Liebesglück mit Hindernissen - Regina Jennings - E-Book

Liebesglück mit Hindernissen E-Book

Regina Jennings

5,0

Beschreibung

Kansas, 1885: Louisa Bell verdient sich ihren Lebensunterhalt als Sängerin in einem Saloon. Als sie ihre Anstellung verliert, beschließt sie, ihren Bruder Bradley zu besuchen, der in der Armee dient. Auf der Reise dorthin trift sie eine ältere Dame, die in Bradleys Fort als Gouvernante arbeiten soll. Als diese jedoch aus gesundheitlichen Gründen nach Hause zurückkehren muss, beschließt Louisa kurzerhand, deren Stelle anzunehmen - und das, obwohl sie wenig Ahnung von Schreiben, Rechnen oder gar Botanik hat. Wird es ihr gelingen, dies vor Major Daniel Adams, ihrem neuen Arbeitgeber, zu verbergen?

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Über die Autorin

Regina Jennings hat Englisch und Geschichte studiert. Sie lebt mit ihrem Ehemann und den vier gemeinsamen Kindern in der Nähe von Oklahoma City.

Mehr über die Autorin: www.reginajennings.com

Kapitel 1

Juni 1885

Wichita, Kansas

Der Rußgeruch der Gaslampen vor der Bühne bewahrte Louisa Bell vor den wesentlich unangenehmeren Gerüchen ihres Publikums. An heißen Abenden wie diesem konnte der beißende Schweißgeruch der Männer im Cat-Eye Saloon erstickend sein. Louisa atmete tief ein, legte die Hand geziert auf den Rüschenausschnitt ihres Kleides und sang mit lauter Stimme die nächste Strophe. Sie hob den Kopf und sang zu den Dachbalken hinauf, damit sie nicht in die Augen ihres viel zu interessierten, viel zu betrunkenen und viel zu männlichen Publikums blicken musste. Die Bewunderung der Männer bedeutete, dass sie ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Tisch hatte. Sie wusste zwar, dass gewisse unerwünschte Begleiterscheinungen damit verbunden waren, als Frau auf der Bühne zu stehen und zu singen, aber andere Wege standen ihr im Moment nicht offen.

Sie hielt den letzten Ton, während Charlie den Akkord auf dem Klavier verebben ließ. Sobald sie verstummte, brach lauter Applaus aus. Pfiffe und Jubelrufe erfüllten den Raum.

„Das war spitzenmäßig, Schöne Lola.“ Slappy bewegte begeistert seine schlaksigen Arme und klatschte.

„Schöne Lola, heiratest du mich?“

Sie kannte seinen Namen nicht, aber der Cowboy war jeden Sommer da, wenn das Vieh nach Wichita getrieben wurde.

„Du bist ein Engel!“, rief Rawbone.

Louisa war zwar nicht die jüngste und die koketteste Sängerin im Saloon, aber ihre klare, gefühlvolle Stimme kam nach wie vor gut an. Sie machte einen vornehmen Knicks und drückte ihren Rüschenrock zur Seite. Cimarron Ted hob sein Glas, um ihr zuzuprosten. Sie erwiderte sein Lächeln und bereitete sich auf ihr letztes Lied an diesem Abend vor. Charlie begann auf dem Klavier mit dem Vorspiel und Louisa wiederholte währenddessen im Geiste ihren Motivationsspruch: Ich bin die Schöne Lola Bell. Sie werden von meinem Auftritt begeistert sein und meine Leistung bewundern.

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie eine Bewegung. Es war Tim-Bob, der Besitzer des Cat-Eye Saloons. Er hatte die Hand um Persephones weißen, zarten Arm gelegt und marschierte zwischen den Bühnenvorhängen auf die Bühne, wo er mitten in Louisas Abendvorstellung hineinplatzte.

„Hey, Charlie!“, rief Tim-Bob. „Hör auf zu spielen! Ich will etwas ankündigen.“

Der Klavierspieler nahm sofort die Finger von den Tasten und trank einen Schluck aus seiner Flasche. Das Publikum nahm die Störung deutlich weniger gelassen hin als Charlie.

„Lass die Schöne Lola singen!“, brüllte ein Mann erbost.

„Es ist Samstagabend! Ein Samstagabend ohne die Schöne Lola ist kein richtiger Abend.“

Was auch immer Tim-Bob wollte, Louisa wünschte, er würde es nicht vor einem Raum voller betrunkener Männer sagen. Persephone zeigte doch bereits dienstagabends – ihrem freien Abend –, dass sie als Sängerin Potenzial hatte. Als Tim-Bobs Geliebte hatte sie jedoch noch viel mehr Potenzial. Warum war sie jetzt hier?

Persephones blonde Haare – Tim-Bob hatte schon immer Blondinen bevorzugt – fielen theatralisch über eines ihrer Augen, dass sie nun bewusst auf den verkratzten Bühnenboden richtete, dabei waren aber ihre knallrot bemalten Lippen zu einem selbstgefälligen Lächeln verzogen. Louisas Magen zog sich zusammen und das hatte nichts mit Lampenfieber zu tun.

Tim-Bob hielt seine freie Hand, die nicht auf Persephone lag, hoch. „Bitte beruhigt euch und hört mir zu! Es kommt nicht oft vor, dass ein Haus zwei so große Talente wie Lola Bell und Persephone hat. Aber da wir dieses Glück haben, wollen wir unseren Gästen die Gelegenheit geben, beide zu hören.“

„Heute ist Samstag. Ich bin in die Stadt gekommen, um die Schöne Lola zu hören!“

Durch den rauchgeschwängerten Raum sah Louisa, dass Cimarron Ted die Faust drohend erhob. Tim-Bob beschirmte mit einer Hand seine Augen, um besser sehen zu können. Als er den Mann erkannte, der sich so lautstark beschwerte, ließ er sie wieder sinken.

„Mir ist bewusst, dass wir einige alte Bewunderer von Miss Lola haben, und das ist wirklich nett, aber sie werden sehr bald die Reize eines neuen Gesichts, eines jüngeren Gesichts, zu schätzen wissen. Ich meine es nur gut mit euch, meine Freunde. Ich weiß, dass ihr mir danken werdet, wenn ihr Persephone heute Abend das Finale singen hört.“

Persephone klimperte mit den Wimpern und lächelte zu Tim-Bob hinauf. Er schaute ihr tief in die Augen, während Charlie eilig in Aktion trat und die ersten Akkorde des Liedes spielte – Louisas Lied.

Das Publikum – diese Verräter! – nahm kaum Notiz davon, dass Louisa in den Schatten zurücktrat. Niemand unterbrach Persephones etwas schwachen Gesang, um Louisa zurückzufordern. Niemand versuchte, Louisa daran zu hindern, auf dem schwach beleuchteten Flur zu verschwinden. Niemand außer Tim-Bob.

„Lola, wir müssen reden.“ Er stand neben einer Wandlampe. Das Gaslicht warf verzerrte Schatten auf sein Gesicht. „Persephones Talent verdient ein größeres Publikum und sie ist jung. Wenn sie erst einmal Erfahrung gesammelt hat, kann sie eine begnadete Sängerin werden.“

Louisa zog ihre langen Locken über ihre Schulter. Das Gleiche hatte Tim-Bob über sie auch einmal gesagt, aber dann hatte sie sich geweigert, seine Geliebte zu werden. Sie hatte gedacht, ihre Stimme würde genügen, um ihren Arbeitsplatz zu sichern. Hatte er die ganze Zeit schon einen Ersatz für sie gesucht?

„Übernimmt sie dann in Zukunft jeden Samstagabend?“ Dank ihrer Bühnenerfahrung gelang es Louisa, ruhig zu klingen. Ja, sie klang sogar fröhlich. „Ich denke, die Pause von den täglichen …“

„Lola, hör auf! Lass mich ausreden. Der Cat-Eye Saloon braucht keine zwei Sängerinnen. Das heißt nicht, dass ich dich einfach auf die Straße setzen würde. Du kannst dein Zimmer behalten, bis du eine andere Arbeit gefunden hast. Wenigstens für ein paar Wochen. Immerhin war ich ein Freund deiner Mutter.“

Ihre Mutter hatte keine Freunde gehabt. Am Ende war sie ganz allein gewesen.

„Danke“, murmelte Louisa und bewegte die Beine mechanisch in Richtung ihres Zimmers am Ende des dunklen Flurs. Sie ignorierte seine schwachen Entschuldigungen, die hinter ihr immer leiser wurden.

Das konnte doch nicht wirklich passieren! Was sollte sie jetzt machen? Wohin konnte sie gehen? Sie tastete wie blind nach ihrer Tür. Als ihre Augen wieder klar sehen konnten, saß sie an ihrem Schminktisch. Sie nahm ein kühles Tuch und begann sich das Rouge von den Wangen zu wischen.

„Herein“, sagte sie, als jemand an ihre Tür klopfte. Sie wollte keine Gesellschaft, aber sie war zu benommen, um anders zu reagieren.

Cimarron Ted trat ein und kratzte an einem getrockneten Fleck, der an seinem weißen Bart klebte. Das Metall an seinem Revolvergürtel klirrte, als er seinen drahtigen Körper verbog, um nicht gegen ein Satinkleid zu stoßen, das am Kleiderständer hing. „Ich habe Neuigkeiten für dich, aber ich nehme an, dass du jetzt nicht in der Stimmung bist, sie zu hören.“

Louisas Lippen kniffen sich ungewohnt zusammen und sie runzelte die Stirn. „Tim-Bob wirft mich hinaus. Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll.“

Durch die dünnen Wände konnte sie den Applaus hören, als Persephone ihr Lied abschloss. Die Männer waren nicht sehr wählerisch. Solange sie eine nette Unterhaltung beim Trinken hatten, war ihnen nicht wichtig, wer ihnen diese Unterhaltung bot. Aber es war wichtig, dass Louisa eine neue Arbeit fand. Sie musste Geld verdienen, um sich über Wasser zu halten, ohne zu verzweifelten Maßnahmen greifen zu müssen.

Die Spitzen an ihrem weiten Ausschnitt strichen über ihr Schlüsselbein. Sie erwachte aus ihrer Benommenheit und sprang auf. „Hilf mir bitte aus dem Kleid. Ich muss mir einen Plan überlegen.“ Sie drehte dem alten Maultiertreiber den Rücken zu und ging im Geiste die Möglichkeiten durch, die sie hatte.

Wo könnte sie singen? Sie kannte jeden Saloon und jede Kneipe in Wichita und wusste, dass nirgends eine Stelle frei war. Jenseits der verrauchten Räume in der Douglas Avenue würde sie wahrscheinlich sowieso keine Arbeit finden. Für die anständigen Familien war eine Sängerin sicher inakzeptabel. Außerdem verfolgte sie der Ruf ihrer Mutter schon ihr ganzes Leben lang.

„Meine alten Finger sind nicht mehr so gelenkig wie früher“, sagte Ted. Das war nicht gelogen. Das Kleid ging nur sehr langsam auf.

Louisa hielt die Schleifen der Spitzen, die das Mieder vorne zierten, fest und tippte mit den Füßen auf den Boden, während sie ihre Möglichkeiten abwog. Sie hatte schon immer mit dem Gedanken gespielt, Gesangsunterricht zu geben, aber keine ehrbare Familie in Wichita würde die Schöne Lola in ihr Haus lassen. Würde sie in einer anderen Stadt eine Arbeit finden können, falls sie das Geld für die Zugfahrt zusammenbrächte?

„Geschafft!“, verkündete Cimarron Ted. „Ich mache das nur, weil du für mich wie eine Tochter bist.“

Louisa stieg aus dem Kleid. Als sie die Röte sah, die an Teds Hals hinaufzog, wurde ihr klar, dass sie ihn hätte bitten sollen, vor der Tür zu warten, bevor sie sich bis auf ihr Korsett und ihre Unterröcke entkleidete. Aber gemessen an der Umgebung, in der sich Louisa bewegte, war sie so züchtig gekleidet wie eine Braut.

Sie nahm ihr Seidenkleid auf. „Du bist nicht mein Vater. Ich habe den Kerl kennengelernt.“ Allerdings hätte sie viel lieber einen verkrusteten Maultiertreiber als Vater gehabt als den Taugenichts, der sie gezeugt hatte. Aber auch der Vater ihres Bruders Bradley war nicht besser. Bradley und sie waren alleine stets besser dran gewesen.

Der Gedanke an ihren Bruder weckte in ihr einen schlimmen Verdacht. „Ted, du hast gesagt, dass du Neuigkeiten für mich hast?“ Ihre Hände zitterten, als sie sie in ihren pelzgesäumten Taschen versteckte.

„Ich dachte, du solltest wissen, dass Bradley wieder in der Klemme steckt. Soweit ich gehört habe, hat er Arrest aufgebrummt bekommen.“

Louisa ballte die Fäuste. Einen schlechteren Zeitpunkt hätte sich ihr jüngerer Bruder wirklich nicht aussuchen können, um schon wieder etwas anzustellen. „Was hat er denn diesmal ausgefressen?“

„Nichts, worüber du dich aufregen müsstest. Soweit ich gehört habe, hat er nur ein bisschen zu viel getrunken. Ich bezweifle, dass er sonst noch etwas angestellt hat. Major Adams ist dafür bekannt, dass er sehr streng ist, und Bradley ist dafür bekannt, dass er manchmal Unsinn macht. Du hast deine eigenen Sorgen.“

Bradleys Eskapaden hatten ihr gerade noch gefehlt! Auch wenn ihre eigene Situation schlimm war, war sie wenigstens sicher gewesen, dass bei ihrem Bruder alles in Ordnung war. Wie sollte sie ihm helfen, wenn sie nicht wusste, wie es bei ihr selbst weitergehen sollte?

„Ich fahre zu ihm.“ Ihre Entscheidung stand sofort fest. „Ich brauche eine Arbeit. Vielleicht finde ich ja im Fort eine. Außerdem muss ich ihm sagen, dass er sich am Riemen reißen muss, weil ich ihm im Moment nicht helfen kann.“

„Entschuldige, wenn ich das sage, aber du kannst nicht nach Fort Reno fahren. Dort draußen gibt es nichts außer einem Haufen störrischer Kavalleristen und einigen unzufriedenen Indianern. Solange Bradley Major Adams’ Kommando untersteht, kannst du nichts für ihn tun. Du hast für den Jungen getan, was du konntest.“

Aber noch während er sprach, entstand in ihrem Kopf ein Plan.

Seit sie in Wichita war, hatte Louisa noch nie gehört, dass ein Saloon Sängerinnen auf Tournee schickte, aber wenn so viele Männer an einem Ort waren, bestand doch sicher eine große Nachfrage nach ein wenig Unterhaltung und Zerstreuung. Sie wusste nicht, ob die Offiziere in Fort Reno es erlauben würden, aber einen Versuch war es wert. Sie müsste nur die US-Kavallerie davon überzeugen, dass den Soldaten ein kulturelles Angebot guttun würde – ein mehr oder weniger kulturelles Angebot.

Auch wenn sie nicht als ehrbare Frau galt, hatte Louisa strenge Grundsätze: Sie trank keinen Alkohol und sie ließ sich mit keinem der Gäste ein, auch wenn die ehrbaren Frauen in der Stadt von etwas anderem ausgingen und wenn sie dann genauso beliebt wäre wie Persephone.

„Wo genau ist Fort Reno?“ Sie schob die Kleiderbügel über den Ständer und begutachtete ihre Garderobe. Sie müsste mit Tim-Bob vielleicht um diese Kleider streiten, aber die meisten hatte sie selbst genäht. Und sie hatte keine anderen Kleider.

„Es liegt im Reservat der Cheyenne und Arapaho, südlich von hier, aber vielleicht solltest du deinem Bruder erst einmal schreiben und dir in Ruhe überlegen, was du tun willst. Es wäre doch schade, wenn du diesen weiten Weg auf dich nimmst und dann unverrichteter Dinge wieder zurückfahren musst.“

Aber sie musste irgendwohin. In Wichita hielt sie nichts. Sie würde sich von Tim-Bob ihren letzten Lohn holen, ihre Taschen packen und den einzigen leiblichen Angehörigen, den sie auf der Welt hatte, besuchen.

Anscheinend steckte er genauso in der Klemme wie sie.

S

Darlington-StationCheyenne- und Arapaho-Reservat,Indianerterritorium

Major Daniel Adams lief der Schweiß über den Rücken, während er zuschaute, wie das Tor aufging und eine Kuh herauskam. Die Ohren seines Pferdes stellten sich auf. Das Tier spannte sich unter ihm an, während rund um die Koppel Kriegsgeschrei ertönte. Daniel streichelte seinem Pferd den Hals, um es zu beruhigen. Da sie keine Büffel mehr jagen konnten, freuten sich die Männer der Cheyenne auf ein wenig Spaß, bevor die Frauen kamen und die Tiere schlachteten. Er sah es pragmatisch: Lieber wurden die Rinder zur Zielscheibe ihrer Pfeile als seine Soldaten. Die Kuh betrachtete blinzelnd die freie Prärie vor sich und raste dann, sehr zur Freude der Krieger, mit fliegenden Hufen los.

Montags wurden auf der Station immer die Lebensmittel verteilt. Die Frauen verließen ihre Tipis am Flussufer und holten sich in der Station ihre wöchentlichen Rationen ab. Und die Männer freuten sich darauf, sich mit den armen Rindern, die die Familien bekamen, die Zeit zu vertreiben. Diese unzivilisierte Praxis würde Daniel zwar am liebsten verbieten, aber angesichts der wachsenden Spannungen war es besser, ihnen ihren Spaß zu lassen. Wenn sie das Gefühl hatten, ihre Lebensweise werde noch mehr eingeschränkt, beschlossen die Cheyenne womöglich, einige ihrer anderen Traditionen wiedereinzuführen. Und das wäre überhaupt nicht gut. Daniel ließ den Blick über seine jungen Soldaten wandern. Im Moment hatte er nicht genug Männer, um das Fort und die Station zu verteidigen. Er brauchte jeden Mann. Selbst Männer wie Bradley Willis.

Daniel hatte den Bericht selbst geschrieben, und er musste zugeben, dass darin eine Liste von Vergehen aufgezählt wurde, die selbst für einen Betrunkenen erstaunlich waren: unerlaubtes Abfeuern einer Waffe, Insubordination gegenüber Vorgesetzten, Gefährdung anderer Soldaten und Beschädigung von Eigentum der US-Kavallerie. Es war nicht so, dass der Gefreite Willis nicht in der Lage wäre, mit seinem Pferd über Kanonen zu springen. Aber er hatte dabei im Sattel gestanden und auf die Laternen geschossen. Als Daniel ihm befohlen hatte, mit diesem Unsinn aufzuhören, waren vier Männer nötig gewesen, um diesen Befehl durchzusetzen.

Willis hätte sich leicht eine Kugel einfangen können. Wenn er sich vor dem falschen Mann so unvernünftig benähme, wäre sein Leben keinen Pfifferling wert. Wenn er nicht endlich anfing, sich wie ein Erwachsener zu benehmen, sähe es schlecht für ihn aus. Seit er aus der Arrestzelle freigelassen worden war, benahm sich der Gefreite Willis vorbildlich. Im Moment bewachte er die Tür zu dem Gebäude, in dem sich der Laden der Station befand. Mit rudimentärer Zeichensprache wies er eine Arapahofrau an, sich nicht vorzudrängeln, sondern sich hinten anzustellen, obwohl sich ihre Cheyenneschwestern so aufbauten, dass sie nicht eintreten konnte.

Daniel lenkte sein Pferd von den Rindern weg und ritt zum Eingang des Ladens. Der Gefreite Willis unterbrach seine Kommunikation mit den Frauen, sobald sich Daniel näherte, und salutierte.

„Sir, ich möchte Ihnen danken, dass Sie mich wieder meinen Dienst versehen lassen. Niemand möchte an einem Tag wie heute in der Arrestzelle schmoren.“ Die Augen des jungen Mannes waren ruhig und fokussiert. Während andere in der Hitze zu zerfließen schienen, sah er so frisch aus wie ein Brunnenhaus.

Die US-Armee brauchte Männer wie Bradley Willis. Männer, die tapfer, furchtlos und – wenn Daniel ehrlich war – auch ein wenig waghalsig waren. Manchmal beneidete ihn Daniel um seine Kühnheit. Er als Witwer mit zwei Töchtern konnte solche Risiken nicht eingehen, aber das bedeutete nicht, dass Daniel nicht tapfer gewesen wäre. Nur weil er vor Jahren hatte lernen müssen, Haare zu flechten und mit Puppen zu spielen, war er deshalb nicht weniger ein Mann.

„Wenn wir nicht so knapp besetzt wären, säßen Sie immer noch in der Zelle“, erwiderte Daniel streng.

„Danke, dass Sie mir eine zweite Chance geben, Sir.“

„Verspielen Sie diese Chance nicht! Durch Ihr gedankenloses Verhalten haben Sie andere in Gefahr gebracht.“

Willis zog die Brauen einige Millimeter hoch. Diese kleine Bewegung war eine Herausforderung, die Daniel nicht durchgehen lassen konnte.

Mit einer Geduld, die er nicht wirklich besaß, sagte er: „Diese Laternen sind zerborsten, als Sie darauf geschossen haben. Durch die herumfliegenden Scherben hätte jemand verletzt werden können.“

„Ja, das hätte passieren können“, gab Willis zu.

„Oder wenn Sie danebengeschossen hätten, hätte jemand durch eine Kugel getötet werden können.“

Willis wand sich leicht. „Nein, Sir. Das ist sehr unwahrscheinlich.“

Daniel nahm seine Zügel etwas fester. „Wollen Sie mir widersprechen, Gefreiter?“

Willis schien seinen Fehler zu erkennen. „Nein, Sir. Bei genauerem Nachdenken muss ich zugeben, dass ich mein Ziel hätte verfehlen können, da ich stark angetrunken war und von dem Sattel, auf dem ich stand, einen extrem schwierigen Schusswinkel hatte und mein Pferd ziemlich schnell galoppierte.“

Offensichtlich hatte ihn die Arrestzelle noch nicht wirklich zur Vernunft gebracht. „Sie haben als zusätzliche Strafe diese Woche jede Nacht die zweite Wache“, erklärte Daniel. „Ich werde die Männer, die mit Ihnen Wache haben, anweisen, Sie nicht aus den Augen zu lassen.“

Diese Maßnahme ernüchterte Willis ein wenig. „Ja, Sir“, antwortete er.

„Und Ihnen ist verboten, auf dem Fortgelände in einem Sattel zu sitzen. Wenn Sie den Rand des Forts erreichen, steigen Sie ab und führen Ihr Pferd zu Fuß in den Stall. Die einzige Ausnahme ist, wenn Sie mit Ihrer Kompanie eine Übung haben.“

Willis’ Miene verriet, dass ihm diese Strafe am meisten wehtat. „Ja, Sir“, sagte er schließlich.

„Sie haben viele Talente, Gefreiter. Lassen Sie sich nichts zuschulden kommen, dann können Sie …“

„Major Adams!“ Feldwebel O’Hare tauchte wie aus dem Nichts auf und hielt ihm mit zitternden Händen ein Fernglas hin. „Da drüben, hinter der Koppel!“

Daniel begriff auch ohne O’Hares Panik, dass es dringend war. Er ließ Willis stehen, nahm das Fernglas, gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte an dem Rind, das die Krieger erlegt hatten, vorbei und weiter zum Rand der Siedlung.

Die Rufe, die an seine Ohren drangen, waren jedoch nicht das Kriegsgeschrei der Indianer oder die Jubelrufe seiner Soldaten. Diese Stimmen klangen höher und weiblicher.

„Papa! Papa!“ Die kräftige Stimme seiner ältesten Tochter hallte über die Prärie. „Sag Daisy, dass sie ihn mir geben soll!“

Er hob das Fernglas so schwungvoll an sein Gesicht, dass er sich fast selbst ein blaues Auge verpasste. Die zwei Mädchen stürmten auf ihn zu. Ihre Pferde sprangen über aufgehäufte Rinderknochen und wichen den dürren Hunden aus, die auseinanderstoben, sobald sich die beiden der Station näherten. Vorne ritt seine jüngste Tochter, Daisy, die wieder Indianer spielte. Ihre langen Zöpfe peitschten im Wind, die Falkenfedern, die sie in ihre Haare geflochten hatte, hingen nach unten. Ihre Füße steckten in hohen Mokassins.

Caroline war Daisy dicht auf den Fersen. Auch wenn das 16-jährige Mädchen das Aussehen einer erwachsenen Frau hatte, war sie noch weit davon entfernt, die nötige Reife einer Erwachsenen zu zeigen. Carolines Arme bewegten sich mit den Zügeln auf und nieder, ihre Fersen bohrten sich in die Flanken ihres Pferdes, ihr Rock wehte hinter ihr her und ihre Haare waren völlig zerzaust. Sie war definitiv der interessanteste Anblick, den seine Soldaten seit Monaten gesehen hatten. Nicht nur seine Soldaten waren verblüfft. Selbst die Indianerkrieger unterbrachen ihre Jagd auf die Kühe, um diesen Auftritt zu verfolgen.

Solche Vorfälle wären Wasser auf den Mühlen seiner Schwiegermutter, die darauf beharrte, dass die Mädchen zu ihr nach Galveston ziehen sollten. Daniel seufzte und warf Feldwebel O’Hare, der versuchte, sich nicht in seine Familienangelegenheiten einzumischen, sein Fernglas zu.

Daisy erreichte ihn zuerst. Sie rang nach Luft und warf einen Blick hinter sich. „Caroline will ihn mir wegnehmen, aber er ist auch für mich.“

In der Öffentlichkeit würde er nicht die Stimme gegenüber seinen Töchtern erheben, aber eine strenge Zurechtweisung war unvermeidlich. „Darüber sprechen wir im Stationsbüro. Sofort!“

Doch dann stürmte Caroline zwischen ihn und Daisy. „Gib mir den Brief!“, verlangte sie. Daisy versuchte zu fliehen, aber Caroline packte sie am Zopf und zog sie fast aus dem Sattel.

„Au, au, au!“, schrie Daisy, streckte dabei jedoch die Hand in die andere Richtung und rückte den Brief nicht heraus.

Ein strenger, finsterer Blick von Daniel war nötig, damit sich seine Männer wieder ihren Pflichten zuwandten.

„In Mr Dyers Büro! Sofort!“, befahl er seinen Töchtern.

Die Mädchen versuchten immer noch, handgreiflich zu werden, und stritten weiter, während sie durch die staubige Straße von Darlington ritten und vor dem Büro abstiegen. Als er sah, dass das Gebäude leer war, schlug Daniel die Tür mit einem lauten Krachen hinter sich zu.

„Habt ihr eigentlich eine Ahnung, was für ein Spektakel ihr veranstaltet habt!?“

Die Mädchen ließen sich nicht einschüchtern, sondern stritten unbeirrt weiter.

„Sie hat den Brief genommen, den Großmutter geschickt hat“, sagte Caroline. „Sie lässt ihn mich nicht lesen.“

Daisys Augen schossen von ihrem Vater zum Ofen. Daniels Leben hing oft davon ab, dass er den nächsten Schritt seines Gegners voraussah. Er hielt Daisys Arm mit eisernem Griff fest, bevor sie zwei Schritte weit kam.

„Du verbrennst diesen Brief nicht!“, verbot er ihr streng.

„Er ist auch an mich adressiert“, sagte Caroline. „Sie hat kein Recht, ihn zu zerstören.“

„Es ist nur ein dämlicher Brief“, schrie Daisy. Über ihr Gesicht liefen Schweiß und Tränen. „Du brauchst ihn nicht zu lesen.“

Wie wollte Daniel seine Soldaten unter Kontrolle halten, wenn seine eigenen Töchter so aufmüpfig waren? Ohne ein weiteres Wort zu sagen, nahm er Daisy den Brief aus der Hand.

„Setzt euch!“ Er deutete auf das Sofa. Er war nur froh, dass Mr Dyer anderweitig zu tun hatte und dieses Schauspiel nicht verfolgen konnte. Daisy stapfte zum Sofa und ließ sich darauf plumpsen. „Du auch, Caroline“, sagte er.

Caroline verdrehte die Augen und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Er würde nie zulassen, dass ein Soldat in seiner Gegenwart eine solche Haltung an den Tag legte und sich derartig benahm. Warum fand er dann keine Handhabe gegenüber seinen Töchtern?

Zum einen konnte er nicht die gleichen Maßnahmen ergreifen wie bei seinen Kavalleristen. Er konnte sie nicht in die Arrestzelle stecken, wenn sie sich danebenbenahmen, oder ihnen eine unangenehme Aufgabe zuweisen. Seit ihre Mutter gestorben war, ließ er ihnen zu viel durchgehen. Ja, er hatte sie gelehrt, erstklassig zu reiten und zu schießen, aber jetzt wurden sie älter und er musste sich neuen Problemen stellen. Problemen, mit denen selbst ein mutiger Mann überfordert war. Sie brauchten eine Frau, die sie richtig unterrichten konnte, aber im Indianerterritorium gab es nicht viele weiße Frauen.

Die Mädchen bräuchten ihre Mutter. Und er auch.

Doch stattdessen musste er sich mit seiner Schwiegermutter herumschlagen. Er faltete den Brief auseinander. Daisy hatte recht. Er war an sie und an Caroline adressiert. Nicht an ihn.

Die US-Armee hielt zwar sehr große Stücke auf ihn, aber seine Schwiegermutter sah das anders. Andererseits konnte es natürlich sein, dass der Tod ihrer Tochter, an dem ihn keine Schuld traf, ihre Meinung beeinflusste.

„Ich will nicht bei ihr wohnen.“ Daisy stampfte in ihren weichen Mokassins auf dem Holzboden auf. „Das wäre so langweilig.“

„Nein, das wäre es nicht“, widersprach Caroline. „Hier ist es langweilig. Man kann mit niemandem reden. Im ganzen Fort gibt es kein Mädchen in unserem Alter. Die einzigen Leute hier sind ein paar alte Waschfrauen und die Soldaten. Und Vater benimmt sich, als hätten die Soldaten eine ansteckende Krankheit. Ich darf mit keinem sprechen.“

Das hatte sie ganz richtig erkannt! Er überflog schnell den Brief und erfuhr, was Edna Crawford im Schilde führte. Sie beschrieb den Mädchen eine leuchtende Zukunft in Galveston bei ihr und ihrem Großvater, dem Bankier. Schöne Kleider, Musikabende, das Leben in einer vornehmen Stadt mit allen Vorteilen, die einer jungen Frau dazu verhalfen, einen reichen Mann zu finden. Sie würden dort alles haben, was sie sich wünschten.

Alles, bis auf ihren Vater.

Natürlich war Edna der Meinung, dass er ihre Enkelinnen nicht angemessen erzog. Sein Blick wanderte über Daisys unkonventionelle Mischung aus Baumwollkleid und Arapahostil. Er betrachtete Carolines Kleid, das so kurz und eng geworden war, dass sie es in einem Fort voller einsamer Männer nicht mehr tragen sollte. Edna hatte recht. Er war mit der Erziehung überfordert, aber das bedeutete nicht, dass er seine Töchter nicht lieben würde. Sie waren hier draußen auf der Prärie seine größte Freude. Ohne sie wäre sein Haus – und sein Herz – leer. Edna konnte die Mädchen nicht haben.

„Warum hast du deiner Schwester diesen Brief weggenommen?“, fragte er Daisy.

Ihre grünen Augen funkelten. „Ich wollte ihn verbrennen.“ Sie sprang vom Sofa auf und warf die Arme um seinen Bauch. „Ich will nicht von dir weggehen, Papa.“

Daniel legte eine Hand auf ihren Kopf. Die liebe, impulsive Daisy! Sie war ganz wie ihre Mutter. Und die eigensinnige, unnachgiebige Caroline mit ihren leuchtend roten Haaren schlug ganz nach ihm.

Mit einem Seufzen reichte er Caroline den Brief. Sie hatte das Recht, ihn zu lesen, auch wenn es ihm das Herz brach, dass sie von ihm fortwollte.

„Jetzt wird nicht mehr gestritten!“, sagte er. „Ohne mich dürft ihr das Fort nicht verlassen. Ich weiß, dass ich nicht der perfekte Lehrer bin, aber das habe ich euch beigebracht, oder?“

Caroline schaute ihre kleine Schwester nur finster an. Er wollte sie schon zurechtweisen, als sein Blick zufällig nach unten wanderte und er sah, dass Daisy ihrer Schwester die Zunge zeigte.

Er war auf verlorenem Posten, aber er würde nicht aufgeben. Wie immer griff er auf seine Berufserfahrung zurück. Wenn man in Schwierigkeiten steckte, musste man Verstärkung anfordern. Er dachte schon seit Monaten daran, eine Lehrerin kommen zu lassen, aber er wollte Edna nicht bitten, ihm eine geeignete Frau zu empfehlen. Wenn er nur wüsste, an wen er sich wenden könnte!

In diesem Moment kam Mr Dyer energiegeladen durch die Tür. Er nahm seine Melone ab und strich über seine dünnen Haare. „Major Adams, ich hoffe, alles ist in Ordnung.“ Sein Blick fiel auf die Mädchen und er seufzte erleichtert auf. „Meine Damen, so wie ihr geritten seid, hatte ich schon befürchtet, jemand wäre verletzt.“

„Noch nicht.“ Daniel schaute Caroline mit zusammengekniffenen Augen an. Sie wandte den Blick ab. Sie und Daisy trugen ihren Streit ausgerechnet hier aus, im Schatten der Arapahoschule, wo das Büro für indianische Angelegenheiten und die mennonitischen Missionare ihr Möglichstes taten, damit sich die Indianer an die Gepflogenheiten der Weißen gewöhnten.

„Mr Dyer, ich brauche Ihre Hilfe“, sagte Daniel. „Ich sehe, was für eine gute Arbeit Ihre Missionarinnen als Lehrerinnen der Arapahokinder leisten, und ich denke, meine Familie würde von einer solchen Arbeit auch profitieren.“

„Nein!“ Daisy ließ sich wieder aufs Sofa fallen. „Keine Schule.“

Caroline blieb stocksteif stehen, wandte aber den Kopf ab.

„Unsere Lehrerinnen wären nicht in der Lage, regelmäßig zum Fort zu reiten, und ich bezweifle, dass Ihre Mädchen im Unterricht auf der Station viel lernen würden, da viele Schüler nur Arapaho sprechen, aber ich könnte die Mennonitische Gesellschaft um eine Empfehlung für eine Gouvernante bitten.“

Genau das hatte Daniel im Sinn. „Es darf aber nicht einfach irgendeine Frau sein“, sagte er. „Wir brauchen eine reife, ältere Dame, die ungebührliches Benehmen und Faulheit nicht durchgehen lässt. Ich suche eine strenge Erzieherin. Da Sie meine Töchter kennen, wissen Sie, wie nötig das ist. Sie muss in der Lage sein, sie unter Kontrolle zu halten, während ich meinen Pflichten nachgehe. Charme und gutes Aussehen sind unwichtig.“

Ehrlich gesagt, waren diese Eigenschaften sogar unerwünscht. Daniel war den militärischen Umgangston gewohnt. Man erteilte einen Befehl und er wurde befolgt. Er wollte lieber eine Frau einstellen, die sich ihren Platz durch Disziplin erarbeitete, als eine, die ihre Arbeitgeber mit weiblichem Charme manipulierte.

Dyer schaute die Mädchen mitfühlend an. Er hatte schon immer eine Schwäche für sie gehabt. „Ich denke, ich verstehe, was Sie meinen, Sir. Ich werde Ihre Anfrage weiterleiten.“

„Das ist der schlimmste Tag meines Lebens!“, jammerte Daisy ins Sofakissen.

„Das ist alles deine Schuld“, murrte Caroline. „Wenn du einfach einwilligen würdest, zu Großmutter zu ziehen, würde das nicht passieren.“

„Strammstehen!“, befahl Daniel. Daisy rollte sich vom Sofa und stand mit hängenden Schultern vor ihm. Carolines Stolz erlaubte ihr nicht, die Schultern hängen zu lassen, aber ihre Augen richteten sich auf einen Punkt hinter seiner Schulter. Er hatte schon schwer verletzte Soldaten gesehen, die schneller strammgestanden hatten.

„Ich habe draußen zu tun.“ Mr Dyer nahm seinen Hut und verließ das Büro wieder.

Daniel legte die Hände auf seinen Rücken und schritt vor seinen Töchtern auf und ab. Wann waren seine geliebten Kinder so ungehorsam geworden? Waren das dieselben Mädchen, die am Fenster seines Büros gestanden und aufgeregt gewartet hatten, dass er nach Hause kam? Die Mädchen, die später unmissverständlich erklärt hatten, dass sie lieber bei ihm bleiben wollten als bei dem Kindermädchen, das sie als Kleinkinder versorgt hatte? Er versuchte, ihnen sowohl Mutter als auch Vater zu sein, das gelang ihm aber offensichtlich nur mit mäßigem Erfolg. Doch es war noch nicht zu spät. Sein Entschluss stand fest.

„Dass ihr heute das Fort verlassen habt, war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ihr wisst beide ganz genau, wie gefährlich es ist, allein im Indianerterritorium unterwegs zu sein.“

„Wir waren doch auf der anderen Seite vom Fluss“, sagte Daisy. „Wir wussten, dass du …“ Bei seinem strengen Blick verstummte sie.

„Dieser Ungehorsam hat Folgen. Je älter ihr werdet, umso weniger haltet ihr euch an die Etikette für Damen, und es ist meine Pflicht, das zu unterbinden. Ihr wollt mehr Aufmerksamkeit und ihr werdet sie bekommen. Sowohl von mir als auch von einer Frau, die Erfahrung mit der Erziehung junger Damen hat. Das habt ihr euch selbst zuzuschreiben.“

Er hätte noch mehr sagen können, aber Taten sprachen lauter als Worte. Wenn sie bei ihrer neuen Hauslehrerin stillsitzen müssten, würden sie sehen, dass es ihm ernst war. Er war nicht gern von anderen abhängig, aber der Zusammenhalt seiner Familie hing von der Empfehlung des Missionsbüros ab.

Er vertraute einer völlig fremden Person das Kostbarste an, was er hatte, aber Daniel wusste sich keinen anderen Rat.

Kapitel 2

Noch vor einer Woche hatte Louisa im Cat-Eye Saloon gesessen, die Füße auf einen Stuhl gelegt und ein Lied gesummt, während Charlie auf dem Klavier geklimpert und Rawbone versucht hatte, sie beim Schach zu schlagen. Heute fuhr sie in einer unbequemen, schaukelnden Postkutsche durch die endlose, einsame Prärie irgendeines Indianerstamms und fragte sich, ob sie je wieder in die Zivilisation zurückkehren würde.

Das hieß natürlich nicht, dass der Cat-Eye Saloon die westliche Zivilisation repräsentierte. Wenn jemand, der eine so begrenzte Stimme hatte wie Persephone, als Bühnenattraktion verkauft wurde, musste man die Maßstäbe der Gesellschaft wirklich infrage stellen. Aber Louisa erhob bestimmt nicht den Anspruch, zur Gesellschaft zu gehören. Sie verbrachte ihre Tage nicht mit Dingen, die die Damen der Gesellschaft taten, was auch immer das war.

Normalerweise waren nachmittags, während sie Schach spielte, die einzigen zahlenden Gäste der ständig betrunkene Slappy, der sich regelmäßig an der Theke abstützen musste, um sich der Schwerkraft zu widersetzen, und Indianer, die ihre letzte warme Mahlzeit genossen, bevor sie weiterzogen. Jeder neue Gast war ein potenzielles ahnungsloses Opfer ihrer Schachkünste. Deshalb bedauerte Louisa es sehr, dass sie Tim-Bob nicht aufgefordert hatte, mit ihm am Schachbrett auszuspielen, ob sie ihre Stelle behalten oder verlieren würde. Nun wagte sie einen kurzen Blick auf die staubigen, verschwitzten Männer, die mit ihr in der Postkutsche saßen. Sie wären sicher auch eine leichte Beute für sie.

Bis jetzt hatten die Männer Louisa ignoriert und sie ignorierte sie ebenfalls. Würden sie sich anders verhalten, wenn sie eine richtige Dame wäre? Ihre Mutter hatte ihr immer gesagt, dass sie sich von den zickigen Frauen in Wichita fernhalten solle. Diese eingebildeten Kühe trampelten gerne auf jedem herum, der anders war als sie, hatte sie gesagt. Louisa hatte ihr geglaubt, aber andererseits …

Sie legte die Stirn an den staubigen, ausgebleichten Vorhang der Kutsche. Was für ein Leben mussten diese Frauen in ihren hübschen Häusern mit den eingezäunten Gärten führen! Wie war es wohl, eine eigene Küche zu haben, Beziehungen zu haben, die ein Leben lang hielten? Das war ihr Traum, aber er würde nirgends wahr werden, wo man die Schöne Lola kannte und wusste, wer sie war.

Louisa und Bradley hatten den Missbrauch ihrer Mutter kaum ertragen. Seit der Alkohol das erbärmliche Leben ihrer Mutter beendet hatte, verdiente Louisa ihr Geld weiterhin auf die einzige Weise, die sie kannte: mit ihrer Stimme. Solange sie auftreten und singen konnte, ginge es ihr gut. Louisa liebte die Musik. Sie liebte die farbenfrohen Kleider, die unterschiedlichen Charaktere und die theatralischen Auftritte, aber sie hatte immer befürchtet, dass ihre Zeit auf den Saloonbühnen eines Tages zu Ende gehen würde. Den Gästen im Cat-Eye Saloon war die Qualität der Musik nicht so wichtig, dass sie mehr auf die Stimme der Sängerin als auf ihr Alter und ihr Äußeres geachtet hätten. Als Persephone dann angefangen hatte, mit ihr die Bühne – und mit Tim-Bob das Bett – zu teilen, hatte Louisa gewusst, dass ihr Ende im Cat-Eye Saloon nahte. Sie hatte nur nicht damit gerechnet, dass es so bald käme.

Der Mann neben ihr bückte sich, um seine Schnürsenkel zuzubinden. Louisa beugte sich in seine Richtung, um einen Blick aus seinem Fenster zu werfen. Sie sah ein großes Blockhaus, das von einigen kleinen Hütten umgeben war. Wo auch immer sie waren, sie würden hier anhalten.

Sie nahm ihre schokoladenbraunen Stiefeletten vom gegenüberliegenden Sitz und bemühte sich, so gut es ging, sie von ihrer Staubschicht zu befreien. Als die Postkutsche aufhörte zu schaukeln, konnte sie es nicht erwarten auszusteigen.

„Willkommen auf der Red Fork Ranch!“, verkündete der Fahrer. „Sie können hier aus dieser heißen Kiste aussteigen und sich ein wenig die Beine vertreten.“

Das fröhliche Hin und Her zwischen dem Fahrer und dem Rancher war über das Quietschen der Federn und Muhen des Viehs auf der Weide gut zu verstehen. Louisa ließ ihre zwei Reisebegleiter zuerst aussteigen. Der Mann mit dem Lederband am Hut erinnerte sich offenbar an seine Manieren und drehte sich um, um ihr beim Aussteigen zu helfen.

Als sie aus dem Inneren der Kutsche auftauchte, verstummten alle um sie herum. Der Rancher, ein untersetzter Mann in den besten Jahren, dessen Gesicht zeigte, dass er sich viel im Freien aufhielt, rieb sich erstaunt den Mund und starrte sie an. Ein Junge, der neben ihm stand, zeigte unverhohlenes Interesse an ihrem bunten Kleid und an ihrem auffallenden Federhut. Er war wie die Miniaturausgabe eines Rancharbeiters gekleidet und schien sich über ihre Kleidung genauso zu amüsieren wie sie sich über seine.

Wenn schon die Männer auf der Red Fork Ranch von ihrem Auftauchen überrascht waren, was würde dann erst der Furcht einflößende Major Adams sagen, wenn sie ungebeten und unangemeldet in seinem Fort auftauchte und sich nach einer Arbeit erkundigte? Aber sie war nun einmal eine Sängerin und ihre farbenprächtige Aufmachung verriet auf den ersten Blick, welchen Beruf sie ausübte. Sie hoffte nur, der Major würde auf dem Armeegelände eine Ein-Frau-Show akzeptieren.

„Willkommen auf der Red Fork Ranch, Ma’am. Ich bin Ralph Collins. Sie sind auf der Durchreise?“ Eigentlich war das eine Frage, aber sein Tonfall verriet, dass sie es ja nicht wagen sollte, ihm zu widersprechen.

Sie verstand seine Sorge. Wenn sie mehr Zeit und das nötige Geld gehabt hätte, hätte sie sich eine geeignetere Kleidung gekauft. Aber sie hatte mit Tim-Bob fast bis aufs Messer darum streiten müssen, wenigstens diese Kleider zu bekommen. Sie war nicht bereit gewesen, dieses schöne blaue Seidenkleid Persephone zu überlassen.

Sie hatte die züchtigsten Kleider, die sie hatte finden können, eingepackt, aber das änderte nichts daran, dass sie wie ein leichtes Mädchen aussah. Sie hätte den Menschen gerne den Unterschied erklärt, aber in den Augen der meisten war eine Frau, die auf der Bühne auftrat, auch nicht anders als eine Frau, die ihr Geld ein Stockwerk höher im Schlafzimmer verdiente.

„Ja, ich bin auf der Durchreise“, sagte sie. „Ich fahre nach Fort Reno.“

Mr Collins verlagerte sein Gewicht. „Sind Sie sicher? Das einzige Hotel da draußen ist das Cheyenne-Haus. Es wird von der Darlington-Station geleitet und das sind Mennoniten. Das ganze Land rund um das Fort gehört den Indianern. Es sei denn, Sie haben eine Einladung von Major …“

Damit wollte er ihr auf freundliche Weise sagen, dass so eine wie sie dort nicht willkommen war. Louisas Magen zog sich zusammen. „Ich habe wie die anderen Fahrgäste für die Fahrt in der Postkutsche gezahlt. Ich fahre weiter, sobald die Kutsche fertig ist.“

Ihr gefiel das Mitleid nicht, das sie in seinen Augen sah, aber er schien kein Mann zu sein, der sich wegen der Dummheit anderer Menschen den Kopf zerbrach. „Dann holen Sie sich etwas zu essen. Die Kutsche fährt in einer Stunde weiter.“

„Hey, Ralph.“ Der Fahrer steckte den Kopf unter der Kutsche hervor. „Wir haben hier ein Problem. Schau dir mal diese Achse an.“

„Ich komme schon.“

Louisa verließ die Kutsche, um sich an dem Essen zu bedienen, von dem er gesprochen hatte. Wie konnte sie ihren Plan erklären, wenn sie eigentlich keinen hatte? War es dumm von ihr gewesen zu meinen, sie könnte einfach in Fort Reno auftauchen und fragen, ob es dort Arbeit für sie gäbe? Sie fuhr seit zwei Tagen durch die Prärie und ahnte bereits, dass eine Frau, die in dieser verlassenen Gegend auftauchte, für Aufsehen sorgen würde. Es war nicht so, dass sie sich einfach unter die anderen Frauen in der Stadt mischen konnte. Es gab hier keine Stadt. Die einzigen Frauen waren wahrscheinlich die Ehefrauen der Offiziere.

Doch dann entdeckte sie etwas: Im Schatten der Veranda stand eine Damenreisetasche. Sie schaute den Jungen an. War es vielleicht die Tasche seiner Mutter?

„Kommen Sie hinein“, lud Mr Collins sie ein. „Wir freuen uns immer auf die Postkutsche. Sie bringt uns Neuigkeiten aus den Staaten.“

Aus den Staaten? Hatten diese Menschen vergessen, dass sie in den Vereinigten Staaten lebten? Dann fiel Louisa ein, was der Fahrer gesagt hatte, als sie die Grenze südlich von Wichita überquert hatten. Sie hatten das Indianer-Territorium betreten. Sie befanden sich also tatsächlich im Ausland.

Im Inneren des Blockhauses roch es nach Tierhäuten und ungewaschenen Menschen. Louisa schaute sich vergeblich nach einer Frau um. Doch falls dort eine Frau sein sollte, würde sie mit Louisa nichts zu tun haben wollen. Trotzdem wäre es nett, den Rat einer Frau in Bezug auf das, was vor ihr lag, zu hören.

Ihnen wurde angeboten, das Badezimmer zu benutzen und sich an dem einfachen Imbiss zu bedienen, während die Stallknechte die Pferde versorgten. Louisa hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, als der Junge auf sie zutrat.

„Sie kleiden sich anders als die anderen Fahrgäste, die ich bis jetzt gesehen habe. Und auch ganz anders als Mrs Townsend.“ Er biss sich auf die Unterlippe, während seine Augen neugierig über ihren mit Samt besetzten Hut wanderten.

Langsam und würdevoll nahm Louisa den Hut ab und legte ihn auf den Tisch. „Willst du den Stoff berühren?“, fragte sie. „Er ist ganz weich.“

Er grinste, als seine Hand vorsichtig darüberstrich. „Das fühlt sich an wie ein Kaninchenfell“, stellte er fest.

Sie wartete, während er in die andere Richtung darüberstrich und dann den Stoff wieder glättete. „Wer ist Mrs Townsend?“, fragte sie.

Sein Blick wich nicht von dem Samt. „Sie ist gestern gekommen, aber ihr geht es nicht gut. Sie wird es nicht bis nach Fort Reno schaffen. Deshalb wartet sie auf die nächste Kutsche, die in den Norden fährt.“

Eine Frau, die nach Fort Reno wollte? Wahrscheinlich gehörte ihr die Tasche, die Louisa draußen gesehen hatte. „Wo ist Mrs Townsend jetzt?“, fragte Louisa. „Ich würde gern ihre Bekanntschaft machen.“

„Sie reden aber geziert!“

Sie war schon öfter als geziert bezeichnet worden, als ihr lieb war.

„Mrs Townsend ist drüben in der Küche“, sagte er. „Ich kann Sie zu ihr bringen.“

Louisa folgte ihm und genoss es, sich frei bewegen zu können, nachdem sie zwei Tage in der engen Postkutsche gesessen hatte und alle ihre Knochen durcheinandergerüttelt worden waren. Sie genoss es auch, eine Weile das metallene Klirren des Pferdegeschirrs und das Quietschen der Räder nicht hören zu müssen. Hier konnte sie sogar ein paar Vögel singen hören. Ohne nachzudenken, begann sie zu summen. Sie hatte seit drei Tagen keine Musik mehr gehört. Sie hatte seit drei Tagen nicht gesungen. Das war für sie, als müsste sie Brot ohne Butter essen.

Kurz darauf traten sie über die Schwelle einer kleinen Lehmhütte. Eine Indianerin drehte sich zu ihnen um. Falls sie überrascht war, eine Frau in einem Seidenkleid zu sehen, zeigte sie das nicht, aber die Frau, die am Tisch saß, blickte sie überrascht an.

„Meine Güte, Hubert“, sagte sie. „Wen bringst du mir denn da mit?“ Ihre dichten, grauen Haare waren zu einem sauberen Knoten gedreht und unter einem schwarzen Haarnetz versteckt. Louisas Kehle schnürte sich zusammen. Sie hatte bereits gelernt, dass ihr solche Frauen nichts als Verachtung entgegenbrachten.

Der Junge, Hubert, stibitzte ein Stück Räucherfleisch von einer gespannten Schnur und antwortete: „Sie wollte mit Ihnen sprechen.“

„Ich heiße Miss Louisa Bell.“ Louisa zwang ihr Gesicht, die strenge Miene der Indianerin zu imitieren, und verkniff sich das freundliche Lächeln, das auf der Bühne so wichtig war. „Ich habe gehört, dass Sie nach Fort Reno fahren.“

Das Kleid der Frau verriet, dass sie trauerte, obwohl Louisa aus dem Alter des Stoffes schloss, dass der Trauerfall schon länger zurückliegen musste. Dann schaute sie wieder ihre blutunterlaufenen Augen und ihre laufende Nase an. Es war, wie Hubert gesagt hatte: Diese Frau war krank.

„Ich bin Mrs Townsend, meine Liebe“, sagte sie, „und ich wollte nach Fort Reno fahren. Ich musste aber meine Pläne ändern.“ Sie schnäuzte sich. „Seit ich diese Reise begonnen habe, leide ich an Heuschnupfen. Meine Augen brennen. Meine Nase läuft. Ich huste die ganze Nacht. Wenn ich nichts dagegen tue, hole ich mir bestimmt noch eine Lungenentzündung.“

Der junge Hubert nickte. „Ralph sagt, dass viele Leute, die hier durchkommen, an Heuschnupfen leiden. Besonders im Frühling.“

Louisa atmete tief ein und stellte erleichtert fest, dass sie keine Atemprobleme hatte. Wenn sie sich erkälten sollte, würde das jeden Auftritt, zu dem sie die Verantwortlichen im Fort überreden könnte, verderben.

„Es tut mir leid, dass es Ihnen nicht gut geht“, sagte sie vorsichtig. Sie wollte diese Frau, die bis jetzt so nett zu ihr gewesen war, nicht beleidigen. Sie empfand bestimmt Abscheu, das wusste Louisa aus Erfahrung. Sie war schon vielen Frauen wie Mrs Townsend begegnet.

Als sie noch klein gewesen war, hatten sich einige nette Frauen mit ihr angefreundet. Sie hatten ihr Kleidung gegeben, die ihre Kinder nicht mehr getragen hatten, und sie mit in die Kirche genommen. Sie hatte sogar das Gefühl gehabt, dass es ihr dort gefallen könnte. Bis zu jenem Sonntagnachmittag, an dem die Kinder aufgefordert worden waren, beim Gemeindepicknick vorzusingen. Schon damals war Louisas Stimme bemerkenswert gewesen. Sie hatte sich also nichts dabei gedacht und sich freiwillig gemeldet. Aber als sie zu singen begonnen hatte, waren die Frauen außer sich gewesen. In diesem Punkt hatte ihre Mutter offenbar ausnahmsweise recht gehabt.

„Glauben Sie mir, junge Frau, es tut mir sehr leid, dass ich nicht weiterfahren kann.“ Mrs Townsend war sehr züchtig gekleidet, aber sie behandelte Louisa nicht herablassend. „Ich hatte den Eindruck, dass diese Fahrt meine Mission wäre, dass Gott mich zu diesem Abenteuer berufen hätte. Ich verstehe nicht, warum er jetzt die Tür verschlossen hat. Ich habe einen Teil des Geldes, das mir mein Mann hinterlassen hat, für diese Fahrt ausgegeben und werde diese Bücher nie benutzen können.“ Sie deutete zu einer Kiste neben der Tür. „Ich dachte, ich würde im Gehorsam handeln, aber ich habe nichts anderes erreicht, als mich zu erkälten und Barbara Geflecktes Reh zur Last zu fallen.“

Die Köchin blickte auf, als ihr Name genannt wurde, aber dann schälte sie weiter Kartoffeln.

Louisa betrachtete die Kiste und hatte eine Idee.

„Kann ich diese Bücher für Sie abgeben?“, fragte sie.

„Oh, meine Liebe, das wäre wunder… wunder…“ Mrs Townsend musste mehrmals kräftig niesen. „Wunderbar. Ich habe das Geld für die Bücher schon bekommen und muss sie unbedingt abliefern.“

Ohne ein Wort zu sagen, stellte Barbara Geflecktes Reh Louisa einen Becher Wasser hin. Sie dankte ihr, wandte aber den Blick nicht von der Kiste ab.

An jenem Sonntag vor vielen Jahren war das Lied, das sie gesungen hatte, als unanständig verurteilt worden. Innerhalb weniger Minuten hatten alle gewusst, von wem sie abstammte, und sie hatte beschämt dagestanden, während die anderen Kinder von ihren entsetzten Müttern schnell weggebracht worden waren. Man hatte ihr gesagt, dass sie zum Gottesdienst kommen könne, aber ihr Singen sei nicht erwünscht. Nun, wenn sie gezwungen wurde, sich zwischen Gott und ihrem Singen zu entscheiden, musste sie sagen, dass ihr Gesang sie seit Jahren ernährte und nicht Gott.

„Was für Bücher sind das, die ich überbringen würde?“, fragte sie. „Religiöse Bücher?“

Mrs Townsend lächelte. „Sie sind sehr scharfsinnig. Ich bin Mennonitin, aber diese Bücher sind nicht für den Religionsunterricht bestimmt. Es sind Schulbücher für den allgemeinen Unterricht. Major Adams hat sie bestellt.“

Major Adams? Louisa bekam plötzlich einen Schluckauf. Sie nahm ihren Becher und trank einen großen Schluck Wasser, um ihre Überraschung zu verbergen. Wagte sie es, mit seinem Eigentum zu reisen? Andererseits wären diese Bücher vielleicht ein idealer Vorwand, um bei dem strengen Major einen Termin zu bekommen.

Louisa lächelte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie Gott so wichtig wäre, dass er sich darum kümmern würde, wohin sie fuhr, aber Mrs Townsend war ihm vielleicht wichtig. Womöglich würde es Louisa weiterhelfen, wenn sie die Bücher für Mrs Townsend abgab.

Kapitel 3

Ihr Aufenthalt auf der Red Fork Ranch dauerte länger als geplant.

Mr Collins war in die Küche gekommen, um Louisa mitzuteilen, dass die Achse der Postkutsche erneuert werden musste. Die Männer arbeiteten bereits daran, aber wahrscheinlich würden sie erst am späten Nachmittag weiterfahren können.

Mrs Townsend würde in den nächsten Minuten in der Postkutsche, die in Richtung Norden fuhr, nach Kansas zurückfahren. Sie segnete Louisa unter einem kräftigen Niesen und drückte herzlich ihren Arm.

„Dass ich Sie getroffen habe, gibt mir Frieden. Ich weiß, dass Gott uns zusammengeführt hat.“

Louisa biss sich auf das Innere ihrer Wange. Musste Mrs Townsend es so formulieren, als würde sie bald sterben? „Ich erwarte nicht Ihre ewige Dankbarkeit, Ma’am“, sagte sie. „Ich liefere nur eine Kiste ab. Das ist keine Heldentat.“

„Sie dürften bis zum Einbruch der Nacht im Fort sein. Und ich bin bis dahin hoffentlich weit genug von diesem unerträglichen Staub weg.“

Einbruch der Nacht? Louisa ließ ihren Blick über die weite Prärie wandern, die sich vor ihr ausbreitete. Was sollte sie bis dahin machen? Sie war sich nicht sicher, ob Barbara Geflecktes Reh Englisch sprach. Die Männer hatten kein Interesse daran, sich mit ihr zu befassen. Im Gegenteil, sie benahmen sich, als wären sie ermahnt worden, kein Wort mit ihr zu sprechen. In diesem Moment vermisste sie das Leben und die Unterhaltung im Cat-Eye Saloon. Solche Gedanken würde sie der Missionarin natürlich auf keinen Fall anvertrauen.

„Ich habe Ihnen in der Küche etwas hingelegt“, sagte Mrs Townsend. „Eine Bluse und einen Rock. Sie wollen Ihre schönen Sachen in dieser staubigen Gegend doch sicher nicht ruinieren.“

Louisa schaute an ihrem eng anliegenden Mieder hinab. Ihr Kleid war himmelblau und hatte wahrscheinlich schon den einen oder anderen Fleck. Außerdem hatte sie gemerkt, dass an den kunstvollen Rüschen am Saum Gras und Kletten hingen. Falls Mrs Townsend ihr grelles Kleid nicht gefiel, bot sie ihr eine Lösung an, ohne sie jedoch zu beleidigen. Mit einer so freundlichen Geste hatte Louisa nicht gerechnet.

„Möge Gott Ihre Fahrt gut und ohne Sünde verlaufen lassen und alles soll gut werden“, sagte Louisa. Sie vermutete, dass man unter den gegebenen Umständen so etwas sagte. Sie hatte nie viel Gelegenheit gehabt, mit Frauen aus der Kirche zu sprechen.

Mrs Townsends Augen funkelten belustigt. „Das, meine Liebe, ist der originellste Segen, den ich je bekommen habe.“ Sie reichte dem Kutscher ihre Reisetasche. „Es ist nur schade, dass ich Sie nicht begleiten kann.“ Einen Moment später half ihr der Mann in die Kutsche.

Louisa hielt sich die Hand vors Gesicht, als das Pferdegespann mit der Kutsche die Ranch verließ. Es war erstaunlich, dass sie keine ähnlichen gesundheitlichen Probleme hatte wie Mrs Townsend. Sie würde die Kiste mit den Büchern abgeben, sich nach einer Arbeit erkundigen und dann Bradley die Ohren lang ziehen und ihm die Leviten lesen. Wenigstens einer von ihnen brauchte eine sichere Zukunft.

Mr Collins drehte sich zu ihr herum. „Die Kutsche dürfte in ein paar Stunden wieder einsatzbereit sein. Aber wir können Ihnen hier leider nicht viel Unterhaltung bieten.“

„Ich könnte sie mit zum Angeln nehmen.“ Hubert hatte den ganzen Morgen Wasser und Feuerholz in die Küche geschleppt. Offensichtlich musste auf der Red Fork Ranch jeder mit anpacken.

„Sie wird nicht so weit gehen wollen“, sagte Mr Collins.

„So weit ist es doch gar nicht.“ Huberts Augen leuchteten auf. „Sie schafft das.“

Mr Collins überlegte. „Das soll Miss Bell selbst entscheiden“, sagte er schließlich.

„Ich habe nichts anderes zu tun“, erwiderte sie. Nach den vielen Stunden in der Postkutsche wäre es herrlich, frische Luft zu schnappen.

„Dann ist das geklärt. Hubert, du kannst zum Turkey Creek hinabgehen, aber halte dich vom Cheyenne-Land fern. Ihr müsst zurückkommen, wenn …“

Er gab dem Jungen genaue Anweisungen, während Louisa zurückging, um ihren Hut zu holen. Wie versprochen, hatte Mrs Townsend ein Kleidungsbündel auf den Tisch gelegt. Barbara Geflecktes Reh schaute Louisa fragend an. Als sie sah, dass sie auf das Bündel zusteuerte, drehte sie sich wieder zum Ofen herum.

Der Baumwollstoff war durch das viele Waschen nicht mehr schwarz, sondern dunkelgrau. Das Material war weich und offenbar großzügig geschnitten. Auf diese Weise konnte Louisa ihr Korsett lockern. Das wäre in der Kutsche viel bequemer. Und der Stoff wäre in der Hitze luftdurchlässiger und angenehmer.

Hubert erschien am offenen Fenster. „Miss Bell, sind Sie fertig?“

Ihr blieb keine Zeit, sich umzuziehen. Außerdem wollte sie die neue Kleidung lieber für die Fahrt aufheben.

Mr Collins brachte zwei Feldflaschen sowie eine Angelrute und ein kleines Gewehr aus dem Haupthaus. „Hubert, wenn Miss Bell sagt, dass sie zurückwill, bringst du sie zurück. Wenn du drei Schüsse hörst, bedeutet das, dass die Kutsche fertig ist. Dann kommt ihr auf dem schnellsten Weg zurück.“

„Ja, Sir.“

„Teddy und seine Männer sind auf der anderen Seite des Bachs. Wenn sie Cheyenne sehen, schlagen sie Alarm. Falls du etwas brauchst, schießt du zweimal. Dann kommen sie.“

Hubert reichte Louisa eine Feldflasche und einen leeren Korb. „Wir versuchen ein paar Barsche zu erwischen.“

„Das wäre nicht schlecht. Auf Wiedersehen, Ma’am.“ Mr Collins tippte an seinen Hut und steuerte dann auf die Koppel zu.

„Wir müssen in diese Richtung.“ Hubert schulterte sein Gewehr und die Angelrute und marschierte dann mit schwungvollen Schritten durch das hohe, trockene Gras. Louisa wünschte, sie hätte trotzdem Zeit gehabt, sich umzuziehen, während sie ihren Rocksaum hob und ihm folgte.

Es dauerte nicht lange, bis sie auf einen breiten Weg stießen und sie sich keine Sorgen mehr wegen der Kletten und Disteln machen musste. Der weite Himmel über ihnen war genauso blau wie ihr Kleid. Das hohe Gras auf beiden Seiten des Weges war so golden wie der Messingkronleuchter im Cat-Eye Saloon. Falls sie je wieder auf einer Bühne singen würde, hätte sie gerne eine solche Kulisse für ihre Arien.

Bald war sie mit dem Summen nicht mehr zufrieden und sie sang aus voller Kehle eine Arie aus der Oper Don Carlos. Louisa war sich nicht sicher, ob der Text für Hubert geeignet war, aber sie ging davon aus, dass er kein Italienisch verstand.

Es erfüllte sie mit Befriedigung, dass ihre Stimme ein so großes Volumen hatte. Sie hatte noch nie eine derartig große Bühne gehabt. Während sie flott marschierten, übte sie einige ihrer Lieblingslieder. Sie hatte im Moment zwar kein aufmerksames Publikum, das jede ihrer Gesten verfolgte, aber sie hatte trotzdem das Gefühl, als würde ihr jemand zuhören.

Selbst Hubert lobte sie. „Sie singen sehr schön. So etwas habe ich noch nie gehört.“

Louisa tätschelte seine Schulter. „Danke, Hubert. Ich schätze, auf der Ranch bekommt ihr nicht viel Unterhaltung.“

„Oh, wir machen abends schon manchmal Musik. Aber nur wir Cowboys.“ Er richtete sich ein wenig größer auf und zählte sich selbst auch zu den Cowboys. „Ich kann Klavier spielen. Das habe ich zu Hause gelernt. Aber hier gibt es kein Klavier.“

Zu Hause? Louisa war aufgefallen, dass Hubert Mr Collins beim Vornamen ansprach und nicht Vater zu ihm sagte. War er ein Waisenkind?

„Wie bist du denn auf die Ranch gekommen?“ Sie schaute sich um, aber sie sah in jeder Richtung nur Gras und Prärie.

„Ralph ist mein Bruder. Er hat meinen Eltern in den Staaten geschrieben, dass die Großstadt nichts für mich ist. Er hat gesagt, dass ich ins Indianerterritorium kommen und lernen soll, ein Mann zu werden. Hier kann ich viel mehr lernen als meine Freunde zu Hause. Sie sitzen heute bestimmt alle in der Schule. Keiner von ihnen ist mit einem Gewehr, einer Angelrute und“, er zog den Kopf ein wenig ein, „einer schönen Frau unterwegs.“

Louisa lachte laut auf. „Du bist ein Schmeichler, Hubert Collins. Ich habe schon gehört, dass man sich vor euch Cowboys in Acht nehmen muss.“

Sie hatte im Saloon viele Cowboys getroffen. Die meisten gehörten einer von zwei Kategorien an: Entweder wollten sie allein sein und trinken oder sie versuchten, den Frauen zu schmeicheln, da sie während des Viehtriebs einen ganzen Monat Zeit gehabt hatten, sich charmante Dinge auszudenken, die man jungen Frauen sagen konnte. Louisa ahnte, in welche Kategorie Hubert fallen würde.

Kurze Zeit später tauchten schattige Bäume in einem Tal auf. Der Bach war nicht mehr weit. „Du hast nur eine einzige Angelrute mitgenommen“, stellte Louisa fest.

Hubert verscheuchte eine Biene. „Ich habe nicht gedacht, dass Sie angeln wollen.“

Louisa lächelte. „Das stimmt. Ich hätte nichts dagegen, mich ein wenig umzusehen. Aber du musst mir versprechen, dass du mich hier nicht allein zurückzulässt.“

Er grinste und zeigte dabei seine großen Schneidezähne. „Natürlich nicht. Aber vergessen Sie die Postkutsche nicht. Wenn das Signal ertönt, müssen wir sofort zurück.“

Louisa nickte. Sie war in ihrem Leben noch nicht oft gereist, aber sie vermutete, dass solche Verzögerungen nichts Ungewöhnliches waren.

Sie würde einfach noch ein wenig singen. Sie würde Huberts Bach nicht aus den Augen lassen und ein wenig spazieren gehen.

S

Fort Reno ähnelte mehr einem verlassenen Dorf als einem militärischen Außenposten. Von seinem Haus aus, das als Generalshaus bezeichnet wurde, hatte Major Adams einen perfekten Blick auf das Exerziergelände, die Unterkunftsbarracken und die Funktionsgebäude, die auf beiden Seiten symmetrisch angeordnet waren. Im Moment waren die Barracken leer.

Daniel schaute zu, wie die Soldaten ihre nachmittäglichen Übungen absolvierten. Einige waren auf der südöstlichen Seite postiert, während die Truppen der Zehnten im Nordwesten standen. Sie schienen gut in Form zu sein, aber sie brauchten Verstärkung.

Er nahm die Briefe, die er geschrieben hatte, und trat auf die Veranda hinaus, wo ein Soldat stand und seine Befehle erwartete. „Geben Sie diese Briefe auf“, sagte er. „Und satteln Sie mein Pferd.“

„Soll sich ein Begleiter bereit machen?“

„Das ist nicht nötig.“

Der Soldat salutierte und marschierte los, um seine Aufträge zu erledigen. Die Briefe würden zum Postamt gehen und von dort nach Fort Supply gebracht werden, um seinen Vorgesetzten mitzuteilen, dass das Fort angesichts seiner sensiblen Lage unterbesetzt war. Bis jetzt war nichts passiert. Aber er betete, dass er vorbereitet wäre, falls etwas passierte.

Der Hauptzweck von Fort Reno bestand darin, unter den umliegenden Indianervölkern und -stämmen für Frieden zu sorgen. Obwohl er stets kampfbereit war, saß Major Adams die meiste Zeit hinter seinem Schreibtisch.

Aber heute musste er mal raus. Er musste weg von seinen Männern, weg von seiner Familie. Wenn Daniel ein Geheimnis witterte, ließ er nicht locker, bis er es gelüftet hatte. Und ihn beschäftigte seit einiger Zeit eine Frage, die er nicht auf dem Exerziergelände lösen konnte. Aufgrund seines Ranges würden ihm die Wachen keine Fragen stellen, wenn er aus dem Tor ritt, aber wenn sie sähen, was er vorhatte, könnte er sich vor Fragen nicht retten.

Sobald er auf seinem Pferd saß, trieb er es zum Galopp an, was er sehr genoss, denn er hatte viel zu wenig Zeit, um zu reiten. Seine Schreibtischarbeit und die Führung der Truppen zwangen ihn, die meiste Zeit im Fort zu sein. Und da seine Töchter allein im Fort waren, begleitete er die Truppen selten, wenn sie auf Patrouille ritten. Auch wenn sein Koch, der Gefreite Gundy, sein Haus gut beschützen würde, ließ er sie dort nicht gerne allein. Aber heute musste er mal weg. Etwas ließ ihm keine Ruhe und er würde erst ruhen, wenn er eine Antwort auf seine Frage hatte.

Er hielt sich in Richtung Norden und bog dann nach Osten ab, als er die Station erreichte. Er brauchte kein Publikum. Er brauchte Zeit und viel Platz und beides gab es im Indianerterritorium reichlich. Aber es war wichtig, dass er absolut alleine war.

Reichten zehn Meilen? Er ritt weiter. 15? Sein Pferd war gut in Form und er hatte kein Gepäck. Außerdem war die Zeit auf einem Pferd nie verlorene Zeit. Zu reiten machte den Kopf frei und half ihm, seine Gedanken zu ordnen.

Mr Dyer hatte ihm eine Gouvernante empfohlen. Die verwitwete Missionarin schien für Caroline und Daisy perfekt zu sein. Sie würde den Mädchen Zucht und Ordnung beibringen. Ihr Alter und ihre Position würden garantieren, dass die Soldaten ihr mit Respekt begegneten, denn er wollte auf keinen Fall eine kapriziöse Frau im Fort haben. Es war auch so schon schwer genug, unter den Soldaten für Ordnung zu sorgen.

Er ritt am Turkey Creek vorbei und näherte sich der Grenze zur Red Fork Ranch. Daniel zügelte sein Pferd. Er konnte es sich nicht leisten, auf einen Cowboy der Ranch, die den Cherokee gehörte, zu stoßen. Er entdeckte eine leichte Senke. Hier würde ihn niemand sehen.

Er hatte in den letzten Nächten einen ausgetüftelten Plan aufgestellt. Wie üblich hatte er jede Variable bedacht und sich schließlich für die günstigste Vorgehensweise entschieden. Er stieg ab und begann seinen Rock aufzuknöpfen. Er entledigte sich seiner ganzen Ausstaffierung: seiner Handschuhe, seines Säbels, seiner Waffe und seines Gürtels mit der dicken Metallschnalle. Er legte alles sorgfältig auf einen Haufen und deckte es mit seinem blauen Offiziersrock zu. Das Pferd schien sich über sein weißes Hemd zu amüsieren. Daniel hatte entschieden, dass der Kavallerierock für sein Experiment unnötig sei, aber das würde er dem Pferd bestimmt nicht erklären.

Mit einem Knurren zog er einen Stiefel und danach sofort seine Socke aus. Er schaute auf den Boden, um sich zu vergewissern, dass hier keine Dornen waren, bevor er den Fuß absetzte. Dann folgte der andere Stiefel.

Vielleicht war es ein unreifes Wetteifern, aber wenn jemandem etwas Besonderes gelang, weckte das in ihm den Wunsch zu zeigen, dass er das auch konnte. Diese Einstellung hatte ihm geholfen, zum Major aufzusteigen. Diese Energie und Planung würden ihm jetzt wieder zugutekommen.

Er fuhr mit der Hand über seinen Sattel. Mit nackten Füßen könnte er darauf bestimmt sein Gleichgewicht halten. Bradley Willis hatte es in Stiefeln geschafft, aber er war so betrunken gewesen, dass er sich alles zugetraut hätte. Daniel wollte sich nicht den Hals brechen. Er musste nur wissen, ob er dieser Herausforderung gewachsen war.

Er stellte die Stiefel neben seinen Offiziersrock und schwang sich dann in den Sattel. Er ließ das Pferd gleichmäßig über das flache Gelände traben, bevor er seine Füße nach oben zog. Die Füße unter sich auf den Sattel zu stellen war gar nicht so leicht. Er hatte damit gerechnet, dass es schwer werden würde, aber dann standen seine Füße sicher auf dem Ledersattel. Vielleicht war die Sache doch nicht so schwer, wie er befürchtet hatte.

Warum auch, wenn es bei Willis so leicht ausgesehen hatte?

Als seine Füße Halt gefunden hatten, schaukelte er mit der Bewegung des Pferdes mit, um sich an dessen Rhythmus zu gewöhnen. Er stand langsam auf und streckte seine Beine. Einige Unebenheiten zwangen ihn, erst einmal in gebückter Haltung zu verharren, aber bald hatte er sich zu seiner vollen Größe aufgerichtet. Die Zügel spannten sich. Als er sich zurücklehnte, um sein Gleichgewicht auszubalancieren, zog er unabsichtlich die Zügel an. Sein Pferd, das gut trainiert war und sensibel auf seine Bewegungen reagierte, wurde dadurch sofort langsamer. Das war ein Problem, denn die Geschwindigkeitsveränderung warf ihn ein wenig aus dem Gleichgewicht. Aus diesem Grund beugte sich Daniel schwankend vor, um die Zügel wieder zu lockern.