Männer, Macht und Mythen - Buchholz Martin - E-Book

Männer, Macht und Mythen E-Book

Buchholz Martin

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Beschreibung

Wer steckt eigentlich hinter all den Schöpfungsmythen der Menschheit? Wer schöpfte und warum? Und wieso waren das fast alles männliche Wesen? Wo blieb die Frau im Schöpfungsprozess? Kabarett-Altmeister Martin Buchholz begibt sich auf eine satirisch-ernsthafte Investigation durch antike und biblische Mythen, durch Nibelungenlied und nordische Edda-Saga bis hin zu modernen Erzählungen der Wissenschaft. Mit kritischem Elan und Freude am Sprachspiel führt er als humorvoll-sarkastischer Feminist blitzgescheit durch die patriachale Menschheitsgeschichte und berichtet in biografischer Unverschämtheit auch von der eigenen Männlein- und Menschwerdung. »Großen Dank für diesen Text! Ja, so isser, der Martin: solide gebildet, trotzdem recherchesüchtig, ein Formu­lie­rungs­akrobat und Assoziations­magier, offenbar randvoll mit jugendlicher Schaffenskraft!« - Henning Venske

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MARTIN BUCHHOLZ

MÄNNER,MACHTUND MYTHEN

VON ERSCHÖPFERN UND ERSCHÖPFTEN

MARTIN BUCHHOLZ

(geboren 1942 in Berlin-Wedding) ist Journalist, Kabarettist, Schriftsteller und Mitglied des PEN Deutschland.

Nach zwanzig Jahren als Redakteur (zuletzt leitend in Wissenschaftsressorts) veröffentlichte er sich über Jahrzehnte als sein eigener Chefredakteur auf der Kabarettbühne – meist mit Soloprogrammen bei den Berliner Wühlmäusen, seinem Stammhaus. Alle wichtigen Kleinkunst-, Kabarett- und Satire-Preise wurden ihm im Laufe seiner langen Bühnenkarriere verliehen.

2018 zog er sich von der Kabarettbühne zurück, kehrt aber für Lesungen und Sonderprogramme regelmäßig dorthin zurück.

In seinen sporadisch im Internet publizierten Satire-Lettern kommentiert er je nach Lust oder Unlust die aktuellen Ereignisse: Nachlese unter www.martinbuchholz.de.

E-Book-Ausgabe August 2024

© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2024

www.satyr-verlag.de

Cover: Burkhard Neie

Korrektorat: Matthias Höhne

Das Zitat von Christa Wolf stammt aus Christa Wolf, Sämtliche Essays und Reden. Band 2: Wider den Schlaf der Vernunft (1981-1990). © Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2021. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de

Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.

E-Book-ISBN: 978-3-910775-16-9

INHALT

PROLOG, in dem der Autor die Schöpfung persönlich nimmt

KAPITEL 1, in dem ein gewisser Moses aus einem FKK-Camp leicht schmuddelige Einzelheiten ausplaudert

KAPITEL 2, in dem absolut nichts los ist und wir abgrundtief ins Chaos stürzen

KAPITEL 3, in dem das Tor zur Hölle gesucht wird und wir uns unvermutet zwischen den Schenkeln einer Frau wiederfinden

KAPITEL 4, in dem die ersten Leichen herumliegen und eine aufmüpfige Urfeministin erbarmungslos vernichtet wird

KAPITEL 5, in dem ein Liebespaar brutal auseinandergerissen wird

KAPITEL 6, in dem ein Gott unverschämt Hand an sich selbst legt und Friedrich Nietzsche Mutter wird

KAPITEL 7, in dem »Marduk der Ripper« eine alte Mutter zu Hackfleisch verarbeitet, um an Materie für seine Schöpfung zu kommen

KAPITEL 8, in dem sich ein Herr Apoll eine göttliche Gebärmutter aneignet und dann die erste Rating-Agentur gründet

KAPITEL 9, in dem Thor nicht mehr weiß, wo sein Hammer hängt, und allerhand Schwächlinge sich unter einer Tarnkappe vereinen

KAPITEL 10, in dem das weibliche Geschlecht dem männlichen die Zähne zeigt: eine Vagina dentata in Aktion

KAPITEL 11, in dem ein Sohn seinem Vater die göttlichsten Teile wegsichelt und eine himmlische Hure angeschwemmt wird

KAPITEL 12, in dem ein heimlicher Liebhaber der Venus in flagranti ertappt wird und seine Karriere als himmlischer Geschäftsführer beenden muss

KAPITEL 13, in dem ein Gott Sand mit Wasser mischt und aus dem Mansch ein Mensch wird

KAPITEL 14, in dem ein Mann sich auf seinen Hintern setzt und als Sitzenbleiber das Patriarchat begründet

KAPITEL 16, in dem Charles Darwin bei einem Striptease zuschaut und ein Ur-Männchen sein Weib erkennt

KAPITEL 17, in dem ein geklauter Apfel zu einem Schnellimbiss der Erkenntnis führt

KAPITEL 18, in dem der himmlische Schöpfer verdächtigt wird, ein heimlicher Marxist zu sein

KAPITEL 19, in dem sich ein uriger Affe trotz heftiger Proteste zu unserem Urgroßvater macht

KAPITEL 21, in dem es zu einem Mordprozess kommt und Apoll als Verteidiger die ganze Schöpfung noch einmal auf den Kopf stellt

KAPITEL 22, in dem ein heißer Typ namens Prometheus zu einem Megastar der Weltgeschichte wird und irgendwelche Ochsen den Kapitalismus erfinden

KAPITEL 23, in dem Zeus einen verdächtigen Braten riecht, aber kulinarisch auf den Hund kommt

KAPITEL 24, in dem Prometheus den »Samen des Feuers« aus dem Gemächte des Donnergottes stiehlt und Pandora mit einer seltsamen Büchse auftaucht

KAPITEL 25, in dem nobelpreisgekrönte Herren darüber grübeln, wie man Kinder zur Welt bringen kann ohne die störende Beteiligung einer Frau

KAPITEL 26, in dem wir als Mutanten ohne jede künstliche Intelligenz enttarnt werden

KAPITEL 27, in dem das Geschlecht des Autors infrage gestellt wird und seine persönliche Schöpfungsgeschichte ein vorläufiges Ende findet

EIN KURZER EPILOG, in dem es am Ende wieder einen Anfang gibt

QUELLEN, aus denen der mittlerweile erschöpfte Schöpfer Martin B. geschöpft hat

Miteinander denken aus Liebe

Und um der Liebe willen

Denkend, erkennend

Nicht von sich selber absehen

Mit der Sprache spielen

Neue Wörter finden

Christa Wolf

PROLOG, in dem der Autor die Schöpfung persönlich nimmt

I.

Am Anfang war ein Schrei. Ein Urschrei. Und der da schrie, war ich.

Ein erster Aufschrei, protestierend gegen meinen Ursprung. Ein vehementes Veto gegen diese Welt, auf die ich da gebracht worden war.

Ich hatte zuvor eine gefühlte Ewigkeit lang mit einer Frau auf das Engste zusammengelebt in einer wahrhaft symbiotischen Partnerschaft – auch wenn es nur neun Monate waren, wie ich später erfuhr.

Eines bösen Maientags hat diese Frau mich urplötzlich abgeschoben. Angeblich, weil ich zwei oder drei Pfund zugenommen hatte, was sie nicht mehr erträglich fand. Die denkbar engste Bindung endete mit einer Ent-Bindung. Unter massivem Druck zwang sie mich, sie zu verlassen. Ich wurde das Opfer einer femininen Erpressung.1

Von einem Nichtaugenblick zum ersten Augenblick: die Vertreibung aus dem Paradies. Halb blind fand ich mich in einer grässlich grellen Umgebung wieder. Notgedrungen erblickte ich das Elektrische der Welt.

Aus der Traum! Hinein ins Trauma!

Ein Vorgang, der später als Happy Birthday gefeiert wird.

Eine Schöpfungsgeschichte, die wir alle einmal durchgemacht haben.

II.

Warum ich Ihnen das erzähle?

Nun, in diesem Buch geht es um die Menschwerdung. Genauer: Es geht um die sagenhafte Menschenmacherei. Denn um dieses Thema ranken sich alle Ursprungs-Erzählungen: Wie kam der Mensch auf die Welt, und zwar auf diese? Schöpfungsgeschichten, die sich die Menschheit über sich selbst erzählt hat. Meist uralte Männermythen von Erschöpfern und Erschöpften.

Und der Bestand an Geschichten über die Schöpfung ist, nun ja, unerschöpflich – von den alten Ägyptern und Hebräern über die Antike und die Bibel bis hin zur Neuzeit. Von diesen Mythen berichte ich in diesem Buch. Fast immer sind es Geschichten, die von den Herren der Schöpfung handeln. Es sind meist göttliche Heroen, die den ersten Menschen in die Welt setzen. Und es sind ausnahmslos männliche Wesen, die als Erstgemachte die Macht ergreifen.

Die Schöpfungskraft darf keine weibliche sein. Urgeschichte als His-Story. Mich interessiert dabei: Wo bleibt Her-Story? Eine Geschichte, die eher »hysterisch« als historisch ist – und das im eigentlichen Wortsinne, denn hystera bezeichnet auf Medizinisch die Gebärmutter? Wird doch in den meisten Schöpfungsmythen etwas Offensichtliches radikal verdrängt – nämlich, dass das Zur-Welt-Bringen von Menschen eigentlich eine mütterliche Profession ist.

Und so schreibe ich hier eine verschwundene Urmami zur Fahndung aus. Cherchez la femme!

III.

Es harren immer die gleichen Fragen einer (unmöglichen) Antwort:

Was war am Anfang der Welt?

Dann: Wer war die Nummer eins?

Und warum muss es überhaupt eine Nummer eins geben? Warum überhaupt ein Über-Haupt?

Es geht um Gott und die Welt.

Um Ideologien.

Um Igittologien.

Um Ogottologien.

Es geht um die Frau und um den Mann.

Ich vermute, es geht auch um Sie.

Und ja, ganz gewiss geht es auch um mich.

1Eine Verdrängung, die ich mehr oder minder erfolgreich verdrängte. ImFreud’schen Mythos führte diese Urverdrängung aus dem Schoß des mütterlichen Urweibs zu einem unumstößlichen psychoanalytischen Glaubensbekenntnis: Wenn bei irgendwem eine Schraube locker ist, dann liegt es an derMutter.

KAPITEL 1, in dem ein gewisser Moses aus einem FKK-Campleicht schmuddelige Einzelheiten ausplaudert

I.

Fangen wir also mit einer Schöpfungsgeschichte aus dem Morgenland an – tolerant wie wir sind als europäische Abendland-Insassen, die wir dem nahöstlichen Teil dieser Welt stets freundlich zugewandt waren. Gleich zu Beginn bekommen wir es hier mit einem älteren Herrn zu tun, der alle Allmacht für sich beansprucht. Er ist allmächtig, weil er alles gemacht hat. So beginnt das Buch über seine Schöpfung mit den Worten:

»Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.«

Der beschriebene Schöpfungsakt fand an einem Sonntag statt. Es war exakt der 23. Oktober des Jahres 4004 (vor der sogenannten christlichen Zeit, versteht sich). Ich habe diese Information aus einer absolut zuverlässigen Quelle erhalten. Schon im 17. Jahrhundert hat ein irischer Erzbischof namens James Usher das Datum in seinen »Annales veteris testamenti« errechnet, nach langen biblischen Forschungen.

Nun waren zwar an jenem Sonntag im Jahr 4004 Himmel und Erde erschaffen, aber es konnte damals kaum von einem Himmel auf Erden die Rede gewesen sein, zumindest nicht für die Menschheit. Einer der Gründe dafür war die Tatsache, dass die Menschheit in den ersten sechs Schöpfungstagen noch gar nicht existierte. Auch danach gab es sie zunächst nur in Form von zwei spärlichen Einzelexemplaren namens Adam und Eva. Die beiden kamen erst ein paar Tage später im Paradies an – und blieben dort auch nicht lange. Knapp siebzehn Tage nach der ersten Stunde der Schöpfung wurden sie zwangsgeräumt, an einem trüben Montagmorgen, am 6. November 4004 vor unserer Zeit. Sie hatten sich nicht an die Haus- und Gartenordnung des Eigentümers gehalten. So mussten sie notgedrungen umziehen – und hausten fortan jenseits von Eden.

II.

Auch das Auszugsdatum erfuhr ich von jenem hoch angesehenen irischen Kirchenlehrer, dessen Berechnungen damals über jeden Zweifel erhaben waren (und diese Zeitangaben sind bei evangelikalen Hardcore-Sekten noch immer über alle frevlerischen Bedenken unanfechtbar erhaben).

Ushers Berechnungen des Schöpfungsbeginns stützen sich auf eine Ahnentafel im fünften Genesis-Kapitel des Alten Testaments mit konkreten Altersangaben von Adam über Methusalem bis hin zu Noah. Dort erfährt man Erstaunliches über Adam:

»Und Adam war hundertunddreißig Jahre alt und zeugteeinen Sohn ... Und er lebte danach achthundert Jahre undzeugte Söhne und Töchter, und sein ganzes Alter war neunhundertunddreißig Jahre, und er starb.«2

Dieser Erzbischof Usher wäre ein Mann nach dem Gusto meines Großvaters Oskar gewesen. Opa Oskar lebte, wie Sie zu Recht vermuten, ein paar Jahrhunderte später. Er war kein großer Kirchenmann, sondern eher ein mickriges Kirchenmännlein. Er war demütigst überzeugt von seiner Minderwertigkeit im Angesicht jeglicher Herrn. Je mehr er vor der Obrigkeit als mediokres Wesen kniefällig herumkroch, desto mehr brauchte er eine Untrigkeit, der er sich überwertig fühlen konnte. Meine Oma Clara war in jeder Hinsicht die Unterlegene. Ich wurde ein späteres Opfer des Tyrannen.

Er war Dorfdiakon in einem kleinen brandenburgischen Kaff mit einer schäbigen Gottesbehausung, wo er als Küster seinem Herrgott zu untertänigsten Diensten war. Er war ein Bibelfanatiker der fundamentalistischen Art, der jedes Wort der Bibel buchstäblich nahm.

Aber ich frage mich noch heute, warum mein preußischprüder Opa sich so sehr für den Bericht über ein paradiesisches Nudistenlager zwischen Euphrat und Tigris interessierte.

Vielleicht haben Sie schon von der Story gehört: Ein gewisser Moses, offenbar ein früher Paparazzo, hatte sich unter völliger Missachtung der Privatsphäre des dort lebenden prominenten Paares in den Garten Eden geschlichen.

Als unverschämter heimlicher Beobachter – ihn »Peeping Moses« zu nennen, wäre wohl zu hart – spionierte er Adam und Eva aus und notierte in seiner Story, die er später weltweit veröffentlichte:

»Und sie waren beide nackt, der Mann und seine Frau, undsie schämten sich nicht.«

Aber die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies ist eine spätere Geschichte in einem späteren Kapitel dieses Buches. Dann wird auch davon zu berichten sein, wie die beiden überhaupt zur Welt kamen. Und welche Rolle ein Apfel als Sündenfallobst bei ihrer Ausbürgerung spielte.

Doch noch sind wir ganz am Anfang der Schöpfung, am Tag null, und damit inmitten eines chaotischen Nichts.

2Man sieht, es gab schon damals ein echtes demografisches Problem mit derÜberalterung der Gesellschaft. Wahrscheinlich lag das Renteneintrittsalter zuAdams Zeiten bei ungefähr siebenhundert Jahren.

KAPITEL 2, in dem absolut nichts los istund wir abgrundtief ins Chaos stürzen

I.

Am Anfang waren also auf Gottes Geheiß Himmel und Erde geschaffen.

Doch auf der Erde war nicht viel los. Genauer gesagt: Es war überhaupt nichts los. So steht es zu lesen im zweiten Satz der Erzählung des Moses:

»Und die Erde war öd und leer.«

Die Genesis (das ist »Am Anfang« auf Griechisch) vermeldet als Erstes einen Fehlstart. Nur eine öde Leere finden wir vor, also rein gar nichts.

Sollten Sie ein gläubiger Juden- oder Christenmensch sein, der seinem Herrn unbesehen jeden Anfang abnimmt, so seien Sie versichert: Ich will ihn nicht unglaubwürdig machen. Nichts liegt mir ferner. Aber gerade dieses ferner liegende Nichts macht mir zu schaffen. Genauer: Wie schafft man es, aus einem Nichts ein Etwas zu machen?

Dabei ist das Nichts zu Beginn einer Schöpfung auch mir als schöpferischem Schreiberling leider allzu bekannt. Wie oft saß ich in sanfter Verzweiflung vor meinem elektronischen Hausaltar und wusste nicht, warum ich dort überhaupt hockte im Dämmerschein des Monitors. Meine Schöpfungskraft schien verdämmert zu sein. Ausgepowert. Die Festplatte unter meinem Schädel war offenbar gelöscht. Da war nichts und nothing. Doch plötzlich summte mir durch die Wüstenei meiner ergrauten Zellen ein alter Beatles-Song. Sie können gerne mitsummen:

»He’s a real nowhere man,

Sitting in his nowhere land,

Making all his nowhere plans for nobody.«

Da sitzt also einer in einem Nirgendwo und macht nichtige Pläne für nirgendwen.

Die Songschreiber waren John und Paul. Ihre Namen sind abgeleitet von den Aposteln Johannes und Paulus. Doch trotz ihrer apostolischen Benennung glaube ich nicht, dass sie mit der Titelfigur ihrer Hymne den alten Mann aus der Genesis gemeint haben, auch wenn sie singen:

»Nowhere man, the world is at your command!«

Die Welt steht ihm zu Diensten, sie hört auf seinen Befehl. Aber am Anfang der Bibel gab es keine Welt zu befehlen – nur ein Nirgendland: alles öd und leer. Da war nichts und niemand – nirgends.

Dennoch hat dieser Nowhere Man irgendwie in diesem Nirgendwo ein Irgendwas geschaffen. Für diese Unerklärlichkeit haben die christlichen Theologen einen lateinischen Ausdruck geprägt: eine Creatio ex nihilo, eine Schöpfung aus dem Nichts heraus.

Ich will jetzt nicht allzu quengelig erscheinen, aber einiges erscheint mir in diesem Kasus unklar. Angeblich war da anfänglich nichts als Nichts. Andererseits war der göttliche Schöpfer offenbar schon da. Aber wenn er schon existent war, kann das mit dem vermeintlichen Nichts nicht so ganz stimmen. Schließlich ist so ein Gott mehr als nur ein Nichts. Also muss schon vor dem angeblich nichtigen Anfang ein Etwas da gewesen sein, und zwar ein göttliches Etwas. Mithin war der Anfang kein Anfang.

Tja, einem Schöpfer kommt man nicht so leicht auf die Schliche. Doch wie Sie gerade am Beispiel dieses Buches in Ihrer Hand sehen, habe auch ich mir als kreativer Nihilist das anfängliche Nichts meiner Einfallslosigkeit zunutze gemacht, um diese unheilige Schrift zustande zu bringen. Eine kreative Nichts-Nutzigkeit, unter der Sie jetzt zu leiden haben.

Sorry! Nichts für ungut!

II.

Hören wir genauer hin, was uns die Genesis da zuraunt aus irgendeinem Nirgendwo:

»Und die Erde war öd und leer. Und Finsternis lag auf derTiefe.«

War da was?

Nööö, da war nichts.

Diese nachdrückliche Nichts-Sagenheit, dieses hartnäckige, öde Leugnen eines Was-auch-immer am Beginn einer Schöpfung erscheint mir immer fragwürdiger.

Mein Ursprungs-Verdacht hat sich verstärkt, nämlich dieser: Da fand offenbar anfänglich etwas statt, von dem man hinterher nichts mehr wissen wollte. Und so nebulöst sich im herrlichen Vollzug einer Verdrängung alles in nichts auf.

Um diesen Kasus näher zu untersuchen, lege ich kurz die Schriften des alten Moses beiseite und rufe einen noch älteren Zeugen auf. Hesiod heißt er, ebenfalls ein nicht unbegabter Schreiber. Der hat schon sieben Jahrhunderte vor der christlichen Zeitenwende eine Schöpfungsgeschichte verfasst, die Theogonie. Dort beschreibt er den Anfang mit den Worten:

»Siehe, vor allem zuerst war das Chaos.«

Woher Hesiod das wusste? Nur vom Hörensagen, wie er zugibt. Es waren die Musen, die bei ihrer Dichter-Abknutscherei, also beim Verteilen ihrer Musenküsse, ein paar Geheimnisse ausgeplaudert hatten. Etwas verkürzt heißt es bei Hesiod:

»Nennet mir, Musen, was da war zu Beginn, und was dazuerst war.«

Und so erzählen sie ihm bei einem intimen Tête-à-Tête die Geschichte vom Chaos als Ur-Anfang.

Da also ist sie wieder, die öde, nichtige Unordnung, wie sie auch im Buch Genesis beschrieben wird.

Wenn uns Hesiod auch nichts weiter verraten will, so verrät doch dieses Chaos von sich selbst schon genug, wenn man sich mal im Griechischen etwas umhört. Chaos leitet sich ab von dem Verb cháskein, auf Deutsch: »sich weit öffnen«.

Und was öffnet sich da?

Zunächst: Nichts (was sonst?). Alle Übersetzer verweisen dieses ursprüngliche Chaos in ein unergründliches Dunkel, in eine bodenlose Tiefe, in einen klaffenden Abgrund. Der urdeutsch-nazionale Hohepriester Martin Heidegger raunt von einem »Schlund«, von einem tiefen »Gähnen«.

Ich hoffe, dass ich Sie mit meiner Wortwurzelbuddelei nicht zu sehr langweile.

Doch wenn Sie jetzt tatsächlich gähnen sollten, tun Sie genau das, was sich im Chaos andeutet. Es öffnet sich etwas sehr weit.

Nun hat sich das griechische Chaos als Begriff selbst schon aus dem Indogermanischen gezeugt, aus der Wortwurzel ghe. Und dieses ghe klingt noch heute in jedem G(h)ähnen nach.

Was aber ist es, das sich da weit öffnet in diesem Chaos? Nun, die Sprache verrät noch mehr, wenn man ihr genauer lauscht: Auch die griechische gyne, die Frau, ging aus diesem ghe hervor, diesem gähnenden Chaos.

Doch das Sprachabenteuer geht noch weiter:

Die hellenische gyne hieß bei den alten Germanen ginna. Das war zugleich die Bezeichnung für eine Zauberin, ein Wesen mit einem geheimnisvollen Schoß. Ein Schoß, der viele männliche Knaben jeden Alters zauberisch verlockt und zugleich mit mulmigen Gefühlen erfüllt aufgrund seiner magischen Unergründlichkeit.

Mit dieser Ginna schrickt und lockt auch die altgermanische Edda-Dichtung. Deren Schöpfungsgeschichte beginnt mit den Worten:

»Da war nicht Erde unten

noch oben Himmel:

Ginnun – gagap!

Gähnen – abgrundtief.«

Damit dürfte klar sein, was sich uns im gähnenden Chaos eröffnet, auch wenn es von den schamhaften Lippen der patriarchalen Sittenwächter peinlichst verschwiegen wird. Das Chaos: eine Höhle, die sich weit öffnen muss, damit eine neue Schöpfung das Licht der Welt erblicken kann. Ergo: Chaos, der weibliche Schoß, das Gewölbe der Vulva. Gynökologie im Urbiotop des Weiblichen.

So haben die Schöpfungsberichte fast alle den gleichen Beginn: Am Anfang war zwar offenbar stets etwas irgendwie Weibliches. Eine feminine Geschlechtlichkeit, die man später nicht mehr wahrhaben wollte.

KAPITEL 3, in dem das Tor zur Hölle gesucht wirdund wir uns unvermutet zwischenden Schenkeln einer Frau wiederfinden

I.

Die Benennung dieser chaotischen Vulva zu Beginn der Schöpfung wäre für die alten Patriarchen und für die meisten Hohepriester und Höchstpriester, die ihnen folgten, unaussprechlich gewesen. Die Vulva ist für einen misogynen Zölibatman ein vulvaminöser Ort des Schreckens, ein sündhafter Höllenschlund.

Was für ein böses Grauen sich unterhalb der weiblichen Gürtellinie abspielt, wurde schon von den christlichen Kirchenvätern mit mannhafter Kühnheit erkundet, zum Beispiel von den klerikalen Opas Tertullian und Augustin. Sie waren überzeugt, »das Tor zur Hölle« beziehungsweise »die Pforte des Teufels« geografisch exakt lokalisiert zu haben, und zwar zwischen den Schenkeln der Frau. Ein anrüchiger Ort »intra urinas et faeces« (vom Augustinischen ins Deutsche latrinisiert: »zwischen Urin und Kot«).

Woher jene strengen Zölibaptisten diese genaue Ortskenntnis von solch teuflisch-sündhaften Pforten hatten, bleibt unklar, denn nach ihren eigenen Angaben hatten sie diese Eingangsportale nie aus der Nähe persönlich inspiziert.

II.

Nun weiß ich aus eigener Erfahrung in meinen jugendlichen Zeiten, dass die Entdeckung dieses vermaledeiten Zugangs tatsächlich nicht einfach ist, weil sich Frauen da weitgehend bedeckt halten. Sie agieren gewissermaßen undercover.

Doch schon als pubertärer Knabe war ich heftig fasziniert vom weiblichen Geschlecht, und zwar in allen seinen Teilen. Das lag vielleicht auch daran, dass es bei uns zu Hause keinen Vater gab. Da waren nur meine Mutter und zwei ältere Schwestern. Meinen Schwestern wurde des Öfteren eine untergründige Sexualerziehung zuteil, denn immer, wenn wir in Berlin mit der U-Bahn fuhren (die, wie ich annehme, nur wenige Meter oberhalb der Hölle dahinrauscht), befahl meine Mutter den Mädchen: »Setzt euch anständig hin und haltet die Knie zusammen.« Mit der Begründung: »Sonst kann man euch bis ins Himmelreich sehen.«

Ich war damals ein sehr frommer Junge und schwer am Himmelreich interessiert; ein früher Aktivist der Bewegung »Jugend forscht«. Aber es kann ja der Frömmste nicht in Frieden forschen, wenn es der keuschen Schwester nicht gefällt. (Wobei jetzt »Frömmste« keine Steigerung von »Fromms« ist.)

So lernte ich immerhin, wie nah das Himmelreich und die höllischsten Höhlen beieinanderliegen können.

KAPITEL 4,