Liebeserklärung - Michael Lentz - E-Book

Liebeserklärung E-Book

Michael Lentz

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Beschreibung

›Liebeserklärung‹ ist der erste Roman des Bachmann-Preisträgers Michael Lentz. Er erzählt die Geschichte einer Trennung, einer neuen Liebe und einer winterlichen Reise durch Deutschland, das ein Land im Abschwung ist - oder gilt das nur für den mit seiner Liebe verzweifelt kämpfenden? Grenzüberschreitend offen und unerschrocken ungerecht, so laut, dass die leisen Töne wieder hörbar werden, erklärt Michael Lentz seine Liebe und geht aufs Ganze. Diese ›Liebeserklärung‹ ist ein unerhörtes, zudringliches, schamloses, hasserfülltes, zärtliches Buch über das Rätsel und die Ratlosigkeit, das Verwunden und das Verwundern, über Grausamkeit und Glück, über das große Thema der Literatur und des Lebens: die Liebe, es ist eine kompromisslose Erzählung und eine Zumutung in einem so bisher nie gehörten emotionalen und erotischen Ton. Diese Liebeserklärung vergisst man nicht.

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Seitenzahl: 248

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Michael Lentz

Liebeserklärung

Roman

FISCHER E-Books

Inhalt

WidmungLiebeserklärung

für Cat in Zett

Liebeserklärung

Das ist unsere Geschichte. So weit. Da bist du, und da bin ich. Und wir sind beide noch da. Das ist mehr als erwartet. Wir sind da. Wir sind anderswo. Das ist wenig genug.

Zuneigung ist das Wort. Das lange gesuchte. Das verlorene. Zuneigung ist keine verkürzte Zueignung. Ich neige dir zu, könnte auch ein Schiefstand sein. Es könnte auf eine verbesserungswürdige Körperhaltung schließen lassen. Ich empfinde unter dem Wort Zuneigung etwas Umfassendes. Ganz zugeneigt. Unberührbar und triebhaft zugleich. Und diese Zuneigung bleibt so ganz frei von, so stark gegen diese plötzlich einsetzende Zerstörungswut, du weißt schon. Sie bleibt. Die Zerstörungswut. Die das feine Gespinst, das Zwischen zersetzende Zerstörung. Sich langsam auflösende Bande, die wir fester ziehen. »Knoten und Verwicklung«, fester angezogen, löst nur ein »Donnerschlag«.

Und vor uns? Eine Ehe. Mit Z. Eine Flucht. Das Bewusstsein einer verlorenen Ehe. Eines Tages aufwachen und »diese Ehe ist zu Ende« denken. Ich wache eines Tages auf und denke, meine Ehe ist zu Ende, das denke ich, ohne das Lieben aufgehört zu haben. Das Erschrecken hierüber. Sofort die Konsequenzen daraus ziehen wollen, aufwachen mit dem Gedanken, diese Ehe ist zu Ende, das fühle ich genau, unmissverständlich fühle ich das Ende der Ehe, stehe auf mit der Ankündigung Z gegenüber, einmal kurz weggehen zu müssen, etwas holen zu müssen, verlasse die Wohnung, stehe vor dem Haus und kann es nicht fassen. Eine durch permanente Abwesenheit beendigte Ehe, deren Ende noch nicht ausgesprochen ist, deren deutliches Ende unsere Begegnung ist. Das Ende der Ehe ist eine Andere. Ist A. Bist Du. Ein baldiges, fremdes Zusammenleben, das unsere Geschichte ist. Ein Auslandsein. Und in diesem Auslandsein haust von Anfang an der Abschied. Der Abschied ist ein Unterwegssein. Eine unausgesetzte, aus dem Ausland heraus und ins Ausland zurück führende Deutschlanderfahrung. Eine Wiederholung. Eine verloren geglaubte Deutschlandehe, unsere fluchtartig ergriffene Auslandsliebe. Und dazwischen rase ich, löse mich auf. Ich flimmer. In Deutschland eindringen, ein Auslandsfremdgang. »Ich und flennen? Ich flenne. Verzeih. Du, verzeih.«

Und wir? Vergessen wir uns? Stunden aufgelöster Körper, da wir ganz vergessen sind. Etwas Heraufziehendes, während der Umarmung Heraufziehendes, die Umarmung Lösendes. Dann schauen wir uns an, in die Fremde. Es ist da eine Moräne in Gang, eine Verschleppung, Aufschiebung, wir geraten in Rückstand, der nicht einzuholende Vorentwurf, dass wir uns begegnet sind mit den Worten, es wird soundso, es wird mit uns soundso, und da haben wir uns nicht eingefunden, da haben wir nicht hineingepasst, das schon war die doppelte Spaltung, die ins Leere geworfene Projektion. Zweiwelten. Dass ich ein anderer bin, das willst du nicht wahrhaben. Dass du eine andere bist, und ich stehe ohne Verständnis da. Und die ganze Welt der Befürchtungen, der Abwendung, des Rückenkehrens, des nicht mehr zueinander Findens, in die Seitenlage gedrückt, an den Bettrand geschmiegt, Außenlage, nicht wahr, wo keiner hinreicht, wo keiner sich ausstrecken kann, verteilte Berührungslosigkeit, Zweiwelten, wo es doch nur einer Handreichung bedürfte, einer zarten Hand.

Und vor uns? Wer sagt denn, die Frau sei die Strategin der Verweigerung, des Entzugs, allein. Zwei Jahre unterbreiten wir eine Körperauslöschung. Eine Existenzwiderlegung. Völlige Kontrolle der Geschlechtsteile. Das Regungslose trainiert. Einen jahrelangen Ehezustand der absoluten Ficklosigkeit haben wir aufkommen lassen. Wendest du dich von mir ab, widerlege ich dich? Ich entziehe mich dir mit aller Härte? Mein uneingeschränkter Vernichtungswille?

So könnte dieses Planspiel einer völlig entglittenen, einer grausamen Entzweitheit aussehen. Jähe Hingabe, ein Vernichtungswille. Wo aber fängt Abwendung an! Sie hat schon angefangen. Und im Anfang ist Abwendung. Unser Anfang. Die Heimat verlassen, über die Grenze gehen. Die Ehe verlassen, über die Grenze gehen. Bei dir sein, Hals über Kopf. Dann stellt sich plötzlich diese Frage nach Abwendung ein wie eine Rückfrage, ein zu Boden gefallenes Stück Porzellan, dessen Seltenheit erst jetzt deutlich vor Augen tritt. Keine Einfühlung, kein im anderen Denken, aus dem anderen heraussehen, aus dir, von Anfang an nicht. Und findet man dann nicht eines Morgens auf dem nicht geteilten Frühstückstisch, dem Auslandstisch, ernsthaft unauffällig platziert zwischen Konfitüre und Brot, findet man da nicht einen Zettel mit dem Vermerk, »Ich habe das Gefühl, wir fahren unsere Liebe in den Boden. Das macht mich sehr traurig.« Und denke ich, lesend, nicht, welche Liebe? Ich weiß nicht, wovon hier die Rede ist, und schießen mir nicht bereits die Tränen in die Augen, und du reckst dich mir entgegen, mit weit geöffneten Armen, im Bett, neben mir, ich möchte, dass du mir entgegenkommst, sagst du, lass uns Frieden schließen, sagst du, und du bist ganz aufgewühlt, feiner Schweiß bedeckt deinen Körper, du vibrierst, verlangst mich, dein nasser Mund, deine Mauern einreißende Geilheit. Die so frisch ist und ungestillt, du reckst mir deinen schönen, deinen nassen Schoß entgegen, nimmst meinen pochenden Schwanz, ich rase dir zu, gleite mit den Fingern in deine Möse, lass dich zappeln, während du mich sofort zum Abspritzen bringen willst, du sagst, Männer hätten da keine Kontrolle, Zeige- und Ringfinger umrahmen die Schamlippen, schürzen sie enger, der Mittelfinger gleitet auf seiner so geführten Bahn, du bist so nass, so angeschwollen, dein saugender, schmatzender, dein ausfließender Mund, und da möchte ich kommen im Augenblick, das Anstehende herausschießen lassen, für Sekunden alles ablassen, abwerfen, wir verstehen uns, wie das geht, wie man sich auf höchster Ebene gegenseitig einen runterholt, gib mir deinen Saft, stöhnst du, ziehst mich über dich, in dich hinein, gib mir deinen Saft, stöhnst du, lass es kommen, sagst du, ich empfange dich, nehme dich auf, und während ich das festhalte hier, was nicht festzuhalten ist, während ich uns so im Gedächtnis habe, deinen mich rasend machenden Körper in Händen, die ihn immer nachfühlen, wenn du fern bist, die ihn immer erneut durchwandern, während du so ausgebreitet bist, zugewendet, so angeschlossen, gekoppelt, während ich das festhalte hier, versteife ich mich.

Und sag, warum küsst du mich aber nicht am Morgen, obwohl du mich in der Nacht liebst, stöhnst, mich nicht mit jemand anderem verwechselst? Oder habe ich das bloß irgendwo gelesen. Oder Rolf Dieter, stammt das von dir?

Und dass du dir im Hotel Pornos anschaust und wichst, das freut mich regelrecht, wie gesagt. Da ist man dann nicht so allein. Du ziehst dir oft den ganzen Streifen rein, ich massiere meinen Schwanz bis kurz vorm Abspritzen und komme dann während der zwei Minuten gratis. Deine bewundernswerte Dildotechnik. Wie du den Kunstschwanz ins Loch jagst, wieder hineindrückst, immer schneller, heftiger, vor- und zurückstößt, und gleichzeitig mit den Fingern bei auseinandergespreizten Schamlippen den Kitzler bis zur Harnröhre entlang rast, und dass ich das besser könne bei dir als du selbst, dass du heftiger kommen könntest, wenn ich dich mit den Fingern, undsoweiter. Die amerikanischen Streifen haben es dir besonders angetan. Die haben schon ganz dein Hirn besetzt, sagst du. Synchronisierte Pornos seien das Letzte. Im Studio nachbearbeitete Spritzkunst. Läuft so ganz im Hintergrund penetrierende Bumsmusik, kommt’s ganz dicke. Die Männer hätten nur fiese Ausdrücke für Möse, für Vagina, nasse Fotze zumeist. Dann das nachgestellte Stöhnen. Lecken und Blasen. Die Frauen sagten meist nichts, weil sie eh den Mund immer voll hätten. Ob es mich beunruhige, wenn du manchmal diese Bilder bumsender Pornopaare vor Augen hättest, beim Bumsen, unten und oben muss es gleich nass sein, aus der Hüfte geschossen, das verstehe ich erst jetzt, was das heißt, während wir die Sau rauslassen, »du mit deiner Kanone«. Tatsächlich ist unsere so genannte westliche Bumskultur ziemlich vorn Hund, ziemlich kaputt, aber schönste Stunden haben wir, ein Geschenk ist das, ein Geschenk. Kleiner Tod heißt Kleiner Tod, weil man für Augenblicke selbstvergessen ist, lese ich in den Erinnerungen eines amerikanischen Psychiaters, ein Licht ausknipsen, das ist das Kommen, und das verstehe ich erst jetzt. Und ich will es immer wieder, ich will das immer wieder in dir, du bist in Wirklichkeit mein Körper, eine nackte, eine nach vorwärts gewandte Erinnerung. Mit dieser ganzen Wucht immer wieder in dir ausströmen, ausschwärmen. Nie bin ich dann erschöpft. Als würde ich die hinausschießende Energie selbstkopulierend wieder direkt in mich aufnehmen.

»Andererseits liebte er sie doch nicht, denn er sehnte sich bloß nach ihr«, sagt der alte Däne. Und die Morgenröte, und der Nebel in den Feldern. Das Räkeln und das Dasein. Was fange ich an mit den Jahren, die ich zu früh fertig geworden bin. Wenn du nicht bei mir bist, wenn du fern bist. Ist Sehnsucht keine Liebe? »Andererseits liebte er sie doch nicht, denn er sehnte sich bloß nach ihr.« Dass du ja nicht mehr gestern bist. Wie gestern bist du nicht. Und ich halte nur ein Bild, einen Moment in Erinnerung. Was es denn mit diesen Erinnerungen auf sich hat. »Wiederholung und Erinnerung sind dieselbe Bewegung, nur in entgegengesetzter Richtung.« Alter Däne, mach mich nicht schwach! Wiederholung ist also das, was bei den so genannten Griechen »Erinnerung« war? Ob die Erinnerung heimlich die Welt regiert. Ob ein Mensch, der nicht aus Erinnerung besteht, denn tatsächlich aus nichts bestehe. Und wie dieses Nichts denn aussehe. Jeder Kuss also eine Erinnerung? Jeder Fick eine Erinnerung? Ich strecke mich nach dir aus, und du bist nicht da. Dein Nacken. Immer liegt mein Mund an deinem Nacken. Und meine Hand, die auf deiner Hüfte ruht. Und das ineinandergedrehte Verlangen. Und wenn du nicht da bist. Mein Mund, der deinen Körper sieht. Dein mich liebkosendes Flüstern. Das Sprechen, die wiederhergestellte Welt. Die sich immer dazwischen drängt. Er liebt sie doch nicht, denn er sehnt sich bloß nach ihr. Woher der alte Däne das denn weiß. Wenn Liebe dann gestillte Sehnsucht ist, ja was denn dann? Und nach was ist dieses Sehnen denn süchtig? Guten Tag, abspritzen, gute Nacht. Etwa danach? Nach Wiederherstellung der durch Liebe verletzten Einheit, die man selber ist? Ich möchte, dass du mich wiederherstellst, denn du bist in mich eingedrungen, du hast dich in mich eingepflanzt. Wie deine Lippen schmecken. Und was du mir zu sagen hast. »Du fehlst mir. Immer.« Und dass du das nicht immer sagst. Nur manchmal eben. Zunehmend gar nicht. »Du fehlst mir. Immer.« Und immer fängt die Liebe von vorne an. Und käme einer und fragte, ob die Liebe nun sein soll oder nicht, wer könnte ihm Antwort geben? Gäbe es keine Liebe, gäbe es keinen Tod. Auf den Grund gehen. Warum ich im August die Koffer wieder packte. Ansatzweise. Und wieder auspackte. Ansatzweise. Und was mich da gepackt hat. Kaum bin ich später als erwartet, packst du die Koffer, hast du gesagt. Sind das völlig außer Kontrolle geratene Verlustängste, ein Schrecken der Leere, Herr der Finsternis? Kannst du nicht ohne mich auch sein? »You are too stupid to realize yourselves«, singt jemand.

Im Gespräch mit Z völlig versackt. Ein Bier nach dem anderen aus dem Kühlschrank geholt. Unterbreitete, zum wiederholten Mal unterbreitete Erinnerungsangebote. Österreich zum Beispiel. Österreich ist eine Erinnerung wert. Weißt du noch, wie kalt der Traunsee ist. Und das völlig heruntergekommene Hotelzimmer, das plötzlich übermenschliche Preise hatte. Hier kann man sich auf langen Spaziergängen selber begegnen. Und der Maler Ato Oltman, der jahrelang im Schloss wohnte, was macht der eigentlich? Hat der noch sein kleines Haus auf dem Grünberg, mit seinen niedrigen Decken, so niedrig, dass ich nur in tief gebückter Haltung hinein konnte, in sein Haus. Und die Blumen. Gibt es noch die Blumen oben überall, von wo man sich hinunterstürzen könnte? Eine im Wind schaukelnde Blumenwelle. Das Auf und Ab, so wir. Ohne dich geht es mir besser. Und auch ohne mich würde es mir besser gehen. Ohne dich geht es mir auch nicht besser. Wie hinaus, nicht wahr? Dass du jetzt wieder rauchst, nachdem du es dir abgewöhnt hattest für Jahre. Du. Immer ist die andere du.

Und du bist also wieder da in Österreich gewesen. Und dass mir die Tränen runterlaufen, bemerke ich erst als nasses Papier, als Nässe auf dem Papier. Gab es denn früher nur Heiterkeit? Zum Auswringen. Sollte ich doch zu dir zurück? Das kann es doch wohl nicht sein. Nach zwei Stunden Telefon war ich völlig mürbe. Hätte man mir gesagt, du heißt jetzt soundso, und bist nicht mehr der soundso, ich hätte es geglaubt. Wie weit kann man sich in den anderen hineindenken, -fühlen, und bleibt immer noch der eigene, wo fängt der andere an, wo hört man selber auf? Nach zwei Stunden Telefon mit Z packe ich meine nächstliegenden Sachen. Abhauen, auf der Stelle. Zwei Uhr morgens. Du kommst. Kaum lässt man dich da Stunden allein, drehst du durch, sagst du. Ich sitze da im Stuhl und will es dir schriftlich geben, dass ich wieder gehe, alles mitnehme, dass ich wieder dahin gehe, wo ich hergekommen bin. Ich hoffe, dass wir da mal drüber werden lachen können, erwidere ich Wochen später. Wochen später können wir immer noch nicht darüber lachen. Wir können überhaupt nicht mehr lachen. Eine mich zermürbende Ehegeschichte, die zunächst völlig zerrüttet zu sein scheint, die zum Auszug führt, zum Landverlassen.

So lange verheiratet, und keine Kinder, wirfst du mich bei unserer ersten Begegnung an, wir überqueren die Straße, nachts, so lange seid ihr verheiratet, und ihr habt keine Kinder, sagst du plötzlich, da stimmt doch was mit der Ehe nicht, setzt du drauf. Heiliger! Anderntags, kurz vor der Rückfahrt in diese Ehe, war ich überzeugt, meinen Pass verloren zu haben, ich fuhr noch mal ins Hotel zurück, in jenes wunderbare Hotel da in jener Gasse, stellte das Zimmer auf den Kopf, nichts, fuhr zum Schiff zurück, zur Fähre, baute den Koffer auseinander, wieder zusammen, Pass in der Hose. Fängt ja gut an, das neue Leben, dachte ich, Beklemmung kommt auf, später im Zugabteil fahr ich allein vor mich hin, krame in allen Taschen rum, um irgendetwas zu machen, Ablenkung heißt das Triebwort, ich suche nichts, ich finde nichts, Fremdwährung überall, was soll ich mit der noch anfangen, mit diesem fremden Restgeld, Kaffee trinken, vielleicht, im Zug einen Kaffee kaufen gehen, sofort nach vorne in Richtung da wo vorne ist, sofort in die falsche Richtung, Kaffeerichtung ist hinten, hinten stauen sich die Reisenden, die ich mit einem Mal alle nicht mehr leiden kann, die haben dir doch nichts getan, höre ich mich denken, der heiße Kaffee ist viel zu heiß, der viel zu heiße Kaffee schlabbert aus dem Becher raus, übern Becherrand fällt der Kaffee raus, oder was macht Kaffee, wenn er dem Becher entweicht überbord, und zwar nicht mundlings, sondern teilnahmslos, selbstlos, was weiß ich, der kaffeeliche Rest verbrennt mir die Zunge, das spüre ich jetzt noch, jedes Zungeverbrennen ist eine Erinnerung an vergangenes Zungeverbrennen, eine verbrannte Zunge ist eine der nachhaltigsten Eindrücke, die das Leben hinterlassen kann, eine mit nichts zu verwechselnde Empfindung, sitze dann allein im Abteil so vor mich hin mit verbrannter Zunge, überlege, ob ich wieder in den Taschen kramen soll, »so kann’s gehen«, habe ich dir beim Abschied gesagt, weißt du noch, so konnte es aber nicht weitergehen, keine Kinder, mit dir aber möchte ich Kinder haben, würdest du mich heiraten, habe ich dich gefragt, obwohl ich verheiratet war, was ich dir sagte, verheiratet und keine Kinder, und abends, bei zahllosem Bier, langtest du über den Tisch und nahmst meine Hand, und ich halte deine Hand fest, würdest du mich heiraten, habe ich dich gefragt, und du hast ja gesagt, und ich frage dich das, sitze also im Zug so merkwürdig verstockt, als sei in mir eingebrochen worden, als sei ich eingebrochen, eingestürzt, und du sagtest »ja«, und du sagtest, »ja ich will, ich will, ja ja, ich will«, wohin geht’s hinaus, wie kann ich dann jetzt noch nach Hause fahren, und was soll das überhaupt sein, zu Hause, das so über Nacht ganz fremd geworden ist, und Wochen später, nach Auszug, Einzug, Trennung, Zusammensein, werde ich mir selber fremd, gehe mir aus dem Weg, drohe, wieder zu verschwinden, abzuhauen, zurück oder weg, weigere mich, zusammen mit dir im Bett zu schlafen, ist das eine Beichte hier?, verliere am Telefon die Nerven, kenne dich gar nicht, undsoweiter, wahnhaftes Ausmaß, und was wohl der alte Däne dazu sagt, grenzenlose Störung der Kommunikation, Vermeidungsstrategien, die Mängelliste ist groß, fast ein Totalschaden der Liebe, jetzt aber, diese Momente, sitze ich erst mal allein in diesem Zugabteil, ich sitze zurück, ich fahre in eine aussichtslose Richtung, es ist völlig falsch, in diese Richtung zu fahren, wird mir plötzlich klar, die Begegnung mit dir hat die Ehe beendet, fühle ich deutlich, eine schon vorher deutlich zu Ende gehende Ehe beendet, nicht wahr, ahne ich in diesem Zugabteil, wie ich auch jetzt in einem Zugabteil sitze, dir das zu sagen, nicht wahr, und soll ich jetzt lachen oder weinen, wie man in solchen Momenten so sagt, wie man in solchen Liebesdingen, in solchen durch und durch verwirrten Liebesangelegenheiten, so im Allgemeinen ja das sagt, was ich hier sage, wenn es auch nur für dich ist, wenn meine Liebe auch nur für dich ist, ist es nicht unerträglich, und ist es nicht unerträglich unumgänglich, und von allgemein anerkannter Bekanntheit, dieses Phänomen, dass wir keine Sprache der Liebe haben, aber eine Liebesflucht, einen Liebesabgrund, eine Vernichtung, dass wir keine Sprache der Liebe haben, die so ganz lieb ist, außer immer wieder die Hinwendung, das Versichern des Körpers, das Kommen und Gehen, und immer wieder sagen wir »Ich liebe dich«, und sind auch beschämt, nicht etwas anderes zu sagen von identischer Wucht, aber nein, wir können nur »Ich liebe dich« sagen, und sagten wir endlich etwas anderes, es liefe auf dasselbe hinaus, meinst du »Ich liebe dich«, würde der andere dann hinterfragen, willst du eigentlich »Ich liebe dich« sagen, fragt dann der andere, wenn du »Ich liebe dich« meinst, dann sage auch »Ich liebe dich«, und jetzt für diese Momente, sitze ich also gänzlich allein in diesem Zugabteil, und mir fährt es plötzlich ein wie Ohnmächtigwerden, steht es plötzlich so deutlich vor Augen, dass ich’s zu greifen meine, ja, das ist so eine Sprache, so ganz Unruhe, da ist ein Gift in mir, spüre ich, da ist etwas in mich hineingelangt, was Selbstrecht beansprucht, das geht vorerst da nicht mehr raus, du musst weg, weiß ich, du kannst da nicht mehr hin, wohin du zurückfährst, du kannst in diese Ehe nicht mehr hinein, du musst raus aus dieser Ehe, diese Ehe ist zu Ende, und ob diese Ehe tatsächlich zu Ende ist, es ist nichts anderes in dich eingeschlagen als eine die Verhältnisse auf den Kopf stellende Begegnung, ist das nicht viel zu wenig, »Begegnung«, du Wörtchen, du Würstchen, das war ja nicht einfach nur eine so genannte Begegnung, wie man zufällig an jemand anderen stößt, dorthin anstrandet, wo ein anderer bereits ist, mehr oder weniger stock und steif Besitz ergriffen hat vom ihn Umgebenden, vom Raum, man kommt dort an, weil es einen dorthin vertrieben hat, und ein anderer, eine andere ist bereits da, hat sich bereits einen Raum im Raum angeeignet, und dieser Raum hat schon Merkmale angenommen, Duftnoten, Blitzlichter, Erinnerungen, von dem, der in ihm, im Raum, Platz genommen hat, und dorthinein eindringen, in diesen besetzten, fremden, heiligen, beachtlichen Raum eindringen, in dem ein anderer bereits ist, der dieser andere bereits ist – und wem soll man danken, dass man nichts kaputtmacht in diesem Raum, dass man nichts zerstört, dass man den anderen nicht umbringt, der dieser Raum ist, kaum dass man in ihn eindringt, nicht abschafft, diesen. Kurz, das war keine einfache Begegnung, es war, Entschuldigung, der Urknall. So was gibt es nicht, und worüber redet man auf der Welt, überall. Auto, Hunger, Steuern, Realität. Kann man so naiv sein? Kann man einfach so einfach über die Grenze gehen? Aus dem Norden kommend nach oben über den Norden hinaus? Über das Wasser, über die Grenze? Kann man kein Wort über die Konsequenzen verlieren? Kann man denn so naiv sein? Sollte man die leisen Töne anschlagen? Sind Kinder eine Entschuldigung. Findet Welt im Fernsehen statt. Sollte staatlicherseits das Wort »man« abgeschafft werden. Sollte der Staat, wenn er vom Volke spricht, jeden Einzelnen aufzählen müssen, auch wenn das Jahre dauert. Jeden Müller, jeden Störzenhofecker. Das sind schon längst keine Fragen mehr. Ich glaube, man kann niemanden lieben, der nicht in einem drin ist. Eine Feststellung, eine Vermeinung, für die ich mich sofort schäme. Ich widerrufe, ich glaube, ich kann niemanden lieben, der nicht in mir drin ist. Ein Delirium, vom Thema abgekommen wie ein fern sein, ein fort sein, und du bist dieses in mir sein, was sagt der alte Däne dazu. Meine ferne Nähe. »Wo ist denn die Liste, nicht wahr.« »Was für eine Liste?« »Zwei Tonnen Hausrat und Möbel und Bücher über die Grenze und keine Liste? Das wird teuer.« »Aha.« »Was ist das denn wert, was da im Wagen ist?« »Fast nichts.« »Dann schauen wir uns das doch mal an, was da im Wagen ist. Und dann machen wir eine Liste, und dann wissen wir, was da im Wagen ist.« Ein Schrank, ein Tisch, ein Stuhl, ein Sofa, Bücher in ungezählten Kisten, Fahrrad, noch ein Fahrrad, riesige Aktenschränke, grün, Vitrinenschrank, etc. Und das alles einfach so über die Grenze? »Was sind denn die Bücher so wert?« »Fast nichts.« »Was ist fast nichts?« »Nicht viel.« »Und nicht viel ist fast nichts.« »Wenn Sie so wollen.« »Und haben Sie ein Auto? Müssen Sie ein Auto verzollen? Und wo haben Sie denn Ihren Herrn Transportunternehmer her?« Arptatsch liegt seit Stunden schwitzend und stinkend mit einer ausgeliehenen Asiatin in der Fahrerkabine seines über das Wasser gesetzten Transporters. Heruntergekommen. Den geniert nichts mehr. Zeigte mir beim ersten Treffen die Anzeige, die er in den Gelben Seiten geschaltet hat. Die angegebene Telefonnummer sei zwar falsch, da sei irgendwie etwas vergessen worden, er glaubt, die haben da einfach eine Zahl am Ende der Nummer vergessen, aber schön groß sei die Anzeige geworden, auffällig, nicht so wie die anderen, und ob ich die Anzeige ansprechend finde, schwärmt er mich voll, seinen feisten Wanst mit ungeschnittenen, dreckigen Fingernägeln bekratzend. Hatte er nicht gesagt, samstags über die Grenze sei kein Problem? Und fummelte er nicht dauernd mit einem Bleistift rum, den er in regelmäßigen, so schien es, Abständen einem schmierigen, einem abgenutzten, in die Gesäßtasche verfriemelten, und aus der Gesäßtasche wieder herausgeholten Papierblöckchen zuführte, eine vor kurzem erst festgehaltene Zahl zu korrigieren, in die Höhe zu schrauben, alles wird eben teurer, und das zusehends, und dann seine so genannten Arbeitskräfte, der eine kommt im feinen Zwirn mit Lederschuhen, Lederschuhe mit Ledersohlen, fein gebügeltem Hemd, und grinst, kostet so viel in der Stunde wie ein vorzeitig beendeter, dabei voll zahlbarer Puffbesuch, der Knabe, bricht auf der Treppe fast zusammen beim Bücherkartonschleppen, natürlich sind die Bücherkisten überladen, aber Bücherkisten sind immer überladen, nicht wahr, und dann dieses irgendwie debile Frauenzimmer, ein wahres Fräuleinwunder, die jeden Bügel einzeln die fünf Stockwerke hinunterträgt, dafür aber erst mal zehn Minuten verschnaufen muss, draußen, vor der Tür, und qualmen. Die Supertussi kostet dasselbe. Ganz und gar nicht zu vergessen Trapac himself. Hält dauernd Vorträge über die Kunst des Packens, die gerechte Anordnung des Umzugsgutes im Transporter, für den er ja eine Sondergenehmigung habe genau über jene anvisierte Grenze, samstags, kein Problem. Habe nach vier Stunden das Gefühl, die ganzen Kartons alleine runtergeschleppt zu haben. Ledersohle ist platt wie ein achtlos zu Boden geglittenes Stück Papier, Tussi habe ich rausgeschmissen, Paract leihe ich kein Ohr mehr, diesem Fetthaar und Schmierfinken, Fieber, ganz klar, ich hab doch Fieber, die ganze Zeit schon habe ich Fieber, was ist das denn für ein Fieber, das ich seit Tagen habe, ein Umzugs- und Trennungsfieber, das ich nicht losbekomme, das mich schüttelt und einklemmt, seit Jahren habe ich nicht mehr ein solches Fieber gehabt, das mich so festhält, und Tage später haben wir dann jenseits der Grenze dermaßen heftig miteinander gebumst, da war es endlich raus, das Fieber, rausgeschwitzt in zehn Minuten, zwanzig Minuten, raus in Minuten, die Tage waren. Stunden später wache ich auf, schrecke hoch, alles nass, klatschnass, mein Oberteil, wie sagt man, da hatte ich plötzlich wieder einen klaren Kopf, ich schwamm im Bett, so nass, so kaltnass das Ganze, und du warst da, und du hast mich umschlungen, geküsst, du bist da bei mir, ich schlafe jetzt. Wahrlich, ich sage euch, eines Tages wird auch Bumsen verzollt. Kippmomente, du sprichst von Kippmomenten. Von Aussagen, die eine so genannte aufgeräumte Stimmung in den Abgrund stürzen lassen. Dass dann alles fremd werde. Und im Zentrum des Fremden stünde ich. Eine einzige Aussage lasse alles wegkippen, ein Halbsatz. Und das Wegkippen frisst in dir, und du frisst das für Stunden in dich hinein. Das Nagen. Das Rasen. Der Herzschlag. Diese gelbstechende, Farben durchflutete Morgenlandschaft, der in den Feldern hockende Frühnebel. Diese schlaflose Nacht, sage ich, unsere Schnittmenge ist vielleicht nur guter Sex, was du aggressiv findest, dass ich das sage, dann liegen wir wach, die ganze Nacht, ich jage hinaus aus dem Bett, aus dem Zimmer, dass wir keinen Schlaf fänden, dass das unerträglich sei, ich nehme das Kopfkissen mit, klappe das Sofa auf, verabschiede mich bis übermorgen, finde die ganze Aktion dann nervlich ruinös, wenn du das durchziehst, schmeiß ich dich ganz raus, rufst du mir nach, wie einlenken?, ich komme ins Bett zurück, double bind, sagst du, ich entschuldige mich, für diesen Kollaps, eine Nachtleiche, diese aussaugende Prozedur, du liegst ganz dicht hinter mir, passt dahin wie Maß genommen, wie du mich so ganz abdichtest, ich kann deine Brüste spüren, dein Becken schiebt sich vor und sanft zurück, was machst du da?, deine Füße füllen ganz die Hohlform meiner Füße aus, du küsst mich zwischen die Schulterblätter, tastest mit der Zungenspitze den Haaransatz entlang, jetzt will ich mir beweisen, dass ich keine Erektion bekomme, wozu aber eine Erektion unterdrücken?, soll das etwa Stärke sein?, und dieser durch die herbstliche Morgenlandschaft rasende Zug, es ist allzeit Verspätung, mit dem Mund reagieren wir immer zu spät, wir machen den Mund auf, und sind zu spät, wir stellen einen Sachverhalt dar, und der Sachverhalt hat sich bereits ins Ungefähre verloren, »Ich weiß nicht, was du meinst«, ist das dann das Resultat eines ins Leere hechelnden Mundes, oder Bosheit?, eine nicht aufzuhaltende Erektion, die aber mit Konzentration wieder zum Verschwinden gebracht werden könnte, aufstehen, unterwegs sein müssen.