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Passt das perfekte Leben in einen Briefumschlag? Die romantische Komödie »Liebeschaos für Fortgeschrittene« von Gemma Townley jetzt als eBook bei dotbooks. So hat sich Natalie ihr neues Leben in London aber nicht vorgestellt: Statt das schillernde Großstadtleben zu genießen, langweilt sie sich an den meisten Abenden einsam auf ihrem Sofa. Selbst die Post, die sie bekommt, ist nicht an sie, sondern an ihre Vormieterin Cressida adressiert – doch als sie darunter eines Tages eine Einladung für den angesagtesten Club der Stadt erspäht, kann sie einfach nicht widerstehen: Kurz entschlossen taucht Natalie in Cressidas Welt ein, trägt die schicksten Klamotten, tanzt mit den Reichen und Schönen … und verliebt sich Hals über Kopf in den charmanten Simon, dessen Lächeln sie direkt auf Wolke 7 katapultiert. Aber mit jedem Tag verstrickt sich Natalie mehr in ihr Netz aus kleinen Flunkereien – und das Chaos wartet schon um die Ecke … »Ein großartiges Buch mit einer brillanten Idee: Möchten wir nicht alle manchmal jemand ganz anders sein?« Sophie Kinsella Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der humorvolle Liebesroman »Liebeschaos für Anfänger« von Gemma Townley wird alle Fans der Bestseller von Susan Elizabeth Phillips und Beth O’Leary begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 452
Über dieses Buch:
So hat sich Natalie ihr neues Leben in London aber nicht vorgestellt: Statt das schillernde Großstadtleben zu genießen, langweilt sie sich an den meisten Abenden einsam auf ihrem Sofa. Selbst die Post, die sie bekommt, ist nicht an sie, sondern an ihre Vormieterin Cressida adressiert – doch als sie darunter eines Tages eine Einladung für den angesagtesten Club der Stadt erspäht, kann sie einfach nicht widerstehen: Kurz entschlossen taucht Natalie in Cressidas Welt ein, trägt die schicksten Klamotten, tanzt mit den Reichen und Schönen … und verliebt sich Hals über Kopf in den charmanten Simon, dessen Lächeln sie direkt auf Wolke 7 katapultiert. Aber mit jedem Tag verstrickt sich Natalie mehr in ihr Netz aus kleinen Flunkereien – und das Chaos wartet schon um die Ecke …
»Ein großartiges Buch mit einer brillanten Idee: Möchten wir nicht alle manchmal jemand ganz anders sein?« Sophie Kinsella
Über die Autorin:
Gemma Townley wurde in Großbritannien geboren. Sie arbeitete einige Jahre als Journalistin und lebte zwischenzeitlich auch ihre musikalische Leidenschaft als Bassistin der Indie-Band »Blueboy« aus. Genau wie ihre Schwester, Bestsellerautorin Sophie Kinsella, liebt sie das Schreiben und veröffentlichte humorvolle Liebesromane, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden.
Die Autorin auf Instagram: instagram.com/townley.gemma/
Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre Romane »Liebeschaos für Anfänger«, »Ein Herz und keine Krone« und »Wir treffen uns auf Wolke 7«
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eBook-Neuausgabe August 2023
Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2005 unter dem Originaltitel »Little White Lies« bei Ballantine, ein Imprint von Random House, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2006 unter dem Titel »Prinzessin per Express« bei Lübbe, Bergisch Gladbach.
Copyright © der englischen Originalausgabe 2005 by Gemma Townley
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2006 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach.
Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Kristin Pang, unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com (Jack1e, SkyPics Studio) und Adobe Stock (Briddy)
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)
ISBN 978-3-98690-767-9
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Gemma Townley
Liebeschaos für Fortgeschrittene
Roman
Aus dem Englischen von Gabi Reichart
dotbooks.
Lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen. Eine theoretische Frage, wenn Sie etwas Nachsicht mit mir haben. Würden Sie jemals Post öffnen, die nicht für Sie bestimmt ist? Natürlich nicht, das war mir klar.
Okay, aber angenommen, es handelt sich um einen besonderen Brief. Einen wirklich verführerisch aussehenden Brief in einem dicken cremefarbenen Umschlag, handschriftlich adressiert, ohne Angabe eines Absenders. Und lassen Sie uns annehmen, dass dieser Brief bei Ihnen gelandet ist. Durch eine Art Irrtum. Und dass Sie keine Möglichkeit haben, den Brief weiterzuleiten.
Fühlen Sie sich immer noch nicht in Versuchung geführt?
Gut. Nun ja, dann lassen Sie uns auch noch annehmen, dass die Person, an die der Brief adressiert ist, Mitglied in einem der exklusivsten Privatklubs in London ist und ein tolles Gesellschaftsleben führt. Während Sie sich ziemlich langweilen, weil Sie gerade in eine neue Stadt gezogen sind, wo Ihr gesellschaftliches Leben noch nicht so recht in Gang gekommen ist. Und nehmen Sie weiterhin an, dass Sie den bewussten Brief Tag für Tag auf Ihrem Kaminsims stehen sehen.
Versuchen Sie sich vorzustellen, dass sich in Ihrer Wohnung ein Stapel von Post für diese Person anhäuft und dass Sie die Post aufbewahren, obwohl es nicht sehr wahrscheinlich ist, dass die Person ihre Post je abholen wird.
Und lassen Sie uns ebenfalls davon ausgehen, dass der eigentliche Adressat des Briefes vor über einem Monat aus Ihrer Wohnung ausgezogen ist und immer noch mehr Anrufe erhält als Sie selbst.
Wären Sie jetzt versucht, den Brief zu öffnen? Nur ein kleines bisschen?
Nein? Nein, selbstverständlich nicht. Ich auch nicht.
Bumm, bumm. Huh, huh, yeah.
Die Decke wackelt, was wohl bedeutet, dass Alistair, der Typ, der über mir wohnt, wieder mal eine Party gibt. Ich habe während der vergangenen Stunde versucht, Vanity Fair ‒ Jahrmarkt der Eitelkeit von William Makepeace Thackeray zu lesen ‒ das Lieblingsbuch meiner Mum ‒, aber immer, wenn ich einen Absatz zu Ende gelesen habe, merke ich, dass ich nichts davon mitbekommen habe und wieder von vorne anfangen muss. Was schade ist, denn es ist ein großartiges Buch, und ich möchte herausfinden, wie es weitergeht. Bislang hat die schlaue, aber boshafte Aufsteigerin Becky Sharp alle Menschen in ihrer Umgebung manipuliert. Alles scheint sich um Geld und Tugendhaftigkeit zu drehen ‒ je mehr eine Person von beidem besitzt, desto besser ist sie dran, obwohl Geld ohne Tugendhaftigkeit der Tugendhaftigkeit ohne Geld vorzuziehen ist. Es ist faszinierend, aber ich bin trotzdem froh, in einem aufgeklärteren Zeitalter zu leben.
Ich versuche weiterzulesen, aber ohne Erfolg ‒ Becky Sharp kann meine Aufmerksamkeit nicht fesseln, wenn Hip-Hop in meinem Kopf dröhnt. Vielleicht wäre es besser, eine Zeitschrift zu lesen.
Ich versuche, die laute Musik und das Gelächter aus der Wohnung über mir zu ignorieren, nehme eine Ausgabe von Elle zur Hand und stoße auf einen Artikel zum Thema Ausmisten. »Räumen Sie Ihren Kleiderschrank aus und schaffen Sie ein neues Du!«, heißt es dort. Das ist wirklich mal eine gute Idee. Es wäre eine konstruktive Art und Weise, eine Stunde oder mehr zu verbringen.
Obwohl es nicht gerade das ist, was ich mir unter einem Samstagabend in London vorgestellt habe, als ich beschloss, hierher zu ziehen. Ich war vor Begeisterung außer mir, als ich meinem Chef vor einem Monat meine Kündigung überreichte und ihm mitteilte, ich würde nach London ziehen, und er könne mich nicht zurückhalten. Ich fühlte mich so gut, als ich mit einem kleinen Lächeln in sein Büro marschierte. Ich hatte fast mit stehenden Ovationen und Filmmusik gerechnet, als ich es ihm sagte ‒ oder vielleicht mit dem Auftauchen von Richard Gere, der mich in den Arm nehmen und mit mir aus dem Büro rauschen würde.
Wissen Sie, ich bin nicht der Typ, der einfach so seine Zelte abbricht und umzieht. Ich bin immer brav und unkompliziert gewesen, man wusste immer, woran man bei mir war. Niemand hatte es kommen gesehen ‒ am wenigsten ich selbst. Aber das Leben geht manchmal seltsame Wege, nicht wahr? In Bath, wo ich arbeitete und zu Hause war, lief es nicht mehr so gut für mich; und als ich meiner Mum gegenüber erwähnte, dass ich überlegte, ob ich nicht nach London ziehen sollte, war sie so begeistert, dass ich die Sache einfach durchziehen musste. Obwohl ich schreckliche Angst hatte.
Aber wie meine Mum sagte, man bekommt nur eine Chance im Leben, weshalb man jede sich bietende Gelegenheit beim Schopf ergreifen muss. Selbst wenn es bedeutet, Freunde, Familie und Arbeit zurückzulassen … Und übrigens schuldete ich es meiner Mum, den Versuch zu wagen. Seit sie ein kleines Mädchen war, träumte sie davon, nach London zu ziehen und das Leben der »High Society« zu leben, wie sie es nannte. Aber sie hat es nie getan ‒ sie hat geheiratet und Kinder bekommen, und bevor sie es merkte, war die Chance verpasst. Und da Dad nicht gerne irgendwo ist, wo er keine Felder sehen kann, fährt sie nicht einmal oft zu Besuch nach London. Ich weiß jedoch, was er meint ‒ Städte können Furcht einflößend sein.
Mum wäre so enttäuscht, wenn sie wüsste, dass ich seit einem Monat jeden Abend zu Hause verbringe. Ich muss es zumindest versuchen und sie das Leben in London durch mich ein wenig genießen lassen.
Es war wirklich ein gutes Gefühl gewesen, meine Stelle bei Shannon’s, einer Werbe- und Marketingagentur, zu kündigen und zu wissen, dass ich nicht mehr jeden Freitagabend nach der Arbeit im Pub sitzen würde, wo wir beispielsweise über den neuen Markenbetreuer lästerten, der jede Mitarbeiterin in seinem irritierenden, herablassenden Ton »Süße« nannte. Keine kurzen Röcke mehr tragen zu müssen, wenn wir eine Präsentation hatten. Und mich nicht mehr fragen zu müssen, ob ein Job in Bath, den ich nicht wirklich mochte, alles war, worauf ich hoffen konnte. Nein, ich nahm mein Leben jetzt in die Hand. Ich ließ das Leben im Westen Englands und die dortige ach so entspannte Einstellung zum Leben hinter mir; die Haltung der Leute dort war in Wirklichkeit ziemlich engstirnig, wenn man sich die Mühe machte, etwas an der Oberfläche zu kratzen.
Vielleicht hätte ich vor meinem Umzug ein paar praktische Einzelheiten klären sollen, aber ich ließ mich von dem Schwung und der Romantik mitreißen, mit nichts weiter als einem Koffer in einer großen Stadt anzukommen. Ich war die Heldin meiner eigenen kleinen Geschichte. Ich würde mich nicht mit etwas zufrieden geben, das »nicht ganz das ist, was ich mir erhofft habe«. Und ich würde Mum zeigen, dass ich es schaffen konnte ‒ sie hat nur eine Tochter, weshalb es meine Aufgabe ist, sie stolz zu machen. Natürlich habe ich momentan keinen richtigen Job ‒ das heißt, ich habe schon einen, aber es ist nicht ganz das, was ich mir vorgestellt hatte. Aber in einem Geschäft zu arbeiten, ist nicht so übel. Und ich habe im Guardian geblättert und nach geeigneten Stellen im Bereich Werbung gesucht. Zumindest wollte ich das tun. Ich muss nur zuerst mit der kleinen Stimme in mir fertig werden, die mich immer daran erinnert, dass ich eigentlich nie in der Werbebranche arbeiten wollte.
Ich schaue mir den Artikel in der Zeitschrift genauer an. Kleiderschränke sind offensichtlich ein Fenster zur Seele. Wenn Ihr Kleiderschrank sich nicht in einem guten Zustand befindet, schreibt der Autor, wie kann man dann erwarten, dass Ihr Leben in Ordnung ist? Hmmm. Ich hoffe, es stimmt nicht. Mein Kleiderschrank ist in einem fürchterlichen Zustand. Er ist klein, voll gestopft und voller hässlicher Drahtkleiderbügel.
Als ich ins Schlafzimmer spaziere, geht mir auf, dass es keine schlechte Idee wäre, alles rauszuschmeißen und neu anzufangen. Vielleicht sollte ich es wirklich tun. Und wenn ich mich von allem getrennt habe, wird sich vielleicht auch der Rest meines Lebens etwas besser zusammenfügen.
Obwohl … ich starre den Kleiderschrank an und frage mich, womit ich anfangen soll. Vielleicht ist die Idee doch nicht so gut. Ich habe kein Geld für neue Klamotten, und warum sollte man alles rausschmeißen, wenn man nicht sofort losziehen kann, um hübsche neue Kleider zu kaufen, die auf wundersame Weise die Taille schmaler machen und die Beine länger aussehen lassen?
Nach kurzem Zögern begebe ich mich wieder zu meinem Sofa. Es ist nicht dringend ‒ wahrscheinlich ist jetzt ohnehin nicht der richtige Zeitpunkt, meinen Kleiderschrank zu durchforsten. Um Himmels willen, es ist Samstagabend. Ich sollte etwas unternehmen, das Spaß macht.
Bumm bumm, huh huh huh, uh huh, huh, yeah.
Ich lasse die Zeitschrift sinken ‒ die Musik ist viel zu laut, ich kann mich nicht im Geringsten konzentrieren. Vielleicht sollte ich etwas kochen. Ich könnte ein neues Rezept ausprobieren. Ich behaupte immer, ich hätte keine Zeit, richtig zu kochen; jetzt habe ich die Chance dazu.
Es ist nicht wirklich einfach, in meiner Küche zu kochen. Ich sage zwar Küche ‒ aber was ich wirklich meine, ist ein kleiner Bereich mit einer Spüle, einem Kühlschrank und einem Herd, der an mein Wohnzimmer grenzt. Dann gibt es da noch einen kleinen Tisch, der zwischen »Küchenbereich« und »Wohnzimmerbereich« steht, und das ist alles. Es gibt keinen Platz für einen Geschirrschrank, und ich muss meine Packungen mit Müsli und Getreideflocken auf meinem Bücherregal aufreihen, weil sonst nirgends Platz ist.
So ist das mit London. Man sieht eine Wohnungsbeschreibung im Fenster eines Immobilienmaklers (»topaktuelle Wohnung in Landbroke Grove, ein Schlafzimmer, perfekt zur Bewirtung von Gästen«), und man glaubt, es handelt sich um eine Wohnung wie aus einem Film. Und dann besichtigt man sie und stellt fest, dass die Übersetzung von »perfekt zur Bewirtung von Gästen« bedeutet, dass »die Küche sich im Wohnzimmer befindet, sodass man nur einen Schritt tun muss«.
Ich nehme an, ich könnte mehr aus dem Apartment machen ‒ es ist etwas kahl, ich weiß. Aber die Sache ist die, dass ich nichts habe, um mehr daraus zu machen ‒ ich bin mit dem Zug gekommen, ich konnte nicht einmal meine gesamte Kleidung mitbringen, ganz zu schweigen von Dingen wie Bildern oder Büchern. Im Übrigen wollte ich auch nicht den ganzen Ballast mitschleifen ‒ in physischer und in bildlicher Hinsicht. Der Umzug in eine neue Stadt ist der Beginn eines neuen Lebens, und dem würde es widersprechen, Erinnerungen an Bath mitzuschleppen. Meine alten Möbel sind genau das ‒ nämlich alt. Sie sind Teil meines alten Lebens mit Pete. Pete ist mein Freund. Mein Ex-Freund. Er ist einer der Gründe für meinen Umzug nach London. Wie ich bereits gesagt habe, ich bin nicht bereit, mich mit etwas zufrieden zu geben, das »nicht ganz das ist, was ich mir erhofft habe«.
Das ist trotzdem keine Ausrede dafür, die Wohnung nicht wohnlicher zu gestalten, persönlicher ‒ ich wohne schließlich schon seit einem Monat hier. Das Problem ist, dass ich mich nicht entscheiden kann, welcher Stil mein »persönlicher« sein soll. Entscheide ich mich für einen modernen und klaren Stil mit Ledersofas und schlichten Läufern? Pete hätte seine eigene Großmutter (oder mich, wenn ich ehrlich bin) für ein modernes, helles Apartment mit einem Ledersofa, einem riesigen Fernsehgerät mit Plasmabildschirm und einer Dusche mit Glasbausteinen verkauft. Wir hatten sogar ein Sparkonto eröffnet in der Hoffnung, irgendwann eine Wohnung kaufen zu können. Aber wir haben nie viel eingezahlt ‒ es gab immer wichtigere Dinge wie Fußball-Saisonkarten (er) und Schuhe (ich). Wahrscheinlich wollten wir beide keine Eigentumswohnung. Nicht wirklich jedenfalls.
Na ja, jedenfalls gibt es den modernen Stil, aber ich bin nicht sicher, ob das wirklich ich bin. Dann gibt es noch den schäbig-schicken Stil, der ohnehin, wenn ich ehrlich bin, wahrscheinlich eher zu meinem Budget passt. Seit ich hergezogen bin, sind die wenigen Ersparnisse, die ich hatte, schnell zusammengeschmolzen. Vintage-Stil würde sich sicher in dieser Wohnung gut machen. Außerdem lebe ich zum ersten Mal seit langer Zeit allein, und mir gefällt die Vorstellung, mich wie ein Girlie zu geben, einfach nur, weil ich die Möglichkeit dazu habe. Keine Playstation muss irgendwo Platz finden, und niemand beharrt darauf, dass alles, was mit Blumen zu tun hat, in das Zuhause von alten Leuten gehört. Ich könnte mir einen hübschen, gemütlichen Hafen schaffen, ganz für mich allein.
Aber bin ich denn überhaupt der Girlie-Typ? Ich bin mir da nicht so sicher. Ich trage nie Pink, und in der Schule wollte ich auch keine Kaschmirpullis anziehen. Ich war eher ein Wildfang, immer völlig schlampig. In der Tat habe ich erst im ersten Semester an der Universität mitbekommen, dass man sich zurechtmachen kann. Es war so einfach, dass ich gar nicht verstehen konnte, warum ich es nicht schon früher kapiert habe ‒ wenn man eine Stunde aufwendet, um das Haar ein wenig zu stylen und sich etwas zu schminken, schenken einem die Jungen sofort mehr Aufmerksamkeit. Es ist auch hilfreich, über ihre Witze zu lachen, statt sie zu verarschen ‒ das lernte ich im zweiten Semester. Bis ich wieder nach Hause zurückkehrte, hatte ich alle Tricks drauf, und plötzlich nahm auch Pete von mir Notiz. Zum ersten Mal überhaupt kam er doch tatsächlich zu mir, um mit mir als Mädchen zu reden; sonst hatte er mich immer als »einen von den Jungs« betrachtet. Fast mein ganzes Leben lang (na ja, seit ich etwa dreizehn war) war ich wie verrückt in ihn verliebt gewesen, und er hatte in mir nichts weiter als einen Kumpel gesehen. Und die ganze Zeit hätte ich, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, nichts weiter tun müssen, als ein bisschen Lipgloss aufzutragen und mein Haar so zu pflegen, dass es glänzte und ›plastischen Schwung‹ bekam. Wäre ich nicht so glücklich gewesen, dass er mir endlich Beachtung schenkte, hätte mich das unglaublich geärgert.
Natürlich gibt es als Dekorationsmöglichkeit auch noch den indischen Stil ‒ Teakholztische, tiefrote gemusterte Teppiche und Räucherstäbchen. Aber auch hier weiß ich nicht, ob das wirklich ich bin, aber irgendwo muss ich schließlich anfangen, nicht wahr? Auf der Portobello Road befindet sich ein Geschäft, das haufenweise kleine Tische und Teppichläufer anbietet, und sie sind gar nicht mal so teuer.
Na ja, vermutlich werde ich irgendwann zu einem Entschluss kommen, und bis dahin muss ich eben mit dem klarkommen, was ich habe.
Mit der vagen Hoffnung auf Inspiration schaue ich mich gründlich im Raum um. Auf der Armlehne des Sofas liegen zwei Bücher. Meine Stereoanlage, die schon bessere Tage gesehen hat, steht auf dem Boden, umgeben von CDs und Kassetten. Ein alter Spiegel des Vermieters hängt einsam an der Wand und reflektiert die leere Wand gegenüber, die Risse im Anstrich und Löcher aufweist, wo Bilder aufgehängt werden könnten. Und dann ist da eben dieser Briefstapel auf dem Kaminsims. Als ich die Wohnung für sechs Monate mietete, bat mich der Vermieter, mögliche Post für Cressida aufzubewahren, »nur für den Fall; dass Ihre Vormieterin zurückkommt«. Was ein bisschen beunruhigend war ‒ es hörte sich an, als wäre es eigentlich nicht meine Wohnung, als würde ich mich nur für die frühere Bewohnerin darum kümmern. Aber schlimmer ist, dass sie viel mehr Post bekommt als ich.
Vielleicht sollte ich ein paar Fotos aufhängen. Einen Überwurf über das Sofa legen. Die Teppiche wegnehmen und den Boden abschleifen. Oder ich könnte einen riesigen Teppich kaufen und den Raum richtig gemütlich gestalten …
Ich weiß nicht, wie andere Leute große Entscheidungen beispielsweise über Einrichtungsfragen so leicht treffen können. Sie vertrauen anscheinend darauf, dass es einen bestimmten Weg gibt, wie Dinge zu tun sind, und dass dieser eine Weg der ihre ist. Wie beispielsweise meine Eltern. Dad mag klassische Musik und kann laute Bars oder Pubs nicht ausstehen. Er macht gerne Urlaub, aber nur, wenn er ans Ziel fahren kann ‒ er hasst Flugzeuge. Er mag traditionelles englisches Essen und liest lieber Biografien als Romane. Mum dagegen mag die italienische Küche, glamouröse Restaurants, Chintzmöbel und Chintzstoffe, Urlaub in Europa und Filme mit Michael Caine. Ich weiß, ob sie etwas mögen werden, weil sie so gefestigt, so entschlossen sind. Mum sagt immer: »Ich weiß, was ich mag, und ich mag, was ich weiß«, und das entspricht auch der Wahrheit. Aber ich möchte sie immer fragen: »Wie? Wie weißt du es? Wie kannst du dir so sicher sein?«
Wissen Sie, ich esse auch gern italienisch, aber ich mag auch die chinesische, die japanische, die englische und die französische Küche. Ich bin Vegetarierin und Veganerin gewesen und habe auch die Atkins-Diät probiert (mit jeder Menge Steaks). Ich mag romantische Komödien mit Meg Ryan, sehe mir aber auch gerne französische Filme und Thriller an. Ich gehe gerne in Klubs, bleibe aber auch gerne zu Hause. Ich mag ein gemütliches Essen zu zweit, und ich gehe gern auf laute Partys. Manchmal kleide ich mich von Kopf bis Fuß in neutrale Beige- oder Kameltöne; ein anderes Mal bin ich so farbenfroh wie ein Regenbogen. Und ich kann mich nie entscheiden, was ich lieber mag.
Und dann ist da Pete. Ich meine, ich glaubte tatsächlich, dass ich ihn mochte. Glaubte, dass ich ihn liebte. Aber ich war mir nie ganz sicher. Oder war ich mir nur nie ganz sicher, ob er mich liebte?
Na gut, zurück zum Kochen. Mal sehen … ich öffne den Kühlschrank. Zwei Eier, etwas Sellerie (offensichtlich sehr entgiftend; ich wünschte mir bloß, dass er nicht so schrecklich schmecken würde) und ein Laib Brot. Ist das wirklich alles? Ich öffne das Tiefkühlfach und sehe die Pizza, die ich am Vortag bei Fresh’n’Wild gekauft habe. Sofort tauchen in meinem Kopf Argumente gegen das »Kochen eines tollen Rezeptes« auf ‒ Kochen ist ohnehin Zeitverschwendung; ich habe nichts da, woraus ich etwas Tolles kochen könnte …
Mein Gott, es ist verrückt. Ich bin an einem Samstagabend zu Hause. Nichts Besonderes, richtig? Warum bin ich dann so nervös? Und warum krampft sich mir der Magen zusammen wegen Alistairs Musik? Natürlich ist sie laut, aber schließlich sind wir in Notting Hill. Die Leute veranstalten nun mal Partys, nicht wahr? Was ist so falsch daran?
Vermutlich ist es nur diese eine kleine Stimme in meinem Kopf, die nicht aufhören will, mir zuzuflüstern, dass es an mir liegt, wenn ich an einem Samstagabend allein bin. Dass meine Mutter, wäre sie jetzt hier (um zwanzig Jahre jünger), es garantiert so gedeichselt hätte, dass sie oben bei der Party wäre, statt hier allein herumzusitzen und der Musik zuzuhören. Dass ich es in London nicht schaffe und mit eingekniffenem Schwanz nach Hause zurückkehren werde, sobald mir das Geld ausgeht.
Uh huh, bumm bumm, huh huh, yeah.
Wir grüßen uns ab und zu. Aber das ist auch schon alles. Und nicht einmal das ist wirklich wahr ‒ eigentlich bin ich immer diejenige, die Hallo sagt, und Alistair lächelt zurück.
Aber er ist sehr sexy. Nicht ganz mein Typ ‒ ich meine, er ist viel zu trendy. Er trägt eine Brille mit dunklem Rahmen im Buddy-Holly-Stil und eine Uniform aus dunklem Jeansstoff, und ich glaube, er ist Designer oder Künstler, weil er immer so ’ne Mappe mit sich herumschleppt. Er ist so »London« ‒ in Bath würde man nie jemanden wie ihn sehen.
Wahrscheinlich sollte ich damit aufhören, mich von allen Dingen, die typisch »London« sind, einschüchtern zu lassen. Alle anderen hier können anscheinend damit umgehen, statt etwas so Banales wie die U-Bahn aufregend zu finden. Vermutlich werde ich mich irgendwann daran gewöhnen, aber man muss auch sehen, dass ich in einem kleinen Dorf auf gewachsen bin und meine Mutter mir jeden Abend Geschichten über die Lichter der Großstadt, über Gefahren und aufregende Dinge erzählt hat. Als ich ein Teenager war, glaubte ich, dass das Leben in London anfing und endete und dass es das Schlimmste war, was einem passieren konnte, im Westen Englands zu versauern. Die Leute sprechen von »unserer Gemeinde«, als ob es etwas Großartiges wäre, und das ist es auch, wirklich. Aber können Sie sich vorstellen, an einem Ort zu leben, wo jeder weiß, welches Buch Sie gerade lesen? Wo Ihre Nachbarin Ihnen an genau dem Tag, an dem Sie Ihre Periode zum ersten Mal bekommen, gratuliert? Wo jeder in Ihrer Straße weiß, welche Noten Sie in jeder einzelnen Klassenarbeit bekommen haben? Glauben Sie mir, irgendwann erstickt es einen. Als ich ein bisschen älter war, konnte ich wenigstens nach Bath fahren, in die nächste Stadt. Aber Bath ist auch nicht besonders aufregend, nicht wahr? Meistens ist es voller Touristen, und alle denken, es sei wirklich »hübsch«. Nun, ich habe genug von »hübsch«. Ich möchte es entschlossen, erfrischend und wild haben.
Außerdem ist es durchaus ein Problem, dass Bath eine sehr kleine Stadt ist. Vor allem, wenn man sich gerade von jemandem getrennt hat. Insbesondere, wenn der Grund, warum man sich getrennt hat, der ist, dass man betrogen wurde. Und jetzt kann man nicht mehr in eine Bar oder ein Restaurant gehen, ohne sich verstohlen umzublicken, ob er nicht mit seiner Neuen da ist.
Ich sehe mir meine CDs und Kassetten an ‒ alles, von Stan Getz bis zu den White Stripes. Hmmm. Björk … die habe ich schon länger nicht mehr gehört … ist aber wahrscheinlich zu leidenschaftlich. Air …? Nein, zu sanft. Das ist das Problem mit den Alben, finde ich ‒ man muss sich einer bestimmten Stimmung unterwerfen. Ich weiß, dass es schrecklich uncool ist, aber insgeheim liebe ich zusammengestellte Kassetten. Ich mag die Vielfalt, und es bedeutet auch, dass man sich nicht für eine bestimmte Gruppe oder einen Sänger entscheiden muss. Meine Finger verharren über einer alten Mix-Kassette, die ich zusammengestellt habe, als ich noch zur Schule ging, und ich ziehe sie heraus. Ich habe die meiste Zeit damit verbracht, Mix-Kassetten für Freunde zusammenzustellen, als ich noch zur Schule ging ‒ wahrscheinlich war es meine Lieblingsmethode zu kommunizieren. Die richtige Mischung von Songs kann sagen »Ohne ihn bist du besser dran«, oder »Du bist eine großartige Freundin, und es tut mir sehr leid, dass ich dein Lieblingsoberteil ruiniert habe«, und zwar viel besser als Worte. Diese Kassette beinhaltet eine für jene Zeit für mich typische Mischung ‒ ein paar Schnulzen wie »Unbreak My Heart« von Tony Braxton, ein paar Stücke von den Breeders und PJ Harvey, die meine Ängste als Teenager perfekt beschreiben, ein paar Tanzstücke und der seltsame Retrosong von einer finsteren Band, den ich aufgenommen hatte, um zu zeigen, wie cool ich war. CDs mögen eine wundervolle Technologie repräsentieren, aber die Kehrseite ist, dass niemand sich mehr so viel Zeit für das Zusammenstellen von Mix-Kassetten nimmt. Das Herunterladen von Stücken innerhalb von Sekunden ist nicht dasselbe wie das manuelle Aufnehmen, das Anhören von jedem einzelnen Song und das rechtzeitige Drücken der Stopptaste am Ende von jedem Stück. Kassetten sind gar nicht so übel, auch wenn man regelmäßig Bandsalat bekommt.
Erfreut, weil ich so schnell eine Entscheidung getroffen habe, lege ich die Kassette ein und kuschle mich auf das Sofa, entschlossen, mich zu beruhigen und das Beste aus dem Abend zu machen. Das ist nur eine Momentaufnahme, erinnere ich mich selbst. Wie lange bin ich jetzt in London? Einen Monat. Etwas mehr als vier Wochen. Ich kann nicht erwarten, jetzt schon ein reges Gesellschaftsleben zu haben. So etwas braucht Zeit. Ich habe schließlich sechsundzwanzig Jahre in einem Dorf gelebt.
Ich ertappe mich dabei, wie ich voller Sehnsucht an die kleine Wohnung denke, die ich mir in Bath mit Pete teilte; dort gab es ein loderndes Feuer, das mich wärmte, wenn er nicht zu Hause war und was auch immer tat (oder, besser gesagt, mit wem auch immer er es tat). Aber, rufe ich mir ins Gedächtnis zurück, ich war nicht wirklich glücklich. Ich war von Freunden und meiner Familie umgeben, aber ich war trotzdem einsam. Sicher, ich wurde zu allen Partys eingeladen, aber dort waren immer dieselben Leute, die sich über dieselben alten Dinge unterhielten. Jeder kannte jeden ‒ Teufel auch, irgendwann war jeder mit jedem mal ausgegangen. Es gab nichts Spannendes mehr, nichts Interessantes, und niemanden, der mich nicht als »Nat und Pete« kannte ‒ ich konnte nie anonym sein, nie meine Persönlichkeit ändern. Wohingegen hier … na ja, was die Anonymität angeht, gibt es hier sicherlich kein Problem. Und wenn die Waagschale sich etwas zu sehr in die andere Richtung geneigt hat, wird sie sich sicher bald ausbalancieren. Ich drehe die Lautstärke etwas höher. Die Indians singen gerade »Life ain’t no bed of roses ‒ das Leben ist kein Honigschlecken«. Erinnert mich nicht daran, dachte ich trübselig. Ich muss die positive Seite sehen. Ich habe gehandelt. Ich lebe nicht mehr in Bath, Jane Austens Stadt, in der alte Ruinen stehen und wo es seltsam schmeckendes Heilwasser und endlose Felder gibt. Ich bin nicht mehr Natalie aus Bath ‒ ich bin Natalie aus Notting Hill.
Das Telefon läutet, und ich springe vom Sofa auf. Es gibt nur eine Handvoll Leute, die es sein können. Meine Mutter ‒ aber ich habe erst gestern Abend mit ihr gesprochen, und gewöhnlich ruft sie nicht an zwei aufeinander folgenden Abenden an; Chloe, meine beste Freundin, aber das ist auch unwahrscheinlich ‒ sie wird ausgegangen sein, mit Sicherheit; oder … Pete. Seit meinem Umzug haben wir etwa einmal pro Woche miteinander telefoniert, und unsere Gespräche sind im Allgemeinen ziemlich identisch. Erst einmal erzählen wir einander, wie hervorragend es uns geht und wie glücklich wir sind; dann sprechen wir über unsere Arbeit, unsere Familien ‒ irgendwelche neutralen Themen, die uns einfallen ‒, und dann sagt er immer: »Ich kapiere immer noch nicht, warum du weggezogen bist. Komm zurück, ja? Wir haben doch viel Spaß miteinander gehabt.« Und ich antworte so was wie: »Nein, du hast Spaß gehabt, und meistens nicht mit mir«, und dann fängt er an, mir zu erklären, ich sei paranoid; ich wiederum verteidige mich und werfe ihm vor, mit anderen Frauen geschlafen zu haben, und bevor wir es wissen, führen wir denselben Streit, den wir ungefähr drei Jahre lang wieder und wieder geführt haben. Nach einer Weile breche ich gewöhnlich in Tränen aus. Ich bin über ihn weg; ich gerate nur aus der Fassung, wenn ich an die Zeit denke, die ich mit ihm verschwendet habe. In dem irrigen Glauben, dass er dasselbe gefühlt hat wie ich.
»Hallo?«, sage ich hoffnungsvoll. Also streiten wir. Was nicht bedeutet, dass ich nichts mehr von ihm hören will.
»Hallo. Spricht dort Cressida Langton?«, antwortet eine intelligent klingende Frauenstimme.
Meine Laune verschlechtert sich. Okay, die andere Möglichkeit besteht darin, dass der Anruf nicht einmal für mich ist. Was ziemlich irritierend ist in Anbetracht der Tatsache, dass ich die einzige Person bin, die hier wohnt. Ich wünschte, ich hätte eine andere Nummer beantragt; aber das kostet vierzig Pfund, und zu dem Zeitpunkt hatte ich geglaubt, es wäre kein Problem, die alte Nummer zu behalten. Und so ist es auch. Abgesehen von der irritierenden Tatsache, dass die verdammte Cressida mehr Anrufe als ich erhält, und dabei wohnt sie nicht einmal mehr hier. Trotzdem hat die Sache ein Gutes. Wenn es Pete gewesen wäre, hätte ich ihm vielleicht gestanden, dass ich etwas niedergeschlagen war. Und das wäre verhängnisvoll gewesen.
»Nein«, sage ich und versuche, nicht enttäuscht zu klingen. »Sie ist vor einem Monat ausgezogen.«
»Oh. Haben Sie ihre neue Telefonnummer?«
»Nein, tut mir leid«, sage ich zum zehnten Mal für diese Woche. Hat Cressida nicht daran gedacht, ihren Freunden ihre neue Nummer mitzuteilen?
»Das ist schade«, meint die Frau verärgert. »Hier ist das Nobu. Sie hat für heute Abend einen Tisch reservieren lassen, und ich muss wissen, ob ich ihn noch freihalten soll.«
»Nobu?« Das ist nur das teuerste Restaurant in ganz London. Cressida wollte heute Abend dort sein? Wow! Plötzlich steigt sie in meiner Achtung.
»Ja«, sagt die Frau.
»Richtig«, sage ich nach einer kurzen Pause. Ich kann nicht glauben, dass ich mit dem Nobu telefoniere! »Nun ja, es tut mir aufrichtig leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann.«
»Nein, da kann man nichts machen.«
Und sie legt auf.
***
Huh huh, huh huh. Bumm, yeah.
Ich starre das Telefon ein paar Sekunden lang an und versuche mir vorzustellen, zum Dinner zum Nobu zu gehen. Cressida ist wahrscheinlich eine super-glamouröse Städterin. Glamourös und reich. Ich frage mich, mit wem sie zum Dinner verabredet war.
Mein Blick ruht auf dem Stapel Briefe, die alle an Cressida adressiert sind. Plötzlich erscheinen sie mir viel interessanter. Ich frage mich, welche Art von Post jemand bekommt, der bei Nobu isst.
Ich schlendere hinüber und nehme die Briefe in die Hand. Die meisten sehen ziemlich langweilig aus. Aber da ist ein großer brauner Umschlag, der irgendwie interessant wirkt, und ein kleinerer cremefarbener, der per Hand adressiert ist. Dann gibt es noch einen eingeschweißten Katalog. Ich lege den Rest der Briefe wieder zurück und nehme die zwei Umschläge und den Katalog mit zurück aufs Sofa.
Ich gehe mal davon aus, dass nichts dagegen spricht, den Katalog zu öffnen. Ich meine, es ist doch nur Werbung, oder? Es gibt nichts Persönliches darin.
Aber als ich schon dabei bin, die Folie aufzureißen, höre ich auf und verdrehe die Augen angesichts meines lächerlichen Verhaltens. Ich kann kaum glauben, dass ich so weit gekommen bin, die Werbepost für andere Leute öffnen zu wollen, um mich zu amüsieren.
Aber nachdem ich schon so tief gesunken bin, will ich den Katalog auch auspacken. Wenn ich schon so Mitleid erregend bin, kann ich es genauso gut auch richtig tun.
Ich sehe mich heimlich um, als hätte ich Sorge, dass jemand mich beobachten könnte, dann reiße ich schnell die Folie herunter und öffne den Katalog. Und obwohl es sich nur um Werbung handelt, ist es ein komisches Gefühl, die Post eines Fremden zu öffnen.
Aber ich verdränge meine Zweifel und wende meine Aufmerksamkeit dem Katalog zu. Wenn man ihn überhaupt so bezeichnen kann ‒ irgendwie sieht er dafür viel zu hübsch aus. Ich habe noch nie einen derartigen Versandkatalog gesehen! Erstens ist das Papier herrlich, und zweitens ist er voller erstaunlicher Dinge, die alle unglaublich teuer sind ‒ Steinlampen und Samtkleider und andere Dinge, die niemand braucht, die aber so schön sind, dass man wahrscheinlich sein Haus mit einer zweiten Hypothek belasten würde, um sie zu besitzen. Wenn man überhaupt ein Haus mit einer Hypothek hat, natürlich. Ich glaube, ich hebe ihn für Mum auf ‒ sie wird diesen Katalog lieben.
Ich stelle mir vor, dass in meinem Wohnzimmer lauter hübsche »objects« stehen. Hat Cressida Dinge aus diesem Katalog bestellt? Als sie noch hier wohnte, gab es da in diesem Raum jede Menge üppige Überwürfe und Kissen? Ich wette, sie hat aus dem Katalog bestellt. Wahrscheinlich standen auch überall brennende Kerzen herum. Ich schließe die Augen halb und stelle mir lange Samtvorhänge am Fenster vor, Sitzkissen aus Leder und Velours auf dem Boden und einen falschen Fellüberwurf auf dem Sofa. Okay, sobald ich etwas Geld gespart habe, gehe ich einkaufen.
Ich lasse den Katalog sinken und starre die anderen Briefe an. Meine Neugier ist angestachelt, und ich möchte einen weiteren heimlichen Blick auf Cressidas Leben werfen. Es wäre nicht so schlimm, wenn ich selbst einen kleinen Stapel Briefe zu öffnen hätte, aber ich habe keinen einzigen. Heute Morgen habe ich einen Kontoauszug bekommen (was nie schön ist zu Beginn des Wochenendes), und vor zwei Wochen habe ich eine Ansichtskarte von meinen Eltern erhalten ‒ und das ist alles, seit ich hier wohne. Schreiben die Leute nicht mehr? Offensichtlich tun sie es doch; sie schreiben nur an Cressida und nicht an mich.
Nach mehrminütigem Zögern nehme ich den großen braunen Umschlag, angeblich, um ihn zurück zu den anderen Briefen zu bringen, aber insgeheim, um nach einem Zeichen zu suchen, dass es sich ebenfalls um Werbung handelt; in dem Fall könnte ich es rechtfertigen, den Umschlag zu öffnen. Stattdessen bekomme ich einen Schock. In der linken oberen Ecke befindet sich ein dezenter Stempel: »Soho House«. Wie konnte ich das bisher übersehen? Sicherlich kommt der Brief nicht von dem Soho House? Dem privaten Klub, bei dem jeder, der etwas auf sich hält, Mitglied werden will? Der Klub, der in New York eine ›Filiale‹ eröffnet hat und sofort in Sex and the City gezeigt wurde? Heißt das, dass Cressida Mitglied ist?
Mein Herz schlägt auf einmal etwas schneller. Wenn man von »High Society« spricht, kann man wohl dieser Tage kaum näher herankommen. Plötzlich erscheint mir London nicht mehr ganz so unzugänglich. Ich habe tatsächlich ein Schreiben von Soho House. Korrektur ‒ Cressida hat ein Schreiben von Soho House. Aber sie ist nicht hier, nicht wahr? Und ich habe auch keine Ahnung, wo sie stecken könnte. Sie könnte nach Australien gegangen sein, da wird sie sich kaum Gedanken um ein paar Briefe hier machen, oder?
Ich betaste den Umschlag sorgfältig ‒ es ist nicht viel darin. Höchstens ein paar Blätter. Dann lege ich ihn wieder hin. Es ist unerträglich. Ich kann doch nicht die Post einer anderen Person öffnen! Aber sie ist doch von Soho House! Wann werde ich wieder eine derartige Gelegenheit haben?
Ich wende mich dem anderen Brief zu, der genauso verlockend aussieht. Der Umschlag ist dick und cremefarben, und die Adresse ist mit eleganter Handschrift mit einem Füller geschrieben.
Cressida Langton, Flat 3, 127 Ladbroke Grove, Notting Hill, London W11.
Es klingt gut, nicht wahr? Und jetzt ist es meine Adresse. Ich wohne hier. Vergiss Pete und vergiss die Party über dir ‒ ich brauche sie nicht.
Ich frage mich, wie Cressida wohl aussieht. Bestimmt ist sie hübsch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass unattraktive Frauen ins Soho House gehen. Ich stehe auf, um in den Spiegel zu sehen, halte den Kopf hoch und schiebe die Schultern zurück, während ich mir vorstelle, ich wäre sie. »Darling, du siehst göttlich aus«, sage ich zu meinem Spiegelbild und tue so, als wäre ich Catherine Zeta-Jones oder eine andere Berühmtheit. Okay, vielleicht klingt der Akzent etwas übertrieben ‒ ich höre mich eher wie die Queen als wie Liz Hurley an ‒, aber daran kann ich noch arbeiten. »Ich bin gerade auf dem Sprung zu einem Drink im Soho House«, erkläre ich einem imaginären Pete. »Oh, Alistair, es tut mir Leid; ich kann nicht lange bleiben ‒ ich bin in einer Stunde bei Nobu zum Dinner verabredet …«
Während ich spreche, werden meine Hände wieder unwiderstehlich von den Briefen angezogen, und ich nehme sie in die Hand, fächele mir mit ihnen Luft zu, um das Bild zu vervollständigen. Es würde doch nicht schaden, wenn ich einen winzigkleinen Miniblick hineinwerfen würde, oder doch? Niemand wird es je erfahren, nicht wahr? Ich bin sicher, dass Cressida nicht zurückkehren wird, um ihre Post abzuholen, weshalb es keinen Unterschied machen wird, wenn ich die Briefe öffne. Aber wenn sie nun doch zurückkehrt … was würde ich dann tun? Es würde keinen guten Eindruck machen, wenn ich ihr die Schreiben in geöffnetem Zustand geben würde. Verdammt, und dabei sehen sie so unwiderstehlich aus.
Fast reflexartig ziehe ich meine Hand zurück, als hätte ich mir die Finger verbrannt.
»Natalie Raglan, was zum Teufel glaubst du eigentlich, das du da tust?«, sage ich halblaut zu meinem Spiegelbild und reiße mich selbst aus meinen »Cressida Langton«-Träumen.
Das war knapp. Ich lächele mir im Spiegel zu, als aus den Lautsprechern »Versucht von der Frucht eines anderen« tönt. Ich bin nicht sicher, ob Squeeze das meinte, als sie den Song schrieben, aber die Worte passen ziemlich gut. Ich werde der Versuchung widerstehen. Diese Briefe sind das Privateigentum einer anderen Person, und ich bin nicht der Typ Mensch, der sie öffnen würde. Punkt. Ich schalte den Fernseher ein, aber bevor ich mich ernsthaft damit beschäftigen kann, läutet wieder das Telefon.
»Gerettet!«, rufe ich, als ich nach dem Telefon greife.
»Natalie?«, fragt eine vertraute Stimme. »Du klingst etwas außer Atem.«
»Chloe! Ja, ich bin gerade durch die Wohnung gerannt. Oder, besser gesagt, über das Sofa gehechtet.«
Chloe und ich haben Tür an Tür gewohnt, seit wir etwa fünf waren, und bis ich nach London zog, haben wir so ziemlich alles gemeinsam gemacht. Mein Bruder James starb, als ich sechs war, und meine Eltern haben lange gebraucht, um darüber hinwegzukommen, weshalb ich jahrelang mehr bei Chloe als bei mir zu Hause war. Wir waren unzertrennlich ‒ wir gingen überall gemeinsam hin, lasen dieselben Bücher, schauten dieselben Filme … mein Gott, wir haben sogar am selben Abend unseren ersten Kuss bekommen. Natürlich haben wir uns nicht gegenseitig geküsst, sondern wir haben Jungen geküsst. Es waren James und Steve aus der Schule, und wir waren vierzehn.
Wir haben sogar darauf bestanden, nur drei Meter voneinander entfernt zu stehen, falls etwas schief gehen sollte, und schließlich kicherten wir beide so sehr, dass James und Steve uns stehen ließen, als wären wir ein Paar wahnsinnig gewordene Trottel. Ich war eigentlich erleichtert ‒ James; küsste wirklich schlecht, und außerdem hatte ich Angst, dass Pete es herausfinden könnte. Nicht, dass es irgendeine Rolle gespielt hätte ‒ Pete hatte mich zu jenem Zeitpunkt noch nie gebeten, mit ihm auszugehen, aber damals hatte ich diese abwegige Vorstellung, mich für ihn aufsparen zu müssen.
Jedenfalls haben Chloe und ich auch danach fast alles zusammen gemacht ‒ das College und die Universität besucht und sogar für dieselbe Firma gearbeitet; wir sind am selben Tag in Shannon’s Agentur in Bath eingetreten. Nach dem Studium machte ich einen Rundumschlag, um eine Stelle zu finden ‒ ich wusste nicht, was ich tun wollte, weshalb ich mich für fast alles bewarb, während Chloe vorhatte, erst einmal abzuwarten, bis sie wusste, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte. Aber ich überredete sie, ebenfalls einige Bewerbungen loszuschicken, und schließlich bekamen wir tatsächlich beide eine Stelle bei Shannon’s. Letzten Endes erwies Chloe sich als Naturtalent, während ich im Grunde meines Herzens nie sicher war, dass es das war, was ich tun wollte. Aber wenn ich nicht beschlossen hätte, zu kündigen und nach London zu ziehen, würden wir immer noch Seite an Seite arbeiten.
Ehrlicherweise muss ich erwähnen, dass ich es nach Möglichkeit vermieden habe, mit Chloe zu telefonieren, seit ich in London bin. Es ist nicht so, dass ich nicht mit ihr sprechen will ‒ natürlich will ich das ‒, aber ich möchte es einfach hinausschieben, bis ich ihr mehr zu erzählen habe. Sie ist schließlich meine beste Freundin. Das Letzte, was ich will, ist, ihr erzählen zu müssen, dass ich jeden Abend zu Hause sitze. Ich möchte sie mit fantastischen Geschichten über mein wundervolles Gesellschaftsleben beeindrucken ‒ mit meinen glanzerfüllten Tagen und meinen hedonistischen Nächten. Und außerdem kann ich ihr nicht die Wahrheit sagen, weil sie es meiner Mutter erzählen würde. Und ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass Mums Träume, nach London zu ziehen, sich zum zweiten Mal in ihrem Leben in Luft auflösen.
»Hallo, zumindest bist du zu Hause!«, sagt Chloe mit ihrer vertrauten fröhlichen Stimme. »Ich war nicht sicher, ob der Zeitpunkt für einen Anruf geeignet ist.«
Ich schweige. Ich würde Chloe gerne erzählen, dass ich ein bisschen einsam bin und Angst habe, ins kalte Wasser gesprungen zu sein, ohne richtig schwimmen zu können. Mit Chloe konnte ich immer über meine Probleme reden (und glauben Sie mir, es gab jede Menge davon). Wir liebten es, uns am Samstagabend alte Filme anzusehen und über unser (gewöhnlich unglückliches) Liebesleben zu reden, und ich weiß, dass sie erwartet, dass ich mich ihr wie gewöhnlich anvertraue.
Aber irgendwie schaffe ich es nicht.
Während Chloe mir über ihre Woche berichtet, denke ich daran, wie überrascht sie war, als ich mein Vorhaben, nach London umzuziehen, tatsächlich in die Tat umgesetzt habe. Eigentlich habe ich mich auch selbst damit überrascht. Ich hatte es eines Abends nur so dahingesagt, als Pete mal wieder um Mitternacht heimkehrte und mir nicht erklären wollte, wo er gewesen war. Das ließe ich mir nicht mehr bieten, tat ich da mutig kund, ich würde ihn verlassen und nach London ziehen. Und als er antwortete, ich solle mich nicht lächerlich machen, stellte ich mich auf die Hinterbeine und gab nicht zu, dass ich eigentlich nicht plante umzuziehen ‒ nicht ernsthaft jedenfalls. Und dann, als meine Mutter davon hörte … na ja, sie war so begeistert, dass ich ihr schlecht sagen konnte, dass ich es eigentlich nicht so gemeint hatte. Und nun ist es passiert ‒ und ich muss mir nur noch etwas ausdenken, was mein Leben etwas glanzvoller erscheinen lässt, als es in Wirklichkeit ist.
Mein Blick wird wieder von den Briefen angezogen. Wie wäre es, wenn ich ein paar Notlügen erzählen würde? Dem Ganzen nur etwas mehr Würze verleihen. Chloe ist ja schließlich nicht hier. Sie wird es nie erfahren.
Ich wende den Blick ab. Meine Güte, Natalie, rüge ich mich selbst. Überlegst du wirklich, ob du die Wahrheit vor deiner besten Freundin verbergen sollst? Nur weil du nicht willst, dass irgendjemand denkt, du wärst eine Versagerin?
»Natalie? Bist du in Ordnung?«, flüstert Chloe in den Hörer. Ich habe seit einigen Minuten nichts mehr gesagt, was überhaupt nicht zu mir passt ‒ gewöhnlich reden wir beide so viel, dass man sich Mühe geben muss, zu Wort zu kommen. »Hör mal, wenn es nicht gut läuft, kannst du mir das ruhig erzählen, weißt du. Es ist keine Schande zuzugeben, wenn man sich geirrt hat …«
Ich spüre, wie ich rot werde. Zugeben, dass ich mich geirrt hatte? Niemals. Wenn die Alternative bedeutet, Mum zu enttäuschen und mich von Pete auslachen zu lassen, dann erfinde ich lieber ein komplett neues Leben … Und übrigens, weiß Chloe denn nicht, wo ich bin? Ich bin in Notting Hill. Ich wohne in 127 Ladbroke Grove. Natürlich läuft alles bestens.
Mein Blick fällt wieder auf die Briefe.
»Ob ich in Ordnung bin?«, höre ich mich selbst mit leicht erstickter Stimme. »Mein Gott, es könnte mir nicht besser gehen!«
Schockiert, weil ich das gesagt habe, erröte ich wieder.
»Wirklich? Deine Mum hat nur gemeint, du hättest gestern am Telefon ein wenig niedergeschlagen geklungen ‒ sie denkt, dass es dir vielleicht ein bisschen schwerer fällt, als du erwartet hast. London ist ja schließlich eine riesige Stadt …«
Mum? Oh Gott, ist es so offensichtlich? Ich hatte geglaubt, es wäre mir prima gelungen, ihr weiszumachen, dass alles genau so wäre, wie sie es sich vorstellte, als sie gestern Abend anrief. Offensichtlich muss ich daran arbeiten, überzeugender zu klingen. Und wann wäre der Zeitpunkt dafür geeigneter als jetzt?
Ich hole tief Luft. »Riesig und sagenhaft!«, sage ich zu Chloe und versuche zu lächeln, während ich rede. »Du hast übrigens Glück, dass du mich um diese Uhrzeit erwischt hast. Ich wollte gerade aufbrechen.«
Ich zucke zusammen, aber dann versuche ich, mich davon zu überzeugen, dass alles okay ist. Ich fühle mich ein bisschen leer, während ich rede, aber das spielt vermutlich keine Rolle.
»Oh, das freut mich aber«, sagt Chloe erleichtert, und ich habe plötzlich Schuldgefühle. Mein Wohlergehen liegt ihr wirklich am Herzen, und ich erfinde lächerliche Geschichten über mein angeblich großartiges Gesellschaftsleben!
»Wohin gehst du denn?«, will sie wissen.
»Wohin ich gehe?« Verzweifelt versuche ich mir etwas auszudenken. Und dann fällt mir etwas ein. Besser gesagt, die linke obere Ecke von einem von Cressidas Briefen bringt mich darauf.
»Oh, ins Soho House«, antworte ich, bevor ich mich zurückhalten kann. Ich kann nicht glauben, dass ich das gesagt habe.
»Nein!«, ruft Chloe aus. »Mein Gott, Natalie ‒ das ist der heißeste Klub in ganz London! Mit wem gehst du hin?«
Mit wem gehe ich hin? Scheiße ‒ mit wem zum Teufel könnte ich in dieses verdammte Soho House gehen?
»Mit…«, fange ich an, dann mache ich eine Pause. Das ist lächerlich. Ich muss Chloe die Wahrheit sagen. Sag es einfach: Ich gehe nicht wirklich dorthin. Ich habe es erfunden. Aber ich kann es nicht.
»Mit … ein paar Leuten«, sage ich zögernd.
»Nur ein paar Leute? Ich wünschte, ich würde Leute kennen, die ins Soho House gehen. Wie ist es denn ‒ London, meine ich?«
Wie London ist? Woher soll ich das wissen?, würde ich am liebsten sagen. Ich war ja beinahe jeden Abend zu Hause, seit ich hier bin. Die Aussicht aus meinem Fenster ist wundervoll, und auf meinem Weg zur Arbeit und wieder zurück gehe ich direkt durch das Viertel Portobello Market, wo es wundervolle Bars und Restaurants gibt, aber ich bin noch in keinem einzigen gewesen.
Aber das erzähle ich ihr nicht. Stattdessen atme ich tief durch, kreuze zwei Finger und erzähle ihr von den großartigen Bars auf der Portobello Road, an denen ich immer vorüberkam und in die ich so gerne hineingehen würde; ich lasse meiner Fantasie freien Lauf, als ich das Innere der Bars beschreibe; ich erzähle von den tollen Ständen mit Kleidung auf dem Markt, wo man schicke Schuhe und coole T-Shirts für fünf Pfund erstehen kann; ich berichte von dem spanischen Teil in der oberen Portobello, dort, wo die Golborne Road beginnt, wo man das beste Olivenöl und die besten Apfeltörtchen auf der ganzen Welt bekommt.
»Dann gibt es da TonTs, ein Café, wo man am besten frühstücken kann, und Beach Blanket Babylon, die die besten Cocktails mixen«, schwärme ich, wobei ich nicht erwähne, dass ich diese Informationen dem Heat Magazine und nicht etwa meinen eigenen Erfahrungen verdanke. Während ich rede, denke ich, dass so London sein sollte. Dass London für Leute wie Cressida wahrscheinlich so ist. Dass ich hoffe, dass London auch für mich einmal so sein wird.
»Es ist super«, schließe ich meine Beschreibung dieser großartigen, für mich mystischen Stadt ab, in der alles passieren kann und wo mir bis jetzt noch nichts passiert ist. »Wirklich super.«
»Es klingt faszinierend«, seufzt Chloe. »Ich freue mich so. Pete hat gestern erst gesagt, du würdest in einem Monat wieder zurück sein, was zeigt, wie wenig Ahnung er hat. Und jetzt gehst du ins Soho House! Die werden ganz schön beeindruckt sein.«
Was hat Pete gesagt? Mein Gott, welche Arroganz! Gut, ich werde es ihm zeigen. Ich werde hier Erfolg haben. Trotz der Schuldgefühle, die mich überschwemmen, bin ich aufgeregt bei dem Gedanken daran, dass nun alle zu Hause glauben, ich würde mich hier großartig amüsieren. Ich weiß, dass ich ein paar Notlügen erzählt habe. Nun ja, vielleicht waren sie nicht ganz so notwendig. Aber zumindest denken jetzt alle, mein Leben wäre fantastisch. Das ist ein gewisser Trost angesichts der tristen Wirklichkeit. Wie dem auch sei, warum sollte ich nicht ins Soho House gehen? Cressida hat es getan, und sie hat in derselben Wohnung wie ich gehaust. Alles ist möglich.
»Und du«, sage ich, bevor ich mich zu sehr mitreißen lasse. »Wie geht es dir, was hast du heute Abend vor?«
»Na ja, alle gehen zu George, und wahrscheinlich gehe ich auch zur letzten Runde hin. Und Rebecca Williams gibt eine Party, wahrscheinlich werden wir später alle dort landen.«
»Super ‒ hört sich richtig gut an«, bringe ich hervor und versuche, begeistert zu klingen. Rebecca Williams ist eine dieser winzigen passiv-aggressiven Frauen mit perfektem Haar und perfekten Nägeln, und sie war immer eine der Hauptverdächtigen, wenn Pete spät nach Hause kam.
»Und was ist mit dem Geschäft?«
»Geschäft?« Ich habe niemandem zu Hause erzählt, dass ich in einem Geschäft arbeite. Schließlich war ich in der Werbebranche tätig. Ich wäre bald befördert worden. Ich werde kaum zugeben, dass ich jetzt Pullover wieder und wieder falten muss, auch wenn ich es in einem der bezauberndsten Läden in Notting Hill tue. Deshalb bin ich der Frage immer ausgewichen und habe allen erzählt, dass meine Arbeit so ähnlich sei wie die vorherige, und dabei habe ich es belassen. Ich arbeite schließlich in der Modebranche, nicht wahr? Und bei Shannon’s hatte ich ein paar Kunden aus der Modebranche. Also ist es eine ähnliche Tätigkeit. Oder etwa nicht?
»Du weißt schon, dein eigener kleiner Laden. Sag nichts ‒ du hast deine Meinung geändert, stimmt’s? Es wäre nicht das erste Mal …« Chloe kichert. Plötzlich erinnere ich mich an den feuchtfröhlichen Abend an dem Tag, bevor ich nach London fuhr. Ich hatte ihr gestanden, dass ich gerne ein eigenes Geschäft mit lauter hübschen Sachen hätte. Als ich ihr davon erzählte, dachte ich an ein Geschäft mit hübscher Seife und vielleicht etwas Kleidung, aber nachdem ich Cressidas Katalog gesehen hatte, waren meine Erwartungen gestiegen.
»Nein, ich habe meine Meinung nicht geändert«, antwortete ich empört. Chloe zieht mich immer damit auf, dass ich keine Entscheidungen treffen kann. Dabei stimmt es gar nicht. Nicht, wenn es um die großen Dinge geht. Zumindest nicht immer.
»Dann wirst du es tun?«, fragt Chloe voller Interesse.
»Richtig. Ich würde gerne ein eigenes kleines Geschäft eröffnen. Aber ich glaube, es wird nicht ganz einfach werden«, sage ich seufzend. »Ich glaube, man sollte es wahrscheinlich eher als ›Traum‹ denn als ›Plan‹ bezeichnen, weißt du. Du hast doch keinem davon erzählt, oder?«
»’türlich nicht«, meint Chloe. »Gibt es Neuigkeiten an der romantischen Front?«
Ich schweige. Die offensichtliche Antwort lautet nein. Nein, keine Neuigkeiten. Warum denke ich das bloß und sage es nicht? Warum habe ich Probleme mit der Vorstellung, dass Chloe zu der Party geht und allen erzählt, ich sei immer noch Single?
»Natalie?«, fragt Chloe neugierig, als ich ein paar Sekunden lang nichts sage. »Du hast jemanden kennen gelernt, nicht wahr? Oh, mein Gott, du hast einen Freund!«
Sie klingt so begeistert. Wäre es wirklich so falsch, wenn ich sie in dem Glauben lasse, ich wäre mit jemandem zusammen?
Verdammt noch mal, was ist mit mir los? Natürlich wäre es falsch. Und auch unglaublich traurig. Als ich fünfzehn war, hörte ich auf, Freunde zu erfinden; Chloe hatte ohnehin nie daran geglaubt.
Aber mein Mund macht sich anscheinend selbstständig.
»Äh … na ja, vielleicht«, stammele ich schüchtern. Ich wünschte, ich könnte mich sehen, denn mein empörter Gesichtsausdruck würde diese Geschichte bestimmt im Keim ersticken.
Ich gehe hinüber zum Spiegel und runzle die Stirn. Ich kann Furcht erregend aussehen, wenn ich will.
»Ich wusste es!«, kreischt Chloe. »Wer ist es? Wie heißt er?«
Scheiße. Sein Name. Siehst du? Siehst du, was passiert? Was willst du jetzt tun?
Ich sehe mich verzweifelt um und suche nach einer Eingebung.
Ich glaube nicht, dass mir Cressidas Briefe hierbei helfen können. Mein Blick wandert nach oben zur Decke.
»Alistair«, sage ich schwach. »Er … äh, wohnt über mir.« Okay, gut, kehren wir in die Realität zurück. Ich gebe zu, dass es eine leichte Übertreibung wäre zu sagen, wir schliefen miteinander, aber zumindest wohnt er ein Stockwerk höher. Das zählt doch sicherlich, oder?
»Dein Nachbar«, ruft Chloe aus. »Natalie, du bist ein schlimmer Finger!«
»Du hast keine Ahnung, wie schlimm«, erwidere ich bedrückt. Das Schlimmste ist, dass es sich recht gut anfühlt, Chloe zu erzählen, ich hätte einen Freund ‒ es ist so ähnlich wie mit diesen Spiegeln in Geschäften, die einen zwei Größen schlanker wirken lassen, als man tatsächlich ist. Man weiß, dass es nicht wahr ist, aber man genießt es trotzdem.
»Das ist wirklich cool«, fährt Chloe sehnsüchtig fort. »Wann wirst du mich zu einem Besuch einladen?«
»Was, hierher?« Ich bin plötzlich besorgt. Sie kann nicht herkommen. Sie wird herausfinden, dass ich die Wahrheit etwas, na ja, ausgeschmückt habe …
»Willst du nicht, dass ich dich besuche?« Chloe klingt verletzt.
»Doch, natürlich. Ich würde mich so freuen. Aber können wir es nicht für ein paar Wochen auf schieben? Ich …« Schnell versuche ich eine Ausrede zu finden. »… ich fahre nächstes Wochenende mit Alistair weg, und am Wochenende danach muss ich arbeiten«, höre ich mich sagen. »Aber ich rufe dich an, in Ordnung?«
»Ihr fahrt schon gemeinsam übers Wochenende weg?«, fragt Chloe. »Wow. Hat er annehmbare Freunde?«
Ich versuche mich zu erinnern, ob ich Alistair mit einem gut aussehenden Mann gesehen habe, aber dann rufe ich mir ins Gedächtnis, dass es keine Rolle spielt; schließlich ist Alistair kaum mehr als ein imaginärer Freund, weshalb es ziemlich unerheblich ist, ob er annehmbare Freunde hat oder nicht.
»Ich kann sicher einen für dich auftreiben«, verspreche ich ihr.
»Fantastisch! Dann sag mir Bescheid, wann es passt, und ich bin da.«
»Okay. Und viel Spaß heute Abend!«
»Dir auch … tschüss!«
Ich lege auf und bleibe einen Moment ruhig sitzen. Ich bin in einer seltsamen Hochstimmung.
Es stimmt, dass die Fakten nicht positiv sind.
Fakt Nummer eins: Ich habe einen ziemlich beschissenen Job.
Fakt Nummer zwei: Ich habe hier keine Freunde.
Fakt Nummer drei: Es ist Samstagabend, und ich sehe fern.