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Ich bin der Junge, der nie vergessen, der nie verziehen hat.
Deinetwegen habe ich alles verloren.
Du hast meine Mutter in den Wahnsinn getrieben und mein Leben zerstört.
Ich werde dich finden.
Ich werde dir alles nehmen.
Und dann werde ich dich töten.
Ab 18 Jahren
Psychothriller, Prequel und Teil 2
Thriller-Snack über Eli, ca 200 Printseiten
Vorwissen aus Callous Heart wird benötigt
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Inhalt
Inhalt
Impressum
prolog
henry
headingley
pallor mortis
teil eins
kapitel 1
kapitel 2
kapitel 3
rigor mortis
henry
headingley
kapitel 4
kapitel 5
teil zwei
kapitel 6
livores mortis
henry
kapitel 7
kapitel 8
kapitel 9
teil drei
kapitel 10
algor mortis
henry
kapitel 11
kapitel 12
agonia
post mortem
henry
henry
exitus letalis
Nachwort / Dank
Impressum
© 2023 Rinoa Verlag
c/o Emilia Cole
Pater-Delp-Straße 20
47608 Geldern
ISBN 978-3-910653-07-8
© Covergestaltung: Coverstube
Lektorat: Maria Rumler
Korrektur: Elisabeth Schmitt
rinoaverlag.de
emilia-cole.de
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Alle Personen und Handlungen in diesem Roman sind frei erfunden. Jedwede Ähnlichkeit zu lebenden Personen ist rein zufällig.
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Der Unterschied zwischen falschen Erinnerungen und wahren ist der gleiche, wie bei Diamanten: Diejenige, die am realsten erscheint, die hellste, ist immer eine Fälschung.
Salvador Dalí
»Klopf, klopf.«
»Wer ist da?«
»Deine Mommy.«
prolog
Wie du es auch drehst und wendest,
es verändert sich und bleibt doch gleich.
henry
Ich kann nicht mehr.
Die letzten Tage waren zu viel.
»Lassen Sie mich zu ihr.«
Officer Nolan schüttelt den Kopf. »Sorry, Doc.«
Immer wieder balle ich die Hände, sodass die Knöchel knacken. Erneut hole ich mein Handy hervor und scrolle durch die Kontakte. Wieder sperre ich es, als ich bei Joshua angelange, und schiebe es zurück in die Tasche. Schließlich kann er mir nicht helfen, er wohnt auf der anderen Seite des Landes, zudem will ich ihn nicht beunruhigen.
Ich werde gleich wahnsinnig.
Ich gehe zurück zu der Scheibe und schaue sie an.
Der Chief sagte mir, sie habe kein Wort gesprochen, seit sie hier ist. Geschlagene zwei Stunden sitzt sie bereits auf dem Stuhl und starrt auf den Tisch.
»Sir, ich flehe Sie an, sie ist katatonisch, sie braucht ärztliche Hilfe.« Ich wende mich Nolan zu. »Kann ich bitte mit ihr reden?«
Er runzelt die Stirn. »Sie spricht nicht.«
Nebenan geht die Tür auf und Chief Summers betritt den Raum. Er seufzt und zieht den Stuhl zurück, seine ganze Art hat etwas Theatralisches.
Nachdem ich einen tierischen Aufstand gemacht habe, hat man mir erlaubt, in den Nebenraum des Verhörraums zu gehen. Aber zu Liza darf ich nicht. Ich sei voreingenommen und als psychologischer Begleiter nicht objektiv.
Jetzt sehe ich sie nur durch die Scheibe.
Ab und zu kneift sie die Augen zusammen, sonst sitzt sie ganz still. Ihr schwarzes Haar liegt ungebändigt auf ihren Schultern, die nicht wie sonst gestrafft sind, sondern herunterhängen. Sie ist blass, ihr Blick teilnahmslos.
Ich kneife mit den Fingern in die Nasenwurzel und beiße die Zähne zusammen.
Dieser winzige Raum erdrückt mich.
Die vollgestopften Regale machen mich nervös, das kalte Licht brennt in meinen Augen.
Summers setzt sich und Liz hebt den Kopf, weshalb ich die Hand langsam sinken lasse. Ich trete an die Scheibe.
»Wie geht es Ihnen?«, fragt Summers, was blechern durch den Lautsprecher in den Raum dringt.
Liza blinzelt und sieht an ihm vorbei. Ich schwöre, dass sie mich durch die verspiegelte Scheibe anschaut. Mein Herz bleibt beinahe stehen.
»Ms. Moore? Können Sie mir erzählen, was genau vorgefallen ist?«
Ihre Lippen sind spröde, sie leckt kurz darüber. »Kann ich das?« Ihre Stimme ist rau, ich erkenne sie kaum wieder.
»Ich bin davon überzeugt, dass Sie es können.« Summers Tonfall ist beruhigend.
Sie neigt den Kopf zur Seite. »Ich bin nicht sicher, Sir.«
Ich atme durch.
Etwas stimmt nicht mit ihr.
Er zieht die Akte zu sich und liest einen Augenblick darin. »Können Sie uns sagen, wie Sie hierhergekommen sind? Hat Mr. Handug Sie hergebracht?«
Ich drehe mich zu Nolan um. »Officer, bei allem Respekt, ich sollte rübergehen.« Er zieht gerade eine Packung mit Sushi aus seiner Tasche, dabei schüttelt er den Kopf. Ich bin kurz davor, ihm das Essen aus der Hand zu schlagen. Vor mir auf dem Tisch, zwischen den Monitoren, liegt Nolans Marke. Ich werfe ihm noch einen schnellen Schulterblick zu und lasse die Marke in meiner Jackentasche verschwinden.
»Sie war es«, sagt Liz.
Ich fahre herum. Ihr Tonfall jagt mir einen eisigen Schauer über den Rücken.
»Es ist nicht seine Schuld.« Sie zieht ihre Schulter mit einer mechanischen Bewegung zurück.
»Officer«, sage ich angespannt.
Er nuschelt etwas mit vollem Mund und mir reicht es. Ich reiße die Tür auf und verlasse den Raum. Nolan ruft mir hinterher, aber ich drücke die Tür zum Verhörraum auf. Diese Idioten verstehen nicht, dass sie nichts aus ihr herausbekommen werden.
Summers hält in der Bewegung inne und schaut mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Liza«, sage ich sanft.
Sie lässt ihren Blick durch den kargen Raum gleiten, bis er mich erreicht. Der emotionslose Ausdruck in ihrem Gesicht wird von Wärme abgelöst. Ihre starre Haltung entspannt sich leicht. »Henry?«
Summers steht vom Stuhl auf und stemmt die Hände auf den Tisch. »Doktor, verlassen Sie den Verhörraum.«
Ich schließe die Tür, gehe zu Liz und hocke mich neben ihren Stuhl. »Sie ist nicht in der Verfassung, Ihre Fragen zu beantworten, Chief.« Ich sehe ihn eindringlich an. »Sie braucht Ruhe und erfahrenes Personal.«
Er fährt sich mit der Hand über den kurzen Bart und schiebt den Stuhl an Tisch. »Ich gebe Ihnen einen Augenblick.« Er nimmt die Akte. »Sollte es Probleme geben, sagen Sie Bescheid.«
»Sie muss wirklich in ein Krankenhaus«, sage ich noch einmal. »Sie braucht Ruhe.« Ich habe das Gefühl, es nicht oft genug betonen zu können.
Er zuckt sichtlich ratlos mit den Schultern und verlässt den Raum.
Ich unterdrücke den Drang, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen, und atme kontrolliert ein und wieder aus. Einige Sekunden verharre ich, dann wende ich mich ihr zu. Ihren Blick hat sie auf die Tischplatte geheftet.
Behutsam umschließe ich ihr Handgelenk. Liz zieht die Luft zischend ein und reißt den Arm weg, weshalb ich meine Hand beschwichtigend hebe. Sie dreht ihre Hand, als würde sie irgendetwas darauf suchen, und ich lasse ihr die Distanz.
»Liza«, sage ich sanft und warte auf ihre Reaktion.
»Henry«, wispert sie.
»Wir bringen dich in ein Krankenhaus.«
Sie schüttelt den Kopf. Behutsam lege ich meine Hand an ihre Wange, damit sie aufhört, und ich will ihren Blick einfangen. Nach kurzem Suchen finde ich ihn und möchte irgendetwas in ihrem Ausdruck zu erkennen, aber … da ist nichts.
»Du musst dich ausruhen.«
»Nein.« Sie schüttelt den Kopf und ich ziehe den Arm zurück, woraufhin sie auf dem Stuhl nach hinten rutscht. »Hier bin ich in Sicherheit.« Ihre Augen weiten sich. »Lass mich nicht allein.«
»Ich bin hier.« Ich lege all die Wärme, die ich aufbringen kann, in meine Stimme.
Wieder schüttelt sie den Kopf. »Lass nicht zu, dass sie mich mitnehmen. Sie wird mich finden, Henry.« Eine Träne läuft über ihre Wange. Ich will sie wegwischen, aber Liz rückt von mir weg. »Lass nicht zu, dass sie mich mitnehmen.« Ihre Stimme bebt.
Auf einmal beginnt sie, zu hyperventilieren.
»Liz«, sage ich angespannt.
Sie schluckt auffällig.
Tränen laufen über ihr Gesicht.
Sie versucht aufzustehen, verliert aber das Gleichgewicht und stürzt zu Boden. Ich springe auf und will ihr helfen, doch sie rutscht von mir weg. »Verschwinde!«
»Officer!« Ich sehe mich kurz um.
Liz kauert sich in eine Ecke. Ich knie mich langsam neben sie und sie vergräbt ihre Finger in meinem Pullover. »Henry«, wispert sie. »Hilf mir!«
Die Tür fliegt auf.
Ich ziehe Liz an mich und schlinge schützend meine Arme um sie. »Rufen Sie verdammt noch mal einen Krankenwagen!«
Officer Nolan schaut mich verdutzt an, an seinem Hemdkragen klebt Sojasoße. Nach einer gefühlten Ewigkeit nickt er endlich.
headingley
Zuvor …
So schnell wie heute habe ich noch nie in meinem Leben eingekauft, aber seitdem Liz wieder zu Hause ist, lasse ich sie ungern allein. Sie beteuert dauernd, es sei kein Problem, aber ich sehe die Panik in ihren Augen, wenn ich auf die Haustür zugehe, um die Wohnung für wenige Minuten zu verlassen.
Ich trommle mit den Fingern auf dem Lenkrad. Die Fahrt von Winnipeg nach Headingley dauert mir zu lang, aber in dem kleinen Ort bekommen wir leider nicht alles, was wir benötigen.
Immer wieder sage ich mir vor, dass die Officer auf Liza achtgeben, schließlich sitzen sie in einem Wagen vor dem Haus. Es ist also alles in Ordnung.
Dennoch kann ich dieses ungute Gefühl nie abschütteln, wenn ich unterwegs bin.
Auf dem Highway trete ich das Gaspedal durch.
Ich will zurück.
Der mir gut vertraute Strick legt sich um meine Kehle und schnürt sie zu. Ich reibe mit der Hand über meinen Hals, um das Gefühl zu lösen.
Aber heute klappt es nicht.
Irgendetwas stimmt nicht.
Ich weiß es einfach.
Als ich in die Dodds Road biege, sehe ich den Streifenwagen gegenüber vom Haus.
Erleichtert sinken meine Schultern herunter.
Es ist nichts passiert.
Ich parke Liz’ Auto in der Einfahrt und hole die beiden Einkaufstüten vom Rücksitz. Dabei grüße ich die Officer mit einem Nicken, das sie knapp erwidern. Die Kälte kriecht in meine Jacke, weshalb ich zügig zum Haus gehe.
»Bin zurück«, rufe ich, während ich den Flur betrete. Ich muss lächeln, denn mich empfängt der Duft von warmem Kirschkuchen. Ich lege den Autoschlüssel auf die Kommode und gehe in die Küche.
Mit einem Ausatmen stelle ich die Tüten auf die Anrichte, wobei mir die Briefumschläge auffallen, die darauf liegen. Ich sehe mich zum Wohnzimmer um. »Liz?«
Kurz beuge ich mich über den Kuchen, um den Duft zu inhalieren.
Ich nehme einen geöffneten Briefumschlag in die Hand und drehe ihn zwischen den Fingern. Er ist unfrankiert, lediglich Liz’Name steht darauf.
»Liza?« Wieder werfe ich einen Blick hinter mich, wobei mir etwas im Augenwinkel auffällt. Unter dem Küchentisch, neben einem der Stühle, liegt ein Zettel. Ich ziehe ihn hervor, da fällt mir ein weiteres Stück Papier auf. Es liegt weiter unter dem Tisch. Ich greife danach und setze mich auf einen Stuhl.
Meine Finger zittern, als ich das abgewetzte Papier auseinanderfalte.
Elizabeth Moore,
die schönste und klügste Frau, die ich jemals kennenlernen durfte. Die Frau, die leise und doch laut ist. Die meine Heilung und doch mein Untergang ist.
Wenn dir der Regen zu stark ins Gesicht schlägt, wenn die Wellen um dich herum zusammenbrechen, bist du verloren.
Es ist, als würde der Ozean dich verschlingen.
Ich kann nicht bleiben und das weißt du. Den Winter haben wir beide über uns hereingebracht, aber durch dich sehe ich den Frühling nie mehr.
Es wird kalt bleiben.
Ich bete für meinen Tod, weil der Himmel auf mich herabgestürzt ist. Wie weit deine Arme auch für mich geöffnet bleiben, du hast mein Vertrauen, meinen Verstand und mich gebrochen.
In Liebe, Kellan
Ich drücke meine Hand auf den Mund und stütze den Ellenbogen auf den Tisch.
Scheiße.
Liz hat mir von dem Abschiedsbrief erzählt, aber ich habe ihn nie gelesen. Endlich verstehe ich, wieso sie sich so schuldig fühlt. Ich verstehe, wieso sie niemanden mehr an sich heranlässt und wieso sie mich immer wieder von sich gestoßen hat.
Ich greife nach dem anderen Stück Papier.
Hallo Elizabeth,
ich gebe dir einen letzten Tipp:
Wie du es auch drehst und wendest, es verändert sich und bleibt doch gleich.
Eli Bram Handug
P.S. Es war nicht sonderlich nett von dir, mich so zuzurichten. Mein rechtes Auge ist hinüber.
Ich blinzle.
Das kann nicht sein.
Nein.
Er ist hier gewesen.
»Liz?!«, brülle ich und springe auf. Ich bleibe mit dem Fuß am Tischbein hängen. Im letzten Moment schaffe ich es, mich mit der Hand am Türrahmen abzustützen. Dabei stolpere ich ins Wohnzimmer und werfe einen Karton um. »Liza?!« Ich renne in den Flur und drücke die Schlafzimmertür auf, die gegen den Kleiderschrank knallt.
Nichts.
Ich renne ins Badezimmer.
Nichts.
Ich renne wieder in die Küche.
Er hat sie.
Ich greife nach dem Stück Papier und schiebe es hastig in meine Hosentasche. Dann eile ich in den Garten und irre auf dem Rasen umher. Ich raufe meine Haare und renne am Haus vorbei auf die Straße. Dass ich keine Schuhe trage, merke ich erst, als ich auf den Polizeiwagen zugehe.
»Sie ist weg!« Ich schlage mit der flachen Hand gegen die Scheibe der Fahrertür. »Ihr verdammten Idioten hattet eine Aufgabe!«
Die Tür schwingt auf, einer der Officer steigt aus. »Was ist los?«
»Sie ist weg! Er hat sie!« Ich drehe mich zum Haus um. Ich suche etwas, das ich zerstören kann. »Fuck!«
Ich bekomme keine Luft mehr.
»Okay, jetzt beruhigen Sie sich erst mal.«
»Ich soll mich beruhigen?!«, brülle ich den Kerl an. »Er hat sie wieder! Haben Sie vergessen, was ihr passiert ist?! Sie waren doch auch in diesem verschissenen Keller, also sagen Sie mir verfickt noch mal nicht, dass ich mich beruhigen soll!«
Er hebt die Hände und will mich berühren.
»Fassen Sie mich nicht an, Sie unfähiger Volltrottel!«
Eine Stunde später stehen vier Streifenwagen vor dem Haus, außerdem wurde irgendein kanadisches Spezialkommando geordert. Einige Polizisten laufen mit Spürhunden über das gefrorene Feld gegenüber dem Haus oder durch den Garten, andere nehmen jedes Staubkorn im Haus unter die Lupe. Ich sitze seit knapp dreißig Minuten auf dem Rücksitz eines Streifenwagens, weil ich nicht mehr ins Haus darf.
Genau wie Elis Hütte am Ende der Straße ist das hier ein Tatort geworden.
Ich rutsche auf dem Polster herum und spüre den Brief in meiner hinteren Hosentasche.
Ich werde diesem verfluchten Hurensohn von Handug den Hals umdrehen, sobald ich ihn finde.
Und ich werde ihn finden.
Ich habe Angst um Liz, aber die Wut überlagert die schlimmsten Gedanken. Mit der Wut kann ich umgehen, sie ist wie ein Schild gegen den Zusammenbruch.
Die Tür auf der anderen Seite des Wagens wird geöffnet und ein älterer schlanker und hochgewachsener Mann setzt sich zu mir. Es ist Lloyd O’Brien, der bereits an Elis Fall gearbeitet hat.
Er seufzt. »Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.« Mit der Hand mache ich eine knappe Geste, damit er fortfährt. »Wann haben Sie Ms. Moore das letzte Mal gesehen?«
»Als ich das Haus verlassen habe, um einzukaufen.«
Er notiert etwas. »Wie spät war das?«
»Kurz nach eins. Ich weiß das so genau, weil ich noch einmal auf die Uhr vom Ofen geschaut habe, da Liz backen wollte.«
Der Duft des warmen Kirschkuchens schießt in meine Erinnerung.
Mein Herz wird schwer.
»Hat Ms. Moore jemanden erwartet?«
Irritiert sehe ich zu O’Brien. »Nein, hat sie nicht.«
»Wir haben keine Spuren gefunden, die auf gewaltsames Eindringen ins Haus hinweisen. Wir gehen davon aus, dass sie die Tür von innen geöffnet hat.«
»Das kann nicht sein«, sage ich leise. »Sie hat abgeschlossen, als ich ging, das habe ich gehört. Und ich habe zuvor die Hintertür verriegelt.«
Er hebt die braunmelierten Brauen. »Sind Sie sicher?«
Ich stocke.
Ja.
Oder?
»Manchmal erinnern wir uns an Dinge, die so nie passiert sind. Haben Sie möglicherweise vergessen, die Tür abzuschließen?«
»Auf keinen Fall.« Das hätte ich nie vergessen können. Aber seine Frage verunsichert mich.
Habe ich es doch vergessen?
»Sir?«
»Ich habe abgeschlossen.« Ich muss es getan haben, alles andere könnte ich mir niemals verzeihen.
Wieder notiert er etwas. »Hat Ms. Moore Ihnen irgendetwas über Mr. Handug erzählt, das wir womöglich nicht wissen?« Als ich nicht antworte, streicht er einmal mit den Fingern über seinen Schnäuzer. »Jede kleine Information kann helfen, aber das muss ich Ihnen sicherlich nicht sagen.«
Ergeben nicke ich. »Hat sie.«
Er sieht mich auffordernd an.
Meine Gedanken driften ab. Was, wenn er sie erneut in einen Verschlag sperrt? Was, wenn sie wieder die Hölle durchleben muss?
»Sie …«
Es fällt mir ungeheuer schwer, das zu sagen.
»Sie hat sich mit ihm getroffen, bevor er sie eingesperrt hat. Sie hat mir erzählt, dass sie miteinander geschlafen haben.«
O’Brien schreibt auf dem Block. »Wieso sind Sie dann sicher, dass er sie gegen ihren Willen mitgenommen hat?«
»Is… Ist das Ihr Ernst? Sie haben diesen Keller doch selbst gesehen!«
Mit einer beschwichtigenden Geste beugt er sich zu mir. »Ich weiß, ich weiß. Aber wir dürfen keine Eventualitäten außer Acht lassen. Deswegen muss ich Ihnen diese Fragen stellen.«
»Eventualitäten? Sie glauben doch nicht, dass Liz und Eli unter einer Decke stecken?«
»Wie gesagt, wir schließen nichts aus, bis wir beweisen können, dass es nicht so ist.«
Ich nehme die Brille ab und kneife die Finger in die Nasenwurzel. »Das ist doch ein schlechter Scherz. Als wären sie Bonnie und Clyde?« Ich werfe ihm einen verständnislosen Blick zu.
»Sie als Psychologe sollten wissen, dass teilweise die verrücktesten Geschichten hinter den Dingen stecken.«
Ich weiß es.
Dennoch … das kann nicht sein.
»Dieser Handug hat sie eingesperrt, er hat sie gefoltert … er hat sie verflucht noch mal vergewaltigt! Wieso sollte sie also freiwillig mit ihm gehen?! Das ergibt überhaupt keinen Sinn!«
»Beruhigen Sie sich.«
Ich schlage mit der flachen Hand auf den Sitz neben mir. »Herrgott, hören Sie damit auf, mir zu sagen, ich solle mich beruhigen!«
Ich lehne meine Stirn gegen die kühle Fensterscheibe und schließe die Augen. Es gibt Gründe, wieso sie mit ihm gegangen sein könnte. Allen voran die Traumabindung. Die ist in missbräuchlichen Beziehungen nicht ungewöhnlich, aber das will ich nicht glauben.
Ich halte Liz für eine wachsame und intelligente Frau, sie würde es erkennen und dagegen ankämpfen.
Andererseits … ist sie zurzeit nicht sie selbst und steht vollkommen neben sich.
Ich schüttle den Kopf und spüre O’Briens Blick auf mir, weshalb ich den Kopf von der Scheibe hebe und in den Sitz rutsche. »Was, wenn sie wirklich freiwillig gegangen ist?«
»Also halten Sie es für möglich?«
Ich lasse den Oberkörper nach vorne sinken und schiebe die gespreizten Finger in meine Haare. »Ich weiß es nicht«, wispere ich. »So eine Scheiße …«
Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Sie hat mir selbst erzählt, sie empfinde etwas für diesen Eli.
»Sie sollten sich ausruhen«, sagt er.
»Ja, Sie haben recht.« Ich werde nicht schlafen können, aber es bringt mich auch nicht voran, wenn ich mir in diesem Wagen weiterhin den Kopf zerbreche.
»Ich haben Ihnen ein Zimmer in einem Bed & Breakfast gegenüber Marthas Store hier in Headingley angemietet. Dort können Sie vorerst bleiben.«
pallor mortis
Mein Kopf dröhnt.
Langsam hebe ich die Lider, die so schwer über meinen Augen hängen, als hätte ich sie wochenlang nicht geöffnet. Licht schimmert um mich herum, Staubkörner tanzen hindurch.
Ich hebe den Kopf. Ich will meine Arme bewegen. Immer wieder kämpfe ich gegen den Widerstand an, ehe ich verstehe, dass ich gefesselt bin.
Ein Beben geht durch meinen Körper.
Nach und nach läuft mein Hirn schneller und ich begreife, dass ich auf einem Stuhl sitze. Meine Beine sind an den Stuhl gebunden. Betonwände kesseln mich ein, vor mir steht ein Baustrahler. Ich blinzle gegen das grelle Licht an und erkenne eine geöffnete Tür mir gegenüber. Allerdings erkenne ich dahinter nur eine weitere Betonwand.
Hektisch atmend drehe ich den Kopf, in der Hoffnung irgendetwas zu finden. Irgendetwas, das nicht nach einem Déjà-vu schmeckt.
Neben mir steht ein Tisch, darauf liegen Werkzeuge. Seitenschneider, Stichsäge, Bohrmaschine, Gartenschere … Darüber an der Wand hängen Hunderte Fotos. Bilder, auf denen ich zu sehen bin. Bilder, auf denen Kellan zu sehen ist. Bilder, auf denen der Junge zu sehen ist, der zu einem Monster mutierte.
Immer heftiger zerre ich an den Fesseln, bis der Stuhl hin und her wackelt. Tränen schießen in meine Augen, meine Haut brennt, alles in mir brennt.
Eine Bewegung an der Tür lässt mich erstarren.
Mir wird heiß.
Mir wird kalt.
Mein Kiefer bebt, ich schüttle unablässig den Kopf, denn der Teufel betritt den Raum. »Hallo, Elizabeth.«
Tränen laufen über meine Wangen, doch ich kämpfe gegen meine Angst an und sehe ihm fest in die Augen.
»Hallo, Gabriel«, hauche ich.
Sein emotionsloser Ausdruck verwandelt sich nach und nach in ein Grinsen. Ein garstiges, herablassendes Grinsen.
Mein rasselnder Atem erfüllt die Stille.
Ich schließe die Augen und atme einige Male tief durch, bis das Zittern abebbt. »Erzähl es mir.« Ich umfasse die Stuhllehnen mit den Fingern. Das spröde Holz reibt unangenehm über meine Haut.
Gabriel hockt sich vor mich, legt seine Hände auf meine Knie und lässt die Daumen kreisen. »Du warst unartig, Elizabeth. Das bedeutet, dass ich entscheiden werde, wie du auferstehst.«
Sein rechtes Auge ist noch immer geschwollen und von dunklen, beinahe schwarzen Flecken umgeben. Zwischen Iris und Tränenpunkt ist alles gerötet. Der Schatten der Stoppeln auf seinem Kiefer erinnert an den Bart, den er sich abrasiert hat.
Was mich bei seinem Anblick durchflutet, ist kein Hass, keine Abscheu, es ist Mitgefühl und ein Hauch Verständnis. Hinter dem Monster, das mich garstig angrinst, erkenne ich den hilflosen Jungen, der Angst vor sich und seiner Vergangenheit hat.
»Das Spiel ist zu Ende. Du hast mir gesagt, ich muss herausfinden, wer du bist. Das habe ich. Also habe ich gewonnen.«
Er grinst. »Du glaubst, du hast zu entscheiden, wann ich mit dir fertig bin?«
»Es ist vorbei.« Ob er mir mein Interesse abnimmt?
Er hebt eine Augenbraue.
»Warum hast du mich wirklich aufgesucht?« Er stockt. Das erste Mal entdecke ich etwas Echtes in seinem Ausdruck. Seine Maske verrutscht und zeigt den Mann, der hinter Eli steckt. »Willst du mich wirklich töten?«
Er umfasst meine Knie fester, stößt sich danach ab und geht hinüber zum Tisch. Zielsicher greift er nach einer Gartenschere und lässt sie einige Male zuschnappen. Dabei beobachtet er mich aus dem Augenwinkel.
Er wird mich nicht töten.
Sonst hätte er es längst getan.
»Du willst, dass dich jemand … dass ich dich verstehe. Es wäre leicht für dich gewesen, mich umzubringen«, sage ich.
Endlich weiß ich, worum es geht.
»Stell keine Fragen, deren Antworten du nicht hören möchtest.« Er legt den Seitenschneider neben die Stichsäge und gleitet mit den Fingern am Sägeblatt entlang.
»Ich möchte die Antworten hören.« Ich konzentriere mich auf meine Atmung. Außerdem spanne ich verschiedene Muskelgruppen an, um mich zu beruhigen. »Es ist deine Entscheidung, darüber zu reden. Aber vielleicht kann ich so verstehen.«
Sein breites Kreuz hebt und senkt sich auffällig unter dem karierten Stoff des Hemds. Ich höre seinen schweren Atem. Gabriel ballt die Hände, seine Muskeln vibrieren sichtbar unter seiner Haut. Die Dunkelheit greift nach ihm. »Du hast keine Ahnung«, knurrt er, den Kopf gesenkt, die Fäuste zwischen den Werkzeugen liegend.
»Lass mich dich verstehen.« Er atmet rasselnd ein. »Lass mich dir in deinen Kaninchenbau folgen. Bitte.«
»Was würde es dir bringen?«
»Frag dich lieber, was es dir bringen würde.« Er starrt auf den Tisch. »Es würde dich befreien.«
Gabriel stößt ein kaltes Lachen aus und sieht mich über die Schulter an. »Wovon soll es mich befreien?«
»Von deiner Einsamkeit.« Er klammert sich an die Tischkante, sodass das Holz unter seinem Griff knackt. Sein Blick zuckt wirr über das Werkzeug. »Du weißt, dass ich dir helfen kann, Darling.«
Er stößt ein Brummen aus und verkrampft weiter. Mittlerweile steht er gebeugt vor dem Tisch.
»Gib mir deine Hand, Darling.«
Er greift nach dem Hammer und schleudert ihn in meine Richtung.
Ich schreie.
Der Hammer schlägt hinter mir im Beton auf.
Mit den Metallzacken bleibt er in der Wand stecken. Betonkrümel lösen sich aus der Wand und fallen zu Boden. Mit zusammengebissenen Zähnen kralle ich mich an die Stuhllehnen.
Nach wenigen Sekunden spüre ich ein heftiges Brennen über meiner linken Augenbraue. Etwas Warmes, Flüssiges kriecht an meiner Braue entlang, bahnt sich den Weg über meine Schläfe und die Wange.
»Nenn mich nicht so!«, brüllt er, wodurch alle Luft aus meinen Lungen gepresst wird. »Wage es nicht, mich so zu nennen, du kleine Hure!«
Ich kneife die Augen zu, als er sich vor mir aufbaut und atme ruhig ein und wieder aus. »Wie geht es dir heute, Gabriel?« Meine Stimme bebt, ich unterdrücke die Tränen.
Als ich die Lider hebe, tritt er einen Schritt zurück. Ich kann es nicht nur sehen, sondern auch fühlen, wie ein Großteil der Anspannung von seinen Schultern fällt.
Es ist, als würde sich der Schatten um ihn herum für diesen Moment lichten.
»Das hast du mich früher oft gefragt.«
»Und du hast mir jedes Mal ehrlich geantwortet.« Ich appelliere an den Jungen in ihm. »Wie geht es dir heute?«
Er presst die Lippen zu einem harten Strich, ehe er auf mich zukommt. Er greift in seine Hosentasche, zieht ein Tuch heraus und drückt es gegen meine Schläfe. Mit der anderen Hand umfasst er mein Kinn.
Sanft tupft er meine Haut sauber und richtet seine Aufmerksamkeit auf meine Augen. Finster und doch klar erreicht mich sein Blick, sein Daumen streicht über meine Wange.
»Danke«, sage ich.
Gabriels Brauen zucken. »Es tut mir leid.« Das erste Mal, seit wir uns in Headingley begegnet sind, erreichen seine Worte mich.
Er meint es so, wie er es sagt.
»Mir tut es leid. Das hätte ich nicht sagen dürfen.« Seine Mutter hat ihn oft Darling genannt – natürlich triggere ich ihn mit dem Wort.
»Es wäre eine Lüge, würde ich dir sagen, es ginge mir gut.« Sein Tonfall ist dunkel und trüb. Er wirft das blutgetränkte Tuch auf den Tisch und bleibt von mir abgewandt stehen.