We Are Infinite - Emilia Cole - E-Book

We Are Infinite E-Book

Emilia Cole

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Beschreibung

Die Musik ist mein Ventil. Die Bühne mein zu Hause ... und die Liebe meine größte Angst.

Ein Jahr nach der Trennung von Ivory Dice spiele ich noch immer unsere Lieder.
Allein. Ohne Curtis und Reagan.
Ich will einen letzten Versuch starten und meine Bandkollegen zurück auf die Bühne holen. Aber dafür brauche ich die Hilfe von Marble.

Sie ist die Frau, die mir mit nur einem Blick den Boden unter den Füßen wegzieht.
Die Schwester meiner ehemaligen Bandkollegin.
Die Schwester meiner Exfreundin.
Die Frau, die tabu für mich ist.



In sich abgeschlossen, kein Cliffhanger.
New Adult, Rockstar Romance

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Impressum

Prolog

Bandaufstellung

Knox

Marble

Knox

Marble

Marble

Damals …

Knox

Knox

Marble

Marble

Knox

Marble

Damals …

Knox

Knox

Marble

Marble

Knox

Knox

Marble

Marble

Knox

Marble

Knox

Damals …

Marble

Bandaufstellung

Knox

Marble

Epilog

Dank

 

Impressum

© 2023 Rinoa Verlag

c/o Emilia Cole

Kolpingstraße 31

47608 Geldern

 

ISBN 978-3-910653-27-6

 

rinoaverlag.de

emilia-cole.de

 

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https://spoti.fi/3ZeOwKw

 

Alle Personen und Handlungen in diesem Roman sind frei erfunden. Jedwede Ähnlichkeit zu lebenden Personen ist rein zufällig.

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

 

 

 

 

 

 

Für das Alles,

für das Nichts,

für die Verbundenheit,

für die Unendlichkeit.

Prolog

Seine nackten Füße erzeugen kaum Geräusche auf dem Rasen hinter unserem Haus. Er setzt sich zu mir und wir schauen gemeinsam in die Sterne.

»Hast du deine Murmeln wiedergefunden?«

»Ich habe sie nie verloren.«

Er grinst, als wir uns kurz ansehen.

Ich muss ebenfalls lächeln und sehe zurück in den Nachthimmel. Es ist sternenklar, jede Minute entdecke ich Neues in der Dunkelheit. »Es gibt geschätzt ein- bis dreihundert Milliarden Sterne in der Milchstraße.«

»Ganz schön schräg, wenn man bedenkt, wie unbedeutend wir sind.«

»Ja, das sind wir … und doch … sind wir irgendwie alle miteinander verbunden. Alles, was existiert, existiert seit Anbeginn der Zeit. Die Atome ordnen sich mit jedem neuen Leben, jedem Tod neu an, nichts geht verloren.«

Er mustert mich eine Weile, ehe er nach oben sieht. »Dann sind wir also unendlich?«

Ein schöner Gedanke.

»Ja, wir sind unendlich.«

Bandaufstellung

Ivory Dice

 

Jonas Knox Robertson – Gesang, Gitarre

Knox

Alberta, Kanada

(Irgendwo zwischen Calgary und Red Deer)

 

 

Ich trete erneut in den Motorraum des elenden gemieteten Kackwagens.

»Scheiße.«

Ich trete noch einmal nach.

Das kann doch nicht wahr sein.

Jetzt sitze ich in der Pampa fest.

Knurrend reiße ich die Stützstange heraus und knalle die Motorhaube zu. Sie schließt nicht richtig, also haue ich das Ding erneut runter.

Die Sonne brennt auf meiner Haut, das schwarze Shirt klebt mittlerweile an meinem Brustbereich und Rücken. Ich halte die Hand schützend über die Augen und spähe die Straße hinauf.

Die Hitze flimmert über dem Beton.

Ich sehe nichts außer der vagen Vermutung der Gebirgskette in der Ferne. Es sind vermutlich noch etliche Kilometer, bis ich Red Deer erreiche.

Seufzend lehne ich mich an die Motorhaube und schaue eine Weile durch die Gegend. Als ich damit fertig bin, setze ich mich auf den Fahrersitz und ziehe den Tabak und das Grastütchen heraus. Ich kann eine Gitarre bis auf die letzte Schraube auseinandernehmen und wieder zusammensetzen, aber von Motoren habe ich keinen blassen Schimmer. Ich hole den Fahrzeugschein aus dem Handschuhfach, lege ihn auf meine Oberschenkel, damit ich alles darauf ablegen kann und baue mir erst einmal einen Joint. Den schiebe ich zwischen meine Lippen und zünde ihn an.

Der Rauch flutet meine Lungen, als ich daran ziehe und sofort entspanne ich mich.

Ich drehe das Ding zwischen den Fingern und überlege wieder einmal aufzuhören. Mit einem Schulterzucken lasse ich diesen Gedanken sofort los und gönne mir den nächsten Zug.

Nach einer Weile schiebe ich das letzte Stückchen des Joints in meine Hosentasche, greife meine Tasche vom Beifahrersitz, stehe auf und öffne den Kofferraum.

Vorsichtig hebe ich den Gitarrenkoffer heraus und schultere mein Schätzchen.

Das Ding treibt mir sofort den Schweiß in den Nacken, aber lieber schwitze ich wie ein Schwein, als Happy im Wagen zu lassen.

Als ich loslaufe, ertönt in der Ferne sogar der Schrei eines Adlers.

Ernsthaft?

Ich komme mir vor, als würde ich geradewegs auf einen schlechten Horrorfilm zusteuern. Wenn ich nachher an einer verlassenen Tankstelle vorbeikomme, und einen verwaisten Reifen entdecke, bin ich mir sicher, den Tag nicht zu überleben.

Die dumpfen Schritte meiner schweren Boots sind das Einzige, was ich neben dem Summen und Zirpen einiger Insekten wahrnehme. Es ist so trocken, dass ich durchgehend Staub aufwirble.

Während ich mich die Straße hochschleppe, und immer mehr Schweißperlen über meine Stirn laufen, frage ich mich, wie ich in diese absurde Situation geraten konnte.

Zugegeben, ich bin selbst schuld. Ein bisschen immerhin. Schließlich habe ich Reagan in den Wind geschossen und somit Ivory Dice auseinandergerissen.

»Glaubst du, ich will jetzt noch mit dir zusammenarbeiten?« Mit erhöhter Stimme äffe ich meine Ex nach. »Ich weiß, du willst das nicht hören, aber es ist deine Schuld, dass wir uns trennen«, mache ich Curtis nach.

Ich stolpere und fluche über mich selbst.

Curtis hat unrecht.

Es ist nicht allein meine Schuld.

Wäre Reagan nicht so verbohrt und hätte mit sich reden lassen, würden wir nach wie vor zusammen spielen.

Nach über einer Stunde sehe ich endlich Häuser in der Ferne. Allerdings ist es Penhold. Dennoch, ich bin fast da. Ich passiere den kleinen Ort und werde von den Bewohnern dämlich angeglotzt. Immerhin sind es nur diese Blicke, die man Fremden zuwirft. Nicht die, wenn man einen weltweit bekannten Sänger erkennt und ihn für den Scheiß, den er verzapft hat, verurteilt.

Nach weiteren fünfundvierzig Minuten sehe ich endlich das verdammte Ortseingangsschild von Red Deer.

»Endlich.« Ich bin völlig fertig. Seit wann ist es in Kanada eigentlich so beschissen warm?

Ich folge der Hauptstraße und schon von Weitem sehe ich das sperrige Schild der Lawsons über der Werkstatt. Das N hängt ein wenig schief, das wollte George schon vor Jahren richten lassen.

Ich bereite mich seelisch darauf vor, dass Reagans Vater mich fertigmachen wird. Und körperlich, dass er mich verprügeln wird.

Ich überquere den großen Parkplatz. Etwa ein Dutzend Autos stehen hier, dazwischen alte Karosserieteile und Reifenstapel. Das Garagentor zur Werkstatt ist offen und auf der Hebebühne steht ein alter Pick-up. Ich stelle meine Gitarre vorsichtig an einem der überfüllten Regale ab und mache ein paar Schritte durch die Halle.

Ein Radio läuft und natürlich spielt gerade einer unserer Tracks. Die erste Singleauskopplung unseres letzten Albums, das ist ein Jahr her, den haben Reagan und ich gemeinsam geschrieben und eingesungen.

Es geht um Zusammenhalt und Familie.

Was für ein dämlicher Witz.

Ich versuche auszublenden, wie beschissen ich mich bei meiner eigenen Musik fühle.

Mein Blick gleitet unruhig in den Nebenraum, den man durch eine Glasscheibe einsehen kann. Reagans Dad sitzt am Tisch, mit dem Rücken zu mir. Vor ihm liegen einige Ordner, eine Tasse Kaffee steht daneben.

Er trägt eine blaue Latzhose, dazu ein etwas dunkleres T-Shirt. Unter der Hose kann man das Logo der Werkstatt erahnen. Und verdammt, er ist noch immer so ein Hüne. Natürlich ist er das, wieso sollte sich das geändert haben?

Der dämliche Teil in mir hat gehofft, dass er auf einmal klein und schmächtig ist, damit er nicht mehr in der Lage ist, mich in der Mitte durchzureißen wie King Kong.

Wir sind ungefähr gleich groß, dennoch hat er mir schon immer einen Heidenrespekt eingejagt.

Ich halte einen Moment inne und klopfe an die geöffnete Tür.

Er dreht sich um.

Er hat schon immer den Eindruck eines Gangmitglieds vermittelt, mit seiner breiten Statur und dem kahlrasierten Schädel. Und ich habe schon oft das Bedürfnis verspürt, schreiend davonzulaufen.

Seine erst ruhige Miene verdunkelt sich, das gefällt mir nicht. Ich habe mich immer ausgezeichnet mit George verstanden, aber gerade weiß ich nicht, wie gut er auf mich zu sprechen ist und was Reagan ihren Eltern erzählt hat.

Sie hat mich einen Wichser genannt und mir ernsthaft Dutzende Plektren, Kabel und sogar einen kleinen Amp entgegengeworfen. Scheiße, sie ist vollkommen ausgeflippt.

Zugegeben, ein wenig zurecht, dennoch: Sie hat echt übertrieben.

»Hey«, sage ich möglichst lässig.

Doch dann heben seine braunmelierten Brauen sich. »Knox?« Er steht auf und ich unterdrücke den Drang, rückwärts aus der Tür zu gehen. »Was tust du denn hier?«

Ich räuspere mich und deute mit dem Daumen hinter mich. »Netter Wagen.« George wirft einen knappen Blick zu dem mintfarbenen Chevy, reagiert aber sonst nicht darauf und ich räuspere mich erneut. »Reagan wird vermutlich mit euch gesprochen haben …«

Er verschränkt die Arme. »Allerdings.«

»Ich würde gerne mit ihr reden.«

»Wieso rufst du sie nicht an?«

»Denkst du, das habe ich nicht versucht? Ich erreiche sie nicht.«

Ein Schmunzeln entsteht auf seinen Lippen. »Sie wird immer ein Dickkopf bleiben. Eine Lawson durch und durch.«

Ist er ernsthaft stolz auf ihren nervigen Sturkopf? Ihr verrücktes Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Ding hat Curtis und mir Dutzende graue Haare beschert.

Er lässt seine Aufmerksamkeit einmal über mich wandern. »Herrgott, du siehst vollkommen fertig aus.«

Ich fahre mit den Händen durch meine vermutlich extrem zerzausten Haare. »Hatte ne Panne und musste das letzte Stück laufen.«

»Du hättest uns anrufen können, Junge.«

»Mein Akku ist leer und der Wagen springt nicht mehr an.«

»Wo steht das Auto? Ich hole es gleich ab, um es mir anzusehen.«

»Etwa drei Kilometer hinter Penhold.«

Er nickt und kommt auf mich zu, weshalb ich doch zurückweiche. »Komm erst mal mit.« Wir gehen an einem Stapel Reifen vorbei, er öffnet die Tür zum anliegenden Haus. »Du kennst dich sicherlich noch aus. Meine Frau ist in der Küche.«

Ich werfe ihm ein verhaltenes Lächeln zu und betrete den Flur. Es riecht nach zitronigem Putzmittel, genau wie früher. Noch immer hängen über der Kommode vor der Treppe Dutzende Familienfotos.

Ich vermeide einen genaueren Blick, weil ich sie nicht sehen will. Nicht weil ich sie nicht ansehen will, ich will vermeiden, direkt durchzudrehen.

Wegen ihrer braunen widerspenstigen Locken …

Ihrer lächerlich anziehenden Lippen …

Verdammt.

Die Wände sind halbhoch mit Holz verkleidet, auf der Treppe liegt nach wie vor dieser fürchterliche Teppich mit den Blumenmustern oder was das auch immer sein soll. Für mich sah es immer nach Tausenden Pennywise-Köpfen aus.

Obwohl Reagan genug verdient, um ihren Eltern, sogar der gesamten Familie, Villen und Grundstücke zu kaufen, ist es den Lawsons wichtig, ihre Werkstatt weiter zu führen. Theoretisch könnten sie sich zur Ruhe setzen, aber das kam für sie nie infrage.

Der Duft von Braten und Maiskolben steigt mir in die Nase.

Er erinnert mich an all die Jahre, die ich mit ihnen in Red Deer verbracht habe.

Er erinnert mich an leichte Zeiten.

Daran, dass ich nicht vor einem verdammten Scherbenhaufen stand, den ich derzeit mein Leben nenne.

Erst heute hat mir einer der PR-Berater des Labels noch einen Link zu einem Artikel über Ivory Dice geschickt. Ich habe mir den Mist gar nicht erst angesehen. Das letzte halbe Jahr hat mich fertig genug gemacht.

George schiebt sich an mir vorbei und eilt in Richtung Küche. »Du wirst nicht glauben, wer hier ist«, sagt er zu seiner Frau.

Bevor sie antworten kann, stehe ich neben ihm und er legt einen Arm um meine Schulter. Er gibt mir einen heftigen Knuff auf den Oberarm. »Knox ist da.«

»Das sehe ich«, antwortet Anna langsam. Ihr kurzes gelocktes Haar ist mittlerweile leicht ergraut, sie trägt eine großgerahmte Brille auf der Nase. Damit sieht sie aus, als wäre sie geradewegs aus den Achtzigern in diese Zeit gebeamt worden.

Genau wie früher trägt sie ihre hellblaue Schürze und genau wie früher steht sie um die Mittagszeit in der Küche und kocht.

Es ist, als wäre die Zeit in diesem Haus stehen geblieben.

Es beruhigt mich.

Sie wischt ihre Finger an einem Handtuch ab. »Wir haben uns Ewigkeiten nicht gesehen.« Lächelnd kommt sie zu mir und will mich umarmen.

»Das würde ich mir wirklich überlegen.« Ich hebe die Hände vor die Brust.

Sie lacht. »Ach, erzähl keinen Unsinn, komm her.« Damit zieht sie mich in ihre Arme. Ich gehe auf ihre herzliche Begrüßung ein und muss schmunzeln, weil sie mir nur bis zum Kinn reicht.

Sie umfasst meine Oberarme und mustert mein Gesicht genau, ebenfalls wie früher. »Was treibt dich her? Alex ist nicht hier.«

Ich sehe George an, der aus einem der Schränke ein Glas holt. »Sie war etwa zwei Monate hier, jetzt wohnt sie in Toronto.«

Ich lasse mich auf die Eckbank fallen. »Tja, dann war meine Tour umsonst.«

»Möchtest du etwas mitessen?«, fragt Anna. Auf dem Herd stehen zwei Töpfe, außerdem ist der Salat bereits angerichtet.

George füllt das Glas mit Wasser und stellt es mir auf den Tisch. Hastig trinke ich es leer und bemerke dabei, wie trocken meine Kehle ist. »Ich will wirklich nicht aufdringlich sein oder euch zur Last fallen.«

Die beiden wechseln einen Blick und George setzt sich gegenüber auf einen Stuhl. Er reibt einmal mit der Hand über seinen kahlen Kopf. »Hör zu, Junge. Was da passiert ist, war nicht gerade eine Glanzleistung von dir …«

»Das, was in den Medien breitgetreten wird, ist nicht wahr.«

Zumindest das meiste. Mir ist klar, dass ich mich wie ein Wichser benommen habe, aber ich habe keinen anderen Weg gesehen.

»Das wissen wir doch«, sagt Anna ruhig. »Dennoch hast du unsere Tochter verletzt.«

»Das ist aber kein Grund für uns, dich nicht mehr als Teil unserer Familie zu sehen«, erklärt George.

Ich sinke gegen die Lehne. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ehrlich gesagt hatte ich ziemlich Schiss herzukommen.«

George lacht einmal. »Wärst du in den ersten Wochen nach der Trennung aufgetaucht, hätte ich dich vermutlich gevierteilt.«

»Die Gemüter haben sich beruhigt.« Anna widmet sich den Töpfen auf dem Herd. Sie wirft ihrem Mann einen Schulterblick zu. »Würdest du den Tisch decken, George?« Dann sieht sie mich an. »Du könntest Mae Bescheid geben, dass das Essen fertig ist.«

»Sie … ist hier?«

Meine Stimme klingt kratzig.

Ich räuspere mich.

Anna greift nach der Gabel und stochert im Topf herum. »Ja, seit etwa zwei Wochen. Sie hat Semesterferien und hilft in der Werkstatt aus, um sich etwas dazuzuverdienen.«

George steht auf und zieht vier Teller aus dem Schrank. »Sie ist vermutlich oben.«

Ich habe gehofft, sie zu sehen. Reagan hat mir erzählt, dass sie während der Semesterferien bei ihren Eltern arbeitet. Ich hätte allerdings echt gerne geduscht, bevor ich ihr gegenübertrete.

Die beiden unterhalten sich und ich stehe auf und gehe in den Flur. Vor der Treppe bleibe ich stehen. Auf einmal kommt sie mir wie ein unüberwindbares Hindernis vor.

Ich balle meine Hände einmal, sodass die Gelenke knacken, dann strecke ich die Finger aus. Langsam nehme ich eine Stufe nach der anderen, wobei ich mir echt dämlich vorkomme.

Ich habe alle möglichen Frauen der Welt verführt und flachgelegt und jetzt bekomme ich zu viel, weil ich sie zum Essen holen soll?

Ob sie sich verändert hat?

Ob ihr Blick nach wie vor voller Leben ist?

Ob sie nach wie vor über jeden meiner Witze lacht?

»Du machst es nicht besser«, nuschle ich und gehe schneller. Durch den Teppich auf der Treppe werden meine Schritte gedämpft.

Der Flur im Obergeschoss ist mit einem langen Läufer ausgelegt und ich gehe auf ihre Tür zu. Es ist die dritte auf der rechten Seite. Direkt neben dem Bad. Sie steht offen, das Licht fällt in den Flur und ich bleibe im Rahmen stehen.

Ihr Zimmer ist wie früher.

Der dezente Duft von himmlisch klarem Waschmittel und ihrem rosigen Parfüm umgeben mich. Eine Seite des Raums ist voller Poster, hauptsächlich Nicopeia. Ihr Bett ist bezogen mit einem orangenen Bezug, der ist ziemlich hässlich, aber ich vermute, dass Anna es gemacht hat, bevor Marble herkam.

Ich entdecke sie an ihrem Tisch, der vor dem geöffneten Fenster steht. Sie sitzt mit dem Rücken zu mir und tippt auf der Tastatur ihres MacBooks herum.

Ihre gelockten Haare sind kürzer als früher, sie umspielen ihren grazilen Nacken und kitzeln die Schultern.

Sie trägt ein graues Feinripptop, dazu die Latzhose, wie ihr Vater. Allerdings hat sie nur eine Seite geschlossen, die andere Schnalle baumelt an ihrem Körper herunter.

Ich will ihre Augen sehen.

Und doch will ich, dass dieser Moment hier niemals endet, damit ich sie für immer wie ein dämlicher Trottel anschmachten kann.

»Ich komme sofort«, sagt sie.

Ihre Stimme ist wie Musik in meinen Ohren.

Zart und klar.

Sie hat mich schon immer an eine Nachtigall erinnert. Und mir ist bewusst, wie bescheuert das klingt.

Ich lehne mich in den Rahmen und verschränke die Arme, in der Hoffnung, entspannt und lässig auszusehen.

»Das höre ich oft.«

Gut, das war nicht gerade das Intelligenteste, was ich jemals gesagt habe.

Sie hält in der Bewegung inne.

Langsam schließt sie den Laptop und steht vom Stuhl auf. Ich kann nicht verhindern, sie abzuchecken. In der weiten Hose erkenne ich leider kaum etwas von ihr. Sie trägt Arbeitsschuhe, die Hosenbeine sind hochgekrempelt.

Selbst in diesem Müllsack sieht sie scharf aus.

Ruckartig dreht sie sich um und fegt mit der Hand einen Stapel Papier vom Tisch. »Shit«, nuschelte sie, macht aber keine Anstalten, die Zettel aufzuheben.

Mit aufgerissenen Augen sieht sie mich an.

Diese Wahnsinns grauen Augen.

Sie hat blaue und auch hellbraune Sprenkel in der Iris. Das sieht man aber nur, wenn man ihr nah ist und sie genau betrachtet.

»Hey Marble«, sage ich leise.

Sie atmet hörbar ein, ehe ein Lächeln ihre Mundwinkel umspielt. »Hey Jonas.« Sie weiß genau, wie sehr ich meinen Erstnamen hasse. »Hörst du jemals auf, mich so zu nennen?«

»Erst, wenn du aufhörst, jedes Mal zu lächeln, wenn ich es tue.«

»Du weißt, ich habe meine Murmeln längst wiedergefunden.«

Ich mache eine abwägende Handgeste und bringe sie erneut zum Lächeln. »Sicher, dass du nicht einfach ein paar Kieselsteine eingesammelt hast?«

»Mae, du hast nicht mehr alle Murmeln bei dir. Deswegen muss ich dich Marble nennen«, macht sie mich leise nach. »Ich kann gar nicht zählen, wie oft du das gesagt hast.«

»Ich wollte dich nur lächeln sehen, Marble.«

Jetzt grinst sie und verdreht die Augen. »Okay, du hast gewonnen. Ausnahmsweise erlaube ich dir, dass du mich weiterhin so nennen darfst.« Mit einer hastigen Bewegung schiebt sie ihre Locken hinter die Ohren.

»Überaus großzügig.«

Sie lehnt sich rücklings an den Tisch und stützt ihre Hände darauf ab, weshalb meine Aufmerksamkeit von ihren Augen weg gelenkt wird.

Das Top schmiegt sich um ihre hübsche Oberweite. Sie hat nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig, es passt perfekt zu ihrem schlanken Körper. An ihrem Schlüsselbein haftet etwas Motoröl, ebenso an ihrem Oberarm.

Das ist heißer, als ich zugeben möchte.

Und verdammt ja, ich habe mir schon oft vorgestellt, Marble zu vögeln. Allerdings ist sie die einzige Frau auf der Welt, von der ich meine Finger lassen muss.

Sie ist die Schwester meiner Ex. Selbst ich weiß, dass das ein Tabu ist. Außerdem war Marble immer mehr wie eine Freundin für mich. Eine heiße Freundin, die ich trotzdem flachlegen will.

Das wird aber nie passieren.

Aber ein bisschen an ihren sexy Körper denken darf doch erlaubt sein.

»Du siehst scheiße aus«, sagt sie und ich muss darüber lachen.

»Lauf du mal zwei Stunden durch die Pampa von Kanada mit nichts als deinen Klamotten und deiner Gitarre am Leib.«

»Sollte ich fragen, wieso du das getan hast?«

»Motorschaden.« Ich winke ab. »Dein Dad holt das Auto nachher ab.«

»Du hättest uns anrufen können. Ich hätte dich dann mit dem Abschleppwagen holen können.«

»Wie konnte ich nur daran nicht denken? Ich habe ja ein Telefon.« Sie lacht und ich ziehe das Handy aus meiner Hosentasche. »Akku leer.«

»Du hast nicht an das gute alte Dosentelefon gedacht?«

Jetzt muss ich lachen. »Unser altbewährtes Kommunikationsmittel.«

Sie zieht die Unterlippe ein wenig zwischen die Zähne, das tut sie immer, wenn sie verlegen ist. Unter ihren Brauen schaute sie zu mir.

Sie macht einen ausgeglichenen Eindruck.

Ihre Wangenknochen treten hervor, wenn sie lächelt, das gefällt mir.

Und verdammt, sie ist noch hübscher geworden.

»Wie geht’s dir? Wir haben uns lange nicht gesprochen und in den Medien bekommt man viel über dich mit«, sagt sie.

Verlegen senke ich den Blick, als ich an all die Berichte denke. Ich konzentriere mich auf die Truhe, die vor dem Bett steht. »Ich denke, ganz gut.«

»Solang du das denkst«, entgegnet sie belustigt.

»Was macht das Studium?«

»Ich denke, es läuft.«

Ich kneife die Augen etwas zusammen und stiere zu ihr. »Mach dich ruhig über mich lustig.«

»Das würde mir nie einfallen.« Sie stößt sich vom Tisch ab und macht einen Schritt in meine Richtung. »Es ist schön, dich wiederzusehen.«

»Ja, finde ich auch«, entgegne ich leise. Mit einem Räuspern gehe ich ebenfalls auf sie zu. »Ich habe versucht, Reagan zu erreichen.« Ob Marble wütend auf mich ist, weil ich ihre Schwester in den Wind geschossen habe?

»Sie will dich nicht sehen.« Sie zuckt mit einer Schulterseite. »Wie ich das verstanden habe, will sie dich nie mehr sehen.«

»Würdest du sie für mich anrufen?«

Sie seufzt und lässt den Kopf kurz in den Nacken sinken. »Ich weiß echt nicht, ob ich da mit reingezogen werden möchte, Knox.«

»Hey, ihr beiden!«, ertönt Annas Stimme von unten.

Marble kommt lächelnd auf mich zu und drückt ihre Hand sanft an meinen Oberarm. »Wir reden nachher weiter.«

Marble

Es ist unwirklich, dass er hier ist.

Ich bin unsicher, ob mir das gefällt. Klar, ich freue mich, ihn wiederzusehen, aber ich fürchte mich auch vor seiner Anwesenheit.

Nachdem er Alex verlassen hat, dachte ich, ich würde Knox niemals wiedersehen. In den ersten Monaten war der Gedanke daran hart, aber mittlerweile habe ich mich damit abgefunden.

Doch jetzt ist er zurück. Ihn vorhin in meiner Tür stehen zu haben, hat mich verwirrt.

Er sitzt mir gegenüber am Tisch und immer wieder unterdrücke ich den Drang, ihn zu scannen.

Er sieht umwerfend aus.

Mit achtzehn hat er begonnen, sich tätowieren zu lassen und langsam gibt es nur noch wenige freie Stellen an seinem Körper. Zumindest dort, wo keine Kleidung die Haut verdeckt.

Der Blick aus seinen dunkelbraunen Augen ist noch immer scharf, ein wenig distanziert und doch warm. Das mit dem Dreitagebart ist neu und mir gefällt es, wie die Härchen seine Lippen umrahmen.

Ich beobachte seine Finger, an fast jedem trägt er einen Ring. Er macht seinem Ruf als Rockstar rein optisch alle Ehre. Das verwaschene Bandshirt von Northlane passt perfekt zu der ausgewaschenen Jeans und den schwarzen Boots.

Das beinahe schwarze Haar fällt ihm teilweise in die Stirn und macht einen etwas strähnigen Eindruck. Aber bei den Temperaturen und seinem Trip durch die Hitze ist das nicht verwunderlich.

Und natürlich ist er trainiert, nur ein wenig, aber stark genug, sodass es auffällt. Ein Mann im Rampenlicht muss immerhin eine entsprechende Figur machen.

Ich erwische mich dabei, wie ich seinen muskulösen Oberarm anstarre und senke den Blick lieber auf meinen Teller.

»Wenn du möchtest, darfst du duschen«, sagt Mom.

»Das wäre echt eine Wohltat«, antwortet Knox.

Ich mag seine Stimmfarbe. Sie ist warm, trotzdem aber ein wenig rauchig und wenn er singt, rutscht sie weiter in die Tiefe.

»Ein Wunder, dass du es bei der Hitze bis hierher geschafft hast«, witzelt Dad.

Ich stochere im Salat herum.

»Kurz nach Penhold habe ich überlegt, mich einfach in einen Graben zu legen und dem Schicksal seinen Lauf zu lassen.«

Mom und Dad lachen.

»Mae, Schatz, leg Knox gleich bitte ein Handtuch auf den Wannenrand«, fordert Mom.

»Mache ich.« Ich werfe ihm einen knappen Blick zu. Er sieht mich ebenfalls an und bringt mich zum Lächeln, wie mir klar wird.

»Was machst du zurzeit?«, fragt mein Vater.

»Hin und wieder werde ich eingeladen und gebe Interviews. Diverse YouTube-Channel, alle möglichen Fernsehshows. Die meisten wollen nur schmutzige Wäsche waschen. Ich schreibe auch an ein paar neuen Stücken.«

»Möchtest du solo durchstarten?« Dad hebt die Brauen.

Knox sieht ihn zerknirscht an und legt das Besteck neben den Teller. »Ehrlich gesagt will ich mit Reagan reden, weil … ich Ivory Dice zurück auf die Bühne holen möchte.«

Mom und Dad tauschen einen Blick aus.

»Denkst du, das ist eine gute Idee?«, frage ich.

Knox mustert mich einen Moment. Einen zu langen und zu intensiven Moment. Ein Kribbeln entsteht auf meinem Nacken.

»Vielleicht … redest du mit Reagan? Sie hört oft auf dich«, greift er das Thema erneut auf. »Bitte.«

Wieder stochere ich im Essen herum. »Ich möchte wirklich nicht zwischen die Fronten geraten.«

Ist das die Wahrheit oder will ich einfach nicht, dass die beiden sich wiedersehen? Was, wenn sie wieder ein Paar werden?

Gott, bin ich bescheuert.

Knox ist ohnehin tabu für mich.

Wenn ich Alex in den Rücken falle, da bin ich sicher, wird sie mich umbringen.

Außerdem hat Knox nie den Anschein erweckt, mich in irgendeiner Art und Weise auch nur ansatzweise interessant zu finden. Schließlich bin ich nicht so wild und verrückt wie meine große Schwester. Ich halte mich für ziemlich normal und bin der Meinung, dass ich jemanden wie Knox schnell langweile.

Und noch dazu: Bin ich verrückt? Knox ist ein Mann, der sich nimmt, was er haben will. Als würde er bei mir irgendeinen Unterschied machen.

Seit dem Unfall vor vier Jahren ist es mit ihm noch schlimmer geworden.

Dad legt das Besteck ebenfalls zur Seite. »Schätzchen, willst du es nicht wenigstens versuchen? Vielleicht tut es deiner Schwester gut, zurück zu Ivory Dice zu gehen. Du erinnerst dich sicherlich, wie schlecht es ihr ging, als sie nach Toronto gezogen ist.«

»In Ordnung, ich rufe sie nachher mal an.« Knox’ Ausdruck erhellt sich und ich deute mit der Gabel auf ihn. »Aber ich kann dir nichts versprechen. Und wenn sie deswegen zusätzlich sauer auf mich ist, dann gebe ich dir die Schuld.«

Er legt die Hand an die Brust. »Dann darfst du mich nach allen Regeln der Kunst beleidigen.«

Ich drehe die Gabel zwischen den Fingern. »Vielleicht ramme ich dir dann auch die Gabel in die Hand.« Er grunzt belustigt. »Ich halte das für eine echt dumme Idee.«

Alex hat viel mit mir gesprochen und ich kenne mehr Hintergründe als Mom und Dad. Ich verstehe, dass sie Knox nicht wiedersehen möchte.

Um es nett auszudrücken – er hat sich benommen wie ein Vollarsch.

Trotzdem tut es mir leid für Knox. Er scheint Ivory Dice zu vermissen, sonst wäre er nicht hergekommen. Er ist nicht nur über seinen Schatten gesprungen, er hat seinen Stolz dafür eindeutig hintenangestellt.

Seit ich ihn kenne, ist das selten vorgekommen.

»Wohnst du noch in L.A.?«, fragt Dad weiter.

»Unter anderem, ja.«

Er nickt leicht. »Ich habe ganz vergessen, dass du überall Häuser besitzt.«

»Das ist auch etwas übertrieben.«

»Stellen wir die Frage anders: Wo wohnst du zurzeit am häufigsten?«, klinke ich mich ein.

»In New York.«

»Ich bin noch nie dort gewesen«, sage ich ein wenig abwesend. Darum beneide ich meine Schwester, sie hat beinahe die gesamte Welt bereist und gesehen. Ich hingegen bin nicht einmal über die Grenzen Kanadas hinausgekommen.

»Komm mich gerne besuchen.« Knox schenkt mir ein warmes Lächeln, bei dem mir ebenso warm ums Herz wird.

»Geht leider nicht, ich muss arbeiten.«

»Schätzchen, du musst nicht die gesamten Ferien bei uns vertrödeln, aber das weißt du«, sagt Dad.

»Wenn ich nicht arbeite, habe ich kein Geld.«

Er mustert mich irgendwie verständnislos. »Erzähl doch keinen Unsinn, wir würden dir sogar ein Ticket nach New York kaufen, wenn du Knox besuchen möchtest.«

Knox’ Grinsen wird eine Spur breiter. »Wenn es daran liegt, kann ich dir auch-«

»Nein«, sage ich streng und zeige noch einmal mit der Gabel auf ihn. »Auf keinen Fall möchte ich in deiner Schuld stehen.«

Er lacht leise. »Du würdest nicht in meiner Schuld stehen, ich würde dich einladen, Marble.«

»Ach, wie schön, du nennst sie noch immer so«, sagt Mom amüsiert.

»Mae, du hast nicht mehr alle Murmeln bei dir«, macht Dad ihn ebenso nach. Mom gibt ihm deswegen einen sanften Klaps auf die Schulter und lacht.

 

 

Nach dem Essen räumen wir gemeinsam den Tisch ab, wobei ich immer wieder Knox’ Blick auf mir spüre. Während ich die Teller in die Spülmaschine stelle und er die Gläser zur Anrichte trägt, schaut er mich wieder an.

Dad geht zurück in die Werkstatt und ich eile ihm durch den Flur hinterher, allerdings gehe ich nach oben. Im Schrank gegenüber vom Bad ziehe ich ein Handtuch heraus und lege es über den Badewannenrand.

Als ich mich umdrehe, fahre ich zusammen. »Herrgott, wie kannst du mit diesen Schuhen so schleichen?« Ich halte eine Hand an die Brust, mit der anderen deute ich auf seine Boots. »Und oh, bitte, lass mich erst den Raum verlassen, bevor du die Dinger ausziehst.«

»Hey, ich bin ein Star, meine Füße riechen nach Rosen. Immer.«

Ich muss lachen. »Ja, sicher.« Mit einem Räuspern mache ich einen kleinen Schritt zurück. »Da ist das Handtuch.«

Dieses herrlich anzügliche Lächeln huscht um seine Mundwinkel. Es ist wirklich nicht fair, dass er so attraktiv ist. »Schon gesehen.«

»Okay, dann lass ich dich mal allein.« Er öffnet den Mund, aber ich hebe den Zeigefinger. »Bitte lass jetzt keinen Spruch darüber ab, dass ich gerne bleiben kann.« Er grinst und ich muss wieder lachen.

Denn er ist bescheuert.

Aber das mochte ich schon immer an ihm.

Knox kommt ins Bad, was ich zum Anlass nehme zu gehen. Als ich an ihm vorbeilaufe, berühre ich seine Hand und unterdrücke deswegen den Drang zurückzuweichen.

Ich versuche mich daran zu erinnern, wie es sich angefühlt hat, ihn zu berühren.

Aber da sind nur diese vagen Fragmente unserer Freundschaft, als wir Kinder waren.

Hastig verlasse ich das Bad und knalle die Tür etwas zu fest hinter mir zu, weshalb von der anderen Seite ein raues Lachen ertönt.

»Ach, halt die Klappe!«, rufe ich und er lacht lauter.

Er zieht die Tür einen Spalt auf und fängt meinen Blick ein. Seine Augen funkeln amüsiert. »Ist es so schlimm, mich zu berühren?«

Mist, er hat es bemerkt.

Natürlich hat er es bemerkt.

»Verarsch mich nicht«, sage ich dunkel.

»Das würde ich nie tun.« Sein Tonfall ist samtig und weich geworden. Ich mag es nicht, wenn er auf diese Weise mit mir spricht und irgendwie mag ich es doch. Es ist, als würde er mich mit diesem Ton, der runtergeht wie flüssiges Karamell, einwickeln wollen. »Ist es schlimm, mich zu berühren, Marble?«

»Geh duschen, du müffelnder Rockstar.« Bevor dieses Gespräch in irgendeine seltsame Richtung abdriftet, beende ich es lieber. Knox hat mich schon immer aufgezogen, wenn ich mich dämlich verhalten habe.

Das hat sich augenscheinlich nicht geändert.

Weil er die Tür nicht schließt, ziehe ich sie vor seiner Nase zu und höre nur wieder sein raues Lachen. Ich verdrehe meine Augen und gehe zu Dad in die Werkstatt.

Er ist gerade dabei, den Abschleppwagen vorzubereiten. Der steht vor der Garage auf dem Hof. Ich kneife die Augen wegen der Sonne etwas zusammen, als ich die Werkstatt verlasse. »Soll ich dich begleiten?«

»Das wäre nicht schlecht.« Mit einem Ruck öffnet er die Fahrertür und schwingt sich mehr oder weniger elegant auf den hohen Sitz.

Somit nehme ich auf dem Beifahrersitz Platz und er lässt den Motor an. Ich schalte durch die verschiedenen Radiokanäle, bis ein Song kommt, der mir gefällt. Es ist einer von Maybe Next Time, einer ihrer neuen. Ivory Dice haben sie mal mit auf eine Tour genommen, seitdem laufen ihre Songs immer mal wieder im Radio.

Mein Vater lenkt den Wagen auf die Straße, die uns in Richtung Penhold führt. »Ganz schön verrückt, dass er einfach hier auftaucht, hm?«

»Hm-mh.«

Verrückt und seltsam.

Weiß Knox nicht, dass Alex in Toronto lebt? Das müssen seine Leute doch herausfinden können.

»Aber ihr versteht euch noch immer gut«, sagt Dad. Vorsichtig schaue ich zu ihm herüber, weil ich nicht weiß, worauf er hinauswill. Dad lacht und macht eine beruhigende Handgeste, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. »Nein, so meinte ich das nicht, Schätzchen. Ich weiß, dass ihr nur Freunde seid.«

Freunde.

Dieses Wort in Bezug auf Knox fühlt sich falsch an.

»Du bist wie eine kleine Schwester für ihn, denke ich.«

Eine Schwester.

Noch schlimmer.

»Ich finde es schön, dass du nach wie vor mit ihm befreundet sein möchtest. Immerhin ist Alex deine Schwester.«

»Was zwischen den beiden gelaufen ist, geht mich genaugenommen nichts an und ich möchte da auch so wenig wie möglich zwischen geraten.« Ich lächle knapp. »Knox wird ja auch wieder fahren, wenn das Auto fit ist.«

»Vielleicht begleitest du ihn?«

»Nach Toronto?«

»Ja, nach Toronto.«

»Wie … wieso sollte ich das bitte tun? Was ist mit der Arbeit in der Werkstatt?«

»Du weißt genau, dass du hier nicht den gesamten Sommer schuften musst, immerhin musst du noch für die Uni lernen. Und etwas Freizeit tut jedem gut, du hast immerhin in der ersten Hälfte der Ferien schon im Institut gearbeitet. Ihr könntet gemeinsam mit deiner Schwester reden. Vielleicht schaffst du es, ihr gut zuzureden?«

»Ich werde bestimmt keinen Roadtrip mit Knox bis nach Toronto machen.« Vollkommen überfordert starre ich meinen Vater an, der zur Musik mit den Fingern auf dem Lenkrad trommelt. Allerdings vollkommen am Takt vorbei.

Er wirft mir einen Blick zu. »Keine gute Idee? Ihr habt früher immer so viel zusammen gespielt, ich dachte, es wäre vielleicht toll, wenn ihr endlich mal wieder etwas Zeit zusammen habt.«

»Wir sind beide erwachsen und keine Kinder mehr«, erinnere ich ihn. »Knox und ich … wir haben uns lange nicht gesehen … und … ich meine, es ist Knox … das ist eine wirklich bescheuerte Idee.«

»Solange ihr kein Schäferstündchen haltet, sollte das doch in Ord-«

»O Gott, Dad, hast du das gerade wirklich gesagt?«

Er lacht. »Wie nennst du es denn? Mit ihm schlafen?«

»Dad!« Er spinnt doch.

»Oder Sex ha-«

»Daaad!« Meine Stimme rutscht in die Höhe, weil ich nicht daran denken will. Nicht daran, wie Knox sich anfühlen, wie er schmecken und auf gar keinen Fall, wie er sich in mir anfühlen würde.

»Ich werde kein Schäferstündchen mit ihm halten, nicht mit ihm schlafen und schon gar keinen Sex mit Knox haben!«

»Na, siehst du, dann könnt ihr doch auch ein wenig Zeit zusammen verbringen.«

Ich bin kurz davor, meinen Kopf auf das Armaturenbrett zu hauen oder mich bei voller Fahrt aus dem Wagen zu stürzen. Was ist mit meinem Vater los?

»Machst du dir keine Sorgen, dass Alex das irgendwie in den falschen Hals bekommen könnte, wenn ich mit Knox wegfahre?«

»Alex bekommt ohnehin alles in den falschen Hals.«

»O Gott, Dad. Was redest du denn da?« Ich weiß natürlich, dass er recht hat, Alex ist ein Fall für sich, dennoch ist sie seine Tochter und meine Schwester.

Sowas sagt man doch nicht … oder?

»Ich liebe Alex mit all ihren Eigenheiten, trotzdem ist sie schwierig. Das weißt du sicherlich auch. Und allein die Tatsache, dass wir Knox zum Essen eingeladen haben, wird ihr übel aufstoßen. Sie wird denken, wir haben uns gegen sie verschworen.«

In den Medien wurde behauptet, Knox habe ein Drogenproblem und deswegen sei die Beziehung und auch die Band auseinandergebrochen. Alex hingegen hat diese Aussagen nicht bestätigt, als sie mit mir gesprochen hat. Sie hat genaugenommen gar nichts zu den Vorwürfen gesagt und nur gemeint, Knox habe sie ohne Vorwarnung verlassen. Er soll ihr einen Brief auf den Couchtisch gelegt haben und verschwunden sein.

Ich habe ihr natürlich geglaubt, aber jetzt, wo Knox zurück ist und Ivory Dice wieder zusammenbringen möchte, denke ich, dass das nicht stimmt.

Wieso aber sollte Alex mich belügen?

Ich seufze. »Was denkst du, ist wirklich zwischen den beiden vorgefallen?«

Wir passieren die ersten Häuser von Penhold.

»Tja, das können nur die beiden dir erklären«, sagt Dad.

»Ich glaube nicht, dass es Knox alleinige schuld ist.«

»Wenn so etwas passiert, ist niemals einer allein schuld. Dazu gehören immer zwei.«

Ich sehe aus dem Fenster und musterte die vorbeziehenden Wohnhäuser und Stores auf der langen Straße. In diesem Augenblick wird mir klar, wie sehr Knox mir tatsächlich gefehlt hat.

Und das ist gar nicht gut.

 

 

»Dad sieht sich den Wagen an«, sage ich, während ich durch die Hintertür in den Garten gehe. Knox sieht sich zu mir um. Er sitzt auf der Treppe der Veranda unter dem Vordach, seine Gitarre Happy auf dem Schoß. Noch immer schleppt er dieses alte Ding mit sich herum, das finde ich niedlich. Seine dunkelbraunen Haare sind nach dem Duschen zerzaust und stehen ihm teilweise vom Kopf ab, was ich bezaubernd finde.

Mittlerweile senkt sich die Sonne am Himmel, doch von der Wärme hat die Luft kaum etwas verloren. Lediglich die ersten Grillen im trockenen Gras verraten, dass der Tag sich bald dem Ende neigt.

Ich liebe unseren Garten. Er ist offen und hinter dem Rasen beginnt eins der Felder, das in diesem Jahr mit Gerste bepflanzt ist. Davor steht eine große alte Eiche, wo wir früher oft gespielt haben. Als wir jünger waren, hing außerdem eine Schaukel an einem der dicken Äste.

Mit einem Lächeln setze ich mich zu Knox und verschränke meine Arme auf den Knien. »Steht dir.«

Er sieht skeptisch an den Klamotten von Dad herunter. »Immerhin hatte er eine Jogginghose. In seine Jeans würde ich nicht reinpassen.«

»Wieso? Weil der Arsch von meinem Dad größer ist?«

Knox lacht, dabei gleiten seine Finger sanft an der untersten Saite der Gitarre entlang.

Das zu beobachten, löst Sehnsucht in mir aus.

Vielleicht ist es auch Melancholie.

Zu oft habe ich ihn bei genau dieser Bewegung angesehen. Ich weiß, dass er dabei die Brauen ein wenig zusammenzieht. Ich weiß, dass er dabei einatmet, um sich zu fokussieren, denke ich.

»Erinnerst du dich an die Schaukel?« Ich deute mit einem Nicken zum Baum.

»Als du klein warst, habe ich dich oft angeschubst.«

»Einmal so stark, dass ich heruntergefallen bin.« Ich fasse an meinen Hinterkopf. »Ich hatte wochenlang eine Beule.«

»Ich hätte nicht damit gerechnet, dass das bei deinem Dickschädel möglich ist, nur deswegen war ich so unvorsichtig.«

Ich knuffe seine Schulter und er grinst mich irgendwie jungenhaft an.

Dieses charmante jugendliche Aussehen, das er früher gehabt hat, ist längst der beängstigenden Attraktivität eines Mannes gewichen. Außerdem liegt in seinen Zügen stets ein Anflug von Distanz und Kälte. Doch ich erkenne einen Rest des ausgelassenen und unbeschwerten Jungen, der mich von der Schaukel geschubst hat.

Langsam lasse ich den Blick zurück zur Eiche wandern und muss lächeln. »Hinter dem Baum habe ich meinen ersten Kuss bekommen.«

Knox hält spürbar inne.

Sofort verfluche ich mich, das gesagt zu haben.

Ich vergrabe mein Gesicht zwischen den Armen. »Vergiss das.«

»Wir haben Wahrheit oder Pflicht gespielt«, sagt er leise, weshalb ich ihn überrascht ansehe.

»Du erinnerst dich daran?«

Knox

Ich erinnere mich daran.

Viel zu gut.

An ihre Lippen, die sie intensiv mit der Zunge befeuchtet hat. Daran, wie sie die Nase gekräuselt hat, als ich ihr näherkam und auch an den Moment, sie geküsst zu haben.

An das Kribbeln auf meinem Mund.

In meiner Brust.

Und auf meinem Nacken.

Ich streiche erneut an der Saite entlang und sehe stur auf den Gitarrenhals. »Wie könnte ich das vergessen?« Meine Stimme verliert sich beinahe im leisen Rauschen des Winds.

»Na ja, du hast sicherlich Dutzende Frauen geküsst. Dieser kleine Knutscher bleibt da eher nicht hängen, dachte ich.«

»Ich wusste nicht, dass es dein erster Kuss war.«

»Machst du Witze? Ich war dreizehn, natürlich war das mein erster Kuss.« Sie lacht matt. »Aber klar, in deinem Universum ist das reichlich spät.«

Manchmal frage ich mich, wieso Marble so schlecht von mir denkt. Ich habe mir zwar über viele Jahre genommen, worauf ich Lust hatte, also was Frauen und andere Dinge angeht, aber ich habe Marble immer gut behandelt. Und früher, hier in Red Deer, war ich weit davon entfernt, so ein Kerl zu sein, der wahllos Frauen ins Bett zerrt.

»Ich war erst fünfzehn, Marble.«

»Wie viele Frauen hast du danach geküsst?«

Ich kann es nicht sagen.

Bestätigt sieht sie mich an und ich fühle mich extrem unwohl bei diesem Gespräch.

»Du weißt es nicht mehr.«

Ist das ein leiser Vorwurf in ihrer Stimme? Ich kann es ihr nicht einmal verübeln.

»Es waren nur irgendwelche Frauen.« Wow, ich rechtfertige mich ernsthaft. »Irgendwelche Weiber auf den Tourneen, die ein Stück Ruhm abhaben wollten. Irgendwelche Weiber, die nur was mit mir hatten, weil ich Teil einer weltweit erfolgreichen Rockband war. Glaubst du, das fühlt sich gut an? Dieses Wissen darum, dass ich ihnen scheißegal bin?«

Marble mustert mich betrübt.

»Irgendwann fängt man an, sie gedankenlos auszuwechseln, weil man es nicht erträgt …«

»Man oder du?«, fragt sie vorsichtig.

Ich schließe die Augen. »Ich, Mae … ich ertrage das nicht mehr.«

Als ich sie wieder ansehe, erkenne ich Reue in ihren Augen, weil sie mir das vorgeworfen hat. Es gibt immer Gründe, wieso man Dinge tut oder getan hat. Ich habe diesen ganzen Mist nicht aus Spaß gemacht, sondern weil ich nicht damit umgehen konnte, berühmt zu sein.

Weil ich einen verdammen Höhenflug hatte.

Aber der Fall kam schneller als gedacht.

Ich fange ihren offenen Blick ein. »Du denkst, ich würde einen Kuss mit dir vergessen, aber all die Male mit irgendwelchen Weibern behalten? Es waren irgendwelche Frauen, die ich haben konnte, weil sie sich wie billige Flittchen angebiedert haben. Nicht weil ich Knox bin, der Knox, den du kennst, sondern weil ich einen gewissen Status habe. Weil ich Geld und Einfluss habe.«

Sie öffnet den Mund.

»Komm schon, Marble, ich bin ein Arsch, aber so ein dämlicher Wichser dann doch nicht.« Ich lenke das Gespräch lieber wieder auf sicheres Terrain, das gerade war mir genug. Ihr fehlen offensichtlich die Worte und es ist herrlich, dabei zuzusehen, wenn ich sie verunsichere.

Ihre Nase kräuselt sich.

Gottverdammt, diese Frau ist zum niederknien.

»Da habe ich ganz andere Dinge gehört.«

Ich kann nicht anders und grinse. »Will ich überhaupt wissen, was Reagan alles über mich gesagt hat?«

»Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was es da zu lachen gibt. Sie hat wirklich schlecht von dir gesprochen.«

»Und doch sitzt du hier mit mir, als wäre nichts passiert.«

»Was zwischen euch vorgefallen ist, hat nichts mit uns zu tun.« Erneut schweift ihre Aufmerksamkeit durch den Garten und ich vermute, sie will mir ausweichen.

»Wärst du wie deine Schwester, würdest du nie mehr ein Wort mit mir sprechen.« Mein Tonfall ist kühl.

»Wie gut, dass ich anders bin.« Sie sieht mich an.

Ja, das ist sie.

»Hey, König der Unterhaltung?«

»König der Unterhaltung?«

Sie deutet auf die Gitarre. »Das bist du doch.« Mit einem durchaus zufriedenen Lächeln richtet sie den Blick wieder auf den Baum und das Feld. »Spielst du mir etwas?«

Wie gebannt beobachte ich die Bewegungen ihrer Augen. Durch die tiefstehende Sonne schimmern sie beinahe silberfarben, das ist faszinierend und auch beängstigend, weil es wirkt, als wäre sie nicht von dieser Welt. Einige ihrer dunklen Locken kräuseln sich auf der Stirn, andere hingegen kitzeln ihre Wange.

Ich will meine Finger in dieser Mähne vergraben.

Verdammt, Marble ist unfassbar hübsch.

Ich bin mir sicher, dass sie weiß, was sie für eine Wirkung hat. Während Alex sich durch ihr Aussehen gefühlt eine Million Drinks hat ausgeben lassen, hat Marble ihre Attraktivität nie ausgenutzt. Zumindest habe ich es nie mitbekommen. Wie es derzeit in der Uni läuft, weiß ich natürlich nicht.

Ob sie einen Freund hat?

Sie sieht mich an. »Hallo?« Mit einem Grinsen wedelt sie vor meinem Gesicht.

»Triffst du zurzeit jemanden?«

Wie ein verschrecktes Reh reißt sie die Hand herunter. »Wieso willst du das wissen?«

»Es interessiert mich.«

»Und wenn es so wäre?« Vorsichtig schielt sie zu mir.

»Dann würde ich mich für dich freuen.«

Und außerdem den Kerl ausfindig machen, der es wagt, sie anzufassen, und umbringen. Schon klar, ich bin verkorkst, weil ich so über Marble und ihr Liebesleben denke. Schließlich geht es mich nichts an und ich weiß bis heute nicht, ob meine Gedanken Eifersucht oder Beschützerinstinkt geschuldet sind.

Doch Marble hat etwas an sich.

Dieses unschuldige und irgendwie gediegene.

Das finde ich extrem sexy.

Sie ziert sich und das gefällt mir nicht.

»Wie heißt der Kerl?«, frage ich.

Jetzt grinst sie und das gefällt mir noch weniger.

»John.«

»John?«

»Genau, John.«

»Hast du dir das gerade ausgedacht? Klingt nach einem ziemlichen Langweiler.«

»Hey!« Sie boxt mich und ich liebe es, wie sie darauf anspringt. Dann streckt sie die Zunge raus und macht einen kurzen Prustlaut.

»Hast du gerade Pfft gemacht? Wie alt bist du? Fünf?«

Sie tut es erneut.

»Na gut, erzähl mir von John.«

»Du musst den Namen nicht mit Anführungszeichen andeuten«, sagt sie mit einem Lachen.

Ich tue es erneut.

»Vielleicht töte ich dich heute, wenn du schläfst.«

Ich ziehe die Brauen extra weit hoch. »Wieso sollte ich hier schlafen? Oder ist das ein Angebot?«

»Sehr witzig.«

Mit zwei Fingern tippe ich auf meine Brust. »König der Unterhaltung.«

»Also … ich kenne John aus der Uni und wir waren bereits ein paarmal Kaffee trinken.«

»Laaangweilig.«

Trotzdem verrät es mir genau das, was ich wissen will, nämlich dass sie nicht im Bett waren. Vielleicht gab es einen Kuss. Hm. Nein, es gab bestimm keinen. Gut, ich will, dass es noch keinen gegeben hat.

Mit einem hörbar theatralischen Seufzen sinkt sie weiter nach hinten, wobei sie ihre Knie umschließt. »Und im Gegensatz zu dir ist er ein Gentleman.«

»Du glaubst, ich wäre keiner?«

»Du bist keiner, Knox.«

»Ich könnte dich vom Gegenteil überzeugen.«

Wieder lacht sie. »Wie willst du das machen? Mich zum Essen einladen, mir die Tür aufhalten, das Essen bezahlen und solche Dinge?«

»Genau.«

»Ähm …« Sie macht den Eindruck, entweder loslachen oder wegrennen zu wollen.

Ich ziehe einen Mundwinkel hoch, weil ich weiß, dass das bei den Frauen gut ankommt. Außerdem lässt mich das weniger unsicher wirken, denn ihre Reaktion tut genau das: mich verunsichern. »Das war ein Witz. Wieso sollte ich mit dir ausgehen?«

Wieso nicht? –So sollte die Frage lauten.

»Wow«, macht sie und atmet laut aus. »Du bist doch ein Wichser.« Sie steht auf und bevor ich sie aufhalten kann, fällt das Fliegengitter und dann die Tür hinter ihr heftig ins Schloss.

Hm.

Das war eindeutig einer meiner dümmeren Sprüche.

Frustriert lasse ich meine Finger wieder am Griffbrett der Gitarre entlangwandern und nehme das glatte Gefühl dennoch selig auf. Als ich die Saiten spüre, schließe ich meine Augen und spiele eine ruhige Tonabfolge. Das Vibrieren im Klangkörper breitet sich auf meiner Brust aus und umschließt meinen Oberkörper nach und nach.

Ich sehe die Töne vor mir …

Ich fühle sie in der Luft …

Ich nehme sie dankbar entgegen.

Jeder Ton ist ein Teil von mir, alles, was ich erzeuge, tue ich, um mich auszudrücken.

Um eine Geschichte zu erzählen.

Und um mich daran zu erinnern, wer ich einst war.

Ich rutsche von den Saiten ab, meine Finger verkrampfen und ich balle meine Hand. Ich beiße die Zähne fest zusammen.

Frust kocht in mir hoch.

Einige Sekunden starre ich auf die Narbe an meinem rechten Unterarm unter der schwarzen Tinte.

Als ich aufsehe, fällt mir etwas hinter einem der Büsche am Gartenrand auf. Erst kann ich es nicht richtig zuordnen, doch dann verrät mir eine Reflexion, dass es eine Kamera sein muss.

»Scheiße«, nuschle ich und springe auf, um Marble ins Haus zu folgen. Die Gitarre halte ich am Hals fest umklammert und lehne sie an den Treppenaufgang, als ich daran vorbeigehe.

Selbst hier in der Pampa Albertas werde ich von diesen Geiern verfolgt. Ich gehe ins Wohnzimmer, wo ich nur Anna antreffe. Sie schaut über die Sofalehne, eine Sitcom läuft. Allerdings ist der Ton ausgestellt und jetzt registriere ich das Handy an ihrem Ohr.

»Wo ist Marble?«, frage ich.

Sie deutet hinter mich. »Vermutlich bei ihrem Vater in der Werkstatt.« Ich wende mich ab, um den Raum zu verlassen, doch bevor ich verschwinden kann, beendet sie das Gespräch am Telefon. »Knox?«

»Hm?«

Anna erhebt sich langsam von der Couch und macht ein paar Schritte auf mich zu. »Wieso bist du wirklich hier?«

»Ähm … das habe ich doch schon gesagt.«

Dieser auffordernde Blick entsteht auf ihren Zügen und zeichnen die Stirnfurchen tiefer. Schon früher hat es mir nicht gefallen, wenn sie mich so angesehen hat, weil ich es sich anfühlt, als könnte sie in meinen Kopf blicken. »Sicher, dass es nur mit Alex zu tun hat?«

Worauf will sie hinaus?

Dass ich wegen Marble hier bin?

»Du bist nicht dumm, du bemerkst, wie sie dich ansieht.«

»Warte mal … was?« Irritiert hebe ich die Hände vor die Brust, als würde ich ihre Worte damit von meinem Brustbereich fernhalten können.

Leider funktioniert das nicht, denn mein Herz beginnt spürbar zu beben.

Als würde ich die Saiten meiner Gretsch anschlagen und das Rauschen der Töne mich umfangen.

Anna geht an mir vorbei und schließt die Tür, woraufhin sie meinen Blick wieder einfängt. »Mae hat dich immer gemocht.«

»Wir sind Freunde.« Selbst ich bemerke, wie hirnverbrannt die Worte klingen.

Sie stößt ein leises und ungläubiges Lachen aus. »Ich bitte dich. Du willst dich wirklich dumm stellen, oder?«

»Ich bin nicht hier, um mich an Marble ranzumachen oder so einen Schwachsinn«, gebe ich gereizt zurück.

Anna hingegen verschränkt nur die Arme und mustert mich noch intensiver.

»Was?«, sage ich lauter.

»Es gibt keinen Grund, laut zu werden.«

Ich fahre mit den Fingern durch meine Haare. »Ich weiß nicht, wieso du damit anfängst.«

»Wir haben dich immer wie einen Sohn behandelt, aber du hast bereits eine unserer Töchter verletzt.«

»Ich bin nicht stolz darauf, kapiert?« Ich fühle mich scheiße, weil sie mir das so direkt sagt. Reagan hat sich ebenfalls danebenbenommen, aber ich habe sie echt hart getroffen. Ich war der Meinung, dass sie es verdient hätte, aber langsam bin ich nicht mehr so sicher, ob ich es noch so sehe.

»Mach Mae einfach keine falschen Hoffnungen.«

»Was soll das überhaupt bedeuten? Marble steht nicht auf mich.«

Oder?

Oder doch?

Was, wenn diese Blicke von ihr mehr zu bedeuten haben? Ich habe mir immer eingeredet, sie würde in mir einen Bruder sehen, so wie ich sie als Schwester sehe.

Aber … sehe ich sie wirklich so? Täte ich das tatsächlich, würde ich mir schließlich nicht vorstellen, sie flachzulegen. Dann würde ich mir nicht vorstellen, wie die Haut in ihrer Halsbeuge riecht, ich würde mir nicht vorstellen, neben ihr zu liegen, um ihr stundenlang in die Augen zu sehen.

Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen und bleibe an den Fotos auf dem Kaminsims hängen. Zwischen all den Familienbildern steht eins von Marble und mir.

Ich erinnere mich an den Tag, an dem sie und ich die Grillparty der Lawsons vorbereitet haben. Gemeinsam stehen wir vor dem Grill, sie hält die Zange, ich habe meinen Arm um ihre Schulter gelegt, als wollte ich sie beschützen – oder ganz nah an mir spüren.

Verdammt, das habe ich gewollt, ich weiß es noch.

Sie hat ihre Haare zu einem hohen Zopf gebunden, meine Haare fallen bis zu den Schultern. Es war die Phase, in der ich den Metal für mich entdeckt habe. Ich sah lächerlich aus mit der Frisur.

Marble hingegen lächelt mich auf der Aufnahme an und macht einen glücklichen und ausgeglichenen Eindruck.

Ob Anna recht hat?

War das zwischen uns immer mehr für Marble?

Ein Ziehen schießt durch meinen Nacken und über meinen Hinterkopf. Ich mache einen Schritt zurück und sehe Anna an. Mein Hals schnürt sich zu, weil ich das nicht gebrauchen kann.

Scheiße, ich will die Gedanken von Marble und mir nicht in meinem Kopf aber vor allem nicht in meinem Herzen haben.

»Das meinst du nicht ernst. Marble ist …«

Ihre Brauen wandern in die Höhe. »Was? Eine hübsche junge Frau geworden?«

Scheiße, ja.

Mir bleiben die Worte im Hals stecken, dann räuspere ich mich und lache einmal. Es ist eine Übersprunghandlung, das ist mir klar, weil ich echt nicht weiß, wieso Anna mir das gerade alles sagt. »Das … bedeutet nicht, dass ich bei ihr auf irgendetwas hinauswill.« Ich atme einmal durch. »Hör zu, ich habe Marble gern und werde das mit ihr nicht aufs Spiel setzen, weil sie hübsch ist.«

Oder ich sie unbedingt in meinem Bett will.

Anna lächelt zufrieden und endlich entspanne ich mich auch. Vermutlich hat sie genau die Reaktion von mir haben wollen, damit sie sich sicher sein kann, dass ich Marble nicht an die Wäsche will. »Ich weiß, dass du ihr nie absichtlich wehtun würdest.« Sie zögert und winkt ab. »Vergiss es.«

»Nein, sag, was du denkst«, fordere ich.

»Als wir von Alex und dir gehört haben, waren George und ich irritiert.«

»Wieso das?«

Erneut zögert sie. »Ach, nein, wir reden lieber nicht darüber, ich möchte nichts in Gang setzen, das ungesund für alle wäre.

---ENDE DER LESEPROBE---