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Das erste umfassende Informations- und Orientierungsbuch über und für Männer ab 50. Die lebensfrohe, hoffnungsvolle Generation 50+ ist in aller Munde – doch im Gegensatz zu den Frauen sind Männer über 50 noch weitgehend unerforschte Wesen. Dabei hält gerade diese Lebensphase zahlreiche Fallen für das männliche Selbstverständnis bereit: Bedeutet das Nachlassen der körperlichen Leistungsfähigkeit das Ende der Männlichkeit? Was kommt nach der Berufstätigkeit? Welche Freiräume und Chancen bieten sich – und was lässt man besser sein? Fest steht: Noch nie hatte man(n) so viele Möglichkeiten wie heute, den neuen Lebensabschnitt zu gestalten – dieses Buch bietet Informationen und Orientierung für Männer ab 50 und alle, die mit ihnen leben.
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Seitenzahl: 172
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Erste Hilfen Band 12
Der Autor
Prof. Dr. Eckart Hammer, geb. 1954, Dipl.-Sozialpädagoge und Sozialwissenschaftler, lehrt an der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg Gerontologie. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren intensiv mit dem Thema Alter sowie mit Männerfragen. Eckart Hammer ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Reutlingen.
Eckart Hammer
Eine Gebrauchsanweisung
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Titel der Originalausgabe: Männer altern anders
© Verlag Herder, GmbH, Freiburg im Breisgau
Umschlaggestaltung: Jens Vogelsang, Aachen
Umschlagfoto: © wavebreakmedia
Satz und Gestaltung : Layoutsatz Kendlinger / Martin Vollnhals, Neustadt/Do.
ISBN: 978-3-86321-388-6eISBN: 978-3-86321-477-7
Alle Rechte vorbehalten
Einleitung Der alte Mann, das unbekannte Wesen
Altwerden ist nichts für Feiglinge
Jeder ist alt. Nur unterschiedlich
Wer alt werden will, muss jung damit anfangen
I. Gibt es ein Leben jenseits der Arbeit?
Alte Leute sind junge Menschen, die zufällig vor uns älter werden
Alter ist meist nur eine Ausrede
Morgens fischen, nachmittags jagen …
Chance oder Gefahr?
Langeweile oder Aktionismus?
Spätestens mit 55 sollte man entscheiden, ob man seine Jugend oder sein Alter verlängern will
Die Balance von Aktivität und Rückzug
II. Einsam oder gemeinsam?
Papa ante Portas
Philemon und Baucis oder „Modell Caveman“?
Wenn die Gefährtin geht
Familienbande lösen und knüpfen
Männer- und Hundebegegnungen
Ich für mich mit anderen für andere für mich
Wie alt man geworden ist, sieht man an den Gesichtern derjenigen, die man jung gekannt hat
Hegemoniale Männlichkeit
III. Nicht mehr können oder nicht mehr müssen?
Frauen altern, Männer reifen?
Garantiezeit leider verfallen
Die zweite Sprache der Sexualität im Alter
Warnung: Die männliche Rolle gefährdet Ihre Gesundheit
Wenn die bösen Tage kommen
Mehr Männer in die Pflege!
Wer rastet, rostet
Entfalten statt liften!
Der andere Umgang mit dem Körper
IV. Generationenvertrag oder Generationenbetrug?
Seniorenresidenz oder Bürgerspital?
Droht uns ein Generationenkrieg?
Es ist schon später als du denkst!
Einen alten Baum verpflanzt man nicht!
Die gute alte Zeit?
Die gute Zeit der Alten ist heute
Das vierfache Altern
Endstation Sehnsucht
Leben wär’ eine prima Alternative
V. Trauer oder Hoffnung?
Ein Klimakterium virile gibt es nicht
Unbewältigte Krisen
Mit dem Kopf woanders?
Nicht mehr den Helden spielen müssen
Andere Seiten ausleben
Störfall Alter?
Hoffnung mit Trauerflor
Epilog When I’m Eighty-Four
Es ist wenig Zeit zwischen der Zeit, wo man zu jung und der, wo man zu alt ist
When I’m Eighty-Four …
Quellenangaben
Literatur
Dank
Für Brigitte,die mich in meinem anders Alternseit vierzig Jahren begleitet.
Ich glaube,wir alten Säcke sind wieder sehr gefragt.
Dr. Georg Ringsgwandl
„Willkommen im Club!“ waren die Grußworte der älteren Männer in meinem Umfeld, als ich meinen 50. Geburtstag feierte. Seither gehöre ich einem Club an, dem bereits jeder dritte Mann zugerechnet werden kann. Unsere Gruppe ist mit fast 17 Millionen Mitgliedern zum Beispiel doppelt so groß wie die der Ausländer in Deutschland, dreimal so groß wie die Anzahl aller Kinder im Vorschulalter oder die der Arbeitslosen. Und doch wird all diesen Bevölkerungsgruppen mehr Aufmerksamkeit geschenkt als den alternden Männern.
Was wissen wir eigentlich über den Mann jenseits der 50 – einmal abgesehen von der Mutmaßung, dass er wohl seinen Zenit überschritten hat und es mit ihm von nun an beruflich, körperlich und sexuell nur noch bergab geht, bevor dann irgendwann Impotenz, Inkontinenz und Demenz seine Karriere als Held beschließen? Der alte(rnde) Mann ist das unbekannte Wesen in der Gerontologie, kaum erforscht, selten besprochen. In den letzten 30 Jahren hat die Gerontologie, die Wissenschaft vom Alter(n), das Wissen über nahezu alle Fragen des Alter(n)s rasant vermehrt und den noch jungen Kontinent „Alter“ fast lückenlos erforscht und vermessen. Doch den älteren Mann hat sie bei ihren vielfältigen Bemühungen weitgehend übersehen und vergessen.
Dies scheint auf den ersten Blick unlogisch. Denn Sozialforschung ist, wie der Männerforscher Holger Brandes feststellt, überwiegend Männerforschung: „Forschung von Männern über Männer und für Männer“1. Schaut man allerdings genauer hin, geht es dabei meist jedoch nicht um Männer als geschlechtliche, sondern als universelle, neutrale Wesen, bei denen die Tatsache der Geschlechtlichkeit ausgeblendet wurde. Mensch und Mann werden nicht unterschieden und so kann das, was dem Mann als Mann eigentümlich ist, seine spezifische geschlechtsbezogene Realität, nicht sichtbar werden.
Die kritische Männerforschung, die den Mann explizit zum Thema macht, fristet noch ein Schattendasein. Sie ist im doppelten Wortsinne noch zu jung: Angestoßen von der Frauenbewegung in den 70er-Jahren reflektier(t)en die Männerforscher häufig ihre eigene Lebenspraxis, ihre Rollen als Väter, Ehemänner, ihre Berufsrollen. Die Publikationen der kritischen Männerforschung reichen so meist nur bis zum vierten, fünften Lebensjahrzehnt – entsprechend dem eigenen Alternshorizont der Forscher. Das Alter war in diesem Selbstreflexionsprozess bislang noch nicht dran, es gibt bislang, noch wenig Berührungspunkte zwischen der „männerbewegten“ und der „altenbewegten“ Welt2.
Männer haben fast alles untersucht und in Frage gestellt, nur nicht sich selbst. So haben auch ergrauende und ergraute männliche Gerontologen, obschon zum Teil selbst bereits ins Alter ihrer Untersuchungsobjekte gekommen, den alten Mann als Mann kaum erforscht. Vielleicht leiden sie unter einer Art „Gerophobia“4, der Angst des Alternsforschers vor seinem Forschungsgegenstand. Denn nahezu alle Begriffe rund um das Adjektiv „alt“ sind negativ belegt und darüber hinaus sind das Alter und der alte Mann der Inbegriff von Unmännlichkeit. So gilt für die meisten Gerontologen wie für fast alle anderen Menschen auch: Alt sind immer nur die anderen.
Geschlechterfragen im Alter sind vor allem von Frauen thematisiert worden und ein Großteil der Kenntnisse über Männer ist, gleichsam als Nebenprodukt, der Frauenforschung zu verdanken. Zu Lebenslagen und Benachteiligungen alter(nder) Frauen wurden Forschungsmittel bewilligt, Programme aufgelegt und detaillierte Studien durchgeführt. Folglich stößt man unter den Stichwörtern „Alter und Geschlecht“ nahezu ausschließlich auf Frauenfragen. Die Tatsache, dass der Mann je älter desto seltener wird, dass zwei Drittel der über 75-Jährigen Frauen sind, hat vielfach dazu geführt, dass der alte Mann als nicht weiter der Rede und Forschung wert betrachtet wird. So ist der alte(rnde) Mann nach wie vor ein weitgehend unbekanntes Wesen, von dem bislang lediglich gesundheitliche und sexuelle Aspekte einigermaßen erhellt sind, was nicht zuletzt mit wirtschaftlichen Interessen an einem wachsenden Gesundheitsmarkt zu tun hat.
Die wenigen gesicherten wissenschaftlichen Befunde zu Männern und Alter stoßen auf eine überraschend große Resonanz, kommt man mit Männern und Frauen jenseits der 50 hierüber ins Gespräch: Wie kann man eine nachberufliche Lebensspanne gestalten, die oft länger als die Berufsphase ist? Warum werden Ehen im Alter so asymmetrisch erlebt? Wo findet der Mann in einer weiblichen Altersgesellschaft noch seinen Platz? Wie bewältigen Männer körperliche Einbußen und Gebrechlichkeit? Warum ist die Suizidquote der alten Männer so unglaublich hoch? Warum sterben die Männer im Vergleich zu den Frauen so früh und warum wird dies überwiegend achselzuckend als „Naturgesetz“ zur Kenntnis genommen?
Zu diesen und vielen anderen Fragen versucht dieses Buch Antworten zu finden. Es befasst sich mit den Herausforderungen, die sich jenseits des 50. Lebensjahres stellen. Wenn der Mann ein Alter erreicht hat, in dem Männer früher ans Sterben dachten und wo man, wie der Altersexperte Erich Schützendorf bilanziert, im Grunde genommen bereits ein ganzes Leben hinter sich hat: „Kindheit, Schule, Ausbildung, Partnerschaft, Beruf, Familie, Kindererziehung, Hobbys, Reisen, Krankheiten, Verletzungen, Niederlagen, Enttäuschungen. Die berufliche Karriere ist zu Ende, der Baum gepflanzt, das Haus noch nicht ganz, aber weitgehend abbezahlt. Jetzt könnte man sich auf das Altenteil begeben, so wie es unsere Eltern und Großeltern getan haben. Ein volles Leben neigt sich dem Ende entgegen. Allerdings steht uns im Gegensatz zu unseren Großeltern noch ein ganzes Leben bevor. Die 50-Jährigen stehen heute am Ende eines Lebens und doch mitten drin.“5
Alter, zur Zeit unserer Groß- und Urgroßeltern noch jene kleine Spanne zwischen dem endgültigen Ende der Arbeitsfähigkeit und dem meist bald darauf eintretenden Lebensende, hat sich zu einem riesigen und beinahe unüberschaubaren Kontinent entwickelt. Alter, vor wenigen Jahrzehnten noch gleichgesetzt mit „arm und krank“, hat sich so radikal ausgedehnt und ausdifferenziert, dass man von dem Alter schon längst nicht mehr sprechen kann. Das Alter ist bunt und unglaublich vielfältig, heterogener als jeder Lebensabschnitt zuvor. Das Alter gibt es nicht!
Da steht der 100-jährige Schauspieler immer noch im Rampenlicht, während der abgeschaffte Bauarbeiter mit seiner Frührente über die Runden kommt; der lebenslustige Pensionär verbringt die kalten Wintertage auf Teneriffa, während der alt gewordene Dauerarbeitslose die Welt per Fernsehen erkundet; da schreibt sich der eine zum Seniorenstudium ein, während dem anderen die Dias vom Herrn Pfarrer beim Altennachmittag gezeigt werden; der wohlhabende Senior genießt die kulturelle Vielfalt seines Seniorenstifts, während der demenziell erkrankte 60-Jährige im Pflegeheim nach Orientierung sucht.
Es macht längst schon keinen Sinn mehr, von den Alten zu reden. Wir müssen uns immer wieder neu darüber verständigen, von wem die Rede ist. Zahllos sind die Wortschöpfungen, mit denen wir die jeweilige Gruppierung beschreiben, wie etwa die jungen Alten, die alten Alten, die Fitten, die Abhängigen, die Slow-Goes, die No-Goes, die Grufties, die Selpies (second life people). Alle wollen es werden, aber keiner will es sein: alt. So werden neue Begriffe kreiert, mit denen dieses hässliche Wort umschifft werden soll: Da ist die Rede von Senioren, was irgendwie aktiver, jugendlicher und kompetenter klingen soll; politisch korrekter als „Alte“ ist der Begriff „Ältere“, obschon dies doch der Komparativ ist und Ältere damit eigentlich älter als Alte sein müssten.
Und so beschreibt auch dieses Buch nicht das Alter, sondern ein paar Facetten eines unfassbaren Bildes. Es lässt dazu fünf Männer zwischen 55 und 69 Jahren zu Wort kommen, mit denen ich mich ausführlich über ihr Altern unterhalten habe und die exemplarisch für fünf ganz unterschiedliche Lebenslagen stehen.
Dieses Buch will die Risiken und Chancen des Älterwerdens bei Männern sichtbar machen, vorliegende Forschungsbefunde vorstellen und Perspektiven für das Alter(n) erschließen. Es beleuchtet einerseits die „späten Freiheiten“, die im Alter einen historisch so nie zuvor möglichen Entwicklungsraum eröffnen. Andererseits kann das Altern des Mannes von spürbaren und unbemerkten Krisen begleitet sein, die wahrgenommen und bearbeitet sein wollen. Diese Schattenseiten des Alter(n)s werden von vielen Männern verleugnet und verdrängt, denn das Alter ist die größte Kränkung des Mannes. Hinter der Verleugnung steht die Angst, die in dem Maße wächst, wie sie verdrängt wird. Angst kann jedoch nur bewältigt werden, wenn Schreckensphantasien durch Informationen ersetzt werden, wenn man sich den anstehenden Lebensfragen stellt. Zu einer produktiven Auseinandersetzung mit dem Alter(n) gehört deswegen immer der Blick auf Licht und Schatten, Gewinne und Verluste.
Dieses Buch ist ein Männerbuch, das sich mit Fragen des Älterwerdens und Alters jenseits des 50. Lebensjahres aus Männersicht und mit Blick auf Männer befasst. Es wendet sich an alle, die beruflich und privat mit dem Altern von Männern zu tun haben, die sich darauf vorbereiten und die damit zusammenhängenden Fragen besser verstehen wollen. Und somit ist es auch ein Buch für Frauen, die mit Männern klar kommen wollen und die sich (leider immer noch) oft mehr für Männerfragen interessieren als die Männer selbst.
Die fünf Kapitel orientieren sich an den fünf zentralen Dimensionen unseres Lebens und unserer Identität. Unser Wohlbefinden und unsere Entwicklung ruhen auf fünf Säulen der Identität, wie sie von den Gestalttherapeuten Hildegund Heinl und Hilarion Petzold beschrieben wurden: Unser Gefühl physischer und psychischer Gesundheit, unser Wohlbefinden hängen davon ab, dass wir diese fünf Säulen in einem ausgeglichenen, ausgewogenen Verhältnis halten und sie im Laufe unseres Lebens bis ins hohe Alter immer wieder aufs Neue auszubalancieren versuchen. Die Probleme, die entstehen können, wenn eine dieser Säulen brüchig wird oder wenn wir sie über Gebühr und zu Lasten der anderen verstärken, also die potenziellen „Ruinen“ dieser Identitätssäulen, lassen sich in Anlehnung an ein Modell des Psychotherapeuten Nossrat Peseschkian gut ergänzend dazu beschreiben. Ist eine Säule der Identität gefährdet, wird im Alter häufig eine Rettung in zwei alternativen Richtungen gesucht, die jedoch beide in Sackgassen führen und die Identitätssäuleruinieren.
Es gibt ein drittes, von dem Kommunikationsforscher Friedemann Schulz von Thun entwickeltes Modell, mit dessen Hilfe statt dieser falschen Alternativen eine geeignete Entwicklungsrichtung beschrieben werden kann: Sein sogenanntes Werte- und Entwicklungsquadrat geht davon aus, dass jeder noch so hohe Wert, jede Tugend zur Untugend wird, wenn man sie verabsolutiert. So verkommt zum Beispiel Aktivität zur Arbeitssucht, wenn sie nicht mit ihrer Schwestertugend, der Entspannung, gepaart ist; Entspannung wiederum entartet zur Langeweile, wenn sie nicht mit der Aktivität in ein gutes Gleichgewicht gebracht wird.
Zusammengenommen sind alle drei Modelle hilfreiche Instrumente der Selbstvergewisserung, der Krisenbewältigung und der Perspektiventwicklung nicht nur im Alter,
um sich immer wieder selbst zu vergewissern, wie es um die Balance im Leben bestellt ist,
um die Auswirkungen von kritischen Lebensereignissen zu verstehen und zu bewältigen
und um Kurskorrekturen einzuleiten und neue Perspektiven zu entwickeln.
Altsein ist eine herrliche Sache, wenn man nicht verlernt hat, was Anfangen heißt.
Martin Buber
Herr A., 56 Jahre, ist ein freundlicher und offener, jugendlich und leger wirkender Mann. Er empfängt mich in seinem großzügigen Haus im wohlhabenden Vorort einer westdeutschen Großstadt, wo er mit seiner Frau lebt. Das Haus ist geschmackvoll, mit vielerlei erlesenen Einrichtungsgegenständen und Kunstwerken eingerichtet und hat einen wunderbaren Blick ins Tal.
Herr A. hat eine Traumkarriere hinter sich. Wenige Jahre nach dem Krieg wurde er als einziges Kind in ärmlichen Verhältnissen inmitten einer Großstadt geboren. Der Sohn eines Schichtarbeiters wuchs in einem Dreigenerationenhaus mit drei Zimmern auf. Vom Gymnasium ohne Abschluss abgegangen, absolvierte er eine kaufmännische Lehre. Anfang 20 heiratete er seine jetzige Frau und wurde Vater. Während einer Zeit als Buchhalter in einem internationalen Konzern absolvierte er ein berufsbegleitendes Abendstudium und war bereits mit 30 Mitglied der Geschäftsleitung einer Konzerntochter. Seine steile Karriere führte ihn weiter in die Zentralverwaltung, wo er schon zwei Jahre später in den Vorstand aufrückte. Anfang 40 wurde er Vorstandsmitglied in der europäischen Zentrale und entwickelte innovative Unternehmenskonzepte, die weit über die Konzerngrenzen hinaus auf Resonanz stießen. Mit 50 suchte er nochmals eine neue Herausforderung, die er in der Konzernspitze in einer ganz anderen Branche fand. Der Mann aus kleinen Verhältnissen gehörte nun zu den Angesehenen und Mächtigen im Lande.
Herr A. engagierte sich „erfolgreich“ für eine Umstrukturierung an der Konzernspitze – er machte sich selbst „überflüssig“ und stand mit 54 und einem vorgezogenen Altersteilzeitvertrag plötzlich im Vorruhestand. Sein „Ruhestand“ ist sehr bewegt. Er besucht gerne seine zwei erwachsenen Kinder und liebt seine Enkel sehr.
Er übt noch etliche (Ehren-)Ämter aus, ist Mitglied in gewichtigen Kommissionen, entwickelt neue Projekte, publiziert und hält Vorträge. Er hat Lehraufträge im Inund Ausland, sogar eine Honorarprofessur, worauf er als Schulabgänger ohne Abitur besonders stolz ist.
Aber es macht Herrn A. dennoch zu schaffen, dass er beruflich nicht mehr wirklich gefragt ist und die Headhunter bei ihm nicht anklopfen. Er habe Energie und Kraft, noch etwas Wichtiges zu tun, 70 Prozent seiner Potenziale würden brach liegen. „Die wirkliche Wertschätzung fehlt in meinem Leben.“ Wenn er morgens mit seinem Hund unterwegs sei, würde er gelegentlich mit Neid auf die Leute im Stau schauen, die zur Arbeit fahren. „Wo ist die Aufgabe, die mich noch einmal mit all meinen Fähigkeiten herausfordert? Was wird der neue Sinn in meinem Leben sein?“ sind seine zentralen Fragen, die in unserem Gespräch immer wieder fallen.
Nach wie vor stehe er regelmäßig um sieben Uhr auf, hole mit dem Hund die Brötchen, frühstücke mit seiner Frau, arbeite dann an seinem Schreibtisch („versuche ins Büro zu gehen“), wo er auch am Nachmittag sei, wenn er nicht in seinem Garten arbeite oder etwas mit seiner Frau unternehme. In der Partnerschaft sei manches neu zu gestalten, Absprachen seien notwendig und gegenseitige Freiräume seien zu gewähren. „Ich musste erst lernen, dass zu Hause sein nicht bedeutet, immer zusammen zu sein.“ Nach seiner starken beruflichen Inanspruchnahme, wo er eher der „Hausangestellte“ gewesen sei, habe er jetzt „Mitspracherecht“ in einem Haus, das jedoch eigentlich das Haus seiner Frau sei.
Auch wenn er kerngesund sei, gehe er inzwischen mit seiner Gesundheit bewusster um. Der Hund, der erstmals sein Hund sei und mit dem er täglich zwei Stunden laufe, sei seine „Gesundheitskasse“. Außerdem spiele er mit seiner Frau Golf, nutze gerne die Sauna im Garten oder wandere mit Freunden. Sein Hobby sei die Vogelbeobachtung, die er auch bei seinen Fernreisen betreibe.
Nachdem er mit fast nichts angefangen habe, gehe es ihm „vom Finanziellen her stinkegut“. Seine beiden Kinder mit den Enkelkindern und seine Eltern sind mit eigenen Häusern versorgt, ein Sommer- und ein Winterferienhaus stehen im benachbarten Ausland. Das Materielle sei für ihn „so ein Zeichen, dass ich in meinem Leben etwas geschaffen habe“.
„Ich bin ein Familienmensch“, sagt Herr A. von sich, und dass er gerne und viel Zeit mit seinen beiden Kindern und den drei Enkeln verbringe. Aber sein sonstiges soziales Netz sei sein „sicherlich überhaupt größtes Problem“. Er habe keine Kontakte am Ort, das Wohnviertel sei eine „sozial tote Gegend“, wo er niemanden kenne. Sie hätten zwar ein paar befreundete Ehepaare, mit denen sie sich im Urlaub träfen, aber einen Freund – „jemand, zu dem ich mit Eheproblemen gehen würde“ – habe er nicht. Dies läge aber auch an ihm selbst, weil er keinen ganz nah an sich heran lasse.
Wenn er in die Zukunft schaue, dann hoffe er, dass ihm etwas wirklich Sinnhaftes über den Weg laufe. Er wolle nicht zu diesem „Tingelverein“ von alt gewordenen Vortragsrednern gehören, die immer und überall das Gleiche erzählen würden. Sein Italienisch wolle er verbessern, China würde ihn sehr interessieren, dieses Land wolle er verstehen, „dort geht die Post ab“. Wenn er pflegebedürftig würde, wolle er in ein Seniorenstift mit einer Zwei- bis Dreizimmerwohnung; er wolle sich nicht seinen Kindern zumuten. Mit 80 ende sein gedankliches Alter, seine größte Angst sei, ein schlimmer Pflegefall zu werden und anderen zur Last zu fallen. Eine Patientenverfügung sei ausgefüllt, ein Testament gemacht.
Auf was er sich noch freue? „Das Wichtigste und das Schönste habe ich wahrscheinlich schon erlebt.“ Die Urenkel würde er gerne noch erleben, das sei für ihn das Weiterleben. Seine Lebenssätze sind: „Ich will jeden Morgen mein Gesicht im Spiegel wiedererkennen.“ „Man muss Vertrauen in die Menschen haben.“ Schließlich sein Rat für die Jüngeren: „Genieß dein Leben jetzt, aber sorge dabei für ein Fundament, auf das du weiter aufbauen kannst.“
Die Säule der Arbeit und Betätigung steht für die meisten Männer – nicht nur für Privilegierte wie Herrn A. – an erster Stelle ihrer Identität. Jeder Mensch braucht jenseits von Berufsarbeit irgendeine Form von sinnstiftender Tätigkeit. Nicht umsonst ist die Frage „Und was machen Sie so?“ im Kontakt mit anderen eine der ersten, mit der wir uns ein Bild von unserem Gegenüber machen. Unser Selbstwert, unsere gesellschaftliche Position, unsere Anerkennung hängen maßgeblich von der Qualität unserer Betätigung ab. Ob berufliche Arbeit, Haushaltstätigkeit, Freizeitbeschäftigung oder Ehrenamt – Aufgaben strukturieren unseren Alltag, verschaffen uns soziale Teilhabe, stiften Sinn.
Deswegen ist die Arbeit wohl der klarste Altersmarker, das eindeutigste Indiz dafür, alt zu sein. Nicht die grauen Haare, nicht die Lebensjahre machen uns alt, sondern unser Status im Erwerbsleben. Noch dazu zu gehören oder eben nicht mehr, ist für uns Männer die entscheidende Alter(n)sfrage. Da werden bei der Fußballweltmeisterschaft „alte Männer“ bewundert, die als über Dreißigjährige noch mithalten können; in der EDV-Branche zählen 35-jährige bereits zu den Alten; die offiziellen Arbeitsstatistiken sprechen schon in Bezug auf 42-Jährige von alten Arbeitnehmern; mit 50 sind wir auf dem Arbeitsmarkt faktisch nicht mehr vermittelbar. Wir sehen alt aus, sind ausgemustert, zählen zum „alten Eisen“. In Österreich hatte das Wort „ableben“ deswegen früher auch die Bedeutung „Ausscheiden aus dem Berufsleben“.
Spätestens am 50. Geburtstag beginnt der Countdown, das Rückwärtszählen. Das berufliche Spektrum wird sich nicht weiter öffnen, die Optionen werden nicht mehr beliebig zunehmen, das Berufsleben wird endlich. Was wir jetzt nicht erreicht haben, wird kaum noch kommen. Wenn wir uns im Betrieb umschauen, stehen neben uns eine Menge junger Leute, denen die Zukunft gehört. Wir selbst gehören zu den Alten, auch wenn es noch 17 oder gar mehr Jahre sein sollten, die wir bis zum offiziellen Rentenalter arbeiten dürfen oder müssen. In keinem anderen Bereich ist das negative Altersstereotyp so ausgeprägt wie im Arbeitsleben. Das Alter beginnt dort rund 20 Jahre vor dem eigentlich geplanten Ausscheiden.