Magische Drachenschwerter: 5 Fantasy Abenteuer im Bundle - Alfred Bekker - E-Book

Magische Drachenschwerter: 5 Fantasy Abenteuer im Bundle E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Geschichten: (499) Alfred Bekker: Gorian und das verschwundene Schwert Alfred Bekker: Im Zentaurenwald der Elben Alfred Bekker; Sturm auf das Elbenreich Alfred Bekker: Drachenkinder: Fantasy-Roman Chris Heller: Der Kaiser und die Götter Ein greller Feuerstrahl zuckte durch den Himmel, und drei drachengroße Riesenfledertiere kreischten daraufhin laut auf. Gerade noch waren die gewaltigen Tiere mit regelmäßigen Schlägen ihrer lederhäutigen Flügel dahingeflogen, aber nun war es mit dem ruhigen Gleitflug vorbei. Der Feuerstrahl zischte genau zwischen ihnen hindurch, und um ein Haar hätte der Strahl sie getroffen und zu Asche verbrannt. Kein Wunder, dass die Flugungeheuer aufgeregt mit ihren Flügeln schlugen. Eines der Riesengeschöpfe fiel vor Schreck ein ganzes Stück in die Tiefe. Wie ein Stein sauste es dem Erdboden entgegen, ehe es die Flügel wieder ausbreitete und der Sturzflug damit abgebremst wurde. Ein weiteres Riesenfledertier stieg laut schreiend in die Höhe und versuchte mit besonders starken Flügelschlägen möglichst schnell emporzukommen.

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Alfred Bekker, Chris Heller

Magische Drachenschwerter: 5 Fantasy Abenteuer im Bundle

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Inhaltsverzeichnis

Magische Drachenschwerter: 5 Fantasy Abenteuer im Bundle

Copyright

Gorian und das verschwundene Schwert

1

2

3

4

5

6

7

Im Zentaurenwald der Elben

Sturm auf das Elbenreich

Drachenkinder: Fantasy-Roman

Der Kaiser und die Götter: Fantasy

Magische Drachenschwerter: 5 Fantasy Abenteuer im Bundle

von Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende Geschichten:

Alfred Bekker: Gorian und das verschwundene Schwert

Alfred Bekker: Im Zentaurenwald der Elben

Alfred Bekker; Sturm auf das Elbenreich

Alfred Bekker: Drachenkinder: Fantasy-Roman

Ein greller Feuerstrahl zuckte durch den Himmel, und drei drachengroße Riesenfledertiere kreischten daraufhin laut auf.

Gerade noch waren die gewaltigen Tiere mit regelmäßigen Schlägen ihrer lederhäutigen Flügel dahingeflogen, aber nun war es mit dem ruhigen Gleitflug vorbei. Der Feuerstrahl zischte genau zwischen ihnen hindurch, und um ein Haar hätte der Strahl sie getroffen und zu Asche verbrannt.

Kein Wunder, dass die Flugungeheuer aufgeregt mit ihren Flügeln schlugen.

Eines der Riesengeschöpfe fiel vor Schreck ein ganzes Stück in die Tiefe. Wie ein Stein sauste es dem Erdboden entgegen, ehe es die Flügel wieder ausbreitete und der Sturzflug damit abgebremst wurde.

Ein weiteres Riesenfledertier stieg laut schreiend in die Höhe und versuchte mit besonders starken Flügelschlägen möglichst schnell emporzukommen.

Das dritte Monstrum flog einen Bogen nach Nord und ließ dabei ein so wütendes Knurren hören, dass jedem, der es vernahm, dabei Angst und Bange werden konnte.

„Thamandor!“, riefen Daron und Sarwen empört wie aus einem Mund. Die beiden Elbenkinder waren mit ihrem gezähmten Riesenfledertier Rarax den drei anderen Flugungeheuern vorausgeflogen. Zusammen mit Thamandor, dem magisch minderbegabten Waffenmeister und Erfinder der Elben, saßen sie auf Rarax' gewaltigem Rücken, und Thamandor hielt einen seiner beiden Flammenspeere in den Händen.

„Was sollte das denn?“, rief Sarwen ärgerlich. Auf der normalerweise sehr glatten Stirn des Elbenmädchens war eine tiefe Furche zu sehen, und ihr Gesicht wirkte so zornig wie schon seit sehr langer Zeit nicht mehr.

Ihr Zwillingsbruder Daron war inzwischen damit beschäftigt, Rarax mit der Kraft seiner Magie zu beruhigen. Na, komm schon, es ist alles in Ordnung!, sandte ihm der Elbenjunge einen sehr intensiven Gedanken. Er wollte unbedingt verhindern, dass Rarax ebenfalls in Panik davonstob. Was geschehen konnte, wenn so ein Riesenfledertier außer Kontrolle geriet, hatten die Elbenkinder schon erlebt. Damals hatte sie Rarax ins ferne Wilderland entführt und dort abgeworfen.

Aber das war lange her. Inzwischen hatten Daron und Sarwen das Monstrum längst viel besser unter ihrer magischen Kontrolle.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

Gorian und das verschwundene Schwert

von Alfred Bekker

(Neue Gorian Erzählung 2)

Nach dem Sieg über Morygor und der Vertreibung des Schattenbringers, der die Sonne verdunkelte, ist Gorian der größte Magier seines Zeitalters.

Keine Macht scheint ihn bedrohen zu können – bis auf jene Kräfte, die aus seinem Inneren kommen. Er gerät in eine Schlacht uralter Götter gegen die Macht der Drachen…

Der Gorian-Zyklus des Autors besteht aus folgenden Titeln:

Gorian 1: Das Vermächtnis der Klingen (Gorian Trilogie 1)

Gorian 2: Die Hüter der Magie (Gorian Trilogie 2)

Gorian 3: Im Reich des Winters (Gorian Trilogie 3)

Gorian und der Kampf mit den Drachen (Neue Gorian Erzählung 1)

Gorian und das verschwundene Schwert (Neue Gorian Erzählung 2)

(199)

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jack Raymond, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

1

“Sei gegrüßt, Thondaril!”

Gorian erhob sich von seinem Platz in dem großen Empfangssaal jenes Turms, in dem er seit Ende des Krieges gegen Morygor, den Herrn des Bösen, residierte.

Thondaril - jetzt Hochmeister des Ordens der Alten Kraft und von jeher Gorians Mentor und väterlicher Freund...

Gorian war sich der Tatsache sehr wohl bewusst, dass er all die Taten, die nötig gewesen waren, um den mächtigen Morygor zu besiegen und den Schattenbringer, der die Sonne verdunkelt hatte, zu vertreiben, nicht ohne Thondarils Hilfe und Anleitung hätte vollbringen können.

Und auch jetzt gab er viel auf den Rat des neuen Hochmeisters des Ordens der Alten Kraft.

Ein relativ entspanntes Lächeln erschien nun auf Gorians Gesicht. Zum ersten Mal seit Tagen. Denn die üblen Träume, die ihn heimsuchten, sorgten dafür, dass er sich angespannt fühlte. Eine Anspannung, die man auch seinen Gesichtszügen deutlich ansehen konnte.

Gorian ging Thondaril entgegen.

Dieser musterte ihn aufmerksam.

Vor ihm kann ich nichts verbergen, dachte Gorian. Jedenfalls weniger als vor den meisten anderen - Sheera vielleicht ausgenommen. Und das liegt nur zum Teil daran, dass er in der Alten Kraft ausgebildet ist.

Zwei Ringe prangten an Thondarils Fingern. Er trug sie beide am Ringfinger der linken Hand. Sie zeigten, dass er zwei Häuser des Ordens der alten Kraft angehörte: Dem Haus des Schwertes und dem Haus der Schatten. Das war in mehr als einer Hinsicht außergewöhnlich und deutete im übrigen an, dass Thondaril über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügte.

Die Ringe waren Zeichen der Meisterschaft.

Und normalerweise erreichte ein Schüler des Ordens der Alten diese Meisterschaft nur in dem Haus, in dem er ausgebildet worden war. Schwertmeister und Meister der Schattenpfadgängerei - diese Eigenschaften in einer Person zu vereinen, war selten…

Es gab nur einen lebenden Magier, der seinen Lehrmeister in dieser Hinsicht derzeit übertraf.

Gorian…

Thondarils Blick war sehr kurz auf die linke Hand seines ehemaligen Schülers gerichtet.

Drei Ringe für die Meisterfähigkeiten dreier Häuser hätten sich dort eigentlich befinden müssen. Aber Gorian trug sie nicht.

Er hat es bemerkt, ging es Gorian durch den Kopf. Aber er hält sich sich darin zurück, dies zu kommentieren. Doch irgendwann wird er mich darauf ansprechen und ich werde nicht umhin können, ihm eine passende Antwort zu geben…

“Wie fühlt man sich als der mächtigste Magier von ganz Ost-Erdenrund, der ohne jeden Zweifel die Welt gerettet hat und ohne dessen Mut Morygor nicht hätte besiegt werden können?”

“Jedenfalls habe ich keinen Bedarf daran, dass man meine Taten aufzählt…”

“So?”

“Was geschehen ist, ist Vergangenheit. Und das einzige, was zählt ist das, was jetzt geschieht.”

“Mag sein. Und doch wird diese Vergangenheit alles bestimmen, was von nun an geschieht.”

“Ja, das stimmt.”

“Ich habe gehört, du hältst inzwischen Audienzen ab - wie ein König oder…”

“...ach das!”

“...oder ein Kaiser!”

“Die Menschen verlangen danach”, sagte Gorian. “Nicht nur hier in Nelbar… in ganz Oquitonien und im Heiligen Reich, beziehungsweise, was davon nach den den Wirren des Krieges und der Vereisung durch den Einfluss des Schattenbringers übrig geblieben ist.. Und darüber hinaus….”

“Darüber hinaus?”

“Es kommen sogar Reisende aus Gryphland, Mitulien und dem Westreich, um nach Rat zu fragen.”

“Was wollen sie von dir?”

Gorian lächelte matt. “Meistens, dass ich Ihnen das Leben mit Hilfe der Alten Kraft erleichtere. Oder sie glauben, dass ich irgendwelchen Gefahren begegnen sollte, von denen sie sich bedroht fühlen.”

“Und - hilfst du ihnen?”

“Die meisten Probleme, die man mir vorträgt, können nicht durch den Einsatz der Alten Kraft gelöst werden, sondern nur durch etwas ganz anderes. Eine Kraft, die vielleicht genauso alt ist und die jeder Mensch besitzt - die einen mehr, die anderen weniger. Sie nennt sich Verstand.”

“Da magst du wohl Recht haben”, nickte Thondaril. Er trat etwas näher. “Ich gehe davon aus, dass du dir der großen Gefahr bewusst bist, in der du dich befindest.”

“Welche Gefahr?”

“Ich spreche von der Gefahr, Hoffnungen zu wecken, die nicht einmal du erfüllen kannst.”

Gorian schluckte. “Ja, das ist mir durchaus bewusst.”

“Du hast Morygor besiegt. Und du hast dafür gesorgt, dass der Schattenbringer nicht länger die Sonne verdunkelt und das Eis sich nicht den ganzen Kontinent zur Beute nimmt. Das ist mehr, als man von irgendjemandem erwarten kann. Alles, was nun kommt, müssen andere tun, Gorian.”

“Ich weiß. Aber was würdest du mir raten? Soll ich mich zurückziehen? Soll ich den Menschen, die über tausende von Meilen nach Nelbar pilgern, sagen, dass ich leider nichts für sie tun kann, weil ich keine Lust dazu habe? Das bringe ich nicht über mich.”

“Es besteht die Gefahr, dass du zum Spielball anderer Mächte wirst, Gorian. Andere werden deine Fähigkeiten für ihre Zwecke auszunutzen versuchen.”

“Dann sollen sie das nur versuchen!”

“Sie tun es bereits, ohne dass du es in jedem Fall bemerken musst.”

“Ich denke, dass ich die Lage unter Kontrolle habe”, gab Gorian zurück.

Thondarils Blick wirkte sehr ernst. Für einen Moment wurden seine Augen von purer Dunkelheit erfüllt. Ein Zeichen der Alten Kraft, wusste Gorian.

“Sollte sich deine Einschätzung aus irgendeinem Grund mal ändern, dann weißt du, wen du jederzeit um Rat fragen kannst, Gorian.”

Gorian nickte. “Das weiß ich.”

“Mach von dieser Möglichkeit Gebrauch. Du weißt, dass ich dir jederzeit zur Verfügung stehe.”

“Ja.”

“Und dass ich von allen wichtigen Amtsträgern im Heiligen Reich wahrscheinlich der Einzige bin, dem du vorbehaltlos vertrauen kannst und der loyal hinter dir steht.”

“Ja.”

Eine Pause entstand. Thondaril legte Gorian eine Hand auf die Schulter.

Gorian zuckte zurück. Er fühlte für einen Moment einen Schmerz, der aber sofort wieder verschwand.

Thondaril hob die Augenbrauen.

“Blutet sie noch?”

“Hin und wieder.”

“Du weißt, dass es keine gewöhnliche Wunde ist, die du damals erlitten hast.”

“Ja, das weiß ich.”

“Sie wird nie ganz heilen.”

“Ich weiß.”

“Wie bei Torbas.”

“Ja.”

“Das war nicht die einzige Gemeinsamkeit, die ihr beide hattet.”

“Torbas ist tot”, erinnerte Gorian.

2

In diesem Moment betrat Sheera den Raum.

“Meister Thondaril!”, stieß sie hervor. “Es ist lange her, dass Ihr uns mit einem Besuch beehrt habt!”

Thondaril nahm die Hand von Gorians Schulter und wandte sich zu der Heilerin um. “Ich war fort… weit fort…”

“Meister Ebeldin sagte, Ihr wolltet innere Einkehr suchen.”

“Das ist die offizielle Version gewesen”, lächelte Meister Thondaril. “Meine Mission musste geheim bleiben. Denn seit ich der Hochmeister des Ordens der Alten Kraft bin, beobachtet man jeden meiner Schritte mit erhöhter Aufmerksamkeit.”

“Manche wünschen sich, dass der Orden wieder ein Machtfaktor im Heiligen Reich wird - so wie es früher war”, sagte Sheera.

“Manche wünschen sich das”, bestätigte Thondaril. “Aber andere fürchten genau dies. Deswegen muss ich sehr genau überlegen, was ich tue, mit wem ich mich treffe - und wohin ich reise. Und natürlich, mit wem ich darüber rede. Es heißt, Paddam Corrach habe überall seine Spione…”

“Der Herzog von Eldosien hat sich zum Kaiser aufgeschwungen”, stellte Sheera fest. “Und sollte ein Kaiser nicht auch über Spione verfügen, um informiert zu sein?”

“Man wird abwarten müssen, ob Paddam Corrach wirklich im gesamten Heiligen Reich als Kaiser anerkannt wird””, gab Thondaril zu bedenken. “In Laramont gibt es inzwischen einen neuen Herzog. Möglicherweise wird er auch Ansprüche erheben. Schließlich haben die Laramonter über Generationen den Kaiser gestellt und ich glaube nicht, dass man dort schon vergessen hat, auf welche Weise Kaiser Corrach IV. gestorben ist….”

Durch ein vergiftetes Taschentuch, erinnerte sich Gorian. Es war durchaus möglich, dass es innerhalb des Heiligen Reiches zu einem Bürgerkrieg um die Macht kam. Das war natürlich das Letzte, was die Heiligreicher jetzt eigentlich gebrauchen konnten. Aber andererseits standen sich mit Eldosien und Laramont zwei Herzogtümer gegenüber, die beide kaum, von der Vereisung durch den Schattenbringer betroffen gewesen waren. Der Krieg gegen Morygor hatte in beiden Herzogtümern kaum Zerstörungen angerichtet - anders als in den meisten anderen Gebieten des Heiligen Reichs.

“Es gibt Gerüchte, dass Paddam nach Nelbar kommen wird”, sagte Sheera.

“Ich habe diese Gerüchte auch gehört”, nickte Thondaril.

“Haltet Ihr sie für wahr?”

“Es wäre nur logisch, wenn Paddam etwas Wärme in Gorians Sonne sucht”, erwiderte Thondaril. Er lächelte verhalten. “Verzeih mir dieses Wortspiel, Gorian.”

“Seit dem Verschwinden des Schattenbringers scheint die Sonne ja wieder glücklicherweise für alle”, gab Gorian zurück. “Kaiser, Möchtegern-Kaiser und selbsternannte Kaiser oder Kaiser-Aspiranten gleichermaßen.”

“Paddam wird versuchen, dich auf seine Seite zu ziehen, Gorin. Er wird versuchen, deine Macht in den Dienst seiner Sache zu stellen.”

“Diesen Eindruck hatte ich von Anfang an.”

“Und er wird versuchen, seine Herrschaft zu festigen, noch ehe sich die Konkurrenz aus Laramont oder anderswo in Stellung bringt. Und damit kommen wir zurück zu meiner Reise, zu der ich quasi inkognito aufgebrochen bin und dich mich weit in den Norden geführt hat.”

“Erzählt davon”, verlangte Sheera. “Man hört, dass sich das Eis überall zurückgezogen hat…”

“Ja, das ist wahr. Aber das Eis hat eine Spur der Verwüstung hinterlassen, wie ihr ja wisst. Ganze Städte und Landschaften wurden förmlich unter der Eislast begraben und niedergewalzt. Überall wird wieder aufgebaut. Bewohner kehren zurück in die Gebiete, in denen sie einst gelebt haben - und manchmal sind inzwischen schon andere eingezogen. Es gibt auch Städte, die vielleicht für immer Ruinen bleiben werden, die aber die Geschehnisse um Morygor und den Schattenbringer gemahnen werden. Hier und da haben sich in Landstrichen, die einst Senken waren, Schmelzseen gebildet und es kommt immer wieder zu verheerenden Überschwemmungen, wenn sich das Wasser seinen Weg bahnt und dann über irgendeinen natürlichen Wasserweg abfließt.”

“Wie weit im Norden wart Ihr, Meister Thondaril?”, fragte Sheera.

“Sehr weit. Ich kam bis zur Küste von Nemorien.”

“Seit Ihr auch auf Gontland gewesen?”

Ein Moment des Schweigens entstand. Gontland, dachte Gorian. Die Insel im Delta des Gont, wo der Fluss ins Meer mündet…

Gorian sah Sheera an.

Du hast das Wort Ordensburg vermieden, Sheera.

Sie erwiderte seinen Blick. Er wusste, dass sie seinen Gedanken verstanden hatte.

Allein der Gedanke an die Ordensburg, die jetzt eine zerstörte Ruine sein musste, schmerzte. Das galt für Gorian wie für Sheera gleichermaßen. Schließlich waren sie dort ausgebildet worden.

Und natürlich gilt das umso mehr für Meister Thondaril, dachte Gorian.

“Ja, ich war auch auf Gontland”, sagte Thondaril schließlich. “Die Insel im Fluss ist ein seltsamer Ort geworden. Man spürt dort viele Kräfte. Magische Kräfte…”

“Das ist nicht verwunderlich”, meinte Gorian. “Schließlich wurden dort über Generationen Schüler in der Anwendung der Alten Kraft unterwiesen.”

“Ja, ich weiß”, sagte Thondaril. Der Hochmeister des Ordens der Alten Kraft wirkte nachdenklich. Seine Hand legte sich um den Griff seines Schwertes, so als müsste er sich an irgendetwas festhalten. “Ich glaube, dass es sinnvoll sein könnte, die Ordensburg wieder aufzubauen und den Sitz des Ordens wieder in die alte Ordensburg zu verlegen - was wohl eher einem völligen Neubau gleichkäme. Es ist nicht viel von den Mauern geblieben, in denen wir uns alle einst dem Studium der Alten Kraft gewidmet haben.”

“Aber der Orden hat doch hier in Nelbar eine der sieben Burgen für sich”, wandte Gorian ein. “Mit einem eigenen Hafen und vollkommen unabhängig von der Stadt selbst… Und davon abgesehen könnte der Orden von Nelbar aus viel leichter wieder zu einem Machtfaktor im Heiligen Reich werden, als von der Ordensburg auf Gontland aus.”

“Dem Orden geht es wie dir, Gorian”, sagte Thondaril. “Wir stehen in der Gefahr, zu einem Spielball derer zu werden, die im Moment um die Macht streiten. Und da könnte es langfristig durchaus von Vorteil sein, wenn sich das Zentrum des Ordens in weiter Entfernung befindet….”

Er hat vom Orden so gesprochen, als wäre ich gar kein Teil davon, fiel Gorian auf. Aber vielleicht hat er damit sogar auf eine gewisse Weise Recht… An den Konventen des Ordens hatte Gorian seit dem Ende des Morygor-Krieges nicht mehr teilgenommen. Die Ordensburg in Nelbar hatte er nicht ein einziges Mal besucht. Thondaril hingegen hatte ihn wiederholt und regelmäßig aufgesucht. War es nur die mangelnde Zeit, die einen Besuch beim Orden nicht zugelassen hat?, ging es Gorian durch den Kopf. Oder bin ich vielleicht tatsächlich kein Teil dieser Gemeinschaft mehr? Diese Frage musste gestellt werden. Und Gorian musste darauf irgendwann eine Antwort finden.

Der Orden - beziehungsweise die überlebenden Mitglieder desselben - hatten ihn und Sheera schließlich auch nie zu sich gerufen.

Auch Thondaril nicht, zu dem Gorian eigentlich eine ganz besondere Verbindung hatte.

Aber vielleicht war das letztlich auch nichts anderes, als das Ergebnis einer folgerichtigen Entwicklung. Der größte Magier der Welt - so nannte man Gorian nun überall. Sein Gewicht schien schwerer zu wiegen als das Gewicht des gesamten Ordens. Er hatte Morygor besiegt und den Schattenbringer vertrieben und damit der Vereisung Einhalt geboteten. Der Orden hatte sich zwar auch der Macht Morygors entgegengestellt, sich dabei aber fast aufgerieben. Nur wenige Meister hatten den Kampf gegen Morygors Horden überlebt. Und abgesehen davon hatte Verrat dafür gesorgt, dass zunächst auch unter den Überlebenden kaum einer dem anderen getraut hatte.

“Es gibt noch keine Entscheidung zu dieser Sache”, sagte Thondaril. “Der Konvent hat dazu noch nicht einmal getagt. Meine Reise diente unter der anderem dazu, eine Einschätzung abzugeben. Ich wollte mir selbst ein Bild machen.”

“Das verstehe ich gut”, sagte Gorian.

“Allerdings ist mir wohl bewusst, was diese Entscheidung - mag sie nun so oder so fallen - für Auswirkungen haben könnte. Man muss nicht einmal im Ordenshaus der Seher ausgebildet worden sein, um dies erkennen zu können.”

“Da stimme ich dir zu, Thondaril.”

“Allein die Tatsache, dass ich zu dieser Reise aufgebrochen bin, hätte Beunruhigung auslösen können.”

“Es versteht sich von selbst, dass ich dazu schweigen werde”, versprach Gorian.

“Auf dem Rückweg bin ich nach Toque gekommen…. Dort ist man damit beschäftigt, die berühmte Kathedrale wieder aufzubauen…”

“Das dürfte Jahrzehnte dauern!”, stieß Sheera hervor.

Das Eis hatte die berühmte Kathedrale von Toque mit seinem Gewicht niedergewalzt. Von den einst ehrwürdigen Mauern, in denen viele Kaiser gekrönt worden waren, war nichts geblieben als Ruinen.

Grundmauern und Fundamente, auf denen man vielleicht aufbauen konnte. Aber so ein Unternehmen kam ganz sicher eher einem Neubau gleich und weniger einer Restauration. Davon abgesehen konnte man wahrscheinlich nicht einmal das alte Material unmittelbar verwenden, denn das voranschreitende Eis hatte die Steinblöcke einfach mit sich genommen. Nun lagen sie meilenweit entfernt und nach dem Ende des Morygor-Krieges waren sie teilweise wohl schon die Beute von Steinbrechern geworden, die sie zum Wiederaufbau ihrer eigenen Häuser genutzt hatten.

“Vielleicht habe ich mich unklar ausgedrückt”, sagte Thondaril. “Natürlich würde ein Wiederaufbau der Kathedrale, sofern man darunter eine originalgetreue Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes versteht, viele Jahre dauern. Selbst ein außergewöhnlich begabter Magier könnte daran nichts ändern…”

War da leiser Spott in Thondarils letzter Bemerkung?, fragte sich Gorian.

Ein Gedanke von Sheera erreichte ihn: Du siehst Gespenster, Gorian.

Thondaril fuhr fort: “Was mich beschäftigt, ist ein anderer Punkt: Die Ruine wird in großer Eile und von vielen Arbeitern hergerichtet.”

“Hergerichtet?”, echote Gorian.

“Für eine Krönungszeremonie. Auf etwas anderes kann das nicht hinauslaufen. Man beginnt mit dem Wiederaufbau und richtet dann die nur erahnbare Kathedrale für die Zeremonie her…”

“Ein passendes Symbol für den Wiederaufbau und die neue Zeit nach Morygor”, meinte Sheera.

“Paddam Corrach steckt dahinter, nicht wahr?”, lautete Gorians Schluss.

“Das nehme ich auch an. Und es passt zu den Gerüchten, dass Paddam nach Nelbar kommt....”

Gorian begriff. Nelbar lag an der Mündung des Flusses Bar - Toque an seinem Oberlauf in Quellanien. Paddam konnte mit einem Schiff von Nelbar aus nach Toque reisen und sich dabei den Menschen in den Anrainer-Herzogtümern Oquitonien, Baronea und Quellanien als neuer Kaiser des Heiligen Reiches präsentieren.

Ein Unternehmen, das zu einer Demonstration der Macht werden konnte, dem später die Konkurrenz aus Laramont nichts mehr entgegenzusetzen hatte.

“Du wirst dich entscheiden müssen, welche Rolle du dabei einnimmst, Gorian”, prophezeihte Thondaril.

3

Meister Thondaril kehre zur Neuen Ordensburg in Nelbar zurück. Er ging durch die Straßen und hörte, was die Menschen sagten.

“Bei Gorian!”, sagte einer der Fischhändler. “Möge Gorian uns die günstigen Winde und die Fischschwärme schicken! Dann wird es noch ein gutes Jahr!”

“Angeblich soll der Kaiser noch nach Nelbar kommen! Dann wird es auch für alle anderen hier ein gutes Jahr!”

“Das sagst du, weil du ein Wirt bist. Aber in deinem Dreckloch würde kein Kaiser übernachten!”

“Ein Kaiser nicht - aber sein Gefolge schon!”

“Das ist wahr!”

“Und ein Kaiser reist nicht ohne Gefolge!”

“Für mich ist Paddam immer noch nur der Herzog von Eldosien - und kein Kaiser.”

“Er hat sich dazu ausgerufen!”

“Ja, aber ein Kaiser ist nur ein Kaiser, wenn er in der Kathedrale von Toque gekrönt wurde! Und dort steht bekanntlich kein Stein mehr auf dem anderen.”

“Wer weiß… ich habe gehört, dass dort jede Menge Baumeister, Steinmetze und Handwerker angeworben werden.”

“Ist das wahr?”

“Ich kenne selbst Männer, die angeworben wurden und dort angeblich das Dreifache von dem verdienen können, was man ihnen hier in Nelbar für ihre Dienste geben würde!”

“Dann würde ich so ein Angebot auch annehmen.”

“Wie auch immer. Vielleicht gibt es ja irgendwann eine Krönung.”

“Eine Krönung in Ruinen. Mehr kann das nicht werden.”

“Vielleicht könnt Gorian ein Wunder vollbringen.”

“Du traust ihm aber viel zu.”

“Wieso? Wer einen Himmelskörper wie den Schattenbringer, der das Licht der Sonne verdeckt, vertreiben kann - der vermag doch buchstäblich alles. Du selbst hast bei seinem Namen um Fischschwärme und günstige Winde gebeten!”

“Ja, das sagt man so…”

“Schon fast eine Gotteslästerung gegenüber dem Verborgenen Gott!”

“Der wird das nicht so genau nehmen. Und seine Priester haben ihre Ohren ja nicht überall. Aber eine Kathedrale aufbauen mit Magie…”

“Er könnte es, da bin ich mir sicher!”

“Denkst du?”

“Gorian wäre im Stande dazu. Und es wäre auch gar nicht schlecht, wenn er so ein Wunder vollbringen würde. Dann würden die Handwerker nicht alle nach Tocue fortziehen, wo sie nicht mehr zu mir kommen, um ein Bier zu trinken.”

“Dann bitte Gorian doch um ein leichteres Wunder.”

“So?”

“Dir die chronisch leere Kasse voll zu machen.”

“Ich fürchte, daran würde sogar der größte Magier aller Zeiten scheitern!”, mischte sich nun ein anderer Sprecher ein und die Männer brachen in Gelächter aus.

Thondaril hatte ihnen zugehört. Was sie sagten, verwunderte ihn nicht besonders. Er hatte so etwas schon oft gehört. Immer wieder, bei vielen Menschen. Und das nicht nur hier in Nelbar, wo der größte Magier aller Zeiten zum Greifen nahe schien und manchmal Menschen zu dem Turm pilgerten, in dem er zusammen mit Sheera jetzt residierte. Sie verehrten ihn hier wie einen Heiligen.

Aber auch andernorts war Thondaril auf seiner Reise auf dieses Phänomen gestoßen.

Der Hochmeister des Ordens der Alten Kraft wusste noch nicht, was er davon letztlich halten sollte.

So sehr er Gorian auch als Mentor verbunden war - die jüngerer Entwicklung seit Ende des Morygor-Krieges betrachtete er mit wachsender Sorge.

Eine Entwicklung, die im übrigen vorhersehbar war, wie ihm mehr und mehr klar wurde.

4

“Ihr habt mit ihm gesprochen?”, fragte Meister Ebeldin, nachdem Thonbdaril in die Ordensbnurg zrückgekehrt war. Der Meister aus dem Haus der Seher hatte offenbar auf ihn in der großen Wandelhalle gewartet. Ebeldin war einer der wenigen Überlebenden des Ordens. Seit dem Ende des Morygor-Krieges hatte er sich der Erweiterung seiner seherischen Fähigkeiten gewidmet. Um Zukunft zu gestalten, musste man sie zuvor gesehen haben, so lautete sein Credo. Und Thondaril konnte ihm da nur beipflichten. Im Krieg mochten die Schwertmeister und Schattenpfadgänger wichtiger gewesen sein, aber jetzt, in der Neuen Zeit, kam es auf die Seher an.

“Ich habe mit ihm gesprochen”, bestätigte Thondaril.

“Er hat sich vom Orden entfernt, Hochmeister.”

“Ich weiß.”

“Man könnte auch sagen, dass die Umstände ihn vom Orden entfernt haben. Aber das kommt meines Erachtens auf dasselbe hinaus, Hochmeister.”

“Ja, da mögt Ihr wohl Recht haben, Meister Ebeldin. Aber ich habe die Zuversicht, was Gorian betrifft, noch nicht verloren.”

“Ihr beurteilt ihn anders, weil Ihr sein Mentor wart.”

“Ich bin es immer noch.”

“Seid Ihr sicher?” Ebeldin lächelte. “Jede Mentorenschaft hört irgendwann auf. “

“Er war fast wie ein Sohn für mich.”

“Auch wenn er tatsächlich Euer Sohn wäre, wäre das der Fall.”

“Ich weiß.” Thondaril machte eine Pause. Sein Gesicht wirkte ernst und nachdenklich. “Ich glaube, dass er sich durchaus seiner Macht bewusst ist - und dass ihm klar ist, welche Verantwortung damit verbunden ist.”

“Ich will hoffen, dass Eure Einschätzung zutrifft, Hochmeister.”

“Habt Ihr Anlass dazu, etwas anderes anzunehmen?”, fragte Thondaril. Sehermeister vermochten die möglichen Zukünfte und Wahrscheinlichkeiten zu berechnen. Das Polyversum der Welten und Zeitlinien war voller Möglichkeiten, die alle in irgendeiner anderen Dimension Realität geworden waren. Was denkbar war, existierte auch und was existierte, konnte die Zukunft formen.

Die Zukunft selbst war nach Überzeugung und Lehre des Ordens offen, aber es gab größere oder kleinere Wahrscheinlichkeiten dafür, dass eine bestimmte Zukunft, eine bestimmte Kausallinie der Zeit auch tatsächlich eintrat.

Und eine sehr große Wahrscheinlichkeit konnte einer Zwangsläufigkeit schon sehr nahe kommen.

“Euch beschäftigt die Sorge, dass Gorian zu mächtig geworden ist”, stellte Ebeldin fest.

“Das Gleichgewicht der Kräfte ist ohnehin nicht mehr intakt”, stellte Thondaril fest. “Auf keiner nur denkbaren Ebene. Eine große Ansammlung von Macht kann für Chaos und Vernichtung sorgen, selbst wenn sie dem Guten dient.”

“Was immer das Gute jeweils sein mag”, gab Ebeldin zurück.

“Ihr seid ein alter Skeptiker, Ebeldin.”

“Und Ihr scheint Euch auf Eure alten Tage zu einem Idealisten zu wandeln, Thondaril.”

Thondaril lächelte mild. “War ich das nicht eigentlich schon immer?”

“Das mögt Ihr am besten zu beurteilen.”

Ebeldin musterte Thondaril einige Augenblicke lang. Er sieht die Frage in meinen Gedanken, dachte der Hochmeister. Und er weiß, dass ich es nicht wage, sie zu stellen, weil ich Angst vor der Antwort habe…

“Es ist Eure Entscheidung”, sagte Ebeldin dann. “Wissen oder Nichtwissen - das ist hier die Frage.”

“Nein, es ist keine Frage, Meister Ebeldin.

“Spüre, was da ist und erkenne, was nur Reflexion deiner Gedanken sein kann…”

“Eines unserer Axiome!”

“Das Verborgene am Verborgenen Gott ist nur er selbst, aber das Verborgene der Erkenntnis ist in dir!”

“Sagt mir, was Ihr seht, Meister Ebeldin.”

“Ich sehe zwei Wege. Ich sehe einen Weg, auf dem seine Macht zu groß wird und alle Vorstellungen sprengt und die Ordnung zerstört.”

“Und der andere Weg?”

“Der andere Weg ist der, auf dem seine Macht zu schwach ist, um die Ordnung zu erhalten.”

“So ist das Resultat auf beiden Wegen möglicherweise dasselbe?”

“Das wäre gut möglich.”

5

Warum bin ich hier?, fragte Gorian sich, als er erneut den Raum betrat, in dem die beiden Schwerter aufbewahrt wurden: Schattenstich und Sternenklinge, geschmiedet aus Sternenmetall.

Gorin konnte nicht sagen, was ihn hier hergeführt hatte, aber offenbar übten die beiden Schwerter in letzter Zeit eine vermehrte Anziehungskraft auf ihn aus.

Er berührte die Griffe beider Klingen.

Zuerst Sternenklinge, die er selbst immer getragen hatte und mit der er gegen die Horden Morygors kämpfte. Dann Schattenstich, jene Klinge, die Torbas getragen hatte.

Torbas, der ihm ein Freund und Gefährte gewesen war.

Fast ein Zwilling.

Beide waren sie im Zeichen eines fallenden Sterns geboren worden - jenes Sterns, aus dessen Überresten Gorians Vater Nhorich die beiden Schwerter geschmiedet hatte.

Erinnerungen stiegen in Gorian auf. Beide haben wir eine Wunde davongetragen, die immer wieder schwarzes Blut hervorbringt. Beide haben wir gegen Morygor gekämpft - bis er mich verriet. Und doch führte er am Ende den entscheidenden letzten Schlag gegen Morygor…

Ich weiß, dass er tot ist und doch…

Gorian umfasste die Griffe beider Schwerter und spürte plötzlich eine eigenartige Kraft die Arme hinaufschießen.

Im nächsten Moment in einer anderen Welt…

Es war jene Welt, von der er schon die ganzen letzten Nächte geträumt hatte. Eine Welt, in der er an der Seite der Alten Götter gegen Horden von gewaltigen Drachen kämpfte.

Er - der einzige Sterbliche, der eine Schlacht zwischen Unsterblichen, monströsen Göttern und ebenso unsterblichen und genauso monströsen Ungeheuern entscheiden sollte, die ansonsten bis in alle Ewigkeiten weiterzugehen drohte.

Auch in jener Welt hatte er beide Schwerter getragen und sich mit einem Kraftschrei in den Rachen eines gewaltigen Drachen gestürzt, der aus der Erde hervorgebrochen war.

Ein Drache, so mächtig, dass selbst die Götter vor ihm schauderten.

Jetzt setzte sich dieser Traum genau an dieser Stelle fort.

Ein Traum, von dem er längst wusste, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Traum handelte, sondern um etwas ganz anderes.

Konnte es sein, dass man gleichzeitig zwei Leben führt? Parallel zueinander? In verschiedenen Dimensionen der Existenz?

Die Theorie des Polyversums, wie sie beim Orden der Alten Kraft gelehrt wurde, legte das nahe.

Nur war es etwas völlig anderes, so etwas zu erleben, als nur den metaphysischen Spekulationen gelehrter Meister zu lauschen oder kryptische Texte in der Ordensbibliothek nachzulesen.

Gorian befand sich in absoluter Dunkelheit, den das Maul des Drachen hatte sich geschlossen.

Aber er wusste trotzdem auch in dieser Sekunde, wo er war.

Seine magischen Sinne sagten es ihm.

Der Geruch nach Schwefel war schier unerträglich.

Niemand hätte das überleben können. Kein Sterblicher wäre vor der Ohnmacht und dem Erstickungstod gefeit gewesen, dachte Gorian. Es sei denn, er setzt die Alte Kraft ein und ist sehr begabt darin… Oder gelten in dieser Welt andere Regeln? Andere Gesetze der Natur und der Magie? Das kann man nicht ausschließen…

Gorian murmelte eine Formel in alt-nemorischer Sprache und stieß dann einen erneuten Kraftschrei aus. Beide Klingen - Schattenstich und Sternenklinge - glühten daraufhin rot auf. Wie flammende Fackeln leuchteten sie. Er stieß die Klingen in den Gaumen des Drachen. Tief hinein, so tief wie es nur möglich war. Strahlen schossen dabei aus den beiden Schwertern heraus. Funken sprühten, sowohl feuerfarben als auch in Schwarzlicht.

Feuer kam nun aber auch dem Schlund des Drachen.

Es war eine Flammenwand, die aus dem tiefen Rachenschlund des Ungeheuers herausdrang. Der Drache öffnete sein Maul. Das Licht des Feuers und die Lichterscheinungen von Gorians Schwertern mischten sich mit dem grellen Sonnenlicht dieser vulkanischen Welt, in die der in seinem Traum hineingeraten war.

Gorian konzentrierte sich. Als die Flammen aus dem Drachenmaul herauszüngelten, schützte ihn eine Blase aus magischem Schwarzlicht vor der Hitze.

Gleichzeitig spritzte Drachenblut aus den Wunden heraus, die Gorian dem Ungeheuer mit seinen Schwertern schlagen hatte. Doch auch dieses ätzende Drachenblut erreichte Gorian nicht. Es perlte von der magischen Blase aus Schwarzlicht ab.

Gorian fühlte, wie die Lebenskraft aus dem gewaltigen Geschöpf wich.

Das Ende ist nah, erkannte er. Zumindest dieser Kampf scheint gewonnen zu sein…

Er zog die Klingen aus dem Gaumen des Drachen, stieß noch einmal zu, dann nochmal und nochmal, ehe der Kopf des Giganten niederfiel. Mitsamt der magischen Schwarzlichtblase wurde er aus dem Maul des Drachen herausgeschleudert.

Wenig später fand er sich auf einem sich bewegenden Untergrund wieder - inmitten jenes Erdrisses, aus dem der Drache hervorgekommen war. Die magische Blase aus Schwarzlicht konnte er jetzt nicht länger aufrecht erhalten. Zu viel Kraft hätte ihn das gekostet.

Er erhob sich, starrte auf den Kopf des toten Drachen, dessen starres Auge ihn ungläubig anstierte. Die Fassungslosigkeit über das Geschehene war in diesem toten Blick eingefroren worden.

Gorian erhob sich.

Er stellte zwei Dinge fest.

Erstens, dass der schwankende Untergrund, auf dem er stand, sich jetzt zusehends beruhigte, was einen ganz einfachen Grund hatte: Der Untergrund gehörte zum größten Teil zu dem noch gar nicht zur Gänze aus der Tiefe emporgekommenen Körper des Drachen, dessen Atmung jetzt verebbte.

Gorian stand also quasi auf dem Körper seines toten Feindes.

Die schiere, kaum fassbare Größe des Drachen, gegen den er gekämpft hatte, ließ ihn schaudern.

Das zweite, was er feststellte, beunruhigte ihn allerdings weitaus mehr.

“Schattenstich!”, stieß er hervor, obwohl das im allgemeinen Kampfeslärm und den lauten, tierhaften Geräuschen, die die Drachen ausstießen, wohl kaum jemand hörte.

Gorians Rechte umfasste den Griff von Sternenklinge - aber die Linke krampfte sich nur zur Faust zusammen. Da war kein Schwertgriff mehr zwischen seinen Fingern, obwohl Gorian sicher war, die Waffe fest umklammert und aus dem Körper des Drachen ebenso herausgerissen zu haben wie das andere Schwert.

Aber jetzt war es fort.

Das Schwert, das einst Torbas getragen hatte, war fort.

Es musste noch im Rachen des Drachen stecken.

Damit war es jetzt unerreichbar.

Der tote Drache hatte sein Maul geschlossen.

Gorian war trotzdem fest entschlossen, es zurückzuholen.

Schattenstich war mehr als nur ein einfaches Schwert. Es war ein magisches Artefakt. Eine Legende. Ein Gegenstand voller Zauberkraft, geschmiedet in einem besonderen Moment, der das Schicksal von ganz Ost-Erdenrund letztlich mitbestimmt hatte…

Gorian machte eine Bewegung nach vorn.

Einen Schritt über den halb ausgebrannten Drachenkörper hinweg.

Aber da erfasste ihn eine Kraft und riss ihn empor.

Und in diesem Augenblick hatte Gorian dieser Kraft nichts, aber auch gar nichts entgegenzusetzen.

6

Die unheimliche Kraft beförderte Gorian aus der grubenartogen Erdspalte heraus, in der er sich auf den Drachen gestürzt hatte.

Und da sah er dann seine Kampfgefährten in dieser Schlacht: die vier Götter, mit denen sich hier unfreiwillig einer Horde von Drachen entgegenstellen musste.

Ahyr, Arodnap, Taykor und Blaakon…

Ihre Namen und Gestalten waren ihm aus dem Reich des Geistes flüchtig bekannt. Aber damals, als er in jene geheimnisvolle Sphäre vorgedrungen war, in die sonst nur die Magier der Caladran vorzustoßen vermochten, hatte er ihnen kaum Beachtung geschenkt.

Schließlich gehörten sie zu den Alten Göttern.

Jenen Kreaturen, die man angebetet hatte, bevor sich der Glaube an den Verborgenen Gott auf Ost-Erdenrund unter den Menschen ausgebreitet hatte. Und es hieß, dass allein die Nennung ihrer Namen oder die Anerkenntnis ihrer Existenz ihnen Macht verleihen würde. Das zumindest war die Lehre der Priesterschaft des Verborgenen Gottes.

Aber auch die Lehre des Ordens der Alten Kraft warnte eindringlich vor ihnen.

Offenbar war es Blaakon gewesen, dessen Kräfte Gorian aus der Grube hervorgeholt hatten.

Gorian spürte, dass er immer noch in der Luft schwebte und dabei von der Stratosphäre Blaakons umgeben wurde.

Dann spürte Gorian endlich wieder festen Boden unter den Füßen - oder was immer das in diesem unwirtlichen Land in einer fremden Dimension sein mochte.

“Ich dachte, du wolltest dort unten vielleicht nicht bleiben, Sterblicher!”, meinte Blaakon, während sich die Grube aus der der der Drache hervorgekommen war, jetzt schloss.

Gorian spürte, wie der vermeintlich sichere Boden unter seinen Füßen erneut zu schwanken begann. Blaakon machte eine Handbewegung, was bewirkte, dass er jetzt auf die Lichtbarke gehoben wurde, von der aus der Gott der Ordnung agiert hatte.

Und obgleich diese Barke aus nichts anderem als magischem beziehungsweise göttlichem Licht bestand, hatte Gorian nun tatsächlich für den Moment das Gefühl, sicheren Untergrund zu haben.

Unterdessen wehrte Taykor einige mittelgroße Drachen ab, die bereits nahe herangekommen waren. Taykor richtete einen Dreizack auf sie und versengte sie mit magische Strahlen. Die heranstürmenden Drachen zerfielen daraufhin einfach zu Asche.

Ahyr schleuderte von seinem von zweiköpfigen Löwen gezogenen Streitwagen aus seine Axt, die Funkenspühend durch die herannahende Front der Drachen fegte und sie reihenweise köpfte, während gleichzeitig Arodnap in der Gestalt des fellbehangene, wilden Kriegers seine mit Obsidiansplittern besetzte Keule immer wieder auf die Erde schlug, woraufhin sich Blitze bildeten, die Spinnenbeinen ähnlich über den Boden zuckten und die Drachen ebenfalls reihenweise versengten.

“Mein Schwert!”, rief Gorian. Torbas‘ Schwert...

“Was willst du denn? Du hast doch noch eins, Sterblicher!”

“Aber das andere Schwert…. Es ist noch im Rachen des Drachen.”

“Mein größter Respekt! Für einen Sterblichen hast du gut gekämpft. Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass du diesen dicken Brummer von einem Drachen erlegst!” Blaakon schüttelte den Kopf. Sein Bart schien dabei Feuer zu fangen. Ein Lächeln bildete sich im Gesicht des Gottes. “Das war selbst für einen Drachen eine Riesenbestie. Und wenn du nicht gewesen wärst, hätte er sich vielleicht zur Gänze erheben können… wer weiß…”

“Ich muss mein Schwert zurückholen!”

“So ein Quatsch! Du hast doch noch ein zweites!”

“Es ist eine besondere Klinge!”

“Ich habe auch nur ein Schwert. Was willst du mit einer zweiten Klinge? Davon abgesehen hat sie ihren Zweck doch erfüllt!”

Gorian wollte einen Kraftschrei ausstoßen und von der Lichtbarke herabspringen, aber da war eine unsichtbare Wand, die ihn aufhielt und die Lichtbarke sphärenhaft zu umgeben schien.

“Lass das lieber, Sterblicher! Es hat keinen Sinn!”

In diesem Moment schloss sich der Erdschlund, aus dem der Riesendrache hervorgekommen war, vollkommen. Lava quoll aus einer anderen Erdspalte hervor und überschwemmte die Stelle.

Selbst für die Götter schien es jetzt am Boden vorübergehend zu ungemütlich zu werden. Arodnap vollführte aus dem Stand einen Sprung und landete ebenfalls auf der Lichtbarke Blaakons. Der Streitwagen Ahyrs hingegen begann zu schweben und sich über den Boden hinweg zu erheben. Die zweiköpfigen Löwen wirkten, als hätten sie festen Boden unter den Tatzen, obwohl da nichts unter ihnen war, außer einem leichten, magischen Schimmer. Und auch Taykor verließ den Ort des Geschehens, indem der gewaltige Krieger sein sechsbeiniges Pferd in die Lüfte steigen ließ.

“”Wenigstens sind jetzt die Drachen erstmal auf Distanz”, sagte Blaakon. “Aber wir werden uns auf die nächste Angriffswelle vorbereiten müssen!”

“Du warst gut - für einen Sterblichen”, meinte Arodnap an Gorian gewandt.

“Mein Schwert…”, murmelte dieser erneut, denn er konnte es noch immer nicht fassen, dass er Schattenstich verloren haben sollte.

Verschlungen von einem Drachen, der jetzt seinerseits von der Erde verschlungen worden war...

“Wenn du willst erschaffe ich dir ein Schwert, falls du so ein Hilfsmittel brauchst”, meinte Blaakon. “Aber es kommt niemals auf so ein Artefakt an - sondern immer auf die Kraft, die dahintersteht…”

“”So ist es”, pflichtete ihm Arodnap bei.

“Heh, ihr sprecht über ihn wie über unseresgleichen!”, meinte Ahyr.

“Er ist nur ein sterblicher Narr, dessen Gesellschaft uns durch die Umstände aufgezwungen wurde”, erinnerte Taykor die anderen. “Dieser Graue Elf namens Luun hat ihn hierher gebracht, um uns zu demütigen!”

“Nein, Luun hatte Recht!”, widersprach Blaakon. “Mit ihm zusammen werden wir die Drachen vielleicht so besiegen können, dass wir lange Zeit vor ihnen Ruhe haben - und nicht nur ein paar Momente…”

“Die wiederum für einen wie diesen Sterblichen länger andauern können, als sein ganzes Leben!”, gab Arodnap zu bedenken.

7

“Schattenstich”, murmelte Gorian.

Von einem Augenblick zum nächsten befand er sich wieder in seinem Residenzturm in Nelbar .

Dort, wo die Schwerter aufbewahrt wurden, deren beide Griffe er gerade noch in den Händen gehalten hatte.

“Gorian, was tust du da?”, hörte er Sheeras Stimme wie aus weiter Ferne.

“Es ist nicht mehr da!”, stellte Gorian fest. “Torbas’ Schwert ist nicht mehr da.”

“Es kann doch nicht einfach verschwinden, Gorian!”

“Ich hatte es gerade noch in der Hand - und jetzt ist es fort!”

Gorians Rechte umklammerte immer noch den Griff von Sternenklinge, während sich die Linke zur Faust geballt hatte - so als würde sie Schattenstich noch immer festhalten.

Aber da war nichts mehr.

Kein Schwert.

Schattenstich, die zweite magische Klinge, die Nhorich aus dem Erz eines fallenden Sterns geschmiedet hatte, war auf eine unheimliche, für Gorian nicht nachvollziehbare Weise verschwunden.

ENDE

Im Zentaurenwald der Elben

von Alfred Bekker

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alfred Bekker

Im Zentaurenwald der Elben: Fantasy Roman: Elbenkinder 5

Der fünfte Band der Saga um Daron und Sarwen.

Fantasy-Roman Kaum sind die Elbenkinder mit ihrem Fledertier Rarax im Waldreich der Zentauren gelandet, müssen sie sich Horden von Waldgeistern erwehren, die in blinder Wut jeden angreifen, dem sie begegnen. Rarax wird dabei so geschwächt, dass er beinahe stirbt. Auf ihrer Flucht gelangen Daron und Sarwen in den Geheimen Wald, wo der riesenhafte Nebelbaum ein Opfer der Waldgeister zu werden droht. Auf seinen Ästen liegen die Dörfer der Faune. Doch schon tun sich Risse in seinem Stamm auf, und er droht zu stürzen. Verzweifelt suchen die Elbenkinder nach einer Möglichkeit, die Waldgeister zu besänftigen, um die Zerstörung zu stoppen. Die Fortsetzung der Elben-Trilogie von Alfred Bekker!

Übersicht Elbenkinder 1-7

Das Juwel der Elben

Das Schwert der Elben

Der Zauber der Elben

Die Flammenspeere der Elben

Im Zentaurenwald der Elben

Die Geister der Elben

Die Eisdämonen der Elben

Kapitel 1:

Schreckhafte Bestien

Ein greller Feuerstrahl zuckte durch den Himmel, und drei drachengroße Riesenfledertiere kreischten daraufhin laut auf.

Gerade noch waren die gewaltigen Tiere mit regelmäßigen Schlägen ihrer lederhäutigen Flügel dahingeflogen, aber nun war es mit dem ruhigen Gleitflug vorbei. Der Feuerstrahl zischte genau zwischen ihnen hindurch, und um ein Haar hätte der Strahl sie getroffen und zu Asche verbrannt.

Kein Wunder, dass die Flugungeheuer aufgeregt mit ihren Flügeln schlugen.

Eines der Riesengeschöpfe fiel vor Schreck ein ganzes Stück in die Tiefe. Wie ein Stein sauste es dem Erdboden entgegen, ehe es die Flügel wieder ausbreitete und der Sturzflug damit abgebremst wurde.

Ein weiteres Riesenfledertier stieg laut schreiend in die Höhe und versuchte mit besonders starken Flügelschlägen möglichst schnell emporzukommen.

Das dritte Monstrum flog einen Bogen nach Nord und ließ dabei ein so wütendes Knurren hören, dass jedem, der es vernahm, dabei Angst und Bange werden konnte.

„Thamandor!“, riefen Daron und Sarwen empört wie aus einem Mund. Die beiden Elbenkinder waren mit ihrem gezähmten Riesenfledertier Rarax den drei anderen Flugungeheuern vorausgeflogen. Zusammen mit Thamandor, dem magisch minderbegabten Waffenmeister und Erfinder der Elben, saßen sie auf Rarax' gewaltigem Rücken, und Thamandor hielt einen seiner beiden Flammenspeere in den Händen.

„Was sollte das denn?“, rief Sarwen ärgerlich. Auf der normalerweise sehr glatten Stirn des Elbenmädchens war eine tiefe Furche zu sehen, und ihr Gesicht wirkte so zornig wie schon seit sehr langer Zeit nicht mehr.

Ihr Zwillingsbruder Daron war inzwischen damit beschäftigt, Rarax mit der Kraft seiner Magie zu beruhigen. Na, komm schon, es ist alles in Ordnung!, sandte ihm der Elbenjunge einen sehr intensiven Gedanken. Er wollte unbedingt verhindern, dass Rarax ebenfalls in Panik davonstob. Was geschehen konnte, wenn so ein Riesenfledertier außer Kontrolle geriet, hatten die Elbenkinder schon erlebt. Damals hatte sie Rarax ins ferne Wilderland entführt und dort abgeworfen.

Aber das war lange her. Inzwischen hatten Daron und Sarwen das Monstrum längst viel besser unter ihrer magischen Kontrolle.

Waffenmeister Thamandor wirkte ziemlich erschrocken über das, was er angerichtet hatte. Er sah auf den Flammenspeer und runzelte die Stirn. Diese seine bislang größte Erfindung bestand aus einem messingfarbenen Rohr, an dessen Ende sich eine zylinderförmige Spitze befand. In der Mitte des Metallrohrs gab es eine kastenförmige Verdickung mit einer Reihe kleiner Hebel und kunstvollen Verzierungen. Dort füllte man auch das sogenannte Steingewürz ein, ein Pulver, das aus zerkleinerten Steinen des magischen Feuers bestand und ohne das Thamandors Flammenlanze nicht funktionierte.

„Ich muss aus Versehen an einen der Hebel gekommen sein!“, stieß er hervor, erschrocken über sich selbst.

„Gibt's da keine Sicherung?“, schimpfte Sarwen.

„Doch, natürlich …“, murmelte Thamandor, und dabei glitten seine feinen Elbenfinger über die zum Teil winzigen Hebel. Er selbst hatte all dies in langer, geduldiger Arbeit konstruiert und innerhalb von Jahrhunderten immer wieder verbessert.

Sarwen zuckte vor Schreck zusammen, als der Waffenmeister einen der Hebel berührte und umlegte und im gleichen Moment etwas Rotes aus der Trichter-Spitze der Flammenlanze kam.

„Thamandor!“, schrie sie, und ihr gleichzeitiger Gedanke war so stark und intensiv, dass sie beinahe ihren Bruder völlig durcheinander brachte. Die beiden Elbenkinder konnten gegenseitig ihre Gedanken auffangen, sofern sie sich nicht eigens dagegen abschirmten, so nahe standen sie sich.

Aber das rote Etwas, das diesmal aus der Spitze der Flammenlanze schnellte, war keineswegs eine Feuerzunge, sondern eine Blase.

Sie war erst dunkelrot wie bei den Fröschen an den Ufern des Flusses Nur, dann wurde sie hellrot, während sie sich weiter aufblähte, und schließlich platzte sie wie eine Seifenblase, wie man sie aus den Badehäusern der Menschenstädte kannte.

Die Elben benutzten, um sich sauber zu halten, normalerweise weder Wasser noch Seife, sondern taten dies auf magische Weise. Mit Zauberformeln schützten sie sich davor, dass sie überhaupt schmutzig wurden, und an der aus Elbenseide bestehenden Kleidung blieb Dreck ohnehin kaum haften.

Aber da die magischen Fähigkeiten der meisten Elben inzwischen immer schwächer geworden waren und bei manchen nicht einmal mehr ausreichten, die Formel eines Säuberungszaubers richtig wirken zu lassen, gab es inzwischen doch schon vereinzelnd Elben, die zu Wasser und Seife griffen.

„Was war das denn?“, fragte Sarwen, nachdem Daron das Riesenfledertier wieder einigermaßen unter Kontrolle gebracht hatte. „Habt Ihr Seife in das Innere der Waffe getan?“

„Nein, nein, da ist irgendetwas anderes nicht in Ordnung“, meinte Thamandor.

„Jedenfalls haben wir die anderen drei Riesenfledertiere nun wohl verloren“, sagte Daron resigniert und deutete mit ausgestrecktem Arm in die Ferne. „Dort fliegen sie!“

Die drei Flugmonster hatten sich wieder zusammengefunden und flogen gemeinsam davon, wobei sie schrille Kreischlaute ausstießen, die selbst auf diese Entfernung sehr unangenehm für empfindliche Elbenohren waren.

Sowohl Daron als auch Sarwen versuchten sich dagegen abzuschirmen. Thamandor verzog schmerzverzerrt das Gesicht, weil er sich gegen diesen schrillen Lärm nicht schnell genug schützen konnten. Seine Aufmerksamkeit war offenbar zu sehr auf die Hebel des Flammenspeers konzentriert gewesen.

„ Können wir sie nicht zurückholen, Daron?“, wandte sich Sarwen mit einem besonders intensiven Gedanken an ihren Bruder. Dessen Augen waren inzwischen vollkommen schwarz geworden, sodass nichts Weißes mehr darin zu sehen war. Das geschah immer dann, wenn er seine dunklen magischen Kräfte besonders stark sammelte. Und das war nötig, um Rarax daran zu hindern, ebenfalls völlig wie von Sinnen davonzuflattern.

„ Du kannst es ja mal versuchen“, antwortete er seiner Zwillingsschwester mit einem Gedanken.

Thamandor bekam von dieser stummen Unterhaltung nicht das Geringste mit. Er berührte erneut einen Hebel an der Flammenlanze. Dieser klemmte und bewegte sich erst, als Thamandor etwas mehr Kraft aufwandte. Jeder andere Elb hätte in dieser Lage vermutlich eine unterstützende magische Formel vor sich hingesprochen, um den Hebel wieder leichtgängig zu machen, aber bei Thamandor wirkte so etwas in der Regel nicht, dazu war er einfach magisch zu minderbegabt.

Sarwen rief die drei davonfliegenden Riesenfledertiere mit einem energischen Gedanken. Aber die drachengroßen Flugungeheuer stießen daraufhin nur meckernde Laute aus, die sich wie höhnisches Gelächter anhörten.

„ Sie sind nicht uns gefolgt, sondern Rarax!“, erinnerte Daron seine Schwester.

Sarwen atmete tief durch. Auch ihre Augen waren für einen Moment schwarz geworden, aber diese vollkommene Finsternis verlor sich nun. Innerhalb von wenigen Momenten kam das Weiße ihrer Augen wieder zum Vorschein. „Wir sollten unsere Kräfte vereinen und es zusammen versuchen“, schlug sie vor.

„ Wozu?“, antwortete ihr Daron. „Sie werden nicht auf uns hören, und wir sollten unsere Kräfte nicht verschwenden. Außerdem spüre ich da irgendetwas …“ Daron zögerte. Er hob den Kopf, und es sah für einen Moment fast so aus, als würde er in der Luft irgendeine Witterung aufnehmen. Das war natürlich nicht der Fall. Zwar waren alle Sinne bei Elben sehr empfindsam, und das galt auch für den Geruchssinn, aber es war etwas anderes, was der Elbenjunge wahrnahm.

Eine magische Kraft.

Er spürte sie nur ganz leicht, aber ihm war sofort klar, dass sie sehr stark sein musste.

Daron sah Sarwen an, und er wusste sofort, dass sie dasselbe gespürt hatte.

„ Was war das?“, fragte sie denn auch.

„ Es ist schon vorbei …“

„Sagt mal, wollt ihr euch die ganz Zeit über nur noch in Gedanke unterhalten, dass ich gar nichts mehr mitbekomme?“, beschwerte sich Thamandor.

Sarwen wandte den Kopf, um ihn anzusehen. Ihre spitzen Elbenohren stachen aus ihrem dunklen Haar hervor, das ihr bis weit über die Schulter fiel. Sie raffte ihr Kleid ein wenig, um bequemer sitzen zu können. „Wie wär's, wenn Ihr Euren Flammenspeer zu seinem Zwilling steckt und ihn festschnallt.“

„Dann wäre auch mir viel wohler“, gestand Daron.

„Glaubt ihr vielleicht, ich könnte mit meiner eigenen Waffe nicht umgehen?“, empörte sich Thamandor.

„Nein, nein, auf den Gedanken kämen wir nie!“, beteuerten beide wie aus einem Mund.

Dabei hatte Thamandor einst seine Werkstatt in der Stadt Elbenhaven räumen und auf einen Elbenturm genannten Felsen verlegen müssen, weil durch seine Erfindungen um ein Haar die ganze Hauptstadt des Elbenreichs abgebrannt wäre.

„Aber ich gebe zu, ein paar kleinere Sorgen machen wir uns schon“, schränkte Daron ein, und Sarwen fügte mit einem nur für ihren Bruder hörbaren Gedanken hinzu: „Etwas untertrieben, was du da sagst, oder nicht?"

„ Nein, so etwas nennt man Diplomatie", gab Daron seiner Zwillingsschwester die Gedankenantwort. „Schließlich ist keinem von uns gedient, wenn unser werter Waffenmeister beleidigt ist. Du weißt, wie bockig er dann werden kann!"

Thamandor machte einen regelrecht verzweifelten Eindruck.

Als er erneut einen Hebel an der Flammenlanze betätigte, schoss ein so greller Strahl aus der Waffe, dass alle drei Elben, die auf Rarax’ Rücken saßen, augenblicklich laut aufschrien, denn dieses besonders grelle Licht stach schmerzhaft in ihren Elbenaugen.

Es hätte nicht viel gefehlt, und der Waffenmeister hätte den Flammenspeer vor Schreck in die Tiefe fallen lassen.

„Was ist nur los?“, rief Daron. „Habt Ihr etwa verlernt, mit Euren eigenen Waffen umzugehen?“

„Nein, ich kann nichts dafür!“, beteuerte Thamandor. „Es muss an Jarandil und seinen Helfershelfern liegen! Wer weiß schon, was diese Schurken alles mit meinen beiden Flammenspeeren angestellt haben, nachdem sie ihnen in die Hände fielen!“

Die beiden Flammenspeere waren von den Dienern des Magiers Jarandil und des Knochenherrschers von Skara gestohlen worden. Daron und Thamandor hatten die Diebe daraufhin verfolgt und es tatsächlich geschafft, die mächtigsten Waffen der Elbenheit zurückzuholen. Bei dieser Gelegenheit waren ihnen auch die drei Riesenfledertiere zugeflogen, die sie jetzt wohl wieder verloren hatten, weil die Strahlenschüsse sie erschreckt und verscheucht hatten.

Die beiden Elbenkinder und der Waffenmeister waren auf dem Rückweg zu den südlichen Zentaurenstämmen. Die Zentauren bewohnten die großen Wälder zwischen dem Fluss Nur und dem Wilderland der Trorks und sahen aus wie Mischwesen aus Pferd und Mensch. Sie waren in großer Not gewesen, weil ein Teil des Waldreichs in Flammen gestanden hatte. Thamandors Flammenspeere waren die Rettung gewesen, denn er hatte das Feuer mit Feuer bekämpft, indem er mit den Strahlen seiner Flammenlanzen eine breite Schneise in den Wald gebrannt hatte. Da das Feuer an diesen Schneisen kein Brennmaterial mehr hatte finden können, hatte es sich nicht weiter ausbreiten können.

„Es muss etwas mit der Waffe geschehen sein!“, behauptete Thamandor noch einmal, während Daron das Riesenfledertier, auf dem die drei saßen, mit einem Gedanke dazu veranlasste, etwas langsamer zu fliegen und außerdem etwas tiefer zu sinken. Der Elbenjunge sah angestrengt zu Boden, so als suchte er etwas.

„Ich spüre es auch“, sagte Sarwen, an ihren Bruder gewandt.

„Da ist es wieder!“

„Eine magische Kraft, die nur ab und zu hervortritt und dann wieder zu verschwinden scheint“, bestätigte Sarwen.

„So als wollte sie sich verbergen“, meinte Daron.

Sarwen nickte. Die beiden Elbenkinder waren sich bei der Beurteilung der Lage vollkommen einig.

„Kann mir vielleicht mal jemand von euch sagen, wovon ihr eigentlich redet?“, rief Thamandor. „Ich habe hier echte Probleme, und ihr konzentriert euch auf irgendwelche magischen Einflüsterungen von unzufriedenen Naturgeistern. Die Frage, die uns beschäftigen sollte, ist die, warum ein Flammenspeer auf einmal von allein losgeht und mal einen viel zu grellen Feuerstrahl und ein anderes Mal eine seltsame Seifenblase hervorbringt.“

„Magie“, antwortete Sarwen. „Es muss Magie sein. Ich glaube, dass die Kraft, die Daron und ich spüren, etwas damit zu tun hat.“

„Ich könnte ja mal ausprobieren, ob auch bei der zweiten Lanze …“

„Untersteht Euch!“, fiel ihm Daron ins Wort. „Ihr rührt die zweite Lanze nicht an! Ich schlage vor, Ihr befestigt die andere stattdessen sicher an Rarax Gepäckgurten, damit wir in der nächsten Zeit wenigstens einigermaßen sicher sind.“

Die Riesenfledertiere, die ihnen zuvor gefolgt waren, hatten sich bereits ein ganzes Stück von ihnen entfernt. Daron und Sarwen sahen ihnen nach, und Rarax wandte ebenfalls den Kopf und schaute in Richtung seiner davonfliegenden Artgenossen. Ihre schrillen Rufe erreichten ihn immer noch, und so antwortete er ihnen.

„ Rarax scheint nicht glücklich darüber, dass die drei auf und davon sind!“ erklärte Sarwen mit einem Gedanken.

„ Mir wär's auch anders lieber“, antwortete Daron.

In diesem Moment riss Rarax sein mit scharfen Zähnen bewehrtes Maul auf und stieß einen so durchdringenden klagenden Ruf aus, wie ihn die beide Elbenkinder nicht einmal von ihm gehört hatten, als sie ihn schwer verletzt in den Bergen von Hoch-Elbiana aufgefunden hatten, um ihn dann gesund zu pflegen.

Bisher hatten die drei davonfliegenden Riesenfledertiere Rarax stets geantwortet, so als wollten sie ihm deutlich machen, dass er zu ihnen gehörte und mit ihnen ziehen sollte, vorausgesetzt, er konnte zuvor seine drei Reiter irgendwie loswerden, denn die hatten ja andere Pläne.

Doch dieses Mal antworteten die drei nicht auf seinen Ruf. Stattdessen setzten sie zu einer Art Sturzflug an. Ihre Flugbahnen führten steil in die Tiefe.

Thamandor, der inzwischen seine Lanze an Rarax' Bauchgurt befestigt hatte und dabei sehr, sehr vorsichtig zu Werke gegangen war, meinte dazu: „Nanu, die scheinen irgendetwas Interessantes entdeckt zu haben.“

Die drei Riesenfledertiere waren im nächsten Moment nicht mehr zu sehen. Offenbar hatten sie einen Landeplatz inmitten des dichten Waldes gefunden.

Doch nur Augenblicke später waren ihre kreischenden, angsterfüllten Schreie zu hören, die dann plötzlich verstummten.

„Was war das?“, frage Thamandor.

Rarax stieß erneut einen so jämmerlich klagenden Laut aus, als würde er ahnen, was geschehen war.

Kapitel 2:

Baumgesichter

„Das sollten wir uns mal ansehen“, meinte Daron.

„Da ist irgendetwas ganz Furchtbares geschehen!“, war Sarwen überzeugt. Sie schloss die Augen, und auf einmal verzerrte sich ihr Gesicht, als würde sie einen starken Schmerz empfinden. „Da ist etwas Schreckliches. Etwas sehr Mächtiges!“

Daron nicke. „Ich spüre es auch.“

„Vielleicht streunen noch mehr Diener des Knochenherrschers oder Jarandils durch diese Wälder“, vermutete Thamandor. „Diese widerlichen Gargoyles zum Beispiel, mit denen wir es zu tun hatten.“

„Auf jeden Fall sollten wir überprüfen, ob es nicht etwas ist, das sowohl den Zentauren als auch dem Elbenreich gefährlich werden könnte“, entschied Daron und lenkte sogleich den etwas widerstrebenden Rarax dorthin, wo die drei anderen Riesenfledertiere plötzlich verschwunden waren. „Es wird unsere Zentaurenfreunde bestimmt interessieren, was da in ihrem Wald vor sich geht.“

„Die Wälder des Waldreichs sind voller magischer Pflanzen“, erinnerte Sarwen. „Und Jarandil weiß das. Er hat vielleicht einige seiner Whanur-Echsenkrieger ausgeschickt und lässt sie irgendein Ritual vorbereiten.“

„ Nein, es fühlt sich anders an“, sandte Daron ihr wieder eine Gedankenbotschaft. „Anders als die Magie Jarandils oder die Zauberei des Knochenherrschers. Mit denen haben wir doch oft genug zu tun gehabt. Du müsstest den Unterschied eigentlich bemerken.“

„ Willst du behaupten, ich könnte meinen magischen Sinnen nicht mehr trauen?“, gab Sarwen beleidigt zurück. Auf die bildete sie sich nämlich einiges ein, und sie wollte deswegen auch einmal Schamanin werden.

„ Ich wundere mich eben nur“, versuchte Daron sie zu beschwichtigen.

„ Auch ich kann mich nur wundern!“, erwiderte Sarwen und hob bei diesem Gedanken trotzig das Kinn. „ Es könnte ja ebenso gut dein Sinn für Magie sein, der nicht mehr richtig funktioniert!“

„ Eingebildete Immer-recht-Behalterin!“

„ Sich durch seine eigene Magie Täuschenlassender!“

„ Herzlose Fledertier-Nichthelferin!“

„ Unvorsichtiger Alle-in-Gefahr-Bringer!“

„ Elbennervquälende Gedankenschimpferin!“

Dass sie sich gegenseitig mit selbst ausgedachten Schimpfwörtern bedachten und dabei einiges an Fantasie aufwandten, war nichts Ungewöhnliches bei den beiden Elbenkindern. Sie standen sich so nahe, dass auch ihre Streitereien auf eine ganz besondere Weise abliefen. Außer ihnen beiden bekam niemand etwas davon mit, und da sie ihre Beschimpfungen nicht auszusprechen brauchen, dauerte es manchmal nur Augenblicke, um Hunderte davon auszutauschen.

Aber ihnen wurde beiden recht bald klar, dass dies nicht der passende Moment dafür war. So schlossen sie einen gedanklichen Waffenstillstand.

Darons Augen wurden schwarz. Rarax stöhnte laut auf und scheute offensichtlich davor zurück, weiter auf jene Stelle zuzusteuern, an der die drei anderen Fledertiere verschwunden waren. Daron musste daher sehr viel mehr an magischer Kraft aufwenden, um Rarax in die richtige Richtung zu lenken, als dies sonst der Fall war.

Erneut beschwerte sich das Riesenfledertier, diesmal mit einem dumpfen Knurren. Es schien einzusehen, dass es sich Darons Gedankenkraft beugen musste, aber ganz offensichtlich gefiel ihm das nicht.

Der Elbenjunge ließ Rarax dicht über die Baumwipfel kreisen, um eine Stelle zu finden, an der er landen konnte, ohne dass sie dabei von den Ästen der umstehenden Bäume gepeitscht wurden.

„Im Prinzip ist nichts dagegen einzuwenden, dass wir uns dort unten nach den Riesenfledertieren umsehen“, sagte Thamandor. „Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass uns die beiden mächtigsten aller Waffen wohl zunächst nicht mehr zur Verfügung stehen. Zumindest so lange nicht, bevor wir nicht wissen, warum die Flammenspeere nicht mehr richtig funktionieren.“

Während er sprach, überprüfte Thamandor den Sitz der beiden Einhandarmbrüste, die er am Gürtel trug. Auch diese Waffen hatte er erfunden, und seitdem war eine ganze Garde von Elbenkriegern damit ausgerüstet. Darüber hinaus trug er noch ein gewaltiges Schwert über dem Rücken, dessen Klinge so breit und lang war, dass man kaum glauben konnte, dass er es ohne Zuhilfenahme irgendeines Zaubers handhaben konnte. Das Geheimnis war der leichte Stahl, aus dem das Schwert geschmiedet war und den Thamandor für eine seiner bedeutendsten Erfindungen hielt.

Aber leider fiel es Elben zumeist sehr schwer, alte Gewohnheiten abzulegen und sich umzustellen, und so gab es keinen einzigen Elbenkrieger, der ein Schwert aus diesem besonderen Stahl benutzte, obwohl das doch unbestreitbar seine Vorteile hatte, schließlich war so eine Waffe federleicht.

„Ich bin überzeugt, dass Ihr Euch gegen jede Gefahr zu wehren wisst, Meister Thamandor“, meinte Daron.

Auf einer Lichtung, die von einem Bach durchschnitten wurde, fielen Darons scharfen Elbenaugen Spuren am Boden auf. Das sehr hoch wuchernde Gras war in einer ganz bestimmten Weise niedergedrückt, die der Elbenjunge sofort erkannte.

„Sie waren hier!“, stellte er laut fest. „Rarax verursacht ebenfalls solche Spuren, wenn er in so hohem Gras landet!“

„Und wo sind sie geblieben?“, fragte Thamandor.

Rarax ließ einen erschreckten Laut hören, der beinahe klang wie das Winseln eines Hundes.

„ Auf jeden Fall sind sie noch hier“, stellte Sarwen fest. „Rarax spürt sie. Und ich auch.“

„ Na, da sind wir uns ja erfreulicherweise wieder einig“, sandte ihr Daron einen stummen Gedanken.

Obwohl es nicht zu übersehen war, wie sehr es Rarax widerstrebte, ließ Daron ihn auf der Lichtung landen.

„ Nicht einmal die Aussicht auf quellfrisches Wasser scheint unser Geschöpf der Finsternis im Moment erfreuen zu können!“, überlegte der Elbenjunge.

„ Dann lass uns sehr wachsam sein“, antwortete ihm Sarwen mit einem Gedanken.

Rarax ging im hohen Gras nieder und faltete die Flügel zusammen. Dann senkte er den Kopf und machte den Hals kurz, sodass man fast den Eindruck haben konnte, dass sich das drachengroße Wesen zu verstecken versuchte.

Daron stieg als Erster vom Rücken des Fledertiers. Er sah sich um, während seine linke Hand den Griff des Dolchs umfasste, den er an seinem Gürtel trug. Als Waffe taugte der nicht viel. Doch Daron war magisch hoch begabt und verfügte dadurch über ganz andere Möglichkeiten, sich notfalls zu verteidigen. Die Geste, mit der er den Dolch umklammerte, diente ihm vielmehr dazu, sich zu konzentrieren.

Seine Augen waren vollkommen schwarz geworden, ebenso wie die seiner Schwester.

„ Die sonderbare Kraft ist hier noch stärker“, stellte er mit einem Gedanken fest.

„ Falls wir mit magischen Mitteln angegriffen werden, vereinen wir unsere dunklen Kräfte“, schlug Sarwen vor.

„ Natürlich.“

Sarwen und Thamandor stiegen ebenfalls von Rarax’ Rücken, und der Waffenmeister zog eine der beiden Einhandarmbrüste. Die Bolzen, mit denen sie geladen wurden, enthielten ein besonderes Gift, das selbst die schlimmsten Angreifer abzuwehren vermochte.

Zu Hause in Elbenhaven, am Hof ihres Großvaters, des Elbenkönigs Keandir, hatte Daron oft den Geschichten gelauscht, die der Waffenmeister über die uralten Zeiten erzählte. Geschichten, in denen er zusammen mit dem Elbenkönig gegen die wilden Trorks aus dem Wilderland oder die geflügelten Affen auf der Insel Naranduin gekämpft hatte. Ob diese Geschichten in allen Einzelheiten der Wahrheit entsprachen, war für ihn immer schwer zu beurteilen gewesen. Allerdings war Daron aufgefallen, dass sein Großvater dieselben Erlebnisse immer etwas zurückhaltender und weniger dramatisch schilderte als der Waffenmeister.

Daron ging ein paar Schritte vor und ließ den Blick schweifen. Zugleich lauschte er.

„ Seltsam“, dachte er, und Sarwen fing seinen Gedanken auf und verstand sofort, was er meinte.

„ Alles ist vollkommen still“, stellte auch sie fest.

„ So als hielte der Wald den Atem an.“

Plötzlich rief Thamandor, den Arm ausgestreckt: „Seht, da sind sie! Alle drei Riesenfledertiere!“

Daron und Sarwen starrten zum Waldrand, wohin der Waffenmeister deutete, doch sie konnten nicht erkennen, was er ihnen zeigen wollte. „Da ist nichts“, behauptete das Elbenmädchen.

Thamandor schritt vor und schüttelte den Kopf. „Ja, habt ihr denn nicht die scharfen Elbenaugen eures Vaters und eures Großvaters geerbt?“

„Wohl eher die schwachen Menschenaugen unserer Mutter!“, murmelte Daron, denn er konnte die Riesenfledertiere, die Thamandor zu sehen vorgab, noch immer nicht ausmachen. „Seltsam, bisher habe ich nie einen Nachtteil dadurch erfahren, dass wir eine menschliche Mutter hatten.“

Eigentlich war sogar das Gegenteil der Fall, denn immerhin war die Kraft der Magie bei Daron und Sarwen viel stärker ausgeprägt als bei anderen Elben.

„Worauf wartet ihr?“, rief Thamandor und winkte ihnen zu. „Folgt mir!“

Die Elbenkinder wechselten einen irritierten Blick.

„ Ist er jetzt völlig verrückt geworden?“, fragte sich Sarwen.

„ Manche behaupten das schon seit ein paar Jahrhunderten von ihm!“

Thamandor blieb plötzlich stehen und lauschte, so als hätte er etwas gehört. Als er dabei den Kopf wandte, sah Daron, dass sich die Gesichtszüge des elbischen Waffenmeisters verändert hatten. Irgendetwas schien ihn zutiefst zu erschrecken.

Er hob die Einhandarmbrust, richtete sie auf die beiden Elbenkinder - und betätigte zu deren Entsetzen blitzschnell den Auslöser.

Mit lautem Klacken wurde die Armbrust abgeschossen!

Der Bolzen jagte dicht an Sarwens Kopf vorbei. Sie war so überrascht, dass sie sich nicht einmal mit Magie schützte, obwohl es normalerweise für die beiden Elbenkinder ein Leichtes gewesen wäre, so einen Angriff abzuwehren, indem sie das Geschoss einfach zur Seite abgelenkt hätten.

Auf einmal ertönte ein so durchdringendes Brüllen, dass die Zwillinge zusammenzuckten, bevor sie überrascht herumwirbelten.

Ein riesenhafter knorriger Baum ragte vor ihnen auf. Er war so dick, dass wahrscheinlich zehn erwachsene Elbenmänner mit langen Armen es nicht vermocht hätten, ihn zu umfassen. Die Rinde hatte tiefe Furchen. Knollenartige Verdickungen ragten daraus hervor, die aussahen wie die Formen von Gesichtern. Sie veränderten sich ständig. Manchmal traten sie wie Nasen oder ein Kinn hervor, dann wurden sie wieder kleiner oder stülpten sich ins Innere des Baums, sodass Öffnungen entstanden, die wie Münder aussahen.

Die Wurzeln die Baums steckten nicht in der Erde. Stattdessen zeigten sich an ihren Enden Füße, die Ähnlichkeit mit den Plattfüßen von Enten oder Gänsen hatten. Jeder dieser Füße war so groß wie der Schild eines Elbenkriegers.

Die Äste bewegten sich wie lange Krakenarme, und sowohl Daron als auch Sarwen stellten erschrocken fest, dass sich einige von ihnen anschickten, sich um ihre Fußknöchel zu schlingen. Sofort sprangen sie zurück.

Weitere Äste peitschten durch die Luft und hätten die beiden Elbenkinder mit Sicherheit einen Augenblick später getroffen, hätte Thamandor nicht seine Armbrust eingesetzt.

Der Bolzen hatte das Baummonster getroffen, und mit einem lauten Zischen löste sich der Baum auf, zerbröselte wie morsches Holz unter einer zupackenden Pranke. Die peitschenden Äste, die Daron und Sarwen nur einen Augenaufschlag später erreicht hätten, rieselten als modriger Staub zu Boden.

Trotzdem zeigte sich der lebende Baum noch immer als Schatten, der vor ihnen in der Luft stand. Dieser Schatten wich jedoch vor den Elbenkindern zurück. Zugleich war ein Wutschrei zu hören, so laut und schrill, dass er den Elben in den empfindlichen Ohren schmerzte.

Der Baumschatten fuchtelte mit seinen Schattenästen umher. Er holte aus, und einer dieser Äste verwandelte sich für einen Moment wieder in biegsames Holz. Der Hieb wischte dicht über Rarax’ Rücken hinweg, der am Boden kauerte und sich so klein wie möglich machte.

Daron hatte sich inzwischen aus seiner Erstarrung gelöst. Er murmelte eine magische Formel, um seine Kräfte besser sammeln zu können, und Sarwen tat es ihm gleich.

„ Warum wirkt unsere dunkle Kraft so schlecht?“, vernahm Daron den verzweifelten Gedanken seiner Schwester. Auch er selbst hatte bereits festgestellt, dass ihnen nicht dieselben magischen Möglichkeiten zur Verfügung standen wie sonst. So sehr er die Kraft der Magie auch zu konzentrieren versuchte, da war etwas, das sie ihm entzog, sie in sich aufsaugte.

Der Schrei des Baumschattens wurde zu einem höhnischen Gelächter.

Die Antwort auf Darons Frage lag nahe: Dieses geisterhafte Wesen war es, das den beiden Elbenkindern ihre magischen Kräfte nahm. Zur Hälfte bestand es bereits wieder aus Holz. An manchen Stellen bröckelte es abermals auseinander, erstand dann aber sogleich erneut. Andere Teile bestanden weiterhin nur aus dunklem Schatten, durch die man den Waldrand sehen konnte, andere Stellen wiederum waren so pechschwarz, dass sie jedes Licht zu verschlucken schienen.

Das Wesen bewegte sich plötzlich mit einer überraschenden Schnelligkeit. Die plump wirkenden Füße trugen es mit großen Schritten voran.

Rarax presste sich an den Boden und schien aus irgendeinem Grund nicht fähig, die Flucht zu ergreifen. Der riesige Baumschatten warf sich auf ihn, umklammerte das Riesenfledertier mit seinen Ästen, und sein höhnisches Lachen wurde lauter und triumphierend.

Rarax wimmerte nur, während ihn der Baumschatten mit seinen Schattenarmen umschlungen hielt und sich nun wieder vollständig in biegsame Äste zurückverwandelten. Innerhalb weniger Augenblick bestand er erneut ganz und gar aus Holz.

Daron und Sarwen hatten die Arme gehoben und richteten die Hände auf das unheimliche Baumwesen, um ihre dunkle Kraft wirken zu lassen, aber kein Strahl magischen Lichts schoss aus ihren Fingern.

„ Ja, macht mich nur stärker, ihr Narren!“, empfingen sie einen sehr starken Gedanken, der offenbar von dem Baumwesen kam.

Thamandor zog die zweite Einhandarmbrust und schoss einen weiteren Bolzen ab. Er traf genau, und mit einem ärgerlichen Schrei ließ das schreckliche Wesen von Rarax ab und löste sich abermals auf. Morsches, vermodertes Holz rieselte über den reglos am Boden liegenden Rarax, der seltsam starr wirkte.

Das Wesen – nun wieder ein Schatten - wich bis zum Waldrand zurück und sandte dabei einen Schwall von üblen Gedanken aus. Viele davon waren so fremdartig, dass weder Daron noch Sarwen sie auch nur ansatzweise verstanden. Sie spürten nur, dass diese Botschaften voller Hass waren.

„Fort mit dir, du verfluchter Baumgeist!“, rief Thamandor. Mit geübten Fingern hatte er bereits eine der beiden Einhandarmbrüste nachgeladen. „Wir können das laufend wiederholen, wenn dir danach ist!“

Das Wesen stieß noch einen dumpfen gurgelnden Ruf aus, der wie eine düstere Verwünschung klang. Dann verschwand es im Wald.

Noch eine ganze Weile waren die stampfenden Schritte seiner Wurzelplattfüße auf dem weichen Waldboden zu hören und ließen ihn zittern. Es war, als würde das Wesen besonders heftig aufstampfen, um noch einmal seine unvorstellbare Wut zum Ausdruck zu bringen.

Thamandor steckte seine Einhandarmbrüste zurück an den Gürtel. „Das hätten wir erst mal geschafft“, sagte er. „Also ehrlich, es war keine gute Idee, hier zu landen!“

„Wie es scheint, sind wir noch immer unerwünscht!“, stellte Daron fest und deutete zur anderen Seite der Lichtung.