Love Songs in London – It's raining love - Tonia Krüger - E-Book
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Love Songs in London – It's raining love E-Book

Tonia Krüger

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Beschreibung

Was, wenn dich die Liebe völlig unvorbereitet trifft? Als Tänzerin hat Corie es geschafft. Die Branche ist jedoch hart. Und seit einer Situation, in der ihr Tanzpartner Landon sie körperlich bedrängt hat, fühlt sie sich auf der Bühne nicht mehr wohl und versucht, jede Art der Berührung zu vermeiden. Als sie eines Tages dem Musiker und YouTube-Star Matt begegnet, scheint er ihr die perfekte Gelegenheit zu bieten, eine Pause von ihrem Job einzulegen. Denn er hat einen Plattenvertrag unterschrieben und sucht jemanden, der ihn bei der Choreografie für ein Musikvideo unterstützt. Corie willigt ein. Und mit jedem Treffen, mit jeder Probe fühlen die beiden sich stärker zueinander hingezogen. Dennoch weicht Corie immer wieder vor körperlicher Nähe zurück. Und Matt muss sich jetzt eigentlich ganz auf seine Karriere konzentrieren. Das machen ihm auch sein Vater und sein Manager klar ... - Zwei, die sich lieben, aber vor einer echten Beziehung zurückschrecken  - Setting: die hippe Musik- und Tanzszene des Londoner Westend  Alle Bücher der ›Love Songs in London‹-Reihe:  Band 1: All I (don't) want for Christmas Band 2: Here comes my Sun Band 3: Dancing on Sunshine Band 4: It's raining Love Die Bände sind unabhängig voneinander lesbar. Die Reihe ist abgeschlossen.

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Seitenzahl: 544

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Über das Buch

Was, wenn dich die Liebe völlig unvorbereitet trifft?

 

Als Tänzerin hat Corie es geschafft. Die Branche ist jedoch hart. Und seit einer Situation, in der ihr Tanzpartner Landon sie körperlich bedrängt hat, fühlt sie sich auf der Bühne nicht mehr wohl und versucht, jede Art der Berührung zu vermeiden. Als sie eines Tages dem Musiker und YouTube-Star Matt begegnet, scheint er ihr die perfekte Gelegenheit zu bieten, eine Pause von ihrem Job einzulegen. Denn er hat einen Plattenvertrag unterschrieben und sucht jemanden, der ihn bei der Choreografie für ein Musikvideo unterstützt. Corie willigt ein. Und mit jedem Treffen, mit jeder Probe fühlen die beiden sich stärker zueinander hingezogen. Dennoch weicht Corie immer wieder vor körperlicher Nähe zurück. Und Matt muss sich jetzt eigentlich ganz auf seine Karriere konzentrieren. Das machen ihm auch sein Vater und sein Manager klar. Hat ihre Liebe trotzdem eine Chance?

 

Eine London-Romance mit wunderbar romantischer Herbststimmung

 

 

Von Tonia Krüger ist bei dtv außerdem lieferbar:

Love Songs in London – All I (don’t) want for Christmas (Band 1)

Love Songs in London – Here comes my Sun (Band 2)

Love Songs in London – Dancing on Sunshine (Band 3)

Tonia Krüger

Love Songs in London

It’s raining Love

Band 4

Roman

Kapitel 1

Der Wind pustet mir stürmisch entgegen. Vor etwa zwei Wochen war er noch eine harmlose Brise – mild und fast sommerlich. Jetzt haben sich die Temperaturen merklich abgekühlt und er fegt mit herbstlichem Übermut durch die Straßen von Covent Garden. Schon als ich die Tube Station verlasse, weht er mir Musik entgegen. Das allein ist hier in der Gegend nichts Ungewöhnliches. An jeder Straßenecke versuchen Straßenkünstlerinnen und -künstler die Leute mit ihren Darbietungen zu fesseln. Dass ein Musikstück ausklingt und derart lauter, lang anhaltender Applaus aufbrandet, ist allerdings selten.

Obwohl ich spät dran bin, sehe ich mich neugierig um, während ich den Weg Richtung Fanfare Theatre einschlage. Das Warm-up darf ich auf keinen Fall verpassen. Und da ich mich noch umziehen muss, sollte ich in spätestens zwanzig Minuten an meinem Platz sein. Allerdings ist das heute meine vorerst letzte Vorstellung. Der innere Widerstand, den ich bereits seit einigen Wochen auf dem Weg zur Arbeit spüre, hat sich heute noch unnachgiebiger in mir aufgebaut. Meine Muskulatur ist verspannt. Alles in mir fühlt sich steif an. Keine Ahnung, wie ich meine Performance heute meistern soll. Die Ablenkung hier ist also mehr als willkommen.

Lange muss ich nicht Ausschau halten. Das Gedränge in der Fußgängerzone rund um die Markthallen von Covent Garden ist so dicht, dass ich überhaupt nicht weiterkomme. Langsam werde ich nervös. Derart überfüllt habe ich die Gegend noch nie erlebt. Ich muss mich Entschuldigungen murmelnd zwischen den anderen Menschen hindurchmanövrieren, mich an vollen Taschen vorbeiquetschen, mich mühsam in engste Freiräume drängen. Auf diese Weise werde ich es niemals rechtzeitig zum Warm-up schaffen. Aber die Musik … Inzwischen hat der Sänger einen neuen Song angestimmt, den ich sofort erkenne.

Anfang des Jahres ist er überraschend zum Radioerfolg geworden: ›Just Me Loving You‹. Obwohl ich nicht behaupten kann, jemals in irgendjemanden so verliebt gewesen zu sein wie in meine Arbeit, hat mich der Song berührt. Und zwar vor allem wegen der Stimme des Sängers. Irgendwie schafft er es, seinen Gesang lässig und spontan klingen zu lassen, obwohl er mit jedem klaren Ton und jeder Nuance von Weichheit oder Rauheit, mit seinem Druck und jedem Bruch den richtigen Moment erwischt. Das ist genau die Art von intuitivem Perfektionismus, den ich beim Tanzen erlebe. Erlebt habe. Bevor … Ich weiß auch nicht … irgendwie alles anders wurde.

Der Sänger steht vor dem Royal Opera House, wo die Straße im rechten Winkel abknickt und sich die Leute besonders dicht drängen. Ich kämpfe mich vorwärts und je näher ich dem Sänger komme, desto klarer höre ich seine Stimme. Langsam wird mir bewusst, dass diese Performance kein Cover sein kann. Seine Stimme geht mir direkt unter die Haut. Die Worte, die Melodie, die Gitarrenklänge scheinen gar nicht den Umweg über meine Ohren zu nehmen. Ist er das etwa selbst?

Meine Neugier lenkt meine Schritte unwillkürlich vom direktesten Weg durchs Gedränge ab. Ich mache mich so dünn wie möglich und schlängle mich zwischen den Leuten hindurch, bis ich ganz plötzlich fast direkt vor dem Sänger stehe.

Hinter mir höre ich zwar eine unterdrückte Beschwerde, aber ich bin schlagartig gefangen von seinem Anblick. Er ist so versunken in seine Musik, als merke er gar nicht, was um ihn herum los ist. Er steht allein in einem kleinen frei gelassenen Rund – neben ihm ein Verstärker, vor ihm ein Mikrofon. Er singt mit geschlossenen Augen und begleitet sich dabei auf der Gitarre, als stünde er zu Hause in seinem Zimmer und sänge nur für sich selbst. Fasziniert beobachte ich ihn. Diese Musik … die gehört nur ihm. Umso besonderer fühlt es sich an, dass er mich daran teilhaben lässt. Gut, mich und Hunderte anderer Leute.

Der Sänger trägt eine grau karierte Jacke im Lumber-Jacket-Stil. Darüber verläuft ein breiter Gitarrengurt mit einem Muster in Schwarz, Türkis und Gold. Der Wind fährt ihm durch seine kurzen sandfarbenen Locken. Er sieht so jung aus. Er kann auf keinen Fall älter als ich sein, maximal Anfang zwanzig. Was mich überrascht. Denn seine Musik klingt, als hätte er jedes Gefühl schon einmal gefühlt. I won’t wait, and I won’t pray. Happiness has found its way. I lay it all open, though: To me you feel like home.

Der Song hebt mich von den Füßen und trägt mich mit sich fort wie eine sanfte Welle. Auch meine Augen schließen sich. Ich fühle seine Stimme in meinen Nervenenden, die Melodie in meinen Zellen. Meine Muskeln werden weicher.

You’re the sun coming up in my heart. You’re the light of day in the dark. In any kind of rain or storm, you could keep me warm.

Ich seufze unhörbar. Einen kurzen Moment lang fühlt sich alles wieder leicht an: die Musik in meinen Adern, mein Herzschlag im Rhythmus, die Bewegungen, die einfach fließen würden, wenn ich nachgeben könnte. Wie lange habe ich das nicht gefühlt? Diesen inneren Drang, mich zu bewegen – ganz natürlich, ganz einfach aus mir heraus?

Die Worte werden mühelos zu Bildern in meinem Kopf. Fast wäre ich noch tiefer in dieses Gefühl gefallen. Doch die letzte Strophe endet und wird von aufbrausendem Beifall abgelöst. Schlagartig kehrt die Anspannung in meinen Körper zurück. Ich öffne die Augen, zucke unwillkürlich zusammen.

Er sieht mich an.

Sieht er mich an? Oder sieht er nur in meine Richtung, während Zuhörende ihn umringen, um sich Autogramme geben zu lassen? Einen Moment lang schaue ich in seine Augen – so blau wie der wolkenlose Herbsthimmel. Unwillkürlich lächle ich ihm zu. Ich glaube nicht, dass er es bewusst zur Kenntnis nimmt. Schließlich bin ich nur eine Zuschauerin in seinem aufgeregten Publikum. Aber das ist egal. Er hat mir für einen kurzen Moment so etwas wie Frieden geschenkt.

Gerade als ich mich abwende, kommt Bewegung in die Menge. Polizisten drängen sich von zwei Seiten durch die Umstehenden. Ich höre, wie die Leute laut aufgefordert werden, die Straßenecke zu räumen.

»Das geht so nicht.« Noch einmal sehe ich über die Schulter, als eine Polizeibeamtin mit raschen Schritten durch die sich lichtende Menge auf den jungen Sänger zuhält. »Als Straßenmusiker sind Sie dafür verantwortlich, zu große Menschenansammlungen zu verhindern. Die Durchgangswege müssen zu jeder Zeit frei bleiben.«

Unbeeindruckt grinst er sie an. »Schon gut, ich verschwinde.« Er geht in die Knie – wahrscheinlich, um seine Gitarre zu verstauen –, sodass ich ihn nicht länger sehen kann.

»Auf keinen Fall. Ich nehme jetzt erst mal Ihre Personalien auf und Sie sorgen hier für Ordnung. Zeigen Sie mir bitte Ihre Zulassung.« Noch immer versuchen Umstehende, ein Autogramm zu ergattern, statt den Platz zu räumen. »Nicht hier und nicht jetzt. Gehen Sie bitte weiter.« Mit abwehrend erhobenen Armen tritt die Polizistin ihnen entgegen. Ihre Kollegen haben mittlerweile dafür gesorgt, dass sich die Leute weiter hinten zerstreuen.

Erleichtert laufe ich los. Wenn ich noch eine Chance haben will, halbwegs rechtzeitig zum Warm-up zu erscheinen, muss ich jetzt rennen. Ich biege in die Southampton Street ein und eile über den Gehweg, erinnere mich flüchtig an die ersten Male, die ich meinen Arbeitsweg hier entlang zurücklegte – voller Euphorie und Enthusiasmus. Darüber, dass ich es geschafft habe! Viel früher als erhofft. Doch jetzt habe ich keinen Blick für das Herbstlicht, das von den hellen Sandsteinquadern der Gebäude mit ihren Arkaden und eleganten Linien reflektiert wird. Oder für den leuchtend roten Backstein. Der Wind reißt an den sich gelb färbenden Blättern der Platanen am Straßenrand. Tief atme ich die frische, kühle Luft ein, weiche zwei mir entgegenkommenden Frauen aus, umrunde einen roten Briefkasten auf dem Gehweg und will an der Einmündung der Tavistock Street vorbeihasten – da stoße ich so heftig mit jemandem zusammen, dass ich einen Aufschrei, halb vor Schreck, halb vor Schmerz, nicht unterdrücken kann. Ich taumle rückwärts. Auch der Crash-Beteiligte kann sich kaum auf den Füßen halten. Er stolpert vorwärts und kann gerade noch verhindern, zu Boden zu gehen.

Mit einem unterdrückten Fluch halte ich mir meine schmerzende Schulter, die mir öfter Probleme macht, und bewege vorsichtig mein Knie, mit dem ich gegen irgendeinen äußerst harten Gegenstand gerammt bin.

»Oh nein, sorry. Bist du okay?«

Erst jetzt blicke ich auf. Er ist es: der Sänger. Auf seinem Rücken trägt er den Gitarrenkoffer, der für meinen Schulterschmerz verantwortlich sein muss. In der Hand hat er den tragbaren Verstärker, mit dem mein Knie Bekanntschaft gemacht haben dürfte.

»Ich fühle mich, als wäre ich von einer Lok überrollt worden«, gebe ich zurück und bewege vorsichtig die Schulter im Gelenk. »Du hattest ganz schön Tempo drauf.«

»Tut mir echt leid.« Er sieht sich kurz um und stellt sein Equipment ab. »Ich habe es supereilig.«

Sein zerknirschter Gesichtsausdruck bringt mich zum Grinsen. »Bist du etwa einfach abgehauen?«

»Logisch.« Seine himmelblauen Augen blitzen auf, als er lächelt. »Ich hatte nicht mal eine Genehmigung, da zu spielen. Die ist vor mehreren Wochen abgelaufen.«

»Wahrscheinlich ist sowieso allen am meisten geholfen, wenn du dich unsichtbar machst«, gebe ich ihm recht. »Dann hat niemand mehr Grund, an der Straßenecke stehen zu bleiben.«

Sein Lächeln wird noch breiter. Eine Windböe wirbelt ihm die Locken durcheinander. Aus der Nähe fällt mir auf, dass er zahllose Sommersprossen hat, die sich über seine Nase streuen. »Ich habe dich gesehen. Du hast mir zugehört.«

Kurz bin ich irritiert. »Stimmt.«

»Du hattest die Augen zu.« Sein Blick fliegt über mein Gesicht. »Hat dir der Song gefallen?«

Ärgerlicherweise spüre ich Hitze in meine Wangen steigen. Garantiert werde ich rot. Großartig! Ich kann auf der Bühne mein Innerstes nach außen kehren, aber sobald es nicht ums Tanzen geht – das Einzige, womit ich mich wirklich auskenne –, ist es viel zu leicht, mich in Verlegenheit zu bringen. »Ja, schon.« Vorsichtig drehe ich erneut meine Schulter und stelle erleichtert fest, dass der Schmerz nachlässt.

»Das habe ich gespürt. Vielleicht sind wir deshalb zusammengestoßen: Die Anziehungskraft ist zu groß.«

Ich hebe die Augenbrauen. Keine Ahnung, ob ich über seine Bemerkung lachen oder einen noch heißeren Kopf kriegen soll. »Oder es lag daran, dass du einfach nicht richtig geguckt hast?« Kam das jetzt zu spröde rüber? Er wirkt eigentlich sehr nett. Aber ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie ich mit seinen wirklich quietschblauen Augen umgehen soll. Die lösen so etwas wie ein Kribbeln in meinen Nervenenden aus und … Na ja, mit Flirtereien habe ich keine sonderlich guten Erfahrungen gemacht. Also lieber schleunigst raus aus der Situation. »Sorry, aber eigentlich habe ich es auch supereilig. Ich muss dringend weiter.«

»Arbeitest du hier in der Gegend?« Kurz lässt er den Blick über die hoch aufstrebenden Fassaden wandern. Nur wenige Schritte hinter ihm erhebt sich der quaderförmige Komplex des Fanfare. Mit den Säulen vor dem Eingang und den Reklametafeln, die unsere aktuelle Produktion bewerben, hat der Anblick bis vor ein paar Monaten jedes Mal mein Herz zum Klopfen gebracht. Jetzt kann ich es kaum erwarten, diesem Ort den Rücken zu kehren.

Ein Seufzen entweicht mir. »Ja. Und ich bin leider viel zu spät dran.«

»Du bist Matt Harrison, oder? Können wir ein Foto machen?« Drei Mädchen um die fünfzehn oder sechzehn Jahre haben sich ihm mit gezückten Smartphones genähert.

»Äh, klar.« Er wirft mir einen entschuldigenden Blick zu und ich nutze die Gelegenheit.

»Mach’s gut.« Rasch schiebe ich mich an ihm und den Mädchen vorbei. Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, dass noch mehr Passanten auf den Sänger aufmerksam werden. Matt Harrison. Stimmt! Ich erinnere mich, den Namen schon gehört zu haben. Warum hat er eigentlich geglaubt, er könne auf der Straße Musik machen, ohne Chaos zu verursachen, wenn er so bekannt ist?

Kurz schüttle ich den Kopf, als ich fast am Bühneneingang vorbeilaufe. Ich muss mich jetzt auf genau zwei Dinge konzentrieren: auf mich und die Rolle, die ich gleich zum vorerst letzten Mal spielen werde.

»Hey, warte mal!«

Ich drehe mich um und nehme überrascht zur Kenntnis, dass Matt schon wieder mit überhöhtem Tempo auf mich zugelaufen kommt. »Muss ich in Deckung gehen?«

Grinsend kommt er vor mir zum Stehen. »Ich kann noch bremsen.«

»Ein Glück!«

»Ich habe mich gefragt …« Er sieht sich ein wenig atemlos um und kommt mir noch einen Schritt näher. Ich spüre seine Nähe wie Hitze auf der Haut. Unwillkürlich weiche ich zurück. »Ich habe mich gefragt, ob ich einen Moment lang bei dir untertauchen könnte?«

Ungläubig lache ich auf. »Untertauchen?«

»Na, ich dachte, wenn du hier irgendwo arbeitest, hast du vielleicht ein Büro?« Unsicher wandert sein Blick an der Fassade des Fanfare empor und fliegt über die Reklamen für ›A Midsummer Night’s Dream – The Musical‹.

»Machst du mit mir auch ganz kurz ein Foto?« Eine Frau in unserem Alter wirft bereits den Arm um Matt, ohne seine Reaktion abzuwarten. Ihr Telefon drückt sie mir in die Hand und legt ihren Kopf an seine Schulter. »Ich liebe deine Musik«, sagt sie gleichzeitig. »Ich weiß schon, welcher Song mal auf meiner Hochzeit gespielt werden soll. ›Aura of Gold‹. Hast du den eigentlich für die Frau geschrieben, mit der du letzten Winter ein paar Bilder gepostet hast? Ist sie auch die Frau aus ›Just Me Loving You‹?«

Matt und ich werden relativ hilflos von ihrem Redestrom überflutet.

»Ähm«, sagt Matt, als sie ihn erwartungsvoll ansieht. »›Aura of Gold‹ habe ich für eine Freundin geschrieben.«

»Ist das gar kein Liebeslied?«

Mit einem großzügigen Lächeln hebt er die Schultern. »Ich schätze, es ist, was immer du darin hörst. Das ist der ganz besondere Zauber von Musik.« Sein hoffnungsvoller Blick trifft mich. Auf dem Gehweg sind noch mehr Leute stehen geblieben. Gerade in der Nähe des Bühneneingangs halten eh viele nach bekannten Gesichtern Ausschau, daher ist das hier wohl kein guter Aufenthaltsort für Matt. Mich packt das Mitleid.

»Na gut, komm mit.« Ich halte ihm die Tür auf und er drängt sich mit seiner Gitarre und seinem Verstärker an mir vorbei in den Vorraum.

»Entschuldigung, kann ich dir helfen?«, höre ich die Türsteherinnenstimme unserer Gebäudeorganisatorin von drinnen. Was sie damit eigentlich sagt, ist: Wenn du keine sehr gute Begründung hast, hier reinzukommen, beweg deinen Hintern schleunigst wieder raus, ehe ich dir einen Tritt hinein verpasse.

»Er ist mit mir hier.« Rasch ziehe ich die Tür hinter mir zu und atme den staubigen Geruch des dünnen braunen Bodenbelags ein. Alles im Fanfare ist grandios: die dicken roten Teppiche, das Gold an den Türrahmen, in den Ornamenten an den Wänden, den Decken und den üppig dekorierten Balkonen. Das gilt allerdings nicht für die Backstage-Bereiche. Matt sieht sich jedenfalls nicht sonderlich beeindruckt um.

»Corie! Du bist spät dran. Das Warm-up beginnt in weniger als fünf Minuten.« Unsere Organisatorin mustert mich über den Rand ihrer Brille hinweg und reicht mir bereits meinen Garderobenschlüssel hinter ihrem schmucklosen Empfang herüber.

»Ich weiß. Draußen gab es so eine Art … Stau.«

»Aha. Ich hoffe, er hält dich nicht davon ab, dich schleunigst zum Warm-up zu beamen.« Sie deutet auf Matt.

»Keine Sorge, er ist nur ein … ein Freund.« Das Warm-up zu verpassen gehört zu den Dingen, die man einfach nicht tut. Grundsätzlich nicht – nicht hier im West End. Das ist Gesetz. Ich winke Matt, mir zu folgen, und haste eine schmale Treppe abwärts. »Entschuldige. Ich wollte nicht übergriffig sein. Ich weiß, dass wir uns nicht kennen. Ich musste sagen, du seist ein Freund, sonst wärst du hochkant wieder rausgeflogen.«

»Da wäre ich wohl noch gut bei weggekommen. Ich dachte ehrlich gesagt, diese Frau würde mich mit einem einzigen Blick in Stein verwandeln«, entgegnet Matt. »Außerdem bin ich ja derjenige, der dich in Schwierigkeiten bringt. Wenn ich also jetzt den Nur-ein-Freund-Stempel von dir bekommen habe, ist das zwar schade, aber ich werde es überleben.«

Über die Schulter sehe ich ihn an und verdrehe die Augen. Sein Grinsen bringt mich aber doch zum Lachen. Anscheinend ist es seine Art, ständig einen Spruch parat zu haben. Dass er gerne flirtet, ist auch offensichtlich. Nur wird er da in mir keine Mitspielerin finden.

»Es gibt weitaus Schlimmeres als den Nur-ein-Freund-Stempel.« Spöttisch lächle ich ihn an. »Zum Beispiel den Ich-überlasse-dich-auf-der-Straße-deinem-Schicksal-Stempel. Also benimm dich lieber.«

»Schon gut.« Beschwichtigend hebt er seine freie Hand, während ich den Schlüssel ins Schloss meiner Garderobe stecke. A Midsummer Night’s Dream – Miss Corie Michaels steht auf einem Blatt einfachem Kopierpapier, das an der Tür befestigt ist. Drinnen werfe ich meine gemütliche Jacke aus Alpaka-Wollwalk auf die Liege an der Zimmerwand und schleudere meine Straßenschuhe von den Füßen. Zum Umziehen habe ich keine Zeit mehr. Meine übliche Garderobe aus einer Jogginghose mit engen Bündchen an den Knöcheln und einem T-Shirt muss jetzt reichen.

»Mach es dir bequem, aber bring nichts durcheinander, okay? Ich gehöre zu den Beginners und muss zur ersten Szene auf der Bühne sein.«

Matt steht etwas verloren mitten in meiner Garderobe. Der Raum ist nicht groß. Zwischen der Liege, den Kostümen auf einer Stange an der Wand und meinem Schminktisch mit den zahllosen Fläschchen, Tiegeln, Tuben und Dosen hat er wenig Platz – vor allem mit seinem Gitarrenkoffer auf dem Rücken und dem tragbaren Verstärker in der Hand. »Shit, du musst auf die Bühne?«

Ich muss lachen. »Was hast du denn gedacht, was ich um diese Zeit in einem Musical-Theater mache?«

Er lächelt ertappt. »Ehrlich gesagt habe ich gar nichts gedacht.«

Wahrscheinlich habe ich das auch nicht. Denn wie ich mich umziehen soll, während Matt mir dabei zusieht, habe ich mir noch nicht überlegt. Aber auch jetzt bleibt mir dafür keine Zeit.

Ich stürme aus meiner Garderobe und lege die schmalen Gänge entlang einen Sprint hin. Matt Harrison sitzt in meiner Umkleide! So ganz ist diese Information noch nicht in meinem Kopf angekommen. Dafür ist der noch immer erfüllt von der Erinnerung an seinen Song: You’re the sun coming up in my heart. You’re the light of day in the dark.

Und das ist auch gut so. Denn Licht im Herzen kann ich gerade echt gebrauchen. An diesem Ort noch mehr als sonst.

Kapitel 2

Der Applaus ist eine nicht enden wollende Welle, das Trampeln der Füße ein unregelmäßiger dumpfer Bass. Dazwischen schrillen Pfiffe. Der Vorhang hat sich ein letztes Mal geöffnet. Noch einmal läuft der Haupt-Cast auf die Bühne, die Hände miteinander verschränkt. Mein Körper brennt. Das Gefühl ist so stark, dass ich nichts sonst empfinde. Nicht die Euphorie, die sich gerade anfangs immer einstellte, wenn der Schlussapplaus aufbrandete. Nicht das Echo der Emotionen aus der letzten Szene. Nicht die zufriedene Erschöpfung, die sich langsam einschlich, während ich mir meines eigenen Körpers wieder bewusst wurde.

Ich blinzle gegen das grelle Scheinwerferlicht. Sieht mein Lächeln echt aus? Mein Körper nimmt die vertraute Pose ein: Beine gestreckt, leicht überkreuzt, Arme nach oben. Dann sinke ich in eine tiefe Verbeugung. Zwischen dem Darsteller des Puck auf meiner linken Seite und meinem Partner Landon auf meiner rechten fühle ich mich gefesselt. Quetscht Landon mir wirklich so die Hand zusammen oder bilde ich mir das nur ein? Jetzt, da ich nicht mehr in der Rolle der Hermia bin, fällt es mir noch schwerer, dem Widerstand in meinem Körper nicht nachzugeben und mich daran zu hindern, die Flucht zu ergreifen. Ich will nicht mehr hier sein.

Dabei war das hier mein großer Traum. Ich dachte, ich könnte nur glücklich werden, wenn ich es auf eine der großen Bühnen schaffe. Doch jetzt bin ich vor allem eins nicht: glücklich. Etwas nagt an mir. Beständig. Ich fühle mich, als hätte ich mich selbst betrogen. Und das, obwohl das hier seit meiner Kindheit mein Leben war: die erwartungsvolle Stille im Publikum und der tosende Applaus. Die aufgeregte Herzlichkeit der Mitwirkenden während der Shows und die gnadenlosen Ellenbogen in den Castings und Auditions. Der Geruch von Fettschminke, Puder, Schweiß und Antimottenmittel genauso wie der ständige Körperkontakt in der Maske, in der Garderobe, im Training und auf der Bühne. Aber genau den halte ich nicht mehr aus. Ein nicht unerhebliches Problem für eine Tänzerin und Musical-Darstellerin.

Ich denke an Matt – wie er mir zugesehen hat, während ich mich nach dem Warm-up für meine Rolle geschminkt habe. Immer wieder sind meine Blicke im Spiegel seinen begegnet. Für mich ist es Routine, Schicht für Schicht mein Erscheinungsbild zu ändern, mein Gesicht zu dem einer anderen zu machen. Er aber hat mich fasziniert beobachtet, als wäre es Zauberei – wie seine Musik. Aber das ist es nicht. Mein Tanz hat mir nie so gehört wie ihm seine Songs.

Unwillkürlich denke ich daran, wie er mir geholfen hat, die Mikrofone anzubringen. Seine Berührungen waren beiläufig, aber mir übermäßig bewusst – so wie jeder einzelne Griff, wenn ich mit Landon tanzen muss.

Ich versuche, die anderen loszulassen, aber Landon hält mich fest. Obwohl mein Körper biegsam und kraftvoll ist wie immer, fühle ich ihn kaum. Er scheint nicht mehr mir zu gehören, ist mir fremd geworden.

Weder dem Bühnenmanager noch der Choreografie-Assistentin ist das lange verborgen geblieben. Schließlich kam die erste Interview-Anfrage vom Magazin ›The Stage‹. Ich konnte mir denken, worum es ging: Was ist los mit Corie Michaels? Beginnt der Stern des West-End-Wunderkindes bereits zu sinken? Nach den ersten großen Rollen, nach den ersten Preisen lassen ihre Leistungen rapide nach.

Ich habe schon die Überschrift über dem Artikel vor mir gesehen – ein Zitat aus dem Sommernachtstraum: »Warum so blass die Wange? Wie sind die Rosen dort so schnell verwelkt?«

In meinen Ohren rauscht es. Nicht nur der Applaus, sondern auch die in mir anschwellende Verzweiflung ist schuld daran. Landon greift meine Hand für die letzte – diesmal aber wirklich letzte – Verbeugung fester, aber jetzt ziehe ich sie entschlossener zurück. Ohne ihn anzusehen, wirble ich herum und fliehe von der Bühne.

»Corie, warte!« Als Landon mich ruft, beschleunige ich meine Schritte. Er hat mir schon während des Warm-ups zugeraunt, dass er nach der Show dringend mit mir reden wolle. Ich kann mir denken, warum. Als ich vor einem Jahr anfing, die Hermia zu spielen, ist ein Traum für mich wahr geworden. Jetzt haben alle anderen Hauptrollen ihre Verträge verlängert, während ich mir einen Aufschub erbeten habe. Für die nächsten zwei Monate wird eine Understudy meine Rolle übernehmen. Für sie eine riesige Chance. Wer weiß … Vielleicht wollen sie am Ende gar nicht, dass ich zurückkomme. Vielleicht schaufele ich meiner Karriere gerade ihr Grab. Landon wird die Gerüchte jedenfalls gehört haben.

Backstage ist es trubelig. Die Ensemble-Mitglieder finden ihre Plätze in den Umkleiden vor den erleuchteten Spiegeln, um sich abzuschminken. Kostüme werden wegsortiert oder zum Ausbessern beiseitegeräumt. Taschen werden gepackt, Handys gesucht. Die Ersten verabschieden sich bereits. Nach dem anstrengenden Arbeitstag wollen die meisten schnell nach Hause. In einer halben Stunde wird es hier schon deutlich leerer sein.

»Corie, verdammt! Bleib stehen.« Landon ist immer noch hinter mir. Ich lächle und winke in Richtung zweier Kolleginnen, die etwas zu mir gesagt haben, ohne dass ich verstanden habe, was. Dann laufe ich eine Treppe nach oben, öffne meine Garderobentür und schlage sie mit Nachdruck hinter mir zu, ehe Landon mich erreichen kann.

»Hi.«

Heftig zucke ich zusammen. »Was machst du denn noch hier?« Mein Herz schlägt hart gegen meine Rippenbögen. Matt sitzt an meinem Schminktisch – vor ihm die aufgeschlagenen Seiten eines vollgekritzelten Notizheftes.

»Sorry, ich wollte eigentlich schon weg sein.« Ungezwungen lächelt er mich an.

»Ich dachte, das wärst du längst.« Ich drücke mir beide Hände auf den Brustkorb, weil mein Herz so unangenehm schnell schlägt. »Vorhin in der Pause warst du nicht mehr hier.«

»Ich wollte gehen, aber dann bin ich bemerkt worden. Und als ich sagte, ich sei ein Freund von dir, wurde mir ein Platz über der Bühne gezeigt, von wo aus ich dir zusehen konnte.«

»Du hast mir zugesehen?« Schon wieder werden meine Wangen warm. Warum eigentlich? Die Show heute Abend war nahezu ausverkauft. Anderthalbtausend Leute haben mir zugeschaut.

»Corie?« Landon hämmert von draußen gegen die Tür. Es klingt, als würde das Holz jeden Moment bersten. Erschrocken weiche ich zurück. »Corie, wir müssen reden.«

»Alles in Ordnung?« Matt beobachtet mich mit gerunzelter Stirn.

»Ja, es ist nur …« Seufzend breche ich ab. Ich habe keine Kraft mehr, irgendjemandem etwas vorzumachen. Genau deshalb brauche ich ja die Auszeit. »Nein, nichts ist in Ordnung.« Wie hypnotisiert starre ich die Tür an, während ich überlege, wie ich Landon entkommen soll.

»Ich will nur mit dir reden!«, dringt seine Stimme durchs Holz. »Sei nicht kindisch und mach auf.« Unwillkürlich trete ich noch weiter von der Tür zurück. »Irgendwann wirst du sowieso rauskommen müssen. Ich bleibe notfalls die ganze Nacht hier.«

»Was ist das denn für ein Arsch?«, fragt Matt.

»Landon Campbell.« Ich seufze. »Falls du dieses Synonym für Arsch noch nicht kanntest.«

Matts Lachen bewirkt irgendwie, dass ich mich trotz der miesen Situation besser fühle. Es scheint direkt aus seinem Bauch zu kommen und genau da kitzelt es auch mich. »Das werde ich mir merken, wenn ich nächstes Mal eine besonders üble Beleidigung für jemanden brauche.«

»Corie.« Landons Stimme klingt wie ein unwilliges Knurren.

Ehe ich ihn bremsen kann, springt Matt auf, geht zur Tür und öffnet. »Hi.«

Einen Augenblick ist es still auf dem Gang, ehe erneut Landons tiefe Stimme erklingt: »Wer bist du denn? Die neue Hermia?«

»Ein Freund von Corie.«

Landon gibt ein Schnauben von sich. »Das wüsste ich.«

»Wieso? Kennst du alle Freunde von Corie?«

»Allerdings. Wo ist sie?« Ich sehe Landons Arm vorschnellen, als er die Tür weiter aufstoßen will, aber Matt weicht erstaunlicherweise keinen Millimeter zur Seite. Dabei ist Landon nicht nur größer, sondern garantiert auch kräftiger als er. Matt wirkt schlank und sehnig. Unter den Ärmeln seines dunklen T-Shirts ist zwar zu erahnen, dass er muskulös ist, aber Landon ist definiert und hat jeden Millimeter seiner Gliedmaßen unter Kontrolle.

»Wenn sie mit dir reden wollte, hätte sie dir wahrscheinlich die Tür aufgemacht, oder?«, entgegnet Matt. »Also kurze Ansage: Du kannst von mir aus hier draußen die Nacht verbringen, aber mach dabei nicht so viel Krach, klar?«

Wieder braucht Landon einen Moment, um sich zu fangen. »Du hast mir gar nichts zu sagen, du Vogel.«

Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Landon aus dem Konzept zu bringen, ist mir noch nie gelungen. Dabei ist offensichtlich, dass ich Matt diesen Kampf nicht für mich ausfechten lassen kann. Wir können noch so oft behaupten, wir seien Freunde. Fakt ist: Wir kennen uns überhaupt nicht.

»Und du hast kein Recht, vor meiner Tür zu randalieren, Landon.« Ich stelle mich so hinter Matt, dass Landon mich durch die Türöffnung sehen kann.

»Ich müsste nicht randalieren, wenn du dich nicht verbarrikadieren würdest.«

Und ich müsste mich nicht verbarrikadieren, wenn du Grenzen akzeptieren könntest, die nicht aus Holz und Scharnieren bestehen, schießt es mir durch den Kopf. Stattdessen sage ich: »Ich bin müde und will nach Hause, Landon. Also hau ab und lass mich in Ruhe.«

Landon verschränkt die Arme vor der Brust und lehnt sich in den Türrahmen. Genau wie ich trägt er noch sein Kostüm, bestehend aus dunklen Hosen mit Hosenträgern über einem weißen Hemd. »Ich habe heute erst gehört, dass Casey für zwei Monate deine Rolle übernimmt. Und ich frage mich, warum.«

Ich spüre, wie sich meine Augen verengen. »Und was geht dich das an?«

Er fixiert mich mit seinen dunklen Augen, als versuche er, auf diese Weise zu entschlüsseln, was hinter meiner Entscheidung steckt. »Na ja, ich wundere mich, dass du es nie erwähnt hast. Wir sind schließlich … Kollegen. Wir arbeiten sehr … eng zusammen. Da erzählt man sich so was doch.«

Erstmals spüre ich seine Unsicherheit und schneide ihm scharf das Wort ab: »Falls du glaubst, alle meine Freunde zu kennen, überschätzt du dich, Landon. Aber wenn du dich für einen davon hältst, hast du den Verstand verloren. Ich erzähle dir überhaupt nichts.« Ich greife an Matt vorbei nach der Tür und er tritt zur Seite. Einen Augenblick lang stehe ich Landon viel zu dicht gegenüber. Seine Nähe drängt mit hitziger Wucht auf mich ein. »Ich will dich in den nächsten zwei Monaten nicht sehen. Hast du mich verstanden? Ich weiß, hier arbeiten wir zusammen, aber außerhalb der Proben oder Shows hältst du dich von mir fern.« Mit einem Rums schlage ich ihm die Tür vor der Nase zu und ringe nach Luft.

»Hammer!«, kommentiert Matt hinter mir. »Du hast es drauf, mit Ärschen umzugehen.«

»Wie man’s nimmt.« Mit düsterer Miene marschiere ich zu meinem Platz vor dem Spiegel, reiche Matt sein Notizbuch und fange an, mich abzuschminken. »Ich habe ihn nicht früh genug als Arsch erkannt.«

Ein Wattebausch nach dem anderen landet im Mülleimer unterm Tisch. Matt lässt sich auf die Liege sinken, summt erst vor sich hin und fängt dann an zu singen. Ich kenne den Song: ›Look What You Made Me Do‹ von Taylor Swift. Die Zeilen, die Matt singt, sind mehr als passend. Ich hasse deine Verbrechen. Ich hasse, wie du lachst, während du lügst. Mit einem schiefen Lächeln drehe ich mich zu ihm um, nachdem ich mich von der Perücke befreit habe. Jetzt löse ich die Pin Curls aus meinen kastanienbraunen Haaren, die mir vorhin mühevoll von der Haar- und Perückendesignerin aufgedreht worden sind, und beobachte Matt. Wie ertappt hört er auf zu singen.

»Tut mir leid«, sagt er. »Das ist mir gerade in den Sinn gekommen.«

»Ich hätte nicht gedacht, dass du Taylor Swift magst.«

Grinsend hebt er die Schultern. »Der Song passt perfekt, wenn man es mit einem Landon-Campbell-Kaliber-Arsch zu tun hat.«

Ich muss lachen. »Du kennst ihn doch gar nicht.«

»Glaub mir, mit Ärschen kenne ich mich aus.« Langsam steht Matt auf. »Tut mir leid, wenn ich mein Zeitlimit hier überschritten habe. Eigentlich wollte ich ja nur abwarten, bis sich die Leute draußen zerstreut haben. Aber als ich dich auf der Bühne gesehen habe, konnte ich nicht einfach gehen. Du hast unfassbar schön getanzt.«

»Danke.« Unwillkürlich senke ich den Blick. Mein Tanzen ist Tausende Male gelobt worden – von meiner Familie und Bekannten, von Choreografinnen und Regisseuren, von Kritikern und Kolleginnen. Gefühlt genauso oft ist es kritisiert und in Kommentaren und Urteilen verrissen worden. In letzter Zeit hat nichts davon noch irgendetwas mit mir gemacht. Aber Matts Worte bringen mein Herz zum Klopfen. Vielleicht weil sie so zauberhaft ehrlich klingen wie seine Musik – einfach echt.

Ich löse den letzten Knoten und fahre mir mit beiden Händen durch die Haare. Meine Kopfhaut fühlt sich schwitzig und kribbelig an.

Über die Schulter werfe ich ihm einen Blick zu. »Kannst du …« Mit dem Finger mache ich eine kreisende Bewegung, damit er sich umdreht.

»Oh klar, ich kann auch draußen warten.« Matt greift nach seinem Gitarrenkoffer. »Wenn der Drache von der Rezeption mich jetzt rausschmeißt, ist es schließlich egal, oder? Würdest du mir vielleicht deine Nummer geben?«

»Äh …« Vor Überraschung weiß ich nicht, wie ich reagieren soll.

Matts unnachahmlich breites Grinsen fliegt über sein Gesicht und zeichnet ziemlich unwiderstehliche Grübchen in seine Wangen. »Zu draufgängerisch? Sorry, ich will dich eigentlich nur was fragen. Und da wir nun schon Freunde sind, dachte ich, wir können auch Nummern tauschen.«

Auf keinen Fall werde ich Matt meine Nummer geben. So wie er redet, sammelt er regelmäßig rechts und links am Straßenrand Telefonnummern ein. Ich aber habe mir vorgenommen, mich nur noch auf jemanden einzulassen, wenn ich das Gefühl habe, dass er es ernst mit mir meint. Dass es ihm wirklich um mich geht.

»Sorry, die Nummer kriegst du nicht. Aber wenn du dich umdrehst, kannst du mich fragen, während ich mich umziehe. Zwei Kostümwechsel hast du schließlich eh schon mitbekommen.«

»Da war allerdings auch noch die Kostümbildnerin hier – wie so eine Art Anstandsdame. Du bist es ja anscheinend gewöhnt, dass Leute dir beim Umziehen zusehen, aber ich kann dir nicht versprechen, dass meine Gedanken rein professionell bleiben, wenn du dich hinter mir ausziehst.«

Ich zögere nur kurz. Denn Matt hat zwar etwas Vorlautes an sich, aber auch etwas, das mir vom ersten Moment an warm ums Herz werden ließ. In seiner Gegenwart mache ich mir erstaunlich wenig Sorgen. »Wenn es bei den Gedanken bleibt – konzentrier dich einfach auf deine Frage, okay?«

»Klar.« Er kehrt mir den Rücken zu. Hastig entledige ich mich meines Kostüms. Irgendwie fühlt sich das jetzt doch unfassbar viel intimer an als vorhin. Unwillkürlich halte ich die Luft an. Aber Matt macht keine Anstalten, sich umzudrehen oder auch nur über die Schulter zu schauen.

»Als ich dich tanzen sah, habe ich mich gefragt, ob du mir vielleicht helfen kannst.«

»Helfen?« Ich schlüpfe in meine Jogginghose, mein schwarzes T-Shirt und meinen gemütlichen senffarbenen Pullover.

Matt stößt ein tiefes Seufzen aus. »Ich traue mich kaum, es auszusprechen, aber ich soll auch tanzen.«

Ich muss lächeln, während ich meine weißen Sneaker zuschnüre. »Ist das ein Grund, so missmutig zu klingen?«

»Wenn du tanzt, nicht.« Kurz krame ich in meiner waldgrünen Foldover-Umhängetasche nach dem Beutel, den ich mitgebracht habe. »Wenn du tanzt, ist das wie ein Wunder. Man glaubt dir einfach alles. Wenn ich tanze, sieht man höflich zu, um meine Gefühle nicht zu verletzen. Im besten Fall.« Matts Worte versetzen mir einen Stich. Ein Wunder! So hat sich das Tanzen irgendwann mal für mich angefühlt. Und das Musical.

Ruckartig drehe ich mich zu meinem Schminktisch und stopfe meine Utensilien wahllos in den Beutel. »Du kannst wieder gucken.«

Im Spiegel sehe ich, wie Matt sich umdreht. Ich halte den Beutel auf und schiebe die restlichen Utensilien von meinem Tisch mit dem Unterarm hinein. »Willst du denn richtig auftreten? Oder geht es darum, dass deine Freundin einen Tanzkurs mit dir machen will?«

»Ich habe keine Freundin.«

»Das … äh …« Verärgert über mein Stammeln schüttle ich erst den Kopf, muss dann aber über meine Verlegenheit lachen. »Sorry, darauf wollte ich nicht hinaus.«

»Wir sind ja auch nur Freunde, richtig?«

Ich kann nicht anders. Ich begegne Matts Blick im Spiegel und muss sein Grinsen einfach erwidern. »Wenn keine Freundin hinter deinem Tanzwunsch steckt, was dann?«

»Von Wunsch kann keine Rede sein.« Matt deutet an sich hinab. »Dieser Körper wurde nicht fürs Tanzen geschaffen. Aber ich soll in meinem neuen Musikvideo tanzen. Und das natürlich möglichst gut – wie auch immer ich das anstellen soll.«

»Das braucht Training – bei manchen etwas mehr als bei anderen. Aber mit einer guten Lehrerin oder einem Lehrer kannst du das bestimmt schaffen.« Ich stopfe den Beutel in meine Tasche.

»Oh, meine Trainerin ist knallhart. Solange ich mich nicht wie Justin Timberlake bewege, gibt sie sich nicht zufrieden.« Matt beobachtet mich mit verschränkten Armen. »Aber es wirkt nicht natürlich. Es fühlt sich alles falsch an. Ich komme mir albern vor. Es ist eine Katastrophe.«

Ich lasse meinen Blick auf der Suche nach vergessenen persönlichen Gegenständen durch den Raum wandern. Ich weiß nicht, was mich mehr schockiert: dass ich keine finde oder dass es unausweichlich Zeit ist zu gehen.

»Als ich dich auf der Bühne gesehen habe …« Matts Blick huscht über mich, als suche er nach der Figur, die ich eben noch war. »Das sah so selbstverständlich aus, als wärst du dafür geboren worden.«

Ich senke den Blick. »Du hast wirklich nicht viel Ahnung vom Tanzen. Das war kein guter Tag heute.«

Er hebt die Schultern. »Wenn ich an meinem besten Tag nur halb so gut tanzen könnte wie du an deinem schlechtesten, würde mein Manager mir glücklich zu Füßen liegen.«

Mit gutmütigem Spott sehe ich Matt an und gehe an ihm vorbei zur Tür.

»Ich meine das ernst.« Er wirft seine Jacke über und schultert seinen Gitarrenkoffer. »Meinst du, du könntest mich trainieren? Oder mich wenigstens beraten?«

»Ich?« Er bückt sich nach seinem Verstärker, während ich ihm die Tür aufhalte. Landon hat seine Drohung, bis in die Nacht hinein davor auszuharren, zum Glück nicht wahr gemacht. Matt sei Dank. »Du wirst doch schon trainiert.«

»Aber nicht auf die richtige Weise. Ich habe das Gefühl, ich lerne die falschen Dinge.«

»Und warum glaubst du, ich könnte dir die richtigen beibringen?«

Er will an mir vorbei durch die Tür gehen, bleibt bei meiner Frage jedoch stehen. Reflexhaft will ich zurückweichen, presse mich jedoch nur fester gegen den Türrahmen. Hitze steigt in mir auf. Scharf ziehe ich die Luft ein. Er riecht gut, fällt mir auf – leicht nach Kräutern. Aber er ist mir zu nah.

»Ich habe in dir alles gesehen, was mir beim Tanzen fehlt.«

»Ich kann nicht.« Kam das zu schnell?

Ich entziehe mich seiner Nähe, indem ich in den Flur trete und es ihm überlasse, die Tür zu schließen. Über seine Schulter fällt mein Blick auf das Schild an der Tür: Miss Corie Michaels. Es fühlt sich nicht mehr so an, als sei ich diese Person.

»Ich dachte mir schon, dass du keine Zeit hast«, gibt Matt zu. »Aber ich bin verzweifelt genug, dich trotzdem zu fragen.« Er grinst mich so unbeschwert an, dass ich ihm die Verzweiflung keine Sekunde abkaufe.

»Es tut mir leid.« Rasch wende ich mich ab. »Ich kann einfach nicht.« Ich laufe die Treppe aufwärts und er folgt mir.

Kühle Herbstluft schlägt mir entgegen, als ich gleich darauf die schwere Tür des Bühnenausgangs aufziehe. Draußen ist die Dunkelheit der Nacht von orangegelbem Straßenlaternenlicht erhellt. Einen Moment lang blicke ich in erwartungsvolle Gesichter. Matt zieht neben mir erschrocken den Kopf ein, aber diese Leute sind nicht seinetwegen hier. Das sind die Musical-Besucherinnen und Theatergänger, die auf Darstellerinnen wie mich warten. Jubelrufe und Klatschen hallen vom Kopfsteinpflaster der Straße wider, als sie mich erkennen. Während sie mir zur Show gratulieren und mir Broschüren, CD-Hüllen, Notizbücher oder Taschen zum Signieren hinhalten, verliere ich Matt aus den Augen. Immer wieder sehe ich mich nach ihm um, während ich den Leuten zulächle und ein paar Worte wechsle und mich für ihr Kommen bedanke.

»Ist Landon Campbell auch noch da?« Die Frau, die mir den Midsummer Night’s Dream Folder hinhält, damit ich unter meinem Bild in der Cast-Sektion unterschreibe, hat schon die Autogramme von mehreren anderen Darstellenden gesammelt. Ich starre auf Landons Foto direkt neben meinem – sein Gesicht mit dem lässigen Bartschatten, seinen bewusst düsteren Blick, der seinem Bild einen undurchschaubaren Look verleiht. Ich habe zu lange geglaubt, das sei nur eine Pose.

»Der kommt sicher gleich raus«, beantworte ich die Frage der Frau und dränge mich entschlossener zwischen den anderen hindurch. Die letzten Autogramme werden zu einem hastigen, kaum leserlichen Schriftzug. Dann lasse ich die Gruppe hinter mir.

Erleichtert ziehe ich den Kragen meiner Jacke höher. Der Wind fegt noch stärker durch die Straßen als am Nachmittag. Trotzdem werde ich nicht die nächstgelegene Tube Station ansteuern. Lieber laufe ich ein paar Stationen, um dem dichtesten Gedränge zu entkommen.

Ich sehe mich um. Wo ist Matt? Hat er den halben Abend in meiner Garderobe verbracht, um jetzt einfach zu verschwinden?

Nein. Ich entdecke ihn auf der gegenüberliegenden Straßenseite in einem dunklen Gebäudeeingang. Die Form seines Gitarrenkoffers fällt mir zuerst auf. Er zieht sich seine Kapuze über den Kopf, ehe er sich nach seinen Sachen bückt und auf mich zukommt.

»Warum hast du mir eigentlich nicht von Anfang an gesagt, dass du so eine Art West-End-Star bist?«, will er wissen. »Zuerst dachte ich, du arbeitest hier irgendwo im Büro. Dann erfahre ich, dass du auf die Bühne musst, bekomme mit, dass du eine der Hauptrollen hast, und jetzt wirst du auch noch von Fans umringt.«

Ich winke ab. »Nicht so wie du. Die Musical-Welt hat ihre ganz eigene Community. Da haben wir zwar Fans, aber wir sorgen nicht für Massenaufläufe in der Fußgängerzone. Alles ganz harmlos.« Neugierig mustere ich ihn, während er neben mir herläuft, ohne mich zu fragen, wohin ich überhaupt gehe. »Und wieso hast du geglaubt, du könntest auf der Straße spielen, ohne einen Stau zu verursachen?«

Mit einem ertappten Grinsen zieht er die Schultern hoch. »Ich schätze, ich muss mich noch daran gewöhnen, erkannt zu werden. Vor einem knappen Jahr ist das noch so gut wie nie vorgekommen. Jetzt auf einmal werde ich manchmal sogar angesprochen, wenn ich mir einen Kaffee hole.« Matt folgt mir die Tavistock Street entlang. Die Gegend ist voller Leute, die vor den erleuchteten Pubs auf der Straße stehen und ihre Pints trinken oder sich nach dem Besuch einer der Shows auf den Heimweg machen.

»Aber wenn du dich auf die Straße stellst und deine Songs spielst, die auch im Radio laufen, ist das eine regelrechte Einladung, oder?«

»Offensichtlich. Dabei wollte ich einfach nur mal wieder den Kopf freikriegen.« Plötzlich wirkt Matt bedrückt. Zwar wirft er mir ein kurzes Lächeln zu, aber es verschwindet so schnell, als sei es gar nicht richtig da gewesen.

»Wegen des Tanzens?«

»Nicht nur.« Diesmal schenkt er mir ein echtes Lächeln. Ich kenne ihn zwar gar nicht. Aber … Irgendetwas an ihm lässt die Welt ein bisschen besser sein. Irgendetwas an ihm lässt mich beinah vergessen, dass ich keine Ahnung habe, was ich in den nächsten Wochen mit mir anfangen soll. »Obwohl diese Tanzgeschichte durchaus keinen unerheblichen Teil meiner aktuellen Probleme ausmacht.«

»Tut mir wirklich leid.« Wir sind gerade in die Drury Lane eingebogen und ich bleibe zwischen den mehrstöckigen Backsteingebäuden stehen. »Zumal du extra auf mich gewartet hast. Aber so gerne ich dir helfen würde, ich kann wirklich nicht.«

Matt mustert mich neugierig. Mit der Kapuze sieht er älter aus, fast etwas verwegen. Vielleicht weil sie seine Locken verbirgt und die Dunkelheit die Sommersprossen auf seiner Nase. Sein unbeschwertes Grinsen hat aber selbst im Dunkeln einen Effekt auf mich, bringt mich dazu, es zu erwidern. Was sich gut anfühlt.

»Da wir jetzt anscheinend Freunde sind, könntest du mir wenigstens erklären, warum? Hast du keine Zeit, keine Lust oder liegt es nur daran, dass du nicht weißt, dass der Job ziemlich gut bezahlt ist?«

Ich muss lachen. »Nichts davon.«

»Hm.« Matt mustert mich kurz. »Du bist ziemlich geheimnisvoll, weißt du das? Kann ich dir vielleicht wenigstens meine Telefonnummer geben? Vielleicht überlegst du es dir ja noch mal.«

Statt sofort zu antworten, streiche ich mir die Haare zurück, die der Herbstwind mir ins Gesicht fliegen lässt. Das Problem ist, dass ich Matt tatsächlich gerne wiedersehen würde. Irgendetwas in mir kribbelt, wie um mich darauf aufmerksam zu machen, dass er mir guttut. Immerhin ist der Abschied von der Bühne mit ihm an meiner Seite nicht halb so schlimm verlaufen, wie ich befürchtet hatte. Aber beim Tanzen kann ich ihm nicht helfen. Ich habe extra die zweimonatige Pause ausgehandelt, um Abstand zu gewinnen. Weil ich nicht weiß, was mir sonst helfen könnte, um meine Lust an der Bewegung, mein Gefühl für die Musik und meine Begeisterung für die Shows wiederzufinden.

»Ich bin mir sicher, ich könnte dir nichts beibringen, was andere dir nicht auch beibringen können.«

»Und ich bin mir sicher, du könntest das.«

»Warum?«

»Weil ich dich gesehen habe, während ich meinen Song gespielt habe.« Ich halte die Luft an. »Ich hatte den Eindruck, du fühlst, was ich fühle. Wenn ich singe, bin ich wie in einer anderen Welt. Und für mich war es, als wärst du mit mir dort. Das war wie ein Wunder.«

Langsam atme ich aus. »Das ist ein unfassbar schöner Gedanke. Aber es ist nicht der richtige Moment. Und ich muss jetzt nach Hause.«

»Klar.« Er nickt, sieht mich dabei aber forschend an. »Du wirst sicher erwartet.«

Unwillkürlich muss ich grinsen. »Ich habe keinen Freund.«

»Sorry … äh … darauf wollte ich gar nicht hinaus«, wiederholt er ungefähr meine Worte von vorhin.

Lachend schüttle ich den Kopf und deute die Straße entlang. »Ich glaube dir kein Wort. Für mich geht es da lang. Wo musst du hin?«

Kurz sieht er sich um, als müsse er sich erst orientieren. »Nach Bexley. Das heißt, ich ziehe gerade um. Bermondsey.«

»Oh, es ist ein weiter Weg von Bexley nach Bermondsey.« Ich werfe ihm ein bezeichnendes Lächeln zu. »Und definitiv nicht meine Richtung. Es hat mich gefreut, dich kennenzulernen.«

»Mich auch. Danke, dass du mich in deiner Garderobe versteckt hast.«

»Danke, dass du dich Landon Campbell in den Weg gestellt hast.«

Er lacht auf. »Wie gesagt, mit Ärschen kenne ich mich aus. Was hältst du denn davon, die Sache mit dem Nur-ein-Freund-Stempel zu vergessen und mir einfach so deine Nummer zu geben?«

Einen Moment lang starre ich ihn ratlos an. Er gibt echt nicht so leicht auf. Irgendwie fühle ich mich ein bisschen geschmeichelt von seiner Hartnäckigkeit. Aber Typen, die toll finden, wie ich tanze, mit mir rummachen wollen und ansonsten kein Interesse an mir haben, kenne ich genug. Gerade jetzt, wo ich mich endlich mal auf mich besinnen will, brauche ich davon nicht noch einen. Auch wenn Matt nett zu sein scheint und mich zum Lachen bringt …

Schließlich schüttle ich den Kopf. »Tut mir leid, aber auch das ist gerade nicht drin.«

»Na gut.« Er lächelt noch immer, als störe ihn meine Weigerung kein bisschen. »Ich habe es auch kaum zu hoffen gewagt. Dann entschuldige noch mal den Zusammenstoß.«

Ich nicke. »Gleichfalls.«

Schon wieder wird sein Grinsen breiter. »War der beste, den ich seit Langem hatte.«

Zwar verdrehe ich ein bisschen die Augen, muss aber trotzdem lachen. Wahrscheinlich könnte ich morgen noch mit Matt hier stehen und ihm würden immer neue Sprüche einfallen. Gut, denke ich im Weggehen, dass wir keine Nummern getauscht haben. So werde ich nicht in Versuchung geführt, mich doch ein zweites Mal von seiner Stimme verzaubern zu lassen. Oder von seinen himmelblauen Augen.

Kapitel 3

Da muss das Bein hin. Da! Ich schrecke aus dem Schlaf, als sei ich aus einem Albtraum erwacht. Dabei kann davon keine Rede sein. Wie so oft in den letzten Monaten habe ich vom Tanzen geträumt. Eigentlich kein Wunder. Mein Leben bestand nie aus etwas anderem. Und eigentlich wollte ich das immer genau so haben. Aber jetzt fühlen sich diese Träume vor allem beklemmend an.

Langsam setze ich mich im Bett auf, ziehe die Beine an und blicke mich in meinem Zimmer um. Mir gehört hier fast nichts. Die Möbel gab es schon, als ich eingezogen bin. Alle sind in die Jahre gekommen und haben einen antiken Look. Dunkles massives Holz und gedrechselte Elemente. Ein schwerer Schreibtisch steht unter dem Fenster zum Garten, ein ausladender Kleiderschrank gegenüber vom Bett an der Wand. Für meine sportlich-gemütliche Kleidung ist er eigentlich zu groß. Neben der Tür befindet sich ein Regal, aber das zu füllen, ist mir auch nie recht gelungen. Die Ordner mit meinen wichtigen Dokumenten stehen ziemlich verloren ganz unten. Weiter oben habe ich ein paar zusammengetragene Gegenstände platziert: ein bunt gemustertes Schmuckkästchen, zwei Vasen, einen mehrarmigen Kerzenständer und die filigrane Glaskunst, die Mum und Kilian mir zum Geburtstag oder zu Weihnachten schenken. Darunter eine Tänzerin – gefangen in perfekter Haltung, technisch einwandfrei, scheinbar mühelos und voller Ausdruck und Gefühl. Als ich sie bekam, habe ich die Figur geliebt, aber auch sie bereitet mir mittlerweile ein mulmiges Gefühl.

Seufzend schlage ich die Decke zurück, tapse barfuß zum Regal und schiebe die Tänzerin nach hinten. Dafür dürfen die zauberhaften Blüten und Fabelwesen nach vorn rücken. Mum wohnt seit mittlerweile über drei Jahren bei ihrem Freund in Schottland. Er betreibt dort die Glasbläserei Of Sand and Fire. Nach ihrer Trennung von Dad gönne ich Mum von Herzen, dass sie wieder in einer glücklichen Beziehung lebt, aber vermissen tue ich sie trotzdem. Immerhin telefonieren wir mindestens einmal die Woche miteinander.

Ich laufe durchs Zimmer zum Fenster. Der dicke bunte Teppich fühlt sich flauschig unter meinen bloßen Füßen an. Ich liebe ihn sehr – vielleicht, weil er einer der wenigen Gegenstände ist, die mir gehören. Vor einem guten Jahr habe ich ihn zusammen mit meiner besten Freundin und Mitbewohnerin Melissa auf einem Flohmarkt erstanden. Eine ziemlich unüberlegte Aktion. Am Ende mussten wir ihren Freund Lakshit anrufen, damit er uns half, ihn nach Hause zu schleppen. Jetzt liegt er auf dem altrosafarbenen Bodenbelag, der das Zimmer vorher ziemlich blass wirken ließ. Die Vorhänge, die ich jetzt beiseiteziehe, passen mit ihrem altmodischen Blütenmuster in Hell- und Dunkelrosa bestens dazu. Vielleicht sollte ich die nächsten Wochen dazu nutzen, ein bisschen mehr Persönlichkeit in mein Zimmer zu bringen. Fragt sich nur, welche.

Ich blicke in den etwas unordentlichen Garten hinunter. Das Gras ist zu hoch gewachsen. Die beiden Birken im hinteren Teil geraten langsam außer Kontrolle. Die Grundstücke hier sind nur wenige Meter breit, aber dafür lang. Ganz hinten stören die Bäume eigentlich niemanden. Aber als Kirk noch lebte, der Ehemann unserer Vermieterin Beth, hat er streng darauf geachtet, sie jedes Jahr zu beschneiden, damit sie nicht zu hoch aufschossen. Vielleicht sollte ich Beth anbieten, ihr zu helfen, den Garten winterfest zu machen. Der Wind zerrt an den langen dünnen Zweigen. Jede Menge Blätter sind schon zur Erde gesegelt und bilden goldgelbe Tupfen im Gras. Noch halten sich die meisten aber an ihren Zweigen fest und leuchten im Kontrast zum blauen Morgenhimmel. Ein Herbstspaziergang! Ich könnte mir etwas anziehen und als Erstes einen Herbstspaziergang machen.

Noch höher. Höher, Corie! Hörst du nicht? Da hin. Selbst in meiner Erinnerung zucke ich zusammen, als ich die Stimme aus meinem Traum wieder höre. Es ist der raue Ton meiner ersten Tanzlehrerin, Miss Barnington. Klar, sie war streng. Sie hat mir nie auch nur den kleinsten Fehler durchgehen lassen. Ich kann nicht behaupten, dass ich sie als Kind mochte. Es war meine Liebe fürs Tanzen, die mich angetrieben hat, immer wieder zu ihr zu gehen, um zu lernen, wie ich meinen Körper zu Musik werden lassen kann. Im Nachhinein ist mir klar, dass ich es ohne sie niemals so weit gebracht hätte. Das habe ich so ähnlich auch mal in einem Interview für ›The Stage‹gesagt. Mit Miss Barnington habe ich mittlerweile kaum noch Kontakt, aber ich weiß, dass sie eine gefragte Adresse für Eltern ist, die das Talent ihrer Kinder frühestmöglich fördern wollen. So ist es besser, aber achte auf deine Füße. Und schönere Hände! Schöner, habe ich gesagt. Nicht verkrampfen!

Noch immer stehe ich unbewegt am Fenster. Seit ein paar Wochen kommen immer wieder diese Erinnerungen in mir hoch. Mein Kopf zwingt mich ständig, nur an den harten Weg zu denken, den ich gegangen bin, statt mich auf die Erfolge zu konzentrieren, die ich feiern durfte.

Erst ein Fluch, der gedämpft von nebenan zu mir dringt, befreit mich aus meiner Starre. Ich reiße mich vom Blick in den Garten los und gehe in die unter eine Dachschräge gequetschte kleine Küche. Lakshit presst sich eine Hand gegen den Kopf und blickt fluchend auf die Bescherung zu seinen Füßen: Drei Eier liegen zerbrochen auf den Fliesen. Sein Anblick bringt mich aber aus einem anderen Grund zum Lachen. Er trägt nichts außer einem Paar schwarzer Socken und einem von Melissas Oversize-Schlafshirts. Ihm reicht es zwar knapp über den Hintern, spannt aber ziemlich über seinem Brustkorb. Außerdem ist ein Einhorn auf der Vorderseite zu sehen.

»Wie siehst du denn aus?«

»Was?« Lakshit blickt an sich hinab. »Ach so, das. Du hast doch gesagt, du schmeißt mich raus, wenn ich dir noch mal nackt über den Weg laufe. Habe ich dich etwa geweckt? Tut mir leid, das wollte ich nicht.« Nervös streicht er sich über seinen akkurat gestutzten Anchor-Bart, der sich im Gegensatz zu seinen vom Schlaf abstehenden schwarzen Haaren in tadellosem Zustand befindet. »Eigentlich wollte ich Melissa Frühstück ans Bett bringen. Und ich dachte, ich mache dir auch was.«

Eins muss man Lakshit lassen: Er kann ziemlich süß sein. Klar, er hängt ständig hier rum, arbeitet zu oft in unserem Wohnzimmer und geht mir manchmal ein bisschen auf die Nerven. Vor allem, wenn er den Weg aus Melissas Zimmer in unser Bad nackt zurücklegt, weil er glaubt, es diesmal wirklich zu schaffen, mir dabei nicht in die Arme zu rennen. Aber irgendwie macht er es auch immer wieder gut.

»Ich war schon wach.« Ich greife nach der Küchenrolle auf der Anrichte, um die geplatzten Eier vom Boden zu entfernen.

»Lass mich das doch machen.« Aber Lakshit rührt sich nicht, sondern bleibt stocksteif stehen und sieht mir zu, wie ich Schalen und Dotter im Mülleimer unter der Spüle entsorge. »In eurer Küche kann man sich aber auch nicht umdrehen, ohne irgendwo gegenzustoßen. Ich habe mir so den Kopf an der Schräge angehauen, dass mir schwarz vor Augen wurde. Dabei sind die blöden Eier einfach runtergefallen.«

»Das passiert nur dir«, gebe ich grinsend zurück. »Mel und ich wissen, wie wir uns drehen müssen, um nicht anzuecken. Hol du doch schon mal das Putzzeug.«

»Mache ich.« Lakshit läuft aus der Küche. »Wo ist das noch mal?«

»Da.« Ich deute auf das winzige Türchen neben dem kleinen Küchentisch, das in ein Kabuff führt. Melissa und ich bewahren dort nicht nur Putzzeug, sondern auch ein paar Vorräte auf. Außerdem hortet Melissa leere Kartons darin, durch die man sich kämpfen muss, ehe man an Wischeimer und Lappen gelangt. Nach kurzer Zeit hat Lakshit für mehr Chaos gesorgt als zuvor und schimpft aufgebracht. Nachdem ich das Ei-Unglück grob beseitigt habe, klopfe ich ihm gutmütig auf die Schulter.

»Du machst das schon. Ich gehe kurz ins Bad und dann helfe ich dir beim Frühstückmachen.«

Er seufzt theatralisch und verteilt Fliesenreiniger auf dem Boden.

Das Bad befindet sich auf der anderen Seite meines Zimmers, ebenfalls unter einer Dachschräge. Daher werde ich meistens von Lakshit geweckt, der sich entweder im Bad oder in der Küche den Ellenbogen anhaut oder sich die Hüfte prellt. Die etwas ungünstige Aufteilung unserer Wohnung ist darauf zurückzuführen, dass Melissa und ich die oberen beiden Etagen eines sehr schmalen vierstöckigen Reihenhauses bewohnen. Beth und Kirk haben die Zimmer hier in eine Wohnung umgebaut, nachdem ihre Kinder ausgezogen waren. Für sie war es eine Möglichkeit, mehr Geld in die Haushaltskasse zu bekommen. Außerdem schätzt Beth unsere Gesellschaft. Deshalb wundert es mich nicht, als ich noch im Schlafanzug, aber mit geputzten Zähnen, aus dem Bad komme und ein kurzes Klopfen an der Wohnungstür höre. Rasch laufe ich die Treppe hinab und finde einen Zettel auf der Fußmatte im Flur. Beth muss ihn unter der Tür durchgeschoben haben. Falls ihr schon wach seid, kommt gerne runter. Ich mache mir gerade Frühstück. Full English.

Ha! Das muss sie mir nicht zweimal sagen. »Lakshit?«, rufe ich ihm zu, während ich in mein Zimmer flitze. »Ich muss canceln. Ich frühstücke bei Beth. Falls du Melissa aus dem Bett kriegst, könnt ihr auch runterkommen.«

»Was?« Lakshit streckt den Kopf aus der Küche. »Es ist ja nicht mal zehn Uhr. Wie soll ich das anstellen?«

Kurz reiche ich ihm den Zettel durch meine angelehnte Zimmertür. »Full English«, sage ich nur. Dann schnappe ich mir frische Klamotten aus meinem Schrank und schlüpfe in eine schwarze Jogginghose sowie einen roséfarbenen Wickelpullover. Tatsächlich stehen die Chancen nicht allzu schlecht, dass Melissa der Aussicht auf Beths Frühstück nicht widerstehen kann. Sie liebt zwar Schlafen, aber Lakshit kommt mit seinem Rührei einfach nicht gegen das von Beth an – selbst wenn es nicht auf den Fliesen, sondern in der Pfanne landet.

Ich binde meine kastanienbraunen Haare zu einem tiefen Knoten am Hinterkopf zusammen – aus Gewohnheit, weil sie mich so nicht beim Training stören –, sause die Stufen hinunter ins Erdgeschoss und platze nach einem kurzen Klopfen in Beths Teil des Hauses.

»Guten Morgen!«, rufe ich, um sie auf meine Anwesenheit aufmerksam zu machen.

»In der Küche.« Beth bewohnt Parterre und Souterrain. Die Zimmer sind klein, aber so urgemütlich und vollgestopft mit persönlichen Gegenständen, dass mir hier umso deutlicher wird, wie leer mein eigenes Leben ist. Überall an den Wänden hängen Fotos. Die meisten Rahmen beißen sich furchtbar mit der lindgrün-weiß gestreiften und mit kleinen Röschen übersäten Tapete. Teppiche liegen teilweise in Schichten übereinander und die Wände sind mit Regalen und Kommoden vollgestellt. Die Chesterfield-Sofagarnitur ist durch massenhaft Kissen der bequemste Ort des ganzen Hauses. Und obwohl alles völlig überladen wirkt, stellt man bei genauerem Hinsehen fest, wie liebevoll die Dinge sauber und ordentlich gehalten werden. Ich glaube, Beth hat einen sehr genauen Überblick darüber, was sich in ihren zahlreichen Schubladen befindet.

Als ich die Küche betrete, dampft und brutzelt es auf dem Herd. Beth brät Würstchen in einer Pfanne und prüft gerade mit der Hand über einer zweiten, ob sie bereits heiß genug ist für den Bacon, der auf einem Teller bereitsteht. Gleichzeitig wirft sie mir über die Schulter einen Blick zu und strahlt.

»Corie, schön, dass du da bist! Ich habe schon wieder viel zu viel von allem besorgt. Wann gewöhne ich mich endlich daran, dass ich nur noch für einen einkaufen muss?« Beth ist sehr klein, rundlich und trägt mit Vorliebe Strickjacken über geblümten Blusen. Jetzt hat sie sich zusätzlich eine blau-weiß gestreifte Schürze umgebunden. Ihre grauen Haare locken sich um ihre Stirn. Sie ist Mitte siebzig und dass ihr Gesicht von unzähligen Lachfältchen gezeichnet ist, täuscht ein bisschen darüber hinweg, was für traurige Dinge sie manchmal sagt.

»Mel und Lakshit kommen, glaube ich, auch gleich«, erwidere ich. »Wie kann ich helfen?«

»Kannst du die Pilze braten?«

»Klar.« Ich nehme eine weitere Pfanne aus einem der Schränke und die Pilze aus dem Kühlschrank. Ich liebe Beths gut sortierte Küche. Sie ist einfach niedlich mit den Blütenmustern und geschwungenen Messinggriffen. Außerdem leiste ich Beth gerne Gesellschaft. Meistens schaue ich einfach durchs Fenster in den Garten, während sie kocht. Und das tut Beth gerne. Vielleicht, weil ich alles esse, was sie mir vorsetzt. Davon erzählt sie nämlich meistens: dass ihre Kinder früher an allem rumgemeckert haben. Aber sie konnte schließlich nicht jedem jeden Tag sein Leibgericht kochen.

Was ist eigentlich mein Leibgericht? Klar, den Großteil meines Lebens habe ich in Internaten verbracht und einfach gegessen, was die Schulmensa hergab – gesund, ausgewogen, viel Gemüse, um meine Fitness nicht zu gefährden. Aber ich muss doch trotzdem wissen, was mein Lieblingsessen ist.

»Wie hättest du gerne dein Ei?« Beth pustet sich ein graues Löckchen aus der Stirn und sieht mich fragend an.

»Ähm … so wie immer?«

Sie lacht über meinen verunsicherten Gesichtsausdruck. »Schätzchen, ich habe dir schon Rührei, Spiegelei, gekochte Eier, pochierte Eier, gebackene Eier und Omelette serviert. Was davon ist für dich wie immer?«

Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Beths Eier sind immer lecker. Das ist alles, was für mich zählt. »Ich nehme sie … Wie magst du sie denn am liebsten?«

Beth spitzt die Lippen und blickt nachdenklich in Richtung Zimmerdecke. »Ich glaube gebacken. In meinen süßen kleinen Förmchen. Aber heute habe ich Lust auf pochierte Eier mit Toast. Und du?«

»Ja, unbedingt. Ich auch.«

Summend macht Beth sich an die Arbeit und präpariert zusätzlich zu ihren Pfannen einen Topf mit Wasser zum Pochieren. Ich konzentriere mich darauf, die Pilze zu putzen. Wie – um Himmels willen – mag ich bitte meine Eier?

Als wir uns wenig später an den Tisch im Esszimmer setzen, hat mich die Frage noch immer nicht losgelassen.

»Mel, wie isst du Eier am liebsten?«, frage ich meine beste Freundin, die gerade hereinkommt und sich die verquollenen Augen reibt. Die honigblonden Haare hängen ihr strähnig bis zu den Schultern. Ihr hellgraues Shirt ist ihr über eine Schulter gerutscht. An den Füßen trägt sie zwei Paar dicke Wollsocken. Ich bin mir nicht sicher, ob sie sich aus einem bestimmten Grund dafür entschieden oder in ihrem schlaftrunkenen Zustand nicht realisiert hat, was sie tut. Gähnend lässt sie sich auf dem Stuhl neben mir nieder. »Ganz klassisch als Rührei. Wieso? Gibts Rührei?«

»Ich habe sie pochiert«, erwidert Beth. »Aber wenn du möchtest, mache ich dir noch eine Portion Rührei.«

»Nein, nein, das musst du nicht. Ich mag sie auch pochiert. Treffen sich zwei Rühreier …«

»Ernsthaft?«, unterbreche ich sie. »Schlechte Witze noch vor deinem ersten Kaffee?«

»Stimmt.« Melissa reibt sich die Augen. »Gibt es irgendwo Kaffee?«

Lächelnd deute ich auf die Kanne direkt vor ihrer Nase. Sie greift vage in die Richtung. »Ich habe noch keine Kontaktlinsen drin.«

Jetzt muss ich lachen, denn Melissas Unkoordiniertheit hat garantiert nur am Rande etwas mit den fehlenden Kontaktlinsen zu tun.

»Wo ist denn Lakshit?«, will ich wissen, während ich nach der Kaffeekanne greife und ihr einschenke.