, den ich anschließend über eine kleine Klaviatur als Melodie einspielen kann. So kann ich über verschiedene Töne mehrere Instrumente nacheinander einspielen und abspeichern. Zum Schluss kann man alles als ein Ganzes anhören.«

»Das ist interessant. Als ich hier einzog, spielte ich fast täglich auf meinem E-Piano als Ausgleich zu meiner Arbeit.«

»Mit Kopfhörer?«

»Natürlich, ich wollte niemanden damit stören.«

»Jetzt ist mir alles klar. Als ich hier einzog, hatte ich dich zwei oder dreimal gesehen und öfter versucht, mit dir ins Gespräch zu kommen. Immer als ich klingelte, öffnete niemand. Du konntest mich durch deinen Kopfhörer nicht hören, wie ich dich nicht durch meinen.«

»Du hast auch mit Kopfhörer gespielt?«

»Ja natürlich, wollte niemand mit meinen Geräuschen auf die Nerven gehen, die erst später zur Musik werden sollten.«

»Jetzt ist mir alles klar, warum du nie geöffnet hast. Und ich war immer der Ansicht, der junge Mann sieht durch seinen Türspion und will keinen Kontakt.«

»Das tut mir leid«, kam traurig von Ludwig. »Schwamm drüber! Wir haben uns zum Glück kennengelernt. Und das ist das Wichtigste«, entgegnete Veronika und sah ihm in seine glänzenden Augen. Ludwig wurde es warm ums Herz und anschließend im ganzen Körper. Er sah in ihren blauen, glänzenden Augen und das Licht der Sonne ließ sie beinahe blinken.

»Ich würde gern den kleinen Kuss vom ‚Du‘ bei Maria wiederholen.«, sagte Ludwig entschlossen. »Gern, wenn er jetzt länger dauert!«, kam impulsiv von Veronika.

 

Zärtlich legte Ludwig seine Hände an Veronikas Wangen, hielt sie vorsichtig fest und drückte zärtlich seine Lippen auf ihre. Sie legte ihre Hände in seinen Nacken und zog den netten Nachbarn fester heran. Veronika atmete Ludwigs herbes Rasierwasser ein, was sie zugleich als verführerisch und exotisch empfand. Sie verschmolzen für eine endlose Weile miteinander. Sie vernahmen absolut kein Zeitgefühl mehr, sie spürten ihre Zungen und die Hände vom anderen am eigenen Körper. Ludwig spürte Veronikas Sympathie und war begeistert von der Frau. Er küsste Veronika auf den Mund und auf die Wangen. Sein Mund wanderte auf ihrem gesamten Gesicht, dem Hals und den nackten Schultern und verteilte überall seine Küsse. Ihr Kleid war zu verführerisch, es sah aus wie ein Top, es reichte ihr bis über die Knie. Ihre Oberarme lagen frei. Sie wurden ebenfalls mit Küssen bedacht. Veronika war im siebten Himmel angelangt. Sie hatte ihr Ziel, einen netten jungen Mann zu finden, schneller als gedacht, mit ihrem Nachbarn erreicht. Ludwig war glücklich, dass Veronika ihn ebenfalls mochte. Nach einer gefühlten Ewigkeit löste er seine Lippen von ihrem weichen Mund.

»Ich muss es dir einmal sagen. Ich liebe dich!«, gestand Ludwig. »Ich liebe dich auch. Am liebsten würde ich dich für immer festhalten«, legte sie ihm offen.

 

»Wie machen wir es jetzt, wenn wir uns sehen wollen?«, wollte Veronika wissen.

»Ganz einfach: klingeln! Ich habe bereits eine zweite Klingel besorgt. Bei mir läutet es an der Tür und gleichzeitig am PC. So kannst du mich immer erreichen. Das hat mir deine Freundin Jessica vor ein paar Tagen verraten und seitdem habe ich die zusätzliche Klingel.«

»Ich spiele seit Längerem kein E-Piano mehr. Vielleicht bringt mich deine Liebe wieder dazu! Ich drehe einfach die Lautstärke weniger auf, damit ich meine Klingel hören kann.«

»Das ist großartig! Die komischen Briefe und Gedichte haben uns zusammen gebracht. Hat deine Freundin sie noch? Ich würde sie gern einrahmen und aufheben. Natürlich die Briefe, nicht deine Freundin.«

»Sie wollte sie morgen mitbringen.«

»Morgen muss ich früh raus, leider. Samstags habe ich immer frei. Sonntags bin ich mit jemandem ausgebucht.« »Huch – mit wem?« »Mit meiner netten Nachbarin vom gleichen Stockwerk«, kam von Ludwig und verschloss Veronikas Lippen mit seinem Mund. Später standen sie auf und trugen die leeren Eisbecher und Gläser in die Küche.

 

Es ging kein Weg daran vorbei, Ludwig wollte das E-Piano sehen. Seine Finger liefen leicht über die Tasten, als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Veronika staunte über die Geschwindigkeit seiner Läufe auf der Klaviatur. Als Ludwig aufhörte und unter die Klaviatur sah, betrachtete er die Anschlüsse des Geräts. Veronika erklärte, wie viele Möglichkeiten zur Klangeinstellung das E-Piano hatte. Er stellte fest, dass es einen MIDI-Anschluss und Kopfhörerausgang hatte. Ludwig fragte kurz, ob er ihren Kopfhörer aufsetzen dürfte. Sie bejahte seine Frage.

Er stöpselte ein, setzte ihn auf und schaltete das Piano ein. Zuerst drehte er die Lautstärke zurück auf null, schlug eine Taste an und drehte den Volumenregler langsam wieder hoch.

Ludwig spielte ein kurzes Lied und grinste nebenher. Veronika hatte außer dem leichten Klappern der gedämpften Tasten nichts gehört. Er gab ihr den Kopfhörer, sie setzte ihn auf und er schob eine Ohrmuschel auf die Seite, damit sie die Umweltgeräusche wahrnehmen konnte. Sie wusste nicht, wieso er das tat, hinterher sofort. Ludwig spielte nochmals das Lied und sang dazu:

 

Veronika, der Lenz ist da

Die Mädchen singen tralala

Die ganze Welt ist wie verhext

Veronika, der Spargel wächst!

Ach Du, Veronika, die Welt ist grün

D'rum lasst uns in die Wälder ziehen

Sogar der Großpapa sagt zu der Großmama

Veronika, der Lenz ist da!

 

Veronika war so beeindruckt von seiner Gesangseinlage, dass sie ein paar Tränen verdrückte. Ludwig stand sofort vom Hocker auf und nahm Veronika zärtlich in den Arm.

»Meine Mutter hat immer dieses Lied für mich gesungen. Das muss ein halbes Jahrhundert her sein, dass ich es das letzte Mal gehört habe«, näselte Veronika und putzte ihre Nase und wischte mit einem Taschentuch ihre Augen trocken.

»Das war nicht meine Absicht, dass du weinen musst.« »Es war der Moment der Überraschung, von einem lieben Menschen dieses Lied zu hören. Und so schön gesungen.« »Oh. Danke. Ich singe sonst nicht mit meinem Brummbass.Sollte es dir gefallen, spiele ich es gern für dich.«

Ludwig erzählte Veronika, dass die alten Lieder überhaupt viel mehr Melodie hätten als die neuere Musik. Genau deswegen holte er für seine eigenen Kreationen dort gern Inspirationen.

 

Sie standen bereits an der offenen Tür von Veronikas Wohnung, als er ihr eine Einladung aussprach.

»Wie sieht es bei dir am Freitagabend aus? Ich würde dich gern auf ein Glas Wein in die Gartenwirtschaft einladen. Die ist zwei Straßen weiter, keine zehn Minuten zu Fuß von hier.«

»Das ist nett von dir. Natürlich habe ich Zeit und Lust und komme gern mit.«

Danach versuchte Ludwig, den Besuch bei Veronika zu beenden. Es kam erneut zu einem innigen Zungenkuss und Umarmung.

Dieses Gespräch musste unabsichtlich Frau Meyer anhören, die im selben Moment aus ihrer Tür kam und die Treppen hinab gehen wollte. Sie grüßte freundlich wie immer und tappte langsam die Treppe hinunter. Ludwig gab Veronika nochmals einen lieben Kuss und nahm damit von ihr Abschied.

 

 

 

 

 

 

Liebesbriefe und Frauenpower - 3

 

10 07 Mittwoch

 

Jessica bekam abends vom Prof Besuch, der ihr die Briefe und Ergebnisse vorbeibrachte. Er hatte am nächsten Tag eine Besprechung für seinen weiteren Job. Deshalb musste er die Reparatur ihres Seelenlebens in ihren Tiefen und inneren Regionen ohne Slip leider absagen. Er küsste sie trotzdem und schnappte sie an ihrem Hintern, um sie ein wenig anzuheben.

»Was ist los mit dir? Du trägst einen Slip?«, lachte er.

»Logisch! Ich bin bei mir daheim.«

Der Prof küsste sie gleich weiter zum Abschied. Leicht geknickt und unbefriedigt blieb sie allein in ihrer Wohnung zurück. An diesem Abend musste für Jessica demnach der kleine Plastikfreund mit den zitternden Batterien daran glauben.

 

Veronika konnte ihr Glück kaum fassen. Ihr Gesicht strahlte, ihre Augen glänzten, sie war sichtbar überglücklich über die Einladung am Freitag in die Gartenwirtschaft. Endlich würden sie Zeit finden, miteinander zu reden. Sie hatte seit den letzten fünf stillen Jahren wieder viel vor in ihrem Leben. Die gute Nachricht sollte ihre Freundin erfahren. Niemand nahm bei Jessica das Telefon ab.

‚Vielleicht ist sie mit einem ihrer Lover unterwegs?‘

 

11 07 Donnerstag

 

Beim Frühstück am nächsten Morgen las Jessica, zum wievielten Male konnte sie kaum zählen, das Ergebnis der Grafologen durch. Es war ihr unverständlich, was da stand:

 

‚Die Größe der Buchstaben aller vier Briefe im gesamten Text zu den gedachten Linien lassen auf ein stabiles inneres Gleichgewicht und Anpassungsfähigkeit schließen.

Der Druck des Schreibmittels, wie hier der Füllfederhalter, ist nicht groß bemerkbar, demnach scheint er oder sie sehr ausgeglichen zu sein.

Die Neigung der Schleifen bei den Buchstaben b, d und h geht jeweils nach rechts, was für Aufrichtigkeit und viel Energie steht.

Die Schreibrichtung des Textes im Gesamten auf dem weißen Blatt Papier ohne Linien geht leicht nach oben. Dies lässt auf positives Denken oder Zuversicht schließen.

Die Abstände der Wörter zueinander sind hier sehr ausgeprägt und außerdem eng gehalten. Die Verfasserin der zwei Briefe mit dem Loch der Pinnwandnadel und der ohne benötigt viele Menschen für sein Leben.

Bei den anderen mit roten Punkten, übrigens ein Schreiber, hat größere Abstände im Text. Das bedeutet, dass er organisierter ist. Bei den Abständen der einzelnen Buchstaben innerhalb eines Wortes in beiden Varianten kann auf Großmut und Ungebundenheit geschlossen werden. Die Punkte über dem i lassen sehr viel Spielraum zur Deutung. Bei allen deutet es auf Struktur und Einfühlungsvermögen hin.

Wir möchten dringend darauf hinweisen, dass bei Linkshändern eine grafologische Untersuchung nur bedingt möglich sein kann.

Nun zu unserer Interpretation: wir haben zu viert unabhängig alle vier Briefe untersucht und fanden außer den oben genannten Aspekten absolut keine Einigkeit. Es gibt zu viele Kombinationsmöglichkeiten, um genaue Ergebnisse feststellen zu können.‘