Light Serenade - Emilia Cole - E-Book

Light Serenade E-Book

Emilia Cole

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Beschreibung

Er ist die Musik in meinem Herzen, der Song zu meinem Tanz, die Melodie in meiner Stimme.

Sie sagten mir, ich müsse zu Verstand kommen. Zwei gescheiterte Ehen und dutzende Skandale täten einem Popsternchen nicht gut.
Ich hatte nie an ein Happy End geglaubt.

Doch dann war da Church.
Er wurde der Song, der durch meine Venen floss und die Melodie, die in meinem Herzen pulsierte.
Er wurde meine Serenade.



In sich abgeschlossen, kein Cliffhanger

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Inhalt

Inhalt

Impressum

Chronologische Übersicht Maybe-Adagio

Teil 1

GreyRound-Records

Auftritte und Nebenwirkungen

Presserummel

Pfadfinder und coole Kids

Neue Perspektiven

Leise Töne

Monkey Rock

Halloween

Berühre mich

Crystal Bay

Lagerfeuerromantik

Teil 2

Presserummel

Erste Töne

Neue und alte Geschichten

Shooting

Presserummel

Churchill Chinchilla

Ich bin dein Manager

Zeig mir, wer du bist

Gitarrenstunde

Die Melodie meines Herzens

Churchy

Erhöhter Druck

Ich warte auf dich, versprochen

Teil 3

Light Serenade

Geschenk der Elfen

Sag mir, was wir sind

Illusionen

Stille

Heimat

Ich brauche dich

Teil 4

Laute Rufe

Leise Rufe

Versprechen

Nachwort und Dank

Impressum

© 2022 Rinoa Verlag

c/o Emilia Cole

Pater-Delp-Straße 20

47608 Geldern

 

ISBN: 978-3-910653-11-5

 

www.rinoaverlag.de

www.emilia-cole.de

 

Alle Personen und Handlungen in diesem Roman sind frei erfunden. Jedwede Ähnlichkeit zu lebenden Personen ist rein zufällig.

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Chronologische Übersicht Maybe-Adagio

Maybe Next Time (Maybe 1)

Light Serenade (Adagio 1)

Maybe Tomorrow (Maybe 2)

Tomorrow comes Today (Maybe 3)

Nightfall Sonata (Adagio 2)

Maybe: Valentines Edition (Maybe Special)

Maybe Forever (Maybe 4)

Maybe This Day (Maybe 5)

Midnight Symphony (Adagio 3)

Maybe Always (Maybe 6)

 

 

 

 

 

Für alle Träumer

und Realisten

 

 

 

 

Eines Tages wird man offiziell zugeben müssen, dass das, was wir Wirklichkeit getauft haben, eine noch größere Illusion ist, als die Welt des Traumes.

 

Salvador Dalí

Teil 1

I’ll be here …

GreyRound-Records

Gescheiterte Existenz.

Diese zwei Wörter benutzte die Presse am häufigsten ging es um Nicopeia. Mein Alter Ego, das einerseits ich war und das andererseits nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein konnte.

Mit gerade einmal vierundzwanzig hatte ich zwei Ehen hinter mir und dutzende Skandale an meiner persönlichen Pinnwand. Wenn du als Star mit einem Star liiert bist, hast du es einfacher, hatten sie zu mir gesagt. Ich war dumm gewesen und hatte ihnen jedes Wort abgekauft.

Nico hatte nichts mit der Frau gemein, die als junges Mädchen lachend auf dem Gepäckträger ihrer Schwester zur Schule gefahren war. Sie hatte nichts mit der Frau zu tun, die als Kind stundenlang draußen gespielt hatte und im Wald hinterm Haus auf jeden Baum geklettert war.

Nico war eine Farce.

Ein Produkt meines Labels.

Ein gescheitertes Projekt.

Ich sollte als Vorbild für Mädchen fungieren, damit sie sein wollten wie ich. Aber seit ich laut den Medien abgestürzt war, sanken die Verkaufszahlen meines letzten Albums tiefer und tiefer in den Keller.

Vielleicht lag es daran, dass ich keinen der Songs selbst geschrieben hatte. Vielleicht hatte das Label aber recht und mein schlechter Ruf hatte meinen Erfolg zerstört.

Mich interessierte es nicht mehr, ob das Label Millionen mit mir einnahm und wie viele davon auf meinem Konto landeten. Ich hatte ausgesorgt.

Seit bestimmt einem Jahr hatte ich keine Gitarre mehr in der Hand gehabt und kein einziges Wort hatte den Weg auf meinen Notizblock gefunden.

Meine Muse hatte mich verlassen und ein tiefes, hohles Loch zurückgelassen.

Als Kind und auch als Jugendliche hatte ich jeden Tag mit meinem Dad gesungen. Er hatte es geliebt, mir vor dem Schlafengehen ein Abendlied zu singen, und ich hatte ihn jedes Mal begleitet. Irgendwann durfte ich die Solostimme übernehmen und er hatte im Alt oder Bass mitgesungen.

Zurückgeblieben waren nur mein verstummtes Herz und Erinnerungen an Melodien, die durch meinen Körper geflossen waren.

Mit dem Zeigefinger malte ich kleine Kreise auf die Wasseroberfläche. Die Füße hatte ich im erfrischenden Poolwasser hängen und ließ den Blick über den Pool und das dahinterliegende Meer gleiten, wo die Morgensonne sich über den Horizont erhob. Durch die Palmen in meinem Garten blitzte das Sonnenlicht und blendete mich.

Ich hatte alles, was man sich vorstellen konnte. Ein modernes Haus mit dutzenden Zimmern. Wie viele es waren, wusste ich überhaupt nicht. Meine Managerin hatte das Haus seinerzeit für mich ausgesucht, als ich auf Tour gewesen war. Zudem eine Stylistin, die mir beinahe überall hin folgte, einen Make-up Artist, mehrere Bodyguards und eine Armada von Angestellten in meinem Haus.

Und doch hatte ich nichts.

Das Haus gab mir nichts. Ich war hier, um zu schlafen, zu essen und meinen Tagesplan abzuarbeiten.

»Nico?« Statt mich zu meiner Managerin umzudrehen, genoss ich die Aussicht weiterhin. »Dan ist hier und um halb eins haben wir einen Termin beim Label.«

Jetzt schaute ich mich zu Grace um. Mit ihrem iPad in der Hand lehnte sie in der geöffneten Wohnzimmertür. Heute trug sie eine weite braunbeige-gestreifte Stoffhose, dazu knallrote High Heels und eine weiße Bluse, die über dem Bund der Hose zusammengebunden war.

Die Sonne spiegelte sich in der Glasfront, weshalb ich eine Hand schützend vor die Augen hielt. »Was will das Label?«

»Das haben sie nicht gesagt.« Sie tippte mit ihren manikürten Fingernägeln auf dem Bildschirm herum und sah mich danach durch ihre breitgerahmte Brille an. Ihr gerade geschnittener Pony war so lang, dass er auf dem braunmelierten Rahmen der Brille lag. »Es scheint wichtig zu sein. Das haben sie in der Mail betont.«

Ich wandte mich wieder dem Pool zu. »Sag Dan, er soll in den Garten kommen.«

Wenige Sekunden später ertönte das Klacken ihrer High Heels hinter mir, bis es von der Distanz zwischen uns verschluckt wurde.

Normalerweise bedeutete es für mich nichts Gutes, wenn das Label mich sehen wollte. Grace regelte die Dinge sonst mit den hohen Tieren von GreyRound.

Ich stand auf und streckte mich einmal.

»Schätzchen, es wird Zeit, dass wir mal wieder etwas für dein Aussehen tun«, sagte Dan hinter mir und ging an mir vorbei. Unter seinem Arm klemmte die Yogamatte.

»Auch schön, dich zu sehen«, murmelte ich, wobei ich an mir heruntersah. Das weiße Bikinioberteil war zwischen meinen Brüsten zusammengebunden und ließ meine ohnehin blasse Haut, noch heller wirken. Dazu trug ich Hotpants aus grünem Leinenstoff, deren Bund ein wenig in meine kleine Speckrolle an der Hüfte drückte. Das war meine neueste Errungenschaft.

Mich störte das bisschen Speck nicht.

Die Medien hingegen waren deswegen bereits in heller Aufregung. Es standen sogar Schwangerschaftsgerüchte im Raum. Es war absurd, was sie sich aus den Fingern sogen und zusammenreimten.

Dan breitete die Matte mit einer beinahe anmutigen Bewegung mitten im Garten aus. Die Hängematte wenige Meter weiter lachte mich an und am liebsten hätte ich mich hineingelegt und nichts getan. Aber ich wusste, dass Dan dann kratzbürstig wurde.

Für einen Yogalehrer war er eindeutig zu unausgeglichen.

Er stellte sich auf die Unterlage und machte den Sonnengruß, danach schweifte sein Blick zu mir. »Hopp, hopp, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«

Somit ergab ich mich meinem Schicksal und folgte Dan, um den Tag mit einer Yogaeinheit zu starten.

 

 

Grace saß mir gegenüber auf dem Sitz, der mit dem Rücken zur Fahrerkabine ausgerichtet war. Kaum hatte ihr Hintern das Polster berührt, hatte sie auf ihrem iPad herumgetippt.

Sie war Mitte vierzig und ein wenig eigen, mit ihrer viel zu schrillen Lache und dem hin und wieder aufgesetzten Lächeln. Für mich war klar, dass sie ihr Lächeln verloren hatte, weil das Musikbusiness sie ausgesaugt hatte.

Ich hatte viele Menschen auf meinem Weg getroffen, die verlernt hatten zu lächeln.

Grace und ich hatten uns immer wenig zu sagen gehabt. Irgendwie hatte ich ihr nie über den Weg getraut, obwohl ich dazu vermutlich keinen Grund hatte. Immerhin leistete sie gute Arbeit und war für mich da.

Die meisten Menschen um mich herum waren nicht an mir als Person interessiert, sondern nur an dem Glanz und Glamour, den ich versprühte. Sie wollten ein Stückchen von meinem Ruhm abhaben. Sie wollten Nico und nicht Cleo.

Das war die erste Lektion, die ich gelernt hatte.

Ich sah aus dem Fenster, als wir mein Haus hinter uns ließen und über den Weg zum Tor fuhren. Hindurch kam man nur mit einem achtstelligen Zahlencode oder Gesichtskontrolle.

In dem Moment fragte ich mich, ob ich Grace Unrecht tat, indem ich mich so wenig für sie interessierte und ob sie vielleicht an mehr interessiert war als an einer sturen Geschäftsverbindung.

Den hell gepflasterten Weg säumten diverse Palmen und ein paar Kakteen. Hinter dem Tor lag die Welt, von der ich seit sieben Jahren abgeschirmt wurde.

Von den Wegen, die in jede Richtung führten, wenn man wollte.

Von den Menschen, die angeblich nur Schlechtes von mir wollten.

Die Realität.

Die Fahrt von Malibu zu den Universal Studios dauerte knapp eine Stunde. Der Verkehr in L.A. war wie so oft chaotisch. GreyRound hatte seinen Sitz in einem Gebäude in Universal City, es war lediglich eine kleinere Zweigstelle des Labels. Das Gebäude mit sieben Stockwerken ragte vor uns auf, als der Fahrer die Chevy-Limousine vor dem Komplex parkte.

Ich schaute auf meine Uhr am linken Handgelenk. Kurz vor halb eins und ich war trotzdem müde. Und das, obwohl ich bis jetzt noch nicht viel getan hatte.

Mein Bodyguard öffnete mir die Tür und ich nickte ihm dankend zu. Hier tummelten sich einige Fotografen, das war normal. Sie warteten immer auf neues Futter für ihre Klatschseiten und riefen nach mir, kaum berührte ich den Boden mit einem Fuß. Grace stolzierte vor mir durch die breite Glastür und ich folgte ihr durch die stilistische Lobby des Gebäudes. Einige Mitarbeiter liefen umher und die junge Frau am Empfang stand auf und grüßte, als wir an ihr vorbei zu den Aufzügen gingen. Während wir auf den Fahrstuhl warteten, nahm ich eine angenehme männliche Stimme hinter mir wahr.

»…Termin.«

»Wie heißen Sie, Sir?«, fragte die junge Frau und ich sah mich um.

Vor dem Empfang stand ein großer Mann, der etwa in meinem Alter war, wenn mich nicht alles täuschte. Seine dunkelblonden Haare waren bis auf wenige Millimeter abrasiert, über seinen Augen zeichneten seine Brauen eine strenge Linie.

»Churchill«, antwortete er und lehnte sich mit dem Ellenbogen auf den Tresen. Erst jetzt bemerkte ich, dass er einen mitternachtsblauen Anzug trug.

Die Mitarbeiterin reagierte sichtbar auf seine Annäherung und schob sich hastig eine Strähne hinters Ohr.

Aus irgendeinem Grund brachte mich das zum Lächeln. Vielleicht, weil er genau wusste, wie er sie um den Finger wickeln konnte. Vielleicht aber auch, weil mir sein Auftreten gefiel.

Grace packte mich am Oberarm. »Komm schon«, drängte sie. Ich folgte ihr in den Fahrstuhl, sah mich aber noch einmal zu ihm um.

Er sagte noch irgendetwas zu ihr und verzog seine Lippen zu einem leichten Lächeln, das unwahrscheinlich liebevoll und freundlich aussah. Ein Hauch von Sexyness umgab ihn dabei. Sie lachte und warf ihren Kopf in den Nacken.

Als die Türen sich langsam schlossen, hob er den Blick und sah mich an. Durch seine dunklen, braunen Augen erreichte mich nicht die Kälte, die von so vielen Menschen um mich herum ausging.

Sein Ausdruck war … offen und wenn ich ganz ehrlich zu mir war … angsteinflößend.

Und für diese eine Sekunde hörten die Uhren auf zu ticken, die Zeit verlangsamte sich.

Meinen Pulsschlag dröhnte in meinen Ohren.

Die Türen schlossen sich und holten mich unsanft zurück. Ich sah mich ein wenig überfordert um, wobei Grace auf mich aufmerksam wurde. Sie zog ihre Brille bis auf die Nasenspitze und sah mich über diese hinweg an.

»Geht es Ihnen gut?«

Neben ihr stand ein junger Mann mit einer beigen Cordjacke und einer Fliege, die er nachlässig umgebunden hatte. Seine Haare waren durcheinander. Er hatte einen Gastausweis um den Hals baumeln und war ziemlich sicher ein Reporter. Ich schenkte ihm ein schwaches Lächeln, das er etwas verkrampft erwiderte.

Dann wandte ich mich Grace zu. »Ja, mir geht es gut.«

Wie sehr diese Worte an meinem Herzen rissen, ignorierte ich seit Jahren.

Sichtlich zufrieden widmete sie sich dem iPad.

Der Reporterjunge stieg drei Etagen vor uns aus, wir fuhren hoch bis in den siebten Stock. Hier befanden sich die Büros der Vorstände und auch Manager. Am Empfang saß ebenfalls eine junge Frau. Sie telefonierte und nickte uns zu. Wir gingen durch den mit rotem Teppich ausgelegten Gang. An den Wänden hingen diverse Auszeichnungen, unter anderem meine Platin- und Goldalben. Das letzte hatte es so gerade noch in die Charts geschafft und sich auch kaum einen Monat dort gehalten.

Ich trauerte meinem unpersönlichsten Album allerdings nicht hinterher.

Vielleicht war es gut, dass es langsam zu Ende ging.

Vielleicht war das Treffen die Kündigung.

Ich hatte keine Ahnung, ob das ging, weil Grace alle Verträge für mich abarbeitete und absegnete.

In dem Besprechungsraum saßen Harolds und Schneider am Tisch. Die Glasfront gegenüber ließ die Sonne ungefiltert in den Raum und doch war es angenehm kühl.

Sie sahen beide auf, als wir uns gegenüber an den Besprechungstisch setzten. Harolds schaute unter seinen graumelierten Brauen grimmig zu mir. Die Zeit zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, der Anzug saß streng und perfekt an seinen Schultern. Schneider war die einzige Frau im Vorstand und etwa in Harolds Alter. Ihre braun gefärbten Haare hatte sie straff zurückgebunden und ihr Gesicht verriet, dass sie chirurgisch hatte nachhelfen lassen, um nach Möglichkeit nicht zu altern.

»Eine Minute noch«, sagte Schneider.

Grace rutschte auf ihrem Stuhl hin und her, ich hingegen schaute durch das Fenster auf die Stadt. Keine Ahnung, worauf wir noch warteten. Im Augenwinkel nahm ich eine weitere Person wahr, die sich neben Schneider setzte. Ich ließ meine Aufmerksamkeit auf den Bergen ruhen, die hinter der Stadt aufragten, und bekam ein wenig Fernweh.

Was würde ich dafür geben, einfach für eine Weile zu fliehen. Von diesem Leben, das mir Freiheit suggerierte und mich doch in Ketten legte.

»Ms Grover«, sprach Harolds mich in seinem gewohnt tiefen Timbre an. Ich schaute zu ihm, konnte aber nicht verhindern, dass mein Blick kurz nach rechts zuckte.

Da saß er.

Der Mann aus der Lobby.

Und er starrte mich unverhohlen an, die Ellenbogen auf dem Tisch und die Finger unter dem Kinn ineinander verschränkt. Allerdings war der offene und liebevolle Ausdruck aus seinen Augen verschwunden.

Gerade gab er mir nur Distanz.

Ich sah zurück zu Harolds, der sich räusperte und danach die Brille auf seine Nasenwurzel schob. »Das ist Mr Churchill.«

»Was geht mich das an?«, fragte ich, lehnte mich zurück und verschränkte meine Arme vor der Brust.

Grace verspannte sich neben mir und drückte den Rücken durch. »Das können Sie nicht tun.« Ihre Stimme bebte und ich blickte sie verwirrt an, weil sie anscheinend mehr verstand, als ich.

»Können wir sehr wohl und das werden wir«, mischte sich Schneider ein. Ihre Stimme klang, wie es ihr Blick war, messerscharf und vernichtend. »Wir möchten die Verkaufszahlen für das kommende Album deutlich erhöhen und das funktioniert nur, sollte Ms Grover endlich zu Verstand kommen.«

Natürlich war ich die, die den Verstand verloren hatte.

Ich lachte einmal. »Welches Album? Ich habe seit Monaten keinen Song mehr geschrieben.«

Was dachten sie sich überhaupt?

»Dabei wird Ihnen Mr Churchill helfen.« Sie atmete tief durch und verschränkte ihre Finger auf dem Tisch. Ihre Fingernägel waren in einem satten Rot bemalt.

»Was soll das? Wird er mein neuer Gesangslehrer?« Einmal ließ ich meinen Blick über ihn wandern. Meine schnippischen Aussagen ließen ihn offensichtlich kalt, er hatte sich noch keinen Millimeter bewegt. »Er sieht nicht so aus, als könnte er auch nur einen geraden Ton treffen.«

»Ich werde Ihr Manager«, sagte dieser Churchill.

Hatte ich das richtig verstanden?

Hastig sah ich zu Grace, die leichenblass war. Ihr Mund war einen Spalt geöffnet und ich wollte, dass sie protestierte und irgendetwas dazu sagte.

Ich deutete auf Churchill. »Dieser Halbstarke soll mich managen?« Ich stieß ein hohes Lachen aus, das leider etwas verzweifelter klang, als ich es beabsichtigt hatte. »Er soll zurück in den Kindergarten gehen und mit seinen Förmchen spielen.«

»Ich bin der Einzige, der sich gemeldet hat«, sagte er.

»Was?«, wisperte ich.

Harolds beugte sich ein wenig über den Tisch zu mir und suchte meinen Blick. »Niemand will für Sie arbeiten, Ms Grover.«

Was?

Niemand? Niemand außer ihm?

Wie viele andere hatten sie gefragt?

»Sie gelten als launisch und unerträglich«, sagte Churchill.

Das reichte mir. »Und welche Rolle spielen Sie in diesem Szenario? Den edlen Samariter, der sich dazu herablässt, für mich zu arbeiten? Wie viel Geld hat man Ihnen geboten, damit sie das hier machen? Fünfzehn? Zwanzigtaus…«

»Mit Ihnen«, fiel er mir ins Wort. »Ich werden mit Ihnen und nicht für Sie arbeiten.« Seine Antwort irritierte mich so sehr, dass ich den Faden verlor.

Grace hob ihre Hände leicht an. »Ich bitte Sie, lassen Sie mich das regeln. Ich arbeite seit zwei Jahren für Nico.«

»Zwei Jahre, in denen Sie ihre Musik in den Abgrund gewirtschaftet haben und Nico einmal geschieden wurde. Darüber hinaus mussten wir sie vor einer Haftstrafe wegen eines Übergriffs an einer Reporterin retten.« Schneider hob eine Augenbraue.

War ihnen bewusst, dass ich mit in diesem Raum saß?

Grace sah mich für einen Moment an und ich flehte sie stumm an, mich nicht einfach aufzugeben. Wir teilten nicht viel, aber ich wollte nicht, dass man mir auch noch sie wegnahm. Sie lehnte sich im Stuhl zurück.

Eine stille Kapitulation.

Und ein Schlag direkt in mein Genick.

»Gut«, sagte ich, »soll er es versuchen.« Er würde keinen einzigen Song aus mir herausbekommen, so viel stand fest. Er war auch nur einer dieser halbstarken Schreibtischhengste, die gerade von der Uni ins Arbeitsleben gestolpert waren. Was wusste er schon über das Musikbusiness? Was sollte er schon tun, um mir zurückzubringen, was verloren gegangen war?

Er hatte sich im Stuhl zurückgelehnt. Die Arme vor der Brust verschränkt schaute er mich noch immer an.

Wie ein König, ein viel zu siegessicherer König.

Was bildete er sich überhaupt ein?

Was bildeten sich Harolds und Schneider ein, so etwas über meinen Kopf hinweg zu entscheiden?

»Das Lachen wird Ihnen noch vergehen«, zischte ich, stand auf und verschwand mit einem Türknallen aus diesem verdammten Raum.

Auftritte und Nebenwirkungen

»Ich fasse es noch immer nicht«, sagte ich und ging dabei hinter meinem Sofa hin und her. »Churchill, was ist das für ein Name? War seine Mutter ein Chinchilla?« Ich drehte mich zu Grace, die im Rahmen zum Flur stand.

Zwei Tage hatte man ihr gegeben, um ihre persönlichen Dinge aus dem Zimmer in meinem Haus abholen zu lassen.

Einer war ihr heute geblieben.

Ich hatte sie gehört, als sie telefoniert hatte und wusste, dass das Unternehmen morgen um die Mittagszeit kam, um Grace‘ Sachen zu holen.

Sie hatte das iPad in der Hand und tippte kurz darauf herum. »Sie haben heute Nachmittag noch einen Auftritt.«

»Das interessiert mich gerade nicht«, sagte ich und ging auf sie zu. »Sie müssen doch irgendetwas tun können.« Auf Höhe des Aquariums, das als Raumteiler diente, blieb ich stehen. »Bitte«, flehte ich. »Ich will nicht, dass dieser Typ sich hier einnistet.«

Sie antwortete nicht.

Und ich wusste, dass ich keine Wahl hatte.

Mir war klar, dass mein Toben und Betteln nichts an der Situation ändern würde. Aber es half mir, meinen Verstand nicht zu verlieren.

Es war Ventil und Schutzwall zugleich.

Als Grace auch nach mehreren Sekunden nicht antwortete, stieß ich ein Stöhnen aus und ging die zwei Stufen ins Wohnzimmer runter, um durch die Tür in den Garten zu flüchten.

Angekommen tigerte ich am Poolrand auf und ab, bis ich an dem großen weißen Kübel mit der kleinen Palme stehenblieb und die Augen schloss. »Alles wird gut«, flüsterte ich immer wieder.

Ich konzentrierte mich auf das Rauschen der Wellen, das stetig und leise zu mir drang.

Ich atmete die Seeluft ein.

Ich atmete sie aus.

Der zarte Wind umschmeichelte meine Arme und Beine, die Strahlen der Sonne wärmten meine Haut und holten mich zurück ins Jetzt.

Ich drehte den Ring an meinem Zeigefinger und ertastete das florale Muster darauf. Als ich die Augen öffnete, sah die Welt wieder anders aus und doch war es, als hing ein dezenter, grauer Schleier über den Farben.

Dennoch brachte es mich zum Lächeln, denn ich würde auch das überstehen. Egal, was das Label und dieser Churchill vorhatten, davon würde ich mich nicht kleinkriegen lassen.

Nicht, solange die Farben um mich herum wenigstens etwas existent waren.

Den Rest des Mittags verbrachte ich im Garten und lag in der Hängematte. Grace besuchte mich zwischendurch und erinnerte mich an das Interview und jedes Mal winkte ich ab.

Als sie erneut kam, zog ich die Sonnenbrille von der Nase. »Nico, bitte, Kacee wartet bereits seit zehn Minuten auf Sie.«

»Warum habe ich kein Double für diese dämlichen Termine?«

Grace verschränkte die Arme vor der Brust und ich stieg aus der bunten Hängematte. Davor streckte ich mich und ging dann ins Haus.

Beinahe jeder Raum hier hatte eine breite Glasfront, sodass die Zimmer tagsüber hell erleuchtet waren. Manchmal wünschte ich mir, jedes Zimmer wäre von Betonwänden umgeben, ohne Fenster, so würde das Haus immerhin widerspiegeln, was es war.

Ich nahm die offene Treppe im Eingangsbereich und ging danach durch den Flur im ersten Stock. Die gepflegten Palmen sollten Frische suggerieren, aber immer öfter verspürte ich das Bedürfnis, den armen Dingern ihre Freiheit zu schenken und sie in den Garten zu stellen.

In meinem Schlafzimmer stand Kacee und hatte Kleidung auf mein Kingsize-Bett gelegt. Mit einem Lächeln schloss sie mich in die Arme. Es war kurz und unterkühlt. Sie umfasste meine Schultern und schaute mich an. »Haben Sie schlecht geschlafen in den letzten Nächten?«

Ihre subtile Art, mir zu sagen, ich sah beschissen aus.

Mit Zeigefinger und Daumen umschloss sie mein Kinn und drehte meinen Kopf einmal nach rechts und nach links. Ihre blauen Katzenaugen musterten mich intensiv. Ein krasser Kontrast zu ihrer zarten, dunkleren Haut.

»Halb so wild, das bekommen wir hin.« Sie ließ mich los und ging rüber zum Tisch. Darauf und daneben türmten sich ihre Utensilien, um mich in die Frau zu verwandeln, die ich zu hassen gelernt hatte.

 

 

Zwei Stunden später saß ich hinten in der Limousine, Grace wieder gegenüber, ihr iPad in der Hand. Das Kleid, das Kacee mir herausgesucht hatte, war goldfarben und schimmerte im Sonnenlicht. Es betonte meine Oberweite und endete kurz über meinen Knien.

Allerdings drückte es meine Rippen zusammen, sodass ich kaum sitzen konnte. Einatmen konnte ich nur bis zu einem gewissen Grad.

Die passenden geschnürten High Heels dazu waren mir zu klein und die schmalen Gurte schnitten in meine Haut.

Das Make-up spannte unangenehm in meinem Gesicht, Kacee hatte gefühlt alles benutzt, was sie in ihren großen Koffern mitgeschleppt hatte. Die Wimpernverlängerungen waren schwer und es war ein Kraftakt, die Lider geöffnet zu halten. Es fühlte sich an, als würde ich eine Maske tragen, die abfiel, sobald man mir einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf verpasste.

Ich drehte das goldene Armband an meinem Handgelenk. Es saß locker und ich konnte es bis zur Hälfte meines Unterarms schieben. Meinen Ring hatte ich wie immer abnehmen müssen, er passte schließlich nicht zum Outfit.

»Sind Sie verheiratet?«, fragte ich. Grace hob den Blick und hielt in der Bewegung inne. Sie trug keinen Ring, aber das bedeutete nichts. Ich hatte meine auch nicht getragen.

Grace räusperte sich. »Nein.« Sie zögerte. »Nicht mehr. Mein Mann und ich haben uns vor vier Jahren getrennt.«

»Das tut mir sehr leid.«

»Muss es nicht. Er hat mich mit unserem Kindermädchen betrogen.« Sie tippte wieder auf dem iPad. »Angeblich hätte er mich über die Jahre an die Arbeit verloren.«

»Für wen haben Sie damals gearbeitet?«

Erneut hielt sie inne und selbst durch den dichten schwarzen Pony erkannte ich, dass sie die Stirn runzelte. »Rahel Saar.«

»Ein Model?«

Das entlockte ihr ein Lächeln, ein ehrliches, eines, das von innen heraus kam. Es ließ sie weicher wirken und … hübsch. Das erste Mal fiel mir auf, dass Grace hübsch war. »Sie hat … sich einigen Kolleginnen gegenüber nicht sonderlich fair verhalten, weshalb …« Grace atmete durch. »Ich wurde ersetzt. Wie auch jetzt wieder.« Ihr Lächeln verrutschte.

»Oh.«

Grace konzentrierte sich wieder auf den Bildschirm und ich sah aus dem verdunkelten Fenster. Die Gebäude und Menschen auf den Gehwegen zogen an mir vorbei. Palmen säumten den Fahrbahnrand, hin und wieder blitzten das Meer und der Hafen mit den Segelbooten und Yachten zwischen den Häusern hindurch. Die hochstehende Sonne ließ die Oberfläche des Wassers glitzern und funkeln.

Am Sender angekommen, wurde ich von sechs Securitys durch den Hintereingang geschleust. Fans und Reporter hatten sich versammelt und riefen nach mir, streckten ihre Hand nach mir aus, um mich wenigstens einmal zu berühren. Blitzlichtgewitter begleitete unseren kurzen Weg, bis die Stahltür hinter uns zufiel.

In meinem persönlichen Backstageraum stand alles für mich bereit. Das edelste Wasser, verschiedene exotische Früchte in Schalen auf den Tischen. Außerdem spielte im Hintergrund Meeresrauschen.

Das war das Einzige, das ich wirklich mochte.

Noch mehr aber mochte ich das Rascheln von Blättern im Wind. Früher war ich oft im Wald gewesen. Das Haus meiner Eltern lag am Waldrand von King City, ein verschlafenes Städtchen hier in Kalifornien, und jeden Morgen im Frühling und Sommer hatten dutzende Vögel mich wachgesungen.

Grace ging mit mir die Fragen durch, die ich gleich in der Show beantworten musste, und ich nickte alles stumm ab.

»Denken Sie dran, es geht nur um das kommende Album. Andere Fragen müssen Sie nicht beantworten.«

Ein Make-up-Artist vom Sender zupfte an meinen Haaren herum und puderte mir das Gesicht erneut.

Ich sah Grace an, ohne den Kopf zu drehen. »Schon klar. Ich mache das nicht erst seit gestern.«

Sie nickte und winkte dann jemanden zu uns. »Können Sie mir bitte einen doppelten Espresso holen?«

Ich sah wieder in den Spiegel.

»Natürlich«, antwortete ihr ein Laufbursche.

Meine Augenringe waren weggeschminkt. Meine Wangenknochen hervorgehoben. Die Nase schmaler und durch die Schattierungen um meine Augen wirkten sie größer und das helle Blau in ihnen noch leuchtender. Die langen Schokolocken waren zu einer Hochsteckfrisur drapiert, um meinen Hals wie auch die Schultern zu betonen.

Ich zog an dem Stoff, der wie eine zweite Haut um meine Taille lag. »Lassen Sie das«, sagte Grace und gab mir einen Klaps auf die Finger.

»Ich bekomme kaum Luft.«

Sie sah mich durch den Spiegel an. »Es sind bloß zehn Minuten.«

»Zehn Minuten zu viel«, murmelte ich und wollte wieder am Kleid zupfen. Grace drückte den Arm auf die Lehne des Stuhls und ich gab auf.

Kurz darauf wurde ich von ein paar Mitarbeitern zum Set begleitet. Hinter einer Tür wartete ich und bekam dabei In-Ear-Kopfhörer und einen entsprechenden Sender angesteckt.

Eine Frau mittleren Alters gab mir letzte Anweisungen. »Kamera drei ist die Nahaufnahme. Zwei ist Weitwinkel. Eins ist aufs Publikum gerichtet und vier wird in der Regel für die Live-Auftritte genutzt.«

»Schon klar.« Ich drückte den Rücken ein letztes Mal durch, ehe der Moderator mich ansagte.

Am liebsten hätte ich mir dieses Kleid runtergerissen und wäre aus dem Gebäude gerannt.

Die Tür vor mir ging auf und als die Flut des Scheinwerferlichts mich umgab, setzte ich das breiteste Lächeln auf, das ich in dem Moment finden konnte.

Oliver King war einer der bekanntesten Late-Night-Moderatoren wie auch Comedians, die es derzeit in den USA gab. Noch dazu war er kaum älter als ich.

Mit ausgebreiteten Armen kam er mir einige Schritte entgegen, als ich über die Bühne ging und dem Publikum winkte. Das applaudierte und einige der Gäste standen auf. Sofort wurde mir warm, die Scheinwerfer blendeten.

King begrüßte mich mit einem Küsschen links und einem rechts, wonach er sich zurück hinter seinen Tisch setzte und ich daneben auf dem gemütlichen Sessel Platz nahm. Leider erlaubte mir das Kleid nicht, mich bequem hinzusetzen und so blieb ich auf dem Rand sitzen und stützte meinen Unterarm auf die breite Lehne.

Er machte eine beruhigende Geste in Richtung des Publikums und eine Mitarbeiterin zwischen den Kameras hielt ein Schild hoch, damit die Menge still wurde.

Dieses Prozedere war mir bereits bekannt.

Er warf mir dieses falsche Lächeln zu. »Nico, wie schön, dass wir uns wiedersehen.«

»Danke, dass ich hier sein darf«, antwortete ich mit meinem eingeübten Lächeln und dem ebenso einstudierten Augenaufschlag.

Er begann mit seinem obligatorischen Frage- und Antwort-Spiel, wobei ich zwischendurch Probleme hatte, mich auf ihn zu konzentrieren. Dieses dämliche Kleid schnürte mir regelrecht die Luft ab.

Ich hasste diese Auftritte.

Noch dazu musste ich gleich einen meiner neuen Songs singen und ich hatte gerade keine Ahnung mehr, wie der Text ging. Zwar hatte ich ein Backup in Form von Playback, trotzdem fiel es natürlich auf, wenn ich nicht mehr wusste, wie der Song begann.

Er stand auf und ich tat es ebenfalls, als er meinen neuesten Track ankündigte. »Meine Damen und Herren, Nicopeia mit ihrer letzten Singleauskopplung Red Panther.«

Das Publikum applaudierte und die Strahler auf der anderen Seite des Studios sprangen an. Eine Mitarbeiterin reichte mir ein Mikrofon, während ich hinüberging und kurz bevor ich die kleine Bühne erreichte, wurde mir schummerig.

Die Band begann den Track zu spielen und während des Intros versuchte ich, mich daran zu erinnern, was ich heute gegessen hatte. Nichts. Ich hatte heute noch nichts gegessen.

Grace hatte mir verboten, mir etwas am Buffet zu nehmen, weil ich laut meinem Personaltrainer abnehmen musste.

Die Instrumente dröhnten in meinen Ohren, die Drums fühlten sich an, wie Schläge gegen meinen Schädel.

Die Scheinwerfer blendeten mich unangenehm und als ich mit dem Text beginnen musste passierte …

Nichts.

Ich stand einfach nur da, das Mikrofon umklammert und starrte nach vorne, denn ich wusste den Text nicht mehr. An nicht eine einzige Strophe konnte ich mich erinnern, nicht ein Wort wollte über meine Lippen kommen.

Hektisch sah ich durch das Publikum und bekam mit, dass einige aufstanden. King kam ebenfalls auf mich zu.

Ich torkelte einen Schritt zurück.

Ich hatte den Text vergessen.

Ich bekam keine Luft.

Je mehr ich versuchte, welche zu bekommen, desto weniger gelang es mir.

Ich knickte um und stürzte zu Boden, weshalb ein Ausruf durch den Saal ging. Alles verschwamm, ich drückte meine Hand an die Stirn. Jemand sagte meinen Namen, doch die Worte wurden vom Stimmengewirr um mich herum verschluckt.

Das Letzte, was ich wahrnahm, waren Hände, die mich zurück auf die Beine zerrten.

 

 

Mit einer Flasche Wasser in der Hand saß ich auf dem Sofa im Backstageraum. Man hatte mir einen Jogginganzug gegeben, damit ich aus diesem schrecklich engen Kleid herauskam. Er war weiß und auf der linken Brustseite war mit Gold King aufgestickt.

Es war offiziell: Meine Karriere war an ihrem Tiefpunkt angelangt.

Grace telefonierte vor der Tür mit Schneider oder Harolds. Sie stand einen Spaltbreit offen und ich hörte, wie sie darüber sprachen, wie man dieses Desaster in den Griff bekam.

Ich lehnte mich zurück und sah an die Betondecke, während ein Arzt meinen Puls maß und mir irgendeinen Cocktail zum Aufputschen spritzte. Nach wenigen Minuten verschwand er zu Grace und sie unterhielten sich noch kurz.

Als könnte er mir nicht sagen, was nicht stimmte.

Als würde er mit meiner Mutter sprechen.

Grace kam zu mir und sah auf mich herab. »Der Arzt sagt, du hättest zu wenig gegessen und getrunken und dass deine Werte bedenklich wären.«

Das war doch ein Witz.

»Verschwinde«, sagte ich grob und legte den Arm über meine Augen.

Ich hasste das alles hier.

Diese Kontrolle, die sie über mich hatten.

Presserummel

Nicopeia: Fauxpas in Late-Night-Show

 

Wieder einmal brilliert die ehemalige Queen of Pop mit ihrem auffälligen Verhalten. Wegen überhöhtem Alkoholkonsums vergisst Nico bereits ihre Songtexte. Aus sicherer Quelle haben wir erfahren, dass sie bereits seit Monaten ein Problem mit Alkoholexzessen hat. Ihr Label und auch das Management halten sich zu dem Thema bedeckt.

 

 

Queen of Pop wieder abhängig?

 

Bereits im letzten Jahr hat Nicopeia einen Entzug gemacht, wie ein ehemaliger Freund der Popsängerin erklärte. Jetzt scheint Nico zurück in alte Muster zu fallen. Beim gestrigen Liveauftritt in der Oliver King Show, hat sie den Text eines ihrer neuesten Lieder vergessen.

Pfadfinder und coole Kids

Mein Kopf dröhnte, als hätte ich gestern zu tief ins Glas geschaut. Nur langsam kehrten die Erinnerungen an meinen verpatzten Auftritt zurück. Mit einem Brummen zog ich mir die Bettdecke über den Kopf und vergrub das Gesicht im Kissen.

Wenn ich für immer hier liegen blieb, wurde ich vielleicht von dem kommenden Shitstorm verschont.

Ich konnte es nicht fassen, dass mir der Text nicht eingefallen war. Das war eine Katastrophe und würde mir ewig nachhängen.

Ich riss die Decke von meinem Oberkörper, legte die Arme flach neben diesen und starrte an die Zimmerdecke.

Als hätten die letzten Jahre nicht gereicht. Sie würden mir vermutlich meine zwei Ausrutscher in den letzten Monaten vorhalten und mich eine Alkoholikerin nennen.

Das Schnattern der Möwen umgab mich, da die Tür ein Stück offen stand. Gerade allerdings beruhigte es mich nicht, im Gegenteil, es machte mich wahnsinnig. Die Morgensonne warf ihr Licht auf den Fußboden vor dem Bett.

Welch eine Idylle.

Ich griff mein Kissen und schleuderte es gegen den Vorhang. »Hört auf, so glücklich zu sein!«, rief ich den Vögeln entgegen und schob die Beine von der Matratze, bis meine Füße den Holzboden berührten. Ich streckte die Zehen und zog sie wieder zum Fuß, das wiederholte ich ein paarmal.

Für einen Augenblick blieb ich sitzen und ließ mich danach auf den Rücken fallen, als mir einfiel, dass Grace heute ging.

Es hatte keinen Sinn, das totzudenken, es würde schließlich nichts ändern. Das war schon immer so gewesen. Das Label hatte sich etwas für mich in den Kopf gesetzt und zetern und meckern führte zu nichts.

Ich musste nach ihrer Pfeife tanzen.

Ich ging in das angrenzende Bad und nahm eine lange Dusche, wobei ich das Meer und die Vögel durch die teilweise eingefärbte Glasfront beobachten konnte. Die Sonne warf ihre ersten Strahlen auf die Welt vor mir und erinnerte mich daran, dass ich bis jetzt auch alles durchgestanden hatte.

Alles, was du benötigst, liegt in dir, kleine Cleo, hatte Dad immer zu mir gesagt. Dabei hatte er seinen Zeigefinger sanft gegen die Stelle gedrückt, unter der mein Herz schlug.

Mit einem Lächeln legte ich meine Hand flach darauf und schloss die Augen.

So fand ich immer zurück.

Zurück zu mir.

Nach der Dusche fühlte ich mich halbwegs erfrischt, hatte aber dennoch Kacees Worte von gestern im Ohr. Ich sah beschissen aus. Seit Wochen schlief ich schlecht, wachte mitten in der Nacht auf oder schaffte es erst gar nicht, einzuschlafen.

Im Ankleidezimmer schaute ich mich um und seufzte, als mir die Kleider für Galas und den roten Teppich ins Auge fielen. Ich ließ meine Fingerspitzen darüber gleiten und nahm das Kitzeln und Streicheln der verschiedenen Stoffe an meiner Haut auf.

Teilweise unbezahlbar und extra für mich entworfen. Was für eine Verschwendung, ich würde sie nie mehr tragen.

Ich griff eines meiner hellgrünen T-Shirts vom Regal und zog eine kurze Hose aus dem Fach darunter. Meine Haare band ich zu einem hohen Zopf und wappnete mich vor dem Spiegel für den Tag.

Schon im Flur hörte ich mehrere Stimmen und ging die Treppe runter, blieb allerdings auf der untersten Stufe stehen.

Wieder einmal fühlte ich mich wie ein Eindringling in meinem eigenen Haus.

Ich erkannte Grace und auch meine Haushaltshilfe Lumia. Worüber sie sich unterhielten, verstand ich nicht. Also ging ich in den offenen Küchen- und Wohnbereich, wo die beiden standen. Lumia hatte bereits das Frühstück für mich gemacht. Es stand angerichtet auf der Theke.

»Guten Morgen«, sagten sie unisono.

»Hey«, murmelte ich und nahm eine Banane aus der Obstschale.

»Ich habe Orangensaft für Sie gepresst«, sagte Lumia und schaute mich hoffnungsvoll an. Sie war klein und blond, hatte ihre kurzen Haare stets zu einem Zopf am Hinterkopf gebunden. Wo Grace sie damals aufgegabelt hatte, wusste ich nicht. Ich hatte nur mitbekommen, dass Lumia ursprünglich aus San Francisco kam.

Ich wackelte mit der Banane und verschwand in den Garten, wo ich mich auf eine der Poolliegen setze. Die Banane legte ich neben mich und sank zurück, schloss die Augen.

Möwengeschnatter ertönte einige Male. Der Geruch des Salzes lag in der frischen und doch warmen Morgenluft.

Das typische Klacken von Grace‘ High Heels erklang, bis ihr Schatten auf mich geworfen wurde. »Nico?«

»Hm?«

Sie räusperte sich, weshalb ich sie ansah. »Heute Mittag … kommt das Umzugsunternehmen.«

»Hm.«

Erneut räusperte sie sich. »Mr Churchill wird in einer Stunde hier sein.«

Ich unterdrückte ein Stöhnen. »Gibt es irgendetwas Neues?« Auffordernd schaute ich sie an. Sie musterte mich einen Moment, ehe sie verstand, was ich meinte. Hastig klappte sie die Schutzhülle des iPads um und wischte über den Bildschirm.

»Mehrere Berichte auf größeren und kleineren Klatschseiten. Außerdem einige Videoausschnitte, die in den sozialen Medien kursieren.«

»Wie schlimm ist es?« Grace antwortete nicht, weshalb ich mich aufrichtete. »Grace?«

Erneut wischte sie über den Bildschirm und las dann vor. »Nicopeia; Fauxpas in Late-Night-Show …« Prüfend warf sie mir einen Blick zu, aber ich wollte, dass sie weiterlas. »Wieder einmal brilliert die ehemals amtierende Queen of Pop mit ihrem auffälligen Verhalten im öffentlichen Fernsehen. Nachdem sie im vergangenen Monat Schlagzeilen machte, indem sie eine Reporterin angriff, glänzt sie nun mit einem verpatzten Liveauftritt …« Grace stoppte, aber ich sagte nichts, weil sie weiterlesen sollte. »Interna haben ausgeplaudert, Nicopeias Alkoholkonsum wäre auf ein ungesundes Maß gestiegen.«

Ich griff nach der Banane und schälte sie langsam. »Interna? Hat wieder einer der Praktikanten geplaudert?«

»Vielleicht auch einfach jemand, der Aufmerksamkeit wollte. Sie kennen das Spiel.« Sie klappte den Schutzumschlag wieder um das iPad und drückte es vor ihre Brust.

»Ich brauche Urlaub.«

»Urlaub?«

»Urlaub vom Urlaub«, murmelte ich und biss von der Banane ab. Heute schmeckte sie fad und nach Versagen.

»Soll … ich Ihnen ein paar Wochen auf den Malediven buchen?«

Am liebsten hätte ich ihr für diese Aussage die Banane an den Kopf geworfen.

Urlaub von diesem Haus …

Dieser Dekadenz …

Von meinen Angestellten …

Meinem Leben.

Grace schüttelte nur ihren Kopf und ich wandte mich ab, indem ich die Beine seitlich von der Liege abstellte. Nach wenigen Sekunden verschwand sie und ließ mir meine Ruhe.

 

 

»Ms Grover«, drang eine tiefe Stimme zu mir. »Ms Grover.« Wieder, diese angenehme, tiefe Stimme. Sie kitzelte meinen Nacken und brachte mich zum Lächeln. »Stehen Sie auf.« Ich drehte mich auf den Rücken und rieb mit den Händen über mein Gesicht.

Ein paarmal blinzelte ich, bis ich neben der Liege einen großen Körper entdeckte. Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, wer da vor mir stand. Hektisch setzte ich mich und sofort spielte mein Kreislauf verrückt. Ich rieb mit der Hand über die Stirn, bis ich mich nach wenigen Sekunden gefangen hatte.

»Stehen Sie auf, wir haben etwas vor.«

»Darf ich bitte wach werden?« Ich drückte mich von der Liege ab, stand auf und streckte mich einmal, allerdings von diesem Kerl abgewandt. »Machen Sie keinen Stress.«

»Sie sehen fürchterlich gestresst aus.«

Über meine Schulter funkelte ich diesen Churchill an. Selbst bei den Temperaturen trug er einen Anzug. Herrje, er sollte aufhören, sich so ernst zu nehmen. Er hatte die Arme verschränkt, wodurch der Stoff an seinen Schultern spannte. Durch die verspiegelte Fliegersonnenbrille versteckte er seine Augen.

Ich drehte mich um und stemmte die Hände in die Hüften. »Um eins klarzustellen, ich lasse mich vom Label nicht so herumschubsen.«

Er hob die rechte Braue und sofort ärgerte ich mich, dass ich so etwas nicht konnte. Meine Schwester hatte mich immer ausgelacht, wenn ich das vor dem Spiegel geübt hatte. Natürlich erfolglos.

»Sind Sie dann so weit?«, fragte er.

»Wofür? Ich habe heute keinen Termin mehr. Grace …«

»Ich vereinbare ab jetzt Ihre Termine.«

»Was sind Sie denn für einer? Geht es Ihnen auch darum, mich herumzuschubsen?«

Seine Lippen verzogen sich angestrengt.

»Ich möchte mindestens einen Tag vorher informiert werden. Sonst kann ich mich nicht auf eventuelle Treffen vorbereiten.«

»Seien Sie etwas spontaner.«

Verkniff er sich gerade ein Lachen?

»Nehmen Sie gefälligst diese blöde Brille ab.« Ich baute mich vor ihm auf.

»Deswegen will niemand mit Ihnen arbeiten.« Er wandte sich ab und ich folgte ihm ins Haus.

»Ja, schon klar, ich bin die unerträgliche und zickige Popsängerin. Was für ein Klischee.« Dabei warf ich die Arme in die Luft und bemerkte selbst, wie theatralisch das gerade ausgesehen haben musste.

Churchill blieb in der Tür zum Eingang stehen. »Sind Sie dann so weit? Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«

Erst jetzt fiel mir auf, wie still es im Haus war. »Wo sind denn alle?« Irgendjemand lief mir normalerweise immer über den Weg.

»Ich habe Ihre Mitarbeiter beurlaubt.«

»Wie bitte?« Ich ballte die Hände. »Wie können Sie es wagen, so etwas über meinen Kopf hinweg zu tun?«

»Lumia ist noch hier. Sie erledigt alles, was ansteht und schließt dann ab. Nur die Gärtner und die Putzkolonne werden einmal in der Woche hier sein, um alles in Ordnung zu halten.«

Hier ging irgendetwas Seltsames vor sich. Das Label hatte schon oft seltsame Dinge getan und mich erst im letzten Moment informiert, aber das hier war anders.

Churchill war irgendwie … anders.

Er kam zwei Schritte auf mich zu und augenblicklich fühlte ich mich kleiner, denn er strahlte etwas Gewaltiges aus, das mich überwältigte. Es war nicht die Tatsache, dass er mich um knapp einen Kopf überragte. Ich hob dennoch das Kinn. »Ihnen ist bewusst, dass das Label Sie verklagen kann, wenn Sie sich sperren?«

Das war ein Argument.

Ich hatte keine Ahnung, was genau im Vertrag stand.

Er wandte sich ab. »Geht doch.«

Was auch immer er in meiner Haltung oder meinem Ausdruck gesehen hatte, er war gut darin, mich zu lesen, das musste ich ihm lassen. Ich folgte ihm durch den Eingang und schloss die Tür hinter mir, ohne mich noch einmal umzusehen. In der Einfahrt stand ein schwarzer Cherokee.

Ich blieb auf der Treppe stehen. »Was soll das werden? Gehen wir hiken?«

Churchill umrundete den Wagen und blieb auf Höhe der Motorhaube stehen. »Waren Sie Pfadfinderin?«

»Waren Sie Pfadfinder?«, gab ich die Frage zurück. Der Kofferraum des Autos war vollgepackt mit irgendwelchem Plunder. Auch ein Dachgepäckträger war auf dem Jeep befestigt.

Was auch immer dieser Kerl vorhatte, ganz geheuer war mir das nicht. Trotzdem verunsicherte es mich weniger, als es das vermutlich sollte.

Sah ich das so, weil er trotz des groben Auftretens ganz süß war? Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich einem Mann begegnet war, der mich gleichzeitig so genervt und irgendwie doch fasziniert hatte.

Seine Bewegung zog meine Aufmerksamkeit wieder an. Er streifte das Sakko von den Schultern und legte es auf die Motorhaube. Zugegeben, er machte eine gute Figur. Aber viele der Männer, mit denen ich zu tun hatte, taten das.

Sie waren Einheitsbrei für mich geworden. Trainierte Brustmuskeln und Sixpacks. Glatte, perfekte Männerkörper.

Er knöpfte die Ärmel auf. »War ich tatsächlich.«

»Sie waren Pfadfinder?«

»Zwar kann ich Bärenscheiße nicht von Pumascheiße unterscheiden, aber ja, war ich.«

Er entlockte mir ein Lachen, das ich aber unterdrücken wollte, weshalb es klang, als würde ich ersticken. Ich hustete und räusperte mich.

»Von der vierten bis zur sechsten Klasse.« Langsam krempelte er die Ärmel hoch. »Die coolen Kids haben angefangen, mich zu hänseln, also habe ich den Dienst lieber quittiert.«

Cool. Wer benutzte dieses Wort noch? Churchill war ein Fünfzigjähriger im Körper eines Fünfundzwanzigjährigen.

»Um selbst eins von den coolen Kids zu werden?« Ich deutete Gänsefüße in die Luft.

»Schön wäre es gewesen.« Churchill nahm das Sakko auf und stieg in den Wagen. Durch das geöffnete Fenster an der Beifahrertür sah er mich an. »Kommen Sie, Nico.«

Was hatte ich zu verlieren?

Vermutlich würde ich mich später dafür ohrfeigen, nicht in diesen Wagen gestiegen zu sein.

Vielleicht war er kein Schreibtischhüter und entführte mich in mein persönliches Wunderland.

Innerlich lachte ich mich aus, weil meine Gedanken abdrifteten. So etwas existierte nicht.

Dennoch ging ich zum Jeep, setzte mich auf den Beifahrersitz und schnallte mich an. Das hier roch ein wenig nach einem Abenteuer und etwas Abwechslung konnte ich gebrauchen. Außerdem wusste das Label, dass er für mich arbeitete und sollte Churchill mich entführen, würde vermutlich jeder Mensch in den USA nach mir suchen.

Und es roch nach …

»Was stinkt hier so?«

Churchill warf das Sakko hinten in den Fußraum und legte den ersten Gang ein. »Mein Hund, Loki.«

»Hund?« Ich sah mich um und wäre vor Schreck beinahe durch die offene Fensterscheibe gesprungen. »Das ist doch kein Hund!«, stieß ich schockiert aus.

Der Riese, der die gesamte Rückbank belagerte, hob jetzt den Kopf und sah mich direkt an. Das machte mir Angst. Sein Kopf war gefühlt doppelt so groß wie meiner. Sein Gesicht war schwarz, die Augen allerdings hatten ein helles Braun. Der Rest seines Fells war ockerfarben. Und er sabberte. An der rechten Seite hing der Faden bereits einige Zentimeter herunter.

»Warum bitte liegt dieses Vieh auf dem Rücksitz?«

Churchill lachte leise. »Stellen Sie sich lieber gut mit meinem Kumpel, Nico.«

»Nennen Sie mich nicht so.«

»Wie soll ich Sie denn nennen? Ms Grover?«

Ich zögerte einen Moment. »Cleo oder … Clementine.«

Langsam wandte er mir sein Gesicht zu und obwohl er noch immer die Brille trug, erkannte ich, wie intensiv er mich ansah. »Clementine.« Wie ein perfekt gesungener Ton floss der Klang meines Namens in Verbindung mit seiner Stimme über meine Arme und umfasste meinen Nacken.

Sanft und doch bestimmt.

Seit Jahren hatte mich niemand mehr bei meinem richtigen Namen genannt. Und beinahe hätte ich vergessen, wie es sich anfühlte, wenn ihn jemand benutzte.

Beinahe hätte ich vergessen, wer ihn mir gegeben hatte.

Neue Perspektiven

Der Verkehr lichtete sich allmählich und ich hatte mich nach knapp einer Stunde an den Geruch von diesem Loki gewöhnt. Immerhin ein wenig. Er lag die ganze Zeit brav auf der Rückbank, was ich hin und wieder abcheckte.

Wir verließen L.A. über den Highway und ich sah mich zu den großen Schildern um, die gerade über unsere Köpfe hinweg gezogen waren. Dass auf einem Reno stand, gefiel mir nicht. Was sollte ich in Nevada?

»Verraten Sie mir endlich, wohin die Reise geht?« Ich sah Churchill an.

Seine Nase war ziemlich gerade. Ob er sie hatte richten lassen? An der Spitze hatte sie einen dezenten Stups, was seinem bisher groben Auftreten eine zarte Note verlieh.

Er umfasste das Lenkrad mit der Rechten neu. »Nein.«

»Können Sie mir wenigstens mein Handy geben?« Ich streckte meine Hand in seine Richtung.

Er warf einen knappen Blick darauf, sah dann wieder nach vorne. »Haben Sie es nicht mitgenommen?«

»Ist das Ihr Ernst?« Ich klopfte mit dem Hinterkopf einige Male gegen die Kopfstütze. »Sie machen mich fertig.«

Andererseits, was sollte ich damit auch? Lediglich meine Kollegen waren in meinen Kontakten vermerkt. Mit diversen Social Media Plattformen hatte ich seit Beginn meiner Karriere nichts zu tun. Und Freunde … nun ja, das war ein Thema für sich.

»Wollen Sie jemanden anrufen? Dann nehmen Sie meins.« Er deutete auf das Telefon, das zwischen uns in einem der Becherbehälter der Mittelkonsole steckte. In dem anderen stand eine Flasche Wasser.

»Fahren Sie ohne Navi?«

»Ja.«

»Wissen Sie, wo es hingehen soll?«

»Ja.«

»Können Sie sich den Weg merken?«

»Augenscheinlich.«

»Darf ich das Radio anmachen?«

»Dürfen Sie.«

»Darf ich einen Schluck Wasser trinken?«

Für eine Sekunde schloss er die Augen, dann atmete er laut aus. »Das Wasser ist für Sie.« Er zog eine weitere Flasche aus der Fahrertür und wackelte leicht damit. Danach steckte er sie zurück.

Ich beugte mich vor und schaute über die Armatur, drückte auf den Knopf, um das Radio einzuschalten. Ich wechselte zwischen ein paar Sendern hin und her, bis ich einen laufen ließ, der mir gefiel. Glücklich griff ich nach der Flasche und nahm einen Schluck, wonach ich sie zurückstellte.

»Country?«, fragte Churchill.

»Ja, wieso nicht?« Ich streifte die Flipflops ab und stemmte die Füße gegen die Armatur vor mir. Meine Finger legte ich an die Oberschenkel und tippte zum Takt. Ich erinnerte mich, dass der Song früher oft auf Hauspartys gelaufen war, wusste aber nicht mehr, von welchem Sänger er war oder wie er hieß.

Wie ein Großteil meiner Kindheit und Jugend lag der Track verschwommen hinter mir.

Der schnelle und abgehackte Sound des Banjos in Verbindung mit dem dezenten Schlagzeug, sowie der Violine hoben meine Laune sofort an.

Churchill stieß ein genervtes Seufzen aus. »Können Sie vielleicht den Sender wechseln? Kein Mensch hält Craig Morgan aus«, sagte er brummig. »Wer hört so etwas ernsthaft?«

»Sie wissen, wie der Interpret heißt«, stichelte ich.

»Ich arbeite im Musikbusiness, ich sollte mich mit der grundlegenden Musik des Landes auskennen.«

Natürlich wechselte er nach meiner Antwort selbst den Kanal und lehnte sich sichtlich zufrieden zurück, als ein Rocksong die Kabine erfüllte.

»Seien Sie offen für Neues«, sagte ich, um ihn zu nerven. »Ich höre kein Country, aber neue Impulse sind immer gut für die Kreativität.«

Er warf mir einen knappen Blick zu. »Ist das ein neuer Grundsatz, nach dem Sie leben? Auf Ihrer letzten Platte war davon nichts zu hören.«

Mir klappte regelrecht die Kinnlade herunter.

So etwas sagte normalerweise niemand zu mir, was mich gleichermaßen ärgerte, wie beeindruckte. »Haben Sie mir gerade gesagt, meine Musik ist scheiße?«

»Ihre letzte Platte schon.« Ich schnaubte und verschränkte die Arme, wobei ich noch immer nicht sicher war, ob ich beleidigt war. »Ihre alten Songs hingegen gefallen mir gut.«

Seine Aussage brachte mich zum Lächeln. »Die habe ich noch selbst geschrieben.«

»Die alten Tracks sind emotionaler und transportieren mehr, aber sie sind auch schlechter abgemischt.« Mit den Fingern tippte er auf dem Lenkrad zur Musik. »Außerdem gefällt es mir, dass weniger Effekte über Ihrer Stimme liegen.«

»Ich mag es, dass meine erste eigene Platte einen etwas roheren Sound hat. GR will die Platte aus dem Programm nehmen, weil die am wenigsten gehört wird und ihrer Meinung nach auch nicht mehr das Bild von mir rüberbringt, das sie sich wünschen.«

»Vielleicht bekommen Sie die Rechte zurück?« Erneut warf er mir einen Blick zu.

Ich zuckte nur mit den Schultern, weil ich keine Ahnung hatte, wie das Vertragliche um meine Platten geregelt war.

Und das erste Mal schämte ich mich dafür, dass ich ahnungslos war, also sagte ich nichts mehr.

Zwischendurch machten wir einen Stopp an einer einsamen Tankstelle, damit Churchill tanken und Loki sich die Beine vertreten konnte. Ich hielt nach wie vor Sicherheitsabstand zu diesem Giganten auf vier Pfoten. Er reichte mir bis zur Hüfte und wog vermutlich dreißig Kilo mehr als ich.

Danach folgten wir dem Highway durch verschiedene Wüstenabschnitte. Lediglich vier Autos kamen uns in zwei Stunden entgegen. Ein alter Chevy, ein Bulli und zwei Chrysler-Limousinen. In der Ferne ragte eine Gebirgskette auf, die uns seit einer Weile begleitete. Zwischendurch kreiste ein Raubvogel über dem trockenen Land und wenige weiße Wattewolken spickten hier und da den tiefblauen Himmel.

»Geben Sie es zu, Sie entführen mich, um mich umzubringen und in der Wüste Nevadas zu verscharren.« Ich deutete auf Churchill. »Sehr gewieft. Sie lassen es aussehen, als wäre ich im Urlaub und nach zwei Wochen kann niemand mehr Ihre Spur verfolgen.«

»Genau das ist der Plan.«

Er entlockte mir ein Lächeln und irgendwie zufrieden sank ich in den Sitz. Ich ließ das Fenster herunter und streckte den Arm hinaus. Der warme Fahrtwind umschmeichelte meine Haut, weshalb ich leichte Wellen mit der Hand in die Luft malte. Ich bemerkte, dass Churchill mir einen Seitenblick zuwarf.

»Wie lang sind Sie bereits im Musikbusiness?«, wollte ich wissen.

»Seit etwa neun Jahren.«

Ich spreizte die Finger, ließ den Wind durch diese ziehen und schloss sie wieder. »Dann kennen Sie sicher dieses Gefühl, neben sich zu stehen? Die Welt und sich selbst durch einen Spiegel zu betrachten?«

Er antwortete nicht.

»Ist ja auch egal«, hängte ich dran und konzentrierte mich wieder auf die Wärme außerhalb des Jeeps.

Wie könnte er auch verstehen, was ich in den letzten Jahren durchgemacht hatte? Er hatte nie im Rampenlicht gestanden, sondern war nur dafür zuständig gewesen, dass irgendein Sänger oder eine Band ihre Termine einhielt.

»Für wen haben Sie gearbeitet?«

»Maybe Next Time.«

»Sagt mir nichts.« Ich zog die Hand zurück und ließ das Fenster wieder hoch, damit es im Wagen nicht zu warm wurde. »Eine Rockband?«

»Ja.« Er stellte das Radio leiser. Über seinen Handrücken verliefen Adern und auch die Sehnen zeichneten sich unter der Haut deutlich ab. Seine Unterarme waren ebenfalls sehnig, die Muskeln waren deutlich erkennbar. »Im letzten Jahr haben sie den Einzug in die Charts geschafft.«

»Wow. Dann haben Sie die Band weit gebracht. Sie müssen stolz auf sich sein.«

»Ich bin stolz auf die Jungs.« Er umfasste das Lenkrad wieder mit beiden Händen, wodurch mein Blick langsam über seine Arme zu seinem Gesicht gelenkt wurde. Ein kaum sichtbares Lächeln umspielte seine Mundwinkel und mir fiel auf, dass seine Lippen eine sehr ästhetische Form hatten. Dennoch wirkte er ein wenig wehmütig. »Die vier haben es weit gebracht. Es ist ihr Erfolg, nicht meiner.«

Ihr Erfolg.

Ich schaute wieder nach vorne, sank weiter in den Stoffsitz und umfasste meine Oberschenkel an der Unterseite.

»Wie lang haben Sie für sie gearbeitet?«

Er zögerte. »Neun Jahre.«

Wieso hatte er sich gemeldet, um mich zu managen?

Vermutlich hatte ihn die Gage gelockt. Anders konnte ich mir das nicht erklären, denn niemand sonst hatte für mich arbeiten wollen. Der Vorstand musste sie so hoch angesetzt haben, dass er gar nicht Nein sagen konnte.

Wer viel hatte, wollte schließlich immer mehr.

 

 

Ruckeln holte mich zurück und als ich mit dem Kopf gegen etwas stieß, richtete ich mich auf. Bäume zogen an mir vorbei und nach und nach stieg mir der Geruch von Nadelwald in die Nase. Ich rieb mir die Schläfe.

»Willkommen zurück, Prinzessin.«

»Das war kein Traum? So ein Mist.«

Churchill lenkte den Jeep über einen Waldweg. Der Erdboden links und rechts war übersät mit trockenen Blättern, Ästen, Tannennadeln, Gestrüpp, Moos sowie Tannenzapfen. Ich schaute durch das Fenster an den verschiedenen Bäumen hoch und versuchte, die Kronen in dem Dickicht auszumachen.

»Wir sind sofort da.«

»In meinem persönlichen Albtraum?«

»Es wird Ihnen gefallen.«

»Wenn wir hier irgendwo in der Pampa zelten, werde ich Sie mit Bienenstöcken bewerfen, bis die Bären Sie holen.«

Churchill lachte leise über meine Aussage.

Nach wenigen Minuten lichtete sich der Wald und vor uns glitzerte das klare Wasser eines Sees in der Sonne. Churchill parkte den Wagen vor einem Holzhaus. Zwischen diesem und dem Wasser war eine Lichtung, umgeben von kleineren und großen Büschen. Eine ausgebrannte Feuerstelle lag mittig dieser und auch eine Holzbank sowie zwei Schaukelstühle luden zum Relaxen ein. Daneben ließ eine alte Trauerweide ihre Äste bis zum Boden und ins Wasser hängen.

Wir schnallten uns ab und Churchill zog den Schlüssel aus dem Zündschloss, wodurch der Motor verstummte.

Langsam drückte ich die Tür auf und stieg aus. Die trockenen Nadeln und Blätter kitzelten meine nackten Füße, der Waldboden war hart und angenehm warm. Hunderte Vögel sangen um die Wette, in der Ferne hörte ich das Hämmern eines Spechts und die Bäume wiegten sich in ruhiger Manier zum Lied des Winds.

---ENDE DER LESEPROBE---