Scheinverlobt – und echt verliebt - Tessa Radley - E-Book

Scheinverlobt – und echt verliebt E-Book

Tessa Radley

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Beschreibung

Georgia ist fassungslos: Ihr tyrannischer Vater hat einen Mann für sie ausgesucht. Das heißt Heirat - oder Millionenerbe und Job im Familienimperium verlieren! Und das, obwohl Georgia mit einer Spitzenposition gerechnet hat. Außerdem knistert es heiß zwischen ihr und Jay Black, dem Finanzberater der Firma. Als Jay sie auch noch spontan bittet, seine Verlobte zu spielen, wird es richtig riskant. Denn seine Küsse fühlen sich verhängnisvoll echt an. Aber eine Liebe mit Jay wäre für Georgia das sichere Karriere-Aus …

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Seitenzahl: 203

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IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2019 by Tessa Radley Originaltitel: „A Tangled Engagement“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 2145 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Gabriele Ramm

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733726300

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Georgia Kinnear konnte vor Aufregung kaum stillsitzen.

Ihr Vater thronte am Kopf des ovalen Tisches im Konferenzraum von Kingdom International. Eine Position, die ihm uneingeschränkten Blick auf alle Anwesenden des wöchentlichen Treffens leitender Angestellter erlaubte.

Norman Newman und Jimmy Browne waren seit fast drei Jahrzehnten die treuen Gefolgsleute ihres Vaters – schon länger als Georgia lebte. Beide Männer gehörten dem Aufsichtsrat der Firma für Luxusgüter an, aber Gerüchten zufolge hatten sie beschlossen, in Rente zu gehen, und würden daher auf der jährlichen Hauptversammlung, die nachher noch stattfinden sollte, nicht wieder ernannt werden. Wobei ihr Vater davon kein Wörtchen hatte verlauten lassen. Kingston Kinnear war nicht dafür bekannt, sich in die Karten schauen zu lassen.

Wenn die Gerüchte stimmten, dann würde die Hauptversammlung, die in einer Stunde beginnen sollte, Georgias Leben für immer verändern …

Es wurde auch Zeit!

Ihr Vater blickte ungeduldig auf die Uhr. „Wo ist Jay?“

Jay Black war der perfekte Manager – niemals zu spät, immer vorbereitet, immer gefährlich gut informiert. Ein Rivale, den man respektieren musste. Georgia war dankbar, dass bisher offenbar niemand mitbekommen hatte, welche Spannung zwischen ihnen beiden herrschte und dass sie ständig miteinander im Streit lagen. In wortlosem Einvernehmen hatten Jay und sie sich darauf verständigt, es bei ihrer kleinen Privatfehde zu belassen. Doch trotz ihrer Vorbehalte ihm gegenüber, fand sie es nicht in Ordnung, ihm jetzt hinterrücks eins auszuwischen.

„Der Kopierer war blockiert – er kommt sicher gleich“, antwortete sie daher und versuchte, nicht darüber nachzudenken, wie gut Jay gerochen hatte, als sie eben neben ihm gekauert und versucht hatte, das Gerät wieder zum Laufen zu bringen. Wie der Central Park an einem sonnigen Frühlingstag – frisch und waldig.

Ihr Vater blies die Backen auf, und Georgia machte sich auf einen Ausbruch gefasst.

„Das Ding hat schon den ganzen Tag Probleme bereitet. Ich sorge dafür, dass ein Techniker kommt, um es zu überprüfen“, warf Marcia Hall ein, und ihr Vater beruhigte sich wieder.

„Danke.“ Georgia lächelte der persönlichen Assistentin ihres Vaters zu. Die Frau war eine Heilige. Marcia wusste genau, wie man den reizbaren Kingston beruhigen konnte, eine Kunst, die Georgia nie erlernt hatte – obwohl sie mit ihm aufgewachsen war und seit Verlassen der Schule an seiner Seite arbeitete.

Georgia wünschte, Jay würde sich beeilen.

Um sich abzulenken, konzentrierte sie sich auf die an den getäfelten Wänden hängenden überlebensgroßen Fotos der Stars. Jeder von ihnen trug mindestens einen Kingdom-Artikel. Handtaschen. Mäntel. Schals. Handschuhe. Schirme. Und natürlich das Gepäck, für das Kingdom berühmt war. Auf jeder Aufnahme prangte der legendäre Werbeslogan: Mein Kingdom. Immer und überall.

Ihr Vater räusperte sich, und abrupt wurde es still. „Wir fangen ohne Jay an.“

„Ach, lass uns doch warten …“, bat Georgia, doch ihr Vater verwarf den Vorschlag mit einer ungeduldigen Handbewegung und lehnte sich auf seinem gut gepolsterten Chefsessel zurück. Er nahm sich jedoch die Zeit, die Anwesenden genau zu mustern. Was Georgia nur noch nervöser machte.

Norman Newman, noch leitender Geschäftsführer, saß zu Georgias Linken, zwischen ihr und ihrem Vater.

Leitender Geschäftsführer …

Sie ließ sich den Titel auf der Zunge zergehen. Am Ende des Tages würde er ihr gehören.

Zusammen mit ihren Schwestern Roberta und Charis war Georgia bereits eine der leitenden Angestellten, die in der Firma für das Tagesgeschäft verantwortlich waren. Eine Ernennung in den Aufsichtsrat würde ihre Karriere mehr als beflügeln. Und dann würde sie endlich auch bis in den Finanzausschuss vordringen – dorthin, wo alle wirklich wichtigen Entscheidungen getroffen wurden.

Wie sollte man da noch stillsitzen?

Sie konnte es kaum erwarten, dass sie und Roberta befördert wurden, konnte es kaum erwarten, endlich all die Ideen umzusetzen, über die sie seit Jahren sprachen. Neue Läden. Neue Design-Ideen. Neue globale Märkte. Ideen, die ihr Vater – unterstützt von seinen beiden Gefolgsleuten – stets abgelehnt hatte. Aber das würde sich jetzt ändern – mit dem Ende von Jimmys und Normans Herrschaft. Kingston würde endlich auf seine beiden Töchter hören müssen.

Verstohlen wischte sie sich die verschwitzten Handflächen an ihrem Rock ab.

Wo steckte Jay? Der Finanzanalyst des Modehauses war von ihrem Vater bereits früher in den exklusiven Finanzausschuss berufen worden, eine Tatsache, die Georgia viele schlaflose Nächte beschert hatte. Es war an der Zeit, dass er nun auch ihren Triumph miterlebte.

Die Tür zum Konferenzzimmer wurde geöffnet.

Na endlich!

Sogar ihr Vater drehte den Kopf, um Jay eintreten zu sehen. Groß, mit perfekten Proportionen und in einem wie angegossen sitzenden dunklen Anzug bewegte Jay sich mit lässiger Eleganz.

Georgia lächelte ihm zu. Mit seiner Ankunft legte sich ihre Nervosität ein wenig. Doch statt ihr Lächeln mit seinem üblichen Grinsen zu erwidern, würdigte Jay sie keines Blickes; sein Kopf blieb über die Papiere in seiner Hand gebeugt.

„Wie Sie alle wissen, werde ich nicht jünger“, sagte ihr Vater, „aber ich war schon immer entschlossen, Methusalem den Titel streitig zu machen.“

Leises Gelächter erschall um den Tisch herum.

Was war hier los? Georgia erstarrte. Hatte ihr Vater etwa vor, auch seinen eigenen Rückzug aus dem Unternehmen zu verkünden? Es war schon immer ihr Traum gewesen, in die Fußstapfen ihres Dads zu treten und eines Tages Präsidentin von Kingdom International zu werden. Aber sie hatte nicht damit gerechnet, diese Gelegenheit schon so bald zu bekommen.

Zu bald.

Das wusste sogar sie. Er konnte sich noch nicht zur Ruhe setzen. Nicht heute. Sie würde niemals ernannt werden …

Hastig überlegte sie, wen er wohl auserkoren hatte, seinen Platz einzunehmen.

Jay hatte sich auf den leeren Stuhl neben Kingston gesetzt. Sie warf ihm einen fragenden Blick zu. Als Finanzanalyst war er am ehesten in der Lage, den verworrenen Gedankengängen ihres Vaters zu folgen – eine Tatsache, die sie sonst eher beunruhigte.

Aber Jays Aufmerksamkeit wurde von dem Stapel Papier, der vor ihm auf dem Tisch lag, in Anspruch genommen. Irgendwo in diesem Stapel befanden sich Dokumente, die ihr Leben für immer verändern würden. Aber, fragte Georgia sich, was steckt außerdem noch da drin?

Eine der berühmt-berüchtigten Überraschungen ihres Vaters?

Wusste Roberta vielleicht etwas, das sie nicht wusste?

Doch als sie zu ihrer Schwester schaute, verdrehte die nur die mit schwarzem Eyeliner glamourös betonten grünen Augen. Offenbar hielt Roberta die Bemerkung für nichts weiter als einen der typischen Scherze ihres Vaters.

„Ich habe noch nicht die Absicht, mich zur Ruhe zu setzen.“ Ihr Vater lächelte, und Georgias Puls beruhigte sich ein wenig. „Das Eckbüro ist viel gemütlicher als alle Zimmer in meinem Haus. Meine Töchter werden mich irgendwann mit den Füßen zuerst raustragen müssen.“

Wieder ertönte Gelächter. Dieses Mal stimmte Georgia ein, auch wenn es in ihren Ohren etwas schrill klang. Natürlich hatte ihr Vater einen Witz gemacht. So einfach gab er seinen Posten nicht auf.

Georgia richtete ihre Aufmerksamkeit auf Jay, doch der hielt den Kopf noch immer gesenkt.

Prüfend ließ sie den Blick über den Konferenztisch gleiten, um die Stimmung im Raum einzuschätzen. Seitdem die Gerüchte kursierten, hatte sie mit jedem leitenden Angestellten persönlich gesprochen, um die anstehende Veränderung so problemlos wie möglich zu gestalten. Sie war froh, dass sie alle auf ihrer Seite hatte. Doch im Moment schauten sämtliche Anwesenden gebannt auf ihren Vater.

Mit einer Ausnahme …

Am Ende des Tisches saß ihre jüngste Schwester und zeichnete in einem Skizzenblock, versunken in ihre eigene geheime Welt, die aus den künftigen Entwürfen der Marke Kingdom bestand. Charis sah nicht so aus, als hätte sie auch nur irgendetwas mitbekommen. Typisch. Meetings waren für sie die Hölle. Georgia wusste, dass Charis keinerlei Ambition hatte, in den Vorstand aufzusteigen … und sich auch nicht dafür interessierte, ob ihr Vater sich zur Ruhe setzte. Solange sie Stift und Papier hatte, war sie in ihrem Element.

Georgias Blick kehrte zu Jay zurück, der weiter in den Papieren blätterte. Ein verrückter Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Hatte ihr Vater ihren Job etwa Jay angeboten?

Die vertrauten Selbstzweifel stiegen in ihr hoch. Aber sie wog sie gegen die offensichtlichen Beweise auf. Erst vor wenigen Minuten hatten sie und Jay sich am Kopierer gegenseitig aufgezogen. Jay hatte ihr sogar scherzhaft angeboten, einen Kaffee auszugeben, sobald sie ernannt wurde …

Nein, nicht sobald, sondern falls …

Sie erstarrte.

Er hatte definitiv falls gesagt …

Hatte Jay versucht, sie zu warnen?

Noch einmal ließ sie die Unterhaltung Revue passieren. Trotz des Geplänkels hatte er angespannt gewirkt. Sie hatte es auf den Ärger mit dem Kopierer geschoben. Oder war es vielleicht das schlechte Gewissen gewesen?

Er hatte gesagt, er müsste etwas mit ihr besprechen. Offenbar hatte er bereits gewusst, dass er den Posten bekommen sollte, nach dem sie sich sehnte.

Fassungslos starrte sie auf den Stift in ihren schweißfeuchten Fingern, während die Gedanken durch ihren Kopf wirbelten. Sie war die ideale Kandidatin für Normans Nachfolge. Dass wusste ihr Vater genauso gut wie sie selbst. Immer wieder hatte sie im Laufe der vergangenen Jahre bewiesen, dass sie den Job beherrschte. Daher konnte es unmöglich sein, dass ihr Vater nun beschlossen hatte, ihren Job an Jay zu vergeben.

Oder?

Je schneller Jay las, desto mehr verschwammen die Worte vor seinen Augen. Er schüttelte den Kopf und bemühte sich, die umständliche Juristensprache zu verstehen.

Welcher Idiot hatte diesen Unsinn aufgesetzt?

Er schob sich die Haare aus der Stirn. Sie mussten geschnitten werden, aber dafür hatte er keine Zeit. Die letzten beiden Wochen waren wie im Fluge vergangen, während er versucht hatte, alles auf seinem Schreibtisch abzuarbeiten. Und noch immer war er dem Grund für die Unregelmäßigkeiten des Kingdom-Aktienkurses nicht auf die Spur gekommen.

Er unterdrückte ein Stöhnen, als er sich wieder auf die Dokumente konzentrierte. Kingston Kinnear hatte wohl den Verstand verloren. Und er hätte sich keinen ungeeigneteren Zeitpunkt dafür aussuchen können.

In drei Tagen wollte Jay weg sein – sein erster Besuch zu Hause seit Jahren. Und er hatte sich geschworen, Georgia endlich reinen Wein einzuschenken, ehe er in den Urlaub flog. Wenn er nicht solch ein elendiger Feigling wäre, hätte er das schon längst getan.

Doch ein Problem nach dem anderen. Kingstons Entscheidung, eine neue Anwaltskanzlei damit zu beauftragen, ein „besonderes Projekt“ zu bearbeiten, hatte noch harmlos geklungen. Wenn Jay vor seinem Urlaub nicht so beschäftigt gewesen wäre, hätte er vielleicht Verdacht geschöpft. Und Kingston eventuell noch von diesem verrückten Plan abbringen können.

Zu spät.

Er schob die Papiere zusammen, verschränkte die Hände und legte sie auf den Stapel, als könnte er damit verhindern, dass das Chaos ausbrach. Dann blickte er auf – direkt in ein Augenpaar, das so blau war wie der Himmel über Colorado und dem er bisher ausgewichen war.

Georgia lächelte ihn an. Fragend hob sie eine Augenbraue, und ihm sackte das Herz in die Hose.

Jay schaute zum Kopf des Tisches, wo die Quelle all des Ärgers saß. Kingston stützte sich mit beiden Händen auf die Armlehnen seines Stuhls und erhob sich dann langsam und bedächtig, ehe er mit einer theatralischen Geste die Aufschläge seiner maßgeschneiderten Anzugjacke glattstrich.

Im Konferenzzimmer war es so still, dass Jay das Surren der Klimaanlage hören konnte. Endlich begann Kingston. „Während neunundvierzig Prozent der Kingdom-Aktien auf viele Aktionäre verteilt sind, habe ich immer darauf geachtet, die Mehrheit zu behalten. Was im Hinblick auf die Zukunft der Firma ganz wichtig ist.“

Georgia richtete sich auf. Jay wusste, dass sie erwartete, heute in den Aufsichtsrat aufgenommen zu werden …

Instinktiv ballte er die Hände, die auf den Papieren lagen, zu Fäusten.

Im Raum herrschte atemlose Spannung. Sogar Charis hatte aufgehört zu skizzieren und blickte ihren Vater aufmerksam an.

Zum ersten Mal überlegte Jay, ob Kingston vielleicht schon damit begonnen hatte, heimlich seine Aktienanteile zu verkaufen – das würde die unerwarteten Bewegungen am Markt erklären.

Der alte Mistkerl manipulierte sie alle …

Oder konnte es sein, dass die jüngste der Schwestern eine Ahnung hatte, was ihr Vater vorhatte? Immerhin war Charis Kingstons Augapfel. Bisher hatte zwar nichts von dem, was Jay eben überflogen hatte, mit ihr zu tun gehabt. Dennoch zweifelte er nicht daran, dass Kingston exakte Pläne für die Zukunft seiner „Kleinen“ hegte. Allerdings vermutete er, dass dieses Mal sogar Charis im Dunkeln gelassen worden war.

Die Spannung war inzwischen fast greifbar.

Georgia wählte diesen Moment, um das Wort zu ergreifen: „Roberta, Charis und ich sind seit Langem tief in alle Belange der Firma involviert – wir haben viel in die Zukunft von Kingdom investiert.“

Was für eine unglaubliche Untertreibung! Kingston erwartete von seinen Töchtern, dass sie alles für die Firma gaben. Und Georgia, noch mehr als ihre Schwestern, hatte Kingdom zu ihrem Leben gemacht. Mehr als einmal war Jay an ihrer betriebsblinden Hingabe zur Firma fast verzweifelt.

Es war Charis, die das aussprach, was alle dachten. „Das Offensichtlichste, Daddy, wäre, wenn du deine einundfünfzig Prozent gerecht auf uns drei verteilen würdest.“

„Das wäre die offensichtlichste Lösung“, sagte Roberta gedehnt.

Jay wappnete sich. Gleich würde ein Tumult ausbrechen.

„Damit würde man die Firma zersplittern. Wenn ich jeder von euch siebzehn Prozent geben würde, wäre Kingdom äußerst anfällig für eine Übernahme.“

Also hatte auch Kingston von den Gerüchten gehört – und kein Wort dazu gesagt. Das erste Rumoren hatte es vor einigen Monaten gegeben, aber Jays Erkundigungen hatten nichts zutage gefördert. Dann hatte sich der Markt wieder beruhigt. Während der vergangenen Woche war der Aktienkurs jedoch wieder ins Schwanken geraten.

„Aber nicht, wenn wir zusammenhalten – dann hätten wir immer noch die Mehrheit.“ Georgias Knöchel waren ganz weiß, sie umklammerte den Stift wie einen Rettungsanker. Jay merkte, dass seine eigenen Hände genauso verkrampft waren.

„Wann habt ihr drei denn jemals zusammengehalten?“, bemerkte ihr Vater höhnisch.

Am anderen Ende des Tisches ließ Charis den Bleistift fallen. „Daddy …“

„Was hast du denn dann vor?“, fiel Robert ihrer Schwester unbarmherzig ins Wort. Sie schaute den alten Tyrann herausfordernd an. „Charis alles geben?“

„Ich habe drei Töchter – ich muss für jede einzelne sorgen“, erwiderte Kingston mit unglaublicher Scheinheiligkeit. Jay wusste, dass der gerissene alte Kauz noch niemals etwas getan hatte, was nicht vor allem dem Wohle der Firma diente – und seinem eigenen. „Aber natürlich werde ich meine loyalste Tochter besonders belohnen.“

„Meinst du nicht eher deine Lieblingstochter?“, fragte Roberta in schneidendem Ton.

Georgias Kugelschreiber fiel mit einem Knall auf den Tisch. „Meine Loyalität dir gegenüber ist wohl kaum anzuzweifeln.“ Ihre verletzte Miene ließ Jay zusammenzucken. „Ich arbeite achtzig Stunden die Woche – verflixt, ich habe nicht einmal ein Leben außerhalb dieser Mauern. Seit zwei Jahren habe ich keinen freien Tag gehabt.“

„Das war deine eigene Entscheidung.“ Kingston zuckte nur mit den Achseln.

Georgia öffnete den Mund, überlegte es sich aber offensichtlich anders. Statt etwas zu sagen, senkte sie den Blick, nahm den Stift und legte ihn auf die Dokumente vor sich.

„Du bist ungewöhnlich still, Charis. Was hast du dazu zu sagen, Liebes?“ Kingstons eisiger Blick schmolz, als er sich an seine jüngste Tochter wandte.

Charis reckte das Kinn und schaute ihren Vater direkt an. „Nichts.“

„Nichts?“ Die Kälte kehrte in die blauen Augen zurück, die denen von Georgia so bestürzend ähnlich waren. „Du wirst gleich mehr Enthusiasmus zeigen, mein Kind.“

Jay stellten sich die Nackenhaare auf, während Kingston langsam hintereinander jede seiner Töchter musterte. „Der Anreiz ist ganz einfach“, verkündete er. „Wer auch immer von euch mir seine Loyalität als Erste beweist, wird sechsundzwanzig Prozent der gesamten Kingdom-Aktien bekommen – mehr als die Hälfte meines Anteils – und hätte mit diesem Anteil wirkliche Macht. Die anderen beiden bekommen jeweils die Hälfte der übrigen fünfundzwanzig Prozent.“

Überall am Tisch wurde plötzlich gemurmelt, nur die drei Schwestern saßen stocksteif da.

Jay brachte es nicht über sich, Georgias gekränktem Blick zu begegnen. Er wusste, dass Kingston gerade erst angefangen hatte. „Und ehe ihr fragt, euer Vater hat einen Weg gefunden, wie ihr eure Loyalität beweisen könnt“, warf er ein. Er sprach tonlos, um seine Wut zu verbergen. „Er hat einen Plan.“

2. KAPITEL

Georgias Kehle war wie zugeschnürt. Geraune erklang, ehe es wieder still wurde im Konferenzzimmer. Jay musterte ihren Vater aus zusammengekniffenen Augen.

„Jay hat recht – aber ich habe ja immer einen Plan.“ Kingstons Worte trieften förmlich vor Selbstgefälligkeit. „Auf diese Weise habe ich Kingdom von einem Hinterhofladen, den mein Urgroßvater betrieben hat, zu dem milliardenschweren Unternehmen von heute gemacht.“

„Was für einen Plan?“ Endlich hatte Georgia ihre Stimme wiedergefunden.

Ihr Vater hatte nicht einmal einen Blick für sie übrig. „Aus Angst davor, dass meine Töchter von skrupellosen, geldgierigen Haifischen übers Ohr gehauen werden, habe ich eine Liste mit Männern erstellt, die in der Lage sind, sie zu beschützen …“

Georgia schnappte nach Luft. „Eine Liste von Männern?“

„Beschützen? Wen? Uns? Warum?“

Ihr Vater ignorierte Georgias und Robertas wütende Zwischenrufe. „Die erste meiner Töchter, die einen der Kandidaten heiratet, die ich für sie vorgesehen habe, werde ich als die loyalste betrachten. Sie wird also die sechsundzwanzig Prozent Anteile bekommen.“

„Was?“, riefen Georgia und Roberta gleichzeitig.

Er redete von ihnen, als wären sie gar nicht da.

Was ging hier vor?

Plötzlich ging Georgia ein Licht auf. Die Antwort steckte vermutlich in den Dokumenten, die ordentlich gestapelt vor Jay lagen. Deshalb schaute er sie nicht an.

Sie hatte jetzt endgültig genug.

Unvermittelt sprang sie auf, schob die Sachen, die vor ihr lagen, aus dem Weg und streckte die Hand über den breiten Tisch aus. Ihre Füße hoben sich von dem flauschigen Teppich, und ihr Rock rutschte so weit hoch, dass er die Hinterseite ihrer Oberschenkel kitzelte. Egal. Anstand hatte gerade keine Priorität.

„Georgia!“, donnerte ihr Vater.

Ach, jetzt nahm er doch endlich Notiz von ihr?

Sie ignorierte die vertraute wütende Stimme und schnappte sich die Dokumente, ehe sie zurück auf ihren Stuhl sank und dabei die Unterlagen wie einen Preis umklammerte. Ihr Herz klopfte wie verrückt.

Alle redeten durcheinander, aber Georgia ließ sich nicht ablenken; sie war damit beschäftigt, die Unterlagen zu überfliegen.

„Was zum Teufel ist das?“ Sie hob den Blick und sah Jay herausfordernd an. Er zuckte zusammen. Immerhin!

„Die Anteile werden am Tag meiner Hochzeit auf mich und meinen Ehemann überschrieben …?“

„Hochzeit?“ Roberta stand neben ihr. „Lass mich sehen! Ich wusste ja nicht mal, dass du einen Freund hast, du Heimlichtuerin!“

Nicht zum ersten Mal wünschte Georgia, sie hätte denselben respektlosen Sinn für Humor wie ihre Schwester. „Ich habe keinen Freund – und ich habe auch nicht die Absicht zu heiraten.“ Jemals. Nicht nach dem Desaster namens Ridley. Wie immer schaffte sie es, diese unangenehmen Gedanken auszublenden, während sie in die entsetzten Gesichter am Tisch schaute. Jays Miene war ausdruckslos.

In einem Versuch, wieder Normalität herzustellen, fragte sie: „Jay, was bitte ist hier los?“

Ehe Jay etwas erwidern konnte, polterte Kingston los. „Georgia, ich habe einen Mann für dich ausgesucht, der die Firma gut leiten wird, wenn ich mich zur Ruhe setze.“

Panik stieg in ihr auf. „Aber …“

Er hob eine Hand. „Ich kenne deinen Traum, und der Mann, den ich ausgesucht habe, passt hervorragend zu dir.“

Fassungslos schüttelte Georgia den Kopf, um wieder klar denken zu können. „Er wird dir jetzt seinen eigenen Traum als deinen verkaufen“, raunte Roberta ihr zu.

„Was meinst du damit?“, flüsterte Georgia.

„Pass auf, da ist der Meister am Werk.“ Roberta klang noch zynischer als sonst. „Gib mir mal die Unterlagen.“

Georgia ließ die Papiere, die sie umklammert gehalten hatte, los.

„Er wird dich leiten“, fuhr ihr Vater fort. „Wird dir beibringen, was man braucht.“

„Du glaubst, dass ich einen Mentor brauche?“, brachte Georgia mit schwacher Stimme hervor. „Nach all den Jahren? Ich kenne das Geschäft in- und auswendig. Ich kenne die Produkte, und noch wichtiger, ich kenne die Leute. Ich werde Kingdom leiten, wenn du irgendwann aufhörst – das ist mein Geburtsrecht. Und diese Reise beginnt heute, mit der Ernennung in den Vorstand.“

Aber ihr Vater schüttelte den Kopf. „Du magst meine Tochter sein, aber das heißt noch lange nicht, dass du einen Freifahrtschein hast.“

Einen Freifahrtschein? Wie konnte er das nur denken? Aber sie sah die Antwort in seinem Blick. Er würde sie prüfen, wieder und wieder, weil er nicht daran glaubte, dass sie es schaffen würde. Es lag nicht nur daran, dass sie eine Frau war und nicht der erstgeborene Sohn, den er sich gewünscht hatte. Er fürchtete, dass sie ihn erneut enttäuschte.

Dabei hatte sie gehofft, er hätte es vergessen. Die alte Scham kam wieder hoch. Sie hätte es wissen müssen … Im Gegensatz zu ihr vergaß er niemals etwas!

Und noch weniger verzieh er jemals.

Er gab ihr die Schuld an der beschämenden Trennung von Ridley, an die sie sich gut genug erinnerte, um für immer Single bleiben zu wollen. Außerdem machte er sie für den schrecklichen Autounfall verantwortlich, der darauf gefolgt war und an den sie sich überhaupt nicht erinnern konnte.

„Ach herrje! Hier steht sogar, wen du heiraten sollst …“ Robertas Stimme drang in Georgias verzweifelte Gedanken.

„Was?“ Sie wirbelte herum.

„Hier!“ Roberta schob ihr die Papiere wieder zu. „Du sollst Adam Fordyce heiraten.“

„Adam Fordyce?“, wiederholte Charis vom Ende des Tisches. „Du kannst Adam Fordyce nicht heiraten!“

„Das steht hier aber, schwarz auf weiß.“ Mit ihren perfekt manikürten Fingernägeln deutete Roberta auf das Schriftstück. „Den hat Kingston als deinen ehelichen Mentor ausgesucht – oder vielleicht sollte ich sagen, Fusionsmentor? Denn danach hört sich das doch alles an. Ich wusste nicht mal, dass du ihn kennst.“

Das war verrückt …

Georgia presste die Fingerspitzen an ihre Schläfen. War sie vielleicht auch verrückt geworden?

Sie blickte sich um und stellte fest, dass nur Jay nicht auf die unglaublichen Neuigkeiten reagiert hatte. Er saß still und aufmerksam da, das vertraute Funkeln in seinen Augen aber fehlte.

Es traf Georgia wie ein Blitzschlag.

Er hatte die ganze Zeit gewusst, was ihr Vater vorhatte.

Dieser Verrat tat weh. Sie und Jay stritten sich zwar häufig. Er machte sie wütend und verspottete sie. Auch die enge Beziehung zwischen ihm und ihrem Vater beunruhigte sie. Aber trotz der Rivalität und der nie endenden Spötteleien war er immer ehrlich zu ihr gewesen – manchmal erschreckend ehrlich.

Jay hatte es gewusst … und er hatte ihr gegenüber kein Wort verlauten lassen.

Georgia rang nach Luft. Um Jay und den unerwarteten Schmerz, den sein Verrat in ihr auslöste, würde sie sich später kümmern. Jetzt musste sie erst einmal den Plan ihres Vaters durchkreuzen. „Natürlich kann ich Adam Fordyce nicht heiraten. Ich kenne ihn genauso wenig wie den Weihnachtsmann.“

„Leider wohnt er aber nicht am Nordpol, sondern in Manhattan, und er ist der Chef von Prometheus“, murmelte Roberta. „Forbes hält ihn für einen der Top-Ten …“

„Oh, das weiß ich doch! Aber ich habe ihn noch nie getroffen.“

„Und glaub mir …“ Roberta schüttelte den Kopf. „… Adam Fordyce hat keinerlei Ähnlichkeit mit dem Weihnachtsmann. Er ist ein absolut kaltschnäuziger Mistkerl.“

Charis knallte ihren Skizzenblock auf den Tisch. „Das stimmt nicht.“

Georgia unterdrückte den Wunsch, laut aufzuschreien. „Ich werde niemanden heiraten, und wenn ich es doch jemals tun sollte, dann werde ich meinen Zukünftigen ganz sicher nicht durch einen Stapel Papiere kennenlernen, an deren Aufsetzung ich nicht beteiligt war.“ Sie warf Jay einen mörderischen Blick zu. „Also, Kingston, warum erzählst du uns nicht, was du hier ausgeheckt hast?“

Ihr Vater zögerte nicht. „Adam und ich sind übereingekommen, dass es …“

„Adam und ich sind übereingekommen?“, wiederholte Georgia und starrte ihn entsetzt an. „Du hast das tatsächlich mit dem Mann besprochen?“

„Ja, sicher, und wir haben uns geeinigt.“