Mansfield Park - Jane Austen - E-Book + Hörbuch

Mansfield Park Hörbuch

Jane Austen.

5,0

Beschreibung

Fanny auf der Suche nach der großen Liebe. Im Herrenhaus ›Mansfield Park‹ leben nicht weniger als drei junge Ehekandidatinnen. Die beiden Töchter des Hauses setzen durch Eitelkeit und Wankelmut ihr Glück aufs Spiel. Nicht so ihre verarmte Cousine Fanny, die auch auf der Suche nach der großen Liebe ist.

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Zeit:17 Std. 13 min

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Jane Austen

Mansfield Park

Roman

Aus dem Englischen übersetztvon Helga Schulz

KAPITEL 1

Vor etwa dreißig Jahren hatte Miss Maria Ward aus Huntingdon, die nur siebentausend Pfund besaß, das Glück, Sir Thomas Bertram von Mansfield Park in der Grafschaft Northampton für sich einzunehmen und damit in den Rang der Gattin eines Baronets erhoben zu werden, mit all den Annehmlichkeiten und dem großen Ansehen, die ein stattliches Haus und ein hohes Einkommen boten. Ganz Huntingdon ereiferte sich über die gesellschaftliche Bedeutung dieser Verbindung, und selbst ihr Onkel, der Anwalt, gab zu, daß ihr mindestens dreitausend Pfund fehlten, um billigerweise überhaupt einen Anspruch darauf zu haben. Sie hatte zwei Schwestern, denen ihre neue gesellschaftliche Stellung zugute kommen mußte, und diejenigen ihrer Bekannten, die Miss Ward und Miss Frances genauso hübsch fanden wie Miss Maria, zögerten nicht, diesen eine fast ebenso vorteilhafte Heirat zu prophezeien. Doch ganz gewiß gibt es nicht so viele Männer mit einem stattlichen Vermögen in der Welt, wie es hübsche Mädchen gibt, die sie verdienen würden. Miss Ward sah sich schließlich nach einem halben Dutzend Jahren genötigt, sich mit dem Rev. Mr. Norris, einem Freund ihres Schwagers, der kaum eigenes Vermögen besaß, zu verbinden, und Miss Frances erging es noch schlechter. Doch Miss Wards Partie war am Ende in der Tat gar nicht zu verachten, da Sir Thomas glücklicherweise in der Lage war, seinem Freund mit der Pfründe von Mansfield ein Einkommen zu verschaffen, und Mr. und Mrs. Norris begannen ihr Eheglück mit kaum weniger als eintausend Pfund im Jahr. Doch Miss Frances stieß ihre Familie mit ihrer Heirat, wie man so sagt, vor den Kopf, und zwar sehr gründlich, da sie sich für einen Leutnant der Marine ohne Bildung, Vermögen und Verbindungen entschied. Sie hätte kaum eine unpassendere Wahl treffen können. Sir Thomas besaß Einfluß, den er sowohl aus Prinzip als auch aus Stolz – aus dem allgemeinen Wunsch, recht zu tun, und dem Verlangen, alle seine Angehörigen in achtbaren Stellungen zu sehen – sehr gern zum Nutzen von Lady Bertrams Schwester eingesetzt hätte; doch der Beruf ihres Gatten war von einer Art, die keine Einflußnahme zuließ; und ehe er noch Zeit hatte, auf ein anderes Mittel zu ihrer Unterstützung zu sinnen, war es zu einem vollkommenen Bruch zwischen den Schwestern gekommen. Es war das natürliche Ergebnis des Verhaltens aller Beteiligten, wie es eine sehr unkluge Heirat fast immer zur Folge hat. Um sich selbst vor nutzlosen Vorhaltungen zu bewahren, schrieb Miss Frances niemals etwas davon an ihre Familie, ehe sie nicht tatsächlich verheiratet und Mrs. Price war. Lady Bertram, die von sehr ruhiger Gemütsart und außerordentlich nachgiebig und träge war, hätte sich damit begnügt, ihre Schwester lediglich aufzugeben und nicht mehr an die Sache zu denken; doch Mrs. Norris war stets voller Betriebsamkeit, und sie gab sich nicht zufrieden, ehe sie ihrer Schwester Fanny nicht einen langen, bösen Brief geschrieben hatte, um ihr die Torheit ihres Verhaltens klarzumachen und ihr mit all den möglichen schlimmen Folgen zu drohen. Mrs. Price wiederum war gekränkt und aufgebracht; und eine Antwort, in der sie in ihrer Bitterkeit beide Schwestern mit einbezog und so respektlose Bemerkungen über Sir Thomas’ Stolz machte, daß Mrs. Norris diese unmöglich für sich behalten konnte, machte jeglicher Verbindung zwischen ihnen für sehr lange Zeit ein Ende.

Sie lebten so weit entfernt voneinander und bewegten sich in so verschiedenen Kreisen, daß es fast ausgeschlossen war, während der folgenden elf Jahre voneinander zu hören, und es Sir Thomas zumindest sehr seltsam vorkommen mußte, daß es Mrs. Norris überhaupt möglich war, ihnen zu berichten – was sie gelegentlich in ärgerlichem Tone tat –, daß Fanny wieder ein Kind bekommen habe. Doch nach elf Jahren konnte es sich Mrs. Price nicht länger leisten, noch weiterhin in Stolz und Groll zu verharren und die einzige Verbindung zu verlieren, von der sie vielleicht Hilfe erhalten konnte. Eine große und noch immer wachsende Familie, ein Ehemann, der für den aktiven Dienst nicht mehr tauglich war, aber nichtsdestoweniger Gesellschaft und einen guten Tropfen liebte, und ein sehr kleines Einkommen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, ließen sie danach trachten, die Angehörigen wiederzugewinnen, die sie so unbedacht aufgegeben hatte; und sie wandte sich daher in einem Brief an Lady Bertram, der von so viel Zerknirschung und Verzweiflung, einem solchen Zuviel an Kindern und einem solchen Mangel an fast allem anderen zeugte, daß es sie alle bewegen mußte, sich mit ihr zu versöhnen. Sie erwartete ihre neunte Niederkunft; und nachdem sie diesen Umstand beklagt und sie um ihre Unterstützung als Paten für das erwartete Kind angefleht hatte, konnte sie nicht verbergen, wie wichtig es für sie sei, wenn sie diese künftig auch auf den Unterhalt der acht bereits vorhandenen ausdehnen würde. Ihr ältestes Kind sei ein Junge von zehn Jahren, ein feiner, lebhafter Bursche, den es in die Welt hinaustrieb, doch was konnte sie schon tun? Gab es irgendeine Möglichkeit für ihn, Sir Thomas künftig bei den Geschäften in seinem westindischen Besitztum nützlich zu sein? Jeder noch so geringe Posten wäre ihm recht – oder was meint Sir Thomas zu Woolwich? Oder auf welche Weise könnte man einen Jungen in den Osten hinausschicken?

Der Brief blieb nicht ohne Ergebnis. Er stellte Frieden und Wohlwollen wieder her. Sir Thomas gab freundlichen Rat und machte ihnen Zusicherungen, Lady Bertram schickte Geld und Babywäsche, und Mrs. Norris schrieb die Briefe.

Solcherart waren die augenblicklichen Auswirkungen, und nach einem Jahr ergab sich daraus für Mrs. Price ein noch bedeutenderer Nutzen. Mrs. Norris bemerkte den anderen gegenüber des öfteren, daß ihr ihre arme Schwester und deren Familie nicht aus dem Sinn gehe und daß sie, soviel sie alle auch für sie getan hätten, doch mehr zu benötigen schien; und schließlich müsse sie gestehen, daß es ihr Wunsch sei, die arme Mrs. Price von der Verantwortung und den Kosten für eines ihrer Kinder aus der großen Schar völlig zu befreien.

Wenn sie nun gemeinsam die Betreuung ihrer ältesten Tochter übernehmen würden – eines Mädchens von nunmehr neun Jahren, einem Alter, das mehr Aufmerksamkeit erfordere, als ihre arme Mutter ihr geben könne? Die Mühe und die Ausgaben dabei wären ein Nichts, gemessen an einer so wohltätigen Handlung. Lady Bertram stimmte ihr sofort zu. »Ich denke, das ist das beste, was wir tun können«, sagte sie, »laßt uns nach dem Kind schicken.«

Sir Thomas konnte eine so rasche und vorbehaltlose Zustimmung nicht geben. Er überlegte hin und her und zögerte; es war eine große Verantwortung; für ein Mädchen, das so aufwächst, muß angemessen gesorgt werden, sonst wäre es unbarmherzig statt wohltätig, wenn man sie von ihrer Familie fortholte. Er dachte an seine eigenen vier Kinder, an seine beiden Söhne, an die Möglichkeit, daß sich Cousins und Cousinen ineinander verlieben können und dergleichen; doch kaum hatte er vorsichtig damit begonnen, seine Bedenken vorzubringen, als Mrs. Norris ihn auch schon, ohne daß er damit zu Ende gekommen war, mit einer Antwort auf alle, einschließlich der noch gar nicht geäußerten, unterbrach.

»Mein lieber Sir Thomas, ich verstehe Sie vollkommen und erkenne Ihre Großmütigkeit und Ihr Zartgefühl in dieser Sache durchaus an, die in der Tat im Einklang mit Ihrer gewohnten Haltung stehen; und ich stimme in der Hauptsache völlig mit Ihnen überein, daß man alles in seiner Macht Stehende tun sollte, um für ein Kind zu sorgen, das man gewissermaßen unter seine Fittiche genommen hat; und ich bin gewiß die letzte in der Welt, die in einem solchen Fall nicht ihr Scherflein beitragen würde. Da ich selbst keine Kinder habe, um wen sollte ich mich sonst in einer mir möglichen bescheidenen Weise kümmern, wenn nicht um die Kinder meiner Schwestern? Und gewiß ist Mr. Norris zu gerecht, um … aber Sie wissen ja, ich bin kein Mensch von vielen Worten und Beteuerungen. Wir wollen uns doch nicht durch eine Kleinigkeit von einer guten Tat abschrecken lassen. Geben Sie einem Mädchen eine gute Erziehung und führen Sie es in angemessener Weise in die Gesellschaft ein, und – zehn zu eins – es sind ihr alle Voraussetzungen gegeben, sich gut zu verheiraten, ohne weitere Ausgaben für irgend jemand. Eine Nichte von uns, möchte ich sagen – oder zumindest von Ihnen, Sir Thomas –, würde in dieser Umgebung nicht aufwachsen, ohne viele Vorteile zu genießen. Ich sage nicht, daß sie ebenso hübsch sein würde wie ihre Cousinen. Das gewiß nicht; aber sie würde unter so außerordentlich günstigen Bedingungen in die hiesige Gesellschaft eingeführt werden, daß ihr dies aller Wahrscheinlichkeit nach eine achtbare Partie einbringen würde. Sie denken an Ihre Söhne, aber wissen Sie nicht, daß gerade dies am allerwenigsten zu erwarten ist, so wie sie gleich Geschwistern zusammen aufwachsen würden? Vom moralischen Standpunkt ist das unmöglich. Ich kenne kein einziges solches Beispiel. Das ist in der Tat der einzig sichere Weg, sie vor einer solchen Beziehung zu bewahren. Angenommen, sie ist sehr hübsch, und Tom und Edmund sähen sie erst sieben Jahre später zum ersten Mal, da würde es bestimmt ein Unglück geben. Der bloße Gedanke daran, daß man sie so weit weg von uns arm und vernachlässigt hat aufwachsen lassen, würde ausreichen, die lieben gutherzigen Jungen alle beide in sie verliebt zu machen. Aber lassen Sie das Mädchen von nun an mit ihnen aufwachsen, und Sie werden sehen, daß es, selbst wenn es schön wie ein Engel ist, niemals mehr für die beiden sein wird als eine Schwester.«

»Es ist viel Wahres in dem, was Sie sagen«, erwiderte Sir Thomas, »und es sei fern von mir, einem Plan, der mit den jeweiligen Umständen aller so gut vereinbar wäre, irgendein eingebildetes Hindernis in den Weg zu legen. Ich wollte nur bemerken, daß man so etwas nicht leichtfertig auf sich nehmen sollte und daß wir, damit es für Mrs. Price wirklich von Nutzen ist und uns Ehre macht, je nach den Umständen dem Kind das Leben einer Dame sichern und uns auch dazu verpflichtet sehen müssen, falls sich keine angemessene Heirat bieten sollte, wie Sie es mit solcher Zuversicht erwarten.«

»Ich verstehe Sie vollkommen«, rief Mrs. Norris, »es zeigt Ihre ganze Großzügigkeit und Umsichtigkeit, und wir werden in diesem Punkt niemals verschiedener Meinung sein. Was immer ich vermag, werde ich, wie Sie wohl wissen, stets gern zum Guten derer tun, die ich liebe; und obgleich ich für dieses kleine Mädchen nicht den hundertsten Teil der Zuneigung empfinden kann, die ich für Ihre eigenen lieben Kinder hege, und ich es auch in keiner Hinsicht mir ebenso zugehörig betrachte, würde ich mich doch verabscheuen, wenn ich es über mich brächte, das Mädchen hintanzustellen; und könnte ich es denn ertragen, sie Mangel leiden zu sehen, solange ich noch ein Stückchen Brot zu geben habe? Mein lieber Sir Thomas, bei all meinen Fehlern habe ich doch ein warmes Herz; und so arm ich auch bin, würde ich mir doch eher notwendige Dinge des Lebens versagen, als mich kleinlich zeigen. Wenn Sie also nicht dagegen sind, werde ich morgen an meine arme Schwester schreiben und ihr den Vorschlag unterbreiten; und sobald die Sache geregelt ist, werde ich es übernehmen, das Kind nach Mansfield kommen zu lassen; für Sie wird es keine Umstände mit sich bringen. Ich selbst werde, wie Sie wissen, keine Mühe scheuen. Ich werde Nanny zu diesem Zweck nach London schicken; sie kann dort bei ihrem Cousin, dem Sattler, übernachten, und das Kind kann dann dort mit ihr zusammentreffen. Man kann es leicht unter der Obhut einer vertrauenswürdigen Person, die auch gerade nach London fährt, mit der Postkutsche von Portsmouth in die Stadt schicken. Bestimmt fährt immer die eine oder andere achtbare Händlerfrau dorthin.«

Außer gegen den Anschlag auf Nancys Cousin machte Sir Thomas keine Einwände mehr geltend, und nachdem nunmehr eine respektablere, wenngleich weniger sparsame Art des Zusammentreffens festgelegt worden war, betrachtete man alles als geregelt, und man gab sich bereits jetzt der Freude über diesen wohlwollenden Plan hin. Gerechterweise hätten diese befriedigenden Gefühle jedoch nicht gleichmäßig verteilt sein sollen; denn Sir Thomas war vollkommen entschlossen, der wirkliche und konsequente Beschützer des auserwählten Kindes zu sein, während Mrs. Norris nicht die geringste Absicht hatte, in irgendeiner Weise zu seinem Unterhalt beizutragen. Soweit es um Gehen, Reden und Pläneschmieden ging, war sie außerordentlich wohltätig, und niemand verstand es besser, anderen Großzügigkeit vorzuschreiben; doch ihre Liebe zum Geld entsprach durchaus ihrer Liebe, Anweisungen zu geben, und sie verstand es ebensogut, ihr eigenes Geld zu sparen wie das ihrer Angehörigen auszugeben. Da sie durch ihre Heirat über ein geringeres Einkommen verfügte, als sie es einmal erwartet hatte, glaubte sie von Anfang an, daß für sie eine ganz strikte Sparsamkeit erforderlich sei; und was sie aus Umsicht begann, wurde bald zu einem selbstgewählten Gegenstand der Besorgtheit, wie ihn eine Frau braucht, wenn keine Kinder aufzuziehen sind. Hätte Mrs. Norris eine Familie zu versorgen gehabt, hätte sie ihr Geld vielleicht niemals gespart; da sie aber keine Aufgabe dieser Art hatte, gab es auch nichts, was sie am Sparen hinderte und ihre Freude daran verringerte, jedes Jahr etwas zu einem Einkommen hinzuzufügen, das sie zu zweit ohnehin nie verbraucht hatten. Nach diesem mit Leidenschaft verfolgten Prinzip, dem keine wirkliche Zuneigung zu ihrer Schwester entgegenstand, war es ihr unmöglich, auf mehr aus zu sein als auf das Verdienst, eine so kostspielige Wohltätigkeit zu planen und in die Wege zu leiten – wenn sie sich auch vielleicht so wenig selbst kannte, daß sie nach diesem Gespräch in dem glücklichen Glauben zu ihrem Pfarrhaus heimgehen mochte, daß sie die großzügigste Schwester und Tante der Welt sei.

Als das Thema erneut zur Sprache kam, traten ihre Vorstellungen genauer zutage; und auf Lady Bertrams ruhige Frage hin: »Wo soll denn das Kind zuerst hinkommen, Schwester?« hörte Sir Thomas sie mit einiger Überraschung erwidern, daß es absolut nicht in ihrer Macht liege, einen Anteil an dessen persönlicher Betreuung zu übernehmen. Er hatte gemeint, daß es doch ein besonders willkommener Zuwachs für das Pfarrhaus sei, eine wünschenswerte Gefährtin für eine Tante, die keine eigenen Kinder habe; doch darin sah er sich vollkommen getäuscht. Leider müsse Mrs. Norris sagen, daß es, zumindest wie die Dinge im Augenblick lägen, gar nicht in Frage käme, daß sie das kleine Mädchen bei sich aufnehme. Die schwache Gesundheit des armen Mr. Norris mache es unmöglich; er könne den Lärm eines Kindes ebensowenig ertragen wie er fliegen könne; sollte er allerdings von seinem Gichtleiden jemals wieder gesunden, wäre das eine andere Sache; sie würde dann gern ihren Anteil übernehmen und die Unbequemlichkeiten ohne weiteres auf sich nehmen; aber im Augenblick nähme der arme Mr. Norris all ihre Zeit in Anspruch, und sie sei sicher, daß ihn die bloße Erwähnung einer solchen Sache sehr beunruhigen würde.

»Dann sollte sie besser zu uns kommen«, sagte Lady Bertram mit der größten Gelassenheit. Nach einer kurzen Pause fügte Sir Thomas mit Würde hinzu: »Ja, ihr Heim soll in diesem Hause sein. Wir werden bestrebt sein, unsere Pflicht an ihr zu tun, und sie wird zumindest den Vorzug genießen, gleichaltrige Gefährtinnen und eine wirklich befähigte reguläre Lehrerin zu bekommen.«

»Sehr richtig«, rief Mrs. Norris, »das sind beides sehr wichtige Überlegungen; es wird völlig gleich sein für Miss Lee, ob sie drei Mädchen zu unterweisen hat oder nur zwei – das macht keinen Unterschied. Ich wünschte nur, ich könnte mehr von Nutzen sein; aber wie Sie sehen, tue ich alles in meiner Macht Stehende. Ich gehöre nicht zu denen, die irgendwelche Mühen scheuen; und Nanny soll sie holen, obgleich es mir Schwierigkeiten bereiten mag, wenn meine Hauptratgeberin drei Tage lang fort ist. Ich nehme an, Schwester, du wirst dem Kind die kleine weiße Dachstube bei den alten Kinderzimmern geben. Das wäre der allerbeste Platz für sie, so in der Nähe von Miss Lee und nicht weit weg von den Mädchen, und so dicht bei den Hausmädchen, die ihr beide beim Ankleiden helfen und sich um ihre Kleider kümmern können, denn ich nehme an, du kannst es gerechterweise von Ellis nicht erwarten, daß sie ihr ebenso wie den anderen beiden aufwartet. Wirklich sehe ich keine andere Möglichkeit, sie woanders unterzubringen.«

Lady Bertram erhob keinen Einspruch.

»Ich hoffe, sie wird sich als ein gutgesinntes Mädchen erweisen«, fuhr Mrs. Norris fort, »und sich ihres ungewöhnlichen Glücks bewußt sein, solche Verwandten zu haben.«

»Sollte sie wirklich schlechte Anlagen haben«, sagte Sir Thomas, »müssen wir sie um unserer eigenen Kinder willen nicht in unserer Familie behalten; aber es gibt keinen Grund, etwas so Schlimmes zu erwarten. Wir werden vermutlich eine ganze Menge an ihr verändert sehen wollen, und wir müssen uns auf große Unwissenheit, auf gewisse gewöhnliche Vorstellungen und sehr erschreckende unfeine Manieren gefaßt machen; aber das sind keine unverbesserbaren Fehler; auch glaube ich nicht, daß sie für ihre Gefährtinnen bedenklich sein können. Wären meine Töchter jünger als sie, hätte ich das Einführen einer solchen Gefährtin als eine sehr ernste Angelegenheit betrachtet; doch wie die Sache liegt, hoffe ich, daß für sie nichts zu befürchten und für das Mädchen von dem Umgang mit ihnen alles zu erhoffen ist.«

»Genauso denke ich auch«, rief Mrs. Norris, »und so habe ich es auch heute morgen zu meinem Gatten gesagt. Allein schon das Zusammensein mit ihren Cousinen wird sie erziehen; wenn Miss Lee ihr auch nichts beibrächte, würde sie schon von ihnen lernen, gut und klug zu sein.«

»Ich hoffe, sie wird meinen armen Mops nicht quälen«, sagte Lady Bertram; »ich habe gerade erst Julia dazu gebracht, ihn in Ruhe zu lassen.«

»Es wird einige Schwierigkeiten dabei geben, Mrs. Norris«, bemerkte Sir Thomas, »wie wir uns hinsichtlich einer angemessenen Unterscheidung verhalten, die zwischen den Mädchen bei ihrem Heranwachsen zu machen ist – wie in den Köpfen meiner Töchter das Bewußtsein zu bewahren ist, wer sie sind, ohne sie zu veranlassen, zu gering von ihrer Cousine zu denken; und diese, ohne daß es sie zu sehr bedrückt, nicht vergessen zu lassen, daß sie nicht eine Miss Bertram ist. Ich möchte schon, daß sie sich sehr gut verstehen, und würde bei meinen Töchtern auch nicht das kleinste bißchen Arroganz gegenüber ihrer Cousine billigen; und doch können sie nicht auf gleicher Stufe stehen. Ihr Stand, ihr Vermögen, ihre Rechte und Erwartungen werden immer andere sein. Das erfordert ein hohes Maß an Feingefühl, und Sie müssen uns helfen in unseren Bemühungen, genau die richtige Verhaltensweise zu finden.«

Mrs. Norris stand ganz zu seinen Diensten; und obgleich sie vollkommen mit ihm darin übereinstimmte, daß dies eine äußerst schwierige Sache sei, ermutigte sie ihn doch zu der Hoffnung, daß dies für sie alle leicht zu bewerkstelligen sei.

Man kann sich leicht vorstellen, daß Mrs. Norris nicht umsonst an ihre Schwester schrieb. Mrs. Price schien ziemlich überrascht, daß man sich auf ein Mädchen festgelegt hatte, wo sie doch so viele prächtige Jungen hatte; doch nahm sie das Angebot äußerst dankbar an und versicherte ihnen, daß ihre Tochter ein sehr wohlgesinntes und gutmütiges Mädchen sei und sie darauf vertraue, daß man niemals Grund haben werde, sie wieder fortzuschicken. Ferner sagte sie von ihr, daß sie etwas zart und schwächlich sei, doch hoffe sie zuversichtlich, daß ihr die Luftveränderung eine wesentliche Besserung bringen werde. Die arme Frau, sie meinte wahrscheinlich, daß eine Luftveränderung vielen ihrer Kinder guttun würde.

KAPITEL 2

Das kleine Mädchen brachte ihre lange Reise sicher hinter sich; und in Northampton traf sie mit Mrs. Norris zusammen, die sich somit der Ehre des Verdienstes erfreute, sie als erste begrüßen zu können, und der bedeutenden Aufgabe, sie bei den anderen einzuführen und ihrem Wohlwollen zu empfehlen.

Fanny Price war zu dieser Zeit gerade zehn Jahre alt, und obgleich sie bei ihrem ersten Erscheinen nichts Einnehmendes an sich hatte, gab es an ihr doch auch zumindest nichts, was ihre Verwandten abgestoßen hätte. Sie war klein für ihr Alter, besaß keine blühende Gesichtsfarbe und auch keine sonstige auffallende Schönheit, war außerordentlich ängstlich und schüchtern und scheute sich davor, beachtet zu werden; doch ihr Gebaren war, wenngleich etwas linkisch, nicht gewöhnlich, sie hatte eine angenehme sanfte Stimme, und wenn sie sprach, war ihr Gesicht richtig hübsch. Sir Thomas und Lady Bertram empfingen sie sehr freundlich; und da Sir Thomas sah, wie viel Ermutigung sie brauchte, versuchte er, ihr so gewinnend wie möglich zu begegnen, doch machte es ihm seine hierfür äußerst unglückliche würdevolle Haltung recht schwer; und Lady Bertram wurde, ohne sich halb soviel Mühe zu geben und mit nur einem Wort, während er zehn sprach, und der bloßen Hilfe eines gutmütigen Lächelns für sie augenblicklich das weniger furchterregende Wesen der beiden.

Die jungen Leute waren alle zu Hause und standen ihren Anteil an der Vorstellung sehr gut durch, mit viel guter Laune und ohne Verlegenheit, zumindest auf Seiten der Söhne, die mit ihren siebzehn und sechzehn Jahren, und groß, wie sie für ihr Alter waren, für ihre kleine Cousine die ganze Würde von Männern besaßen. Die beiden Mädchen wußten weniger zu sagen, da sie jünger waren und ihren Vater mehr fürchteten, der sich bei dieser Gelegenheit mit einer recht unüberlegten Ausführlichkeit an sie wandte. Doch sie waren zu sehr an Gesellschaft und Lob gewöhnt, um so etwas wie eine natürliche Scheu zu haben; und da ihr Selbstvertrauen angesichts des vollkommenen Mangels daran bei ihrer Cousine wuchs, waren sie bald imstande, völlig unbekümmert ihr Gesicht und ihr Kleid zu mustern.

Es war eine ungewöhnlich schöne und vornehme Familie, die Söhne waren gutaussehend, die Töchter entschieden hübsch zu nennen, und alle waren sie gut gewachsen und ihrem Alter voraus, was einen ebenso auffallenden Unterschied gegenüber ihrer kleinen Cousine sowohl in ihrem Äußeren als auch in ihrem durch ihre Erziehung erworbenen Benehmen hervorrief; und niemand hätte vermutet, daß die Mädchen wirklich fast gleichaltrig waren. Tatsächlich war Fanny nur zwei Jahre jünger als die Jüngere von beiden. Julia Bertram war erst zwölf und Maria nur ein Jahr älter. Der kleine Gast war unterdessen denkbar unglücklich. Da sich Fanny vor allen fürchtete, sich ihrer selbst schämte und nach dem Heim verlangte, das sie verlassen hatte, wagte sie nicht aufzusehen und konnte nur kaum hörbar oder nicht ohne zu weinen sprechen. Mrs. Norris hatte den ganzen Weg von Northampton auf sie eingeredet über ihr wunderbares Glück und die außerordentliche Dankbarkeit und das gute Betragen, die man dafür erwarten konnte; und das Bewußtsein ihres Elends wurde somit noch erhöht durch den Gedanken, daß es böse von ihr sei, nicht glücklich zu sein. Und auch die Erschöpfung nach einer so langen Reise wurde für sie bald zu einem nicht geringen Übel. Umsonst war die ganze wohlgemeinte Leutseligkeit von Sir Thomas und die ganzen zudringlichen Prophezeiungen von Mrs. Norris, daß sie doch ein gutes Mädchen sein werde, umsonst lächelte Lady Bertram und hieß sie, sich neben sie und den Mops auf das Sofa zu setzen, und umsonst war selbst der Anblick eines Stachelbeertortenstückchens zu ihrem Trost; sie konnte kaum zwei Happen davon hinunterschlucken, bevor ihre Tränen sie nicht weiteressen ließen; und da Schlaf ihr erfolgversprechendster Freund zu sein schien, wurde sie zu Bett gebracht, damit dort ihr Kummer ein Ende nahm.

»Das ist kein sehr vielversprechender Anfang«, sagte Mrs. Norris, als Fanny das Zimmer verlassen hatte. »Nach all dem, was ich ihr auf der Herfahrt gesagt hatte, dachte ich, sie würde sich besser benehmen; ich habe ihr gesagt, wieviel für sie davon abhängen könnte, wenn sie gleich zu Anfang ein gutes Benehmen zeigte. Hoffentlich ist sie nicht ein bißchen eigensinnig – ihre Mutter war es nicht wenig, aber wir müssen einem solchen Kind einiges zugute halten; und ich denke nicht, daß es wirklich gegen sie spricht, wenn sie Kummer hat, weil sie von zu Hause fort ist, denn bei all den Mängeln war es doch ihr Zuhause, und sie kann jetzt noch nicht verstehen, wie sehr sie sich verbessert hat; aber schließlich gibt es ein Maß in allen Dingen.«

Es erforderte jedoch eine längere Zeit, als Mrs. Norris zu berücksichtigen geneigt war, um Fanny mit all dem ungewohnten Neuen von Mansfield Park und der Trennung von allen, an die sie gewöhnt war, auszusöhnen. Sie war sehr empfindsam, und man verstand sie zu wenig, um sich ihr in der richtigen Weise zu widmen. Niemand wollte unfreundlich sein, doch es gab sich auch niemand besondere Mühe, für ihr Wohlbefinden zu sorgen.

Der freie Tag, der den Misses Bertram am nächsten Tag zugestanden wurde, um ihnen Muße zu geben, sich mit ihrer kleinen jungen Cousine vertraut zu machen und sie zu unterhalten, brachte sie kaum einander näher. Sie mußten sie ja geringachten, als sie feststellten, daß sie nur zwei Schärpen besaß und niemals Französisch gelernt hatte; und als sie bemerkten, daß sie von dem Duett, das sie ihr freundlicherweise vorspielten, wenig beeindruckt war, konnten sie nicht mehr tun, als ihr ein großzügiges Geschenk von einigen ihrer am wenigsten geschätzten Spielzeuge zu machen und sie sich selbst zu überlassen, während sie ihren im Augenblick gerade beliebtesten Freizeitbeschäftigungen nachgingen und künstliche Blumen fertigten oder Goldpapier verschwendeten.

Fanny war, ob sie nun mit ihren Cousinen zusammen war oder nicht, ob sie sich im Schulzimmer, im Salon oder bei den Strauchrabatten befand, überall gleichermaßen unglücklich und fand an jeder Person und jedem Ort etwas, wovor sie sich fürchtete. Lady Bertrams Schweigen entmutigte sie, Sir Thomas’ ernste Blicke flößten ihr Furcht ein, und Mrs. Norris’ Ermahnungen drückten sie völlig zu Boden. Ihre älteren Cousinen und Cousins verletzten sie durch Bemerkungen über ihre Größe und brachten sie wegen ihrer Schüchternheit in Verlegenheit; Miss Lee wunderte sich über ihre Unwissenheit, und die Dienstmädchen spotteten über ihre Kleider; und als zu diesem Kummer noch der Gedanke an ihre Brüder und Schwestern daheim hinzukam, für die sie stets eine wichtige Person gewesen war als Spielgefährtin, Lehrerin und Kindermädchen, war die Verzweiflung, die ihr kleines Herz niederdrückte, sehr groß.

Die Pracht des Hauses erstaunte sie, konnte sie jedoch nicht trösten. Die Räume waren zu groß für sie, um sich darin ungezwungen bewegen zu können; was sie auch anrührte, glaubte sie zu beschädigen, und sie schlich in ständiger Angst vor irgend etwas umher, und oft zog sie sich in ihr eigenes Zimmer zurück und weinte; und das kleine Mädchen – von dem man, wenn es abends den Salon verließ, sagte, daß es sich doch so angenehm ihres besonderen Glückes bewußt zu sein schien – beendete den Kummer eines jeden Tages, indem es sich in den Schlaf weinte. Eine Woche war so vergangen, ohne daß ihr stilles, passives Wesen etwas davon ahnen ließ, als ihr Cousin Edmund, der jüngere der Söhne, sie eines Morgens weinend auf den Stufen zu ihrer Dachkammer sitzend fand.

»Meine liebe kleine Cousine«, sagte er mit der ganzen Sanftmut eines trefflichen Menschen, »was fehlt dir denn?« Und während er sich zu ihr setzte, bemühte er sich sehr, ihr die Scham darüber, daß sie so überrascht wurde, zu nehmen und sie dazu zu bringen, offen zu sprechen. Ob sie denn krank sei, oder sei jemand böse mit ihr? Oder habe sie sich mit Maria und Julia gezankt? Oder mache ihr irgend etwas im Unterricht zu schaffen, das er erklären könne? Kurz und gut, brauche sie irgend etwas, das er ihr vielleicht beschaffen oder für sie tun könne? Eine ganze Zeitlang konnte er keine andere Antwort bekommen als: »Nein, nein – überhaupt nicht – nein, danke«; doch er gab nicht auf; und kaum war er auf ihr Zuhause zu sprechen gekommen, als ihr verstärktes Schluchzen ihm sagte, wo ihr Kummer zu suchen sei. Er versuchte, sie zu trösten.

»Du bist traurig, weil du von deiner Mama fort bist, meine liebe kleine Fanny«, sagte er, »und das zeigt, daß du ein sehr liebes Mädchen bist; aber du mußt auch daran denken, daß du nun bei Verwandten und Freunden bist, die dich alle liebhaben und dich glücklich machen möchten. Laß uns zusammen in den Park gehen, dann sollst du mir alles über deine Brüder und Schwestern erzählen.«

Während sie darüber sprachen, stellte er fest, daß es – so lieb ihr auch alle diese Schwestern und Brüder waren – einen unter ihnen gab, an den sie weit mehr dachte als an die übrigen. Es war William, über den sie am meisten sprach und den sie am meisten zu sehen wünschte. William, der Älteste, ein Jahr älter als sie selbst, ihr ständiger Gefährte und Freund, ihr Fürsprecher bei ihrer Mutter (deren Liebling er war) bei jedem Kummer. William hatte es nicht gefallen, daß sie fortging, er habe ihr gesagt, er würde sie ganz bestimmt sehr vermissen. »Aber William wird dir bestimmt schreiben.« Ja, er habe es ihr versprochen, aber er habe gesagt, sie solle zuerst schreiben. »Und wann wirst du das tun?« Sie senkte den Kopf und erwiderte zögernd, sie wisse es nicht, sie habe kein Papier.

»Wenn das dein ganzes Problem ist, dann werde ich dir Papier und alles andere dazu beschaffen, und du kannst dann deinen Brief schreiben, wann immer du möchtest. Wird es dich glücklich machen, wenn du an William schreiben kannst?«

»Ja, sehr.«

»Dann soll es gleich geschehen. Komm mit mir ins Frühstückszimmer, dort finden wir alles, und du kannst sicher sein, daß wir das Zimmer für uns haben.«

»Aber wird der Brief auch zur Post kommen?«

»Aber ja, darauf kannst du dich verlassen, er geht mit den anderen Briefen fort; und da dein Onkel ihn frankieren wird, kostet er William nichts.«

»Mein Onkel!« wiederholte Fanny mit einem erschrockenen Blick.

»Ja, wenn du den Brief geschrieben hast, bringe ich ihn zu meinem Vater, damit er ihn frankiert.«

Fanny fand das sehr kühn, aber sie sträubte sich nicht weiter; und sie gingen zusammen ins Frühstückszimmer, wo Edmund ihr mit der ganzen Gutwilligkeit, die gewiß auch ihr Bruder gezeigt hätte, ein Blatt zurechtlegte und Linien zog, nur vielleicht mit etwas größerer Genauigkeit als dieser. Er blieb die ganze Zeit bei ihr, während sie schrieb, um ihr mit seinem Federmesser oder seiner Orthographie zu helfen, sobald eines davon benötigt wurde; und zu diesen von ihr so dankbar angenommenen Aufmerksamkeiten kam noch seine Freundlichkeit gegenüber ihrem Bruder, die sie noch mehr als alles andere erfreute. Er schrieb mit eigener Hand seine Grüße an seinen Cousin William darunter und schickte ihm unter dem Siegel eine halbe Guinee. Fannys Gefühle bei dieser Gelegenheit waren derart, daß sie glaubte, sie gar nicht genügend zum Ausdruck bringen zu können; doch ihre Miene und ein paar einfache aufrichtige Worte zeigten vollkommen ihre ganze Dankbarkeit und Freude, und ihr Cousin fand schließlich, daß sie ein durchaus anziehendes kleines Wesen sei. Er sprach nun mehr mit ihr, und alles, was sie sagte, überzeugte ihn, daß sie ein liebevolles Herz hatte und den starken Wunsch, recht zu tun; und an ihrer großen Empfindsamkeit gegenüber ihrer Lage und ihrer großen Schüchternheit erkannte er, wieviel mehr Aufmerksamkeit ihr gewidmet werden mußte. Er hatte ihr niemals wissentlich Kummer bereitet, doch nun fühlte er, daß sie mehr wirklicher Freundlichkeit bedurfte, und mit diesem Ziel bemühte er sich in erster Linie, ihre Furcht vor ihnen allen zu mindern, und gab ihr insbesondere eine Menge guter Ratschläge, wie sie mit Maria und Julia spielen und so fröhlich wie möglich sein konnte.

Von diesem Tag an wurde es Fanny leichter ums Herz. Sie fühlte, daß sie einen Freund hatte, und die Güte ihres Cousins Edmund machte sie auch mutiger und lebhafter allen anderen gegenüber. Mansfield Park wurde ihr vertrauter, und die Leute erschienen ihr weniger furchteinflößend; und wenn einige darunter waren, die sie nicht aufhören konnte zu fürchten, so lernte sie zumindest ihre Eigenheiten besser kennen und fand heraus, wie sie ihnen am besten willfahren konnte. Die kleinen ländlichen Gewohnheiten und Unbeholfenheiten, die die Ruhe aller anfangs stark beeinträchtigten, und nicht zuletzt ihre eigene, verloren sich zwangsläufig, und sie fürchtete sich nicht mehr so sehr davor, vor ihrem Onkel zu erscheinen, und Mrs. Norris’ Stimme ließ sie nicht mehr gar so sehr zusammenfahren. Für ihre Cousinen wurde sie gelegentlich eine willkommene Gefährtin. Obgleich sie jünger und schwächer und deshalb nicht würdig war, ihre ständige Spielgefährtin zu sein, war ihnen bei ihrer Art von Vergnügungen und Plänen eine Dritte zuweilen ganz nützlich, besonders da diese Dritte ein so gefälliges und nachgiebiges Wesen war; und wenn ihre Tante die beiden nach ihren Fehlern fragte oder ihr Bruder Edmund geltend machte, daß sie Anspruch auf ihre Freundlichkeit habe, mußten sie zugeben, daß Fanny ziemlich gutmütig sei.

Edmund selbst war immer gleichbleibend lieb zu ihr; und von Toms Seite hatte sie nichts Schlimmeres zu ertragen als die Art Spaß, die ein junger Mann von siebzehn Jahren gegenüber einem Kind von zehn Jahren stets für zulässig hält. Er trat gerade ins Erwachsenenleben ein, voller Elan und mit all den Freiheiten eines ältesten Sohnes, der glaubt, allein zur Verschwendung und zum Vergnügen geboren zu sein. Seine Freundlichkeit gegenüber seiner kleinen Cousine entsprach seiner Stellung und seinen Rechten – er machte ihr einige hübsche Geschenke und lachte über sie.

Da sich nun Fannys Aussehen und Gemütsverfassung immer mehr besserten, betrachteten Sir Thomas und Mrs. Norris ihren wohltätigen Plan mit größerer Befriedigung; und sie waren sich ziemlich bald darüber einig, daß Fanny, obgleich sie keineswegs klug war, so doch ein fügsames Wesen besaß und ihnen vermutlich wenig Schwierigkeiten machen würde. Die geringe Meinung der beiden von Fannys Fähigkeiten wurde auch von anderen geteilt. Fanny konnte lesen, nähen und schreiben, doch mehr war ihr nicht beigebracht worden; und als ihre Cousinen feststellten, daß sie so viele Dinge nicht wußte, die ihnen längst bekannt waren, fanden sie sie reichlich dumm, und während der ersten zwei bis drei Wochen brachten sie ständig Neuigkeiten darüber mit in den Salon. »Liebe Mama, stell dir vor, meine Cousine kann die Landkarte von Europa nicht zusammenstellen«, oder »meine Cousine kann die großen Flüsse in Rußland nicht nennen«, oder »sie hat noch nie etwas von Kleinasien gehört«, oder »sie kennt nicht den Unterschied zwischen Aquarellfarben und Pastellstiften! Sehr seltsam! Hast du schon einmal so etwas Dummes gehört?«

»Meine Lieben«, antwortete ihre umsichtige Tante dann, »das ist sehr schlimm, aber ihr dürft nicht erwarten, daß alle so weit fortgeschritten sind und so leicht lernen wie ihr.«

»Aber Tante, sie ist wirklich sehr unwissend! Weißt du, gestern abend haben wir sie gefragt, welchen Weg sie nach Irland nehmen würde; und sie sagte, sie würde zur Isle of Wight hinüberfahren. Sie denkt an nichts anderes als an die Isle of Wight, und sie nennt sie die Insel, als gäbe es keine andere Insel auf der Welt. Ich würde mich bestimmt schämen, wenn ich das nicht schon lange bevor ich so alt war wie sie gewußt hätte. Ich kann mich gar nicht an die Zeit erinnern, als ich noch vieles von dem, wovon sie noch immer nicht die leiseste Ahnung hat, nicht wußte. Wie lange ist es her, Tante, daß wir die chronologische Reihenfolge der Könige von England herzusagen lernten, mit den Daten ihrer Thronbesteigung und den meisten der Hauptereignisse während ihrer Herrschaft!«

»Ja«, fügte die andere hinzu, »und all die römischen Kaiser bis hinunter zu Severus, außerdem einen großen Teil der heidnischen Mythologie und die ganzen Metalle und Halbmetalle und die Planeten und die berühmten Philosophen.«

»Ja, sehr richtig, meine Lieben, aber ihr seid mit einem wunderbaren Gedächtnis gesegnet, und eure arme Cousine hat wahrscheinlich überhaupt keins. Es gibt enorme Unterschiede beim Gedächtnis, wie auch bei allem anderen, und deshalb müßt ihr Nachsicht haben mit eurer Cousine und Mitleid mit ihren Unzulänglichkeiten. Und denkt daran, daß ihr selbst, wenn ihr auch noch so fortgeschritten und klug seid, stets bescheiden sein solltet; denn soviel ihr auch schon wißt, es gibt noch eine Menge mehr für euch zu lernen.«

»Ja, das weiß ich – bis ich siebzehn bin. Aber ich muß dir noch etwas anderes von Fanny erzählen, etwas ganz Komisches und Dummes. Weißt du, sie sagt, sie möchte weder Klavierspielen noch Malen lernen.«

»Das ist allerdings wirklich sehr dumm, meine Liebe, und es zeigt, daß es ihr sehr an Geist und an dem Bestreben mangelt, es euch gleichzutun. Aber alles in allem weiß ich nicht, ob es nicht ganz gut so ist, denn obwohl euer Papa und eure Mama, wie ihr wißt, (dank meiner Fürsprache) so gut sind, sie mit euch zusammen aufzuziehen, ist es überhaupt nicht notwendig, daß sie ebenso vielseitig gebildet ist wie ihr – im Gegenteil, es ist weit wünschenswerter, daß es da einen Unterschied gibt.«

Solcherart waren die Ratschläge, mit denen Mrs. Norris dazu beitrug, das Denken und Fühlen ihrer Nichten zu formen; und es ist nicht so sehr zu verwundern, daß es ihnen bei all ihren vielversprechenden Gaben und frühen Unterweisungen an den weniger verbreiteten Eigenschaften der Selbsterkenntnis, der Großmut und der Bescheidenheit vollkommen mangelte. In allem außer in der Bildung ihres Charakters hatten sie eine großartige Erziehung genossen. Sir Thomas wußte nicht, woran es bei ihnen fehlte, da er sich, obgleich er ein wirklich besorgter Vater war, nach außen hin nicht liebevoll zeigte, und seine reservierte Art hinderte sie daran, sich vor ihm völlig ungezwungen zu geben.

Der Erziehung ihrer Töchter schenkte Lady Bertram nicht die geringste Aufmerksamkeit. Sie hatte keine Zeit, sich um so etwas zu kümmern. Sie war eine Frau, die ihre Tage damit verbrachte, schön gekleidet auf dem Sofa zu sitzen, mit einer Handarbeit von einiger Länge, doch von wenig Nutzen und keinerlei Schönheit, wobei sie mehr an ihren Mops als an ihre Kinder dachte, jedoch nachgiebig ihnen gegenüber war, wenn es ihr keine Ungelegenheiten machte, und die in allen wichtigen Dingen von Sir Thomas geleitet wurde und in geringeren von ihrer Schwester. Hätte sie mehr Muße für die Betreuung ihrer Töchter gehabt, hätte sie dies vermutlich für unnötig gehalten, denn sie befanden sich unter der Obhut einer Gouvernante, sie hatten gute Lehrer, mehr konnten sie sich nicht wünschen. Und daß Fanny schlecht lerne, dazu könne sie nur sagen, daß es zwar schade sei, aber manche Menschen seien eben dumm, und sie müsse sich eben mehr Mühe geben; sie wisse nicht, was da anderes zu tun sei; und außer daß Fanny so schwerfällig sei, müsse sie sagen, daß sie nichts Schlechtes an dem armen kleinen Ding sehen könne und daß es immer zur Hand und flink beim Überbringen von Mitteilungen und beim Herbeiholen der Dinge sei, die sie brauche.

Fanny gehörte nun mit allen ihren Fehlern von Unwissenheit und Ängstlichkeit ganz zu Mansfield Park, und da sie lernte, viel von ihrer Anhänglichkeit an ihr früheres Heim auf das jetzige zu übertragen, wuchs sie nicht unglücklich zwischen ihren Cousins und Cousinen auf. Maria und Julia waren nicht wirklich unfreundlich, und obgleich sich Fanny durch deren Behandlung oft gedemütigt fühlte, dachte sie doch zu gering von ihren eigenen Ansprüchen, um sich dadurch verletzt zu fühlen.

Etwa zu der Zeit, da Fanny in die Familie kam, gab Lady Bertram infolge einer kleinen Unpäßlichkeit und sehr viel Trägheit das Haus in der Stadt auf, in dem sie sich in jedem Frühjahr aufzuhalten pflegte, und blieb nun gänzlich auf dem Lande; und sie überließ es Sir Thomas, seine Pflichten im Parlament weiter wahrzunehmen, welche Steigerung oder Minderung seines Wohlbefindens aus ihrer Abwesenheit für ihn auch daraus erwachsen mochte. Somit fuhren die Misses Bertram nun auf dem Lande fort, ihr Gedächtnis zu schulen, ihre Duette zu üben und zu großen Mädchen mit fraulichen Formen heranzuwachsen; und ihr Vater sah sie in ihrem Äußeren, ihren Umgangsformen und ihren Kenntnissen und Fertigkeiten alles erfüllen, was einen besorgten Vater befriedigen konnte. Sein ältester Sohn war unbekümmert und verschwenderisch und hatte ihm bereits viel Verdruß bereitet, doch seine anderen Kinder ließen ihn nur Gutes hoffen. Er fühlte, daß seine Töchter ihrem Namen Bertram, solange sie ihn behielten, weitere Ehre machen würden; und wenn sie ihn aufgaben, vertraute er darauf, daß dies zu weiteren achtbaren verwandtschaftlichen Verbindungen führe würde; und von Edmunds Charakter, seinem starken Wirklichkeitssinn und seiner großen Aufrichtigkeit konnte man mit vollem Recht Nutzen, Ehre und Glück für ihn selbst und all seine Angehörigen erwarten. Er sollte Geistlicher werden.

Bei all der Fürsorge und bei der Zufriedenheit, die seine eigenen Kinder verhießen, vergaß Sir Thomas nicht, für die Kinder von Mrs. Price zu tun, was in seiner Macht stand; er half ihr großzügig bei der Ausbildung und Unterbringung ihrer Söhne, sobald sie für einen bestimmten Beruf alt genug waren; und obgleich Fanny fast vollständig von ihrer Familie getrennt war, empfand sie doch jedesmal größte Befriedigung, wenn sie von seiner freundlichen Hilfe erfuhr, die er ihnen angedeihen ließ, oder von etwas, das bei deren Lage und Verhalten irgendwie aussichtsreich war. Einmal, aber nur einmal im Verlaufe vieler Jahre, hatte sie das Glück, mit William zusammen zu sein. Die anderen sah sie gar nicht; niemand schien daran zu denken, daß sie jemals wieder zu ihnen zurückkommen würde, nicht einmal zu Besuch, und niemand schien sie zu Hause haben zu wollen; doch William, der bald nach ihrem Fortgehen beschloß, Matrose zu werden, wurde eingeladen, eine Woche mit seiner Schwester in Northamptonshire zu verbringen, ehe er zur See ging. Ihre starke Gemütsbewegung, als sie zusammentrafen, ihre übergroße Freude darüber, beisammen zu sein, ihre Stunden voll ausgelassener Fröhlichkeit und Augenblicke ernsthafter Unterhaltung kann man sich vorstellen, wie auch den Optimismus und die zuversichtliche Stimmung des Jungen selbst bis zum letzten Augenblick und den Kummer des Mädchens, als er fortging. Zum Glück fand der Besuch in den Weihnachtsferien statt, da sie gleich danach Trost bei ihrem Cousin Edmund suchen konnte; und der erzählte ihr solche wunderbaren Dinge darüber, was William nun tun würde und schließlich in seinem Beruf erreichen konnte, daß sie allmählich zugeben mußte, daß die Trennung einigen Nutzen bringen mochte. In Edmunds Freundschaft wurde sie nie enttäuscht. Daß er Eton verließ, um nach Oxford zu gehen, änderte nichts an seiner freundlichen Gesinnung und bot sogar häufigere Gelegenheiten, sie zu beweisen. Ohne hervorzuheben, daß er mehr tat als die übrigen, oder zu fürchten, daß er zu viel tat, kümmerte er sich stets um ihre Bedürfnisse, achtete ihre Gefühle, bemühte sich darum, daß sie ihre guten Eigenschaften erkannte und ihr mangelndes Selbstvertrauen überwand, das sie daran hinderte, mehr in Erscheinung zu treten, und er gab ihr Rat und spendete Trost und Ermutigung.

Immer im Hintergrund gehalten, wie sie von allen anderen war, konnte seine alleinige Unterstützung sie nicht voranbringen, seine aufmerksame Zuwendung war jedoch außerordentlich wichtig, um ihre geistige Entwicklung zu fördern und ihr mehr Freude zu verschaffen. Er erkannte, daß sie sowohl klug und von rascher Auffassungsgabe war als auch ein gesundes Urteilsvermögen besaß und daß sie sehr gern las, was bei richtiger Lenkung schon Bildung an sich sein mußte. Miss Lee lehrte sie Französisch und hörte ihre tägliche Aufgabe in Geschichte ab; doch er empfahl ihr Bücher, die ihre Mußestunden verzauberten, er förderte ihren Geschmack und ihr Urteilsvermögen; er sorgte dafür, daß sie Nutzen aus der Lektüre zog, indem er mit ihr über das Gelesene sprach, und erhöhte dessen Reiz noch durch wohlüberlegtes Lob. Als Erwiderung für all das, was er für sie tat, liebte sie ihn mehr als irgend jemand anders auf der Welt – außer William, ihr Herz war geteilt zwischen den beiden.

KAPITEL 3

Das erste Ereignis von Bedeutung in der Familie war der Tod von Mr. Norris, und das geschah, als Fanny fünfzehn Jahre alt war, und brachte zwangsläufig Veränderung und Neuerungen mit sich. Mrs. Norris zog anfangs, nachdem sie das Pfarrhaus aufgegeben hatte, nach Mansfield Park und danach in ein kleines Haus im Dorf, das Sir Thomas gehörte; und sie tröstete sich über den Verlust ihres Gatten mit dem Gedanken, daß sie auch sehr gut ohne ihn auskommen könne, und über ihr nun geringeres Einkommen mit der unstreitigen Notwendigkeit strikterer Sparsamkeit.

Die Pfründe war danach für Edmund vorgesehen; und wenn sein Onkel einige Jahre früher gestorben wäre, hätte man sie ordnungsgemäß einem Freund übergeben, der sie innegehabt hätte, bis Edmund alt genug gewesen wäre, um in den geistlichen Stand zu treten. Doch Toms Verschwendungssucht war vor diesem Ereignis so groß gewesen, daß es beim nunmehrigen Freiwerden der Pfründe notwendig war, sie an jemand anders zu vergeben, und der jüngere Bruder mußte dadurch für die Vergnügungen des älteren mit aufkommen. Es gab noch eine weitere Familienpfründe, die ebenfalls für Edmund bereitgehalten wurde; doch obgleich dieser Umstand die Vergabe der anderen für Sir Thomas’ Gewissen etwas leichter machte, mußte er es doch als ungerecht empfinden; und er bemühte sich ernsthaft, seinen älteren Sohn zu der gleichen Überzeugung zu bringen, in der Hoffnung, daß er damit eine bessere Wirkung erzielen könne als mit allem anderen, was er bisher sagen oder tun konnte.

»Ich schäme mich für dich, Tom«, sagte er in seiner ganzen würdevollen Art; »ich schäme mich für den Ausweg, zu dem ich mich genötigt sehe, und ich kann dich wohl wegen deiner Gefühle als Bruder bemitleiden. Du hast Edmund für zehn, zwanzig, dreißig Jahre, vielleicht für sein ganzes Leben um die Hälfte des Einkommens gebracht, das ihm zustand. Es mag mir später möglich sein, oder dir (das hoffe ich), ihm eine höhere Stellung zu verschaffen; aber es darf nicht vergessen werden, daß keine Unterstützung dieser Art über seine natürlichen Ansprüche an uns hinausgehen würde und daß in der Tat nichts dem sicheren Gewinn gleichkommen wird, auf den er nun durch die Dringlichkeit deiner Schulden verzichten muß.«

Tom hörte ihm einigermaßen beschämt und reuevoll zu; doch während er so rasch wie möglich entfloh, konnte er sich bald wieder voll heiterer Selbstsucht sagen, daß er erstens nicht halb so viele Schulden habe wie einige seiner Freunde, zweitens, daß sein Vater eine höchst unangenehme Geschichte daraus gemacht habe, und drittens, daß der zukünftige Inhaber der Pfründe, wer auch immer das sein mochte, aller Wahrscheinlichkeit nach sehr bald sterben würde.

Nach Mr. Norris’ Tod wurde die Pfründe nun einem Dr. Grant zugesprochen, der infolgedessen nach Mansfield kam, um dort zu leben; und da er sich als ein kräftiger Mann von fünfundvierzig Jahren erwies, würde er vermutlich Mr. Bertrams Berechnungen enttäuschen. Aber – nein – er sei ein »kurzhalsiger, zum Schlaganfall neigender Bursche und würde, guten Dingen zugetan, wie er war, bald abkratzen«.

Er hatte eine etwa fünfzehn Jahre jüngere Frau, aber keine Kinder; und sie kamen in diese Gegend mit dem üblichen vielversprechenden Ruf, daß sie sehr achtbare und angenehme Leute seien.

Es kam nun die Zeit, da Sir Thomas erwartete, seine Schwägerin würde ihren Anteil an der Betreuung ihrer Nichte geltend machen; Mrs. Norris’ veränderte Lage und Fannys jetziges Alter schienen nicht nur alle früheren Einwände gegen ein Zusammenleben der beiden zu beseitigen, sondern dies sogar entschieden wünschenswert zu machen; und da seine eigenen Umstände außer durch die Extravaganzen seines älteren Sohnes auch noch durch einige kürzliche Verluste auf seinem westindischen Besitztum weniger günstig waren als vordem, wäre es ihm nicht ungelegen gekommen, von den Ausgaben für ihren Unterhalt und den Verpflichtungen für ihre zukünftige Versorgung entlastet zu sein. Da er vollkommen überzeugt davon war, daß dies nun so sein müsse, erwähnte er die Wahrscheinlichkeit dessen gegenüber seiner Gattin, und bei der ersten Gelegenheit, als es Lady Bertram wieder in den Sinn kam und Fanny bei ihr war, bemerkte sie ruhig zu ihr: »So, Fanny, du wirst uns nun verlassen und bei meiner Schwester leben. Wie gefällt dir das?«

Fanny war zu sehr überrascht, um mehr zu sagen, als ihre Worte zu wiederholen: »Sie verlassen?«

»Ja, meine Liebe; warum sollte dich das erstaunen? Du bist nun fünf Jahre lang bei uns gewesen, und meine Schwester hatte immer schon die Absicht, dich zu sich zu nehmen, wenn Mr. Norris sterben würde. Aber du mußt trotzdem heraufkommen und mir meine Schnittmuster anheften.«

Diese Nachricht war für Fanny so unangenehm, wie sie unerwartet kam. Sie hatte niemals Freundlichkeit von ihrer Tante Norris erfahren und konnte sie nicht gern haben.

»Es wird mir sehr leid tun, von hier fortzugehen«, sagte sie stockend.

»Ja, das wird es wohl, das ist ganz natürlich. Gewiß hat es ebensowenig Verdruß für dich gegeben, seit du in dieses Haus kamst, wie für jeden anderen auf der Welt.«

»Ich hoffe, ich bin nicht undankbar, Tante«, sagte Fanny bescheiden.

»Nein, meine Liebe, das bist du nicht. Du hast dich stets als ein sehr gutes Mädchen erwiesen.«

»Soll ich niemals wieder hier leben?«

»Nein, nie mehr, meine Liebe; aber ganz gewiß wirst du ein behagliches Heim haben. Es kann kaum einen Unterschied für dich machen, ob du in dem einen Haus bist oder in dem anderen.«

Fanny verließ das Zimmer mit sehr kummervollem Herzen; sie konnte den Unterschied nicht als so klein empfinden, sie konnte mit keinerlei Befriedigung an ein Leben mit ihrer Tante denken. Sobald sie mit Edmund zusammenkam, erzählte sie ihm von ihren Sorgen.

»Edmund«, sagte sie, »es wird etwas geschehen, was mir ganz und gar nicht gefällt; und obgleich du mich oft dazu bewogen hast, mich mit Dingen auszusöhnen, die ich zuerst nicht mochte, wird es dir jetzt nicht gelingen. Ich soll gänzlich bei meiner Tante Norris leben.«

»Tatsächlich!«

»Ja, Tante Bertram hat es mir gerade gesagt. Es ist beschlossene Sache. Ich soll Mansfield Park verlassen und nach White House kommen, sobald sie dort hinzieht, nehme ich an.«

»Nun, Fanny, wenn der Plan dir nicht unangenehm wäre, würde ich ihn ausgezeichnet nennen.«

»Ach, Edmund!«

»Alles andere spricht dafür. Meine Tante handelt wie eine vernünftige Frau, wenn sie dich haben möchte. Sie wählt sich eine Freundin und Gefährtin, genau wie es von ihr zu erwarten ist, und ich bin froh, daß ihre Liebe zum Geld sie nicht daran hindert. Du wirst ihr das bedeuten, was du für sie sein solltest. Ich hoffe doch, es bedrückt dich nicht zu sehr, Fanny?«

»O doch, das tut es; es kann mir nicht gefallen. Ich liebe dieses Haus und alles darin, und dort werde ich nichts lieben. Du weißt, wie unbehaglich ich mich bei ihr fühle.«

»Ich kann nichts zu ihrem Verhalten dir gegenüber als Kind sagen, aber das war bei uns allen das gleiche oder fast das gleiche. Ihr ist es nie gelungen, liebevoll zu Kindern zu sein, aber du bist jetzt in einem Alter, das eine bessere Behandlung erfordert; ich glaube, sie verhält sich dir gegenüber schon jetzt besser; und wenn du ihre einzige Gefährtin bist, dann mußt du doch wichtig für sie sein.«

»Ich kann niemals für irgend jemand wichtig sein.«

»Was sollte dich daran hindern?«

»Alles. Meine Lage, meine Dummheit und Unbeholfenheit.«

»Was deine Dummheit und Unbeholfenheit betrifft, meine liebe Fanny, glaube mir, so hast du von beidem auch nicht eine Spur, außer daß du diese Worte in ganz unpassender Weise benutzt. Es gibt keinen Grund auf der Welt, warum du für diejenigen, die dich kennen, nicht wichtig sein solltest. Du hast einen guten, gesunden Verstand und ein liebevolles Wesen, und ich bin sicher, daß du auch ein dankbares Herz hast, das niemals Freundlichkeit empfangen könnte, ohne sie erwidern zu wollen. Ich wüßte keine bessere Voraussetzung für eine Freundin und Gefährtin.«

»Du bist zu gütig«, sagte Fanny, vor einem solchen Lob errötend; »wie kann ich dir jemals genügend dafür danken, daß du eine so gute Meinung von mir hast? Oh, Edmund, wenn ich fortgehen muß, werde ich bis zum letzten Augenblick meines Lebens an deine Güte denken.«

»Also wirklich, Fanny, ich kann doch wohl hoffen, daß du dich bei einer Entfernung wie die zum White House an mich erinnerst. Du redest, als gingst du zweihundert Meilen fort von hier statt nur zum anderen Ende des Parks; und du wirst fast ebensosehr zu uns gehören wie immer. Die beiden Familien werden jeden Tag des Jahres zusammenkommen. Der einzige Unterschied wird sein, daß dich das Zusammenleben mit der Tante zwangsläufig in der richtigen Weise fördern wird. Hier gibt es zu viele, hinter denen du dich verstecken kannst, aber bei ihr wirst du gezwungen sein, deine eigene Meinung zu äußern.«

»Ach, sage das nicht.«

»Ich muß es sagen, und ich sage es mit Vergnügen. Mrs. Norris ist viel besser geeignet, dich nun in ihre Obhut zu nehmen als meine Mutter. Ihr Temperament läßt sie sehr viel für alle diejenigen tun, die ihr wirklich am Herzen liegen, und sie wird dich zwingen, deine natürlichen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.«

Fanny seufzte und sagte: »Ich kann die Dinge nicht so sehen wie du, aber ich sollte schon glauben, daß du eher recht hast als ich, und ich bin dir sehr dankbar, daß du versucht hast, mich mit etwas zu versöhnen, was nun einmal sein muß. Wenn ich annehmen könnte, die Tante würde mich wirklich mögen, wäre es wunderbar, wenn es mir das Gefühl geben würde, für irgend jemand wichtig zu sein. Hier bin ich es nicht, und doch liebe ich hier alles sehr.«

»Das alles, Fanny, wirst du nicht verlassen, wenn du auch das Haus verläßt. Dir werden der Park und die Gartenanlagen ebenso frei zur Verfügung stehen wie immer. Selbst dein treues kleines Herz braucht nicht vor einer solchen nominellen Veränderung zu erschrecken. Du kannst auf den gleichen Wegen spazierengehen, aus der gleichen Bibliothek deine Bücher wählen, die gleichen Menschen sehen und das gleiche Pferd reiten.«

»Das ist ganz richtig. Ja, mein liebes altes graues Pony! Ach, Edmund, wenn ich daran denke, wie ich mich früher vor dem Reiten fürchtete, welche Schrecken es mir bereitete, als ich euch sagen hörte, daß es mir wahrscheinlich guttun würde (ach, wie habe ich gezittert, wenn mein Onkel den Mund aufmachte, wenn von Pferden die Rede war), und wenn ich daran denke, wie du dich so lieb bemühtest, mir mit deinen Argumenten meine Furcht auszureden und mich davon zu überzeugen, daß ich es nach einem Weilchen gewiß mögen würde, und ich fühlte, wie recht du hattest – dann kann ich vielleicht hoffen, daß du immer alles so gut vorhersagen kannst.«

»Und ich bin vollkommen davon überzeugt, daß dein Zusammensein mit Mrs. Norris ebensogut für deine geistige Entwicklung sein wird wie das Reiten für deine Gesundheit, und gleichermaßen auch für deine grundsätzliche Zufriedenheit.«

So endete ihre Unterredung, die, soweit es irgendwelchen Nutzen für Fanny betraf, ebensogut hätte unterbleiben können, denn Mrs. Norris hatte nicht die geringste Absicht, sie zu sich zu nehmen. Diese Möglichkeit war ihr bei dem gegenwärtigen Anlaß stets nur als eine Sache in den Sinn gekommen, die sorgfältig zu vermeiden war. Um zu verhindern, daß man es von ihr erwartete, hatte sie sich für den kleinsten Wohnsitz entschieden, der unter den Häusern der Gemeinde von Mansfield noch als vornehm gelten konnte, und das White House war gerade groß genug für sie selbst und ihre Bedienten und ließ eben noch ein Gästezimmer zu für einen Besucher, was sie ganz besonders betonte. Die Gästezimmer im Pfarrhaus waren nie gebraucht worden, doch sie vergaß nun niemals mehr die absolute Notwendigkeit eines Gästezimmers. Aber all ihre Vorsichtsmaßnahmen konnten sie nicht davor bewahren, daß man bessere Motive bei ihr vermutete; oder vielleicht hatte gerade ihr Hervorheben der Wichtigkeit eines Gästezimmers Sir Thomas zu der fälschlichen Annahme verleiten können, daß es tatsächlich für Fanny gedacht war. Lady Bertram machte die Sache bald zur Gewißheit, indem sie unbekümmert zu Mrs. Norris bemerkte: »Ich denke, Schwester, wir brauchen Miss Lee nicht länger zu behalten, wenn Fanny dann bei dir lebt.«

Mrs. Norris fuhr fast in die Höhe. »Bei mir lebt, liebe Schwester, was willst du damit sagen?«

»Soll sie denn nicht bei dir leben? Ich dachte, du hättest das mit Sir Thomas abgesprochen.«

»Ich! Niemals. Ich habe nie ein Wort darüber zu Sir Thomas gesagt, und auch er nicht zu mir. Fanny bei mir leben! Das ist das allerletzte, woran ich denken würde oder was jemand wünschen könnte, der uns beide wirklich kennt. Du lieber Himmel, was könnte ich wohl mit Fanny anfangen? Ich, eine arme, hilflose, einsame Witwe, für nichts zu gebrauchen und ganz gebrochen; was könnte ich mit einem Mädchen in ihrem Alter anfangen? Ein fünfzehnjähriges Mädchen! Gerade in einem Alter, da es am meisten Aufmerksamkeit und Fürsorge braucht und die heitersten Gemüter auf die Probe stellt! Sir Thomas konnte so etwas doch nicht ernstlich erwarten! Dazu ist er mir doch zu sehr gewogen. Ganz bestimmt würde das niemand, der mir wohlgesinnt ist, vorschlagen. Wie kam Sir Thomas dazu, mit dir darüber zu sprechen?«

»Ich weiß es wirklich nicht. Ich nehme an, er hielt es für das beste.«

»Aber was hat er denn gesagt? Er konnte doch nicht sagen, er wünscht, daß ich Fanny nehme. Bestimmt konnte er nicht wirklich wünschen, daß ich das tue.«

»Nein, er sagte nur, daß er es für sehr wahrscheinlich halte, und ich meinte das auch. Wir dachten, es wäre ein Trost für dich. Aber wenn du es nicht möchtest, gibt es nichts mehr darüber zu sagen. Sie ist keine Belastung hier.«

»Liebe Schwester, wenn du meinen unglücklichen Zustand bedenkst, wie kann sie da irgendein Trost für mich sein? Sieh mich an, eine arme verlassene Witwe, des besten aller Gatten beraubt, meine Gesundheit verbraucht bei seiner Pflege; und mit meinem Gemüt steht es noch schlechter, mein ganzer Frieden in dieser Welt ist dahin, kaum daß ich mit ausreichend Mitteln versehen bin, um entsprechend dem Rang einer Dame von Stand leben zu können und so, daß es der Erinnerung des lieben Verstorbenen nicht zur Schande gereicht – welchen Trost könnte ich gewinnen, wenn ich eine solche Last auf mich nähme, wie es mit Fanny der Fall sein würde? Selbst wenn ich es um meinetwillen wünschte, würde ich dem armen Mädchen nicht etwas so Ungerechtes antun. Sie ist in guten Händen, und sie wird sich bestimmt gut entwickeln. Ich muß mich durch meine Sorgen und Schwierigkeiten hindurchkämpfen, so gut es geht.«

»Dann macht es dir also nichts aus, ganz allein zu leben?«

»Liebe Schwester, wofür sonst bin ich gut, als einsam zu bleiben. Ich hoffe, ab und zu einen Gast in meinem kleinen Landhaus zu haben (ich habe immer ein Bett für eine Freundin); aber den größten Teil meiner zukünftigen Tage werde ich in völliger Zurückgezogenheit verbringen. Wenn ich nur mit meinen Einkünften zurechtkomme, dann bin ich schon zufrieden.«

»Ich meine, Schwester, du bist doch gar nicht so sehr schlecht dran, wenn ich bedenke, daß du, wie Sir Thomas sagt, sechshundert im Jahr haben wirst.«

»Schwester, ich beklage mich auch nicht. Ich weiß, ich kann nicht so leben wie früher, und ich muß mich einschränken, wo ich kann, und lernen, besser hauszuhalten. Ich bin eine ziemlich großzügige Wirtschafterin gewesen, aber ich werde mich nicht schämen, nun Sparsamkeit walten zu lassen. Meine Stellung hat sich ebensosehr verändert wie mein Einkommen. Als Pfarrer der Gemeinde mußte der arme Mr. Norris vieles tun, was man von mir nicht erwarten kann. Niemand weiß, wie viel von allen möglichen Leuten, die kamen und gingen, in unserer Küche verzehrt wurde. In White House muß besser darauf geachtet werden. Ich muß mit meinen Einnahmen zurechtkommen, sonst geht es mir schlecht. Und ich gebe zu, es würde mir große Befriedigung verschaffen, wenn ich darüber hinaus am Ende jeden Jahres sogar ein wenig beiseite legen könnte.«

»Bestimmt wirst du das. Das tust du doch immer, nicht wahr?«

»Mein Ziel ist es, Schwester, denen, die nach mir kommen, von Nutzen zu sein. Es ist zum Guten deiner Kinder, daß ich wünschte, ich wäre reicher. Ich habe ja für niemanden sonst zu sorgen, aber der Gedanke, daß ich ihnen allen eine Kleinigkeit hinterlassen könnte, die nicht verachtenswert ist, würde mich sehr froh machen.«

»Du bist sehr gütig, aber du mußt dich ihretwegen nicht beunruhigen. Sie werden gewiß gut bedacht. Dafür wird Sir Thomas schon sorgen.«

»Ja, aber du weißt, Sir Thomas’ Mittel werden ziemlich beschränkt sein, wenn der Besitz in Antigua schließlich so wenig abwirft.«

»Ach, das wird bald in Ordnung kommen. Sir Thomas hat deswegen schon geschrieben, das weiß ich.«

»Nun, Schwester«, sagte Mrs. Norris und schickte sich an zu gehen, »ich kann nur sagen, daß ich allein den Wunsch habe, deiner Familie von Nutzen zu sein; du kannst also, wenn Sir Thomas jemals wieder darauf zu sprechen kommt, daß ich Fanny zu mir nehmen sollte, sagen, daß es meine Gesundheit und mein Gemütszustand nicht zulassen; außerdem hätte ich wirklich kein Bett für sie, denn ich muß ein Gästezimmer für eine Freundin behalten.«

Lady Bertram wiederholte ihrem Gatten genug von diesem Gespräch, um ihn zu überzeugen, wie falsch er die Absichten seiner Schwägerin eingeschätzt hatte; und von dem Augenblick an war sie vollkommen sicher vor jeglichen dahingehenden Erwartungen oder auch nur den leisesten Andeutungen dazu. Er konnte nicht umhin, sich über ihre Weigerung zu wundern, irgend etwas für die Nichte zu tun, deren Aufnahme in die Familie sie so vorangetrieben hatte; doch da sie zeitig dafür sorgte, ihn, wie auch Lady Bertram, wissen zu lassen, daß alles, was immer sie besitze, für deren Familie bestimmt sei, wurde er bald versöhnt mit einem Vorzug, der nicht nur vorteilhaft und schmeichelhaft für sie alle war, sondern ihn auch besser in die Lage versetzen würde, selbst für Fanny zu sorgen.