Lügst du noch oder liebst du schon? - Gabriella Engelmann - E-Book

Lügst du noch oder liebst du schon? E-Book

Gabriella Engelmann

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wenn Lügen lange Beine haben: Im humorvollen Liebesroman von Bestseller-Autorin Gabriella Engelmann führen jede Menge Schwindeleien zu wunderbarem Chaos in Sachen Liebe.   Wie schwer kann es sein, einen netten Mann kennenzulernen? Nach den Erfahrungen der 40-jährigen Franca schwanken die Erfolgsaussichten zwischen »sehr« und »unmöglich«, jedenfalls für eine alleinerziehende Mutter. Deshalb gibt sie sich beim nächsten Speed-Dating probehalber als ungebundene Karriere-Frau aus. Prompt lernt sie den sehr netten Oliver kennen, geschiedener Vater einer kleinen Tochter. Zwischen Franca und Oliver sprühen bald die Funken. Dumm nur, dass auch Oliver nicht so ganz ehrlich war, was seine Lebensumstände angeht … Ehe die beiden Lügen-Barone in Sachen Liebe es sich versehen, entwickeln ihre Schwindeleien ein Eigenleben, das sich nicht so ohne Weiteres wieder einfangen lässt.   Lockerleicht und herrlich witzig lässt Gabriella Engelmann in ihrem humorvollen Liebesroman Franca und Oliver abwechselnd zu Wort kommen, sodass wir hautnah dabei sind, wenn aus Lüge Liebe wird.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 399

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Gabriella Engelmann

Lügst du noch oder liebst du schon?

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Wenn Lügen lange Beine haben: Im humorvollen Liebesroman von Bestseller-Autorin Gabriella Engelmann führen jede Menge Schwindeleien zu wunderbarem Chaos in Sachen Liebe.  

 

Wie schwer kann es sein, einen netten Mann kennenzulernen? Nach den Erfahrungen der 40-jährigen Franca schwanken die Erfolgsaussichten zwischen »sehr« und »unmöglich«, jedenfalls für eine alleinerziehende Mutter. Deshalb gibt sie sich beim nächsten Speed-Dating probehalber als ungebundene Karriere-Frau aus. Prompt lernt sie den sehr netten Oliver kennen, geschiedener Vater einer kleinen Tochter.

Zwischen Franca und Oliver sprühen bald die Funken. Dumm nur, dass auch Oliver nicht so ganz ehrlich war, was seine Lebensumstände angeht … Ehe die beiden Lügen-Barone in Sachen Liebe es sich versehen, entwickeln ihre Schwindeleien ein Eigenleben, das sich nicht so ohne Weiteres wieder einfangen lässt.  

 

Lockerleicht und herrlich witzig lässt Gabriella Engelmann in ihrem humorvollen Liebesroman Franca und Oliver abwechselnd zu Wort kommen, sodass wir hautnah dabei sind, wenn aus Lüge Liebe wird.

Inhaltsübersicht

Widmung

10 

11 

12 

13 

14 

15 

16 

17 

18 

19 

20 

21 

22 

23 

24 

25 

26 

27 

28 

29 

30 

31 

32 

33 

34 

35 

36 

37 

38 

39 

Für alle Heldinnen des Alltags!

Suche Frau für Affäre ohne Nebenwirkungen

Franca Peters – Samstag, 15. Mai

Findest du meine Brüste zu klein?«

»Welche Brüste? Ich sehe hier nirgendwo welche. Außer meinen eigenen natürlich.« Mia kichert, ich schmolle. Unverschämtheit!

Meine beste Freundin nimmt wie immer kein Blatt vor den Mund. »Ehrlich währt am längsten«, lautet ihre Devise, auch wenn’s wehtut.

»Ich weiß selbst, dass ich nicht Körbchengröße Doppel-D habe, aber bin ich deshalb weniger wert? Wo sind die Zeiten geblieben, in denen innere Werte zählten? Wärme, Verstand, Charme, emotionale Intelligenz …«

Mia zieht ihre Nase kraus.

»Ehrliche Antwort?«

Ich nicke, wenngleich ich die Wahrheit vermutlich nicht hören will.

»Solche Zeiten hat es nie gegeben. Was zählt, ist der erste Eindruck. Und der läuft bei Männern nun mal in der Regel über die Optik und folgt einem über die Jahrhunderte fest etablierten Beuteschema: große Kulleraugen, roter Schmollmund, lange Beine, gebärfreudiges Becken – und Brüste, möglichst große. Wenn diese Kriterien alle erfüllt sind, freuen sich die Herren der Schöpfung natürlich, wenn du außerdem bis drei zählen kannst, im Handumdrehen ein Vier-Gänge-Menü zauberst und interessiert ihren Geschichten lauschst.«

Ich schlucke. Das klingt alles ziemlich aussichtslos.

Bevor ich also beginne, über eine Brustvergrößerung nachzudenken oder einen Kochkurs zu belegen, sollte ich vielleicht am besten alles so lassen, wie es ist!

An sich ist doch alles gut.

Mia blättert in der aktuelle Ausgabe der Szene und gibt stichprobenartig zum Besten, welchen Typ Frau die Inserenten suchen. Das Hamburger Stadtmagazin ist ein idealer Auskunftgeber, wenn man ausgehen will, Restauranttipps benötigt oder – zumindest nach Meinung meiner besten Freundin – den Mann fürs Leben sucht. Natürlich sind Kontaktanzeigen mittlerweile antiquiert, aber mit neununddreißig fühle ich mich zu alt für Internetflirts und gehe hoffnungsvoll davon aus, dass es den Männern meiner Generation ebenso geht.

»Mama, was macht ihr da? Können wir jetzt endlich los?«

Meinem achtjährigen Sohn Samuel, den ich immer Sammy nenne, ist offenbar langweilig. Eigentlich wollten Mia und ich schon längst mit ihm im Zoo sein, aber irgendwie sind uns während des Frühstücks diese Anzeigen in die Quere gekommen. Mia kann es eben einfach nicht lassen: Sie will mich auf Teufel komm raus »an den Mann bringen«.

»Schätzchen, wir sind gleich so weit. Nur noch ’ne Minute. Schau doch solange in das Tierlexikon, das Papa dir geschenkt hat.«

Ich finde meinen Vorschlag irre konstruktiv.

»Hab ich schon durch! Ich will in den Zoo. Jetzt gleich!«

»Sammy, deine Mom und ich müssen noch kurz etwas Wichtiges besprechen. In zehn Minuten, okay? Weißt du, wie lange zehn Minuten sind?« Mia deutet auf ihre Cartier, und Sammy guckt beleidigt.

»Na klar weiß ich das, ich bin ja schon acht.«

Spricht’s und verzieht sich ins Kinderzimmer. Endlich!

»Du kannst echt gut mit Kindern«, grinse ich und blättere weiter. Die Überschriften der Kontaktanzeigen sind eine einzige Katastrophe: »Suche Frau für Affäre ohne Nebenwirkungen« oder »Keine Frau fürs Leben, sondern nur für mal eben«. Nicht zu verachten ist auch »Einen sexy Hasen fürs Bett, das fänd ich nett«.

Brrrr! Vielleicht sollten diese Herren sich lieber auf der Reeperbahn umsehen, anstatt miese Reime zu verfassen. Wenn sie nur auf Sex aus sind, ist ihr Geld dort besser aufgehoben. Hasen gibt es da jede Menge. Allerdings tragen sie Moonboots.

»Mia, sei mir nicht böse, aber das ist nichts für mich. Lass uns lieber in den Tierpark gehen, bevor ich schlechte Laune bekomme.«

Meine Freundin rollt mit den Augen, seufzt und nickt. Sie kennt mich gut genug, um zu wissen, wann sie den Bogen überspannt hat.

 

Eine halbe Stunde später sind wir im Zoo, und Sammy ist in seinem Element. Erster Programmpunkt auf der Tagesordnung: der Affenfelsen.

Wir stehen vor den Orang-Utans und beobachten, wie ein Männchen mit drei Weibchen gleichzeitig flirtet.

»Ich dachte immer, die seien monogam«, wispere ich Mia zu. Auf der Informationstafel lese ich zu meinem Entsetzen, dass die Affen aus Borneo und Sumatra lediglich dauerhafte Bindungen zwischen Weibchen und Jungtieren kennen.

Mein Blick wandert zu Sammy.

Mia, die als Kommunikationstrainerin eigentlich nur Erfahrung mit dem Paarungsverhalten von Wirtschaftsbossen hat, kontert amüsiert:

»Ich glaube, du verwechselst Affen mit Pinguinen. Außerdem gilt in der Tier- und Menschenwelt das Prinzip von Angebot und Nachfrage, auch Ökonomie genannt. Wenn es mehrere interessante Offerten gibt, wie in diesem Falle, behält sich jeder vor, sich für das Optimum zu entscheiden. Und was das Beste ist, findet man nur heraus, indem man vergleicht.«

»Aha! So siehst du das also. Das Leben und die Liebe als Supermarkt, in dem man nach Herzenslust shoppen kann. Findest du das nicht furchtbar? Liebe hat doch nichts mit Konsum zu tun!«

Mia lacht.

»Komm endlich von deiner rosaroten Wolke runter und finde dich damit ab, dass heutzutage jeder auf der Jagd nach dem Schönsten und Besten ist. Keiner ist je zufrieden, selbst wenn er bekommt, was er will.«

Wie mein Ex-Mann Ralf. Der dachte auch, dass die um zehn Jahre jüngere Britta besser sei als ich.

Jetzt habe ich wirklich schlechte Laune. Ich will sofort zu den Pinguinen! Die glauben wenigstens an Monogamie.

Im tiefsten Inneren meines Herzens glaube ich nämlich immer noch daran, dass es so etwas wie die wahre Liebe gibt, die ein Leben lang hält. Mit knapp vierzig habe ich schätzungsweise die Hälfte meines Lebens hinter mir. Oder vor mir, wenn man das Ganze von einem positiven Standpunkt aus betrachtet. Da wird es doch verdammt noch mal irgendwo jemanden geben, der es läppische vierzig Jahre mit mir aushält?! Aber wo sind die guten Männer? Wo versteckt ER sich? Und warum?

Ich warte doch schon so lange.

»Schoko- oder Pistazieneis?«, fragt Mia und reißt mich aus meinen selbstmitleidigen Betrachtungen.

»Sowohl als auch«, antworte ich wild entschlossen – heute will ich mir was gönnen. Wenn ich so weitermache, bin ich bald wirklich das Vollweib, nach dem die Inserenten der Szene suchen. Nur in der flachbrüstigen Ausführung.

In den nächsten fünf Minuten ist die Welt für mich in Ordnung. Ein cremiger Traum, eingebettet in eine knusprige Waffel.

Eine Waffel, die plötzlich am Boden liegt.

Zertrampelt von einem Vollidioten.

»Blödmann!«, rufe ich dem Typen hinterher, der mich umgerannt und damit mein restliches Eis zu Boden befördert hat. »Ist das denn zu fassen? Jetzt haben die es sogar schon im Zoo eilig. Seit wann sind hier denn Handys erlaubt?«

Für den heutigen Tag habe ich genug von der Spezies Mann.

Außer von meinem Sohn natürlich, der weder quengelt noch muckt und sich alles in allem mustergültig benimmt.

Mittlerweile sind wir beim Streichelzoo angelangt.

»Könnten Sie bitte Ihren Jungen davon abhalten, die Ziege mit Zuckerwatte zu füttern?«, blafft mich jemand von der Seite an, und meine stolzgeschwellte Mutterbrust senkt sich binnen Sekunden.

Der Zoomitarbeiter, der auf den Namen Konstantin hört, versteht offenbar keinen Spaß, wenn es um die Nahrungsaufnahme der Bewohner seines Streichelgeheges geht. »Hier steht ausdrücklich, dass die Tiere ausschließlich mit dem dafür bereitgestellten Körnermix gefüttert werden dürfen.« Ist Konstantin eigentlich der Vor- oder Nachname dieses miese Laune verbreitenden Menschen, der offenbar kein Verständnis dafür hat, dass Sammy noch nicht perfekt im Lesen von Schildern ist?

»Tut mir leid«, antworte ich kleinlaut, für eine Auseinandersetzung fehlt mir die Kraft. Ich bin eine alleinerziehende Mutter, habe heute Nacht viel zu wenig geschlafen, bin urlaubsreif und überhaupt.

»Sammy, Schätzchen, lässt du das bitte und kommst zu Mami.« Leider denkt mein Sohn nicht im Traum daran. Oder er mag seine Zuckerwatte einfach nicht und hält das Tier für eine Art lebenden Mülleimer.

»Aber sie hat doch Hunger«, behauptet er. »Und sie mag Zuckerwatte. Das hat sie mir gesagt.«

Himmel, mein Sohn denkt, er sei ein Ziegenflüsterer.

»Ich glaube dir, mein Süßer, aber jetzt lass uns gehen, ja? Das Tier hat genug gefressen.«

Bloß weg von diesen stinkenden Viechern und dem schlecht gelaunten Herrn Konstantin, der aufmerksam unseren Wortwechsel verfolgt.

Wo ist eigentlich Mia Jacobs, wenn man sie braucht?

Ah, da kommt sie ja. Strahlend, außer Atem und mit einer Visitenkarte wedelnd.

»Das nenne ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen«, schnauft sie und streckt mir eine Eiswaffel entgegen. »Mit den besten Grüßen von Doktor Julius Humbert.«

Julius Humbert?

»Julius hatte es eilig, weil einer seiner Mandanten in einer Notlage ist. Pech für seine Nichte, aber so ein wichtiger Job geht nun mal vor. Er ist Anwalt.« Mia betont das Wort Anwalt, als erwarte sie, dass ich vor Ehrfurcht ohnmächtig zu Boden sinke.

»Und Eile ist natürlich ein legitimer Grund, unschuldige Menschen über den Haufen zu rennen, ihrer Süßigkeiten zu berauben und sich noch nicht einmal zu entschuldigen.«

»Aber er entschuldigt sich doch. Oder wofür hältst du das Eis sonst?«

Das überzeugt mich nicht recht.

»Und weshalb hast du seine Visitenkarte?« Das fehlte gerade noch, dass Mia aus meiner Misere Vorteil zieht und sich mit diesem Anwalt verabredet.

»Julius Humbert möchte sich gern mit mir zum Abendessen treffen. Ich soll ihn anrufen.«

Sag ich’s doch! Mia kann man auch keine Sekunde allein lassen.

Aus Männerperspektive kann ich es allerdings verstehen, denn sie ist mit ihrem coolen Uma-Thurman-Look einfach anbetungswürdig. Sehr blond, sehr groß, sehr …

Ich, als kleine Dunkelhaarige mit Fältchen um die graublauen Augen, ähnle eher Diane Lane. Aber nur an guten Tagen, wenn ich drei bis vier Kilo weniger auf den Rippen habe, was leider momentan nicht der Fall ist.

»Sammy, magst du mein Eis?«, frage ich und ärgere mich gleichzeitig darüber, dass ich soeben meine eigenen pädagogischen Grundsätze unterlaufe. Zuckerwatte UND Eis, das geht an sich gar nicht!

»Musst du ihn eigentlich nicht bald bei Ralf abliefern?«, fragt Mia und sieht auf die Uhr. »Wir wollten doch noch ins Kino.«

Stimmt, das hätte ich beinahe vergessen. Die Übergabe meines Sprösslings soll heute Nachmittag um fünf erfolgen. Also bleiben uns noch zwei Stunden bei Hagenbeck. Danach habe ich bis Sonntagabend Pause von meinem Vollzeit-Mama-Dasein.

 

Um zwanzig Uhr sitzen wir statt im Kino in einem gemütlichen Restaurant am Hafen. Keiner der aktuell laufenden Filme hat Gnade vor unseren Augen gefunden, außerdem werde ich das Gefühl nicht los, dass Mia immer noch scharf darauf ist, mir einen Mann zu angeln. Die Idee mit den Kontaktanzeigen stammte natürlich auch von ihr, und meine Freundin ist von der beharrlichen Sorte, wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hat. Nach der Vorspeise kommt sie auch schon zum Punkt:

»Wie wär’s mit Speeddating?«

Ich verstehe nur Bahnhof.

»Speeddating? Was ist das denn?«

»Hast du den Film Shoppen nicht gesehen?«

Nein, habe ich nicht. Ich bin eine alleinerziehende Mutter und habe kaum Zeit, geschweige denn Geld, um großartig ins Kino zu gehen. Filme schaue ich im Fernsehen an oder auf DVD.

»Pass auf, das Prinzip ist …«, beginnt Mia.

Angewidert lausche ich ihrer Beschreibung, wie sich fremde Menschen gegenübersitzen und nur ein paar Minuten haben, um sich kennenzulernen. Sobald die Zeit abgelaufen ist, müssen sie sich mit dem Nächsten unterhalten, egal, ob sie wollen oder nicht.

Mir wird abwechselnd heiß und kalt, und mein Schädel dröhnt. Diese Form des Datings klingt anstrengend, widernatürlich, hektisch und absolut grauenhaft. Warum will Mia mir das antun?

»Ich denke, du bist meine Freundin«, wehre ich mich gegen diese unwürdige Form der Kuppelei. Ehe ich so etwas mache, bleibe ich lieber allein! »Ich bin doch kein Stück Fleisch, das wie auf dem Markt geprüft, vermessen und gewogen wird.« Um womöglich anschließend als Restposten im Regal liegen zu bleiben …

»Nun werd nicht gleich so dramatisch«, rügt mich Mia. Kunststück, eine Frau wie sie braucht derlei Situationen auch nicht zu scheuen.

»Du musst nichts weiter tun, als dich hübsch zu machen, auf einen Stuhl zu setzen und ein wenig zu plaudern. Im Übrigen hast du es selbst in der Hand, wie die Sache läuft. Dreh doch einfach den Spieß um und frag die Typen Löcher in den Bauch. Wer sagt denn, dass nur du Rede und Antwort stehen musst?«

Ich sage das. Ich habe nämlich den fatalen Hang, mich in solchen Momenten um Kopf und Kragen zu reden. Aus lauter Sorge, man könne mich unsympathisch, unintelligent oder gar langweilig finden. Außerdem halte ich Gesprächspausen schlecht aus.

»Ich weiß nicht. Für so einen Unsinn habe ich echt keine Zeit. Ich will keine emotionale Reise nach Jerusalem spielen, nur um festzustellen, dass ich gleich in der ersten Runde rausfliege. Die Erfahrung habe ich bereits mit Ralf gemacht. Danke, mein Bedarf ist vorerst gedeckt.«

»Das Argument mit der fehlenden Zeit gilt schon mal nicht. Das nächste Speeddating im Catwalk-Café findet kommenden Sonntag statt. Ich melde dich an und passe auf Sammy auf. Die Veranstaltung beginnt um siebzehn Uhr, dauert ungefähr eine Stunde, und das Café ist gleich bei dir um die Ecke. Wenn du zurück bist, trinken wir noch ein Glas Wein, und du erzählst mir alles, okay?«

Nein, nichts ist okay! Bei aller Freude darüber, dass Mia nur mein Bestes will: Kann sie nicht endlich akzeptieren, dass ich keine Lust auf so einen Schwachsinn habe?

»Was kostet der Spaß denn überhaupt? Und bin ich nicht viel zu alt dafür?« Ich bin stolz auf meine kreativen Gegenargumente. An irgendeinem dieser Punkte müsste die Sache doch scheitern.

»Betrachte den Eintrittspreis als meine Investition in dein zukünftiges Glück. Und was das Alter betrifft, so passt du genau in das Raster. Die Teilnehmer sollen nämlich Mitte dreißig bis maximal Mitte fünfzig sein. Komm, Franca, gib dir einen Ruck. Du wirst sehen, das macht Spaß!«

Ja, in etwa so viel, wie bei lebendigem Leib gehäutet zu werden.

Trautes Heim, Glück allein

Oliver Kramer – Samstag, 15. Mai

Samstagvormittag: frische Brötchen, doppelter Espresso und die neue auto motor und sport. Was braucht ein Mann mehr zum Glücklichsein?

Sylvie, mein One-Night-Stand von letzter Nacht, war zum Glück so vernünftig, sich rechtzeitig vom Acker zu machen. Sie hat weder gefragt, ob sie bleiben darf, noch wann wir uns wiedersehen. So ist’s recht, so muss es sein!

Als ich mir den Stuhl heranziehe, um meine Beine daraufzulegen, klingelt es an der Tür. Da ich niemanden erwarte, beschließe ich, das Läuten zu ignorieren. Erst beim dritten Mal wird mir klar, dass es entweder der Postbote ist oder mein Freund, der Asyl bei mir sucht.

»Dominic, na, das ist ja eine Überraschung. Komm doch rein.« So viel zum Thema gemütlich entspannter Samstagvormittag.

»Tut mir leid, dass ich hier so unangemeldet reinplatze, aber ich habe es zu Hause einfach nicht mehr ausgehalten. Kann ich ’nen Kaffee haben?« Sehnsüchtiger Blick in Richtung italienischer Herdkocher.

»Na klar, setz dich! Weiß Carla, dass du hier bist?«

Dominics Marschgepäck sagt mir, dass ihn während des Wochenendeinkaufs eine Krise erfasst haben musste, andernfalls säße er hier nicht in Gesellschaft von fünf Einkaufstüten aus dem Hause Alnatura.

»Ja, ich meine, nein«, stammelt er, während ich Espressopulver in den Einsatz der silbernen Kanne gebe und den Herd anstelle.

»Wir haben uns gestritten.«

Carla Petrocelli und Dominic Gründlich sind eigentlich ein Traumpaar, aber Quartalsstreiter. Alle drei Monate rappelt es im Karton. Es fliegen Fetzen, Gläser oder größere Gegenstände, je nachdem, worum es bei dem Streit geht und wer der Initiator ist.

Ist Carla am Zug, werden härtere Geschütze aufgefahren, was zweifelsohne an ihrem wilden sizilianischen Blut liegt, das durch ihre Adern pulsiert. Wenn hingegen Dominic etwas zu mosern hat, dann wird’s psychologisch. Mein bester und einziger Freund ist nämlich Kindertherapeut. Wo Carla schreit und tobt, diskutiert und argumentiert er sich um Kopf und Kragen.

Während sich ihr Freundeskreis angesichts dieser Krisen immer wieder aufs Neue mit drohender Scheidung konfrontiert sieht, liegen die Streithähne sich nach ihrem Kampf ebenso regelmäßig wieder in den Armen. Und haben laut Dominic »gigantischen, orgiastischen Sex«. Was ich persönlich angesichts einer langjährigen Ehe äußerst beeindruckend finde. Für drei Monate ist die Gefahr dann gebannt und alles wieder in Butter. Gott sei Dank, denn die beiden haben drei Kinder. Drei Mädchen, um genau zu sein – das erfordert Nervenstärke!

Während Dominic dankbar seinen Kaffee schlürft, betrachte ich ihn. Wir kennen uns jetzt seit beinahe zwanzig Jahren von der Uni, Studienfach: Psychologie. Wegen unseres Alters von fünfundvierzig sind unsere ehemals dunklen Haare ein wenig ergraut (meine zum Glück etwas weniger), wir haben hie und da ein paar Falten im Gesicht (ich allerdings weniger, denn ich nutze die Errungenschaften der Herrenkosmetik), tragen den einen oder anderen Speckring mit uns herum (ich nicht so sehr, weil ich wesentlich mehr Zeit in Sport und Bodyshaping investiere als Dominic). Aber alles in allem würde ich uns beide als ziemlich attraktive Kerle bezeichnen.

Was uns die holde Damenwelt auch regelmäßig spiegelt.

Dominic erhält immer wieder ein- bis zweideutige Angebote von Müttern, deren Sprösslinge in seine Praxis kommen, und er wird auch nicht gerade selten im Supermarkt angequatscht. Es ist erstaunlich, wie viele Frauen sämtliche Hemmungen fallen lassen, wenn sie auf Beutefang sind, und wie viel Selbstbewusstsein sie dabei bisweilen an den Tag legen.

Beinahe beängstigend.

»Und worum ging’s diesmal?«, frage ich, ganz Freund und Psychologe. Schließlich bin ich erfolgreicher Autor von Büchern zum Thema Selbstcoaching, positives Denken und Glückssuche.

»Na ja, Carla fällt zu Hause die Decke auf den Kopf, aber wenn ich ihr vorschlage, den Einkauf zu erledigen, damit sie mal rauskommt, ist es ihr auch wieder nicht recht.«

Ich kann mir kaum ein Grinsen verkneifen.

»Du bist wirklich ein Blindfisch! Carla ist eine intelligente Frau, die ihren Beruf zugunsten der Kinder aufgegeben hat und die mehr will, als sich nur mit anderen Müttern über Windeln und Kinderkrankheiten zu unterhalten. Ist das so schwer zu kapieren?«

Dominic guckt beleidigt.

»Hey, auf wessen Seite stehst du eigentlich? Hallo? Ich bin’s! Dein bester Freund und nicht irgendein Käufer deines Ratgebergeblubbers.«

Ratgebergeblubbers?

»Vorsicht, Freundchen. Sonst kannst du deinen Espresso woanders trinken. Ich will dir doch nur helfen.«

»Bitte entschuldige.« Zerknirschter Blick.

Wie aufs Stichwort klingelt Dominics Handy in einer der Plastiktüten, doch er macht einen auf taubstumm.

»Willst du nicht rangehen? Das ist bestimmt Carla, die sich mit dir versöhnen will. Mach’s ihr nicht unnötig schwer!«

»Ach, die kann mich mal!«

Harte Worte. Aber er wird schon wissen, was er tut. Hoffe ich zumindest …

»Und wie geht’s dir so?« Dominic will sich anscheinend nicht länger über seine Beziehung unterhalten.

»Alles im grünen Bereich.«

Mein Freund nickt.

Das ist das Schöne an einer Männerfreundschaft. Man versteht sich auch ohne viele Worte.

Während wir weiter Kaffee trinken und Dominic sich ein Croissant schnappt, klingelt sein Handy noch ein paarmal.

Dann läutet es auf meinem Festnetz. Ich lasse den Anrufbeantworter anspringen, schließlich habe ich gerade Besuch.

Die Anruferin ist Carla.

»Hey, Oliver, geh ran! Ich weiß, dass Dominic bei dir ist. Wo sollte er sonst sein? Sag ihm, dass ich die Kinder jetzt zu seiner Mutter bringe und den nächsten Flieger nach Palermo nehme. Schönen Tag noch.«

Dominic und ich sehen uns stumm an.

Erfahrungsgemäß ergreift Carla nach einem Streit folgende Maßnahmen:

 

Sie kocht eine Woche lang ausschließlich Gesundes. Weder Fleisch noch Sahnesaucen. Auch Frittiertes oder Desserts sind gestrichen.

Sie entzieht sich jeglicher Form körperlicher Annäherung. Selbst ein Gutenmorgenkuss gilt bereits als schweres Vergehen.

Sie droht mit Abreise. Egal, wohin. Meistens Sizilien, wo sie geboren ist.

 

Keine Ahnung, was Dominic wegen Punkt drei unternehmen würde. Wenn es um Punkt eins geht, ergibt er sich in der Regel immer sofort, weil er sehr gerne isst. Persönlich vermute ich ja, dass ihn eine erzwungene Pommes-frites-Abstinenz weitaus härter trifft als die Verweigerung des ehelichen Beischlafs.

»Willst du nicht mal los, um die Sache in Ordnung zu bringen?«, frage ich vorsichtig.

Ich kann nicht fassen, dass er hier in aller Seelenruhe sitzt und sich den Bauch vollschlägt, während seine Ehe den Bach runtergeht.

Doch Dominic hat offenbar nichts dergleichen vor.

»Mann, du hast es gut«, seufzt er und angelt nach einem zweiten Croissant. »Du lebst allein, kannst tun und lassen, was du willst. Kein Mensch schreibt dir vor, was du zu essen, zu tragen und zu denken hast. Du hast Sex im Überfluss, und dein einziges Problem besteht darin, nach einer Garage für dein Alfa-Cabrio zu suchen. Und vielleicht noch, dir zu überlegen, ob du deinen Urlaub lieber auf den Seychellen oder in Sankt Moritz verbringen willst.«

Wenn’s nach mir geht, gern beides!, denke ich, lenke aber gleich ein: »Dafür hast du wunderbare Kinder, eine tolle Ehefrau, eine gut gehende Praxis und existenzielle Sicherheit. Manchmal würde ich gern mit dir tauschen.« Okay, das stimmt nicht ganz, aber was soll’s!

»Nein, würdest du nicht. Du bist gerne der einsame Wolf, weil du genau weißt, wie sehr das die Frauen anmacht. Dein einziger Boss ist dein Verleger, und nicht mal der traut sich, dir reinzureden, dazu verkaufen sich deine Bücher einfach zu gut. Du hast Kohle, bist attraktiv, dein Handicap ist grandios, und eine Garage für dein Spaßmobil findest du sicher auch bald. Ich weiß nur nicht, ob dich das auf Dauer glücklich macht.«

Diesen letzten Satz überhöre ich geflissentlich. Ich lebe im Hier und Jetzt, und das sehr gut. Sollten sich meine Bedürfnisse irgendwann ändern, kann ich mir darüber immer noch Gedanken machen.

Das Telefon klingelt. Carla. Diesmal ein wenig kleinlauter.

»Hallo, Oliver. Dominic hat sich nicht gemeldet. Vielleicht ist er ja doch nicht bei dir. Hoffentlich ist ihm nichts passiert. Ich mache mir Sorgen … ich … (kleiner Schluchzer) … ich liebe ihn doch so. Sag ihm das bitte, wenn er bei dir anrufen sollte. Und sag ihm auch, dass seine Kinder ihn lieben.«

Dominic legt sein Frühstück beiseite. Die Botschaft scheint bei ihm angekommen zu sein.

Und plötzlich geht alles ganz schnell: Er rafft seine Tüten zusammen, ruft »Ciao!«, und rums! fliegt die Tür hinter ihm ins Schloss. Zurück bleiben die Erinnerung an seinen beseelten Gesichtsausdruck, Tränen der Rührung in meinen Augen und ein halbes Croissant mit Erdbeermarmelade. Ein Zeichen, wie sehr ihm Carla und die Kinder am Herzen liegen.

Ich schnappe mir den Rest und kaue gedankenverloren vor mich hin. Vielleicht sollte ich mich gleich an den Rechner setzen und arbeiten, bevor ich noch ins Grübeln komme. Mein neues Buch hat es in sich, und der Verlag erhofft sich einiges. Unter anderem einen Spitzenplatz auf der Bestsellerliste.

Ein bisschen unwillig fahre ich wenig später den PC hoch und öffne die Datei »Wie finde ich die Liebe meines Lebens? – Tipps und Strategien rund um die schönste Sache der Welt«.

Der Arbeitstitel ist natürlich noch ausbaufähig, ebenso wie der Inhalt. Bislang habe ich noch nicht viel Nennenswertes zu Papier gebracht, weil mich das Thema unglaublich langweilt. Seit Wochen verbringe ich meine Zeit damit, mich in Internetforen herumzutreiben, Kontaktanzeigen aufzugeben oder zu beantworten, Blinddates durchzuziehen und Frauen beim Spaziergang oder in Bars und Cafés anzusprechen.

Letzte Punkte auf meiner To-do-Liste: Museumsbesuch und Speeddating. Ins Museum will ich morgen, speeddaten kommenden Sonntag.

Ich bemühe mich, so gut es geht, einen sensiblen, positiven Ton zu finden, der meinen Leserkreis ermutigt, offen zu sein für die wahre Liebe, der sie jeden Tag begegnen könnten. Und deshalb gibt es natürlich ein paar Regeln zu beachten, wenn man will, dass die Sache auch wirklich klappt. Also lege ich los:

 

Verlassen Sie das Haus nur, wenn Sie frisch geduscht sind, Ihre Haare gut sitzen und Sie gut duften! Die erste Sekunde entscheidet über den weiteren Verlauf einer Begegnung.

Achten Sie auf Ihren Gesichtsausdruck! Steile Falten auf der Stirn, heruntergezogene Mundwinkel und kritisches Zusammenkneifen der Augen sind keine Türöffner für fremde Herzen. Denken Sie an etwas Angenehmes und lächeln Sie!

Seien Sie freundlich, wenn Sie angesprochen werden. Überschlagen Sie sich nicht, seien Sie nicht reserviert, sondern offen und natürlich. Vermeiden Sie künstliches Lachen, zu schnelles Sprechen und reißen Sie keine Witze, wenn Sie es nicht wirklich gut können!

Achten Sie auf Ihre Körpersprache. Hängende Schultern, ein vorgewölbter Bauch, ein auf der Brust thronendes Doppelkinn wirken nicht attraktiv. Nehmen Sie die Schultern zurück, ziehen Sie den Bauch ein und heben Sie den Kopf. Der andere soll sehen, mit wem er es zu tun hat.

 

Bei Punkt fünf weiß ich nicht mehr weiter.

Das Problem ist, dass ich selbst niemals ein Problem mit diesen Dingen hatte. Wann auch immer ich einer attraktiven Frau begegne und mit ihr ins Gespräch komme, bin ich innerhalb von ein paar Minuten im Besitz ihrer Telefonnummer, ob ich sie nun will oder nicht. Irgendetwas scheine ich wohl richtig zu machen. Und genau an diesem Talent sollte ich eigentlich meine Leser teilhaben lassen. Aber wie erklärt man eine Naturbegabung?

Am besten, ich vertage das Projekt bis Montag. So bleibt mir der heutige Tag, um ins Fitnessstudio zu gehen. Nicht, dass ich irgendwann selbst ein Doppelkinn habe und mein Bauch sich über der Gürtelschnalle wölbt.

 

Um drei Uhr nachmittags komme ich zu der Erkenntnis, dass schweißtreibende Sit-ups und das Betätigen eines Ergometers eine ziemlich sinnfreie Angelegenheit sind.

Um fünf Uhr habe ich zwei Saunagänge hinter mir und fühle mich schlapp. Außerdem dröhnt mir der Schädel von den Gesprächen der anderen Saunabesucher. Sie drehen sich ausnahmslos um Job oder Beziehungen. Gibt es denn nichts anderes, worüber es sich zu reden lohnt?

Um sechs Uhr abends sinke ich erschöpft und hungrig auf die Couch. Soll ich essen gehen oder mir etwas vom Lieferservice kommen lassen? Thai-Food? Pizza? Sushi? Indisch? Die Möglichkeiten sind so vielfältig, dass ich einschlafe, während ich darüber nachdenke.

Um zwanzig Uhr, pünktlich zur Tagesschau, werde ich wieder wach. Während wenig erheiternde Bilder über den Schirm flimmern, öffne ich eine Flasche Rotwein, einen Jahrgangs-Barolo, den mir meine Drei-Wochen-Affäre Nina Katzenberg letztes Jahr geschenkt hat, als sie mich zu einem lauschigen kleinen Dinner besuchte.

Schon merkwürdig, wie leicht manche Frauen zu beeindrucken sind. Man bestellt zwei halbe Hummer beim Delikatessengeschäft, dazu eine passende Sauce, kocht ein paar Nudeln und schwupps liegen sie dir in heißen Dessous zu Füßen, weil du angeblich ein Küchengott bist.

Oder ein Sexgott, je nachdem, in welchem Teil der Abendveranstaltung man sich gerade befindet.

Vielleicht sollte ich lieber Nina anrufen und fragen, wie es ihr geht, bevor ich mir aus lauter Langweile womöglich noch Wetten, dass …? ansehe.

Mutterfreuden – Mutterleiden

Franca Peters – Sonntag, 16. Mai

Das Klingeln des Telefons reißt mich brutal aus dem Schlaf. Was an sich ganz gut ist, denn ich habe geträumt, ich hätte vergessen, Sammy einen Geburtstagskuchen zu backen. Schweißgebadet taste ich nach dem Wecker auf meinem Nachttisch und reibe mir verwundert die Augen. Es scheint, als sei es sechs Uhr morgens, ein Ding der Unmöglichkeit, schließlich ist heute Sonntag, und ich kann endlich all den Schlaf nachholen, den ich seit Wochen so bitter nötig habe. Bestimmt ist der Wecker stehen geblieben, und eigentlich ist’s zwölf Uhr mittags.

»Peters«, melde ich mich mit heiserer Stimme. Mia hat mich mal wieder ohne Ende zugequalmt, als wir nach dem Essen noch ein Stündchen bei mir waren und Baileys getrunken haben.

»Mama«, dringt ein dünnes Stimmchen an mein Ohr, das zweifelsfrei meinem Sohn Sammy gehört. Ich setze mich ruckartig auf. Das ist ein schwer kontrollierbarer Reflex. Wenn ich das Wort »Mama« höre, bin ich automatisch auf dem Sprung, bereit, mein Junges wie eine Löwenmutter zu verteidigen.

»Ja, Schätzchen, was ist denn passiert?«, frage ich mit klopfendem Herzen, denn bei genauerer Betrachtung des Weckers stelle ich fest, dass es wirklich morgens ist.

»Papa ist gemein. Hol mich ab! Sofort!«

Ich reibe mir erneut die Augen und versuche, mein Gehirn auf Betriebsmodus zu schalten. Dass mein Ex-Mann gemein sein kann, weiß ich spätestens, seit Britta-Klappergestell-Brandtner in sein und damit unweigerlich auch in mein Leben getreten ist. Was aber hat er um diese Uhrzeit angestellt, dass Sammy keine Minute länger mit ihm unter einem Dach bleiben will?

»Wieso ist Papa gemein?«, frage ich, während meine Fantasie Wildwuchs treibt.

Hat Sammy etwa Britta und Ralf beim Sex erwischt?

Hat Ralf ihm gestern Abend nicht erlaubt, seine Lieblings-Gutenachtsendung zu sehen? Hat er ihn gezwungen, Karottengemüse mit Kapern zu essen?

»Er hat gesagt, dass wir heute nicht ins Miniaturwunderland können.« Sammy erzählt dies in einem so dramatischen Tonfall, als wären Weihnachten, Ostern und alle Geburtstage vom Kalender gestrichen worden.

»Und wieso nicht?«, frage ich sachlich. Sammy soll nicht merken, wie wütend ich bin. Er freut sich seit Wochen auf den Besuch des Museums in der Speicherstadt, wo winzig kleine Züge, Städte und Länder in derartiger Präzision dargestellt sind, als hätten Aliens für Mars-TV eine Reportage von der Erde gedreht.

»Weil heute verkaufsoffener Sonntag ist und Britta ein neues Kleid braucht.«

Jetzt bin ich wirklich sauer!

»Sammy, Hase, gib mir doch mal Papa«, fordere ich, bereit, Ralf zur Minna zu machen. Wenn ich mit ihm fertig bin, ist die gemeine Weinbergschnecke eine Riesin gegen ihn.

»Ralf Peters«, meldet sich Sammys Erzeuger in einem Tonfall, als erwarte er einen geschäftlichen Anruf.

»Hier spricht Franca, die Frau, von der du geschieden bist, die aber dennoch deinen Namen behalten hat, du erinnerst dich?« Autsch, das war alles andere als souverän! »Wieso hältst du dein Versprechen nicht?«

Jetzt bloß nichts von Britta und ihrem Hang zu Shopping-Exzessen sagen! »Nur weil deine Geliebte mal wieder ein neues Kleid braucht, ist das noch lange kein Grund, deinen Sohn zu vernachlässigen.« Mist – Fehler Nummer zwei.

Ralf schweigt.

Ich auch. Wenn ich jetzt weiterrede, wird das eine Tirade der ganz peinlichen Sorte.

»Heute ist verkaufsoffener Sonntag, eine wunderbare Gelegenheit für Britta, die kaum Zeit hat, einkaufen zu gehen. Am Dienstag hat sie nämlich eine wichtige Präsentation und braucht dafür das passende Outfit. Ich gehe übernächstes Wochenende mit Sammy hin, versprochen.«

Ich kaue auf meiner Unterlippe herum und krümme die Zehen zusammen. Meine persönliche Methode, um mich zu beruhigen, wenn ich kurz vor einer Explosion stehe.

»Und du meinst, dass Sammy Spaß daran hat, bei schönem Wetter mit euch durch die Boutiquen zu ziehen? Der Junge ist acht, er sollte draußen sein und spielen.«

»Aber im Miniaturwunderland wäre er auch drinnen. Und da ist es dunkel«, gibt Ralf zu bedenken.

Punktsieg für ihn.

»Richte Sammy aus, dass ich in einer halben Stunde da bin und ihn abhole. Wir fahren an die Ostsee!« Während ich noch ein schwaches »Aber ist es nicht viel zu kalt für den Strand?« vernehme, lege ich auf, ohne mich zu verabschieden. Ha, das hat gesessen!

Halb benommen vom Schlafmangel und äußerst mies gelaunt schleppe ich mich ins Badezimmer. Man sieht mir die Spuren der vergangenen Nacht deutlich an: Im Gegensatz zu dem, was in Zeitschriften propagiert wird, habe ich mich nicht abgeschminkt, weil ich zu müde war. Meine Wimperntusche ist verklebt, in meinen Mundwinkeln sind noch Reste des dunklen Lippenstifts, das Rouge dürfte sich mittlerweile auf dem Bezug meines Kissens befinden. Meine Haare stehen wirr nach allen Seiten ab, ich müsste dringend wieder zum Friseur.

Britta erscheint vermutlich pünktlich alle vier Wochen beim Coiffeur ihres Vertrauens, bekommt dort schaumigen Milchkaffee serviert und liest in aller Ruhe die neueste Ausgabe der Vogue, während der Friseur ihre Kopfhaut massiert. Ich dagegen hocke bei einem dieser Zehn-Euro-Fritzen herum, muss verdursten und blättere in einer Frau im Spiegel von vor drei Jahren.

Falls ich es überhaupt dorthin schaffe …

Die beiden letzten Termine musste ich wegen Sammy absagen. Einmal waren spontan zwei Schulstunden ausgefallen, beim nächsten Mal musste ich mit ihm zum Arzt, da er sich auf dem Spielplatz einen Ast in den Fuß gerammt hatte.

Ich mache Katzenwäsche, schlüpfe in meine Jeans und ein T-Shirt, knote die Haare zum Pferdeschwanz und renne nach unten. Im Flur ist es mucksmäuschenstill. Kein Wunder, sonntags um halb sieben liegen alle noch in ihren Betten und schlafen.

Als ich draußen bin, hole ich einen Moment tief Luft. Auch wenn es um diese Uhrzeit noch kühl ist, duftet es nach Frühsommer. Bienen surren emsig auf den Blumen des schmalen Beetes, das unseren Eingangsbereich säumt, Hundebesitzer führen ihre Lieblinge auf dem Grünstreifen vor unserem Backsteinhaus Gassi. Vögel zwitschern aufgeregt, ab und zu fährt ein Auto vorbei.

Ich überlege kurz, wo ich meinen Wagen geparkt habe, und hoffe, dass ich nicht schon wieder einen Strafzettel kassiert habe. Doch kein Knöllchen ziert meinen kleinen verbeulten Fiat Uno, Glück gehabt.

Während ich die Fahrertür aufschließe, entdecke ich einen Marienkäfer auf der Scheibe, der sich sonnt.

Der würde Sammy bestimmt gefallen, denke ich und setze das Tierchen behutsam auf das grüne Blatt eines Rhododendrons. Wie gern würde ich mit Sammy auf dem Land leben, damit er mehr Natur um sich herum hat als hier in Eimsbüttel. Dieser Stadtteil ist zwar recht grün, wir wohnen sogar am Isebek-Kanal, aber Großstadt bleibt eben Großstadt.

Ich fahre langsam durch die Straßen, die genauso verschlafen wirken, wie ich mich fühle. Selbst die Breitenfelder Straße, die mich in den Nachbarstadtteil Eppendorf führt, ist so gut wie leer. Hoffentlich finde ich einen Parkplatz in der Curschmannstraße, denke ich, denn für eine Bestellung beim Universum bin ich eindeutig zu spät dran.

Nachdem ich das Haus, in dem Ralf und Britta wohnen, ein paarmal umrundet habe und meinen Sohn bereits an der Fensterscheibe kleben sehe, beschließe ich, widerrechtlich mit Warnblinker in der zweiten Reihe zu parken. Schließlich will ich ja nicht dort übernachten, sondern lediglich Sammy einsammeln.

Leider fällt es mir immer noch unendlich schwer, Ralf in seiner Wohnung zu besuchen. Wann immer es geht, versuche ich, Situationen wie diese zu vermeiden, und organisiere die Übergabe entweder an einem neutralen Ort oder bitte Ralf, zu uns nach Hause zu kommen. Ich hoffe nur, dass Britta noch im Bett liegt und ihrem Schönheitsschlaf frönt oder eine Shopping-Liste schreibt. Hauptsache, wir begegnen uns nicht.

»Hallo, Franca«, begrüßt Ralf mich förmlich. Der dunkelblaue Schlafanzug steht ihm gut. Sein kurzes, akkurat geschnittenes blondes Haar glänzt in der Morgensonne mit seinen hellblauen Augen um die Wette. Kurz durchbohrt mich ein Schmerz wie ein scharfes Messer. Hört das denn nie auf?

Hinter seinen unverschämt langen Beinen taucht Sammy auf. Kein Wunder, dass unsere Ehe schiefging – Ralf und ich waren einfach nicht auf Augenhöhe. Ich, ein Meter zweiundsechzig, er, ein Meter fünfundneunzig. Es tut nie gut, wenn der eine zum anderen aufsehen muss.

Mein Sohn grinst von einem Ohr zum anderen und wirft sich in meine Arme. Wie gut er duftet! Eine Mischung aus Kakao, Haarshampoo und Heu. Wie diese Kombination zustande kommt, ist mir ein Rätsel. Mir wird schlagartig warm ums Herz – ich liebe meinen Sohn wirklich sehr. Und genau deshalb werden wir hier auch ganz schnell die Biege machen.

»Willst du einen Kaffee?«, fragt Ralf und lächelt mich an, als sei nichts geschehen.

»Nein, danke, ist nicht nötig. Wir wollen gleich los«, antworte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Bloß weg, bevor Britta auftaucht.

»Aber bleibt doch noch einen Moment, die Geschäfte öffnen erst um zehn Uhr«, flötet es aus der Küche – das Klappergestell ist wach. Ehe ich es mich versehe, schiebt Ralf Sammy und mich schon in die Richtung, aus der die Stimme kommt.

Mist, warum habe ich mich nicht ein bisschen zurechtgemacht? Mein ungebügeltes T-Shirt, die ausgebeulte Jeans und meine uralten Turnschuhe stehen in krassem Kontrast zu Britta Brandtners Seidennegligé in pudrigem Nude-Ton und den kleinen rosa Schläppchen an ihren Füßen.

Während Ralf sich an der Philips-Gourmet-Kaffeemaschine zu schaffen macht, legt Britta goldglänzende Aufbackbrötchen aufs Blech. Die stilvolle Altbauwohnung mit den hohen Decken und dem üppigen Stuckdekor wird von sanfter Jazzmusik beschallt, die mich augenblicklich müde macht. Die Szenerie wirkt wie aus Schöner Wohnen – durchdesignt bis ins letzte Detail. Wahrscheinlich ist Britta in Wahrheit gar kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern eine dieser batteriebetriebenen Frauen aus Stepford.

Sammy zuliebe beschließe ich, trotz meiner Unsicherheit die souveräne Mama zu geben, die alles im Griff hat.

»Was ist das denn für eine Präsentation am Dienstag?«, erkundige ich mich tapfer nach dem Grund für den akuten Kleidungsnotstand.

Beglückt über die Frage dreht Britta sich zu mir um und schiebt ihre glänzenden rötlich blonden Locken, Marke Undone-Look, hinters Ohr.

»Übermorgen kommen unsere Chefs aus dem US-Department«, beginnt sie zu erklären, während Sammy seinen Spielzeugbagger scheppernd über den alten Kachelfußboden schiebt. Hoffentlich fährt er aus Versehen über Brittas perlmuttfarben lackierte Fußnägel! Doch dummerweise nimmt er stattdessen Kurs auf meine Füße, die ich deshalb reflexartig unter den Stuhl ziehe.

»Das bedeutet, dass ich vor einem Gremium von zehn Vorstandsmitgliedern unser neues Konzept vorstellen muss, mit dem ich den deutschen Markt wieder auf Vordermann bringen will.« Britta sieht mich an, als erwarte sie, dass ich vor Ehrfurcht augenblicklich in die Knie gehe. Mache ich aber nicht, sie hat ja schließlich kein Mittel gegen Krebs oder Aids entdeckt.

»Na, dann viel Erfolg«, antworte ich knapp. Ich werde ihr jetzt nicht den Gefallen tun und weiter nachhaken, denn ihr ganzer Modefirlefanz interessiert mich kein bisschen.

Alles, was ich momentan will, ist, mir Sammy unter den Arm zu klemmen und endlich diese Wohnung zu verlassen.

»In Zeiten der Finanzkrise hat es die Modebranche besonders schwer«, beeilt sich nun Ralf, das Gespräch unnötig in die Länge zu ziehen. Warum braucht diese dämliche Kaffeemaschine denn so lange? »Wie sieht es denn diesbezüglich momentan bei Pure-Nature-Cosmetics aus?«

Ich schlucke. Heute ist Sonntag, und da will ich nicht an meinen Job erinnert werden. Und schon gar nicht daran, dass er momentan am sprichwörtlich seidenen Faden hängt.

Ich arbeite in Teilzeit als PR-Frau für eine Firma, die Naturkosmetik herstellt, und natürlich ist das alles andere als ein krisenfester Job.

»Bislang haben wir keine nennenswerten Rückgänge zu verzeichnen, eher im Gegenteil«, versuche ich glaubhaft zu versichern, auch wenn das nicht ganz stimmt. Erst letzte Woche hat mich die Leiterin der Produktabteilung um ein Treffen gebeten, was vermutlich kein besonders gutes Zeichen ist. Wir sehen uns am Mittwoch, und bis dahin verhalte ich mich einfach so, als sei nichts passiert.

»Also, ich persönlich kann ja gar nichts mit eurer Kosmetik anfangen«, mischt sich nun Britta ein, der es vermutlich nicht passt, dass Ralf Interesse an mir zeigt. »Die Lippenstiftfarben sind ganz okay, aber das Silber von der Hülle blättert schon nach ein paar Tagen ab, und dann hat man den ganzen Mist im Gesicht oder an den Händen hängen. Die Mascara ist nicht besonders farbintensiv, und die Reinigungslotion stinkt wie die Pest, wenn du mich fragst.«

Ich frage dich das aber nicht, denke ich ärgerlich und würde Britta am liebsten die Tasse Kaffee, die Ralf mir gerade kredenzt, über das Seidendings kippen. Am meisten ärgert mich, dass sie im Grunde recht hat.

»Danke für deine ehrliche Kritik. Ich werde sie gern weiterleiten. Aber was ist eigentlich mit euch? Wäre es nicht zeitgemäßer mit natürlichen Materialien, wie zum Beispiel Organic Cotton, zu arbeiten? Ich finde euch ein wenig rückständig. Mittlerweile setzen doch sogar die Billigketten auf diesen Trend.«

Ralf sieht von einer zur anderen, als verfolge er gerade ein Match in Wimbledon.

Sammy hingegen lässt das alles kalt, sein Vater hat ihn mit Kakao versorgt, also ist seine Kinderwelt für den Moment in Ordnung.

Als ich es endlich schaffe, uns loszueisen, wir wollen ja schließlich an die Ostsee fahren, erwartet mich an der Stelle, an der ich den Uno geparkt hatte, ein großes – Nichts.

Den Rest des Sonntags sind wir damit beschäftigt, mit öffentlichen Verkehrsmitteln an den äußersten Stadtrand zu fahren und meinen Wagen vom Abstellplatz zu holen. Der ganze Spaß kostet mich zweihundertfünfzig Euro.

Als ich den Betrag von meinem Konto abheben will, stelle ich fest, dass mein Dispo bis zum Anschlag ausgereizt ist. Ich werde also am Montag gleich mit meiner Sachbearbeiterin bei der Sparkasse sprechen müssen, damit alle anstehenden Buchungen ordnungsgemäß durchgeführt werden können. Ich habe keine Lust, mich demnächst auch noch mit Mahnungen herumzuschlagen.

Sammy heult, weil es jetzt definitiv zu spät ist, ans Meer zu fahren. Außerdem ist mein Tank fast leer. Wenigstens reicht mein restliches Geld noch für ein Besänftigungs-Happy-Meal.

Wenig später heule ich. Dieser Tag war echt beschissen, und ich habe Angst vor der kommenden Woche. Hoffentlich eröffnet mir meine Chefin nicht, dass meine Stelle gestrichen wird.

Kann mir bitte jemand verraten, was ich getan habe, dass mein Leben gerade so anstrengend ist? Und kann derjenige mir bitte ebenfalls erklären, weshalb mein Ex-Mann und seine hohle Nuss von Freundin wie die Maden im Speck leben, während es für meinen Sohn und mich gerade zum Nötigsten reicht?

Ich wälze mich im Bett herum und versuche, ruhig zu atmen.

Den Gedanken daran, einen Versorger für Sammy und mich zu suchen, verscheuche ich, sobald er sich verführerisch lächelnd an mich heranpirscht. Nein – ich werde diesen Speeddating-Quatsch nicht mitmachen, dazu ist mir meine Zeit zu kostbar. Bislang war ich eine emanzipierte, starke Frau. Und das bleibe ich auch!

Ein Tag am Meer

Oliver Kramer – Sonntag, 16. Mai

Hey, was krabbelt da auf meinem Gesicht herum?

Ich wische kurz über meinen Nasenrücken, und ein Marienkäfer landet auf der weißen Bettdecke. Belustigt betrachte ich das rot-schwarz gepunktete Tierchen und überlege, ob mein Bett der richtige Aufenthaltsort ist.

Ist er nicht, also locke ich den Käfer auf meinen Handrücken und trage ihn zur Fensterbank. Ich summe »Bye-bye, Ladybug« und schaue verträumt hinterher. Dann stelle ich mit Entsetzen fest, dass es schon halb eins ist. Mist, ich wollte doch an die Ostsee!

Eine halbe Stunde später hole ich mir zwei belegte Brötchen und einen Coffee to go beim Italiener meines Vertrauens, flirte ein wenig mit der Kellnerin herum und lasse mich dann auf den schwarzen Ledersitz meines Alfas gleiten. Eine Blondine mit sensationeller Figur und sexy Hüftschwung stöckelt dicht an meinem Wagen vorbei.

»Lust auf ’ne Spritztour ans Wasser?«, frage ich durch das offene Verdeck. »Bin gerade auf dem Weg nach Timmendorf und hätte nichts gegen charmante Begleitung.« Mal schauen, ob sie anbeißt, dann hätte ich wieder einen kleinen Beitrag für mein Buch.

»Pfoten weg!«, dringt es barsch und drohend an mein Ohr. Vor mir steht ein Schrank von Mann und schießt aus kohlschwarzen Augen spitze Pfeile in meine Richtung.

»Keep cool, Mann, ich wollte dich nicht beleidigen«, gebe ich zurück und starte den Alfa. »Herzlichen Glückwunsch, du hast eine echt süße Freundin. Einen schönen Tag noch euch beiden.«

Der Typ tritt beiseite, und ich brause davon, ohne mich noch mal umzusehen. Erfahrungsgemäß ist es in Situationen wie dieser ratsam, ganz klar zu kommunizieren, dass man die Grenzen des anderen, seinen Besitz, respektiert, und ihn ob seines guten Geschmacks zu loben. Andernfalls kann man schnell eins auf die Nuss kriegen. Und die Zeiten, in denen ich es auf ein maskulines Kräftemessen habe ankommen lassen, sind seit meinem Bandscheibenvorfall endgültig vorbei.

Begleitet von den Klängen des Songs »Pictures of You« brettere ich über die Autobahn, die zum Glück ziemlich frei ist. Kaum Kombis, an deren Rückwand Halterungen für Fahrräder von Großfamilien angebracht sind. Auch die Autos mit den Aufklebern »Baby an Bord« sind bereits an ihrem Ziel.

Ich summe den Song mit und bin bestens gelaunt. Es lockt ein perfekter Tag am Strand, nur ich, mein iPod, meine neuen Badeshorts von Ralph Lauren und unendlich viel Ruhe. Zurück fahre ich erst, wenn der Familienpulk weg ist, um pünktlich zum Sandmännchen wieder zu Hause zu sein.

Diese abendlichen Stunden am Meer sind die schönsten. Die Strandkörbe sind leer, Möwen picken nach Essensresten und geben kreischende Laute von sich, die Sonne versinkt gemächlich im Wasser, und es duftet nach Urlaub.

Apropos: Womit belohne ich mich eigentlich, wenn ich mein Buch beendet habe? Während kleine Ortschaften, grasende Kühe und gelbe Rapsfelder an mir vorbeigleiten, schwelge ich in Urlaubsfantasien. Einziges Problem dabei: Ich war schon fast überall. Was also könnte mich noch reizen?

Ein Tauchkurs auf den Malediven?

Ein Aufenthalt in einem Zen-Kloster?

Trekking im Himalaja?

Kommt irgendwie alles nicht infrage. Tauchen kann ich, und es langweilt mich allmählich. Diese ewigen Korallenriffe und bunten Fische. Nein, von dem Nemo-Feeling habe ich genug.

Trekking ist mir zu anstrengend, und ich mag die Frauen nicht, die auf solchen Reisen häufig anzutreffen sind. Knallharte, humorfreie Emanzen, die mich entweder sofort hassen oder den lieben langen Tag irgendetwas mit mir ausdiskutieren wollen. Nein danke, ohne mich! Im Urlaub will ich meine Ruhe.

Aber brauche ich so viel Ruhe wie in einem Kloster? Sicher wäre es eine bahnbrechende Erfahrung, eine Woche lang zu schweigen, Klosterkräuter zu kauen und meinen Rücken nachts auf einem harten Steinfußboden zu malträtieren. Doch Erleuchtung hin oder her – ich bin bislang auch so ganz gut klargekommen. Diese spirituellen Reisen ins Ich sind doch eher etwas für Banker, die gerade ihr Unternehmen in den Sand gesetzt haben und sich lieber verkriechen, statt sich von aufgebrachten Anlegern an den Pranger stellen zu lassen. Oder für Typen wie Dominic (verzeih, mein Freund!), die zuweilen ihrem Familienalltag entfliehen und einfach ungestört ihren eigenen Gedanken nachhängen wollen.

Ich brauche keine Reise ins Ich, denn ich bin mit mir im Reinen und habe meines Wissens auch keine seelischen Abgründe, die es noch zu erforschen gilt. Auch wenn Dominic gern das Gegenteil behauptet.

Wenn es nach ihm ginge, würde ich längst eine Analyse machen, um meiner Bindungsunfähigkeit auf den Grund zu gehen. Aber ich kapiere nicht, weshalb um alles in der Welt ich dreimal pro Woche meine kostbare Zeit damit verschwenden soll, auf einem Sofa zu liegen und von meiner Kindheit zu erzählen? Meine Kindheit war toll, ich wurde geliebt, verwöhnt, bin in guten Verhältnissen aufgewachsen – alles bestens. Was also soll ich bitte dem Analytiker berichten? Der fällt doch vor Langeweile vom Stuhl.

Gedankenverloren biege ich auf den Parkplatz vom Strand und habe Glück – eine Familie will gerade losfahren. Papa und Mama schleppen eine Luftmatratze, zwei riesige Kühltaschen, einen Sonnenschirm und zwei kreischende Kids zum Auto. Die Kleinen heulen um die Wette, als wollten sie einen Wettbewerb gewinnen. Mama hat schon hektische rote Flecken im Gesicht, und Papa sieht aus, als hätte er dringend einen Klosterurlaub nötig.

Hab ich es gut, denke ich, als ich seinen sehnsüchtigen Blick auf mein rotes Cabriolet erhasche, während er gramgebeugt in seinen rostigen Passat Kombi steigt.

Minuten später mache ich es mir im Sand bequem und recke mich genussvoll der strahlenden Maisonne entgegen. Dann scanne ich meine unmittelbare Nachbarschaft.

Links neben mir liegt eine megaattraktive Dunkelhaarige mit Kurven an den richtigen Stellen und liest. Mein Blick wandert über ihren flachen Bauch, ihre wohlgeformten Apfelbrüste bis hinauf zum langen schlanken Hals, in dessen Beuge ein Opalanhänger glitzert. Mein Gott, ist die sexy! Wenn ich sie so betrachte, fällt es mir plötzlich ganz leicht, mir einen perfekten Urlaub vorzustellen: sie, ich, ein paar gekühlte Drinks, eine Hängematte unter Kokospalmen, Salz auf unserer Haut …

»Hören Sie auf so zu glotzen, das nervt!«

»Tut mir leid«, beeile ich mich zu sagen. Mist, das war ja kein erfolgversprechender Anfang. »Ich hatte nur gerade überlegt, was Sie wohl lesen. Ich habe nämlich zurzeit nichts Interessantes und könnte durchaus einen Tipp gebrauchen. Ist Ihr Buch denn empfehlenswert?«

Die knappe Antwort lautet:

»Ja.«

Dann dreht sich die Beach-Beauty zur Seite und gibt den Blick auf einen wohlgerundeten Po frei, der nur äußerst spärlich von einem Stringtanga bedeckt wird.

»Ich bin übrigens Autor«, starte ich einen zweiten Annäherungsversuch. Dieser Satz provoziert erfahrungsgemäß Nachfragen und lässt eisige Herzen schmelzen wie Schnee in der Sommersonne. Mhhhhmmm, gleich werde ich ihre perfekten Schultern mit Sonnenmilch beträufeln und den Duft ihrer Haut einatmen …