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Wie ein Märchenprinz erscheint Sarahs neuer Nachbar genau zum richtigen Zeitpunkt. Lorenzo rettet sie vor dem Unwetter, das die toskanische Finca, in der sie Unterschlupf gesucht hat, zu zerstören droht. In seinem prunkvollen Palazzo kommt Sarah zur Ruhe - und findet in Lorenzos Armen die Hoffnung auf die wahre Liebe: Zögernd genießt sie die liebevollen Aufmerksamkeiten des vermögenden Regisseurs, bis eine bittere Erkenntnis ihr Märchen zerstört: Lorenzo flirtet nicht aus Herzenswärme mir ihr - sie hütet unwissend einen Schatz, den er unbedingt in seinen Besitz bringen will …
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Seitenzahl: 203
IMPRESSUM
JULIA erscheint 14-täglich im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
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© 2009 by India Grey
Originaltitel: „Powerful Italian, Penniless Housekeeper“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe: JULIA
Band 1937 (19/2) 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Kara Wiendieck
Fotos: RJB Photo Library
Veröffentlicht im ePub Format im 09/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
ISBN-13: 978-3-86295-012-6
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Satz und Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
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India Grey
Märchenhafte Nächte in der Toskana
1. KAPITEL
Begehrenswerter Junggeselle.
Mitten auf dem Parkplatz blieb Sarah stehen und zerknüllte den Briefumschlag, den sie in der Hand hielt. Sie musste einen begehrenswerten Junggesellen finden – so lautete ihre Aufgabe bei dieser dämlichen Schnitzeljagd.
Im wirklichen Leben war sie an dieser Aufgabe schon grandios gescheitert – sie würde eine Menge Glück brauchen, um heute Abend erfolgreicher zu sein.
Auf dem Parkplatz standen ausschließlich BMWs und Porsches. Sie hatte keine Lust in Oxfordshires trendigsten Pub zu gehen und schon gar nicht bei der Schnitzeljagd mitzumachen, mit der ihre Schwester ihren Junggesellinnenabschied feierte. Sie wollte nicht wieder diejenige sein, die ständig die Späße der anderen über sich ergehen lassen musste … Sarah, die alte Jungfer.
Seufzend fuhr sie sich mit der Hand durch die widerspenstigen Locken. Sich auf einem Baum zu verstecken, mochte ihr weit verlockender vorkommen, als in diesen Pub zu marschieren und einen begehrenswerten Junggesellen aufzutreiben, aber für eine Neunundzwanzigjährige gehörte sich so etwas eben nicht. Außerdem konnte sie sich nicht für den Rest ihres Lebens verstecken. Alle sagten, sie müsse mehr ausgehen und sich, um Lotties willen, endlich dem Leben stellen. Kinder brauchten Mutter und Vater, oder? Mädchen brauchten Väter. Früher oder später sollte sie wirklich jemanden finden, der die Lücke ausfüllte, die Rupert hinterlassen hatte.
Allein bei dem Gedanken wurde ihr eiskalt.
Die Tür zum Pub wurde geöffnet und eine Gruppe Städter schlenderte lachend und sich gegenseitig in bierseliger Laune auf die Schulter klopfend hinaus. Die jungen Männer bemerkten sie kaum, nur der Letzte schien sich gerade noch an seine Pflichten als Gentleman zu erinnern und hielt Sarah die Tür auf.
Verdammt! Jetzt musste sie wohl oder übel hineingehen. Sonst würden alle sie für eine Verrückte halten, deren Vorstellung von einer tollen Nacht darin bestand, auf dem Parkplatz vor einer Bar herumzuhängen. Sie murmelte ein Dankeschön, schob den Briefumschlag in die Tasche ihrer Jeans und schlüpfte hinein.
Seit sie vor einigen Jahren aus Oxfordshire weggezogen war, hatte das alte Rose and Crown sich von einer winzigen Dorfkneipe mit dunklen Teppichen und verblassten Drucken an den nikotingelben Wänden zu einem Tempel des guten Geschmacks gemausert. Der Boden bestand jetzt aus abgeschliffenen Eichendielen, an den Wänden war das alte Mauerwerk aus roten Ziegelsteinen freigelegt worden und dezente Hintergrundmusik half den zahlreichen Börsenmaklern und Anwälten beim abendlichen Chillen.
Am liebsten wäre Sarah sofort wieder gegangen, doch ein letzter Funken Stolz hielt sie zurück. Das ist ja lächerlich, dachte sie. Sie wusste, wie man Regale aufbaute. Sie füllte ihre Einkommensteuererklärung ohne Hilfe aus. Sie zog ihre Tochter ganz alleine groß. Ganz sicher würde sie es da auch noch schaffen, in einer Bar einen Drink zu bestellen.
Sarah schob sich an Menschen in Anzügen vorbei in Richtung Theke und schaute sich um. Die Terrassentüren standen offen. Angelica und ihre Freunde hatten sich um einen großen Tisch in der Mitte versammelt. Alle trugen dieselben Shirts, auf denen in riesigen Buchstaben „Angelicas letzter Flirt“ zu lesen war. Entworfen hatte die T-Shirts Angelicas erste Brautjungfer, ein gazellenhaftes Wesen namens Fenella. Fenella arbeitete in einer PR-Agentur. Die Idee zu der Schnitzeljagd stammte natürlich von ihr … und die T-Shirts gab es – auch klar! – nur in Größe S.
Verstohlen zupfte Sarah an ihrem Shirt, um den Streifen nackter Haut oberhalb ihrer Jeans zu verbergen. Wenn sie sich an ihren Diätplan gehalten hätte, hätten die Sachen heute vielleicht gepasst … dann würde sie jetzt bei den anderen stehen, die glänzenden Haare zurückwerfen, lachend an einem bunten Cocktail nippen und sich problemlos einen begehrenswerten Junggesellen angeln. Verdammt, wenn sie fünf Kilo leichter wäre, bräuchte sie gar keinen neuen Typen, weil Rupert nicht den brennenden Wunsch verspürt hätte, sich mit einer blonden Systemanalytikerin namens Julia zu verloben. Aber zu viele einsame Nächte auf dem Sofa mit nur einer Schachtel Pralinen als Gesellschaft, bedeuteten, dass sie es nicht einmal geschafft hatte, ein paar Pfund abzunehmen.
Insgeheim schwor Sarah, ihre Anstrengungen bis zur Hochzeit zu verdoppeln. Die sollte in einem Landhaus in der Toskana stattfinden, die Angelica und Hugh kürzlich gekauft hatten und jetzt ausbauen ließen. Vor ihrem inneren Auge erschienen Bilder, wie Angelicas Freundinnen in ihren exquisiten Seidenkleidchen durch die neu gestalteten Gärten stolzierten, während sie sich in der Küche versteckte.
Fenella kam gerade von der Bar, hielt einige bunte Cocktails, mit Schirmchen und anderem Firlefanz verziert, in Händen und trat auf sie zu. „Da bist du ja! Wir haben die Hoffnung schon fast aufgegeben. Was willst du trinken?“
„Oh, ich nehme einen trockenen Weißwein“, erwiderte Sarah. Eingedenk ihres Schwur hätte sie ein Wasser nehmen sollen, aber sie brauchte unbedingt etwas Stärkeres, um den Abend zu überleben!
Fenella lachte. „Netter Versuch, aber das glaube ich nicht. Schau in deinen Umschlag … es ist deine nächste Aufgabe.“ Grinsend bahnte sie sich ihren Weg durch die Menge.
Mit pochendem Herzen zog Sarah den Umschlag aus der Tasche. Ein leiser Aufschrei entrang sich ihrer Kehle.
Der junge Barkeeper warf einen Blick in ihre Richtung und deutete ein Nicken an, was Sarah als Aufforderung verstand, ihren Drink zu bestellen. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, das Blut schoss ihr in die Wangen, als sie den Mund öffnete.
„Einen Screaming Orgasm, bitte.“
Ihre Stimme klang tief und brüchig, aber leider nicht auf eine sexy Art und Weise. Irritiert zog der Barkeeper eine Augenbraue hoch.
„Einen was?“
„Einen Screaming Orgasm“, wiederholte sie unglücklich. Ihre Wangen brannten vor Scham. Und die feinen Härchen im Nacken hatten sich aufgerichtet, als würde sie jemand beobachten. Was natürlich der Fall war. Sämtliche von Angelicas Freunden spähten neugierig durch die Terrassentür zu ihr hinüber.
Gut, zumindest die hatten ihren Spaß. Der Barkeeper strich sich den blonden Pony zurück. „Was ist das?“, fragte er tonlos.
„Ich weiß es nicht.“ Sarah hob das Kinn und schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln, um ihre wachsende Verzweiflung zu verbergen. „Ich hatte noch nie einen.“
„Sie hatten noch nie einen Screaming Orgasm? Dann erlauben Sie bitte …“
Die leise Stimme unterschied sich völlig von dem üblichen, eher an Schulhofgekreisch erinnernden Lärm der übrigen Rose and Crown-Besucher. Tief und samtig, wie im Eichenfass gereifter Cognac. Mit einem fremdartigen Akzent, den Sarah nicht sofort einzuordnen vermochte.
Sie wandte den Kopf. In dem Gedränge vor der Theke konnte sie den Sprecher kaum ausmachen, obwohl er genau hinter ihr stand. Nur das Dreieck olivenfarbener Haut unter seinem am Kragen offenen Hemd nahm sie bewusst wahr.
Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus, als er sich plötzlich vorbeugte. „Jeweils zu gleichen Teilen Wodka, Kahlua, Amaretto …“
Seine Stimme, dieser Akzent … Italienisch! Die Art, wie er „Amaretto“ sagte … als mache er ein intimes Versprechen. Unvermittelt richteten sich ihre Brustknospen auf.
Gott, was tat sie da nur? Sarah Halliday ließ sich doch nicht von irgendwelchen Fremden aushalten! Sie war eine erwachsene Frau, hatte eine fünfjährige Tochter und kleine, feine Dehnungsstreifen am Bauch, um es zu beweisen! Seit sieben Jahren war sie in denselben Mann verliebt. Abenteuer mit Barbekanntschaften entsprachen nun wirklich nicht ihrem Stil.
„Danke für Ihre Hilfe“, murmelte sie, „aber ich komme schon allein zurecht.“
Sarah blinzelte zu ihm hinauf. Die Abendsonne blendete sie, dennoch bekam sie einen vagen Eindruck von dunklem Haar, einem kantigen Gesicht und einem markanten Kinn, auf dem erste Bartstoppeln bläulich schimmerten. Er ist das genaue Gegenteil vom britischen Goldjungen Rupert, dachte sie unvermittelt.
Und dann erwiderte er ihren Blick.
Es fühlte sich an, als würde er die Hände ausstrecken und sie an seinen muskulösen Körper ziehen. Seine Augen schimmerten so dunkel, dass Sarah Pupille und Iris nicht voneinander zu unterscheiden vermochte. Einen Moment betrachtete er ihr Gesicht, dann ließ er seinen Blick tiefer wandern.
„Ich möchte Sie gerne einladen.“
Die Worte klangen einfach, fast banal. Trotzdem lag etwas in seiner Stimme, dass sie das Rauschen ihres Blutes in den Ohren hörte. Eine unbekannte Hitze breitete sich zwischen ihren Schenkeln aus.
„Nein, wirklich, ich kann …“
Mit zitternden Händen zog Sarah ihr Portemonnaie aus der Tasche und sah hinein. Abgesehen von ein paar Münzen war es praktisch leer. Bestürzt erinnerte sie sich daran, wie sie ihre letzte Fünfpfundnote Lottie für ihr sogenanntes Fluchglas hatte übergeben müssen. Lotties Umgang mit Flüchen war drakonisch und – seit sie das Glas eingeführt hatte – äußerst lukrativ. Sarahs Ärger über die dumme Schnitzeljagd war sie heute Nachmittag teuer zu stehen gekommen.
Von Panik ergriffen schaute sie auf und in die ausdruckslosen Augen des Barkeepers.
„Neun Pfund fünfzig“, sagte er.
Neun Pfund und fünfzig? Sie hatte einen Drink bestellt, kein Drei-Gänge-Menü! Von dem Geld konnten Lottie und sie eine Woche leben! Wie betäubt sah sie in ihr leeres Portemonnaie. Als sie den Kopf wieder hob, sah sie gerade noch, wie der Fremde dem Barkeeper einen Schein reichte und den lächerlichen Drink entgegennahm.
Er drehte sich um und schritt durch die Menge der Barbesucher, die vor ihm zurückwich, wie die Wellen des Roten Meeres vor Moses. Ohne nachzudenken folgte Sarah ihm … und konnte den Blick nicht von den breiten Schultern unter dem blauen Hemd abwenden. Neben ihm wirkten die anderen Männer im Raum wie Zwerge.
Auf der Schwelle zur Terrasse blieb er stehen und hielt ihr den Drink hin. „Ihr erster Screaming Orgasm. Ich hoffe doch, Sie genießen ihn …“
Seine Miene blieb neutral, sein Tonfall höflich. Aber als sie das Glas nahm, und ihre Finger sich berührten, glaubte Sarah, einen elektrischen Schlag erhalten zu haben.
Sie entriss ihm das Glas so heftig, dass einige Tropfen auf ihrem Handgelenk landeten. „Wohl kaum.“
Fragend und spöttisch zugleich zog der Fremde eine Augenbraue hoch.
„Oh Gott, tut mir leid“, sagte Sarah, entsetzt über ihre Grobheit. „Ich wollte nicht undankbar klingen … immerhin haben Sie den Drink bezahlt. Es ist nur so, dass ich normalerweise etwas anderes bestellt hätte, aber ich bin sicher, er schmeckt köstlich.“ Und beinhaltet die erlaubte Kalorienmenge für drei Tage, dachte sie, trank einen Schluck und bemühte sich um einen erfreuten Gesichtsausdruck. „Mmm … lecker.“
Der Fremde schaute ihr unverwandt in die Augen. „Warum haben Sie ihn dann bestellt?“
Sarah lächelte verkrampft. „Gegen Screaming Orgasms habe ich theoretisch nichts einzuwenden, aber“, sie hielt den Umschlag hoch, „hier geht es um eine Schnitzeljagd. Ich muss die Gegenstände sammeln, die auf der Liste stehen. Meine Schwester feiert heute ihren Junggesellinnenabschied.“
Halbschwester, hätte sie vielleicht erklären sollen. Im Moment fragte er sich bestimmt, welche der äußerst hübschen Ladies am Tisch gegenüber dieselben Gene wie sie besaß.
„Das dachte ich mir bereits.“ Er sah auf ihr T-Shirt und schaute dann zu Angelica und ihren Freundinnen hinüber, die bereits eine erkleckliche Anzahl begehrenswerter Junggesellen um sich versammelt hatten. „Ihnen scheint die Sache nicht so viel Spaß zu machen, wie den anderen.“
„Oh, nein, ich habe eine tolle Zeit.“ Sie gab ihr Bestes, um überzeugend zu klingen und nahm noch einen Schluck von dem scheußlichen Cocktail.
Vorsichtig nahm der Mann ihr das Glas aus den Händen und stellte es auf einen benachbarten Tisch. „Sie sind eine der schlechtesten Schauspielerinnen, der ich seit Langem begegnet bin.“
„Danke“, murmelte sie. „Das war’s dann wohl mit meiner Karriere als Leinwandgöttin.“
„Glauben Sie mir, das war ein Kompliment.“
Rasch schaute sie auf. Bestimmt machte er sich über sie lustig, aber seine Miene wirkte absolut ernst. Einen Moment trafen sich ihre Blicke. Heißes Verlangen flammte in Sarah auf.
„Was steht noch auf Ihrer Liste?“, fragte er.
„Das weiß ich nicht.“ Sie zwang sich, den Kopf zu senken und auf den Umschlag in ihrer Hand zu sehen. „Erst wenn eine Aufgabe erledigt ist, darf man die nächste lesen.“
„Wie viele haben Sie geschafft?“
„Eine.“
Ein amüsiertes Lächeln umspielte seine Mundwinkel, aber Sarah fiel auf, dass es nicht die Schatten aus seinen Augen vertrieb. „Der Drink war die erste Aufgabe?“
„Eigentlich die zweite. Die erste habe ich aufgegeben.“
„Und die war?“
Sie schüttelte den Kopf. „Das ist nicht wichtig.“
Fast zärtlich nahm er ihr den Umschlag aus der Hand. Eine Sekunde war sie versucht, ihm das Papier wieder zu entreißen, doch ihr war klar, dass er viel mehr Kraft als sie besaß. Deshalb drehte sie nur verlegen den Kopf zur Seite.
Fenella beobachtete sie. Sarah sah, wie sie Angelica vielsagend lächelnd anstupste und dann in ihre Richtung deutete.
„Dio mio“, sagte der Fremde neben ihr angewidert. „Sie müssen einen begehrenswerten Junggesellen finden?“
„Ja. Nicht gerade meine Stärke.“ Wütend wandte Sarah sich von der Gruppe ab und lachte verbittert auf. „Ich nehme nicht an, dass Sie einer sind?“
Kaum hatte Sarah die Worte ausgesprochen, erstarrte sie förmlich vor Verlegenheit. Herrje, wie musste sie sich anhören? Als sei sie völlig verzweifelt! Als wolle sie ihn anmachen! „Tut mir leid“, murmelte sie. „Können wir so tun, als hätte ich das nie gefragt …?“
„Nein“, erwiderte er knapp.
„Bitte …“ Sie senkte den Kopf und blickte verschämt zu Boden. „Vergessen Sie es. Sie brauchen nicht zu antworten.“
„Das habe ich gerade getan. Die Antwort lautet Nein. Ich bin weder ein Junggeselle, noch sonderlich begehrenswert“, fuhr er fort und legte einen Finger unter ihr Kinn, sodass sie ihn ansehen musste. Seine Augen schimmerten schwarz und unlesbar. „Aber das wissen die nicht“, flüsterte er und neigte den Kopf.
Wie es sich mit spontanen Ideen nun mal so verhält, ist dies hier wahrscheinlich keine gute, dachte Lorenzo, während er die Frau mit dem unsicheren Blick musterte. Aber er langweilte sich. Und fühlte sich desillusioniert und frustriert. Und diese Unbekannte zu küssen, war ein guter Weg, diesen Gefühlen zumindest eine gewisse Zeit zu entkommen. Ihre Lippen schmeckten genauso süß, wie er sie sich vorgestellt hatte.
Noch schien sie widerspenstig. Ihren Mund hielt sie fest verschlossen. Wut auf die Gruppe lautstarker Frauen in der Mitte der Terrasse, die dieser unschuldigen Blume das Leben schwer machten, durchströmte ihn. Instinktiv umfasste er mit einer Hand ihr Gesicht, mit der anderen zog er sie enger an sich.
Lorenzo triumphierte innerlich, als sich ein leiser Seufzer ihrer Kehle entrang. Ihr Widerstand ließ spürbar nach. Sie öffnete die Lippen und bog sich ihm entgegen. Dann endlich erwiderte sie den Kuss mit einer unbeholfenen Leidenschaft, die er überraschend erfrischend fand.
Unvermittelt stellte Lorenzo fest, dass er lächelte. Zum ersten Mal seit Tagen … Dio, seit Monaten lag ein wirkliches Lächeln auf seinen Lippen.
Nach Oxfordshire zu kommen, glich einer verzweifelten Pilgerfahrt: Eine Suche nach Orten, die seit langer Zeit, dank eines kleinen Büchleins eines unbekannten Autors, das ihm durch Zufall in die Hände geraten war, in seinem Kopf existierten. Jahrelang verfolgten ihn Francis Tates wunderschöne lyrische Landschaftsbeschreibungen nun schon. Hergefahren war er letztendlich in der Hoffnung, hier seine Kreativität wieder zum Leben zu erwecken, die zusammen mit dem Rest seines Gefühlslebens nach und nach gestorben war. Aber er hatte enttäuscht feststellen müssen, dass hier nichts mehr dem ländlichen Paradies aus Eichen und Zypressen entsprach. Stattdessen hatte er nur die Parodie eines ursprünglichen Englands vorgefunden, nichtssagend und seelenlos.
Diese Frau in seinen Armen verkörperte das Lebendigste und Authentischste, was ihm seit seiner Ankunft begegnet war. Gefühle huschten über ihr Gesicht wie Schatten an einem Sommertag. Sie verbarg nichts. Spielte nichts vor.
Nach Tias Betrug empfand Lorenzo das als äußerst attraktiv.
Und außerdem war diese Frau sexy wie die Hölle. Hinter der offensichtlichen Unsicherheit verbargen sich Glut und Leidenschaft. Er küsste sie im Grunde nur, weil sie ihm leidtat; weil sie so traurig aussah; weil es nichts kostete und nichts bedeutete …
Aber er hatte nicht erwartet, dass er den Kuss so sehr genießen würde.
Lorenzos Lächeln wurde intensiver, während er eine Hand über ihren Rücken gleiten ließ, ihre Taille umfasste und die Unbekannte enger an sich zog. Flammende Sehnsucht durchströmte ihn, als seine Finger den warmen Streifen nackter Haut oberhalb ihrer Jeans berührten.
Die Frau erstarrte. Sie schlug die Augen auf und stemmte plötzlich die Fäuste gegen seine Brust. Gleichzeitig stolperte sie rückwärts. Ihre Lippen waren von dem Kuss leicht gerötet, und in ihren Augen schimmerten Qual und Schmerz, während sie hektische Blicke in Richtung ihrer nun johlenden und klatschenden Gruppe warf.
Einen Moment schaute sie ihn noch erschrocken an, dann wirbelte sie herum und bahnte sich einen Weg durch die Pubbesucher auf die Tür zu.
Natürlich war es nur ein Spaß. Genau darum ging es ja bei diesen Partys. Lachen. Flirten. Ein letztes Mal Spaß haben.
Sarah zwängte sich durch die Hecke am Rand des Parkplatzes. Einzelne Dornen verletzten ihre Haut. Wütend wischte sie mit dem Handrücken die Tränen beiseite. Autsch. Das tat weh. Und nur deshalb weinte sie … nicht, weil sie keinen Spaß verstand!
Auch wenn es demütigend war, einen völlig Fremden in einem Pub zu küssen, der sich sogar währenddessen ein Lachen nicht verkneifen konnte. Gott, nein! Sie würde sich doch über eine so harmlose lächerliche Sache nicht aufregen!
Sie war die Frau, die erst vor einer Woche das Catering bei einer Verlobungsfeier in den Sand gesetzt hatte, indem sie vor den Augen aller Gäste und des glücklichen Paars die Torte hatte fallen lassen – inklusive brennender Wunderkerzen. Der eine Teil des Paares bestand nämlich aus ihrem langjährigen Freund und Vater ihrer Tochter.
Schlimm war nicht, dass sie in eine offensichtlich von Angelica und ihren Freundinnen ausgeheckte Falle getappt war, sondern dass es sich so wunderbar angefühlt hatte. Sie kam sich so einsam und verlassen vor. Sogar durch den unbedeutenden Kuss eines Fremden hatte sie sich schön und begehrenswert gefühlt …
Und genau in dem Moment war ihr klar geworden, dass er sich nur über sie lustig machte.
Sarah erreichte die Spitze des Hügels. Sie legte den Kopf in den Nacken und atmete tief ein und aus. Hoch über ihr, am fast abendlichen Himmel, leuchtete silbrig der aufgehende Mond. Unwillkürlich musste sie an Lottie denken. Lächelnd setzte sie sich wieder in Bewegung. Mit schneller werdenden Schritten eilte sie den Hügel hinunter.
Lorenzo hob den Umschlag vom Boden auf, den die Unbekannte auf ihrer Flucht hatte fallen lassen.
Witzig, dachte er. In den Märchen ließ Aschenputtel immer einen Schuh zurück. Er drehte den Umschlag um. Ihr Name lautete nicht Aschenputtel, sondern …
Sarah.
Sarah. Der Name passte zu ihr.
Rasch trat er auf die dunkle Gasse vor dem Rose and Crown hinaus. Rechts von ihm befand sich der Parkplatz. Er rechnete fest damit, dass gleich ein BMW angeschossen käme, aber kein Motorengeräusch zerriss die Stille des Abends.
Nirgendwo war eine Spur von Sarah zu entdecken.
Er schirmte die Augen vor den letzten Strahlen der tiefstehenden Sonne ab, drehte sich langsam um und ließ den Blick über die Weizenfelder vor ihm wandern. Es war heiß und stickig und, abgesehen von den gedämpften Stimmen aus dem Pub hinter ihm, absolut still.
Gerade wollte er sich umdrehen und zurückgehen, da bemerkte er aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Jemand ging mit großen Schritten durch das Weizenfeld. Es war Sarah. Die untergehende Sonne schien ihr Haar in Brand zu setzen, es leuchtete in unglaublich warmen Rottönen – jeder Lichttechniker hätte damit den Oscar so gut wie in der Tasche.
Lorenzo verspürte eine innere Unruhe, die ihn stets befiel, wenn er arbeitete. Wie von selbst griffen seine Finger nach einer imaginären Kamera. Genau deshalb war er hergekommen. Hier, unmittelbar vor ihm, lag die Essenz von Francis Tates England, das Herz und die Seele eines Buches, in das Lorenzo sich schon vor langer Zeit verliebt hatte … eingefangen in dem Bild einer jungen Frau mit in der Sonne leuchtenden Haaren inmitten eines goldgelben Weizenfeldes.
Oben auf dem Hügel blieb sie stehen und legte den Kopf in den Nacken, sodass die lockigen Haare ihr über die Schultern fielen. Dann ging sie weiter und verschwand aus seinem Blickfeld.
Wer diese Sarah war oder weshalb sie so plötzlich die Flucht ergriffen hatte, wusste er nicht. Und es interessierte ihn auch nicht. Doch er empfand ihr gegenüber große Dankbarkeit, weil sie ihm unwissentlich etwas zurückgegeben hatte, was er endgültig verloren geglaubt hatte. Den Hunger, wieder zu arbeiten.
Jetzt, dachte er düster, während er zurück zum Pub schlenderte, bleibt nur noch die wenig poetische Frage nach den Filmrechten offen.
2. KAPITEL
Drei Wochen später.
Sarahs Kopfschmerzen wurden immer schlimmer, Müdigkeit zerrte an ihren Gliedern. Sie schloss die Augen und atmete die warme Nachtluft ein. Fast augenblicklich besserte sich ihre Stimmung.
Toskana.
Dieser wunderbare Duft. Eine unverwechselbare Mischung aus Rosmarin, Zedern und von der Sonne gewärmter Erde erfüllte die Luft. Nichts erinnerte an den Londoner Smog, der in diesem Sommer besonders schlimm war. Seit Wochen wurde England von einer Hitzewelle heimgesucht, die Zeitungen kannten kein anderes Thema mehr. Hier in der Toskana fühlte die Hitze sich anders an. Sarah kam es vor, als erfüllte die Wärme ihren ganzen Körper und zwang sie, sich zu entspannen.
„Du siehst erschöpft aus, mein Liebling.“
Am anderen Ende des Tisches saß ihre Mutter, ein Glas Chianti in der Hand. Rasch unterdrückte Sarah ein Gähnen und setzte ein heiteres Lächeln auf.
„Das liegt an der Reise. Ich bin nicht daran gewöhnt. Aber es ist wunderschön hier.“
Und das stimmte sogar. In den vergangenen Monaten war sie so damit beschäftigt gewesen, sich vor Angelicas Hochzeit zu fürchten, weil die Feier sie unablässig an ihr eigenes Versagen in so vielen Bereichen erinnern würde, dass sie ganz vergessen hatte, wie schön es sein würde, nach Italien zu kommen. Es war die Erfüllung eines Lebenstraums … und stammte aus einer Zeit, als sie sich Träume leisten konnte.
„Es ist gut, dass du hier bist. Du brauchtest dringend ein bisschen Abstand, mein Schatz.“
„Ich weiß, ich weiß …“ Unbehaglich rutschte Sarah auf dem Stuhl hin und her. Der Hosenbund schnitt in der Tat ganz schön ein. Das einzig Gute an einem gebrochenen Herzen war, dass man seinen Appetit und Gewicht verlor, aber sie wartete immer noch darauf, dass diese Phase anfing. Im Augenblick befand sie sich nämlich noch in der „Trost-im-Essen-finden-Phase“. „Ich mache ja eine Diät, aber in letzter Zeit hatte ich an so vielen Fronten zu kämpfen … Rupert, die Geldsorgen, weil ich meinen Job verloren habe …“
„Das habe ich nicht gemeint“, unterbrach ihre Mutter sie sanft. „Ich meinte, du musst geistig mal abschalten. Aber wenn Geld ein Problem ist … Guy und ich helfen dir jederzeit.“
„Nein!“, erwiderte Sarah sofort. „Mir geht es gut. Bestimmt ergibt sich schon bald etwas.“ Ihre Gedanken wanderten zu dem Brief des Verlegers ihres Vaters zurück. Es war der Letzte in einer langen Reihe, seit sie die Rechte am Buch ihres Vaters geerbt hatte. Anfangs hatte sie die Anfragen ernst genommen, doch die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass Francis Tates Roman vor allem mittellose Filmstudenten mit bizarren Vorstellungen anzuziehen schien. Seither verweigerte sie jedes Nutzungsrecht, ohne lange zu fragen.
„Wie geht es Lottie?“, fragte Martha.