Magisterium - Das 2. Jahr - Cassandra Clare - E-Book
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Magisterium - Das 2. Jahr E-Book

Cassandra Clare

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Beschreibung

Band 2 der Magisterium-Reihe, die in die unterirdische Schule für Magie entführt


Die Abenteuer am Magisterium, der unterirdischen Schule für Magie, gehen weiter. Am Ende des ersten Schuljahrs haben Callum und seine Freunde die erste Pforte durchschritten. Nun kann ihnen niemand mehr ihre Zauberkräfte nehmen. Doch auch im zweiten Schuljahr müssen sich die Schüler gefährlichen Aufgaben stellen, die alles bisher in den Schatten stellen. Dabei liegt das größte Abenteuer für Call außerhalb der Schulmauern. Schon seit Längerem fragt er sich, ob sein Vater ihm immer die Wahrheit über seine Vergangenheit erzählt. Höchste Zeit, dass er endlich herauszufindet, wem er trauen kann ...


  • Perfektes Lesefutter für alle, die Fantasy-Geschichten lieben
  • Tolles Geschenk für Harry-Potter-Fans
  • Spannung und Humor ergeben gute Mischung - eignet sich bestens zum Schmökern

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 348

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

CoverTitelseiteImpressumWidmungErstes KapitelZweites KapitelDrittes KapitelViertes KapitelFünftes KapitelSechstes KapitelSiebtes KapitelAchtes KapitelNeuntes KapitelZehntes KapitelElftes KapitelZwölftes KapitelDreizehntes KapitelVierzehntes KapitelFünfzehntes KapitelSechzehntes Kapitel

Holly Black & Cassandra Clare

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Anne Brauner

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Dieser Titel ist auch als Hörbuch erschienen

 

Titel der englischsprachigen Originalausgabe:

»Magisterium – The Copper Gauntlet«

 

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2015 by Holly Black and Cassandra Clare LLG

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2015/2025 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln

 

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

 

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de

unter Verwendung einer Illustration von Viktoria Gavrilenko

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7517-8292-0

luebbe.de

baumhausbande.com

lesejury.de

Für Ursula Annabel Link Grant

Zu fünfzig Prozent fünf Jahre alt, zu fünfzig Prozent Feuer

ERSTES KAPITEL

Call pickte ein kleines Stück öliger Peperoni von seinem Pizzastück und steckte die Hand unter den Tisch. Sofort schnellte Mordos flinke Zunge hervor, und der chaosbesessene Wolf verschlang das Fressen mit einem Happs.

»Du sollst ihm nichts geben«, sagte sein Vater barsch. »Das Ding beißt dir demnächst sauber die Hand ab.«

Call tätschelte Mordos Kopf und zog es vor, nicht auf die Bemerkung zu reagieren. Er konnte es Alastair in letzter Zeit einfach nicht recht machen. Sein Vater wollte nichts über die Zeit im Magisterium hören, wahrscheinlich, weil er es immer noch nicht verkraftet hatte, dass Call von Alastairs früherem Lehrer Rufus zum Lehrling gewählt worden war. Und seit Call mit einem chaosbesessenen Wolf nach Hause gekommen war, war es endgültig vorbei.

Call war sein Leben lang mit seinem Vater allein gewesen, der ihm ständig schlimme Geschichten über seine ehemalige Schule erzählt hatte – die Schule, die nun auch Call besuchte, obwohl er alles dafür getan hatte, die Aufnahmeprüfung nicht zu bestehen. Als Call nach dem ersten Schuljahr vom Magisterium nach Hause gefahren war, hatte er damit gerechnet, dass sein Vater sauer auf ihn war. Doch er hatte sich nicht vorstellen können, wie sich diese permanente Wut anfühlen würde. Früher waren sie so gut klargekommen und jetzt war alles … schrecklich anstrengend.

Call hoffte, dass es nur am Magisterium lag. Andernfalls müsste er davon ausgehen, dass Alastair wusste, wie böse Call insgeheim war.

Böse zu sein und das auch noch vor allen geheim zu halten machte Call ebenfalls fertig. Im Stillen führte er eine Liste – jede Andeutung, er könnte tatsächlich böse, ein Kriegstreiber sein, wurde in einer Spalte vermerkt, und jeder Gegenbeweis in einer anderen. Er hatte sich angewöhnt, sich jedes Mal, wenn eine Entscheidung anstand, an der Liste zu orientieren. Würde ein Kriegstreiber, jemand, der durch und durch böse war, den letzten Schluck Kaffee aus der Kanne trinken? Welches Buch würde so jemand aus der Bibliothek ausleihen? War es ausnahmslos eine Tat des Kriegstreibers, wenn Call sich von Kopf bis Fuß schwarz kleidete, oder war es an den Tagen erlaubt, an dem der Rest seiner Klamotten in der Wäsche war? Zu allem Überfluss glaubte er, sein Vater würde das gleiche Spiel spielen und jedes Mal, wenn er nur in Calls Richtung blickte, die Punkte zusammenrechnen und überprüfen.

Doch Alastair konnte nur Vermutungen anstellen. Sicher konnte er nicht sein, denn einiges wusste nur Call.

Call musste ständig daran denken, was Master Joseph ihm erklärt hatte: Er, Callum Hunt, hätte die Seele des Feindes des Todes übernommen. Ja, er wäre nun der Feind des Todes und somit für Das Böse bestimmt. Sogar in der gemütlichen gelb gestrichenen Küche, in der er mit seinem Vater unzählige Mahlzeiten eingenommen hatte, klingelte es ihm in den Ohren, wenn er an die Worte von Master Joseph dachte.

Callum Hunts Seele ist tot. Nachdem sie aus deinem Körper vertrieben wurde, ist diese Seele verkümmert und gestorben. Constantine Maddens Seele hat Wurzeln geschlagen und ist gewachsen, neu geboren und gesund. Seitdem haben seine Anhänger allen vorgespielt, er wäre noch am Leben, damit du in Sicherheit bist.

»Call?«, fragte sein Vater mit einem sonderbaren Seitenblick.

Sieh mich nicht so an, hätte Call am liebsten gesagt. Gleichzeitig hätte er sich gern erkundigt: Was siehst du, wenn du mich anschaust?

Vater und Sohn teilten sich Calls Lieblingspizza mit Peperoni und Ananas und hätten sich normalerweise über Calls letzten Streich in der Stadt oder irgendein Reparaturprojekt von Alastair unterhalten, das in der Garage Gestalt annahm. Doch Alastair schwieg, und Call fiel nichts ein. Er vermisste seine Freunde Aaron und Tamara, doch darüber konnte er mit seinem Vater nicht reden, weil sie Teil der magischen Welt waren, die Alastair nicht ausstehen konnte.

Call stand auf. »Darf ich mit Mordo raus?«

Alastair sah stirnrunzelnd auf den Wolf herab, einen ehemals niedlichen Welpen, der mittlerweile zu einem langgliedrigen Ungeheuer jugendlichen Alters herangewachsen war, das unter dem Tisch viel Raum einnahm. Der Wolf sah Calls Vater mit seinen chaosbesessenen Augen an. Die Zunge hing ihm aus dem Mund, und er winselte leise.

»Bitte«, sagte Alastair mit einem leidgeprüften Lächeln. »Aber nicht lange. Und bleib für dich. Die Nachbarn machen nur dann keinen Ärger, wenn wir bestimmen, unter welchen Umständen sie Mordo zu sehen bekommen.«

Als Mordo aufsprang und zur Tür lief, kratzten seine Krallen über das Linoleum. Call grinste. Er wusste, dass die Tatsache, dass ein chaosbesessenes Tier ihn verehrte, ihm viele Punkte auf dem Konto des Kriegstreibers einbrachte, doch er bereute es keineswegs, ihn bei sich zu haben.

Selbstverständlich war das wahrscheinlich genau das Problem, wenn man zu den Bösen gehörte. Man bereute nichts.

Call drängte den Gedanken beiseite, als er nach draußen ging. Es war ein heller warmer Sommertag und jetzt kurz nach dem Mittagessen schien die Sonne auf das dichte grüne Gras; Alastair mähte es nur selten, weil er sich die Nachbarn lieber vom Leib hielt, als sich Tipps zum Rasenmähen anzuhören. Call machte sich einen Spaß daraus, Mordo einen Stock zuzuwerfen, den der Wolf ihm mit wedelndem Schwanz und glänzenden Augen zurückbrachte. Wenn er es gekonnt hätte, wäre Call gern neben Mordo hergelaufen, doch mit seinem schwachen Bein konnte er sich nur langsam bewegen. Er hatte das Gefühl, dass Mordo das verstand und deshalb nie richtig weit fortlief.

Nach dem Stöckchenwerfen überquerten sie die Straße. Im angrenzenden Park verschwand Mordo im Gebüsch, und Call suchte in seinen Taschen nach einer Plastiktüte. Da Bösewichte sicher nicht hinter ihren Hunden aufräumten, brachte jedes Gassigehen Punkte in der guten Spalte.

»Call?«

Überrascht drehte er sich um und staunte noch mehr, als er sah, wer ihn angesprochen hatte. Kylie Myles hatte ihre blonden Haare mit zwei Einhornspangen nach hinten frisiert und hielt eine pinkfarbene Leine in der Hand. Am anderen Ende befand sich eine Art kleine weiße Perücke, die offenbar ein Hund sein sollte.

»Du-äh«, sagte Call. »Du weißt, wie ich heiße?«

»Irgendwie haben wir uns lange nicht gesehen«, antwortete Kylie und beachtete seine Verwirrung nicht weiter. Sie senkte die Stimme. »Hast du es geschafft? An der Ballettschule?«

Call zögerte. Kylie hatte ebenfalls an der Eisernen Prüfung teilgenommen, doch er hatte bestanden, während sie durchgefallen war. Die Magier hatten sie in einen anderen Raum geführt, und seitdem hatten sie sich nicht mehr gesehen. Kylie sah ihn fragend an, und er hätte zu gerne gewusst, wie sie sich an die Prüfungen erinnerte. Ihr Gedächtnis war sicherlich manipuliert worden, ehe man sie wieder auf ihre normale Umwelt losgelassen hatte.

Einen unberechenbaren Augenblick lang war er kurz davor, ihr alles zu verraten. Zum Beispiel, dass sie sich an einer Magierschule beworben hatten, nicht beim Ballett, und dass Master Rufus ihn erwählt hatte, obwohl er viel schlechter abgeschnitten hatte als sie. Würde sie ihm glauben, wenn er die Schule beschrieb und wie es sich anfühlte, Feuer in den Händen anzufachen oder in den Himmel zu fliegen? Call hätte Kylie gern erzählt, dass Aaron sein bester Freund und noch dazu ein Makar war, was ein echt dickes Ding war, weil er deshalb als einer von wenigen lebenden Magiern Chaosmagie beherrschte.

»Die Schule ist schon okay.« Er zuckte die Achseln, weil ihm nichts anderes einfiel.

»Ich hätte nicht gedacht, dass sie dich nehmen«, sagte Kylie mit einem Blick auf sein Bein. Ein peinliches Schweigen folgte.

In Call stieg Wut auf und er erinnerte sich genau an das Gefühl an seiner früheren Schule, wo ihm auch niemand sportliche Erfolge zugetraut hatte. Seit er denken konnte, war sein linkes Bein kürzer und kraftloser als das andere. Gehen und Laufen taten weh, dagegen hatten auch die zahllosen Operationen, die er durchlitten hatte, nicht geholfen. Sein Vater hatte stets behauptet, er sei so auf die Welt gekommen, doch Master Joseph hatte ihm eine andere Geschichte erzählt.

»Die Kraft muss aus dem Oberkörper kommen«, konterte Call nun überheblich, ohne genau zu wissen, was das heißen sollte.

Doch Kylie nickte beeindruckt. »Und wie ist es da so? In der Ballettschule?«

»Total hart«, antwortete er. »Alle tanzen bis zum Umfallen. Es gibt nur Smoothies aus rohen Eiern mit Weizenproteinen. Freitags müssen wir alle etwas vorführen, und wer dann noch steht, bekommt einen Schokoriegel. Außerdem müssen wir uns permanent Tanzfilme reinziehen.«

Seine ehemalige Mitschülerin wollte gerade etwas erwidern, als Mordo aus dem Gebüsch stürmte. Er hatte einen Stock zwischen den Zähnen und seine aufgerissenen Augen strudelten in allen Schattierungen von Orange, Gelb und Höllenrot. Kylie fielen fast die Augen aus dem Kopf, und Call kapierte, wie riesig Mordo in ihren Augen aussehen musste und wie offensichtlich es war, dass er kein Hund oder ein normales Haustier war.

Kylie schrie. Bevor Call etwas Beschwichtigendes sagen konnte, schoss sie so schnell aus dem Park auf die Straße, dass ihr kleiner Wischmopp von Hund kaum hinterherkam.

So viel zum netten Austausch mit den Nachbarn.

Als Call nach Hause ging, rechnete er aus, dass die guten Punkte, die er dafür gesammelt hatte, dass er hinter Mordo saubergemacht hatte, alle wieder draufgegangen waren, weil er Kylie angelogen und verschreckt hatte.

Die Spalte des Kriegstreibers trug den Tagessieg davon.

»Alles in Ordnung?«, fragte sein Vater, als er sah, mit welchem Gesichtsausdruck Call die Haustür hinter sich schloss.

»Ja, klar«, antwortete Call niedergeschlagen.

»Gut.« Alastair räusperte sich. »Ich dachte, wir könnten heute Abend mal rausgehen«, sagte er. »Ins Kino zum Beispiel.«

Das war etwas ganz Neues. Seit er nach Hause gekommen war, um dort die Sommerferien zu verbringen, hatten sie nicht viel unternommen. Alastair, der täglich mehr in seiner düsteren Stimmung zu versinken schien, trottete zwischen dem Fernsehzimmer und der Garage hin und her, in der er alte Autos reparierte und auf Hochglanz brachte, um sie dann an Sammler zu verkaufen. Hin und wieder nahm Call sein Skateboard und fuhr damit halbherzig durch die Stadt, doch im Vergleich mit dem Magisterium machte das alles keinen Spaß.

Allmählich vermisste er sogar die Flechten.

»In welchen Film?«, fragte Call mit dem Hintergedanken, dass ein Bösewicht sich nicht darum kümmern würde, welchen Film seine Mitmenschen sehen wollten. Das zählte bestimmt.

»Ein neuer mit Raumschiffen, ist gerade angelaufen.« Dieser Vorschlag erstaunte Call erst recht. »Vielleicht können wir dein Ungeheuer auf dem Weg zum Kino im Tierheim abgeben. Oder gegen einen hübschen Pudel tauschen. Meinetwegen auch einen Pitbull, Hauptsache, das Vieh hat keine Tollwut.«

Mordo sah mit unheilvollem Blick zu Alastair hoch, die Farben in seinen Wandelaugen kreisten wie wild.

»Er ist nicht tollwütig«, sagte Call und kraulte Mordo im Nacken. Der Wolf rutschte weiter runter und wälzte sich mit hängender Zunge auf dem Rücken, damit Call ihm den Bauch kraulen konnte. »Können wir ihn nicht mitnehmen? Er kann doch im Auto warten, wenn wir die Fenster halb auflassen?«

Alastair schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. »Kommt nicht infrage. Du kannst es in der Garage anbinden.«

»Er ist kein Es. Und ich wette mit dir, dass er Popcorn mag«, sagte Call. »Und Gummiwürmer.«

Alastair sah auf die Uhr und zeigte zur Garage. »Meinetwegen kann es die Reste fressen.«

»Er!« Seufzend führte Call Mordo in Alastairs Werkstatt in der Garage. Der weitläufige Raum war größer als alle anderen im Haus und roch nach Öl, Benzin und altem Holz. Das Chassis eines Citroën war aufgebockt, die Räder und Sitze abmontiert beziehungsweise ausgebaut. Vergilbte Bedienungsanleitungen lagerten stapelweise auf antiken Stühlen, während Scheinwerfer von den Dachbalken baumelten. Über einer Ansammlung von Schraubenschlüsseln hing ein zusammengerolltes Seil, das Call Mordo in einem lockeren Knoten um den Hals legte.

Er ging vor dem Wolf in die Hocke. »Bald sind wir wieder in der Schule«, sagte er leise. »Bei Tamara und Aaron. Dann ist alles wieder ganz normal.«

Das Tier jaulte, als hätte es alles verstanden. Und als würde es das Magisterium ebenso vermissen wie Call.

Allen Raumschiffen, Aliens und Explosionen zum Trotz konnte Call sich kaum auf den Film konzentrieren. Er musste daran denken, wie im Magisterium Filme gesehen wurden, die ein Luftmagier an die Höhlenwand projizierte. Denn dort nahmen die Magier Einfluss auf die Filme, und es konnte jederzeit alles Mögliche passieren. Call hatte Krieg der Sterne mit sechs verschiedenen Enden gesehen; in anderen Filmen wurden die Schüler auf die Leinwand projiziert, wo sie gegen Ungeheuer und fliegende Autos kämpfen und zum Superhelden werden konnten.

Im Vergleich dazu wirkte dieser Film eher lahm. Call überlegte sich, was er anders machen würde, während er drei Apfel-Slushies und zwei große Portionen Popcorn vertilgte. Alastair starrte eher angewidert auf die Leinwand und drehte sich nicht einmal um, als Call ihm Erdnüsse anbot. Da Call alle Süßigkeiten allein essen musste, war er von dem ganzen Zucker total überdreht, als sie wieder am Auto waren.

»Hat’s dir gefallen?«, fragte Alastair.

»War doch ganz nett«, antwortete Call, der Alastair nicht das Gefühl vermitteln wollte, er würde nicht wertschätzen, dass sein Vater sich in einen Film geschleppt hatte, den er eigentlich im Leben nicht sehen wollte. »Toll war, wie die Raumschiffstation in die Luft geflogen ist.«

Alastair überbrückte die darauffolgende Stille, bevor es unangenehm werden konnte. »Du weißt, dass niemand dich zwingen kann, ins Magisterium zurückzukehren. Das Basiswissen hast du dir schon angeeignet. Du könntest auch hier weiterüben, mit mir.«

Call war genervt. Das hatten sie in verschiedenen Varianten schon hundert Mal durchgesprochen, ohne zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. »Ich glaube, ich sollte weiter hingehen«, sagte Call möglichst neutral. »Ich bin durch die Erste Pforte gegangen. Deshalb würde ich es auch gern zu Ende bringen.«

Alastairs Miene verfinsterte sich. »Kinder sollten nicht unter der Erde leben, wie Würmer im Dunkeln. Deine Haut wird grau und blass, dein Vitamin-D-Haushalt leidet und dein Körper verliert an Lebenskraft …«

»Ich sehe grau aus?« Call achtete nicht so sehr darauf, wie er aussah. Ihm war nur wichtig, dass er seine Hosen nicht auf links trug und seine Haare nicht in alle Richtungen abstanden – doch grau wollte er gewiss nicht aussehen. Misstrauisch betrachtete er seine Hand, aber sie sah so rosig aus wie immer.

Frustriert umklammerte Alastair das Lenkrad, als er auf die Straße abbog. »Was findest du an dieser Schule nur so toll?«

»Und was ist mit dir?«, fragte Call zurück. »Du warst doch auch da, und ich weiß, dass du nicht jede einzelne Minute verzweifelt bist. Du hast Mom kennengelernt …«

»Stimmt«, sagte Alastair. »Ich hatte Freunde dort. Das hat mir an der Schule gefallen.« Wenn Call sich recht erinnerte, war es das erste Mal, dass er etwas Gutes über die Magierschule sagte.

»Ich habe auch Freunde da«, sagte Call. »Hier nicht, da schon.«

»All die Freunde, mit denen ich zur Schule gegangen bin, sind tot, Call«, sagte Alastair. Call standen die Nackenhaare zu Berge. Er dachte an Aaron, Tamara und Celia – und verwarf die Vorstellung sofort wieder. Es war einfach zu schrecklich.

Nicht nur die Idee, dass sie sterben könnten.

Sondern, dass sie seinetwegen sterben könnten.

Weil er ein Geheimnis hatte.

Wegen des Bösen in seinem Inneren.

Hör auf, befahl er sich selbst. Sie waren wieder zu Hause, doch irgendwas sah nicht so aus wie immer. Nach einer Minute begriff Call, was so sonderbar war. Er hatte die Garagentür zugemacht, da Mordo darin angebunden war, doch jetzt stand sie auf – ein großes schwarzes Viereck.

»Mordo!« Call fummelte am Türgriff und fiel fast aus dem Wagen. Sein schwaches Bein schleppte er nach. Er hörte seinen Vater rufen, aber das war ihm ganz egal.

Halb humpelte er, halb rannte er in die Garage. Das Seil war noch da, doch an einem Ende ausgefranst, wie von einem Messer zerschnitten – oder von scharfen Wolfszähnen durchgebissen. Call stellte sich vor, wie allein Mordo sich in der dunklen Garage gefühlt, wie er gebellt und auf eine Reaktion von Call gewartet hatte. Ihm wurde ganz kalt ums Herz. Er hatte Mordo bei Alastair nur selten angebunden, wahrscheinlich war der Wolf ausgerastet. Vielleicht hatte er das Seil durchgekaut und sich gegen das Garagentor geworfen, bis es aufgegangen war.

»Mordo!« Call schrie jetzt, so laut er konnte. »Mordo, wir sind wieder da! Du kannst herkommen!«

Er wirbelte herum, doch der Wolf kam nicht aus dem Gebüsch oder aus den Schatten, die zwischen den Bäumen dunkler wurden.

Es wurde langsam spät.

Hinter Call erschien sein Vater, sah sich das zerfledderte Seil und das offene Garagentor an und seufzte. Dann strich er sich durch die schwarzgrauen Haare. »Call«, sagte er freundlich. »Call, es ist weg. Dein Wolf ist weggelaufen.«

»Das weißt du doch gar nicht!«, rief Call und drehte sich zu Alastair um.

»Call …«

»Du konntest Mordo von Anfang an nicht leiden!«, fauchte Call. »Wahrscheinlich bist du froh, dass er weg ist.«

Alastairs Züge verhärteten sich. »Ich finde es nicht schön, dass du traurig bist, Call. Andererseits ist der Wolf nun wirklich kein Haustier. Er hätte jemanden töten oder verletzen können. Einen deiner Freunde, oder, Gott behüte, dich, Call. Ich kann nur hoffen, dass er in den Wald gelaufen ist und sich nicht in der Stadt an unseren Nachbarn gütlich tut.«

»Ach, halt doch den Mund!«, sagte Call, obwohl die Vorstellung, dass Mordo jemanden auffraß, etwas Tröstliches hatte. Vielleicht konnte Call ihn in dem damit verbundenen Aufruhr finden. Doch dann verbot er sich den Gedanken und verbannte ihn in die Tabellenspalte des Kriegstreibers.

Derlei Gedanken waren wenig hilfreich. Er musste Mordo finden, bevor etwas passierte. »Mordo hat niemandem etwas getan, noch nie«, sagte er stattdessen.

»Es tut mir leid, Call«, sagte Alastair. Zu Calls Überraschung schien er es ernst zu meinen. »Ich weiß, wie lange du dir ein Haustier gewünscht hast. Vielleicht hätte ich dir doch erlauben sollen, den Nacktmull zu behalten.« Er seufzte erneut, und Call überlegte, ob sein Vater ihm kein Haustier geschenkt hatte, weil Kriegstreiber keine haben durften. Wer durch und durch böse war, konnte keine Liebe empfinden, schon gar nicht für unschuldige Wesen wie Tiere, wie Mordo.

Call stellte sich wieder vor, wie verschreckt Mordo sein musste – seit Call ihn als Welpen gefunden hatte, war er nie mehr allein gewesen.

»Bitte«, flehte Call. »Hilf mir ihn zu finden.«

Alastair nickte knapp, ein kurzes Kinnrucken. »Steig ein. Wir fahren ganz langsam um den Block und rufen aus dem Auto nach ihm. Vielleicht ist er noch nicht weit gekommen.«

»Okay«, sagte Call. Als er sich noch einmal umschaute, hatte er das Gefühl, etwas in der Garage zu übersehen, als könnte er seinen Wolf entdecken, wenn er sich nur genug Mühe gab.

Doch sie konnten noch so oft um den Block fahren und rufen, bis sie heiser waren, Mordo kam nicht zum Vorschein. Es wurde immer dunkler, und sie fuhren nach Hause. Alastair kochte Spaghetti zum Abendessen, aber Call war nicht nach Essen zumute. Er rang Alastair das Versprechen ab, am nächsten Tag mit ihm Zettel mit der Aufschrift HUND VERMISST aufzuhängen, obwohl Alastair glaubte, ein Bild von Mordo würde eher schaden als nützen.

»Chaosbesessene Tiere sind als Haustiere einfach ungeeignet, Callum«, sagte Alastair, nachdem er Calls vollen Teller abgeräumt hatte. »Menschen bedeuten ihnen nichts. Sie können nichts für sie empfinden.«

Dazu sagte Call nichts, doch er ging mit einem Kloß im Hals und schlimmen Vorahnungen ins Bett.

Gellendes Jaulen riss Call aus seinem unruhigen Schlaf. Dann war es wieder still. Noch während er sich aufsetzte, packte er Miri, das Messer, das immer auf seinem Nachttisch lag. Als er die Beine aus dem Bett schwang, zuckte er zusammen, so kalt war der Boden.

»Mordo?«, flüsterte er.

Er hörte noch ein Jaulen, weit weg. Ein Blick durchs Fenster zeigte nur die Schatten der Bäume in der Dunkelheit.

Call schlich in den Flur. Die Tür zum Zimmer seines Vaters war geschlossen, und der Spalt über dem Boden dunkel. Doch das hieß nicht, dass er schlief. Call wusste, dass Alastair manchmal die ganze Nacht unten in seiner Werkstatt blieb und durcharbeitete.

»Mordo?«, flüsterte er noch einmal.

Call hörte nichts, doch er bekam eine Gänsehaut an den Armen. Er spürte, dass sein Wolf in der Nähe war und dass er Angst hatte. Call schlich weiter in Richtung dieses Gefühls, obwohl er es nicht erklären konnte. Als es ihn zur Kellertreppe führte, musste er schlucken. Er packte Miri fester und ging nach unten.

Das Untergeschoss mit seinen reparaturbedürftigen alten Autoteilen, kaputten Möbeln und Puppenstuben sowie antikem Blechspielzeug, das manchmal ratternd zum Leben erwachte, war ihm immer schon unheimlich gewesen.

Unter der Tür eines weiteren Lagerraums, in dem Alastair noch mehr kaputtes Zeug lagerte, das er später reparieren wollte, schien gelbes Licht hindurch. Call nahm seinen Mut zusammen und drückte die Klinke herunter.

Die Tür ging nicht auf, sein Vater hatte sie abgeschlossen.

Calls Herz schlug schneller.

Es gab keinen guten Grund, alte, halb reparierte Sachen einzuschließen. Keinen Grund der Welt.

»Dad?«, rief Call durch die Tür. Vielleicht hatte Alastair in diesem Raum tatsächlich etwas zu erledigen.

Doch dann hörte er, wie sich drinnen etwas ganz anderes regte, und eine heiße Wut stieg in ihm auf, erstickend in ihrer Intensität. Er drückte Miri ins Schloss und versuchte den Bolzen in die richtige Richtung zu schieben.

Im nächsten Moment traf er mit der Messerspitze den passenden Stift und entriegelte das Schloss. Die Tür sprang auf.

Der hintere Teil des Kellers sah ganz anders aus als in Calls Erinnerung. Das Gerümpel war weggeräumt, und der entstandene Raum war wie ein karges Magierbüro eingerichtet. In einer Ecke stand ein Schreibtisch, neben dem sich haufenweise alte und neue Bücher stapelten. In der anderen stand eine Pritsche, und am Boden in der Mitte lag Mordo, an Fußeisen gefesselt. Er trug einen entsetzlichen Maulkorb aus Leder.

Als der Wolf jaulend zu Call springen wollte, rissen ihn die Ketten zurück. Call sank auf die Knie und tastete auf der Suche nach dem Verschluss durch Mordos Nackenfell. Er war so froh, Mordo zu sehen, und gleichzeitig so wahnsinnig wütend auf seinen Vater, dass er das Wichtigste erst gar nicht bemerkte.

Doch als er den Blick durch den Raum schweifen ließ, um zu sehen, wo Alastair den Schlüssel aufbewahren könnte, warf es ihn um.

Auch an der Pritsche in der Ecke waren Eisenringe angebracht.

Und die Fesseln hatten genau die richtige Größe für einen Jungen, der bald dreizehn wurde.

ZWEITES KAPITEL

Call konnte den Blick nicht von den Eisenringen wenden. Er hatte das Gefühl, dass sein Herz zu klein war, während es verzweifelt versuchte, das Blut durch seine Adern zu pumpen. Die tief in die Wand eingelassenen Fußeisen waren aus schwerem Metall geschmiedet, mit alchemistischen Symbolen beschriftet und offensichtlich das Werk eines Magiers. Sobald man daran gefesselt war, gab es kein Entrinnen mehr …

Als Mordo hinter Call wimmerte, zwang er sich, den Blick abzuwenden und sich um die Befreiung seines Wolfs zu kümmern. Im Nullkommanichts hatte er ihm den Maulkorb abgenommen, doch kaum war ihm das gelungen, bellte Mordo wie ein Irrer, als wollte er Call von vorn bis hinten erzählen, wie er im Keller angekettet worden war.

»Psst«, sagte Call und drückte Mordo panisch die Hand auf die Schnauze, um ihn zu beruhigen. »Weck bloß nicht Dad auf!«

Mordo winselte leise vor sich hin, während Call versuchte sich zusammenzureißen. Der Kellerboden war aus Beton, und er tastete nach Erdmagie, um die Ketten zu sprengen. Doch Call hatte Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, und die Erdmagie fühlte sich schwach an. Er war völlig verstört, weil sein Vater auch noch so getan hatte, als täte es ihm leid, dass Mordo vermisst wurde. Es war doch nicht zu fassen, dass Alastair mit Call durch die Gegend gefahren war und zugelassen hatte, dass er sich die Seele aus dem Hals schrie, während er selbst den Wolf im Keller angekettet hatte.

Moment: Alastair konnte Mordo gar nicht eingeschlossen haben. Call war die ganze Zeit mit ihm zusammen gewesen. Also musste ein anderer es getan haben. Ein Freund seines Vaters? Call schwirrte der Kopf. Alastair hatte keine Freunde.

Bei dem Gedanken klopfte sein Herz schneller, und die leidenschaftliche Kombination aus Angst und Magie sprengte schließlich Mordos Ketten – der Wolf war wieder frei. Call raste durch den Keller zu Alastairs Schreibtisch und blätterte in den Papieren mit der zarten spinnenhaften Handschrift seines Vaters. Es handelte sich um Notizen und Zeichnungen. Call erkannte die Tore des Magisteriums, auf einem anderen Blatt sah er ein Bauwerk mit Säulen, das er nicht kannte, und daneben den Flugzeughangar, wo die Eiserne Prüfung stattgefunden hatte. Doch die meisten Zeichnungen stellten ein sonderbares technisches Teil dar, das wie ein gepanzerter Fehdehandschuh aus Metall aussah. Er war mit merkwürdigen Symbolen bedeckt. Eigentlich hätte Call das cool gefunden, doch dieses Ding jagte ihm einen Schauer über den Rücken, so unheimlich war es.

Die Zeichnungen lagen neben einem Buch, in dem ein abwegiges, abstoßendes Ritual geschildert wurde. Der Band war in brüchiges schwarzes Leder eingeschlagen und enthielt haarsträubende Anweisungen. Es ging darum, wie jemand, der kein Makar war, Chaosmagie sammeln und anwenden konnte – und zwar indem man einem chaosbesessenen Wesen bei lebendigem Leib das Herz entnahm. Sobald man im Besitz des Handschuhs und des Herzens war, konnte man einem Makar die Chaosmagie rauben und ihn auf diese Weise endgültig vernichten.

Wäre das Opfer jedoch kein Chaosmagier, kein Makar, würde es diese Tortur überleben.

Beim Anblick der Eisenringe und der Pritsche dämmerte es Call, mit wem hier experimentiert werden sollte. Alastair wollte mithilfe von Chaos eine magische Operation der schwärzesten Art an Call vornehmen, die ihn umbrachte, wenn er der Feind des Todes war und die makarischen Fähigkeiten des Feindes besaß.

Call war davon ausgegangen, dass Alastair Vermutungen über seine wahre Natur anstellte, doch offenbar war er bereits einen Schritt weiter. Selbst wenn Call die magische Operation überlebte, würde er wissen, dass dies eine Prüfung war, die er nicht bestehen sollte. Er trug die Seele Constantine Maddens in sich, und deshalb wünschte sein Vater ihm den Tod.

Neben dem Buch lag ein Zettel mit Alastairs zierlicher Handschrift: Das muss bei ihm funktionieren. Unbedingt. Das letzte Wort war mehrfach unterstrichen, und daneben stand ein Datum im September.

An diesem Tag sollte Call ins Magisterium zurückkehren. Die Leute wussten, dass er die Sommerferien bei seinem Vater verbrachte, und gingen wahrscheinlich davon aus, dass er zur gleichen Zeit an die Ballettschule zurückkehrte wie ihre Kinder in die städtischen Einrichtungen. Wenn Call also im September verschwand, würde sich niemand Gedanken machen.

Call drehte sich noch einmal zu den Eisenringen um. Ihm war hundeelend. Bis September waren es nur noch zwei Wochen.

»Call.«

Als er sich erschrocken umdrehte, sah er seinen Vater an der Tür. Er war angezogen, als hätte er ohnehin nicht vorgehabt, schlafen zu gehen. Nicht einmal die Brille saß schief – er wirkte vollkommen normal, höchstens ein bisschen traurig. Ungläubig blickte Call auf die Hand, die Alastair nach ihm ausstreckte.

»Es ist nicht so, wie du denkst, Call …«

»Dann sag, dass du Mordo nicht hier angekettet hast«, murmelte Call. »Und dass das ganze Zeug hier nicht dir gehört.«

»Ich habe ihn wirklich nicht angekettet.« Zum ersten Mal hatte Alastair Mordo ihn und nicht es genannt. »Aber mein Plan muss durchgeführt werden, Call. Für dich, es ist nur zu deinem Besten. Es gibt schreckliche Menschen auf dieser Welt, die dir furchtbare Dinge antun wollen; sie werden dich benutzen. Das lasse ich nicht zu.«

»Deshalb willst du mir als Erster schreckliche Dinge antun?«

»Ich will nur dein Bestes!«

»Du lügst!«, rief Call. Er ließ Mordo los, und der Wolf knurrte mit angelegten Ohren. Er sah Alastair mit seinen bunten Wandelaugen böse an. »Du hast mich immer nur belogen. Das mit dem Magisterium war eine Lüge …«

»Das stimmt nicht!«, fauchte Alastair. »Das Magisterium war der schlimmste Ort, an dem du landen konntest. Ist es immer noch!«

»Weil du denkst, ich wäre Constantine Madden!«, schrie Call. »Du hältst mich für den Feind des Todes!«

Es war, als hätte man einen wütenden Tornado angehalten: Auf einmal herrschte eine abscheulich aufgeladene Stille. Sogar Mordo gab keinen Mucks mehr von sich, als Alastair mit verzerrtem Gesicht an den Türrahmen sank. Seine Antwort fiel sehr leise aus. Auf gewisse Weise war das viel schlimmer als seine Wut. »Du bist Constantine Madden«, sagte er. »Oder nicht?«

»Das weiß ich nicht!« Call fühlte sich haltlos und verlassen. »Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals jemand anderer gewesen zu sein. Aber wenn ich wirklich er bin, dann solltest du mir helfen, etwas zu unternehmen. Stattdessen schließt du meinen Hund ein und …«

Call warf einen Blick auf die Fesseln in seiner Größe und sparte sich den Rest.

»Als ich den Wolf gesehen habe, stand es endgültig fest«, sagte Alastair immer noch leise und ruhig. »Ich hatte es bereits vermutet, doch da konnte ich mir immer noch einreden, dass du unmöglich so wärst wie er. Aber Constantine hatte genau so einen Wolf wie Mordo, als wir so alt waren wie du. Er nahm ihn überallhin mit, so wie du.«

Call erschauerte. »Du hast gesagt, du warst mit Constantine befreundet.«

»Wir waren in einer Lehrlingsgruppe. Bei Master Rufus.« Das war mehr, als Alastair bisher über das Magisterium erzählt hatte, und es ging noch weiter. »Bei meiner Eisernen Prüfung hat Rufus fünf Lehrlinge gewählt. Deine Mutter. Ihren Bruder Declan. Constantine Madden. Constantines Bruder Jericho. Und mich.« Es tat ihm sichtlich weh, Call das alles zu erzählen. »Am Ende unseres Silberjahres waren wir nur noch zu viert. Fünf Jahre später lebten nur noch Constantine und ich. Nach dem Eismassaker ließ er sich nur noch selten blicken und trug stets eine Maske.«

Calls Mutter war im Eismassaker gestorben. Damals wurde sein Bein schwer verletzt, und dort hatte auch Constantine Madden dem Kind namens Callum Hunt die Seele gestohlen und seine eigene in den Körper des Babys verpflanzt. Doch das war nicht einmal das Schlimmste, was Call darüber wusste. Am allerschlimmsten war das, was Master Joseph ihm über seine Mutter erzählt hatte.

»Ich weiß, was sie in den Schnee geschrieben hat«, sagte Call. »Tötet das Kind. Und damit meinte sie mich.«

Sein Vater stritt es nicht ab.

»Warum hast du mich dann nicht umgebracht?«

»Ich würde dir nie etwas tun, Call …«

»Ach nein?« Call schnappte sich eine der vielen Handschuh-Zeichnungen. »Und was ist das? Wozu wolltest du den benutzen? Zur Gartenarbeit?«

Alastairs Gesicht nahm einen grimmigen Ausdruck an. »Gib das her!«

»Wolltest du mich anketten, damit ich nichts tun kann, wenn du Mordo das Herz rausschneidest?« Call zeigte auf die Eisenringe. »Oder damit ich mich nicht wehren kann, wenn du es an mir ausprobierst?«

»Red nicht so einen Unsinn!«

Als Alastair einen Schritt nach vorn machte, stürzte Mordo sich knurrend auf ihn. Call rief ihn zur Ordnung, und Mordo verdrehte mitten im Sprung verzweifelt seinen Wolfskörper, um zu gehorchen und anzuhalten. Dennoch traf er Alastair seitlich und warf ihn um. Alastair fiel auf einen kleinen Tisch, der unter seinem Gewicht zerbrach. Wolf und Mann schlugen hart auf.

»Mordo!«, rief Call. Der Wolf wälzte sich von Alastair und stellte sich mit gefletschten Zähnen neben Call. Alastair kam auf die Knie, richtete sich mühsam auf und suchte sein Gleichgewicht.

Aus einem Reflex heraus taumelte Call zu seinem Vater. Als Alastair ihn ansah, stand etwas in seinem Gesicht geschrieben, das Call niemals erwartet hätte:

Angst.

Das schürte Calls Wut nur noch mehr.

»Ich hau ab!«, fauchte er. »Ich hau mit Mordo ab und komme nie wieder. So schnell bekommst du keine neue Chance, uns umzubringen.«

»Call.« Alastair hob warnend die Hand. »Das kann ich nicht zulassen.«

Call fragte sich, ob Alastair jedes Mal, wenn er ihn angesehen hatte, ein ungutes Gefühl gehabt hatte, die schleichende Ahnung, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war mit ihm. Für ihn war Alastair stets sein Vater gewesen, auch noch nachdem Master Joseph ihm alles erzählt hatte, doch möglicherweise betrachtete Alastair ihn nicht mehr als seinen Sohn.

Call senkte den Blick auf das Messer, das er in der Hand hielt, und erinnerte sich an die Eiserne Prüfung. Hatte Alastair es an jenem Tag tatsächlich zu ihm, oder doch eher auf ihn geworfen? Tötet das Kind. Dann fiel ihm ein, dass Alastair Master Rufus in einem Brief gebeten hatte, Calls Magie zu unterbinden. Auf einmal ergaben Alastairs Handlungen auf schreckliche Weise Sinn.

»Los«, sagte Call zu Mordo und wies mit dem Kopf zur Tür, die in das übrige Wirrwarr des Kellers führte. »Wir verschwinden von hier.«

Mordo drehte sich um und trottete aus dem Raum. Als Call seinem Wolf folgte, war er auf der Hut.

»Nein! Du darfst nicht gehen!« Alastair stürzte sich auf Call und packte ihn am Arm. Sein Vater war nicht groß, aber schlank und drahtig. Als Call ausrutschte und auf den Betonboden fiel, landete er hart auf dem linken Bein. Es tat so weh, dass seine Sicht verschwamm, und Mordo bellte so laut, dass er seinen Vater kaum verstand. »Du darfst nicht ins Magisterium zurückgehen. Ich muss das hier regeln. Ich verspreche dir, dass ich das alles regle …«

Er meint, er bringt mich um, dachte Call. Er meint, alles ist geregelt, wenn ich tot bin.

Er war unglaublich wütend wegen all der Lügen, die Alastair ihm aufgetischt hatte und immer noch auftischte. Dazu kam der Zorn auf das kalte Grauen, das er mit sich herumschleppte, seit Master Joseph enthüllt hatte, wer er in Wirklichkeit war, und die Angst davor, dass ihn alle, die er liebte, hassen würden, sobald sie davon erfuhren.

Call verströmte grenzenlose Wut, bis die Wand hinter Alastair plötzlich seitlich Risse bekam und der ganze Raum ins Wanken geriet. Alastairs Schreibtisch krachte in eine Wand, die Pritsche flog hoch und zerbrach an der Decke. Alastair blieb wie gelähmt stehen, während Call die Magie gegen ihn aussandte. Schließlich flog Alastair hoch und prallte gegen die eingestürzte Wand. Sein Kopf machte beim Aufprall ein scheußliches dumpfes Geräusch, dann sank er schlaff zu Boden.

Mit bebenden Gliedern stand Call auf. Sein Vater hatte das Bewusstsein verloren und lag reglos mit geschlossenen Augen da. Call schlich näher heran und blickte forschend auf ihn hinunter. Die Brust seines Vaters hob und senkte sich. Er atmete noch.

Wenn man seiner Wut derart freien Lauf ließ, dass man seinen eigenen Vater mit Magie niederstreckte, kam das ohne Wenn und Aber auf die Liste des Bösen.

Call musste das Haus verlassen, bevor Alastair das Bewusstsein wiedererlangte. Er taumelte aus dem Kellerraum und schloss die Tür hinter sich. Mordo blieb dicht bei ihm.

Neben einer Ansammlung kaputter Stühle stand im Hauptkeller eine alte Truhe mit Puzzles und unvollständigen Brettspielen. Call schob sie vor die Tür des früheren Lagerraums. Das würde Alastair Zeit kosten, hoffte er, als er die Treppe hinaufstieg.

Oben raste er in sein Zimmer, zog eine Jacke über den Schlafanzug und schlüpfte in ein Paar Schuhe. Mordo tänzelte leise bellend um ihn herum, während er saubere Anziehsachen in eine Segeltuchtasche stopfte, ohne darauf zu achten, was er eigentlich mitnahm. Dann ging er in die Küche und nahm Chips und Kekse mit. Er leerte die Blechbüchse aus, die oben auf dem Kühlschrank stand und in der Alastair Wechselgeld aufbewahrte, immerhin ungefähr vierzig Dollar in zerknitterten Ein- und Fünfdollarscheinen. Call warf alles in die Reisetasche, steckte Miri in ihre Scheide, legte das Messer oben auf seine Habseligkeiten und zog den Reißverschluss zu.

Er hängte sich die Tasche um. Sein Bein schmerzte, und er zitterte von dem Sturz und dem Rückstoß der Magie, die noch immer durch seinen Körper wogte. Der Mond schien hell herein und tauchte alles in scharfes weißes Licht. Call sah sich noch einmal um, weil er nicht wusste, ob er diese Küche oder das Haus oder seinen Vater je wiedersehen würde.

Mordo knurrte und spitzte ein Ohr. Call hörte zwar nichts, aber das hieß nicht, dass Alastair nicht längst aufgewacht war. Call verdrängte seine wehmütigen Gedanken, packte Mordo am Nackenfell und schlich leise aus dem Haus.

In den leeren Straßen der Stadt war es noch frühmorgendlich dunkel, doch Call hielt sich für den Fall, dass Alastair ins Auto stieg und ihn suchte, ohnehin im Schatten. Bald würde die Sonne aufgehen.

Ungefähr zwanzig Minuten nach seiner Flucht klingelte sein Handy. Er wurde fast wahnsinnig, bis er endlich den Ton ausschalten konnte.

Auf dem Display erkannte er, dass der Anruf aus seinem Elternhaus kam. Alastair war also bei Bewusstsein und nicht mehr im Keller. Calls Erleichterung verwandelte sich rasch in Furcht. Alastair rief wieder an. Und noch mal, er ließ nicht locker.

Call schaltete sein Handy aus und warf es weg, weil er Angst hatte, dass sein Vater möglicherweise damit seine Position orten konnte wie die Polizisten im Fernsehen.

Er musste überlegen, wohin er gehen wollte – und zwar schnell. Der Unterricht im Magisterium begann erst in zwei Wochen, doch sicherlich war schon jemand dort. Master Rufus würde ihn bestimmt in seinem alten Zimmer übernachten lassen, bis Tamara und Aaron zurückkamen – er würde ihn auch gegen Alastair verteidigen, wenn es zum Schlimmsten käme.

Doch dann stellte Call sich vor, nur mit Mordo und Master Rufus dort zu sein und durch die hallenden Höhlen der Schule zu irren. Das konnte nur deprimierend sein. Abgesehen davon wusste er sowieso nicht, wie er ganz allein die weite Strecke zu dem abgelegenen unterirdischen Labyrinth in Virginia zurücklegen sollte. Zu Beginn des Sommers hatten sie mit Alastairs uraltem Rolls Royce eine lange staubige Heimfahrt nach North Carolina hinter sich gebracht. Den Weg würde er nie im Leben wiederfinden.

Er hatte mit seinen Freunden gesimst, doch er wusste nicht, wo Aaron wohnte, wenn er nicht in der Schule war. Aaron hatte mit dieser Information hinterm Berg gehalten. Call wusste, dass Tamaras Familie am Stadtrand von Washington lebte, wohin sicher mehr Busse fuhren als in die Nähe des Magisteriums.

Das Handy fehlte ihm jetzt schon.

Tamara hatte ihm ein Geschenk zu seinem bevorstehenden Geburtstag geschickt – ein Hundehalsband mit Leine für Mordo –, und auf dem Umschlag hatte ihr Absender gestanden. Er erinnerte sich an die Adresse, weil ihr Haus einen Namen hatte – The Gables. Alastair hatte lachend gesagt, das würden reiche Leute eben so machen, die würden sogar ihren Häusern Namen geben.

Dort könnte er hingehen.

Mit mehr Zielstrebigkeit, als er in den ganzen letzten Wochen aufgebracht hatte, machte Call sich auf den Weg zum Busbahnhof, einem kleinen Gebäude mit zwei Bänken davor. In einem klimatisierten Kassenhäuschen saß eine ältere Frau hinter einer Glasscheibe und verkaufte Fahrkarten. Auf einer der Bänke saß ein alter Mann, der sich den Hut ins Gesicht gezogen hatte, als schliefe er.

Die Mücken summten, als Call auf den Schalter zuging.

»Äh«, sagte er. »Ich brauche eine Busfahrkarte nach Arlington.«

Die Frau musterte ihn ausführlich und schürzte die korallenrot geschminkten Lippen. »Wie alt bist du?«, fragte sie.

»Achtzehn.« Er gab sich selbstbewusst, obwohl sie ihm höchstwahrscheinlich nicht glauben würde. Doch manchmal verschätzten sich alte Leute auch. Er stellte sich so hin, dass er möglichst groß wirkte.

»Hmmm«, sagte sie schließlich. »Vierzig Dollar für ein Erwachsenenticket, nicht erstattbar. Du hast Glück, der Bus fährt in einer halben Stunde. Aber Hunde sind nicht gestattet, es sei denn, es ist ein Diensthund.«

»Oh ja«, erwiderte Call nach einem raschen Blick auf Mordo. »Er ist absolut ein Diensthund. Er hat gedient – in der Marine.«

Die Frau zog die Augenbrauen hoch.

»Er hat einen Mann gerettet«, fuhr Call fort und dachte sich etwas aus, während er das Geld abzählte und durch den Spalt schob. »Vor dem Ertrinken. Und vor Haien. Also, nur vor einem Hai, aber der war richtig groß. Er hat eine Medaille bekommen und so.«

Die Frau starrte ihn an, ihr Blick wanderte nach unten. »Du brauchst den Diensthund also für dein Bein, was?«, fragte sie. »Hättest du doch gleich sagen können.« Sie schob ihm die Fahrkarte herüber.

Verlegen nahm Call sie entgegen und ging ohne ein Wort. Die Fahrt hatte ihn fast sein ganzes Geld gekostet. Er hatte nur noch einen Dollar und ein paar Münzen, womit er sich zwei Schokoriegel aus dem Automaten zog. Dann machte er es sich bequem und wartete auf den Bus. Mordo legte sich zu seinen Füßen.

Wenn er erst bei Tamara war, würde alles besser werden, redete Call sich gut zu. Alle Probleme würden sich in Luft auflösen.

DRITTES KAPITEL

Im Bus döste Call mit dem Gesicht an der Fensterscheibe vor sich hin. Mordo hatte sich vor ihm auf dem Boden zusammengerollt – das war gemütlich und hielt andere Fahrgäste davon ab, sich neben ihn zu setzen.

Unruhige Träume quälten seinen Schlaf. Er träumte von Schnee und Eis und toten Magiern auf einem Gletscher. Er träumte, dass er sein Spiegelbild betrachtete, doch es war nicht mehr sein Gesicht, sondern das von Constantine Madden. Er träumte, er wäre mit Eisenringen an eine Wand gefesselt, und Alastair würde ihm gleich das Herz herausschneiden.

Er wurde schreiend wach und erblickte als Erstes den Busfahrer, der sich über ihn beugte und sorgenvoll seine faltige Stirn runzelte. »Wir sind in Arlington, Junge«, sagte er. »Die anderen sind alle schon ausgestiegen. Wirst du abgeholt?«

»Klar«, murmelte Call und stolperte aus dem Bus. Mordo klebte an seinen Fersen.

An der nächsten Ecke stand ein Münztelefon. Call starrte es an. Er hatte eine vage Vorstellung davon, dass man damit bei der Auskunft anrufen und jemandes Nummer erfragen konnte, doch er hatte keine Ahnung, wie das ging. So etwas hatte er stets im Internet nachgesehen. Er wollte gerade zu dem Telefon gehen, als ein rot-schwarz lackiertes Taxi vorfuhr und ein paar halbstarke Mitglieder einer Studentenverbindung auslud. Der Fahrer stieg ebenfalls aus und holte ihr Gepäck aus dem Kofferraum.