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Nelson Mandela und sein Gefängniswärter Christo Brand - die berührende persönliche Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft "Ich ging durch die Tür seiner Besucherzelle und hielt ihm seine Enkeltochter entgegen. Er nahm sie in seine Arme, stieß ein leises 'Oh' hervor, und ich sah, wie Tränen über seine Wangen rollten, als er dem Baby einen Kuss gab. Wir standen beide schweigend da, und er wusste, dass er mir das Kind gleich zurückgeben musste. Im stillen Einverständnis war uns beiden klar, dass mein Wagnis ein Geheimnis zwischen uns bleiben musste, von dem nicht einmal seine Frau erfahren durfte …" Nelson Mandela, Sohn eines schwarzen Stammesführers und großer Kämpfer gegen die Rassentrennung in Südafrika. Christo Brand, ein weißer Bauernsohn, hineingeboren in die Kultur des Apartheid‐Regimes. Diese beiden Menschen mit so ungleichen Voraussetzungen begegneten einander im Gefängnis auf Robben Island: Mandela als lebenslänglich inhaftierter Freiheitskämpfer, Brand als sein vom Staat rekrutierter Aufseher, der unter anderem den persönlichen Briefwechsel des Häftlings zensieren musste. Der 60‐jährige politische Gefangene und der erst 19‐jährige Wärter hätten erbitterte Feinde werden können. Doch zwischen ihnen entwickelte sich im Lauf eines Jahrzehnts, das sie gemeinsam im Gefängnis verbrachten, eine außergewöhnliche Freundschaft. Die Verbindung zwischen ihnen reifte durch viele Akte der Menschlichkeit und blieb auch nach Mandelas Freilassung aufrecht. Christo Brand erzählt in seinen Memoiren Anekdoten, über die er nie zuvor offen gesprochen hat. Diese einzigartige Geschichte über seine Zeit mit Mandela gewährt bisher unbekannte intime Einblicke in das Leben eines der größten politischen Vorbilder.
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Seitenzahl: 403
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Christo Brand mit Barbara Jones
Aus dem Englischen übersetztvon Michael Bayer, Sigrid Schmid und Wolfram Ströle
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
www.residenzverlag.at
© 2014 Residenz Verlag
im Niederösterreichischen Pressehaus
Druck- und Verlagsgesellschaft mbH
St. Pölten – Salzburg – Wien
Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten.
Keine unerlaubte Vervielfältigung!
ISBN ePub:
978-3-7017-4468-8
ISBN Printausgabe:
978-3-7017-3339-2
Vorwort von Ahmed Kathrada
Prolog
Kapitel eins
Kapitel zwei
Kapitel drei
Kapitel vier
Kapitel fünf
Kapitel sechs
Kapitel sieben
Kapitel acht
Kapitel neun
Kapitel zehn
Kapitel elf
Kapitel zwölf
Kapitel dreizehn
Kapitel vierzehn
Kapitel fünfzehn
Kapitel sechzehn
Danksagung
Im Namen unserer Familie stehen wir voller Demut hier an diesem Ort, an dem mutige Menschen der Ungerechtigkeit unbeirrt die Stirn geboten haben. Die Welt ist dankbar für die Helden von Robben Island, die uns daran erinnern, dass der Geist des Menschen stärker ist als Fesseln und Gefängnis.
Grußwort von US-Präsident Barack Obamaim Gästebuch von Robben Island, 30. Juni 2013
Ahmed Kathrada wurde zusammen mit Nelson Mandela, der in Südafrika häufig bei seinem traditionellen Clannamen »Madiba« genannt wird, 1964 im Rivonia-Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Er saß 25 Jahre im Gefängnis. Nach seiner Entlassung war er politischer Berater Nelson Mandelas und Vorsitzender des Museumsrats von Robben Island. 2004 kam er bei der Wahl der hundert bedeutendsten Südafrikaner des Senders SABC3 auf Platz 46.
Mein nachhaltiger Eindruck von Christo Brand ist der eines herzensguten Menschen. Er ist kein Politiker, nur ein sehr mitfühlender Mensch, der für andere Risiken eingegangen ist, die für ihn selbst hätten gefährlich werden können.
Das vorliegende Buch konzentriert sich natürlich auf seine Beziehung zu Madiba zur Zeit von dessen Gefangenschaft, aber auch ich habe während meiner Haft die Menschlichkeit Christos kennengelernt. Auf Robben Island, wo ich am 13. Juni 1964 zusammen mit Madiba meine lebenslange Haftstrafe antrat, bin ich ihm noch kaum begegnet. Erst nach meiner Verlegung in das Pollsmoor-Gefängnis auf dem Festland im Oktober 1982 hatte ich viel mit ihm zu tun.
Wir wussten alle, dass Christo ein anständiger Mensch war, jemand, der uns helfen konnte, aber Madiba ermahnte uns, die jungen Wärter nicht auszunützen und in Schwierigkeiten zu bringen. Wir sollten Christo nicht für politische Zwecke benützen, wie die Überbringung politischer Botschaften und so weiter. In dieser Beziehung half Christo uns also nicht. Dafür tat er vieles andere.
Eine besonders eindrückliche Erinnerung daran, wie Christo sich von den brutalen Wärtern der Anfangszeit unterschied, stammt aus der Zeit, in der mich mein Anwalt Dullah Omar erstmals besuchen durfte. Wir hatten schon seit einiger Zeit auf diese Besuche hingearbeitet. Meine Gelegenheit kam, als ich an der University of South Africa zwei Abschlüsse machte und die Gefängnisbehörden mich nicht zum Masterstudium zulassen wollten. Ich sagte, ich würde dagegen klagen, und beantragte ein Gespräch mit Dullah.
Bei einem seiner ersten Besuche brachte Dullah Teigtaschen mit – zwei Päckchen. Eins davon war für die Wärter bestimmt. Nachdem die Wärter es angenommen hatten, fragte er, ob ich das andere haben könnte. Christo entsprach seinem Wunsch. Dullahs Frau Farida hatte damals einen Stand mit Obst und Gemüse auf dem Salt River Market in Kapstadt, und wir vereinbarten mit Christo, dass er hingehen und für uns Obst holen sollte – Farida gab ihm auch Obst und Gemüse für seine eigene Familie mit. In der Folgezeit kam Dullah zu unseren Besprechungen immer mit einer Aktentasche voller Essen. Juristische Bücher hatte er keine eingepackt. Christo wusste es und ließ es durchgehen.
Noch wertvoller waren die zusätzlichen Besuche, die Christo mir genehmigte. Er organisierte Besuche von Leuten, die ich eigentlich gar nicht sehen durfte, etwa von Professor Fatima Meer, von anderen politischen Aktivisten und von Angehörigen. Ich werde den Tag nie vergessen, an dem meine Nichte in Kapstadt heiratete und Christo dafür sorgte, dass praktisch die gesamte Hochzeitsgesellschaft mich verbotenerweise im Gefängnis besuchte. Er richtete im Oberstock einen eigenen Besuchsraum ein und ich sah sie alle, Kinder und Erwachsene. Die Kinder durfte ich jeweils ein oder zwei Minuten sprechen. Sie kamen nacheinander herein und brachten Lachen und Licht mit, ein für einen Häftling seltenes, wunderbares Erlebnis. Mit den Erwachsenen, die ebenfalls nacheinander hereinkamen, konnte ich etwas mehr Zeit verbringen.
Christo ermöglichte auch Begegnungen mit politischen Aktivisten, die im Pollsmoor-Gefängnis einsaßen, und ging damit in gewisser Weise ein größeres Risiko ein als ich. Es waren die Achtzigerjahre, eine Zeit des Ausnahmezustands, in der landesweit Tausende von Apartheidgegnern verhaftet wurden. Viele Aktivisten vom Westkap und sogar einige vom Ostkap wurden in Pollsmoor gefangen gehalten. Ihre Angehörigen wussten nicht, wo sie waren und wie es ihnen ging, aber mich ließ Christo zu ihnen. Er brachte mich eines Tages zu Trevor Manuel, der eigentlich überhaupt keinen Besuch empfangen durfte. Trevor, der später unter Madiba und anderen Präsidenten Finanzminister wurde, saß damals schon seit zwei Jahren in Einzelhaft.
Es war für Trevor wunderbar, mit mir sprechen zu können. Wir waren damals ja schon zwanzig Jahre im Gefängnis und aus der Öffentlichkeit verschwunden. Es gab nur alte Fotos von uns, auf denen wir viel jünger aussahen, und selbst deren Besitz war strafbar. Man kann sich vorstellen, wie mein Besuch auf ihn wirkte. Ich richtete ihm auch Grüße von Madiba und Walter Sisulu aus, und das gab ihm wirklich Auftrieb. Christo erlaubte mir auch, ihm ein inspirierendes Gedicht zu übergeben. Ein anderes Mal brachte er mich zu Matthew Goniwe, einem Aktivisten vom Ostkap, der nach seiner Entlassung von der Sicherheitspolizei getötet wurde.
Aufgrund unserer Isolation im Gefängnis wussten wir kaum etwas über Aids. Christo erzählte uns einmal, dass sieben HIV-positive ANC-Guerillas in Angola festgenommen und ins Gefängnis gebracht worden seien. Eines Tages eilten sie draußen auf uns zu und umarmten uns. Hinterher hatten wir Sorge, wir könnten uns durch die Umarmung angesteckt haben. Später, als wir schon für die Nacht in unseren Zellen eingeschlossen waren, sahen wir zufällig Christo im Hof mit ihnen auf und ab gehen. Er hatte den Arm um sie gelegt. Dieses Bild von Christo und den HIV-positiven Häftlingen zusammen mit dem von Prinzessin Diana, die wir im Fernsehen mit einem HIV-positiven Kind sahen, vertrieb unsere Ängste, vor allem als ich sah, wie unbefangen Christo mit diesen Leuten umging.
Weil es schwierig war, mit den anderen Aktivisten im Gefängnis zu kommunizieren, stellten wir uns unter ihre Zellen und unterhielten uns. Sie konnten dann hören, worüber wir sprachen. Auf diese Weise gaben wir Informationen an sie weiter. Christo wusste, was wir taten, und unternahm nichts dagegen, auch das eine kleine menschliche Geste. Als wir wenige Tage vor unserer Entlassung im Oktober 1989 nach Johannesburg verlegt wurden, war ich im Besitz zweier Fernseher. Ich ließ Christo einen für die Häftlinge da und er gab ihn an sie weiter. Den anderen bewahrte er in seiner Garage für mich auf und gab ihn mir zurück, als ich fünf Jahre später als Parlamentarier nach Kapstadt zurückkehrte.
Etwas besonders Wichtiges tat Christo für uns an einem Tag im Jahr 1986, einige Monate nachdem man Madiba von uns getrennt hatte und wir nicht wussten, was mit ihm passiert war. Christo kam zu mir und sagte: »Ich muss Ihnen etwas Wichtiges mitteilen, aber dann sagen Sie es Sisulu und den anderen weiter.«
Ich darauf: »Dann sagen Sie es mir lieber nicht.«
Aber natürlich sagte er es mir trotzdem. »Gestern Abend haben wir Madiba zu Justizminister Kobie Coetsee gebracht.« Das reichte uns schon an Information. Wir wussten jetzt in etwa, was passierte. Offenbar hatte Madiba Gespräche mit dem Gegner begonnen. Kurz darauf durfte er uns in Pollsmoor sprechen und berichtete, dass auf seine Anregung Gespräche begonnen hätten mit dem Ziel, die Regierung dazu zu bewegen, mit dem ANC zu reden. Christo informierte uns auch immer, wenn er Madiba irgendwohin begleitete. Oft war das die einzige Nachricht, die wir von Madiba hatten, entsprechend wichtig war sie für uns.
An Wochenenden, an denen Sergeant James Gregory, ein anderer Wärter, keinen Dienst hatte, ließ Christo mich kommen und zeigte mir Briefe, die Gregory nicht an mich weitergeleitet hatte. Sie waren zum Teil schon Jahre alt. Außerdem hatte er einen ganzen Stapel des Indicator – einer von Ameen Akhalwaya gestarteten, gegen die Apartheid gerichteten Wochenzeitung, die Akhalwaya jede Woche geschickt hatte. Christo gab mir immer gleich mehrere Ausgaben, wenn die Gelegenheit dazu bestand.
Und dann fing seine Frau an, zu Weihnachten Kuchen für mich zu backen. Jedes Jahr backte sie mir einen, den Christo mir dann brachte, eine Tradition, die bis heute fortbesteht.
Jemand wie Christo als Wärter zu haben bedeutete für das Leben eines Häftlings einen gewaltigen Unterschied. Die Wärter, die wir anfangs hatten, waren Tiere, im Grunde selbst Verbrecher, obwohl sie uns natürlich nie anfassten. Mit den jüngeren Wärtern änderte sich das. Sie waren nicht gegen uns indoktriniert worden. Und selbst aus ihnen ragte Christo noch mit seiner Menschlichkeit und Güte heraus.
Wir hielten auch nach meiner Entlassung weiter Kontakt, und als er seinen Dienst kündigte, half ich ihm, Arbeit im Büro der verfassunggebenden Versammlung zu finden. Als er später nach einer anderen Arbeit suchte, beschaffte ich ihm eine im Robben-Island-Museum.
Christo arbeitet unermüdlich und ist stets bereit, zu helfen und Überstunden zu machen, was man von vielen anderen Wärtern nicht sagen kann. Unseren Shop am Nelson Mandela Gateway nach Robben Island hat er mit Gewinn betrieben. Und er erzielte nicht nur Gewinn, er war auch als PR-Mann bestens geeignet, weil er schnell mit Leuten ins Gespräch kam. Als zum Beispiel einmal eine Frau auf dem Weg zur Insel eine Flasche Wasser bei ihm kaufte, fiel ihm ihr Akzent auf.
»Sind Sie Amerikanerin?«
»Ja.«
Ohne mehr über sie zu wissen, fragte er weiter: »Kennen Sie einen gewissen Bob Vassen?« (Bob Vassen ist mein Freund, der damals an der Michigan State University lehrte.)
Die Frau antwortete: »Ja, natürlich, wir haben zusammen unterrichtet.«
Mein Buch A Simple Freedom war damals gerade herausgekommen und Christo hatte eine große Schachtel voll davon – er sollte die Bücher noch nicht verkaufen, aber das kümmerte ihn natürlich nicht. Er fragte die Frau also: »Wollen Sie dieses Buch kaufen?«
»Sehr gerne.«
»Wollen Sie auch ein Autogramm vom Autor?«
So lernte ich die Frau kennen, Frau Professor Marcie Williams, wie sich herausstellte, und aus der Flasche Wasser entwickelte sich eine Freundschaft, die bis zum heutigen Tag anhält. Ich habe durch diese Flasche sogar einen Doktortitel der University of Massachusetts erhalten.
Ich hoffe aufrichtig, dass Christos Buch Mandela. Mein Gefangener, mein Freund die ihm gebührende Achtung und Aufmerksamkeit zuteil wird, denn es ist ein wertvoller Beitrag zu den Schriften über die Haftbedingungen zur Zeit der Apartheid, und sein Autor ist ein integrer Mensch. Das Buch zeichnet sich auch dadurch aus, dass es der ehrlichste Bericht eines Wärters über seine Beziehung zu Nelson Mandela ist, den ich kenne. Allein schon deshalb verdient es Respekt. Ich wünsche Christo allen Erfolg der Welt.
Ahmed Kathrada
Oktober 2013
Nelson Mandela verbrachte seine Kindheit in den grüngoldenen Hügeln der südafrikanischen Provinz Ostkap. In dem Dorf Qunu spielte er mit seinen Freunden. Er hat selbst von dieser glücklichsten Zeit seines Lebens berichtet – wie er mit einer Schleuder Vögel geschossen, Obst von den Bäumen gepflückt, mit einem gebogenen Draht Fische gefangen und warme Milch direkt vom Kuheuter getrunken hat.
Wie ich hat er manchmal Schafe gehütet, und nach dem Spielen bis zum Einbruch der Dunkelheit kehrte er in das kleine Haus seiner Familie zurück, aß dort zu Abend und lauschte den Geschichten seiner Mutter am Herdfeuer.
Als Kind bekam er von der Apartheid nichts mit. Er lebte in einer kleinen, sicheren Welt ohne unmittelbare Bedrohungen, in der Geborgenheit der ländlichen Xhosa-Gemeinde, der er angehörte.
Auch ich wuchs ohne Kenntnis der grausamen Rassentrennung unseres Landes auf. Mein Vater war Vorarbeiter auf einer Farm in einer fruchtbaren Gegend des Westkaps. In meiner Kindheit und Jugendzeit habe ich mit schwarzen und gemischtrassigen* Kindern gespielt, die mit uns auf der Farm in Stanford lebten, viele Kilometer von Kapstadt entfernt.
Im Rückblick haben Mandela und ich beide eine unschuldige, glückliche Kindheit gehabt, wenn auch durch viele Jahre getrennt. Wir sind beide in der christlichen Tradition aufgewachsen, unter der Aufsicht strenger, aber liebevoller Eltern, die uns lehrten, was richtig und falsch ist. In dieser Welt zählten nur das Zuhause und die Familie. Gutes Benehmen wurde belohnt, schlechtes bestraft.
Zugleich lebten wir aber auch in gegensätzlichen Welten. In ihnen kamen wir auf verschiedene Weise mit der Unmenschlichkeit der Apartheidgesetze in Berührung, und diese Welten stießen erst Jahre später zusammen, als wir uns auf Robben Island begegneten, jenem furchtbaren Hochsicherheitsgefängnis, in dem Nelson Mandela eine lebenslange Haftstrafe verbüßte und ich sein Gefängniswärter war.
Ich war neunzehn, als ich ihn zum ersten Mal sah, und er sechzig. Bis zu diesem Tag hatte ich noch nie von ihm oder seinem African National Congress (ANC) gehört und wusste nichts von den leidenschaftlichen Überzeugungen, für die er und seine Gefährten zu sterben bereit waren.
Ich lernte einen Menschen kennen, der höflich und bescheiden war und doch zugleich der einflussreiche Anführer vieler auf Robben Island inhaftierten politischen Häftlinge. Wenn er sich im Freien aufhielt, wo die anderen ihn sehen konnten, skandierten sie im Sprechchor: »Amandla! Alle Macht dem Volk«. Sie sangen und schrien und grüßten ihn mit erhobenen Fäusten. Doch er durfte nicht darauf antworten, die Vorschriften verboten es. Er musste an ihnen vorbeigehen und konnte sie höchstens durch ein kaum merkliches Nicken in ihre Richtung zur Kenntnis nehmen.
Er war ihr charismatischer Anführer, ihre einzige Hoffnung auf der Insel. Dabei lernten die meisten ihn überhaupt nicht persönlich kennen. Auch das war verboten.
Mandela, ein würdevoller Gefangener und zugleich großer Menschenführer, stürzte mich jungen Mann in tiefste Verwirrung. Er respektierte meine Arbeit und wusste, dass ich auf die Einhaltung der strengen Vorschriften achten musste, wenn wir beide überleben wollten. Ich sah ihn Böden schrubben, seinen Toiletteneimer leeren, den Gefängnishof säubern – manchmal auf den Knien – und zusammen mit Mithäftlingen den kleinen Garten bestellen, in dem er Chili und anderes Gemüse anbaute, um ein wenig Abwechslung in die schreckliche Gefängniskost zu bringen.
Er sprach mich, der ich fast noch ein Kind war, mit »Mr Brand« an, und ich nannte ihn Mandela. Doch trotz der verschiedenen Welten, aus denen wir stammten, freundeten wir uns über die Jahre an und begegneten einander schließlich mit Zuneigung und Respekt.
Nach achtzehn langen und schwierigen Jahren auf Robben Island wurde Mandela in das Pollsmoor-Gefängnis auf dem Festland verlegt. Die Regierung wollte die Führung des ANC spalten. Ich begleitete Mandela und seine Kameraden.
Später zog er noch einmal um, in das Victor-Verster-Gefängnis in Paarl. Dort bekam er eine eigene Wohnung und setzte die Sondierungsgespräche mit Regierungsvertretern fort, die er während seiner Einzelhaft in Pollsmoor aufgenommen hatte. Bei den Verhandlungen zur Beendigung des dunkelsten Kapitels in der Geschichte Südafrikas spielte er die Hauptrolle. Über mehrere lange Jahre verteilt, nahm der Prozess der Versöhnung schließlich Fahrt auf. Auch in dieser Zeit begleitete ich ihn.
Am Tag seiner Freilassung sollte er nur mit seiner Frau Winnie, ohne die Anwesenheit von Gefängniswärtern, durch das Gefängnistor gehen. Ich erlebte den außergewöhnlichen Moment also zu Hause am Fernseher mit einem Kloß im Hals und Tränen in den Augen. Unsere gemeinsame Reise war zu Ende, sagte ich mir, und konnte es noch gar nicht fassen.
Doch ein paar Wochen später rief Mandela mich an. Er wollte den Kontakt zu mir aufrechterhalten. Seitdem ist die Verbindung zwischen uns nicht mehr abgerissen. Ich war bei den meisten wichtigen Ereignissen dabei und fühle mich geehrt, dass ich bis heute als Mitglied seiner verzweigten Familie gelte.
Mandela hat ein Buch über seinen »langen Weg zur Freiheit« geschrieben. Ich bin einen Teil dieses Weges mit ihm gegangen. Es war eine unglaubliche Reise, die mein Leben genauso wie seines geprägt hat.
Dabei begann mein Leben so viel später als seines. Als weißer Afrikaaner* wurde ich in jene Kultur geboren, die Mandela zum Revolutionär machte. Ich konnte nicht ahnen, dass ich einmal mit ihm zusammentreffen würde.
*Für den im Englischen gebräuchlichen Begriff race gibt es leider keine exakte Entsprechung im Deutschen. In diesem Buch wird die wörtliche Übersetzung »Rasse« verwendet, auch wenn dieser Begriff heute höchst umstritten ist. Im südafrikanischen Apartheidregime jedoch wurden Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe (racial boundaries) streng unterschieden und getrennt. Das System gehorchte einer rassistischen Logik, die heute noch nachwirkt. In dieser Tradition ist auch der Begriff »gemischtrassig« (mixed-race) zur Bezeichnung von Menschen, deren Eltern unterschiedliche Hautfarben haben, zu verstehen.
*Als »Afrikaaner« werden die Afrikaans sprechenden europäischstämmigen Einwohner Südafrikas und Namibias bezeichnet. Der Begriff wird heute anstelle des seit dem 18. Jahrhundert gebräuchlichen Wortes »Buren« (afrikaans: Boere, wörtlich: Bauern) verwendet.
Ich bin auf einer kleinen Farm unmittelbar außerhalb von Stanford aufgewachsen, einem malerisch in einem Bergtal gelegenen Dorf, zwei Stunden Fahrt von Kapstadt entfernt. Durch das Dorf schlängelte sich ein Fluss und zum Atlantik war es nicht weit. Unsere Farm hieß Goedvertrouw, »Gottvertrauen«. Wir hatten eine eigene kleine Schule auf einer Nachbarfarm, die ich ab dem fünften Lebensjahr besuchte.
Jeden Morgen musste ich zu Fuß acht Kilometer bis zur nächsten Bushaltestelle gehen, egal ob bei Sonnenschein oder Regen. Doch oft begleitete mich ein Afrikaner, den wir Chocolate nannten, bis zur Haltestelle, oder er nahm mich vorne auf seinem Fahrrad mit, wenn das Fahrrad gerade einmal funktionierte. Seinen richtigen Namen kannten wir nicht. Chocolate war schon immer da. Er hatte keine Angehörigen und arbeitete die ganze Zeit auf der Farm oder half meiner Mutter im Haus.
Geld war in meiner Familie knapp und wir konnten uns keinen Luxus leisten. Trotzdem führten wir ein schönes Leben. Wir hatten vielleicht nicht viel, aber das, was wir hatten, war gut. Es gab Bratkartoffeln mit Butternüssen, mit Brotkrumen gefüllte Kürbisse und frische Erbsen. Den Geschmack von Fleisch kannte ich kaum, aber das machte mir nichts aus.
Nach dem Abendessen nahmen wir die Kerzen mit nach draußen auf die Veranda – Strom hatten wir nicht. Mein Vater holte seine Geige heraus und Chocolate seine Gitarre, und dann tönten Musik und unser Lachen durch die Nacht.
Die Tage begannen früh und endeten manchmal erst um Mitternacht, speziell wenn winterliche Regenfälle die Felder verwüstet oder die Zäune beschädigt hatten. Ich ging manchmal noch nachts mit meinem Vater und Chocolate nach draußen und leuchtete ihnen mit der Taschenlampe, während sie im strömenden Regen einen Zaun reparierten. Vor allem in der Region Boland im Westkap waren die Winter so eisig, dass die Wäsche auf der Leine gefror und die Hände blau und gefühllos wurden. Im Sommer war es dagegen so stickig heiß, dass man kaum Luft bekam.
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