Lug, Ton und Kip. Die Erforschung der Wicklows - Aleks Scholz - E-Book

Lug, Ton und Kip. Die Erforschung der Wicklows E-Book

Aleks Scholz

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Beschreibung

Zen oder die Kunst einen Berg zu besteigen: Eine Wanderung. Die Wicklow Mountains südlich von Dublin sind kein spektakuläres Gebirge, die Berge sind nicht besonders hoch, und die Landschaft ist nicht besonders attraktiv, auch einen Panoramablick sucht man vergebens. Dazu ist es meistens nass, schlammig, neblig und kalt. Wege gibt es fast keine, Attraktionen sind selten, stattdessen viele Quadratkilometer leeres Land, das man im eigenen Kopf mit Leben erfüllen kann. Aleks Scholz ist für uns zum Moosexperten geworden, hat sich mit Fliegen, Kühen und Schaffen herumgeschlagen, hat Fichtenwälder, hüfthohes Gestrüpp, Matsch, Moor und Schlamm, in den man bis zum Knie oder weiter einsinkt, überwunden. Das einsame Laufen durch Dreck, Nässe und Kälte war dabei auch ein Trip ins eigene Unterbewusste, ein Zugriff auf einen Teil der Welt, der sonst gründlich verriegelt ist. Was Aleks Scholz hier betreibt, ist moderne Alchemie, die Verwandlung von Torf in Buchstaben. Und so wissen wir Leser am Ende alles über die vielen Berge der Wicklows und auch ein bisschen mehr über das Leben selbst. Ein Trip ins Gebirge – und ein transzendentaler Ausflug in die eigene Unterwelt.

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Über das Buch

Zen oder die Kunst einen Berg zu besteigen: eine Wanderung. Die Wicklow Mountains südlich von Dublin sind kein spektakuläres Gebirge, die Berge sind nicht besonders hoch, und die Landschaft ist nicht besonders attraktiv, auch einen Panoramablick sucht man vergebens. Dazu ist es meistens nass, schlammig, neblig und kalt.

Wege gibt es fast keine, Attraktionen sind selten, stattdessen viele Quadratkilometer leeres Land, das man im eigenen Kopf mit Leben erfüllen kann. Aleks Scholz ist für uns zum Moosexperten geworden, hat sich mit Fliegen, Kühen und Schafen herumgeschlagen, hat Fichtenwälder, hüfthohes Gestrüpp, Matsch, Moor und Schlamm, in den man bis zum Knie oder weiter einsinkt, überwunden.

Das einsame Laufen durch Dreck, Nässe und Kälte war dabei auch ein Trip ins eigene Unterbewusste, ein Zugriff auf einen Teil der Welt, der sonst gründlich verriegelt ist. Was Aleks Scholz hier betreibt, ist moderne Alchemie, die Verwandlung von Torf in Buchstaben. Und so wissen wir Leser am Ende alles über die vielen Berge der Wicklows und auch ein bisschen mehr über das Leben selbst.

Ein Trip ins Gebirge – und ein transzendentaler Ausflug in die eigene Unterwelt.

Über den Autor

Aleks Scholz, geb. 1975, ist Astronom und Autor. Zurzeit arbeitet er als Direktor des Observatoriums an der Universität von St. Andrews in Schottland. Zusammen mit Kathrin Passig veröffentlichte er das »Lexikon des Unwissens« und »Verirren« (beides bei Rowohlt Berlin). Er war Redakteur des Weblogs Riesenmaschine und schrieb für die Süddeutsche Zeitung, den Standard, die taz, die Zeit, Spiegel Online und CULTurMAG. Von 2009 bis 2013 lebte und arbeitete er in Dublin.

Aleks Scholz

Lug, Ton und Kip

Die Erforschung der Wicklows

CulturBooks Verlag

www.culturbooks.de

Impressum

Originalausgabe: © CulturBooks Verlag 2013

Gärtnerstr. 122, 20253 Hamburg

Tel. +4940 31108081, [email protected]

www.culturbooks.de

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Jan Karsten

Umschlaggestaltung: Magdalena Gadaj

eBook-Umsetzung: CulturBooks

Erscheinungsdatum: 1.10.2013

ISBN 978-3-944818-18-4

Inhaltsverzeichnis

Camaderry
Djouce
Luggala
Conavalla
Brockagh
Tonelagee
Carrigshouk
Barnacullian
Gravale
Mullacor
Benleagh
Slievemaan
Knocknagun
Kanturk
Seefin
Silsean
Tonduff
Der Wicklow Mountains National Park

Camaderry

Warum bloß? Die Frage lässt sich nicht mehr vermeiden. Es ist Freitagabend, die Sonne ist gerade untergegangen, ich könnte irgendwo im Pub sein, im Vintage Inn in Ringsend, im Club in Dalkey oder bei Smyth’s in Haddington Road, selbst O’Brien’s wäre okay. Stattdessen liege ich in einer Schlammkuhle auf dem Südhang von Camaderry. Das Einzige, was mich vom strömenden Regen trennt, ist ein Plastiksack.

Hinter mir quiekt es. Ein lautes, metallisches, einsilbiges Quieken, das auch als Pfeifen durchgehen würde, ein Geräusch, wie man es vielleicht von Flugsauriern erwarten könnte. Im Dunkeln werde ich immer nervös, wenn etwas hinter mir quiekt. Ich drehe mich langsam um. Das Pfeifen kommt aus dem Maul eines Rehs, das ein paar Meter oberhalb meiner Schlammkuhle steht. Eigentlich sehe ich durch all das fallende Wasser nur den Spiegel, den weißen Arschfleck des Rehs. Genau genommen ist es auch kein Reh, sondern ein weiblicher Echter Hirsch, ein taxonomischer Unterbereich der Hirsche. Das Reh, das man aus deutschen Wäldern kennt, ist im Unterschied dazu ein Trughirsch, eine andere Unterfamilie, zu der auch Elch und Rentier gehören.

Es gibt nichts anderes zu tun, als den Hirschen zuzuhören. Kaum zwei Stunden ist es her, da stieg ich aus der Zivilisation aus, genauer gesagt aus einem der klimatisierten Fahrzeuge, die der »St. Kevin Bus Service« täglich in die Wicklow Mountains schickt. Kaum zwei Stunden her, und schon ist alles nass und dreckig. Ich bin ein wenig stolz. Camaderry, mein Zuhause für heute Nacht, ist kein besonders hoher Berg. Camaderry ist auch kein besonders attraktiver Berg. Seine Oberfläche besteht vor allem aus Schlamm und Gestrüpp. Nur im Südosten, wo steile Granitwände in Richtung Glendalough abfallen, ist erkennbar, dass der Berg ein Rückgrat aus Felsen besitzt. Ganz oben ein Haufen aus drei bis vier Steinen, ein winziger Cairn, der wohl den Gipfel markieren soll.

Die Hose klebt an meinen Beinen fest. Das Zittern hört nicht mehr auf. Wasser läuft über mein Gesicht. Interessanterweise wird das Quieken des ersten Hirsches beantwortet, und zwar von einem anderen Hirsch ein paar Meter weiter unten, der heisere, grobe Belllaute ausstößt. Normalerweise wirkt alles, was Tiere so von sich geben, wie sinnloses Plappern, aber hier reden offenbar zwei Hirsche miteinander, und zwar über mich.

Djouce

Es ist etwa vierhundert Millionen Jahre her, da kollidierten die Altkontinente Laurentia, Baltica und Avalonia irgendwo in der Nähe des Äquators. Iapetus, der Altozean zwischen den Altkontinenten, wurde kleiner und kleiner. Der Meeresboden wölbte sich; Landfetzen, die wir heute Irland, Schottland und Norwegen nennen, traten aus dem Meer hervor. Die Wucht der Kollision presste flüssiges Gestein aus dem Inneren der Erde. Das Magma erkaltete an der Luft und bildete Blöcke aus Granit. Bergketten entstanden, Nahtstellen, an denen die Landmassen schließlich zu dem neuen Superkontinent Pangäa zusammenwuchsen. Diesem Prozess, der kaledonischen Orogenese, haben wir es zu verdanken, dass es heute nur eine Stunde Autofahrt südlich von Dublin ein Gebirge gibt: die Wicklow Mountains.

Wer von Dublin aus in Richtung Süden blickt, kann die Wicklows kaum übersehen. Die erste Reihe der Berge beginnt direkt am Stadtrand und zieht sich von Bray an der Küste quer über den Südhorizont, die einzige Skyline, die sich Dublin leisten kann. Djouce zum Beispiel, der zehnthöchste Berg der Wicklows, gesprochen Dschauß, keinesfalls Juice, ist an klaren Tagen gut zu erkennen, ein konischer Gipfel rechts neben dem kleineren »Zuckerhut«. Oder Kippure, mit seiner großen Antenne. Dazwischen eine Serie aus dunklen Umrissen am Horizont. Wirklich eindrucksvoll sehen diese Wicklows nicht aus. Vierhundert Millionen Jahre sind eine lange Zeit, genug für die erodierenden Kräfte von Wind, Eis und Wasser, um aus den ehemals kilometerhohen Bergen eher bescheidene Hügel zu machen.

Deshalb ist es nicht so einfach zu erklären, was ich in den Wicklows zu suchen habe. Die meisten kulturellen Antriebe, die uns in wilde Landschaften treiben, fallen in den Wicklows aus. Wandern funktioniert schon einmal nicht. Wandern braucht ein Ziel, zum Beispiel einen Gipfel, von dem aus man einen Panoramablick auf die Welt genießen kann. Man sitzt unter dem Gipfelkreuz, isst die mitgebrachten Brote und sieht voller Genugtuung ins Tal. Anschließend wandert man wieder hinunter. So verlangt es die Tradition. Wenn man in den Wicklows eine der wenigen gipfelartigen Erhebungen besteigt, dann findet man maximal einen Steinhaufen. Außerdem steckt man mit großer Wahrscheinlichkeit im Nebel und sieht nichts von der Umgebung. Die Wicklows stehen so dicht am Meer, dass sie nur wenige Tage im Jahr nicht von feuchten Schwaden aus feinen Wassertropfen bedeckt sind.

In Großbritannien ist in den letzten Jahrzehnten ein Gipfelwahn ausgebrochen, der Tausende Wanderer unter dem beschönigenden Etikett »Hillwalking« dazu bringt, eine willkürlich definierte Liste von Bergen zu besteigen. Die schottischen Munros vor allem, alle 283 Gipfel, die eine Höhe von dreitausend Fuß, etwa 915 Meter, übersteigen. Mehrere Tausend Menschen haben die gesamte Munro-Runde absolviert, die meisten brauchen Jahre dafür. Die Liste zu vervollständigen, »finishen«, liefert eine starke Motivation, in die Berge zu gehen, selbst wenn das Wetter miserabel ist. Auch in Irland gibt es Munros, etwa zwölf oder fünfzehn, je nachdem wie man rechnet, aber fast alle stehen dicht gedrängt im Südwesten der Insel. Die Wicklows verfügen über einen einzigen Munro: Lugnaquilla, ein unförmiger Klotz im Süden der Region, mit einer Höhe von 925 Metern oder 3035 Fuß auch nur knapp oberhalb des geforderten Limits. Munroing in Irland ist eine Beschäftigung für ein langes Wochenende.

Anfangs erfand ich meine eigene Munro-Runde für die Wicklows: alle Hügel besteigen, die höher sind als zweitausend Fuß. Je nachdem wie großzügig man beim Zählen vorgeht, kommt man auf dreißig, maximal fünfunddreißig »Gipfel«. Vermutlich habe ich sie mittlerweile alle bestiegen, viele davon mehrfach, aber irgendwo in der Gegend von Nummer fünfzehn sah ich die Sinnlosigkeit des Projekts ein. Abgesehen von Lug, Cleevaun, Ton, Kip und Djouce, meine Kosenamen für die wenigen echten Gipfel, die manchmal noch im April mit Schnee bedeckt sind, stellen alle Berge der Wicklows nur leichte Beulen im Gelände dar. Bei vielen ist völlig unklar, wo der höchste Punkt sein soll, so flach sind sie. Wenn der Gipfel ein Schlammfeld ist, in das man bis zum Knie einsinkt, ist es dann noch ein Gipfel?