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Dieses Buch ist für all diejenigen, die einen Traum haben. Einen Traum, an den sie glauben, der sie nachts wach hält, glücklich und ängstlich zugleich macht. Vielleicht träumt ihr diesen Traum schon länger. Damit er Wirklichkeit werden kann, fehlt eigentlich nur eines: das Machen. Wir haben es gemacht. Unseren Traum verwirklicht. Am 30. April 2007 ging unsere Webseite mymuesli.com online. Ganz leise. Klick. Zehn Jahre später beschäftigt mymuesli mehr als 800 Menschen, betreibt über 50 eigene Läden und ist in sechs Ländern aktiv. Wir haben vieles gelernt bei diesem Abenteuer, mit unserem Team unzählige Fuckups erlebt, vieles falsch, noch mehr glücklicherweise richtig und anders als die anderen gemacht. Aber warum hat unser Startup funktioniert? Gibt es eine Erfolgsformel für Unternehmer? Ja, die gibt es: MACHEN! Wie das geht, unsere Geschichte und was Gründer aus ihr und unseren Fehlern lernen können, das erzählen wir in diesem Buch. Damit hoffentlich noch mehr Träume wahr werden.
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Seitenzahl: 287
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Edel BooksEin Verlag der Edel Germany GmbH
Copyright © 2017 Edel Germany GmbH,Neumühlen 17, 22763 Hamburgwww.edel.com1. Auflage 2017
Projektkoordination: Gianna SlomkaMitarbeit Text, Interviews und Recherche: Anne JacobyRedaktion: Wenke RittmeyerCoverfoto und Autorenfotos: © Viktor StrasseLayout und Illustrationen: Judith Hilgenstöhler, HamburgCovergestaltung: Heimat Werbeagentur GmbH und Büro Bum BumLithografie: Frische Grafik, HamburgePub-Konvertierung: Datagrafix GmbH Berlin, Projektmanagement schaefermueller publishing Berlin
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
eISBN 978-3-8419-0551-2
Widmung
Vorwort
Einleitung
Startup!
Selbst machen: die Zutaten
Bekannt machen: Marketing (fast) ohne Budget
Mitmachen! Die ersten Mitmischer
Trotzdem machen
Größer machen. Die Geldfrage
Aufmachen. Unsere Läden und die Supermärkte
Rübermachen. Müsli ohne Grenzen
Weitermachen. Jetzt erst recht
Nachmachen: eine Ermutigung
Dieses Buch widmen wir von Herzen unseren Familien. Sie hatten großen Anteil an der Erfolgsgeschichte von mymuesli. Sie haben uns all die Jahre unterstützt, mitgeholfen und waren in stressigen Zeiten für uns da. Dafür vielen, vielen Dank!
Ganz besonders möchten wir dieses Buch aber auch unserer mymuesli-Familie widmen. Ohne euch wären die vergangenen zehn Jahre niemals so erfolgreich, verrückt, wunderbar und lustig gewesen!
Manche von euch sind erst seit wenigen Tagen dabei, manche schon fast zehn Jahre lang – so wie Simone, unser erstes Vollzeit-Teammitglied, die neben einigen anderen in diesem Buch zu Wort kommt. Manche sind auch nicht mehr dabei und in die ganze Welt verstreut.
Doch wir alle teilen Erinnerungen an eine gemeinsame Reise, die aufregender nicht hätte sein können. Wir haben so vieles zusammen erlebt: haben uns Nächte um die Ohren geschlagen, sind an unsere Grenzen gegangen, haben geweint, gelacht und gefeiert. Gerade Letzteres konnten wir immer gut.
Und wie das bei Familien so ist, haben wir immer zusammengehalten, auch wenn es mal unbequem, nervig und stressig wurde. Gemeinsam haben wir es deswegen geschafft: haben aus der verrückten Idee vom Badesee eine Müsli-Erfolgsgeschichte geschrieben. Die gibt es jetzt sogar als Buch. Ihr haltet es ja gerade in der Hand.
Gewidmet ist es jedem Einzelnen von euch: Denn ihr alle habt Anteil daran, dass die Idee erwachsen werden konnte.
Unsere Reise fühlt sich nach zehn Jahren so an, als habe sie gerade erst angefangen. Wir sind schon wieder unterwegs zur nächsten unerforschten Insel und freuen uns auf neue Abenteuer mit euch. Denn mit einer solchen Crew? Was soll da schon schiefgehen?
Vielen Dank für zehn unfassbare Jahre!
Eure Jungs von mymuesli
Als ich Max Wittrock das erste Mal persönlich traf, war mymuesli bereits fünf Jahre alt. Wir hatten die Gründer des Unternehmens zu unserem jährlichen Entrepreneurship Summit nach Berlin eingeladen, um jungen Entrepreneuren Mut zu machen, ein eigenes Unternehmen aufzubauen. Es ging darum, von den Startup-Erfahrungen – den positiven wie negativen – zu berichten, und Max kam und erzählte. Er schlug die Zuhörer in seinen Bann. Und kehrte jedes Jahr zu unserem Summit zurück. Als Hubertus Bessau, Philipp Kraiss und Max 2013 den Deutschen Gründerpreis erhielten, erlebte ich den großen Moment live mit.
Was war das Erfolgsgeheimnis der Gründer? Hatten sie das Müsli neu erfunden? Nein. Hatten sie die Müslimischung neu erfunden? Nein. Aber sie hatten den konventionellen Verkaufsweg dieses Einzelhandelsprodukts auf den Kopf gestellt und dabei einen deutlichen Mehrwert für ihre Kunden geschaffen: Jeder konnte sich fortan seine individuelle Müslimischung selbst online zusammenstellen und nach Hause schicken lassen. Eine scheinbar ganz einfache Idee. Und doch lag hinter diesem Konzept ein langer Weg des Nachdenkens, Arbeitens, Verwerfens und Neuentwerfens, und immer wieder gab es Zweifel und Ängste, Hoffnungen und Überzeugungen, aber vor allem: Beharrlichkeit und den festen Glauben an den Erfolg. Dass dem Team auf seinem Weg mein Buch »Kopf schlägt Kapital« viele wertvolle Impulse gab, habe ich erst erfahren, als ich um dieses Vorwort gebeten wurde. Klar, das macht mich auch ein bisschen stolz.
mymuesli ist ein gutes Beispiel für eine konzept-kreative Gründung. Kein Patent, keine technologische Innovation, kein Hightech macht diese Gründung aus, sondern das innovative unternehmerische Konzept. Als Gründer nicht alles selbst zu machen und aufzubauen, sondern Komponenten zu nutzen: etwa für die Logistik externe Dienstleister einzuschalten. Wie kann man die Öffentlichkeit auf mymuesli aufmerksam machen?
Das Marketing war Teil des unternehmerischen Konzepts. Es sind die Persönlichkeiten der drei Gründer, die sympathisch und authentisch zu ihrem Produkt stehen und für die Kunden überzeugend sind.
»You are a fool, until your idea becomes a success« heißt es bei Mark Twain. Auch Hubertus, Philipp und Max schlug anfangs Skepsis entgegen und hätten sie auf die vielen Zweifler gehört, hätte es mymuesli nie gegeben. Dass sie keinen Businessplan schrieben und die Ergebnisse der herkömmlichen Marktforschung in den Papierkorb warfen, ist ein weiterer typischer Baustein konzept-kreativer Gründungen. Sie passen in der Regel nicht ins Raster konventioneller Gründerberater und Investoren. Aber das müssen sie auch nicht. Wenn das unternehmerische Konzept auf mehr als einem Bein steht, Stöße von außen abfedern kann und Kunden hat, die ihre Begeisterung mit anderen teilen, hat man alles richtig gemacht. mymuesli ist hierfür ein Vorbild.
Zu erleben, wie das eigene Ideenkind wächst und gedeiht, gehört zu den besonderen Momenten im Leben jedes Gründers. Wer kann sich vorstellen, dass aus der eigenen kleinen Idee ein Unternehmen mit 800 Mitarbeitern entsteht? Man kann es nicht. Es übertrifft alle Erwartungen. Hubertus, Philipp und Max haben in den vergangenen zehn Jahren Großartiges geleistet.
Ich wünsche mymuesli viele weitere erfolgreiche Jahre!
Günter Faltin
Die Geschichte unseres Startups beginnt mit einer Fahrt zum Badesee und der Idee, Müsli über das Internet zu verkaufen. Ein Müsli, das sich jeder online selbst zusammenstellen kann: mit mehr als 566 Billiarden Variationsmöglichkeiten.
Fast jeder, dem wir anfangs davon erzählten, hielt die Idee für völlig bescheuert. Am 30. April 2007 ging mymuesli trotzdem online. Und überall hagelte es Kritik, alles nur »ein Hype«, »kann unmöglich funktionieren« – und keiner glaubte an die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells. Auch wir waren uns nicht sicher, ob es unser Startup nach drei Monaten noch geben würde.
Zehn Jahre später beschäftigt mymuesli mehr als 800 Menschen, betreibt über 50 eigene Läden und ist in sechs Ländern aktiv. Wir haben viel gelernt in diesen zehn Jahren, wir haben gemeinsam mit dem Team unzählige Fuckups erlebt, aber vieles dann doch glücklicherweise richtig und meistens anders als die anderen gemacht. Einen Businessplan zum Beispiel, den haben wir nie geschrieben. Marktforschung haben wir vor dem Launch gemacht, die Ergebnisse aber ignoriert. Unser Startkapital haben wir nicht von Investoren bekommen, Mitarbeiter hatten wir lange keine, sondern haben von der Erstellung der Website bis zum Umbau unserer Produktion alles selbst in die Hand genommen.
Zu unserem zehnten mymuesli-Geburtstag haben wir uns zusammengesetzt und überlegt: Was war es eigentlich, das wir richtig gemacht haben? Gab es so etwas wie eine Erfolgsformel? Irgendetwas, das sich aus diesen zehn Jahren ableiten lässt? Die Antwort ist denkbar einfach.
MACHEN!
Einfach machen – das ist meistens der beste Markttest für eine Idee. Und der Grundstein für viele erfolgreiche Unternehmen, die es nie gegeben hätte, wenn die Macher hinter dem Unternehmen vorher zu viel überlegt hätten. Das haben wir auch getan: gemacht. Hingefallen. Weitergemacht. Bis heute.
Deshalb haben wir dieses Buch »machen!« genannt. Wir, das sind Hubertus, Philipp und Max, die drei Gründer von mymuesli.
Hubertus ist in Emden aufgewachsen. Berühmt vor allem für Otto und seinen Leuchtturm. Er wollte schon immer Unternehmer werden. Oder Werber, hat das aber schnell an den Nagel gehängt nach einem Praktikum in einer Agentur in Hamburg. Das Werberleben war ziemlich klischeehaft und desillusionierend: Kreativität kam häufiger aus der Flasche als den genialen Köpfen mit ausgefeilten Methoden. Trotz des äußerlich glamourösen Anscheins kochte die Branche auch nur mit Wasser. Über den Sinn wurde wenig nachgedacht. Weil es nicht um Sinn ging, sondern um Geld: Zur Jahrtausendwende hinterfragte man Millionen-Etats für Spots und Anzeigen nicht. Auch weil Werbung als nicht messbar galt. Insgesamt eine super Erfahrung, aber nicht Hubertus’ Welt, und so landete er dann doch beim BWL-Studium. In Passau. Und schließlich in seinem ersten Startup: einer automatischen Videothek, die er mit Philipp im Studium eröffnete.
Philipp kommt aus Schwaben. Er gründete sein erstes Unternehmen in der Grundschule: Brauseverkauf. Später handelte er mit Weihnachtsbäumen. Zahlen sind seine Leidenschaft: Als BWL-Student berechnete er, was ein Glas eigenhändig mit SodaClub aufgebitzeltes Wasser aus dem Wasserhahn kostet, um welchen Betrag eine im Wasserglas aufgelöste Vitamintablette teurer war und was im Vergleich dazu ein Glas Discountersprudelwasser kostet. Heute weiß er auswendig, wie teuer die Himbeeren im Oktober vor zwei Jahren waren und welche Strecke der Gabelstapler fahren muss, um Gojibeeren aus dem Lager zu holen. Vor allem aber weiß er, welche Zutat wie schmecken sollte, und macht da überhaupt keine Kompromisse.
Max ist Münchner und der Einzige, der statt BWL etwas ganz anderes studiert hat: Jura. Also das Angsthasen-Fach für alle, die nicht einfach »irgendwas mit Medien« studieren wollen, sondern etwas Vernünftiges. Weil Jura allein zu staubig war, machte Max nebenbei dann doch noch irgendwas mit Medien: ein Volontariat als Journalist. Das brachte ihn zur »Passauer Neuen Presse« und zum Bayerischen Rundfunk – was sich im Rückblick als außerordentlich nützlich erwies, um mymuesli bekannt zu machen.
Dieses Buch ist für all diejenigen, die einen Traum haben. Einen Traum, an den sie glauben, der sie nachts wach hält, glücklich und ängstlich zugleich macht. Vielleicht träumst du diesen Traum schon sehr lange?
Doch damit er Wirklichkeit werden kann, fehlt nur eines: das Machen. Denn Träume, die man nicht anpackt, werden Träume bleiben.
Deswegen haben wir dieses Buch geschrieben: Wir glauben nicht an ein Gründer-Gen. Jeder kann ein Unternehmen starten. Wir glauben aber daran, dass man es irgendwann anpacken muss. Machen muss. Das ist der wichtigste und meist der schwierigste Schritt. Doch er lohnt sich. Denn erleben zu dürfen, wie eine Idee Form annimmt, wie ein Unternehmen entsteht: Das ist eine wunderbare Erfahrung.
Voraussetzung ist aber, dass man nicht nur träumt. Sondern macht. Gründer sind also Macher. Und manchmal braucht es nur einen kleinen Ansporn, den letzten Anstoß, um vom Träumer zum Unternehmer zu werden. Dieses Buch soll dieser Ansporn sein. Es erzählt unsere eigene Geschichte und was wir aus ihr gelernt haben. Aus drei unterschiedlichen Perspektiven.
1. Startup! Am Anfang hatten wir statt einer einzigen guten Gründungsidee ganz viele Ideen, von denen die meisten nicht gut waren. Die Sache mit dem Müsli fiel uns in einem Augenblick und an einem Ort ein, an dem wir nicht damit gerechnet haben: auf dem Weg zum Badesee.
2. Selbst machen: Wenn man sein Studium gerade erst abgeschlossen und nicht eine riesige Erbschaft gemacht hat, muss man ohne Kapital gründen. Das geht! Wenn man viel selbst macht. Besser gesagt: alles selbst macht.
3. Bekannt machen: Ein Startup muss bekannt werden, um erfolgreich zu sein. Auch das geht ohne Geld. Es braucht eine gute Geschichte, viel Networking, noch mehr gute Zufälle, außerdem die Geduld, sich systematisch durch die Untiefen des Offline- und Online-Marketing zu beißen, und jede Menge Mut, mal so richtig daneben zu zielen.
4. Mitmachen: Schnell wachsende Startups stehen oft staunend vor einer der größten Herausforderungen überhaupt. Mitarbeiter! Vor denen haben viele Unternehmer Angst. Wir finden: zu Unrecht. In diesem Kapitel erzählen wir, wen wir warum einstellen und warum man im Kopf zumindest zusammen segeln gehen sollte.
5. Trotzdem machen: Ist ein Startup über das Gröbste hinausgewachsen, könnte man sich gemütlich zurücklehnen und sich über den Erfolg freuen. Das passiert aber nicht. Stattdessen fragt man sich: und jetzt? War’s das? Oder was kommt als Nächstes?
6. Größer machen: Die Expansion ins Ausland, eine große Maschine, viele neue Läden ... das alles kostet dann doch mehr Geld, als man so eben verdienen kann. Wo findet man vernünftige Investoren? Oder geht man besser doch zu einer ganz normalen Bank?
7. Aufmachen: Viele Startups starten als E-Commerce-Unternehmen und eröffnen dann doch irgendwann Läden. So auch wir. Wir haben dabei glücklicherweise (und oft aus Versehen) sehr viel richtig gemacht – manchmal aber auch Pech gehabt. Zum Beispiel mit Dixi-Klos direkt vor der Ladentür.
8. Rübermachen: Kann man machen, muss man aber nicht: ins Ausland expandieren. Wir haben es getan, in manchen Ländern hatten wir es leicht, in anderen landete palettenweise Bürokratie vor unseren Füßen. Sogar bis nach Fernost sind wir mit mymuesli gekommen. Leider ohne Erfolg.
9. Weitermachen: Wenn ein Startup mal zehn Jahre alt ist und mehr als 800 Mitarbeiter hat, kann man es eigentlich nicht mehr Startup nennen. Aber ... Mittelständler? Ganz schlimm: Konzern? Wollen wir auch nicht sein. In Kapitel 9 sagen wir, warum es wirklich schwierig ist, gleichzeitig super professionell zu werden und super beweglich zu bleiben – wie wir versuchen, das aller Widerstände zum Trotz zu schaffen, und warum wir dazu eine Insel brauchen.
10. Nachmachen: Dies ist zwar ein Buch über uns und mymuesli – aber in erster Linie ist es ein Buch für dich. Es soll dich inspirieren, verrückte Ideen auch mal umzusetzen. Machen!
In diesem Buch geht es nicht nur um Erfolge, um gewonnene Preise und um Wachstum. Es geht besonders viel um Rückschläge und um unsere Fehler. Wir hoffen, dass du sie vermeiden kannst, wenn du mal in einer ähnlichen Situation bist.
Zu jedem Gründerthema, ob Finanzierung oder Marketing, könnte man jeweils ein eigenes Buch verfassen. Es gibt ja auch schon sehr, sehr viele. Deswegen sei bitte nicht böse, wenn das Buch an manchen Stellen nicht tief genug geht und an anderen dafür sehr fachbuchmäßig wird. Unser Buch ist sicherlich weit entfernt von perfekt. Betaphase würde man bei Startups sagen, es ist ja die erste Auflage. Und unser erstes Buch. Umso mehr würden wir uns über Feedback freuen an:
Ach ja, wer noch mehr lesen will: Am Ende jedes Kapitels haben wir euch immer unsere Lieblingsbücher zum jeweiligen Thema empfohlen. Manchmal auch Filme. Oder Podcasts und Websites.
In vielen Kapiteln erzählen Mitglieder der mymuesli-Familie von ihren Eindrücken – manche sind schon so lange dabei, dass wir sie »Urgesteine« nennen dürfen. Leider konnten nicht alle eure Geschichten erzählt werden. Wir haben mit so vielen von euch tolle Dinge erlebt, für die der Platz einfach nicht mehr gereicht hat.
Und, liebe mymuesli-Familie in der Schweiz: Ja, wir haben mittlerweile gelernt, dass »Müsli« in der Schweiz kleine Mäuse sind. Und dass ihr in der Schweiz lieber »Müesli« esst. Wir haben uns in diesem Buch dennoch dazu entschieden, von »Müsli« zu sprechen, und hoffen auf Nachsicht.
Jetzt aber genug der Worte: Die Welt braucht Träumer. Noch mehr aber braucht sie Macher. Und wir würden uns freuen, wenn wir zumindest einen kleinen Beitrag mit diesem Buch leisten können. Wir wünschen dir viel Erfolg, viel Glück und viel Spaß beim ... Machen!
Ach, noch etwas: Wenn wir »Gründer« schreiben, dann meinen wir auch immer »Gründerinnen«.
Das erste Pressefoto, das unser Freund Jan von uns 2007 gemacht hat, in unserer Büro-WG. (Foto: Jan-Ulrich Schulze)
Knallende Korken, Champagner, eine rauschende Party bis zum Morgengrauen – so stellt man sich den Beginn des eigenen Startups vor. Doch von dieser Traumvorstellung waren wir in der Nacht auf den 1. Mai 2007 sehr weit entfernt: Es war tatsächlich eine lange Nacht, aber statt zu feiern wollten wir nur noch ins Bett: Es war 4.03 Uhr, als Hubertus dann endlich den Knopf drückte. Ganz leise: klick. Zu dritt standen wir vor dem Rechner, ich hörte meinen eigenen Puls in den Schläfen klopfen. Da war es also online, unser Baby. Ein Wunschkind. Wie lange hatten wir darüber nachgedacht, uns den Kopf über den passenden Namen zerbrochen, uns vorgestellt, wie es aussehen, wie rund und schwer es werden könnte – vor allem aber: wer außer uns selbst sich noch darüber freuen würde. Irgendjemand da draußen? War da wer?
Es fühlte sich so an, als seien wir alleine auf diesem Planeten. Um dennoch so etwas wie einen denkwürdigen Augenblick herbeizuzwingen, stießen wir mit Billigsekt an, halbtrocken, handwarm. Stilecht in IKEA-Saftgläsern. Niemand von uns hatte wirklich Lust darauf, aber ein Freund von uns war extra in unsere spärlich eingerichtete Passauer Studenten-WG gekommen, um den Moment zu filmen.
Wenn man die Aufnahmen heute sieht, kann man unsere Gesichter kaum vor der weißen Wand erkennen: Denn vor diesem seltsamen Augenblick um 4.03 Uhr hatten wir drei Nächte lang nicht wirklich das gemacht, was man schlafen nennen könnte. Wie drei Zombies sahen wir aus, blass, müde und rot um die Augen.
Was uns auch jedes Mal auffällt, wenn jemand das Video zeigt: dass es in der WG überraschenderweise aufgeräumt aussah. Wahrscheinlich hatten wir die zweieinhalb Quadratmeter rund um den Rechner ein bisschen freigeschaufelt, denn für häusliche Ordnung hatten wir die Wochen vor dem Start keine Zeit mehr gehabt. Genau weiß ich das aber nicht mehr, denn nach unserer schweren Website-Geburt konnte ich nicht mehr geradeaus schauen, ich konnte mein Saftglas kaum mehr gerade halten und denken konnte ich überhaupt nicht mehr.
Eigentlich war alles entspannt angelaufen: Gut eine Woche vor unserem Kick-off hatte Hubertus die Website endlich so weit, dass sie gut aussah und stabil lief:
»Hallo, wir machen Müsli.
Stell Dir Dein Müsli selbst zusammen.
Wir liefern es Dir nach Hause.«
So schlicht stand auf unserer Seite, was wir in monatelanger Kleinarbeit ausgedacht und jetzt auf die Straße gebracht hatten. Das sah schön aus. Doch ob die Idee von mymuesli funktionieren würde? Das wussten wir ganz und gar nicht. Und ob wir drei Studenten als Lebensmittelhersteller taugen würden, daran hatten wir sogar Zweifel, die wir vorsichtshalber gleich mit auf die Seite setzten:
»Wir wissen einfach nicht, was uns erwartet, und müssen sicherlich noch einige Abläufe optimieren. Das eine oder andere wird auch schiefgehen, deshalb hoffen wir in den ersten Wochen auf eure Unterstützung und euer Verständnis, falls es mal einen Tag länger dauert oder sich die Website komisch verhält. Wir sind für Feedback jeder Art dankbar. Was funktioniert nicht? Was könnten wir besser machen? Sagt es uns!«
72 Stunden vor unserem Kick-off fiel Hubertus auf, dass unser Preissystem nicht wirtschaftlich funktionierte: Kunden konnten die Dose voller teurer Zutaten füllen, aber am Ende blieb der Preis gleich. Wir hätten also mit jeder Dose Verlust machen können, mussten alles umwerfen und neu machen.
Warum wir uns nicht einfach mehr Zeit genommen hatten, um alles neu auszurechnen und zu programmieren? Gegenüber Freunden und Familie, besonders aber in der damals schon nicht mehr so kleinen Bloggerszene, hatten wir ordentlich Wind für unsere Müsliidee gemacht. Jetzt mussten wir auch liefern.
Damals schrieben wir selbst noch ein privates Blog, die »Rundschreiben für Ästhetik und Konsumgütervielfalt«. Als wäre das nicht schon bescheuert genug, trugen wir dazu Cord-Jacketts. Mit unserem Blog im Netz und den Sakkos im Koffer wollten wir zur re:publica 2007. Der Name dieser Konferenz ist heute Synonym für eine Fast-Vollversammlung der digitalen Gesellschaft in Berlin. Damals, in ihrem ersten Jahr, war das alles noch ein überschaubares Klassentreffen derjenigen, die wie wir ungern auf Klassentreffen gehen: weil es da meistens kein WLAN gibt.
Das Internet war und ist unsere Welt: Und es fühlte sich gut an, sich nach analogen Jahren an der Uni endlich digital outen zu können. Wir wollten nicht nur ein Blog schreiben, sondern ein Startup gründen. Und dazugehören. Relevant sein. Online.
Wir hatten uns also in Berlin rege vernetzt, von unserer Idee erzählt, unseren Starttermin verkündet und zu Hause haben wir die Sache dann noch einmal in unserem eigenen Blog bekräftigt:
»Wir sind wieder zu Hause. Und schön war es. Danke an Lukas, bei dem wir wohnen konnten. Und da wir ja aus dem tiefen Niederbayern angereist sind, ist allein die Stadt schon immer ein Erlebnis. Danken oder grüßen wollen wir einige; hoffentlich sieht man sich bald wieder. (...) Aber, most importantly, vor lauter Vorfreude hätten wir es beinahe vergessen: Am 30. April startet endlich unser neues Projekt. Wer rechtzeitig informiert werden möchte, der trage sich bitte für den Newsletter ein.«
Wir kamen also nicht mehr raus aus der Nummer. 150 Neugierige hatten sich zu unserem Newsletter angemeldet und das Internet, die Welt, die kannte unseren Starttermin:
30. April 2007
Blogger wie wir – so unsere Fantasie – würden ab der ersten Minute beobachten, was wir tun. Würden darüber dann in ihren eigenen Blogs schreiben. Und das würden Printjournalisten lesen, die in diesem langweiligen Jahr 2007 ebenfalls über uns schreiben würden, dann kämen Radio und Fernsehen, wo wir in Talkshows über Müsli diskutieren würden. Eine völlig größenwahnsinnige Fantasie, klar. Doch damit stand fest: Starttermin unbedingt einhalten. Schlafen? Verboten bis zum Launch. Tatsächlich kam das mit den Bloggern und den Journalisten später exakt so, nur zu Talkshows hat uns damals keiner eingeladen – aber der Reihe nach.
Als wir abends die Berliner Torstraße entlangliefen, wo heute unzählige Startups sitzen, Deals gemacht und Businesspläne geschmiedet werden, da konnten wir noch nicht ahnen, was in den nächsten Jahren aus unserem Müsliprojekt werden würde. Zum Glück wussten wir in diesem Moment auch nicht, welche enormen Schwierigkeiten so ein Startup-Baby noch machen würde. Wie glückliche Eltern in spe saßen wir, Bier trinkend, auf einer Parkbank und fantasierten in den Sonnenuntergang. Besonders von den vielen schlaflosen Nächten ahnten wir damals noch nichts: Wir hätten den Knopf sonst vielleicht nicht gedrückt.
Die Zeit steht still in Passau. Wenn am Abend niemand mehr in der Innenstadt unterwegs ist, scheint es, als habe jemand ordentlich durchgefegt, hier und da die Blumentöpfe zurechtgerückt, dann beherzt auf OFF gedrückt. So um das Jahr 1689 vielleicht, als die alte Fürstenstadt nach einem gründlichen Großbrand gerade frisch im barocken Pastell neu aufgebaut und die erste Zeitung erschienen war.
Tagsüber: Da kommen die Touristen. Mehr als 200.000 pro Jahr, darunter viele Amerikaner. Denn die Stadt liegt zum Beispiel »very romantic« am Zusammenfluss dreier Flüsse: Inn, Donau und Ilz. Wenn die Touristen dann gegen Abend zurück auf ihre Halbpensionsboote eilen, dann kommt tatsächlich, kein Scherz, Italien-Feeling auf. Eine Vespa im Ohr, Weißwein in der Hand: So wird man von der Schönheit dieser Kulisse fast erschlagen.
Im Winter allerdings ist Passau vor allem: neblig. Sehr sogar. Und persönlich fand ich den Passauer Nebel im Studium sogar noch schlimmer als den berühmten Berliner Winter. Und, um das Bild noch zu verdüstern, Passau umranken viele Geschichten: Die beginnen meist mit Nazis, brauner Soße und der Nibelungenhalle – und enden bei Studenten, die das Semester angeblich immer mit Champagner ausklingen lassen.
Da tut man der Stadt unrecht: Passau ist nicht rechts, aber zugegeben doch traditionell konservativ und katholisch. Die Studenten-Schickeria prägt die Stadt, aber nicht jeder Student gehört zur Schickeria und ohne Studenten und die Uni wäre Passau vermutlich nur etwa halb so relevant und spannend wie heute. Da wo die Nibelungenhalle stand, steht heute die Neue Mitte. Die ist architektonisch nicht ganz mein Fall, doch mit ihr hat das Stadtzentrum erfolgreich die Panade des Dritten Reichs abgestreift.
Wir drei wussten rein gar nichts von Passau vor unserem Umzug nach Niederbayern. Halt, fast nichts: Die Uni sollte gut sein, das war immer im Hinterkopf. Außerdem: kleine Stadt, Campus-Feeling und so. Heute lieben wir Passau, und wie das so oft ist bei Blind Dates: Unsere ersten Passauer Minuten waren noch krampfig, aber mit jedem Schluck Wein wurde es besser.
Nachts feierten wir also viel. Sehr viel, wie fast alle Passauer Studenten. Tagsüber lenkte uns die Stadt nicht groß von unseren Studieninhalten ab. Wir waren also brav und nahmen Kurs auf die Regelstudienzeit: Philipp und Hubertus studierten BWL. Ich Jura.
In den Semesterferien ist Passau gefühlt nur halb voll. Und im Sommer 2005 gesellte sich zu dieser Reizarmut eine so deutlich erhöhte Temperatur, dass nach den letzten Klausuren des Sommersemesters unsere Nerven blank lagen. Hubertus, Philipp und ich wollten nur noch raus aus unseren total überhitzten Wohnungen. Wir hatten keine Lust mehr auf Rechnungswesen und Gesetzbücher. Wir wollten raus aus der Stadt, die wir nach vier Jahren Studium fast in- und auswendig kannten.
Unsere Rettung war der »Panzer«. Ein Mercedes-Kombi mit kantigen Formen und graugrünem Lack, der fast 600.000 Kilometer auf dem Buckel hatte und dessen Tankanzeige über mehr als 300.000 davon schon nicht mehr funktionierte. Wenn man mit dem Panzer fuhr, bedeutete das also immer Abenteuer, schon auf kleinen Strecken. Und in ein solches stürzten wir uns in diesem Sommer: Wir wollten zum Badesee, das Leben auf ON stellen.
Ich erinnere mich noch genau, als Hubertus und ich uns das erste Mal über den Weg gelaufen waren. Es war ein kalter Tag im Oktober 2001, die Welt wunderte sich zu dieser Zeit noch über die gerade geplatzte »Internet-Bubble« und wir saßen in einem typischen, kahlen Seminarraum. Der Kurs: Italienisch für Anfänger. Ein Kurs, von dem wir uns ein bisschen Dolce Vita in diesem Herbst versprachen. Er war für unseren Lebensweg absolut entscheidend – immerhin lernten wir uns kennen –, im Hinblick auf das ursprünglich gesetzte Lernziel aber ein Totalausfall: Italienisch ging nicht in unsere Köpfe. Erstens fehlte uns tutti kompletti das Talent. Und zweitens hörten wir dem Dozenten überhaupt nicht zu, weil wir unsere eigenen Themen viel spannender fanden. Blogs, Computer, Startups, Design – das trieb uns viel mehr um als die italienische Grammatik. Lebenserkenntnis: Sprachtalent? Setzen, Sechs. Nerdfaktor: Eins plus. In der Abschlussklausur schließlich schrieb ich keinen einzigen fehlerfreien Satz. Und verlor Hubertus danach erst einmal aus den Augen.
Hubertus und Philipp kannten sich zu dieser Zeit schon längst. Philipp war sogar der Erste überhaupt, den Hubertus in Passau kennengelernt hatte. Er kam gerade aus Hamburg vom Praktikum bei einer Werbeagentur, wo Websites ab zehn Millionen Euro gebaut wurden. Die beiden kamen bei einem abendlichen Studentenevent ins Gespräch, das Hubertus heute als »neutral bis spießig« erinnert. Nach dem dritten Bier wussten sie sicher, dass sie irgendwie aus der vorgezeichneten Spur ausscheren mussten: Das Penthouse, von dem zukünftige Investmentbanker träumen, war ihnen egal. Das Reihenhaus (bei weniger stressigen Jobs) erst mal auch. Stattdessen: »Lass uns was Eigenes machen!«, sagte Hubertus. »Okay, Australien«, fiel Philipp ein. Da flogen sie dann in den Semesterferien hin – und auf dem Rückflug fiel ihnen die Idee für ihr erstes Startup ein. Das sie 2002 tatsächlich an den Start brachten! Mit Müsli hatte das überhaupt nichts zu tun, es legte aber einen wichtigen Grundstein für die Gründung von mymuesli fünf Jahre später.
Diese erste Gründung klingt aus heutiger Perspektive nach unternehmerischem Selbstmord. Eine Videothek.
Doch Anfang des Jahrtausends streamte man seine Filme noch nicht. Man ging in einen Videoverleih, holte einen Stapel dicker schwarzer Kassetten ab, glotzte einen Abend durch, spulte die Filme dann freundlicherweise zurück (sonst kostete das Aufpreis) und brachte sie wieder in den Laden. Ziemlich umständlich. Und ziemlich schlecht zu erreichen, zumindest in Passau, wo man von der Uni zur nächsten Videothek gut 40 Minuten Fußmarsch (einfach) absolvieren musste, nur um dann festzustellen, dass die einzige »James Bond«-Kopie leider wieder mal übers Wochenende vergriffen war. In Passau gab es also wenig zu gucken.
»Wir machen eine Videothek auf, die ganz wenig Platz braucht, und sparen so Miete!« Das war die zündende Idee von Philipp, der sich mit Immobilien schon immer am besten von uns auskannte. Und was braucht wenig Platz? DVDs! Immer noch super neu, damals. »Wir sparen noch mehr Platz, wenn wir eine automatische Verleihmaschine aufbauen«, fiel Hubertus ein, der von uns allen schon immer das größte Faible für Automaten und Roboter aller Art hatte.
Tatsächlich haben Hubertus und Philipp im Jahr 2002 genau eine solche Videothek mitten in Passau aufgemacht. Damit hatten sie ganz nebenbei einen Testballon: Funktionierten sie als Gründer-Duo? Ich war ja noch nicht dabei.
»Das war anfangs nicht leicht«, sagt Philipp heute. »Wir hatten beide so einen Dickkopf, dass wir einen Trick anwenden mussten, um zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen: Ich musste an geraden Wochentagen nachgeben, Hubertus gab an ungeraden Tagen nach.« Heute arbeiten wir mit etwas ausgefeilteren Methoden zusammen.
Die Videothek war eine mutige Gründung: Die Juristen waren sich damals nicht einig, wie man mit diesen Videoautomaten umgehen sollte (»An Feiertagen Filme ausleihen?«), viele Bürger runzelten schon vor der Eröffnung die Stirn (»Braucht’s des?«) und die Mieten waren in Passaus Zentrum für studentische Unternehmer hoch. Für einen Miniladen reichte es aber. Glücklicherweise fanden die beiden schnell einen italienischen Hersteller von DVD-Verleihautomaten, der sowieso gerade nach Deutschland expandieren wollte – und so wurden die beiden praktisch über Nacht zu Videothekaren. Und zu Unternehmern. Und unfreiwillig auch zu Telefonseelsorgern.
An der Tür nämlich hing ein Schild mit den Handynummern von Hubertus und Philipp – 24 Stunden Erreichbarkeit gehören zu einer solchen Videothek eben dazu. Zumal es auch eine Menge Filme mit FSK 18 zu leihen gab, die unsere Eltern der Kategorie »niveauloser Schmuddelfilm« zugeordnet hätten. Aber Eltern müssen ja nicht alles wissen, und eine Roboter-Videothek nur mit künstlerisch wertvollen Arthouse-Filmen funktioniert nun mal einfach nicht.
Genau diese Verbindung zwischen »niveaulosem Schmuddelfilm« und 24/7 führte leider dazu, dass Philipp an geraden und Hubertus an ungeraden Wochentagen mitten in der Nacht aus dem Schlaf geklingelt wurde und mit dem Fahrrad in die Passauer Innenstadt flitzte, um verklemmte Filme aus dem Automaten zu fummeln. Was immer dann passierte, wenn ein Kunde heimlich im Schutz der Nacht etwas zurückgeben wollte, die DVD-Hülle nicht richtig zugemacht hatte und diese deshalb in der Mechanik fest hing. Also praktisch jede Nacht. Manchmal auch mehrmals pro Nacht. Manchmal passierte so etwas auch dem gleichen Kunden mehrmals in der gleichen Nacht. Ziemlich lästig, vor allem in Klausurzeiten und bei Schnee und Eis. Aber auch ganz interessant, was für Typen sich welche Filme ausleihen und dann nicht richtig zumachen.
Philipp und Hubertus war die ganze Prozedur meist unangenehmer als manchen Kunden, von denen einige während dieser Service-Begegnungen dann ein Porno-Fachgespräch führen wollten. Und was schon damals klar war: Murphy’s Law schlägt immer zu: »What can go wrong, will go wrong.« Immer dann, wenn es am nervigsten ist. So musste Philipp dann vor seiner ersten Vordiplomsklausur mehrfach ausrücken und DVD’s aus dem Automaten holen.
Die relativ hohe Quote an diesen nicht-für-unsere-Eltern-und-schon-gar-nicht-für-Kinder-geeigneten Filmen mit der dazu passenden Kundschaft führte dazu, dass sich Hubertus und Philipps Identifikation mit ihrem Laden in Grenzen hielt. Deshalb verkauften sie den Videostore, bevor sie einen zusätzlichen Studienabschnitt in Budapest absolvierten – in dem sich vor allem Hubertus mit dem beschäftigen konnte, was ihn am meisten umtrieb und was heute für uns extrem wichtig ist: Marketing.
Kurz nach der Rückkehr aus Budapest traf ich Hubertus mitten in der Nacht zufällig an der Tankstelle in der Passauer Innenstadt wieder. Alles, was ich rausbrachte: »Ach, da bist du ...!« Seitdem waren wir Freunde. Heute werde selbst ich als Nerd bei dem Gedanken nostalgisch: Damals konnte man sich noch verlieren, sich dann aber zufällig an Tankstellen wiederfinden. Niemand konnte irgendwo einchecken oder seinen Standort per iMessage schicken.
Es dauerte dann nicht lange, bis wir endlich zu dritt zusammentrafen und sofort wussten: Da passt was. Wir wollen etwas machen. Zu dritt. Eigentlich egal was. Hauptsache: machen.
Wir wohnten damals noch in drei verschiedenen Wohnungen, ich und Philipp jeweils in einer WG, Hubertus alleine. Ich kann mich erinnern, dass wir viele, viele Stunden in Hubertus’ Wohnzimmer gesessen und unseren Träumen nachgehangen sind, um nicht zu sagen, gemeinsam herumgesponnen haben. Abendelang. Nächtelang.
Wir wollten etwas zusammen machen – nur was? Die Internet-Bubble der Jahrtausendwende war geplatzt, im ganzen Land gab es zu dieser Zeit unzählige Gründerpreise und Gründerlehrstühle, Business-Angels und Aufbaukredite. Aber erst ganz allmählich kam der Mut für neue Gründungen zurück. In den Zeitschriften wurde das »Web 2.0« gefeiert, der Gründer in der Vorstadtgarage wurde zu einer neuen Heldenfigur, es wurde der kollaborierende Kunde entdeckt und das Phänomen der Mass Customization.
In unserem Passauer Kokon dachten wir uns nun eine Menge Dinge aus, von denen wir die meisten nach fünf Minuten wieder verwarfen. Einige Ideen waren ganz gut, andere völlig bescheuert. Doch wir haben jede von ihnen aufgeschrieben. Wir verraten an dieser Stelle mal die wichtigsten.
Platz eins der Liste unserer bescheuertsten Ideen gewinnt das Heuschnupfen-Survival-Kit mit der Anti-Allergiebrille, die Hubertus einmal gebaut hat. Eigentlich mehr aus Quatsch ... vielleicht im Hinblick darauf, dass er das Ding mal an Tim Burton verkaufen könnte.
Zu dieser Gletscherbrille für Heuschnupfen-Geplagte bekam der Kunde zwei Stöpsel für die Nasenlöcher, die wir als Hochleistungs-Filter vermarkten wollten. Die Idee: Mit dem Set konnte man sich auch als hochgradiger Allergiker durch blühende Wiesen bewegen. Die gab es um Passau zahlreich.
Direkt auf Platz zwei auf der Liste der bescheuertsten Ideen standen die »Kaffeevitamine«. Vielleicht erinnert sich jemand: Schon damals waren mit allerlei Zusatznutzen aufgepimpte Mineralwassersorten angesagt. Na also: Warum nicht Kaffee aufpimpen? Oder aus der Sicht eines Coffeeshop-Betreibers: einen Upsale ermöglichen. Mehr Umsatz durch ein weiteres Feature für den Caramel-Macchiato: Vitaminpillen, die man gegen einen kleinen Aufpreis direkt ins Getränk bekommt. Dann wäre man durch Kaffee nicht nur wach, sondern auch kerngesund geworden. Den Claim hatten wir uns schon ausgedacht:
»Kaffeevitamine: für den Menschen
wie der Honig für die Biene«
Claim und Idee waren natürlich abstrus. Niemand will in einem Genuss- und Lifestylegetränk wie Kaffee Vitamine haben. Und ganz abgesehen davon: Etliche Vitamine überleben den Hitzeschock in der Tasse überhaupt nicht, andere sind nicht wasserlöslich. Das war uns beim Brainstorming auf Hubertus’ Sofa aber erst einmal egal.
Eine Idee, die retrospektiv zumindest nicht peinlich ist, war der »Money Mart«. Darunter stellten wir uns einen Supermarkt für Finanzprodukte vor. Es war ja so, dass man damals, vor mehr als zehn Jahren, nicht wie heute auf zig Plattformen Aktien handeln oder kaufen konnte, Online-Banking gab es, klar. Aber lange nicht so sophisticated. Wir wollten, dass man ohne Berührungsängste in einen Geld-Supermarkt spaziert und sich in den Regalen dieses und jenes Finanzpaket oder eine schöne »Volksaktie« (die Telekom! Oder Infineon, erinnert sich jemand?) aussuchen kann – vielleicht in Form von Papierhäusern, Plastik-Goldbarren oder Gummi-Mobiltelefonen mit Antennenstummel, so weit hatten wir uns das noch nicht ausgedacht. Das hätte man zur Kasse getragen und schon wäre man ein Aktionär gewesen.
In das nächste Projekt, erster Arbeitstitel »Troopster«, steckten wir viel Zeit, aber die Internetplattform BreedIT schaffte es dennoch nie über die Prä-Alphaphase hinaus. Die Idee fanden wir damals ganz besonders zeitgemäß: Wir wollten eine Plattform programmieren, für alle möglichen Menschen, die an einem Projekt arbeiten. Heute nennt man das Collaboration Software. Das Ganze wäre in der Cloud passiert. An solchen Ideen bastelten damals allerdings alle.
Wir langweilten uns furchtbar, als wir das Konzept ausfeilten, gaben es untereinander jedoch nicht zu – uns fehlte die Haptik, ein echtes Produkt. Doch über Wochen wollte sich niemand von uns dreien die Blöße geben, etwas öde zu finden, das damals zur Speerspitze der gesamten Startup-Welt gehörte. Eben der Welt, zu der wir doch unbedingt dazugehören wollten.