Man braucht keine Augen, um zu sehen Teil 2 - Margo Wolf - E-Book

Man braucht keine Augen, um zu sehen Teil 2 E-Book

Margo Wolf

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Beschreibung

Nachdem Michael Leni wieder gefunden hat, sprechen sie sich aus, und während Leni ihre Verletzungen ausheilt, erblüht ihre Liebe von Neuem

Sie sind beide durch das vergangene Jahr gereift und bekennen sich nun endlich zu ihrer Liebe. Auch Michael wirft seine Bedenken wegen des Altersunterschieds über Bord und weiß nun mit absoluter Sicherheit, dass Leni die Frau ist, auf die er, ohne es zu wissen, sein Leben lang gewartet hat.

Alles scheint in Ordnung zu sein und sie sind sich sicher, einer glücklichen Zukunft entgegenzugehen. Aber die Schatten der Vergangenheit lassen sich nicht so leicht vertreiben…

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Veröffentlichungsjahr: 2017

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Margo Wolf

Man braucht keine Augen, um zu sehen Teil 2

Erfüllte Liebe

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Titel

 

Man braucht keine Augen, um zu sehen

Teil 2:

Erfüllte Liebe

 

Kapitel 1

Prolog

 

Nachdem Michael Leni wieder gefunden hat, sprechen sie sich aus und ihre Liebe erblüht von Neuem. Sie sind beide durch das vergangene Jahr gereift und bekennen sich nun endlich zu ihrer Liebe. Auch Michael wirft seine Bedenken wegen des Altersunterschieds über Bord und weiß nun mit absoluter Sicherheit, dass Leni die Frau ist, auf die er, ohne es zu wissen, sein Leben lang gewartet hat.

Alles scheint in Ordnung zu sein und sie sind sich sicher, einer glücklichen Zukunft entgegenzugehen. Aber die Schatten der Vergangenheit lassen sich nicht so leicht vertreiben…

 

Kapitel 2

 

Leni hatte nach Wochen endlich das Krankenhaus verlassen können, zwar noch mit einem Gipsbein, aber sonst waren ihre Verletzungen fast schon verheilt und nun fuhren sie mit dem Wohnmobil von Michaels besten Freund Peter und dessen Frau Andrea von Berlin nach München zurück.

Zu Mittag machten sie eine Pause, um in einem Lokal etwas zu essen und damit Goldi, Lenis Blindenhund, etwas herumlaufen konnte.

Nach einer weiteren Pause kamen sie am frühen Abend endlich an. Peter lenkte das Wohnmobil auf seinen Stellplatz unter ein schützendes Dach neben der Garage, in der sein Pkw stand. Michaels Eltern kamen mit zwei Kindern, einem Bub von 7 und ein Mädchen mit vier Jahren, aus dem Haus. Vicky und Benny rannten lachend auf ihre Eltern zu, die sie mit ausgebreiteten Armen empfingen. Michael wartete mit Leni im Wohnmobil, bis sich bei den Kindern die erste Aufregung etwas gelegt hatte, dann half er Leni aus dem Wagen. Leni hatte Goldi an die Leine genommen und nun saß diese brav neben ihr.

Michael Eltern kamen zu ihnen.

„Leni, wie schön, dass du endlich da bist“, sagte Michaels Mutter Marie erfreut und umarmte das Mädchen.

„Ich freue mich auch sehr“, antwortete Leni gerührt, „und ich möchte mich nochmals herzlich bedanken, dass ihr Goldi zu euch genommen habt.“

„Dafür brauchst du dich doch nicht bedanken“, wehrte Marie ab, „Goldi ist so eine Liebe, das war für uns überhaupt keine Mühe.“

Goldi sah sorgenvoll zwischen den beiden Frauen hin und her.

„Nein, keine Angst“, sagte Marie lachend und streichelte ihr über den Kopf, „ich nehme dich deinem Frauchen nicht weg. Du bleibst bei ihr, für immer!“

Viktor, Michaels Vater, der das Auto seines Sohnes von Berlin nach München gefahren hatte, händigte inzwischen den Autoschlüssel wieder Michael aus.

„Ach ja“, sagte er beiläufig, „die Reparaturwerkstatt wird sich dann mit dir in Verbindung setzen, ob noch etwas zu machen ist, oder ob…“,

„Was ist passiert?“, entsetzt sah Michael seinen Vater an, aber dann sah er das Glitzern in dessen Augen.

„Ja, schon klar“, gab er lachend zur Antwort, „hoffentlich ist wenigstens das Autoradio noch zu gebrauchen!“

„Ist etwas passiert?“, fragte Leni ängstlich, die das Gespräch mitgehört hatte.

„Nein, gar nichts ist passiert“, beruhigte Marie sie, „nur ein üblicher Scherz unter Männern.“

„Ein paar Strafmandate wegen Schnellfahrens könnte es schon geben“, brummte Viktor in seiner Ehre gekränkt.

Inzwischen waren Andrea und Peter mit ihren Kindern auch herangekommen. Benny konnte man die Neugierde ansehen und das Verlangen, den Hund an der Seite der blinden Frau endlich streicheln zu dürfen. Vicky, die große Angst vor Hunden hatte, klammerte sich fest an ihren Vater Peter, der sie auf dem Arm hatte.

„Darf ich den Hund streicheln?“, fragte Benny in die Runde.

„Sehr gerne“, erwiderte Leni und an Goldi gerichtet fuhr sie fort, „Goldi, du musst dich jetzt von deiner besten Seite zeigen, das sind die Kinder von Andrea und Peter. Auf die musst du in Zukunft auch aufpassen.“

Benny trat vorsichtig noch näher, dann streckte er die Hand aus und berührte Goldi, diese hielt ganz still, aber ihr Blick war auf Michael gerichtet.

„Du machst das perfekt, Goldi“, sagte er lobend zu ihr und an Benny gewandt, „du kannst sie ruhig fester streicheln, sie genießt es, wenn sie gestreichelt wird.“

Der Junge legte die Hand auf Goldis Seite und fuhr ihr übers Fell.

„Sie ist ganz weich“, strahlte er vor Freude.

„Goldi, begrüße Benny“, forderte Leni die Hündin auf, worauf diese ihre rechte Pfote hob.

„Du musst die Pfote nehmen, so als würdest du einem Menschen die Hand schütteln“, sagte Andrea zu ihm.

„Hallo, ich bin Benny“, sagte der kleine Mann zu dem Hund, „ich habe gar keine Angst vor dir, denn ich bin schon groß.“

Goldi sah ihn an und ihre Lefzen zuckten.

„Nicht das Gesicht!“, warnte Michael sie schnell, denn er kannte die Anzeichen schon zu gut.

Goldi fuhr daraufhin mit der Zunge über Bennys Hand.

„Uii, das kitzelt!“ lachte Benny, nun wagte er es, Goldi fester zu streicheln.

Vicky hatte die Szene mit großen Augen verfolgt, ohne Peters Hals loszulassen.

„Wollen wir die beiden nicht auch begrüßen?“ fragte er sie sanft, aber Vicky schüttelte den Kopf.

„Komm, wenigstens Leni solltest du begrüßen“, sagte Peter und trat zu Leni.

„Das ist Leni“, stellte er sie seiner Tochter vor, „sie kann nichts sehen und würde oft hinfallen und sich wehtun. Du weißt doch, wie weh es tut, wenn man sich das Knie aufschlägt, oder?“

Zaghaft nickte Vicky und ließ Leni nicht aus den Augen.

„Nun stell dir vor, wenn man ständig hinfallen würde, weil man nichts sehen kann, wie schlimm das wäre! Aber zum Glück gibt es Hunde, die helfen können und Goldi ist so ein Hund. Sie ist an Lenis Seite und sagt ihr, wo sie hintreten soll, damit sie nicht hinfällt.“

„Der Hund kann reden?“ mit großen Augen sah Vicky zwischen Leni und Goldi hin und her.

„Nein, Goldi kann nicht sprechen“, erklärte Leni, „zumindest nicht in unserer Sprache. Aber sie zeigt mir durch ihre Körperhaltung, durch ihre Bewegung beim Gehen, wo ich gehen kann, ohne hinzufallen.“

„Hast du jetzt deshalb ein kaputtes Bein, weil Goldi nicht bei dir war?“ wurde Vicky nun neugierig.

Kurz senkte sich Schweigen über die Runde. Man konnte dem Kind nicht sagen, dass Leni so verprügelt worden war, aber wie sollte man es sonst erklären?

„Ja“, sagte Leni nach kurzem Überlegen, „wenn Goldi bei mir gewesen wäre, hätte ich mich nicht so verletzt. Leider konnte ich Goldi ein zeitlang nicht bei mir haben und schon habe ich ein kaputtes Bein.“

„Dann musst du Goldi immer bei dir haben“, sagte Vicky bestimmt, mit einem Gesicht, das besagte, dass die Erwachsenen manchmal sehr dumm sein konnten.

„Aber ich werde eine zeitlang bei euch wohnen, darf Goldi dann auch bei mir bleiben?“ fragte Leni das Mädchen.

Vicky schluckte, sah ihren Vater an, der ihr aufmunternd zunickte.

„Du brauchst doch den Hund, also darf er bleiben“, erwiderte Vicky großherzig.

„Dann musst du ihr auch sagen, wer du bist, damit Goldi weiß, auf wen sie aufpassen muss“, erklärte Leni ernst.

Würde Vicky sich darauf einlassen? Peter ging langsam vor Goldi in die Hocke.

„Jetzt sagst du Goldi deinen Namen“, forderte er seine Tochter auf.

Vicky fing zu zittern an, aber dann…

„Hallo, Goldi, ich bin Viktoria“, sagte sie mit piepsiger Stimme und verbarg danach ihr Gesicht ganz schnell an Peters Schulter.

„Das hast du ganz toll gemacht“, lobte Andrea ihre Tochter, aber nun hatte Vicky den Mut verloren, denn sie versteckte sich weiter an Peters Schulter.

„Kommt endlich ins Haus, es zu kalt hier draußen und Hunger habt ihr bestimmt auch“, forderte Marie die Gruppe auf.

„Bestimmt hat Goldi auch Hunger“, sagte Viktor zu den Kindern, „wollen wir nachsehen, ob wir Futter für sie finden?“

Benny nickte begeistert und ergriff Viktors Hand.

„Willst mir auch helfen, Vicky?“ fragte er das kleine Mädchen. Vicky hob ihren Kopf und sah ihren Vater an.

„Geh ruhig mit Opa Viktor mit“, nickte Peter und ließ sie runter. Sofort lief sie zu Viktor und umklammerte seine andere Hand, ohne Goldi auch nur eines Blickes zu würdigen.

„Dann kommt Kinder, wir werden schon etwas Leckeres finden, was der braven Goldi schmeckt“, sagte Viktor und ging mit den Kindern voran ins Haus.

„Das ist viel besser gelaufen, als wir befürchtet haben“, seufzte Andrea erleichtert.

„Es wäre gut, wenn sich Vicky trauen würde, Goldi zu füttern“, schlug Leni vor, „leider habe ich keinen Hundekuchen bei mir, aber ich wusste auch nicht, dass ich sie heute wiedersehen werde.“

„Ich bin überzeugt, dass mein Vater Hundekuchen parat hat“, sagte Michael schmunzelnd.

„Dessen bin ich mir auch sicher, er ist schließlich dein Vater“, nickte Leni grinsend.

„Erwischt“, lachte Michael und gab ihr einen Kuss, dann folgten sie den anderen ins Haus. Drinnen nahm Leni der Hündin die Leine ab, aber Goldi blieb brav neben ihr sitzen, obwohl sie sehnsüchtig zu der vollen Hundeschüssel schielte, die Viktor soeben auf den Boden gestellt hatte.

„Los Goldi, alles in Ordnung, geh ruhig fressen“, sagte Leni, die das Geräusch richtig erkannt hatte, leise zu ihr, worauf Goldi schwanzwedelnd zu der Schüssel lief und gleich darauf hörte man sie genussvoll schmatzen.

„Sie versteht mich noch immer, unsere enge Verbindung ist noch so wie vorher“, sagte Leni glücklich und Tränen stiegen ihr in die Augen, sie wandte ihren Kopf Michael zu, der neben ihr stand und sie unterstützend am Arm hielt, „ich bin so glücklich, alle sind so nett“, schluchzte sie.

Michael nahm sie in den Arm und gab ihr einen Kuss.

„Es sind alle so nett, weil du eine ganz Nette bist“, sagte er scherzend.

„Keine Zicke?“ Lenis Augenbrauen hoben sich fragend.

„Die kleine Zicke gehört nur mir“, sagte Michael leise an ihrem Ohr, worauf sie errötete.

 

Gutgelaunt setzten sich alle und ließen sich das Essen schmecken, das Marie inzwischen zubereitet hatte. Goldi saß wie früher neben Leni und hatte ihren Kopf auf dem Knie ihres Frauchens liegen. Michael half Leni wie immer beim Essen und die beiden Kinder ließen Leni nicht aus den Augen, allerdings saß Vicky zur Sicherheit auf Andreas Schoß, um dem Hund nicht zu nahe zu kommen.

„Willst du Goldi einen Hundekuchen geben?“ fragte Viktor Benny und griff in seine Hosentasche.

„Ja!“ rief der Junge begeistert und rutschte von seinem Stuhl. Er holte sich das Leckerli und dann blieb er etwas unsicher vor Leni stehen.

„Streck deine Hand aus“, forderte Michael ihn auf und als der Junge es tat, legte ihm Michael den Hundekeks auf die flache Handfläche, „so und nun halte Goldi deine Hand hin.“

Das tat Benny mit vor Aufregung klopfenden Herzen. Goldi sah zwischen Leni und Michael hin und her.

„Du darfst das Leckerli nehmen“, erlaubte Leni es, da sie am fehlenden Kaugeräusch bemerkte, dass Goldi auf ihre Erlaubnis wartete.

Sofort nahm Goldi es vorsichtig von Bennys Hand, um es dann gierig zu verschlingen.

„Das kitzelt“, lachte Benny und zog sein Hand zurück, „darf ich ihr noch eines geben?“ fragte er dann aufgeregt.

Nach dem dritten Leckerli rutschte Vicky unruhig auf Andreas Schoß hin und her.

„Ich will auch“, sagte sie leise und rutschte von ihrer Mutter runter.

Viktor gab ihr auch einen Hundekuchen und ganz vorsichtig näherte sie sich der Hündin, die sie erwartungsvoll ansah. Unsicher blieb Vicky stehen, den Hundekuchen fest in ihrer kleinen Faust haltend.

„Du machst das ganz falsch“, belehrte sie ihr großer Bruder und nahm ihr den Keks aus der Faust, „so musst du es machen.“

Er bog ihre Finger auf und legte den Keks auf ihre nun flache Hand, dann schob er sie vor Goldi und hielt dabei ihren Arm fest vor sie hingestreckt. Die Erwachsenen hielten den Atem an, aber obwohl Vicky zitterte und ihre Augen so groß wie Teller waren, wehrte sie sich gegen ihren Bruder nicht. Goldi sah das kleine Mädchen an und als würde sie es verstehen, nahm sie den Hundekeks von ihrer Hand noch vorsichtiger, als vorhin von Bennys Hand. Kaum war der Hundekuchen in Goldis Maul verschwunden, riss sich Vicky von ihrem Bruder los und rannte zu ihrer Mutter zurück.

„Ich hab den Hund gefüttert“, rief sie aufgeregt, während sie wieder auf Andreas Schoß kletterte.

„Du bist ein ganz tapferes Mädchen“, lobte Andrea sie und gab ihr einen Kuss.

„Ein großes tapferes Mädchen“, lobte auch Peter seine Tochter und Vickys Augen strahlten.

„Pah, tapfer“, maulte Benny, „Goldi tut doch überhaupt nichts. Nicht wahr, sie würde uns nie etwas tun“, fragte er dann Leni vorsichtshalber.

„Nein, dir und keinem aus dieser tollen Familie würde sie etwas tun“, bestätigte Leni, „aber wenn dir oder deiner Schwester jemand wehtun wollte, dem würde sie dann wahrscheinlich etwas tun.“

„Du meinst, so wie im Film?“ riss Benny erstaunt seine Augen auf.

„So wie im Film“, nickte Leni. Sie wusste es zwar nicht sicher, aber sie war überzeugt, dass es Goldi genauso machen würde, sollte es notwendig sein.

 

Nach dem Essen forderte Andrea ihre Kinder auf, endlich schlafen zu gehen und nur nach dem festen Versprechen, dass Leni mit Goldi am folgenden Tag noch immer hier wäre, ließen sie sich endlich überreden und folgten Andrea in ihr Zimmer.

„Ich komme später und lese euch dann noch etwas vor“, rief ihnen Peter noch nach.

„Kann Onkel Michi uns etwas vorlesen?“ fragte Benny zurück.

„Kann ich gerne machen“, nickte Michael.

„Wenn man sich rar macht, ist man besonders beliebt“, scherzte Peter, als die drei verschwunden waren.

„Du kannst dich dann bei meinen Kindern revanchieren“ gab Michael zurück, aber sofort tat es ihm leid, denn Lenis Hand verkrampfte sich in seiner.

„Wo schlaft ihr heute Nacht, wenn wir hier das Gästezimmer besetzen?“ fragte er schnell seine Eltern, um Leni abzulenken.

„In deiner Wohnung“ sagte seine Mutter, „wenn du etwas willst, können wir es dir morgen früh vorbeibringen, bevor wir nach Hause fahren.“

„Ihr wollt schon wieder fahren?“ fragte er enttäuscht.

„Naja, wir sind etwas überstürzt aufgebrochen“, antwortete Marie, „wir haben sozusagen alles stehen und liegen gelassen, als uns Andrea angerufen hatte, um uns zu bitten, herzukommen.“

„Dann kann ich es verstehen“, nickte Michael.

Er wusste, dass seine Eltern immer alles liegen und stehen lassen würden, um ihren „beiden“ Söhnen zu helfen, aber besonders für seine Mutter war es eine Qual das Haus in Unordnung zurücklassen zu müssen.

„Sobald Leni den Gips weghat, kommt ihr uns besuchen und dann machen wir uns ein paar schöne Tage“, tröstete Marie ihren Sohn.

„Das wird in nächster Zeit schwer möglich sein“, schüttelte Michael den Kopf, „ich will am Montag in die Klinik fahren, um zu sehen, wie schnell ich wieder zu arbeiten anfangen kann.“

„Dann behalten wir eben Leni alleine bei uns und du gehst schön brav arbeiten“, scherzte sein Vater.

„Äh, das möchte ich nicht“, mischte sich Leni leise ein, „ich will nicht von Michael getrennt sein.“

„Das verstehen wir“, sagte Marie lächelnd und tätschelte Lenis Hand, „es war auch nur ein Scherz, denn wenn ich mir Michaels Gesicht so ansehe, dann fand er die Idee auch ganz schlecht!“

„Genau“, murrte Michael, er drückte Lenis Hand, „endlich habe ich sie wieder, da gebe ich sie nicht mehr her, auch euch nicht.“

„Hey, ich bin kein Buch, dass man besitzt oder weitergeben kann“, sagte Leni mit erhobenen Augenbrauen.

„Das weiß ich, mein Zicklein“, sagte Michael zärtlich.

„Arroganter Macho“, flüsterte Leni zurück und ihre Wangen erröteten sanft. Michael gab ihr einen Kuss und der wäre wohl noch leidenschaftlicher geworden, aber da stürmte Benny im Schlafanzug herein und zerrte an Michaels Hand.

„Onkel Michi, du hast versprochen, uns etwas vorzulesen“, sagte er dabei vorwurfsvoll.

Lachend ließ sich Michael mitziehen. Leni blieb unsicher sitzen und Marie ergriff ihre Hand.

„Sollen wir dir einstweilen das Zimmer zeigen?“ fragte sie sanft.

„Wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich lieber hier auf Michael warten“, antwortete Leni schüchtern.

„Wenn dir das lieber ist, gerne“, nickte Marie, „übrigens, wir haben auch mit deiner Mutter telefoniert, sie wird sich morgen bei dir melden und sobald sie einen freien hat, will sie dich besuchen kommen.“

„Danke, das war nett von euch“, bedankte sich Leni, dann schwieg sie, denn sie wusste nicht, was sie noch sagen sollte und mischte sich in die Unterhaltung der anderen nicht ein.

 

Endlich tauchte Michael wieder auf.

„Und, hast du viele Drachen töten müssen?“ fragte Peter scherzend.

„Ich kam gar nicht zum Lesen, denn Benny hat mich nach Strich und Faden über Goldi und ihre Aufgaben ausgequetscht“, gab Michael schmunzelnd zur Antwort, „und wenn deine Tochter morgen mit Elefantenohren aufwacht, bin ich unschuldig!“

Er ging zu Leni und beugte sich zu ihr runter.

„Müde?“ fragte er leise und Leni nickte.

„Dann komm“, er half ihr hoch und nachdem sie noch eine gute Nacht gewünscht hatten, verschwanden sie.

„Endlich hat er es auch gefunden“, seufzte Peter erleichtert.

„Was gefunden?“ fragte Marie irritiert, sie räumten gerade zusammen die Reste der Abendmahlzeit weg.

„Die große Liebe“, erklärte Andrea, die gerade den Raum betrat, „wir haben uns schon Sorgen um ihn gemacht und Peter hatte Michael gegenüber immer ein schlechtes Gewissen, weil er selbst schon die große Liebe gefunden hatte und Michael noch immer allein war.“

Sie sah ihren Mann an.

„Ich hoffe zumindest, dass du sie gefunden hast“, fragte sie ihn herausfordernd.

Peter zog sie in seine Arme.

„Natürlich hätte ich noch weitersuchen können, vielleicht hätte ich die wirklich große…“

„Halt deinen Mund“, sagte Andrea streng, dann lachte sie und küsste ihn.

Marie und Viktor sahen den beiden lächelnd zu, sie wussten dass die beiden ganz einfach ein perfektes Paar waren und sie waren sich nun sicher, dass Michael endlich mit Leni auch sein Glück gefunden hatte.

 

Die beiden betraten soeben das Gästezimmer, gefolgt von einer neugierigen Goldi. Michael machte die Terrassentür einen Spalt auf und ließ Goldi in den Garten damit sie ein bisschen herumschnüffeln konnte. Dann beschrieb er Leni das Zimmer. Es war hell und freundlich eingerichtet, mit einem großen Doppelbett, einem Schreibtisch und einem Einbauschrank. Eine Tür führte in das Badezimmer, das zwar klein, aber zweckmäßig eingerichtet war.

Leni stand mitten im Raum, mit hängenden Schultern und den Kopf gesenkt. Sie war mehr als verlegen, obwohl sie im Spital auch ein Zimmer geteilt hatten und Michael oft genug in dem Bett neben ihr geschlafen hatte, war das doch hier etwas ganz anderes.

„Was ist los?“ fragte Michael besorgt, „kann ich dir helfen? Oder soll ich meine Mutter oder Andrea bitten, dass sie dir helfen?“

Leni schüttelte den Kopf, Michael hatte sie im Spital oft genug bei den Untersuchungen mehr oder weniger nackt gesehen und schließlich war er Arzt, aber hier, in diesem Zimmer…, mit einem Doppelbett…

Michael sah, dass Leni ihren Kopf unbewusst vom Bett abgewandt hatte und er verstand.

„Leni, soll ich gehen? Ist es dir unangenehm, mit mir in dem Bett zu schlafen?“ fragte er besorgt, „ich kann in meine Wohnung fahren und dort schlafen, wenn es dir lieber ist.“

„Wo willst du dort schlafen?“ blitzte die Zicke durch, „zwischen deinen Eltern in der Besucherritze?“

„Nein, die Wohnung ist zwar klein, aber groß genug, dass ein Sofa in das Wohnzimmer passt“, gab Michael seufzend zur Antwort, „ich kann dort schlafen. Du musst mir nur sagen, ob du es willst.“

Er sah sie forschend an, würde sie ihm erlauben, bei ihr zu bleiben? Mit ihr in diesem Bett zu liegen? Er würde sie nicht anrühren, das hatte er versprochen, nicht bevor nicht dieser blöde Gips und das Korsett wegen ihrer Rippen weg ist und auch wenn es ihm unendlich schwerfallen wird, er wird dieses Versprechen nicht brechen, verdammt noch mal!

Leni hielt noch immer den Kopf gesenkt, aber dann hob sie den Kopf und streckte ihm ihre Hände entgegen.

„Bitte, geh nicht“, sagte sie mit zittriger Stimme, „ich will, dass du bleibst…, bei mir.“

Michael ergriff ihre Hände, dann zog er sie in seine Arme.

„Ich verspreche dir, ich werde dich nicht anrühren, nicht solange du es nicht willst“, sagte er beschwörend, „aber ich freue mich, dass du mir erlaubst, bei dir zu bleiben.“

„Es tut mir leid, ich benehme mich kindisch“, sagte Leni verlegen, „aber ich…“

„Ich verstehe dich doch“, beruhigte Michael sie, „wenn es dich beruhigt kann ich aus Decken einen Wall zwischen uns aufbauen, dann wäre es so wie im Spital.“

Zu seiner Erleichterung schüttelte Leni den Kopf.

„Das brauchst du nicht machen, ich vertraue dir“, erwiderte sie, dann lächelte sie und wurde rot, „mehr als mir“, setzte sie leise hinzu.

„Deine Worte machen mich sehr glücklich“, sagte Michael, er seufzte, „auch wenn es vorerst Worte bleiben müssen.“

Aber küssen durfte er sie und das tat er ausgiebig. Danach half er Leni, ihre Toilettsachen in ihrer Reisetasche zu suchen und zeigte ihr noch im Badezimmer wo sie alles finden würde. Andrea hatte für Leni eine weite Schlafanzugshose bereit gelegt, damit sie auch mit ihrem Gipsbein etwas anziehen konnte und dieses geschützt war.

Dann stand Leni wieder verlegen vor Michael.

„Komm, ich helfe dir mit dem dummen Bein“, sagte er sanft und mit geübten Arzthänden half er Leni sich ins Bett zu legen. Dabei handelte er so routiniert, dass bei Leni gar keine Verlegenheit aufkommen konnte. Danach verschwand er selbst im Badezimmer.

„Du rührst sie nicht an, verstanden?“ beschwor er sein Spiegelbild, „und wenn du alle Reden Ciceros in Latein rezitieren musst, du rührst sie nicht an!“

Mit einem Seufzer wandte er sich ab, dann straffte er seine Schultern und ging zurück ins Zimmer. Goldi war inzwischen auch wieder hereingekommen und hatte es sich auf der weichen Decke, die Andrea für sie in einer Ecke des Zimmers bereit gelegt hatte, bequem gemacht.

 

Dann lagen sie nebeneinander ohne sich zu berühren und keiner der beiden wusste, wie sie die verlegene Stille unterbrechen konnten.

„Liegst du bequem?“ fragte Michael schließlich.

„Ja, danke“, antwortete Leni, dann wieder Stille, Michael glaubte schon, dass Leni eingeschlafen war, aber dann sprach sie doch.

„Deine Freunde sind sehr nett“, versuchte sie doch ein Gespräch.

„Es sind die besten Freunde, die man sich vorstellen kann“, bestätigte Michael, „und eigentlich meine einzigen. Ich war noch nie ein sehr geselliger Typ.“

Leni ging auf seine letzte Bemerkung gar nicht ein.

„Die beiden Kinder, Benny und Vicky sind auch sehr nett“, fuhr sie fort, ihre Stimme wurde unsicherer. Michael sah sie forschend an, aber Leni hatte die Augen geschlossen und keine Regung war in ihrem Gesicht zu erkennen.

„Ja, aber bei solchen Eltern können sie nur nett sein“, versuchte Michael zu scherzen.

„Dich mögen sie auch“, fuhr Leni fort, „und du magst sie auch.“

„Ja, das tue ich“, auf was wollte Leni hinaus?

Langsam glaubte Michael zu ahnen, was in Leni vorging und er nahm sich vor, sich seine Antworten genau zu überlegen.

„Du willst auch einmal Kinder haben?“ fragte Leni nach einer Pause. Nun hatte sie den Kopf von ihm abgewandt

„Ja, vielleicht, irgendwann…“, er wollte ihr Freiraum einräumen, sie sollte nicht glauben, dass er sie deshalb bedrängen würde.

Längere Zeit sagte Leni nichts, aber dann wandte sie ihm den Kopf zu und Michael sah, dass ihr Gesicht tränenüberströmt war.

„Ich würde jetzt mein Baby schon in mir spüren“, sagte sie und ein Schluchzen stieg aus ihrer Kehle auf. Damit war der Damm gebrochen und nun fing sie haltlos zu weinen an.

„Mein Baby, ich…“, sie schlug die Hände vors Gesicht.

Michael warf alle guten Vorsätze über Bord, rückte näher und schloss den vom Weinen geschüttelten Körper in seine Arme.

„Es tut mir so leid“, sagte er behutsam und strich ihr beruhigend über den Kopf und Rücken. Leni klammerte sich verzweifelt an ihn.

„Er hat es getötet, er hat sein eigenes Kind getötet“, schluchzte und rief sie in Michaels schon von Tränen genässtes T-Shirt. Ihr ganzer Körper bebte und wurde vor Schmerz durchgeschüttelt.

„Ich weiß“, sagte Michael leise, er hörte nicht auf, sie zu streicheln. Er wusste, da musste Leni jetzt durch, auch wenn es noch so schmerzhaft für sie war. Durch ihr Beben bekam er ein paar schmerzhafte Stöße von ihrem Gipsbein ab, aber er beachtete es nicht. Er ließ sie ganz einfach weinen, streichelte ihr beruhigend über den Rücken und das Haar, sie sollte wissen, dass er ganz für sie da war. Und Leni spürte es, Michael war ihr Halt, ihr rettender Anker, verzweifelt, wie eine Ertrinkende, klammerte sie sich an ihn, als wäre er der Fels in der Brandung, der Leuchtturm, der den sicheren Hafen versprach.

 

Langsam wurde sie ruhiger, verebbte ihr Schluchzen, wurde zu einem normalen Weinen.

„Ich habe dich ganz nassgeweint“, entschuldigte sie sich und schluckte krampfhaft an den Tränen, die nicht und nicht versiegen wollten.

„Das macht doch nichts“, tröstete Michael sie.

„Weißt du, was das Schlimmste an der ganzen Sache ist?“ fragte sie schniefend, wartete aber gar keine Antwort ab, „ich war doch erst am Anfang des dritten Monats. Es war noch so klein, ich weiß gar nicht, wie…, an wen ich denken soll, ein Junge, ein Mädchen, oder nur Es?“

Ihr Schluchzen wurde wieder lauter.

„Was hättest du denn gerne gehabt?“ fragte Michael ganz sanft.

„Ich weiß nicht“, schluckte Leni an ihren Tränen, „es wäre mir egal gewesen.“

„Vielleicht ein Junge mit deinen braunen Augen, oder ein Mädchen mit deinen blonden Locken?“ versuchte Michael ihr zu helfen.

„Oder mit den roten Haaren von Felix“, kam es verträumt von Leni.

>Jetzt ist nicht die richtige Zeit, eifersüchtig zu sein!< warnte Michaels Gewissen, aber einen Stich gab es ihm trotzdem. Da Michael nichts antwortete, wurde Leni bewusst, was sie gesagt hatte.

„Oh, Michael, es tut mir leid“, sie zog sein Gesicht zu ihr und küsste ihn, „verzeih mir, bitte, verzeih mir“, sie fing wieder zu weinen an.

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen“, erwiderte Michael bewusst ruhig und sanft, „es war ja schließlich sein Kind.“

Leni sagte nichts, sie strich über sein von ihren Tränen schon sehr nasses T-Shirt.

„Was hättest du getan, wenn…“, sie stockte, holte tief Luft, ihr Körper fing zu zittern an, „was hättest du getan, wenn ich das Kind nicht verloren hätte? Wärst du dann auch noch bei…bei mir?“ die letzten Worte flüsterte sie nur mehr.

Michael nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände.

„Leni, mein Engel, ich liebe dich“, sagte er beschwörend, „und ich hätte auch dein Kind geliebt, denn es war ein Teil von dir.“

„Michael, Liebster, ich liebe dich so sehr“, schluchzte Leni wieder, ihr zarter Körper bebte wieder.

„Das ist doch kein Grund zum Weinen“, versuchte Michael ein wenig die Stimmung aufzuhellen.

„Ich weine jetzt ja auch vor Glück“, lachte und weinte Leni nun gleichzeitig.

Michael strich ihr wieder beruhigend über den Rücken.

„Vielleicht solltest du deinem Kind einen Namen geben, dann könntest du mit ihm reden“, schlug er vor.

„Welchen Namen soll ich denn verwenden, wenn ich gar nicht weiß, ob es ein Junge oder ein Mädchen geworden wäre“, gab Leni frustriert zur Antwort.

Zumindest hatte sie zu Weinen aufgehört.

„Was wäre mit Angel?“ sagte Michael, „es ist doch jetzt ein Engel und der Name passt auf beide Geschlechter. Ich glaube mich zu erinnern, dass Engel geschlechtslos sind.“

Leni schien zu überlegen.

„Das ist ein schöner Gedanke“, sagte sie dann, „aber das mit dem geschlechtslosen Engel stimmt nicht“, jetzt gelang ihr sogar ein Lächeln und sie gab Michael einen Kuss, „ich kenne zumindest einen männlichen Engel, denn du bist mein Engel.“

„Leni, das bin ich nicht“, wehrte sich Michael, „das habe ich dir schon oft gesagt, ich habe genug Fehler und vor allem im letzten Jahr habe ich…“

„Nein“, Leni suchte seinen Mund und legte dann zwei Finger auf seine Lippen, „wir haben Fehler gemacht, aber es ist vorbei und nun sind wir zusammen.“

Michael zog ihre Finger von seinen Lippen.

„Und zusammen sind wir stark, gehört uns die ganze Welt“, sagte er lächelnd, dann küsste er sie lang und innig. Leni kuschelte sich seufzend ganz eng in seine Arme.

„Und du bist doch mein Engel“, murmelte sie, langsam wurde ihr Atem ruhiger, nur manchmal entwich ihr noch ein schmerzhafter Seufzer, aber dann glitt sie doch in den Schlaf hinüber.

Michael hielt ihren warmen Körper in seinen Armen, spürte ihre Brust an seiner, ihr weiblichen Formen, die sich perfekt an seinen Körper schmiegten, aber zu seiner Erleichterung spürte er nur Liebe und kein heißes Begehren. Ja, er würde warten, bis Leni bereit war und er wusste jetzt, dass er es schaffen würde.

 

Kapitel 3

Es dämmerte noch kaum, als Michael wach wurde. Es war noch früh am Morgen, aber trotzdem wunderte er sich, dass er so lange geschlafen hatte, denn normalerweise brauchte er nur wenig Schlaf. Ein Seufzen ließ ihn neben sich blicken. Leni lag noch genauso wie am Vorabend in seinen Armen, eng an ihn gedrückt und schlief. Ihre blonden kurzen Locken waren zerzaust und umgaben ihren Kopf wie ein Goldgespinst. Ihre Augen waren geschlossen und ihre langen Wimpern warfen Schatten auf die schmalen Wangen. Noch immer hatte sie dunkle Ränder unter ihren Augen, aber es waren weit weniger als gleich nach den Verletzungen. Auf ihrem schönen Mund lag ein kleines Lächeln und Michael hätte diesen Mund jetzt gerne geküsst, aber er wollte ihren Schlaf nicht stören. So gab er sich mit der Betrachtung ihres Gesichtes zufrieden.

In Gedanken ging er seine nächsten Vorhaben durch. Als erstes wollte er heute in seine Wohnung fahren, um ein paar wichtige Dinge zu holen. Morgen, Montag, wollte er in die Klinik fahren, um über seine berufliche Zukunft zu sprechen. Und dann wollte er unbedingt für Leni ein Handy besorgen und auch einen Computer, damit sie wieder soziale Kontakte pflegen konnte. Ob sie beim Einkauf dabei sein möchte, würde er ihr überlassen, aber wenn nicht, dann musste sie ihm genau sagen, welche Anforderungen sie an das Gerät hatte, also würden sie beide heute eine ganze Zeit an seinem Computer verbringen um im Internet das richtige Gerät heraus zu suchen

Er lächelte in sich hinein, es war für ihn eine Umstellung, jetzt nicht nur für sich allein alles zu bedenken, sondern, dass da nun noch eine Person war, die er in seine Planungen mit einbeziehen musste. Die schönste Umstellung, die er sich denken konnte!

Aus seinem Lächeln wurde ein ironisches, bitteres. Auch mit seiner Exfrau Lisa war er zu zweit gewesen, aber von gemeinsamer Planung war nur selten die Rede gewesen, meist hatte Lisa ihn vor vollendete Tatsachen gestellt und er musste ausführen, was sie wollte.

Wie anders war da Leni!

Immer bedacht, dass vor allem seine Interessen gewahrt blieben, dass ja er nicht zu kurz kommen würde. Selbst voller Schmerzen im Spital war sie mehr um ihn als um sich selbst besorgt, fühlte sich schuldig, dass er die Tage bei ihr vertrödelte, wie sie es nannte und es doch nicht aushielt, wenn er auch nur für kurze Zeit aus dem Zimmer verschwand. Aber auch er selbst wollte von ihr nicht weg, jede Sekunde ohne sie war für ihn verlorene Zeit. Das vergangene Jahr hatte in ihnen beiden sichtlich eine Verlustangst freigesetzt und erst im Lauf der nächsten Zeit würde sich das hoffentlich wieder etwas bessern.

Leni regte sich in seinen Armen, ihr Atem wurde unregelmäßiger, ihre Hand krabbelte langsam und hauchzart über seine Brust nach oben. Er ergriff die Hand und küsste deren Fingerspitzen.

„Guten Morgen, mein Engel“, sagte er leise, nicht sicher, ob sie wirklich wach war.

„Falsch“, kam es verschlafen murmelnd von ihr, „ich bin die Zicke und du der Engel, schon vergessen?“

„Guten Morgen, Zicklein“, sagte Michael nun lächelnd und gab ihr einen Kuss.

Leni zog seinen Kopf noch enger an sich und verstärkte den Kuss.

„Guten Morgen“, sagte sie nun und ein glückliches Lächeln erstrahlte ihr Gesicht.

„Wie spät ist es?“ fragte sie nach einer Weile.

„Noch sehr früh, kaum sechs Uhr“, erwiderte Michael nach einem Blick auf seine Uhr.

„Das muss vom Spital sein, dort wurden wir ja auch immer zur nachtschlafender Zeit geweckt, aber ich will noch nicht aufstehen“, gab Leni unwillig zur Antwort.

Sie wollte noch nicht munter werden, sich nicht aus den Armen Michaels lösen. Sie lag so sicher und geborgen in seinen Armen wie ein Vögelchen im Nest und sie wünschte sich, dass es so bleiben würde.

„Wir müssen auch noch nicht aufstehen“, beruhigte Michael sie, „Andrea und Peter genießen bestimmt ihren freien Sonntag und werden noch lange nicht aufstehen.“

„Das ist gut“, murmelte Leni und schloss wieder ihre Augen.

„Was hast du heute vor?“ fragte sie nach einer Weile.

„Ich möchte in meine Wohnung fahren, um mir ein paar wichtige Sachen zu holen“, erklärte Michael, „denn ich werde morgen ins Spital fahren, um mich über meine Jobaussichten zu informieren.“

„Ja, Morgen ist Montag“, sagte Leni so traurig, als würde an diesem Tag etwas sehr Unangenehmes passieren und genauso war es auch für sie, denn ab Morgen würden Michael und sie jeden Tag viele Stunden getrennt sein. Michael streichelte ihr Gesicht, gab ihr einen zärtlichen Kuss.

„Ich will auch nicht von dir getrennt sein, aber irgendwann muss ich wieder zu arbeiten anfangen“, versuchte er sich zu erklären.

„Natürlich sollst du wieder deinem Beruf nachgehen, du liebst und brauchst deinen Beruf. Ich bin nur kindisch, verzeih mir“, schüttelte Leni ihren Kopf.

„Du bist nicht kindisch“, Michael nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und küsste sie wieder zärtlich, „mir fällt die Trennung genauso schwer, aber leider bin ich kein Millionär.“

Wieder schwieg Leni, ihre Hand streichelte gedankenverloren über seine Brust, Michael hielt sie fest.

„Du willst wohl meine Selbstbeherrschung prüfen?“ versuchte er zu scherzen.

„Oh, Entschuldigung.“ Leni wurde rot und versuchte, ihm ihre Hand zu entziehen.

„Nein, lass sie dort liegen, nur bewege sie nicht“, bat er.

Lenis Hand erstarrte in seiner, was ihm ein Lächeln entlockte und sie ganz einfach küssen musste.

„Meine Selbstbeherrschung ist auch nicht endlos“, sagte sie nachher etwas atemlos.

„Vielleicht sollten wir doch einen Zaun zwischen uns ziehen“, grinste Michael.

„Untersteh dich“, war Lenis empörte Antwort, sie seufzte, „wie lange noch?“

„Da du durch deine anderen Verletzungen lange ruhig gelegen bist und dadurch das Bein sehr geschont hast, wirst du den Gips früher als allgemein üblich loswerden. Ich schätze so zwei bis drei Wochen.“

„Zwei, drei Wochen?“ Leni klang zuerst entsetzt, aber dann resignierte sie, „ein zwei-, oder dreiwöchiger Urlaub scheint so kurz zu sein, aber wenn man darauf wartet, dass die Zeit vergeht…“

„Die Zeit wird schneller vergehen, als wir jetzt glauben“, versuchte Michael sie zu trösten und sich selbst auch, „wir haben in nächster Zeit viel zu tun. Ich will dir als erstes ein Telefon und einen Computer kaufen, damit du wieder an der Außenwelt teilnehmen kannst und vor allem deine geliebten Hörbücher wieder hören kannst. Wenn du den Gips los bist, wirst du einige physikalische Therapien und auch gymnastische Übungen brauchen, damit dein Bein wieder Muskeln aufbauen kann. Und dann müssen wir uns dringend um eine Wohnung umsehen, denn das hier ist zwar von Andrea sehr nett gemeint, aber keine Dauerlösung.“

„Eine neue Wohnung“, sinnierte Leni, „ist deine wirklich zu klein? Ich brauche nicht viel Platz und Goldi auch nicht. Vielleicht könnten wir doch in deiner Wohnung wohnen?“

„Nein, mir hat sie zwar genügt“, wehrte Michael ab, „aber für zwei Personen ist sie zu klein. Im Schlafzimmer hat kaum mehr als ein Bett und ein kleiner Schrank Platz, im Wohnzimmer, dass ich hauptsächlich als Arbeitszimmer verwendet habe, streiten sich der Schreibtisch und die Couch um den beengten Platz und in der Küche kann sich nur die Kaffeemaschine oder ich aufhalten, denn für uns beide ist nicht genug Platz.“

„Du übertreibst“, kicherte Leni.

„Komm heute mit und du kannst dich selbst davon überzeugen“, schlug Michael vor.

„Ich darf deine Wohnung sehen?“ wunderte sich Leni.

„Warum denn nicht? Ich meine natürlich nur, wenn es für dich nicht zu mühsam ist.“

„Ich würde schon gerne deine Wohnung sehen“, erwiderte Leni, „sehen, wie du lebst, denn eigentlich weiß ich noch immer nicht viel von dir.“

„Über mich gibt es auch nicht viel zu wissen“, wehrte Michael ab, „und ich habe meine Wohnung eigentlich immer nur als Schlafstätte gesehen, nie als das Nest, dass ich mir gerne bauen würde und jetzt, nach dem langen Jahr der Abwesenheit, ist mir die Wohnung überhaupt fremd geworden.“

Leni sagte eine ganze Weile nichts darauf.

„Erzählst du mir, was du in dem Jahr erlebt hast?“ fragte sie dann leise.

„Ich war für die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ in Uganda und habe dort in einem Spital gearbeitet“, er versuchte so beiläufig wie möglich zu antworten.

„Das war alles?“ Leni klang ungläubig.

„Ja.“

„Du lügst“, stellte sie fest.

„Warum sollte ich lügen?“ Michael Stimme klang gelangweilt, aber Leni ließ sich nicht täuschen.

„Ich kenne jede Nuance deiner Stimme und ich weiß, dass du mir etwas verheimlichst“, sagte sie ihm auf den Kopf zu.

„Leni“, Michael zögerte, „ich will es dir nicht erzählen, es könnte dich verschrecken.“

Sie holte tief Atem, noch immer taten ihr die Rippen dabei weh, aber noch ein anderer Schmerz baute sich in ihr auf.

„Gab es eine andere…eine andere Frau?“ ihre Stimme zitterte.

>Du hast versprochen, ab nun immer die Wahrheit zu sagen<, stieß ihn sein Gewissen an und es hatte recht.

„Nein, mein Zicklein“, Michael gab ihr einen kleinen Kuss auf ihre kecke Nase, „keine andere Frau, zumindest nicht so, wie du es vermutest.“

„Was vermute ich denn?“ kam es spitz zurück.

„Wenn du mir versprichst, nicht so auszurasten wie vor einem Jahr, dann werde ich dir die Wahrheit erzählen, ohne etwas zu beschönigen“, versprach Michael.

„Versprochen“, sagte Leni, aber ihr Herz erzitterte vor Schmerz, was kam jetzt?

>Egal, mit wem und wie oft er in dem Jahr mit anderen Frauen Sex hatte, jetzt ist er bei dir und liebt dich und vergiss nie, dass du in der Zeit mit einem Mann sogar zusammen gelebt hast<, war ihr Gewissen gnadenlos.

Michael holte noch einmal tief Atem.

„Vier Wochen, bevor ich wieder nach Hause fuhr, kam meine Ablösung, eine niederländische Ärztin, Grietje, so ein Pferdestehltyp und wir verstanden uns gut, als Kollegen“, fing er an und dann erzählte er Leni von dem Gespräch, in dem Grietje von ihrem 15 Jahre jüngeren Mann erzählt hatte und dass dieser vor einigen Jahren an Krebs gestorben war. Er erzählte weiter, wie sie beide um ihre verlorene Liebe getrauert hatten und dann im Bett gelandet waren.

„Es war keine Leidenschaft“, gestand Michael, „es war meine Trauer um deine Liebe, die ich verloren glaubte und ihre Trauer um ihren verstorbenen Mann. Es war mehr wie ein freundschaftlicher Kuss, friedlich und schön, aber ohne Verlangen nach mehr.“

Lange, sehr lange kam von Leni nichts, aber dann.

„Hattest du seither mit ihr Kontakt?“ ihre Stimme zitterte.

„Als ich in Berlin bei der Organisation war, bat ich den Mitarbeiter, Grietje auszurichten, dass ich meinen Schatz gefunden habe und ein paar Tage später kamen Glückwünsche von ihr. Aber sonst gab es keinen Kontakt und wird es wahrscheinlich auch keinen mehr geben.“

Wieder schwieg Leni eine ganze Weile.

„Ich glaube, ich kann es verstehen“, sagte sie dann leise, „ihr ward beide wie zwei Ertrinkende, die versuchten, sich gegenseitig Halt zu geben. Das mit ihrem Mann war ja wirklich tragisch.“

Nun runzelte Leni ihre Stirn.

„Aber das war‘s nicht, oder?“ fragte sie herausfordernd.

„Ich hatte ein, naja, interessantes Erlebnis“, sagte Michael erleichtert, dass Leni die Sache mit Grietje so leicht weggesteckt hatte, aber nun war er unsicher. Sollte er ihr sein Erlebnis mit den Rebellen wirklich erzählen? Leider wusste er nur zu gut, dass Leni nicht aufgeben und immer wieder nachfragen würde. Eigentlich wollte er ihr es erst später, irgendwann erzählen, wenn das Jahr weit in die Vergangenheit gerückt war, aber war nicht jetzt die beste Gelegenheit? In den nächsten Wochen würden sie kaum Zeit für besinnliche Gespräche haben und jetzt, hier im Morgengrauen, wo alles rundherum noch schlief und sie sicher und geborgen in seinen Armen lag, war vielleicht wirklich der richtige Augenblick dafür.

„Es weiß hier niemand davon, weder meine Eltern, noch meine Freunde“, begann er, „du bist die Erste, mit der ich darüber spreche.“

Und dann erzählte er ihr von dem Jahr, von seiner Erschütterung über die Armut der Menschen dort, die Verzweiflung der Flüchtlinge, sein Kampf um deren Leben und über all die anderen Arbeiten, die er außerhalb seiner ärztlichen Tätigkeiten noch verrichtete. Erst als er ihr sein Leben dort begreiflich gemacht hatte, erzählte er ihr von den Rebellen, von Shujaa und Jabari. Er versuchte, es so sachlich wie möglich zu formulieren, aber er wusste, dass er Leni nicht täuschen konnte.

Leni wurde ganz still, nur ihr Körper erzitterte manchmal.

Als er geendet hatte, war es eine zeitlang totenstill, nur das leise Schnarchen von Goldi war zu hören.

„Sie hätten dich töten können“, kam es dann entsetzt von Leni.

„Ja, aber ich musste versuchen, diese Frauen zu retten“, versuchte Michael es zu erklären.

„Sie hätten dich töten können, ganz leicht“, kam es wieder von Leni, ihre Stimme brach und dann fing sie zu weinen an.

„Wenn du gestorben wärst, mein Gott!“ schluchzte sie und schlug die Hände vors Gesicht, „das wär zu viel gewesen. Das hätte ich nicht ausgehalten!“

„Aber Liebes“, Michael zog ihr die Hände vom Gesicht, „du hättest es doch gar nicht erfahren. Da warst du doch schon längst in Berlin.“

„Nicht erfahren?“ Lenis Stimme wurde lauter, schriller, „natürlich hätte ich es erfahren! Du vergisst, dass meine Mutter mit deinen Eltern befreundet ist! Sie hätte es mir sofort erzählt, mein Gott. Du hättest tot sein können!“

Leni konnte sich nur zu gut vorstellen, wie sie es erfahren hätte, sie hörte geradezu die Stimme ihrer Mutter:

>Ach übrigens Schätzchen, ich weiß nicht, ob du dich überhaupt noch erinnern kannst, aber der Sohn meiner Freunde, dieser nette Arzt, ist irgendwo in der Wildnis ums Leben gekommen. Seine Eltern sind ganz gebrochen. Und wie geht es dir und Felix?<

Ja, ganz genauso hätte sie es erfahren und sie hätte es nicht überlebt! Nur der Gedanke allein, dass so etwas hätte passieren können, raubte ihr vor Entsetzen den Atem.

„Ich hätte es nicht ausgehalten, wenn du…“, schluchzte sie.

„Es ist ja gut ausgegangen“, tröstete er sie und zog sie noch enger an sich, „ich bin gesund und bei dir.“

Leni war so entsetzt, dass sie noch eine ganze Weile brauchte, bis sie sich wieder gefasst hatte, aber eine Erkenntnis dämmerte in ihr auf und diese entsetzte sie noch viel mehr.

Als sie wieder sprach, wurde Michael schlagartig klar, wie sehr sie ihm bis auf den Grund seiner Seele sehen konnte.

„Du wirst immer wieder so handeln“, stellte sie mit erstaunlich ruhiger Stimme fest, obwohl sie innerlich ganz und gar nicht so ruhig war, aber sie versuchte es mit aller Kraft, denn es war zu wichtig, was sie ihm jetzt sagen wollte.

„Was?“ erstaunt sah Michael sie an, „wie kommst du darauf?“ fragte er sie bestürzt.

Sie strich ihm zärtlich über die Wange.

„Ich weiß, dass du wieder für Ärzte ohne Grenzen oder sonst irgendeine Organisation auf Einsatz gehen wirst“, versuchte sie ihm ruhig zu antworten, „und ich weiß, dass du in so einer Situation wieder genauso handeln würdest, ohne Rücksicht auf dein eigenes Leben.“

„Leni, ich…“, er wusste nicht, was er sagen sollte.

„Ich will dir damit nur sagen, dass ich dich verstehe“, fuhr sie fort, „auch wenn ich es nicht gutheiße, wenn du dein Leben aufs Spiel setzt und sollte dir etwas passieren, ich es wahrscheinlich nicht überleben werde. Aber du kannst dir immer gewiss sein, dass ich verstehe, warum du so und nicht anders handeln kannst.“

Sie verteilte viele kleine Küsse auf seinem Gesicht, ihre Tränen nässten seine Wangen.

„Denn das bist du“, sagte sie zärtlich, „und weil du bist, wie du bist, liebe ich dich über alles und das wird sich nie ändern!“

Michael drückte sie an sich und küsste sie innig.

„Du bist das außergewöhnlichste Wesen, das mir jemals untergekommen ist“, sagte er voller Liebe, „du kennst mich besser als ich mich selbst“, er streichelte ihr Gesicht, „du hast recht, ich werde wieder auf Einsatz gehen, aber nur kurz und ich verspreche dir, dass ich mein Leben nie wieder leichtfertig aufs Spiel setzen werde.“

„Versprich nicht, was du nicht halten kannst“, wehrte Leni ab und es gelang ihr sogar ein kleines Lächeln.

Michael wusste darauf nichts zu sagen, was sollte er auch sagen, wenn es die Wahrheit war? Auch wenn er sich vornehmen würde, sein Leben nicht aufs Spiel zu setzen, würde er in einer vergleichbaren Situation wieder genauso handeln. Und obwohl er Leni um keinen Preis der Welt Schmerzen der Trauer zufügen möchte, gab ihm ihr Verständnis ein beruhigendes Gefühl, aber die Vorstellung, dass sie sich vielleicht was antun könnte, wenn er…

„Leni, versprich mir, dass du keine Dummheiten begehst, sollte mir etwas passieren“, forderte er eindringlich.

„Mein Versprechen ist so ehrlich wie deines“, antwortete sie kryptisch.

Sie hielten sich im Arm und jeder von ihnen wusste, dass diese Versprechen nicht standhalten würden, nicht standhalten konnten.

Ein leises Klopfen riss sie aus der trüben Stimmung.

„Onkel Michi, bist du wach?“ ertönte Bennys Kinderstimme.

„Sind wir wach?“ fragte Michael Leni leise, worauf diese schmunzelnd nickte.

„Ja, du Störenfried, wir sind wach“, rief Michael und gleich darauf stürmte Benny ins Zimmer, gefolgt von einer etwas schüchternen Vicky.

„Wir wollen fragen, ob wir mit Goldi in den Garten gehen dürfen“, fragte Benny und seine Augen glänzten vor Erwartung.

Goldi hatte sich aufgesetzt und sah die Kinder neugierig an.

„Es ist kalt draußen“, versuchte Michael die Begeisterung des Jungen zu dämpfen.

„Ich hab doch eh‘ Stiefel und Handschuhe an“, erwiderte Benny empört.

Er hob einen Fuß und tatsächlich hatte er Stiefel an, in die er seine Pyjamahose gestopft hatte, auch hatte er Handschuhe an. Auch Vicky zeigte, dass sie Stiefel und Handschuhe anhatte.

„Ihr dürft mit Goldi in den Garten“, lachte Michael, „aber so nicht!“

Er beugte sich zu Leni und gab ihr einen Kuss.

„Bleib liegen, ich bin gleich wieder hier“, sagte er leise und dann erhob er sich.

„Kommt Kinder, wollen wir doch schauen, ob wir nicht noch auch Hosen und Jacken für euch finden.“

Leni hörte Michaels kraftvollen Schritte und das Trippeln der Kinder, als sie aus dem Zimmer verschwanden.

Goldi kam zu ihr ans Bett und holte sich Streicheleinheiten und während Leni ihr gedankenverloren den Kopf kraulte, begannen ihre Gedanken zu wandern.

Würde es so sein, wenn sie einmal selbst Kinder hatten? Eine Rasselbande, die zu passenden und unpassenden Gelegenheiten ihr Schlafzimmer stürmen werden?

Ach wie schön wird das sein!

Und wenn Michael schon so nett zu fremden Kindern war, wie würde er erst zu eigenen Kindern sein?

>Der beste Vater der Welt, was sonst?!<

Kapitel 4

Als alle später bei einem gemütlichen Frühstück zusammen saßen, auch Michaels Eltern waren noch einmal eingetroffen, bevor sie nach Hause fahren wollten, erzählten die Kinder mit hochroten Wangen von ihrem Erlebnis mit Goldi im Garten.

„Ich habe sie berührt“, strahlte Vicky, „und sie hat ganz ruhig dagesessen.“

„Ja, weil ich ihr erklärt habe, dass du Angst vor ihr hast“, erklärte Benny, ganz großer Bruder, „Goldi ist noch viel klüger als diese doofen Filmhunde.“

Die so Hochgelobte saß neben ihrem Frauchen mit dem Kopf auf deren Knie, in der Hoffnung, etwas vom Frühstück abzubekommen.

„Ich hoffe, es hat euch nicht gestört, dass euch die beiden überfallen haben“, sagte Andrea, „sonst erstürmen sie immer unser Schlafzimmer.“

„Ich hoffe ihr habt es genossen, dass sie diesmal ein anderes Schlafzimmer erobert haben“, grinste Michael.

„Das haben wir“, antwortete Peter ebenfalls grinsend und gab der errötenden Andrea einen Kuss.

„Und was habt ihr heute so vor?“ versuchte Andrea wieder auf neutrales Gebiet vorzustoßen.

„Ich will in meine Wohnung, ein paar Sachen holen und dann will ich mich im Internet umschauen, ob ich für Leni einen passenden Computer finde.“

Peter fiel etwas ein.

„Vielleicht brauchst du das gar nicht“, sagte er, „wir haben in unserer Kanzlei einen Mitarbeiter, der ebenfalls schwer sehbehindert ist und der hat einen speziellen Computer. Er kann dir bestimmt sagen, wo du so ein Gerät am besten bekommst.“

„Das ist eine hervorragende Idee“, nickte Michael, „frage ihn bitte gleich morgen.“

Peter sah Leni überlegend an.

„Leni, ich weiß von Michaels Eltern, dass du in einem Callcenter gearbeitet hast, möchtest du wieder arbeiten?“

„Auf jeden Fall“, nickte Leni, „sobald ich wieder gesund bin, suche ich mir wieder etwas.“

„Kannst du etwas englisch?“ fragte Peter weiter.

„Ja“, antwortete Leni, die nicht wusste, worauf Peter hinauswollte, „es waren auch viele ausländische Anrufer im Callcenter dabei. Ich kann englisch mehr oder weniger fließend sprechen, französisch nicht ganz zu so gut und etwas italienisch.“

„Sag nie wieder, dass du ungebildet bist“, sagte Michael leise zu ihr.

„Dieser sehbehinderte Mann, von dem ich vorhin gesprochen habe, betreut unsere Telefonkunden. Nun geht der Mann in einigen Monaten in Pension und wir suchen einen Nachfolger für ihn. Vielleicht wäre das etwas für dich“, fuhr Peter, an Leni gewandt, fort.

„In einer Anwaltskanzlei?“ fragte Leni erstaunt, „aber ich habe keine Ahnung von Gesetzen und Paragraphen!“

„Das müsstest du auch nicht“, antwortete Peter lächelnd, „oder zumindest nicht sehr viel. Dazu musst du wissen, dass ich in einer großen Kanzlei arbeite und unser guter Herr Müller ist die erste Anlaufstelle bei uns. Er fragt die Anrufer nach ihren Problemen verbindet diese an den dafür zuständigen Anwalt, oder zumindest an dessen Sekretärin und kann auch über Termine Auskunft geben. Er vertröstet die Leute, die in der Warteschleife hängen und beruhigt die oft aufgebrachten Klienten. Und in ganz geringem Umfang kann er auch rechtliche Auskünfte erteilen. Wenn du Interesse hast, kannst du einmal mitkommen und dir anhören, was der Mann so macht.“

Leni wandte den Kopf Michael zu.

„Glaubst du, dass ich so etwas schaffen kann?“ fragte sie zweifelnd.

„Natürlich, mein Liebling“, redete Michael ihr gut zu, „wenn du das gerne machen möchtest, dann mach es!“

Leni sah etwas hilflos aus.

„Ich würde schon gerne“, sagte sie unsicher, „aber ich habe noch nie so etwas gemacht. Das ist so viel mehr, als die Arbeit im Callcenter.“

„Bestimmt nicht“, wehrte Peter ab, „du hast doch dort auch öfters aufgebrachte Anrufer beruhigen müssen, oder?“ als Leni bejahte, fuhr er fort, „siehst du, das ist bei uns nicht viel anders. Du hättest für uns vor allem den großen Vorteil, dass du Fremdsprachen kannst, denn Herrn Müller spricht nur Deutsch und das bedeutet für uns und unsere Vorzimmerdamen vermehrt Arbeit. Ich glaube, du wärst uns eine große Hilfe.“

Leni machte noch immer einen unsicheren Eindruck.

„Lass dir Zeit“, beruhigte Peter sie, „erst muss dein Gips weg und wenn du willst, kommst du einmal mit mir mit und hörst Herrn Müller zu, was er so macht und dann kannst du dich noch immer entscheiden.“

„Leni, das solltest du wirklich probieren“, redete ihr auch Michaels Mutter zu.

„Du kannst es“, sagte Michael bestimmt und drückte Lenis Hand.

Leni musste wider Willen lachen.

„So gut kennt ihr mich doch gar nicht, vielleicht bin ich eine dumme Nuss.“

Jetzt ging die Empörung los, jeder wollte ihr bestätigen, dass das nicht so war. Aber nur Michaels Argument kam bei ihr durch.

„In eine dumme Nuss hätte ich mich nie verliebt“, sagte er leise an ihr Ohr, „ich bevorzuge kleine Zicken.“

„Arroganter Macho“, gab Leni verliebt und ebenso leise zurück.

Michaels Eltern verabschiedeten sich und Michael schlug vor, jetzt in seine Wohnung zu fahren, da bemerkte er, dass Leni etwas wollte, aber nicht damit herausrückte.

„Leni, dich bedrückt doch etwas“, sagte er besorgt, „sag mir, was los ist, damit ich dir helfen kann.“

„Ich würde gerne meine Mutter anrufen“, gestand Leni verlegen, „aber ich habe doch kein Telefon.“

„Ach Liebes, wie dumm von mir“, erwiderte Michael betroffen, „natürlich willst du das, warum hast du es mir nicht schon eher gesagt?“

„Naja, weil ich…“, Leni stand mit gesenkten Kopf vor ihm und Michael schwante etwas.

„Hat dir Felix verboten, mit deiner Mutter zu telefonieren?“ fragte er und Zorn stieg in ihm auf.

„Ich musste immer sehr lange darum betteln“, gestand Leni beschämt.

Michael zog sie in seine Arme und streichelte über ihren Rücken.

„Nie wieder sollst du um etwas betteln müssen“, sagte er liebevoll, „das verspreche ich dir.“

Er zog sie neben sich auf die Couch in Andreas und Peters Wohnzimmer. Er wählte nach Angabe von Leni die Nummer ihrer Mutter an und gab ihr dann sein Telefon.

„Ich lass dich allein, damit du in Ruhe telefonieren kannst“, sagte er und wollte sich erheben.

„Nein, bitte bleib bei mir, ich brauche nicht lange“, bat Leni und zog ihn wieder neben sich.

Dann sprach sie mit ihrer Mutter, versicherte tausendmal, dass alles in Ordnung war und sie sehr glücklich war. Und ja, das würde sie auch sagen, wenn Michael nicht neben ihr sitzen würde.

Am Schluss hatte ihre Mutter noch etwas auf ihrem Herzen.

„Leni, ich habe Tina alles erzählt, sie würde dich so gerne besuchen, aber sie hat ein schlechtes Gewissen“, gestand Inge.

„Ich will mit ihr nichts mehr zu tun haben“, knurrte Leni aufgebracht, „sie war schuld, dass ich mit Michael gestritten habe und auf Felix reingefallen bin.“

„Ach Kindchen, sei doch nicht so“, beschwor Inge ihre Tochter, „gib ihr noch eine Chance. Sie war doch deine beste Freundin.“

„Eine falsche Schlange war sie“, gab Leni zurück und danach verabschiedete sie sich eher kurz angebunden von ihrer Mutter.

„Ging es um deine Freundin Tina?“ fragte Michael und Leni nickte mit mürrischem Gesicht.

„Liebes, ich will dir nicht dreinreden“, sagte er behutsam, „aber du solltest mit ihr reden. Dir ihre Gründe anhören, warum sie damals so gehandelt hat. Vielleicht klärt sich dann alles auf.“

„Sie hat uns ein Jahr gestohlen“, war Leni unversöhnlich, „und in Folge ist sie schuld daran, dass ich mein Kind verloren habe.“

Michael nahm sie in seine Arme.

„Leni, nein, jetzt gehst du zu weit“, sagte er ernst, „daran ist nur Felix schuld und sonst niemand. Sonst könntest du genauso gut sagen, dass ich am Tod deines Kindes schuld bin, denn ich habe dich im Stich gelassen.“

Leni wurde bleich.

„Das würde ich nie sagen, nicht mal denken“, stammelte sie entsetzt, „das stimmt doch auch nicht.“

„Genau.“

Mehr sagte Michael nicht, aber es genügte, um Leni zur Besinnung kommen zu lassen.

„Es tut mir leid“, sagte sie leise und beschämt.

„Ich bringe dir morgen ein Telefon und dann kannst du sie anrufen“, bot Michael an, „rede mit ihr und dann kannst du noch immer entscheiden, ob du eure Freundschaft wieder aufleben lassen willst, oder nicht.“

Leni seufzte, Michael hatte recht, wieder einmal!

Später in seiner Wohnung musste Leni lachen, als sie sich an seinem Couchtisch das Knie anstieß, in der Küche fast gegen eine Wand lief und als sie zurückwich, Goldi auf die Pfote trat, die es mit einem empörten Quieken quittierte.

„Du hast recht“, kicherte sie, „deine Wohnung und mein Gipsbein stehen auf Kriegsfuß, das würde auf Dauer wahrscheinlich nicht gut gehen.“

„Das habe ich doch gesagt“, antwortete Michael lapidar, er suchte gerade seine Sachen zusammen, wanderte dabei durch die ganze Wohnung.

„Aber so klein, wie du gesagt hast, ist die Wohnung doch gar nicht“, widersprach sie, „ohne den blöden Gips könnten wir hier sehr wohl wohnen.“

„Ich will dir das nicht zumuten, auch ohne Gipsbein“, wehrte Michael ab.

Leni sagte nichts darauf, sie sah nachdenklich aus.

„Michael, kommst bitte zu mir?“ bat sie.

Sofort kam Michael zu ihr und setzte sich neben sie auf die Couch.

Ihre krabbelten Finger suchten sein Gesicht und dann streichelte sie über seine Wange.

„Liebling, du würdest mir damit nichts zumuten“, sagte sie so ernst wie möglich, „mir ist nicht wichtig, wie und wo ich wohne, wenn ich nur mit dir zusammen sein kann.“

Michael küsste ihre Fingerspitzen.

„Ich liebe dich, mein kleines Zicklein“, er sah sich im Raum um, natürlich hatte er übertrieben, als er behauptet hatte, dass die Wohnung winzig sei, aber sie war eben auch nicht sehr groß.

Der eigentliche Grund, warum er mit Leni in dieser Wohnung nicht leben wollte, war ein ganz anderer, aber das wollte er sich nicht eingestehen. In dieser Wohnung hatte er durchaus vergnügliche Stunden mit Christina verbracht und er wollte Leni nicht in der gleichen Wohnung, nicht im gleichen Schlafzimmer haben. Dumm, aber so war es eben.

Leni deutete sein Schweigen richtig.

„Christine war öfters hier, richtig?“ sagte sie ihm auf dem Kopf zu.

Sie wäre wohl erstaunt gewesen, wenn sie gesehen hätte, dass Michael vor Verlegenheit rot wurde.

„Ja“, gab er nach einer Pause zu.

„Michael, es macht mir nichts aus“, Leni versuchte, ihrer Stimme Festigkeit zu geben, „es ist doch nur logisch, dass Christine, wenn sie dich besucht hatte, hier bei dir in dieser Wohnung war. Du bist ein erwachsener Mann mit ganz normalen Bedürfnissen und ich war damals zu dumm, um es zu begreifen.“

„Leni, ich…“, dann seufzte er, „du siehst mir wieder einmal auf den Grund meiner schwarzen Seele."

„Keine schwarze Seele“, schüttelte Leni den Kopf, „keine strahlt heller als deine.“

Nun musste Michael lachen.

„Wir sollten uns nicht über die Helligkeit von Dingen unterhalten, die es gar nicht gibt“, sagte er nun wieder gut gelaunt. Er erhob sich und zog Leni mit hoch, „komm, ich bin fertig, wir können gehen.“

„Michael“, hielt Leni ihn zurück, „es macht mir wirklich nichts aus.“

Er runzelte die Stirn.

„Ist es dir unangenehm, bei Andrea und Peter zu wohnen?“ fragte er besorgt.

„Nein, überhaupt nicht“, beeilte sich Leni zu antworten, „ich will nur niemand zur Last fallen.“

„Das braucht dir nicht unangenehm zu sein“, erwiderte Michael, „im Gegenteil, sie freuen sich, dir, uns helfen zu können“, ein kurzes Lachen entwich ihm, „vor allem mir! Beide waren schon äußerst besorgt wegen meines frauenlosen Zustands.“

„Na, so ganz frauenlos war es nicht“, rutschte Leni heraus.

„Ich meinte damit eine Partnerin an meiner Seite und nicht die Ausgewogenheit meines Hormonhaushaltes“, erwiderte Michael abwehrend.

„Das hat Christine nicht verdient“, widersprach Leni heftig, ihr Gesicht drückte Empörung aus und ihre Nase reckte sich noch auffordernder in die Luft, „ihr hattet eine lockere Beziehung, gut, aber bestimmt viel Spaß dabei, also stehe jetzt auch dazu.“

Michael sah sie nur an, sagte nichts dazu, konnte nichts sagen, er war viel zu fasziniert von dem kampfbereiten Persönchen vor ihm.

„Denn wenn es dir nur um deinen Hormonhausgalt gegangen wäre, dann müsste ich doch glauben, dass dir gewisse Sachen keinen Spaß machen und das fände ich sehr schade“, hatte Leni am Anfang noch heftig gesprochen, so wurde sie zum Ende hin in dem Ausmaß leiser, wie sie immer mehr errötete.

Michael zog sie in seine Arme.

„Du hast keine Ahnung, wie viel Spaß mir gewisse Dinge machen“, sagte er leise an ihr Ohr, „und ich verdamme jede Nacht dein Gipsbein.“

„Ich auch“, hauchte Leni, nun noch röter werdend.

„Zwei Wochen noch“, sprach Michael ihr und sich selbst Mut zu.

„Vielleicht könnten wir trotz des Gipsbeines…“, jede Tomate verblasste neben Lenis Gesichtsfarbe.

Verdammt, sie hatte mit einem Mann zusammengelebt, warum fühlte sie sich wie ein vierzehnjähriges Mädchen vor ihrem ersten Kuss?

„Willst du das?“ fragte Michael mit ernster Stimme.

Leni hob hilflos ihre Schultern, senkte den Kopf.

„Ja, nein…ich weiß es nicht“, sie hielt inne, dann straffte sie ihre Schultern und hob ihren Kopf.

„Wenn es nicht unser erstes Mal wäre, würde ich sofort ja schreien, laut und begeistert“, sagte sie mit entschlossener Stimme, „aber ehrlich gesagt, mit dem steifen Gipsbein und dem noch immer festen Verband um meine Rippen“, sie schüttelte den Kopf, „nein ich würde die zwei Wochen noch gerne warten.“

„Genauso geht es mir auch“, seufzte Michael, er gab Leni einen zärtlichen Nasenstüber, „wir werden die zwei Wochen auch noch überstehen, aber nun komm, ich habe einen Bärenhunger und in meinen Fingen juckt es nach Pizza.“

„Ist das eine gute Idee?“ fragte Leni zweifelnd, „mit meinem Bein?“

„Ich kenne eine Pizzeria, die hat Bänke, da kannst du trotz des Beines ganz bequem sitzen.“

„Und mit den Fingern essen?“

„Mit den Fingern essen“, lachte Michael, „verrate nur nicht, dass ich ein ehrenhafter Chirurg bin, denn sonst verlieren die armen Leute noch den Glauben an unser Gesundheitssystem.“

„Wie könnte ich?“ Leni tat entrüstet, „wo doch jeder weiß, dass du ein verkappter Hippie bist.“

Gutgelaunt machten sie sich auf den Weg.

„Andrea, du hast angedeutet, dass du vielleicht eine Wohnung für uns in Aussicht hast?“ fragte Michael Peters Frau.

Es war später Nachmittag, der Tag neigte sich der Nacht zu und vor den Fenstern wechselte sich Regen mit Schneefall ab. Es waren nur mehr wenige Wochen bis zu Weihnachten.

Alle saßen in dem gemütlichen Wohnzimmer, das hieß, die Erwachsenen saßen auf der Couch, wobei Andrea Leni einen Stuhl für ihren Fuß untergeschoben hatte, während die Kinder bei Goldi auf dem Fußboden saßen und sie streichelten. Vicky hatte vor Aufregung rote Wangen und niemand, der sah, wie sie mit verklärten Gesicht neben dem Hund saß und andächtig über dessen Fell strich, hätte geglaubt, dass das gleiche Mädchen noch vor ganz kurzem selbst bei Stoffhunden vor Angst zu weinen angefangen hatte.

„Ja, das habe ich“, nickte Andrea, „aber dazu muss ich etwas ausholen“, sie deutete zu der großen Terrassentür, „du weißt doch sicher noch, dass auf der anderen Seite unseres Zaunes ein undurchdringliches Dickicht ist. Unsere Kinder nennen es Zauberwald und nach ihren Vorstellungen leben dort Feen und Geister, aber so ist es natürlich nicht…“

„Doch Mama, genauso ist es“, mischte sich Benny ein, „du siehst sie nur nicht, weil du nie die Geduld hast, genau hinzusehen.“

„Dann hoffe ich, dass es gute Feen und Geister sind“, lächelte Michael.

„Natürlich, was sonst“, nickte Benny ernsthaft, aber dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Goldie zu.

„Wie auch immer“, nahm Andrea wieder den Faden auf, „dahinter verbirgt jedenfalls ein sehr großes Grundstück mit einem sehr altem Haus. Als es vor mehr als hundert Jahren gebaut wurde, gehörte die ganze Umgebung zum Besitz dazu. Das ging nach und nach verloren, wurde verkauft, übrig blieb ein noch immer beachtliches Grundstück und das alte Haus, eine richtig herrschaftliche Villa.“

„Warum erzählt du das alles?“ wunderte sich Michael, „ich kann mir weder ein großes Grundstück, noch eine Villa leisten.“

„Nicht so ungeduldig“, lächelte Andrea, „ich musste nur ausholen, damit du es besser verstehst. Der Besitzer, der letzte einer ehemals sehr reichen und angesehenen Familie, lebt ganz allein in dem riesigen Haus und er überlegt nun, ob er nicht etwas ändern könnte.“

„Ich kann nicht…“

„Warte“, Andrea ließ Michael nicht ausreden, „er will nicht verkaufen, er will einen Teil vermieten. Ich muss wieder etwas ausholen. Sein Sohn war jung verheiratet und hatte eine Wohnung im Erdgeschoß ausgebaut, um darin zu leben. Zu den Flitterwochen des jungen Paares flogen alle gemeinsam nach Amerika. Bei einem Flug über den Grand Canyon stürzte das Flugzeug ab und nur Herr Scholz überlebte schwer verletzt. Als er nach seiner Genesung wieder zurückkam, zog er sich vollkommen zurück und nun hat er den Ruf, ein alter Griesgram zu sein, aber das ist er nicht, er ist nur gebrochen vor Leid. Du kannst deinen Vater fragen, die beiden sitzen manchmal zusammen und plaudern über alte Zeiten. Von deinem Vater weiß Herr Scholz auch, dass ich Immobilienbetreuerin bin und so ist er vor einiger Zeit an mich herangetreten, ob ich nicht jemand weiß, dem er die Wohnung seines Sohnes vermieten könnte. Dabei geht es ihm nicht um das Geld, denn davon hat er mehr als genug. Ich glaube, es geht ihm eher darum, wieder etwas Leben in das alte Haus zu bekommen.“

„Und du meinst, das wäre etwas für uns?“ fragte Michael etwas unsicher.

„Naja, einen Arzt im Haus zu haben, reizt doch jeden“, grinste Andrea, „noch dazu, wo ich dir nur das beste Leumundszeugnis ausstellen kann.“

„Ihr solltet euch die Wohnung auf jeden Fall ansehen“, nickte Peter, „sie ist ebenerdig und der große Garten dazu, ideal für Goldi.“

„Drei Zimmer, genauso, wie du es wolltest“, setzte Andrea noch hinzu.

„Wenn du mehr brauchst, lässt Herr Scholz bestimmt mit sich reden“, war sich auch Peter sicher.

„Halt, halt“, Michael hob lachend die Hände, „zuerst müssen wir das ganze miteinander besprechen“, er wandte sich Leni zu und ergriff ihre Hand, ein Zeichen, dass er ihr sein Gesicht zugewandt hat.

„Was sagst du dazu, mein Engel?“ fragte er.

„Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Ich meine, das Ganze hängt aber vor allem davon ab, ob dieser Mann uns sympathisch findet und umgekehrt. Die schönste Wohnung kann zum Albtraum werden, wenn das Parameter nicht stimmt“, meinte Leni.

„Du hast wieder einmal recht“, nickte Michael, „wir werden mit dem Mann sprechen und danach weitersehen.“

Eine kleine Kinderhand schob sich in die von Leni.