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Bei ihrer Ankunft in Dhahara wird Megan nicht von ihrem Freund abgeholt, sondern von Prinz Shafir - der sie in seinen Wüstenpalast "entführt". Eine Flucht ist unmöglich, jeder Widerstand zwecklos. Aber will Megan ihrem äußerst verführerischen Entführer überhaupt widerstehen?
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Seitenzahl: 202
IMPRESSUM
Liebesnacht im Wüstenpalast erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2009 by Tessa Radley Originaltitel: „The Untamed Sheik“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 1600 - 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Sandra Stricker
Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.
Veröffentlicht im ePub Format in 09/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733725945
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Prinz Shafir ibn Selim Al-Dhahara schritt mit rauschenden Gewändern durch die hohen Flügeltüren, die ein Palastdiener für ihn aufhielt. Stille erwartete ihn.
Im Privatgemach des Königs herrschte feierliche Stimmung. Drei Männer beugten sich über einen Laptop, der auf einem altmodischen runden Tisch stand.
Als Shafir eintrat, blickten sie auf. Seine Brüder schienen erleichtert zu sein, ihn zu sehen. Aber König Selim runzelte die Stirn.
Shafir setzte sich zu ihnen an den Tisch, lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander und sah seinen Vater an. Angesichts dieser lässigen Pose schüttelte er missbilligend den Kopf. „Du kommst spät, Shafir.“
„Ich war in der Wüste. Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte.“ Er zeigte auf seine staubigen Stiefel. „Ich habe mich nicht einmal umgezogen.“
Shafir leitete das Ministerium für Tourismus von Dhahara. Die letzte Woche hatte er damit verbracht, einer internationalen Delegation zu zeigen, welche Möglichkeiten zum Abenteuerurlaub und Wandern es in dem kleinen Wüstenstaat gab. Dabei hatte er darauf Wert gelegt, den Vertretern der einzelnen Länder klarzumachen, wie wichtig es war, Dhahara für den internationalen Tourismus zu öffnen. Denn dadurch nahm das Land Geld ein, mit dem er die Wüste wild und unberührt erhalten konnte.
„Gibt es ein Problem, Vater?“
„Nicht direkt. Eher eine Herausforderung.“
„Eine Herausforderung?“ Shafir warf seinem älteren Bruder Khalid einen fragenden Blick zu – Seiner Königlichen Hoheit Khalid ibn Selim Al-Dhahara, um genau zu sein. Wenn sein Vater „Herausforderung“ sagte, dann meinte er meistens eine äußerst verzwickte Situation, die selbst seinen engsten Beratern Albträume verursachte.
„Es ist eine Herausforderung, die dir gefallen wird, Shafir.“
„Mir?“ Shafir runzelte die Stirn. „Was ist mit meinen Brüdern? Oder hast du ihnen bereits andere Herausforderungen übertragen?“
Khalid grinste. „Du bist als Letzter gekommen – du hast das kürzeste Hölzchen gezogen.“
„Das interessanteste Hölzchen – und die Chance, dich als Held zu erweisen.“ Seinem jüngeren Bruder Rafiq schien die Sache höllischen Spaß zu machen.
„Als Held?“ Shafir sah seine Brüder an. Sie sahen aus, als müssten sie sich sehr zurückhalten, um nicht in lautes Gelächter auszubrechen.
Sein Vater dagegen sah streng aus. „Shafir, du bist ein Mann, den die Wüste Dhaharas gestählt hat.“
Shafir senkte respektvoll den Kopf. Als er wieder aufblickte, versuchte er den Gesichtsausdruck seines Vaters zu deuten.
Der König sah ihn aus dunklen Augen an. „Sohn, ich möchte keinen Skandal, deshalb muss sich einer von euch dreien darum kümmern. Rafiq ist schon versprochen, und seine Liebste würde es vielleicht nicht verstehen.“ Der König sah nach rechts. „Und Khalid ist der Kronprinz. Ich kann ihn nicht …“
Shafir unterbrach ihn. „Also, worum geht es hier? Was ist das für eine Herausforderung?“
„Es ist nicht so schwierig.“ Rafiq klickte ein Foto auf dem Laptop an. „Und ich würde auch nicht von einer Herausforderung sprechen. Du musst sie nur loswerden.“
Auf dem Monitor erschien das Bild einer Frau. Shafir sah dunkles Haar und mandelförmige glänzende Augen. Unzählige Fragen gingen ihm durch den Kopf, aber nur eine davon konnte er aussprechen: „Wer ist sie?“
„Sie ist die Frau, die dabei ist, Zaras Märchenhochzeit zu zerstören“, sagte Rafiq.
„Mach dich nicht über deine Cousine lustig.“ Der König blickte seinen jüngsten Sohn streng an. „Das wird die erste Hochzeit in unserer Familie seit fast zwanzig Jahren. Meine Söhne haben mich bisher enttäuscht.“
„Unsere Hoffnungen liegen auf Rafiq“, sagte Shafir schnell. Sein jüngerer Bruder wurde rot. „Er ist verliebt.“
„Aber noch nicht verlobt.“ Während der König sprach, sah er seine Söhne vorwurfsvoll an. „Im Moment steht nur Zaras Hochzeit fest. Die Medien wissen schon Bescheid. Ich kann es nicht zulassen, dass diese Frau hier die Träume unseres Volkes zerstört.“
Der Blick, den sein Vater „dieser Frau“ auf dem Foto zuwarf, erstaunte Shafir. Dass die Hochzeit seiner Cousine in Gefahr war, war neu für ihn. Aber das erklärte natürlich den Ärger seines Vaters. Der König hatte schon immer eine Schwäche für Zara gehabt. Sie war das einzige Kind seines toten Bruders.
Jacques Garnier, Zaras Zukünftiger, war ein französischer Geschäftsmann. Seine Familie war steinreich. Die Garniers importierten Teppiche und Olivenöl aus dem Mittleren Osten. Außerdem besaßen sie ein Schloss im Loire-Tal, und Jacques verkaufte den Wein aus der Winzerei seiner Familie in die ganze Welt. König Selim war mit der Verlobung sehr zufrieden gewesen. Vor allem, weil Zara sehr verliebt war.
Aber jetzt schien das Glück getrübt zu sein. Shafir unterdrückte einen Fluch und starrte auf den Bildschirm. „Wie heißt sie?“
„Megan Saxon.“
Es waren nicht nur ihre gleichmäßigen schönen Gesichtszüge, die Shafirs Aufmerksamkeit erregten. Es war auch die Lebenslust, die sie ausstrahlte. Aus ihren Augen strahlte der gleiche Sinn für Humor, der auch ihre Lippen umspielte. Joie de vivre nannten es die Franzosen.
Shafir sah weg. „Woher weißt du, dass sie Zaras Hochzeit verderben will?“
Sein Vater seufzte. „Garnier war in letzter Zeit so geistesabwesend, deshalb dachte Zara, dass etwas nicht stimmte. Dann sah sie auf seinem Handy die Anrufe dieser Frau. Sie wusste, dass die beiden geschäftlich miteinander zu tun haben, und vermutete das Schlimmste. Sie hat einen ganzen Tag lang geweint. Dann hat sie Garnier zur Rede gestellt.“
„Und?“
„Oje.“ König Selim schüttelte den Kopf. „Diese Frau stellt ihm nach. Garnier hat Zara nichts erzählt, weil er nicht wollte, dass sie sich Sorgen macht. Aber diese Frau gab einfach nicht auf. Und jetzt kommt sie nach Dhahara.“
„Sie kommt hierher?“ Shafir beugte sich vor. Das war natürlich etwas ganz anderes als Anrufe und SMS.
„Sie rief ihn an, kurz bevor sie ins Flugzeug gestiegen ist.“
Shafir atmete verärgert aus. „Und wann wollte er es uns sagen?“
Der König winkte ab. „Das spielt keine Rolle. Wir wissen es jetzt und können uns etwas einfallen lassen. Wir können dem Sicherheitsdienst Bescheid sagen, aber wenn diese Frau …“
„Zu viel für Shafir ist?“, unterbrach Khalid ihn. Seine Augen funkelten listig.
„Die Frau, die zu viel für mich ist, muss erst noch geboren werden“, entgegnete Shafir trocken. „Aber wir müssen vorsichtig sein. Kein Sicherheitsdienst. Keine Polizei. Wir dürfen keinen Skandal riskieren.“ Er dachte an die Delegation, der er Dhahara als exotisches, aber sicheres Urlaubsparadies geschildert hatte. Zwei der Gesandten hatte er eingeladen, ihren Aufenthalt zu verlängern und Zaras Hochzeit mit der Familie zu feiern. Doch plötzlich war die Hochzeit in Gefahr.
Und Zaras Glück.
Wie seine Brüder mochte Shafir Zara sehr. Er hatte sein Bestes gegeben, ihr der Bruder zu sein, den sie nie gehabt hatte. Wie der König, der versuchte, den Platz ihres verstorbenen Vaters einzunehmen, so gut es ging.
„Shafir, wir müssen verhindern, dass diese Frau die Hochzeit zerstört“, sagte der König nachdrücklich.
„Sag ihr, dass sie ihre Zeit verschwendet. Jacques heiratet Zara“, schlug Rafiq vor. „Überzeuge sie davon, nach Hause zu fliegen.“
Shafir schüttelte den Kopf. „Wenn sie den ganzen Weg hierhergekommen ist und sich Jacques in den Kopf gesetzt hat, dann wird es nicht so leicht sein.“ Aber wenn diese Frau glaubte, dass sie Zara einfach den Mann ausspannen konnte, dann hatte sie nicht mit ihm gerechnet.
„Nein“, stimmte Khalid zu. „Schließlich könnte sie Zara einen Haufen Lügengeschichten erzählen.“
Shafir schüttelte wieder den Kopf. „Sie wird Zara nicht begegnen. Wir verschärfen die Sicherheitsmaßnahmen.“ Er würde selbst dafür sorgen. Niemand würde seiner sanftmütigen Cousine wehtun.
„Aber vielleicht verkauft sie ihre Lügen an eines dieser europäischen Skandalblätter.“ Der König schauderte. „Die nehmen es mit der Wahrheit nicht so genau.“
„Das könnte sein.“ Shafir rieb sich gedankenverloren das Kinn.
„Du musst sie verführen, Shafir. Dann vergisst sie Jacques sofort.“ Rafiqs Augen glitzerten belustigt.
Khalid platzte fast vor Lachen. Sogar der König warf den Kopf zurück und kicherte.
War Shafir der Einzige, der das nicht lustig fand?
„Du verwechselst mich mit Khalid“, entgegnete er. „Er zieht die Frauen an wie das Licht die Motten.“
„Vor dir haben sie Angst“, sagte Rafiq. „Dein Ruf eilt dir voraus.“
Khalid nickte. „Frauen wollen umworben und umschwärmt werden. Die Wüste hat dich hart gemacht. Schau dich doch an, mit deinen staubigen Kleidern und deinem zerzausten Haar.“
Shafir sah ihn finster an. Er fuhr mit der Hand durch sein schulterlanges Haar. „Es schützt meinen Nacken vor der Sonne.“
„Hmmm … diese gefährliche, ungezähmte Ausstrahlung könnte dieser Frau natürlich auch gefallen.“ Rafiq legte den Kopf schräg. „Ich wette, du könntest sie verführen.“
Shafir sah ihn fest an. Er verführte keine Frauen. Es war nicht seine Art. Er war für klare Verhältnisse. Die Frauen sollten wissen, woran sie waren. Genau wie jeder andere, mit dem er zu tun hatte. „So tief kann ich gar nicht sinken.“
„Angst?“, neckte ihn Khalid.
„Vor einer Frau?“ Shafir zuckte gleichgültig die Achseln. „Niemals.“
„Söhne“, mahnte der König, „wir haben zu tun.“ An Shafir gewandt sagte er: „Halte sie davon ab, Unheil anzurichten. Egal wie. Rafiq kümmert sich darum, dass zwischen Zara und Jacques alles gut läuft.“ Er beugte sich vor und klopfte Shafir auf die Schulter. „Aber ich will keinen Skandal, hörst du? Die einzige Geschichte, die ich in den Magazinen lesen will, ist die von Zaras …“
„… Märchenhochzeit.“ Khalid verdrehte die Augen.
„Bei den ganzen Vorbereitungen wird es die Hochzeit des Jahrhunderts“, murmelte Rafiq.
„Höre ich etwa Sehnsucht in deiner Stimme, Bruderherz? Vielleicht ist es Zeit, dass du auch heiratest“, sagte Khalid listig.
„Heiraten?“ Der König straffte die Schultern. „Khalid, als Kronprinz ist es deine Pflicht, zuerst zu heiraten.“
Khalid sah wieder zur Decke.
Shafir achtete nicht auf das Geplänkel. Solange er nicht heiraten sollte, war alles in Ordnung. Die Frau, die mit der Weite und Schönheit der Wüste Dhaharas mithalten konnte, war noch nicht geboren worden.
Er warf noch einen Blick auf den Laptop. Seine Aufgabe war keine Herausforderung. Er musste Megan Saxon nur von Jacques Garnier fernhalten, bis Zara den Mann ihrer Träume geheiratet hatte.
Kein Problem.
Shafirs Wagen hielt vor dem Flughafen. Gleichzeitig setzte das Flugzeug auf, in dem Megan Saxon war. Der Sicherheitschef des Flughafens hatte ihm bereits bestätigt, dass das ihre Maschine war.
Es war so weit.
Eigentlich hatte Jacques sie am Flughafen treffen wollen, um sie davon zu überzeugen, wieder zurückzufliegen.
„Ich fühle mich verantwortlich“, hatte der Franzose vor zwei Stunden gesagt. Seine Miene, normalerweise unbekümmert, wirkte angespannt. „Meine geschäftlichen Verbindungen zu dieser Verrückten haben Zara schließlich erst in diese Lage gebracht. Ich muss klarstellen, dass ich meine Verlobte liebe.“
Doch obwohl Shafir Jacques für seine Entschlossenheit bewunderte, schüttelte er den Kopf. „Das kann ich nicht zulassen. Es ist zu riskant. Diese Frau ist besessen von dir. Vielleicht macht sie eine Szene.“ Genau davor graute dem König. „Oder sie versucht, dich anzugreifen. Das würde Zara noch schlimmer treffen.“
Er versicherte dem besorgten Jacques, dass er sich selbst um diese Megan kümmern würde. Schließlich gab der Franzose nach.
„Es muss meine Schuld sein“, sagte Jacques, als er den Palast verließ, „aber ich spiele unsere geschäftlichen Treffen immer wieder durch und kann mir einfach nicht erklären, was sie auf diese verrückte Idee gebracht hat.“
„Mach dir keine Vorwürfe. Sie ist verrückt.“
Als er gesehen hatte, wie erleichtert Jacques war, war Shafir unglaublich wütend auf diese Megan Saxon geworden. Jacques verdiente es nicht, dass man ihm derart nachstellte. Kein Mann verdiente so etwas. Außerdem hatte diese Frau Zara sehr unglücklich gemacht und die Beziehung des jungen Paars auf die Probe gestellt.
Als er nun aus seinem Wagen stieg, schwor er sich, Megan die Meinung zu sagen. Er hatte sein Haar zurückgekämmt und extra europäische Kleider angezogen. Er trug einen Maßanzug und ein blütenweißes Hemd. Schließlich wollte er sie auf keinen Fall erschrecken.
Sein harmloses Aussehen täuschte. Als zweiter Sohn des Königs hatte Shafir größere Freiheiten genossen als Khalid. Während Khalid als Nachfolger seines Vaters erzogen wurde, hatte Shafir einige Jahre mit der Großmutter in der Wüste gelebt. Er war dort zur Dorfschule gegangen und hatte viel Zeit mit den Beduinen verbracht. Das Volk von Dhahara nannte ihn den „Ungezähmten“.
Shafir war alles andere als ein braver Bilderbuchprinz.
Er spannte die Kiefermuskeln an und nickte dem Fahrer zu. Er und die Bodyguards sollten im Wagen auf ihn warten, bis er zurückkam. Mit lässig-eleganten Schritten ging er zum Terminal, in dem internationale Flüge starteten und landeten. Die neugierigen Blicke, die die Leute ihm zuwarfen, die ihn erkannten, beachtete er nicht. Er wusste, dass sein entschlossenes Auftreten sie davon abhalten würde, ihm zu nahe zu kommen.
Er wollte Megan Saxon allein begegnen. Sie würde den Tag noch verfluchen, an dem sie beschlossen hatte, Zaras Glück zu zerstören.
Die verschwenderische Ausstattung der riesigen Ankunftshalle des Flughafens von Dhahara beeindruckte Megan. In der gewölbten Decke waren Fenster, durch die helles Licht einfiel. Dadurch sah es aus, als ob die Luft glitzerte. Und dann die prächtigen marmornen Fußböden! Wenn sie nicht schon gewusst hätte, wie unfassbar reich das Land war, spätestens jetzt wäre es ihr klar geworden.
Knappe hundert Meter entfernt drängten sich Menschen hinter einem Bronzegeländer. Die meisten von ihnen trugen die traditionellen weißen arabischen Gewänder. Sie warteten auf ankommende Passagiere.
Auch Jacques würde da sein.
Auf ihrem letzten Zwischenstopp in Los Angeles hatte sie seine SMS bekommen: „Bis morgen. Kann es kaum erwarten!“
Megan ging schneller. Ungeduldig zog sie ihren Koffer hinter sich her. Plötzlich hatte sie Schmetterlinge im Bauch. Es waren drei Monate vergangen, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte – nur ganz kurz, in Paris, wo sie gemeinsam Silvester gefeiert hatten, bevor ihre Flugzeuge in verschiedene Richtungen gestartet waren. Er hatte Geschäfte in Dhahara zu erledigen, sie musste zurück nach Neuseeland.
Telefongespräche und SMS waren kein Ersatz für richtige Treffen. Deshalb schlug Jacques vor, dass sie etwas Zeit miteinander verbrachten. Und Megan war begeistert von der Idee, so einen romantischen, fürsorglichen Mann besser kennenzulernen. Sie hatte ein Hotelzimmer für sie beide in Katar gebucht, der Hauptstadt des Landes, von dem Jacques ihr vorgeschwärmt hatte.
Zwar wollte Jacques plötzlich lieber nach Oman, den Nachbarstaat. Aber Megan hatte es sich in den Kopf gesetzt, Dhahara zu sehen. Schließlich gab Jacques nach und war einverstanden, dass sie in einer luxuriösen Villa in der Wüste wohnten. Megan hoffte, dass sie in diesem Kurzurlaub herausfinden konnte, ob die Anziehung, die sie auf den internationalen Weinmessen des letzten Jahres gespürt hatte, auch dann noch anhalten würde, wenn sie sich besser kennenlernten.
Diesmal würden sie keine Arbeit und keine Termine voneinander ablenken. Sie hatten sechs ganze Tage nur für sich allein.
Megan hielt in der Menschenmenge nach ihm Ausschau.
Ihr fiel sofort das scharf geschnittene Gesicht eines Mannes auf. Ihre Blicke trafen sich. Seine Augen waren bronzefarben. Undurchdringlich, abweisend sah er sie an.
Er hatte nichts von Jacques’ französischem Charme.
Eiskalt lief es ihr den Rücken hinab, und sie sah schnell weg. Aus dem Augenwinkel suchte sie weiter. Allmählich wurde sie unruhig und runzelte die Stirn. Keine Spur von Jacques.
Unwillkürlich sah sie wieder zu dem abweisenden Fremden. Sie hatte sich schon immer für Mode interessiert und erkannte sofort, dass sein teurer Anzug ein Modell von Dior war. Eine Krawatte trug er nicht. Sein strahlend weißes Hemd, dessen oberster Knopf offen stand, hob sich deutlich von seinem dunklen Teint ab.
Megan hob den Blick und sah, wie der Fremde sie prüfend musterte. Ihr hellgrauer Hosenanzug war ihr wie der ideale Kompromiss vorgekommen: eine angemessene Bedeckung in einem arabischen Land und leicht genug für die Hitze der Wüste. Jetzt kam er ihr viel zu dünn vor. Stattdessen hätte sie ihr schwarzes Kostüm tragen sollen, mit dem Stehkragen und dem langen Rock. Darin wäre es ihr zwar viel zu heiß gewesen, aber dann hätte sie sich nicht so nackt gefühlt, dem unerbittlichen Blick dieses unheimlichen Mannes ausgeliefert. Als sich ihre Blicke trafen, verzog er abschätzig die Lippen. So, als sei er nicht gerade beeindruckt von dem, was er sah.
Sein zurückweisender Blick überraschte Megan. Sie war nicht eitel, aber sie wusste, dass sie attraktiv war. Normalerweise mochten Männer sie, auch wegen ihrer aufgeschlossenen und freundlichen Art.
Zum Glück würde sie diesen Mann nie kennenlernen.
Sie warf den Kopf zurück und beachtete ihn nicht mehr. Stattdessen suchte sie weiter nach Jacques. Er war schon oft zu spät gekommen, was sie bisher nicht gestört hatte. Doch jetzt fühlte sie sich nackt und verletzlich und wünschte, er wäre nur dieses eine Mal pünktlich gewesen. Diesmal würden seine überschwänglichen Entschuldigungen, über die sie sonst lachte, nicht reichen. Mehr als alles andere auf der Welt wollte sie mit Jacques in seinem Auto verschwinden und diesem unangenehmen bronzefarbenen Blick entfliehen.
Megan seufzte. Sie ärgerte sich über sich selbst. Sie nahm diesen Fremden zu wichtig. Suchend sah sie sich in der Ankunftshalle nach Jacques um.
Aber seine fröhlichen grünen Augen, sein lachender Mund … Er war nirgends in Sicht.
„Megan Saxon.“
Als sie ihren Namen hörte, fuhr Megan herum. Ausgesprochen hatte ihn eine tiefe unbekannte Stimme. Die Stimme des Fremden.
„Was wollen Sie?“ Sie sah ihn aus großen Augen an.
Alle Geschichten, die sie jemals über arabische Männer gehört hatte, schossen ihr durch den Kopf – Geschichten über ihren Chauvinismus, und dass sie dachten, jede westliche Frau gehöre ihnen.
Nicht dass es ihm schwerfallen würde, Frauen zu erobern. Er war kantig, aber sehr attraktiv. Umwerfend attraktiv sogar, wenn man auf Männer stand, die wild und finster aussahen. Megan tat das jedenfalls nicht.
Aber der Fremde kannte ihren Namen. Woher?
„Kommen Sie mit.“
„Ganz bestimmt nicht.“ Mädchenhändler kommen bestimmt nicht zum Flughafen, dachte Megan sarkastisch. Aber trotz ihrer gespielten Tapferkeit blickte sie sich rasch um. Immerhin waren viele Leute am Flughafen. Männer. Verschleierte Frauen. Auch eine Gruppe Sicherheitsleute in Uniform.
Kein Grund zur Beunruhigung.
Noch nicht.
Eine Hand griff nach ihrem Arm.
„Fassen Sie mich nicht an.“ Sie sagte es in ihrem kältesten Tonfall – sogar ihre Brüder schüchterte sie damit ein.
„Verzeihen Sie mir“, erwiderte er ruhig und zog seine Hand zurück. „Ich habe Sie erschreckt. Ich heiße Shafir.“ Er zögerte, dann fügte er hinzu: „Ich bin ein Freund von Jacques.“
Ihr Ärger verflog und wich Scham.
„Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?“, fragte sie erleichtert, während sie ihn ansah. Alles Abweisende war plötzlich aus seinem Blick verschwunden. Hatte sie sich das womöglich nur eingebildet? Oder war das nur der normale abschätzende Blick eines arabischen Mannes gewesen, der eine Frau ohne Begleitung sah?
Er lächelte. Seine Miene hellte sich auf. Wow. Er war vorher schon attraktiv gewesen, aber jetzt, wo alles Düstere aus seinem Blick verschwunden war, sah er geradezu umwerfend aus.
„Äh … wo ist Jacques?“, stammelte Megan. Sie konnte den Blick einfach nicht von dem attraktiven Fremden abwenden. Unglaublich, was ein Lächeln für einen Unterschied machte. Er sollte immer lächeln. Oder lieber nicht. Keine Frau könnte in seiner Gegenwart dann noch klar denken. Trotzdem konnte sie den unangenehmen Blick nicht vergessen, mit dem er sie gemustert hatte. „Wo ist er?“, wiederholte sie.
„Jacques kommt nicht.“
Sie war wie erstarrt. Panisch blickte sie ihn an. Ihr wurde plötzlich eiskalt.
„Ihm ist nichts passiert“, sagte er schnell, so, als ahnte er, dass sie sich bereits das Schlimmste ausmalte.
Erleichtert atmete sie auf. „Sie müssen mich für verrückt halten. Aber mein Bruder ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und einen Moment lang dachte ich …“ Sie sprach nicht zu Ende. Nichts konnte die Verzweiflung und den Schmerz beschreiben, die sie nach Rolands Tod verspürt hatte. Außerdem schuldete sie diesem Mann keine Erklärung.
„Jacques geht es gut. Ihm fehlt nichts. Er hat mich einfach gebeten, Sie hier abzuholen.“ Seine Stimme wurde noch tiefer, und Megan kam es so vor, als sehe sie Mitleid in seinen Augen schimmern.
„Oh, vielleicht hat er mir eine Nachricht geschickt.“ Megan holte ihr Handy aus der Tasche. Sie hatte es noch gar nicht eingeschaltet.
„Sie waren noch nie in Dhahara, oder?“
Megan warf dem Fremden einen zerstreuten Blick zu.
„Wenn Sie keine Sim-Karte von hier haben, dauert es ziemlich lange, bis Ihr Telefon ein Netz findet.“
Megan sah auf dem Display ihres Telefons, dass er recht hatte. Seufzend schob sie das Handy wieder zurück in die Tasche.
„Warum ist er dann nicht hier?“
„Er hatte einen Termin …“
„Mit einem persischen Teppichhändler, stimmt.“ Megan nickte. Jacques hatte es erzählt, als sie vor zwei Tagen telefoniert hatten. Da war sie noch auf dem Flughafen von Auckland gewesen.
„Der Termin zieht sich länger hin als geplant. Er bat mich, Sie abzuholen und ins Hotel zu bringen.“
Sofort schämte sie sich für ihr Misstrauen. Wenn er sie vorhin nicht so seltsam angesehen hätte, wäre Megan vollends erlöst gewesen. „Danke, dass Sie mich abholen.“
„Mit dem größten Vergnügen“, erwiderte er und nahm ihren Koffer.
Während sie neben ihm her zum Ausgang ging, fiel Megan auf, wie muskulös sein Körper unter dem maßgeschneiderten Anzug war.
Draußen schlug eine Woge unbekannter Düfte über ihr zusammen. Gewürze. Hitze. Staub. Der heiße trockene Geruch der Wüste Dhaharas. Ein warmer Schauer rieselte Megan den Rücken hinunter. Es war eine wilde ungezähmte Welt, die ihr, die sie aus einer ländlichen Gegend Neuseelands kam, völlig fremd war. Nomaden. Karawanen. Sie konnte es kaum erwarten, dieses Land mit Jacques gemeinsam zu entdecken.
„Hier entlang.“ Der heisere Befehl brachte sie zurück auf den Boden der Tatsachen.
Sie sah eine weiß glänzende Limousine, hinter der ein zweiter Wagen wartete. Ein Mann in Uniform, der gebaut war wie ein Kleiderschrank, lehnte an der Vordertür. Der Chauffeur hielt die Beifahrertür auf. Er trug ein weißes langes Gewand und eine Kopfbedeckung, die mit einer schwarzen Kordel zusammengehalten wurde. Im Flugzeug hatte sie in einem Reiseführer gelesen, dass sie „agal“ hieß. Das ist wirklich etwas ganz anderes als die schwarze Uniform und die Schirmmütze, die ich von Chauffeuren gewohnt bin, dachte Megan, als sie in den Wagen stieg.
Nach der Hitze und den fremdartigen Düften draußen wirkte die kalte Luft der Klimaanlage ernüchternd. Megan lehnte sich gegen die schwarzen Samtkissen und warf einen verstohlenen Blick zu dem Mann, der sich neben sie gesetzt hatte. In der Enge des Wagens wirkte er wie ein wildes Tier, das in eine Falle gelaufen war. Ein Wolf, vielleicht. Sie sah in seine bronzefarbenen Augen. Nein, kein Wolf. Er war ganz sicher kein Rudeltier. Ein Panther. Oder ein Jaguar. Wild. Und sehr gefährlich.
Sie spürte, wie ihr Puls plötzlich schneller ging. Dann lächelte er, und die Gefahr war gebannt. Er war wieder ein Mann von Welt, elegant, höflich, aus dem 21. Jahrhundert. Bis auf den wild flackernden Schimmer seiner Augen, den sie im dämmrigen Licht sehen konnte.
Vielleicht nicht ganz aus dem 21. Jahrhundert.
Megan verdrängte schnell das seltsame Gefühl, das sie bei seinem Anblick beschlich. Egal aus welchem Jahrhundert, das war nicht ihr Problem. Zum Glück. In die Stille hinein fragte sie: „Sie und Jacques sind also Freunde?“
Schweigend nickte er.
Megan schluckte. Sie wollte Jacques unbedingt wiedersehen. Er war so … unbekümmert … so charmant. Zivilisiert.
Alles, was dieser Mann hier nicht war.
Sie holte tief Luft und atmete langsam aus. „Es war ein langer Flug“, sagte sie, als er sie ansah. „Wie lange fahren wir bis zum Hotel?“ Sie wollte sich endlich frisch machen. Morgen früh wollten sie und Jacques zu ihrem Wüstenhotel aufbrechen.
Der Mann, der sich nur als Shafir vorgestellt hatte, beugte sich vor und öffnete die Tür eines kleinen, gut versteckten Kühlschranks. „Verzeihen Sie. Ich hätte Ihnen gleich etwas anbieten sollen. Möchten Sie ein Glas Champagner?“
Er konnte sich also benehmen, wenn er wollte. Erst jetzt merkte Megan, dass ihre Kehle staubtrocken war. „Vielen Dank. Ein Mineralwasser wäre toll.“