Lilo auf Löwenstein – Ponyzähmen leicht gemacht - Mara Andeck - E-Book

Lilo auf Löwenstein – Ponyzähmen leicht gemacht E-Book

Mara Andeck

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Beschreibung

Lilo und Anni haben auf dem Dachboden von Schloss Löwenstein eine Geheimkammer entdeckt, können aber den Eingang nicht finden. Falls dort ein Schatz liegen sollte, wollen sie den jedoch unbedingt alleine entdecken. Das finden Ben, Helli und David allerdings gar nicht gut. Sie kriegen mit, dass die Mädchen ein Geheimnis vor ihnen haben und setzen alles daran, ihnen auf die Schliche zu kommen. Und sogar Golo, der merkwürdige Enkel des Grafen, ist ihnen auf der Spur und lässt sich einfach nicht abschütteln.
Erst als Golo, der Angst vor Pferden hat, von seinem Großvater ein Pony geschenkt bekommt, ändern sich die Dinge. Denn während die anderen ihm helfen, mit dem widerspenstigen Tier klarzukommen, hat Golo neue Ideen, wie man die Tür zum geheimnisvollen Zimmer finden könnte. Und schnell wird allen klar, dass man gemeinsam am weitesten kommt - und zusammen am meisten Spaß hat!

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Seitenzahl: 187

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Über dieses Buch

Lilo und Anni haben auf dem Dachboden von Schloss Löwenstein eine Geheimkammer entdeckt, können aber den Eingang nicht finden. Falls dort ein Schatz liegen sollte, wollen sie den jedoch unbedingt alleine entdecken. Das finden Ben, Helli und David allerdings gar nicht gut. Sie kriegen mit, dass die Mädchen ein Geheimnis vor ihnen haben und setzen alles daran, ihnen auf die Schliche zu kommen. Und sogar Golo, der merkwürdige Enkel des Grafen, ist ihnen auf der Spur und lässt sich einfach nicht abschütteln. Erst als Golo, der Angst vor Pferden hat, von seinem Großvater ein Pony geschenkt bekommt, ändern sich die Dinge. Denn während die anderen ihm helfen, mit dem widerspenstigen Tier klarzukommen, hat Golo neue Ideen, wie man die Tür zum geheimnisvollen Zimmer finden könnte. Und schnell wird allen klar, dass man gemeinsam am weitesten kommt – und zusammen am meisten Spaß hat!

Über die Autorin

Mara Andeck wurde 1967 geboren. Sie hat Journalismus und Biologie studiert, volontierte beim WDR und arbeitet heute als Wissenschaftsjournalistin. Sie lebt mit ihrem Mann, zwei Töchtern und ihrem Hund in einem kleinen Dorf bei Stuttgart. Wen küss ich und wenn ja, wie viele? ist ihr erstes Jugendbuch, in dem sie die Erfahrungen mit ihren Teenagertöchtern, ihre Begeisterung für Biologie und ihren Spaß an guten und lustigen Geschichten zusammenbringt. Die Fortsetzung ist bereits in Vorbereitung.

Mara Andeck

Ponyzähmen leicht gemacht

Mit Bildern von Eleni Livanios

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2017: by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Götz Rohloff - Die Buchmacher, Köln

Umschlagmotiv und Illustrationen: Eleni Livanios, Graz

eBook-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN 978-3-7325-4881-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Einleitung

Warum wir in einem Schloss wohnen, aber keine Kronen tragen

Knister. Knrps. Krrkkk. Eins, zwei, eins, zwei. Test, Test, Test.

Hallo. Ich bin Lilo. Ich bin elf Jahre alt und wohne in einem Schloss.

Ich bin aber keine Prinzessin oder so was Ähnliches, und ich habe auch keine Krone auf dem Kopf. Ich wohne in diesem Schloss nur so, wie andere Leute in einem Haus wohnen. Der Graf, dem es gehört, vermietet darin Wohnungen, weil er Geld braucht. Und meine Eltern haben eine davon gemietet.

Es ist eine fast normale Wohnung, mit einer Küche, einem Bad und genug Zimmern für unsere Familie. Aber natürlich ist sie nicht ganz normal. Ein paar Sachen sind anders als in einem typischen Wohnhaus.

Die Zimmer im Schloss sind zum Beispiel ziemlich groß, und die Fenster gehen fast vom Boden bis zur Decke. Und die ist ganz schön weit oben, denn Schlösser haben immer sehr hohe Räume. Wenn wir an einer Lampe eine Birne auswechseln wollen, können wir nicht einfach auf einen Stuhl steigen, dann brauchen wir eine Leiter.

Ihr könnt euch bestimmt denken, dass man in einer Schlosswohnung mehr Abenteuer erlebt als in normalen Häusern. Und das ist für mich wichtig. Beruflich, meine ich. Ich will nämlich später mal Abenteuerbücher schreiben, so wie Lavinia Stone. Kennt ihr sie vielleicht? Sie macht Reisen, erforscht die Welt, zähmt Tiere, überlebt Gefahren und schreibt darüber Bücher. Die sind richtig gut, ich habe sie alle schon mindestens hundert Mal gelesen.

Ich verreise fast nie und kann deshalb die Welt leider nur in meiner Nähe erforschen. Aber seit ich im Schloss wohne, passiert da wenigstens auch mal was. Zusammen mit Anni, meiner besten Freundin, habe ich schon echte Abenteuer erlebt. Und wir haben sogar ein Buch darüber geschrieben.

Jetzt fangen wir mit dem nächsten an, denn das mit den Abenteuern hört hier überhaupt nicht mehr auf. Und Anni sagt, wir müssen immer mitschreiben, sonst kommen wir bald nicht mehr nach.

Ehrlich gesagt ist das mit dem Schreiben ganz schön viel Arbeit. Aber wir haben einen Trick. Wir erzählen einfach, was passiert, und das nehmen wir mit unseren Handys auf. So wie ich jetzt gerade. Dann können wir später irgendwann alles abschreiben. Sonst würden wir jetzt schon nicht mehr hinterherkommen.

Das sind übrigens Anni und ich:

Eigentlich heißt Anni ja Angelina Valentina Chevalier. Ihre Mutter mag nämlich Namen, die romantisch und verschnörkelt klingen. Und ihr Nachname ist französisch, man spricht ihn Schöwalieeee aus. Das liegt daran, dass die Familie mal französische Vorfahren hatte.

Aber mit diesem langen Namen rufe ich Anni nur, wenn sie mir mal wieder nicht richtig zuhört. Sie erschrickt dann immer so schön.

Krschlknistermumpkrkkrkniste

Moment mal, das ist Anni, sie will was sagen. Aber sie muss näher an mein Handy ran, sonst hört man sie nicht.

So, jetzt noch mal.

»Hey, das ist fies!«, sagt Anni. »Dann nenn ich dich ab sofort Lisa Lorenz. Und zwar immer, wenn du nicht zuhörst.«

»Igitt. Nee, bloß nicht. Lassen wir es lieber bei Lilo und Anni, oder?«

»Na gut. Wann fängt denn die Geschichte an?«

»Gleich.«

Okay, also, hmmm, wo war ich jetzt? Ach so, ja. Bei Anni. Was könnte ich über sie noch sagen? Ihr habt ja das meiste gerade schon selbst gemerkt: Sie nervt mich gern. Sie widerspricht mir dauernd. Und sie ist ziemlich schlau. Okay, das habt ihr vielleicht noch nicht gemerkt. Sie kann das gut verbergen, hihi.

Autsch! Menno, Anni.

So. Jetzt zu den wirklich wichtigen Themen.

Aua. Anni, hör auf mich zu zwicken!

Ich wollte erzählen, wie das Schloss von innen aussieht. Und wer alles darin wohnt. Dazu mache ich jetzt mit euch eine Schlossführung, so wie in Museumsschlössern. Wir gehen zusammen durch alle Räume, und ich erzähle, was wir da sehen. In Filzpantoffeln, genau wie im Museum.

Natürlich nur in Gedanken. Der Graf würde uns mit seiner Schrotflinte rausjagen, wenn wir das in echt bei ihm tun würden.

Also, hrmhrmhrm.

Liebe Besucherinnen und Besucher. Wir stehen in Gedanken vor Schloss Löwenstein. Ich drehe jetzt den großen Schlüssel um, der in dem alten Schlossportal steckt. Es knarzt und rumpelt, die Tür schwingt auf. Hereinspaziert! Und rein in die Filzpantoffeln!

So. Wir stehen jetzt in der Eingangshalle des Schlosses.

Vorsicht, bitte nicht erschrecken, das da drüben ist kein echter Bär. Oder doch, echt ist er schon, aber er ist seit hundert Jahren ausgestopft. Er hält eine Lampe in der Pfote, und wenn ich diesen Lichtschalter drücke –, tadaaa! –, geht sie an.

Die Marmortreppe dahinten führt hoch zu unserer Wohnung. Aber wir bleiben erst mal unten und wenden uns nach rechts. So, Tür auf, pssst, leise, das sind die Gemächer des Grafen von Löwenstein. Er bewohnt die ganze rechte Schlosshälfte. Achtung, er mag es nicht, dass wir hier sind. Er mag eigentlich überhaupt nicht viel auf dieser Welt. Deswegen gucken wir nur ganz kurz rein. Wir sehen verschnörkelte Möbel. Wir hören tickende, tackende Uhren. Wir riechen jahrhundertealten Staub, der in den Samtvorhängen vor sich hin modert. Und wir fühlen den eisigen Hauch, den griesgrämige Menschen ausströmen. Denn griesgrämig, ja, das ist er, der alte Graf. Und auch sein Enkel Golo, der gerade hier im Schloss zu Besuch ist, ist kein Sonnenschein. Guckt mal, so sehen die beiden aus. Und so sind sie auch:

Brrr! Nichts wie weg! Schnell zurück in die Eingangshalle.

So, puh, erst mal durchatmen.

Und jetzt gehen wir nach links, in die Wohnung der Familie Chevalier.

Heute ist es hier ganz still, keiner ist zu Hause. Zurzeit sind nämlich Sommerferien, und die sind alle am Fluss.

Das ist das Tolle auf Schloss Löwenstein. Wenn man hier wohnt, muss man in den Ferien gar nicht mehr wegfahren. Es gibt alles, was man braucht. Wasser, Wiesen, Wald. Natur, Tiere, viele Kinder. Und gemütliche Zimmer.

So wie hier. Wir sehen uns kurz im Wohnzimmer der Familie um. Alles ist bunt, voll und etwas chaotisch. Aber auch gemütlich.

Und so sehen sie aus, die bunten und etwas chaotischen Leute, die in dieser Wohnung wohnen:

Weiter geht’s. Zurück in die Eingangshalle, von hier aus gehen wir die Marmortreppe hoch.

Links, das ist unsere Wohnung. Stimmt, wir haben nicht sehr viele Möbel. Und alles ist schneeweiß. Das liegt daran, dass meine Eltern das schön finden. Bei uns liegt außerdem nie was rum. Mein Zimmer ist zum Glück nicht so schneeweiß. Und auch nicht so ordentlich. Seht mal, es ist abenteuerlich und gemütlich, und ich habe Palmen und Schlingpflanzen, ein Himmelbett und eine Schatztruhe.

So. Hier mal ein Bild von meiner Familie:

Jetzt gehen wir aus unserer Wohnung zurück ins Treppenhaus und noch eine Treppe höher. Achtung, Baustelle. Diese Wohnung hier links ist noch nicht fertig. Da wohnen bis jetzt nur ein paar Spinnen. Deswegen geht Anni da nicht rein. Sie hat ja vor fast nichts Angst. Aber vor Spinnen ekelt sie sich.

Wenn man jetzt auch noch diese schmale Holztreppe hochsteigt, ist man ganz oben auf dem Dachboden, und hier kann man die kleinste Schlossbewohnerin besuchen.

Miniiiii. Komm mal her, es gibt Fuuuuttter! Miiiniii.

Oh, da sitzt sie. Mini, unser Siebenschläfermädchen…

Mini hat als Baby ihre Mutter verloren und wäre gestorben, wenn Anni und ich sie nicht aufgepäppelt hätten. Jetzt ist sie schon fast groß und muss lernen, wie ein Siebenschläfer zu leben. Das bringen wir ihr gerade auf dem Dachboden bei. Wir haben dort überall Nüsse versteckt, und Mini kann sie finden, wenn sie Hunger hat. Das klappt schon ganz gut.

Okay, jetzt habt ihr das Schloss gesehen. Und alle Bewohner. Aber wir gehen noch nicht runter. Zwei Sachen will ich noch erzählen: Erstens muss ich euch noch jemanden vorstellen, der nicht im Schloss wohnt, aber trotzdem in dieser Geschichte wichtig ist, und das ist David, unser Freund. Er hat bis vor Kurzem noch in Amerika gewohnt. Seine Eltern bringen ihn fast jeden Tag hierher. Weil es einfach schöner ist, wenn er da ist. Wir finden das alle, und David findet es zum Glück auch. Das ist er, mit seinen Eltern:

Und dann muss ich euch noch kurz unser Geheimnis zeigen. Also, echten Besuchern würde ich es natürlich nicht zeigen, weil es geheim ist. Aber bei euch ist das was anderes.

Wir bleiben dazu auf dem Dachboden und gehen hier durch diese Tür in einen dunklen Gang. Wir knipsen das Licht an und sehen – nichts.

Unser Geheimnis ist nämlich seit vielen Jahrhunderten geheim, eben weil man es nicht sieht. Aber Anni und ich, wir haben hinter dieser Wand auf dem Dachboden von Schloss Löwenstein ein geheimes Zimmer entdeckt. Davon haben wir in unserem ersten Buch erzählt.

Leider haben wir bis jetzt keine Tür zu diesem Zimmer gefunden, und deswegen wissen wir auch nicht, was darin ist. Und wir haben große Angst, dass es ein Schatz sein könnte.

Ich weiß, das klingt irgendwie komisch. Normalerweise will ja jeder Mensch gern Schätze finden. Aber in unserem Fall ist das anders, denn wir haben ein Problem. Angenommen, da wäre ein Schatz drin, dann würde er dem Grafen gehören. Ihm gehört ja auch das Schloss samt Dachboden und Geheimzimmer. Aber wenn der Graf den Schatz bekommt, ist er reich und braucht keine Mieter mehr. Dann müssen wir ausziehen und haben alles verloren. Keine Mini mehr, kein Schloss, kein Wald, keine Wiesen, keine Scheune, keinen Fluss und keine Abenteuer. Das wollen wir natürlich nicht.

Als Anni und ich das Zimmer entdeckt haben, war deswegen schnell klar, dass wir es einfach wieder vergessen wollten. Weil es nur Ärger machen würde.

Tja. Aber wer schon mal versucht hat, ein Geheimnis zu vergessen, der weiß, dass das ganz schön schwierig ist.

So, liebe Besucherinnen und Besucher, die Führung durch Schloss Löwenstein ist nun beendet. Bitte vergesst nicht, unsere wundervoll ausgedachten Filzpantoffeln wieder auszuziehen. Und jetzt fängt die Geschichte an!

Kapitel 1

Wir bauen ein Nest

Alles fing an einem Freitag an. In einem großen, hellen Zimmer im Schloss. Das Zimmer befand sich in der Wohnung von Annis Familie, also im Erdgeschoss, und es war leer. Oder genauer gesagt: Es standen keine Möbel drin.

Ganz leer war das Zimmer natürlich nicht, denn schließlich waren wir alle darin, also zwei Familien, insgesamt neun Leute: die Chevaliers mit ihren drei Töchtern, meine Eltern, mein Bruder Ben und ich.

Wir wollten dieses Zimmer einrichten, denn in ein paar Tagen würden die Chevaliers ein Baby bekommen, und das sollte hier wohnen. Nun mussten alle mit anpacken.

Wobei – wir Kinder mussten eigentlich nicht. Aber wir wollten.

Sonnenlicht fiel durch zwei hohe Schlossfenster, der Holzboden leuchtete in einem warmen Goldbraun, und die Wände waren weiß gestrichen wie ein unbeschriebenes Blatt Papier. Ein schönes Zimmer! Ich sah mich um und wurde ganz aufgeregt, als ich mir klarmachte, dass hier bald ein kleines Wesen leben würde, das jetzt noch unsichtbar war. Auf einmal würde es da sein. Wie aus dem Nichts.

Mama schien etwas Ähnliches zu denken. »Bald riecht es hier nach Baby«, murmelte sie.

»Wie riecht Baby?«, fragte ich.

Annis Mutter hatte meine Frage gehört und drehte sich lächelnd zu uns um. »Nach Regenbogen«, sagte sie. »Nach Einhorn. Nach Feenstaub. Nach Neuanfang. Einfach nach Glück.«

Man konnte richtig die Vorfreude spüren, die in der Luft lag. Nur Roderick Chevalier, Annis Vater, stand mit verwirrtem Gesicht in dem ganzen Gewusel und sah aus, als wäre er am falschen Ort. Jetzt richtete er sich zu voller Größe auf und zog seine buschigen Augenbrauen zusammen, als würde er gleich etwas sehr Wichtiges sagen. »Ein Baby braucht ein Bett«, verkündete er und hob den Finger, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Und eine Wickelkommode. Mehr ist nicht notwendig. Es kann ja sowieso am Anfang nur herumliegen und schlafen. Der Rest ergibt sich dann von selbst.« Er nickte zufrieden, als wäre damit alles gesagt.

Doch sofort waren von allen Seiten empörte Protestrufe zu hören. Annis Mutter wirkte geradezu beleidigt. »Nichts ergibt sich von selbst!«, widersprach sie und legte die Hand auf ihren kugelrunden Bauch. »Das denkst du vielleicht. Aber in Wahrheit erschaffen wir hier eine neue Welt für einen kleinen Menschen. Und wenigstens am Anfang sollte es eine Welt sein, die so schön ist, wie die Welt nur irgend sein kann. So haben wir es immer gemacht, bei allen Kindern. Und so machen wir es auch jetzt.«

Roderick Chevalier sah seine Frau zweifelnd an. »Immer? Bei jedem?« Er sah von Helli zu Anni und zuletzt zu Mücke.

Isabell Chevalier nickte energisch. »Immer.«

Auch meine Mutter nickte zustimmend.

Da hob Annis Vater seufzend die Hände und ergab sich in sein Schicksal. Er war ja kein Spielverderber. Nur einfach ein Mensch, der mit Einrichtungsfragen überhaupt nichts am Hut hatte.

Annis Mutter dagegen ist Malerin, sie liebt Farben. »Babys schlafen nicht nur, sie sind auch oft wach«, sagte sie. »Und dann sehen sie sich um und bestaunen die Welt. Ein Baby braucht also bunte, fröhliche Bilder. Und schöne Vorhänge, die sich im Wind bauschen. Und es muss etwas über seinem Bett hängen. Etwas zum Ansehen und Nachdenken. Das macht Babys glücklich und klug.«

»Bilder, Vorhänge, etwas für über das Bett«, murmelte mein Vater und schrieb alles auf ein Papier. Er machte mal wieder eine seiner Listen. »Und was war es noch?«, überlegte er laut. »Ach so, ja. Bett. Wickelkommode.« Er notierte auch das.

»Genau, schöne Bilder sind wichtig«, sagte meine Mutter. »Die wirken toll an den weißen Wänden.«

»Aber die Wände bleiben doch nicht weiß!«, beschwerte sich Helli. »Wir haben immer farbige Wände! Lila würde toll aussehen.«

»Nein, doch nicht Lila!«, widersprach Isabell Chevalier. »Helli, das ist deine Farbe. Dieses Zimmer sollte für jede Sorte Mensch passen. Junge oder Mädchen, zart oder wild, laut oder leise. Wir wissen ja noch nicht, was es wird. Ich schlage vor, wir machen zwei Seiten gelb und die beiden anderen hellgrün. Und die Decke streichen wir vielleicht in einem ganz zarten Orange. Ein Sonnenfrühlingszimmer. Das passt immer.«

»Und wir kleben ganz viele Sticker an die Wand! Mit Tieren drauf!«, quäkte Mücke.

»Gelb? Grün? Orange? Mit Tieren?« Meine Mutter wurde blass. Sie hat ja immer alles gerne schneeweiß, einfach und ordentlich.

»Dann schreiben wir aber den Namen über das Bett. In Lila«, sagte Helli beleidigt.

»Es hat doch noch gar keinen Namen«, brummte Roderick Chevalier.

»Ein Baby braucht Spielsachen«, krähte Mücke jetzt. »Eigene Spielsachen. Damit es keinen Streit gibt.« Sie dachte kurz nach. »Weil, meine Spielsachen gehören ja schon mir.« An ihrem entschlossenen Gesichtsausdruck sah man, wie wichtig es ihr war, dass das auch so blieb.

»Spielsachen sind gut«, sagte Ben. »Am besten solche, die Geräusche machen. Zum Beispiel Tiergeräusche.« Er imitierte das Grunzen von einem Schwein. »Babys finden sowas aufregend. Oder eine Trommel!«

»Geräusche sind oft so laut«, brummte Roderick Chevalier.

»Farbe, Tiersticker, Trommel«, sagte mein Vater und kritzelte hektisch auf seiner Liste herum. »Äh, halt, da fehlt noch was.«

»Spielsachenspielsachenspielsachen«, krähte Mücke und hüpfte auf und ab.

»Es braucht viele aufregende Sachen, damit es immer wieder etwas Neues entdecken kann«, sagte ich. »Vielleicht eine Art Abenteuerspielplatz im Kinderzimmer. Mit Rutsche.«

»Dann braucht es große Kisten, wo man die Sachen aufräumen kann. Damit es ordentlich bleibt«, überlegte meine Mutter.

»Ein Babyzimmer ist doch nicht ordentlich!«, sagte Isabell Chevalier. »Es soll ja viele spannende Sachen zum Anschauen haben und nicht nur Kisten.«

»Langsam! Ich komm nicht mit!«, versuchte Paps sich Gehör zu verschaffen. »Wie ist das jetzt – Kisten oder keine Kisten?«

»Krieg ich auch neues Spielzeug?«, rief Mücke dazwischen.

»Eine Musikanlage«, meinte Helli. »Bestimmt ist es musikalisch.«

»Ein Baby hört doch keine Musik!«, behauptete Anni.

»Tut es wohl!«, schnappte Helli.

»Tut es nicht!«, sagte Anni.

»Es braucht schöne Bücher«, warf ich ein. »Mit Abenteuern drin.«

»Tut es wohl!«, wiederholte Helli.

»Ein Baby liest doch nicht«, brummte Roderick Chevalier.

»Hellgrüne Vorhänge wären toll«, murmelte Isabell.

»Es liest nicht, aber es kann die Bilder ansehen«, sagte ich.

»Ich! Will! Auch! Neue! Spielsachen!«, schrie Mücke.

»Oder doch lieber hellgelbe Vorhänge?«, überlegte Isabell.

»Stopp, was kam vor der Musikanlage?«, fragte mein Vater.

»Nein! Keine Musikanlage!«, protestierte Anni.

»Wohl«, sagte Helli und stampfte mit dem Fuß.

Ich musste lachen. Inzwischen redeten alle wild durcheinander, und keiner hörte dem anderen zu. Es war ein unglaubliches Chaos, trotz Papas Liste. Aber egal. Es war ein schönes Chaos.

Ich hielt mich jetzt raus, weil ich darüber nachdachte, dass Eltern ja wirklich für jedes Baby eine neue Welt erschaffen. Und ich fragte mich, welche Welt und welche Farben ich selbst wohl zuerst gesehen hatte. Aber leider erinnerte ich mich nicht daran. Bestimmt war alles sehr schön gewesen. Wenn auch wohl ziemlich weiß.

Dieses Baby in Isabell Chevaliers Bauch würde sein Leben auf jeden Fall in einem sehr bunten Zimmer beginnen. Und in einem Schloss. Es würde mit vielen Kindern aufwachsen. Vom Kinderwagen aus würde es einen Ententeich, einen Wuschelwald und einen Fluss kennenlernen. Ich fand, ein Schloss und wir alle, das war auf jeden Fall mal ein guter Anfang.

Auf einmal hörten wir ein krachendes Geräusch. Alle kannten dieses Poltern. Das war eindeutig das Schlosstor in der Eingangshalle, das donnernd zufiel. Auf einen Schlag verstummten wir und sahen uns erschrocken an. Diese hohe, hölzerne Eingangstür war riesig und schwer, wertvoll und alt. Man durfte sie nur ehrfurchtsvoll öffnen und schließen, aber niemals zuwerfen. Der Graf hasste das.

»Wir müssen den Kindern wirklich sagen …«, begann mein Vater.

Aber meine Mutter unterbrach ihn. »Die Kinder sind alle hier. Wer um Himmels willen …« Sie ging zu einem der Fenster und sah hinaus. »Oh!«

Jetzt stürzten wir natürlich alle zu den Fenstern und sahen es auch: Derjenige, der das Portal krachend zugeschlagen hatte, stampfte gerade in zackigen Schritten die Eingangstreppe herab und reckte wütend seine Geiernase in die Luft. Es war der Graf höchstpersönlich. Vor ihm lief Golo, sein Neffe, ein dünner Junge mit hochgezogenen Schultern. Er sah fast aus, als würde er vor dem Grafen weglaufen.

Durch das gekippte Fenster konnten wir gut hören, was der Graf brüllte. »Keine Widerrede! Du kommst mit und siehst ihn dir wenigstens mal an.« Der Graf holte Golo ein und stapfte an ihm vorbei zu seinem Auto. Dann stieg er ein und warf die Tür zu.

Golo blieb stehen. Er starrte das Auto an. Sein Gesicht war bleich und wütend.

»Er rennt weg, wetten?«, flüsterte Anni.

»Das wagt er nicht«, meinte Helli.

Der Motor des schwarzen Autos heulte auf.

Da gab Golo sich einen Ruck, ging zu dem Wagen und stieg ein. Erst als ich ausatmete, merkte ich, dass ich eben die Luft angehalten hatte. Der Graf konnte wirklich ziemlich angsteinflößend sein.

Plötzlich war meine verträumte Stimmung wie weggeblasen, und ich sah wieder klar. In unserer Welt gab es leider nicht nur das Schloss und den Wuschelwald und den Fluss. Es gab auch den griesgrämigen Grafen von Löwenstein. Und er wäre sicher froh, wenn er uns loswerden könnte. Wenn er zum Beispiel reich genug werden würde und keine Mieter mehr brauchte, die ihm jeden Monat Geld gaben.

Anni und ich sahen uns an, und wir verstanden uns ohne Worte. Wir durften den Grafen auf gar keinen Fall noch reicher machen! Wir wollten, dass das hier unsere Welt blieb. Dafür wollten wir alles tun. Das bedeutete, dass wir uns auf gar keinen Fall verplappern durften und dass wir unser gefährliches Geheimnis endlich vergessen mussten.

Sobald wir konnten, verdrückten wir uns in mein Zimmer und gingen die Liste durch, die wir geschrieben hatten. Wir hatten uns das bei meinem Vater abgeguckt. Wenn ihm Listen halfen, dann uns vielleicht auch. Deswegen hatten wir Ideen gesammelt, wie wir unsere Erinnerung wenigstens ein bisschen auslöschen konnten.

Es war einfach zu riskant, dass wir immer an unser Geheimnis dachten. Denn wenn etwas in unseren Gedanken war, redeten wir automatisch auch darüber. So waren wir eben. Und die Gefahr, dass uns dabei jemand belauschte, war viel zu groß. Also musste das Geheimzimmer raus aus unserem Kopf.

Leider war unsere Liste nicht sehr ermutigend. Wir hatten sie nämlich schon fast abgehakt, und bis jetzt hatte nichts geklappt.

Was man tun kann, um ein Geheimnis zu vergessen:

Nie wieder drüber reden

Schaffen wir nicht

sich auf was anderes konzentrieren

Hat auch nicht geklappt

Zum Beispiel aufs Spielen

Geht nicht

Oder auf einen Film

Pffff!

Oder auf ein Buch

Und das schon gar nicht

Man kann auch schlafen, dadurch rückt alles mehr in den Hintergrund

Wer behauptet so was?

Und wenn man vor Aufregung nicht schlafen kann, muss man eben Sport machen, bis man müde ist

Eher bis man tot umfällt

Und wenn man das Geheimnis dann immer noch nicht vergessen hat, kann man es auch mit exotischen Tricks versuchen. Indischen zum Beispiel

Tja. Versuchen wir’s

Das ist unsere letzte Chance!

Kapitel 2

Wie wir versuchten, unser Geheimnis zu vergessen

Ben stieß mit Schwung meine Zimmertür auf. Was blöd war, denn ich saß direkt dahinter.