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Als der heißeste Jungstar der Carolina Cold Fury von einer explosiven Nachricht überrumpelt wird, ist das Spiel weit mehr als nur ein Wettkampf auf dem Eis – es wird zu einem leidenschaftlichen Tanz der Gefühle. Marek Fabritis hat gelernt, in der Arena unbarmherzig zu kämpfen und Schläge auszuteilen. Doch als er von einer anonymen E-Mail erfährt, dass er eine dreijährige Tochter hat, von deren Existenz er nichts wusste, trifft ihn die Nachricht wie ein eiskalter Schlag. Seine Ex-Freundin hielt es nie für nötig, ihm von Lilly zu erzählen. Entschlossen, sich nicht das Wichtigste in seinem Leben nehmen zu lassen, kehrt Marek zurück – doch seine Rückkehr ist mehr als ein Familienbesuch. Es ist der Beginn eines gefährlichen Spiels, bei dem er alles riskieren könnte – und nicht nur das Herz der Frau, die er nie ganz vergessen konnte. Einst ließ Gracen Moore Marek gehen, damit er in der NHL Karriere machen konnte. Seitdem hat sie Marek nie aus dem Herzen lassen können, aber sie wusste, dass ihre Entscheidung, ihn zu verlassen und ihm die Wahrheit vorzuenthalten, den ultimativen Preis fordern könnte. Nun ist sie bereit, sich ihrer Vergangenheit zu stellen, auch wenn es bedeutet, ihre ganze Welt auf den Kopf zu stellen. Die Funken, die zwischen ihr und Marek immer noch fliegen, können nicht einfach gelöscht werden. Doch wird ihre Liebe reichen, um die schmerzhaften Wunden der Vergangenheit zu heilen? Oder wird die Wahrheit das Eis zwischen ihnen endgültig zum Schmelzen bringen? Das Match um Liebe, Leidenschaft und das, was wirklich zählt, ist eröffnet – und könnte alles verändern. Ein letztes, heißes Spiel – die New York Times- und USA Today-Bestsellerautorin Sawyer Bennett lässt die Carolina Cold Fury zum allerletzten Mal aufs Eis gehen und verführt die Herzen zu einem explosiven Finale voller Leidenschaft und unwiderstehlicher Liebe!
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Seitenzahl: 359
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Sawyer Bennett
Carolina Cold Fury-Team Teil 11: Marek
Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von Sandra Martin
© 2018 by Sawyer Bennett unter dem Originaltitel „Marek: A Cold Fury Hockey Novel“
© 2025 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels
www.plaisirdamour.de
© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg
(www.art-for-your-book.de)
ISBN Print: 978-3-86495-748-2
ISBN eBook: 978-3-86495-749-9
Alle Rechte vorbehalten. Dies ist ein Werk der Fiktion. Namen, Darsteller, Orte und Handlung entspringen entweder der Fantasie der Autorin oder werden fiktiv eingesetzt. Jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Vorkommnissen, Schauplätzen oder Personen, lebend oder verstorben, ist rein zufällig.
Dieses Buch darf ohne die ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin weder in seiner Gesamtheit noch in Auszügen auf keinerlei Art mithilfe elektronischer oder mechanischer Mittel vervielfältigt oder weitergegeben werden. Ausgenommen hiervon sind kurze Zitate in Buchrezensionen.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Epilog
Autorin
Marek
„Du musst wieder einen klaren Kopf bekommen und Ordnung in deinem Haus schaffen.“
Das hat mir Reed gestern am Telefon gesagt. Und was habe ich ihm geantwortet?
„Lass mich verdammt noch mal in Ruhe.“
Leider muss ich mir eingestehen, dass er recht hat, aber das würde ich ihm gegenüber nie zugeben. Ich weiß, dass ich aufhören muss, die Wahrheit zu ignorieren, und dass ich mich damit abfinden muss, dass mein Leben heute ganz anders ist, als ich es mir je hätte vorstellen können.
Verdammte Gracen. Ich bin immer noch fassungslos, dass sie so etwas vor mir verheimlicht hat.
Eine Tochter.
Lilly.
Ich habe eine Heidenangst.
Ich sitze im Dunkeln in meiner Garage, während der Motor meines Wagens noch läuft und gleichmäßig vor sich hin brummt. Ganz im Gegensatz zu meinem Herzen, das in einem unregelmäßigen Rhythmus in meiner Brust hämmert. Drei Tage lang war ich mit Holt am Meer und habe mich die meiste Zeit über betrunken, um das Chaos hier in Raleigh für eine Weile hinter mir zu lassen. Ich wäre immer noch dort, wenn Reed mich nicht gestern angerufen hätte, um mir die Hölle heißzumachen, weil ich Gracen und Lilly ignoriert hatte.
In Bezug auf Gracen habe ich eine einfache Ausrede. Ich bin so wütend auf sie, dass ich es nicht ertragen kann, in ihrer Nähe zu sein. Bisher haben wir nicht mehr als ein paar Worte miteinander gewechselt. Ich habe ihr erklärt, wie das Alarmsystem und der Fernseher funktionieren, und ihr eine Kreditkarte gegeben, damit sie sich alles kaufen kann, was sie braucht. Das war alles. Lilly spürt meine Wut und kann damit nicht umgehen. Selbst wenn wir uns nur für kurze Zeit im selben Raum aufhalten, würdigt sie mich kaum eines Blickes.
Was Lilly angeht, so habe ich mir eingeredet, es wäre zu ihrem Besten, wenn ich ein paar Tage das Haus verließe. Zweifellos spürt sie die Spannungen, die zwischen mir und Gracen in der Luft liegen, und die Nervosität der Mutter hat sicher Auswirkungen auf das Kind. Aber das ist nicht mein Problem.
Ich hatte mein Vorhaben in die Tat umgesetzt und Gracen davon abgehalten, Owen Waller zu heiraten. Doch nun habe ich eine Ex-Freundin am Hals, die ich schon vor langer Zeit verlassen habe, sowie eine neue Tochter, die ich offen gesagt nicht wollte.
Mein Leben ist im Eimer.
Seufzend steige ich aus dem Wagen und stecke den Schlüssel in meine Tasche. Mit schweren Schritten gehe ich die drei Stufen zum Hintereingang hinauf. In Erwartung einer möglichen Konfrontation mit Gracen bin ich ganz angespannt. Und bei dem Gedanken, mich mit einem Kind auseinandersetzen zu müssen, das zwar genauso aussieht wie ich, mit dem ich aber nichts gemein habe, dreht sich mir der Magen um.
Herrgott, ich weiß nichts über Kinder.
Rein gar nichts.
Ich öffne leise die Tür und schleiche mich ins Haus und einen kurzen Flur entlang. Statt nach rechts in die Waschküche abzubiegen, wende ich mich nach links und betrete die Küche, die sich zum Wohnbereich hin öffnet. Als ich höre, dass der Fernseher läuft, versteife ich mich noch mehr, denn das bedeutet, dass zumindest Gracen in unmittelbarer Nähe ist und ich ein Gespräch mit ihr kaum vermeiden kann.
Es ist kurz vor einundzwanzig Uhr, und ich weiß nicht, ob Lilly noch wach ist. Ich habe keine Ahnung, wann Kleinkinder ins Bett gehen. Während der vergangenen Woche bin ich immer erst spät nach Hause gekommen, und die Kleine hat zu der Zeit bereits geschlafen, sodass ich mich nicht mit ihr beschäftigen musste.
Wohlgemerkt soll das nicht heißen, dass ich sie nicht kennenlernen will. Aber ich weiß einfach nicht, wie ich diese ganze verdammte Sache handhaben soll.
In der Küche ist es dunkel, doch der Schein des Fernsehers im Wohnzimmer spendet gerade genügend Licht, dass ich mich an der Anrichte entlangtasten kann. Schon glaube ich, ich könnte es unbemerkt an der Couch vorbei schaffen, da setzt Gracen sich auf. Offenbar hat sie geschlafen, denn ihre Lider sind noch immer halb geschlossen.
Sie steht auf und reibt sich mit den Händen übers Gesicht, bevor sie mich ansieht. „Wir müssen reden.“
„Ich bin müde“, sage ich und gehe weiter in Richtung meines Schlafzimmers. Gracen und Lilly habe ich im ersten Stock in den Gästezimmern untergebracht.
„Nein, sofort“, erwidert sie beharrlich, geht um die Couch herum und kommt auf mich zu. Sie schaltet eine Stehlampe ein und blinzelt, als das Licht sie blendet.
„Morgen“, murmele ich und setze mich wieder in Bewegung.
„Wir reisen morgen ab“, verkündet Gracen in einem unnachgiebigen Ton. „Wenn du also hören willst, was ich zu sagen habe, dann solltest du hierbleiben. Morgen ist es zu spät.“
Augenblicklich halte ich inne und drehe mich langsam zu ihr um. „Ihr reist auf keinen Fall ab.“
„Doch, das werden wir“, entgegnet sie wütend. „Lilly und ich sind hier im Grunde Gefangene. Du hast von uns verlangt, mit dir hierherzukommen, und gedroht, sie mir wegzunehmen. Und dann ignorierst du uns eine Woche lang. Wir kennen hier niemanden, und ich habe keine Ahnung, ob ich mir einen Job suchen soll oder nicht. Viel wichtiger ist jedoch, dass Lilly überhaupt nicht weiß, wer du bist und welche Rolle du in ihrem Leben spielst. Daher ist es besser, wir gehen, auch wenn ich dadurch riskiere, deinen Zorn auf mich zu ziehen.“
Ihre Worte verpassen meiner Wut sofort einen Dämpfer. „Was hast du ihr über mich erzählt?“
„Nichts“, antwortet sie müde und steckt die Hände in die Hosentaschen. Gracen sah schon immer umwerfend in Jeans aus, und das hat sich im Laufe der Jahre nicht geändert. Auch heute ist sie noch die schönste Frau, der ich je begegnet bin, und zum Teil mag das daran liegen, dass sie mein Kind zur Welt gebracht hat.
Verdammt, das ist verwirrend.
„Sie denkt, dass du nur ein Freund ihrer Mama bist“, fügt sie leise hinzu. Ihre Worte versetzen mir einen schmerzhaften Stich im Herzen. Es ist mir ein Rätsel, warum ich geglaubt habe, Gracen würde Lilly darüber aufklären, dass sie einen Vater hat, der jedoch vor ihr verheimlicht wurde. Aber ich habe wohl erwartet, dass sie das alles regelt. Ich weiß einfach nicht, was ich einem Kleinkind, das ich kaum kenne, sagen soll.
„Sie muss es erfahren“, erkläre ich mit emotionsgeladener Stimme.
„Das ist richtig“, murmelt Gracen. „Aber wir müssen die Sache mit Bedacht angehen und es ihr gemeinsam sagen. Außerdem werde ich es ihr nur erzählen, wenn du aufhörst, ihr aus dem Weg zu gehen, und an ihrem Leben teilhaben willst. Sie wäre am Boden zerstört, falls du nicht an ihr interessiert wärst, und ich will ihr nicht das Herz brechen. Du bist ein Arschloch, Marek. Das warst du schon, als du mich vor vier Jahren verlassen hast, weil du Angst hattest, ich könnte deiner tollen Profikarriere im Wege stehen. Aber mit deiner Tochter kannst du so nicht umgehen. Das werde ich auf keinen Fall zulassen. Ich werde alles tun, um sie zu beschützen.“
„Herrgott“, murmele ich und fahre mir frustriert mit einer Hand durchs Haar. „Ich brauche ein Bier. Willst du auch eins?“
Gracen schüttelt den Kopf, folgt mir aber in die Küche. Ich schalte das Deckenlicht ein und hole mir ein Bier aus dem Kühlschrank. Gracen setzt sich auf einen der Hocker am anderen Ende der L-förmigen Kücheninsel. Sie sieht erschöpft und mitgenommen aus, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen.
Ich bin wirklich ein Mistkerl, denn bei dem Anblick empfinde ich eine gewisse Genugtuung. Tatsächlich genieße ich ihr Unbehagen, seit ich herausgefunden habe, dass Gracen mir meine Tochter vorenthalten hat.
Nein, das stimmt nicht ganz.
Um ehrlich zu sein fühle ich so, seit ich von Gracens Hochzeit erfahren habe. Die Nachricht traf mich hart, und ich fühlte mich, als hätte mich jemand so heftig gecheckt, dass ich mit dem Gesicht voran auf dem Eis landete. Nachdem ich Gracen verlassen hatte, dachte ich mitunter wochenlang nicht an sie, zumindest nicht häufig. Es gelang mir, die Erinnerung an sie zu verdrängen, wenn ich mich mit anderen Frauen vergnügte.
Aber ich hätte niemals zugelassen, dass sie Owen heiratet. Der Kerl hätte ihren Geist zermürbt. Allein der Gedanke war unerträglich. Ich hatte sie zwar verlassen, doch ich wusste immer, dass ich wahrscheinlich nie wieder eine so wunderbare Frau finden würde. Damals musste ich gehen und habe meine Entscheidung nicht wirklich bereut. Natürlich bedauerte ich den Verlust, doch ich habe mir selbst nicht erlaubt, Reue zu empfinden.
Gracen ist drei Jahre jünger als ich und machte zu jener Zeit gerade ihren Abschluss am College, um Krankenschwester zu werden. Ich wusste, dass sie die Ausbildung abgebrochen hätte, wenn sie mich begleitet hätte.
Heute weiß ich, dass sie das College und dann die Schwesternschule abgeschlossen hat, während sie schwanger war und völlig auf sich allein gestellt ein Kind großgezogen hat. Kein Wunder, dass sie sich an Owen geklammert hat. Er hätte ihr sicher einen angenehmen Lebensstil geboten.
Gracen bleibt in einiger Entfernung am anderen Ende der Kücheninsel sitzen, faltet die Hände vor sich und beobachtet mich argwöhnisch. Seit ich sie hierhergebracht habe, ist dies die erste längere Unterhaltung zwischen uns.
Ich nehme einen Schluck aus meiner Flasche und lehne mich gegen den Kühlschrank, während in mir ein Krieg tobt. Einerseits bin ich wütend auf Gracen, aber andererseits will ich meine Tochter kennenlernen.
„Sie muss wissen, dass ich ihr Vater bin“, sage ich schließlich.
„Wirst du ihr denn ein Vater sein?“, fragt Gracen.
Die Frage ist berechtigt, aber sie ärgert mich dennoch. „Ich wäre ihr schon nach ihrer Geburt vor drei Jahren ein Vater gewesen, wenn du mir verdammt noch mal von ihr erzählt hättest“, entgegne ich.
Gracen stößt einen Seufzer aus und erhebt sich von ihrem Hocker. „Ich kann das nicht, Marek. Du bist derjenige, der mich zurückgelassen hat. Du hast mich verlassen, weil dir die Verantwortung für eine Beziehung zu groß war, während du dich auf deine Karriere konzentrieren wolltest.“
„Verdammt noch mal, Gracen“, knurre ich, stürme zur Kücheninsel und knalle meine Flasche so heftig auf die Arbeitsplatte, dass Schaum herausschießt. „Ich wollte nichts weiter als ein wenig Freiheit. Ich war jung und konnte es kaum erwarten, Profispieler zu werden. Aber ich hätte mich nie von dir abgewandt, wenn ich gewusst hätte, dass du schwanger bist.“
„Ach wirklich?“, blafft sie und schlägt mit den Händen einen halben Meter vor mir auf die Arbeitsplatte. „Und woher hätte ich das wissen sollen? Ich war vor Angst wie erstarrt, weil ich schwanger und völlig allein war, denn der Mann, den ich liebte und dem ich vertraute, hatte mich abserviert, weil ihm seine Karriere wichtiger war.“
„Es spielt keine Rolle, was ich getan habe“, sage ich leise, während ich vor Wut bebe. „Ich hatte ein Recht darauf, zu wissen, dass ich ein Kind habe. Du hast mir drei Jahre mit meiner Tochter genommen, und nichts, was ich dir angetan habe, kann das rechtfertigen. Das kannst du nie wiedergutmachen.“
Gracen sackt sichtlich in sich zusammen und starrt mich ausdruckslos an. So egoistisch sie in meinen Augen auch gewesen sein mag, weil sie mir Lilly vorenthalten hat, mir wird plötzlich klar, dass meine Wut im Vergleich zu ihren Schuldgefühlen verblasst.
Sie hebt eine zitternde Hand und streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihr Blick fällt auf meine Bierflasche, als sie mit angespannter Stimme sagt: „Äh … ich bin … ziemlich müde. Ich habe letzte Nacht nicht gut geschlafen und werde mich jetzt aufs Ohr hauen. Wir können morgen früh darüber reden.“
Schuldgefühle und Bestürzung durchströmen mich, aber ich schiebe die Emotionen beiseite. „Ihr dürft nicht gehen, Gracen. Was auch immer du vorhattest, lass es. Ich möchte Zeit mit Lilly verbringen, und das bedeutet, dass sie hierbleibt.“
Gracen blickt mit einem emotionslosen Ausdruck in den Augen zu mir auf. Schließlich nickt sie kaum merklich und wendet sich ab. Mit hängenden Schultern und schweren Schritten geht sie die hintere Treppe in den ersten Stock hinauf.
Als sie außer Sichtweite ist, nehme ich meine Bierflasche und schütte den Rest in den Abfluss. Ich bin erschöpft und kann es kaum erwarten, die Augen zu schließen und die Welt für eine Weile auszublenden.
Und morgen werde ich Vater.
Gracen
„Pop-Tarts oder Cinnamon Toast Crunch?“, frage ich Lilly. Sie sitzt an dem langen Esstisch, der die Küche vom Wohnbereich trennt.
„Eier und Würstchen“, sagt sie, ohne den Blick vom Fernseher im Wohnzimmer abzuwenden. Im Moment sieht sie mit Vorliebe Paw Patrol. Letzte Woche war ihre Lieblingssendung noch Doc McStuffins, Spielzeugärztin.
„Tut mir leid, Baby“, erwidere ich und streiche ihr durchs Haar, woraufhin sie den Kopf zur Seite dreht, um mir auszuweichen. Ich muss unwillkürlich lächeln, denn ich weiß, wie ungern sie sich von ihrem geliebten Paw Patrol ablenken lässt. „Wir haben keine Eier und Würstchen mehr, aber wir fahren später einkaufen.“
Sie blickt zu mir auf. „Kommt Marek mit?“
Ich zucke zusammen und gehe auf direktem Weg zum Kühlschrank, weil ich nicht will, dass sie mir mein Unbehagen ansieht. Es wird immer schwieriger, ihre Fragen zu beantworten. Sie ist neugierig auf Marek, aber sie kann nicht recht einordnen, wer er ist.
Ein Anflug von Wut bringt mein Blut in Wallung, woraufhin ich nach der Milch greife und die Tür etwas fester als nötig zuschlage. Mein Gespräch mit Marek gestern Abend ist nicht ganz so verlaufen, wie ich gehofft habe. Wie jedes Mal, wenn wir miteinander sprechen, endete es in einem erbitterten Streit.
Ich bin immer noch verletzt, weil er mich verlassen hat, und scheue mich nicht davor, ihm deshalb Vorwürfe zu machen. Doch sobald er mich daran erinnert, dass ich ihm drei Jahre mit seiner Tochter vorenthalten habe, werde ich von Schuldgefühlen übermannt. In solchen Momenten brodelt in mir ein solcher Selbsthass, dass ich nicht einmal imstande bin, ihm in die Augen zu sehen. Also gehe ich, um mich seinem durchdringenden Blick und seinen bissigen Bemerkungen zu entziehen.
Ich lasse ihn gewinnen, dann schweigen wir uns wieder an. Doch auf diese Weise werden wir nie eine Lösung finden.
Gestern Abend hat Marek jedoch erklärt, dass er Lilly kennenlernen will. Es ist an der Zeit, dass sie erfährt, wer ihr Vater ist. Also sitze ich schon den ganzen Morgen auf glühenden Kohlen und warte darauf, dass er endlich auftaucht, damit wir uns mit Lilly zusammensetzen und ihr alles erklären können. Meine Tochter ist immer im Morgengrauen auf den Beinen, was bedeutet, dass ich zwangsweise mit ihr aufstehe. Marek ist jedoch ein Langschläfer und hat uns bisher noch nicht mit seiner Anwesenheit beehrt.
Ich werfe einen Blick auf Lilly, bevor ich in den Schrank greife, um einen Plastikbecher herauszuholen. Nach unserer Ankunft musste ich erst einmal kindgerechte Teller und Tassen kaufen, während ich die vielen Pappteller in Mareks Vorratsschrank ignorierte, von denen er offenbar isst, um sein Geschirr nicht schmutzig zu machen. Lilly schaut mich erwartungsvoll an. Scheinbar ist ihre Neugier auf Marek größer als ihr Interesse an Sky und Chase und dem Rest der Welpen im Fernsehen.
Ich habe keine Ahnung, ob Marek wie gewöhnlich Reißaus nehmen wird oder ob er sich tatsächlich zusammenreißen und erscheinen wird, um Lilly ein Vater zu sein. Also beschließe ich, meine Tochter vorerst mit einer vagen Antwort abzuspeisen. Bevor ich jedoch einen Ton herausbringen kann, betritt Marek die Küche und wendet sich Lilly zu: „Wohin kommt Marek mit?“
Meine Hand beginnt zu zittern, und ich verschütte etwas Milch, die ich gerade in den Becher gieße. Ich stelle den Karton beiseite und greife nach den Papiertüchern. Dabei sehe ich, dass Lilly ihrem Vater ein schüchternes Lächeln zuwirft, bevor sie den Kopf senkt, ohne ihm zu antworten.
„Wir brauchen ein paar Sachen aus dem Supermarkt“, sage ich beiläufig über die Schulter, während ich die verschüttete Milch aufwische.
Marek wirft Lilly einen Blick zu, doch diese weigert sich, ihn anzusehen. Seine Bestürzung ist unverkennbar. Gerade hat er versucht, seine Tochter in ein Gespräch zu verwickeln, doch sie hat ihn abblitzen lassen. Aber sie hat es nicht böswillig getan; sie weiß nicht, dass Marek sich in ihrer Gegenwart genauso unbehaglich fühlt wie sie sich in seiner.
Die Türklingel ertönt, und sofort spiegelt sich Erleichterung in Mareks Miene wider. „Ich gehe schon“, ruft er und stakst eilig durch das Nebenzimmer davon. Offensichtlich ist er froh, dem betretenen Schweigen einen Moment entkommen zu können.
Lilly wendet sich wieder dem Fernseher zu und vertieft sich umgehend wieder in Paw Patrol. Doch dann wirft sie verstohlen einen Blick auf Marek, als er den Raum verlässt. Ich verspüre einen Stich im Herzen, weil sie nicht verstehen kann, wie sehr ihr Leben gerade in Aufruhr geraten ist.
Ich bin entschlossen, mich mit ihr und Marek zusammenzusetzen, sobald er zurückkommt. Hoffentlich werden wir sie dadurch etwas beruhigen können. Ich hoffe inständig, dass Marek es gestern Abend ernst gemeint hat, als er andeutete, dass er eine Beziehung zu ihr aufbauen will. Das hoffe ich auch um meinetwillen. Wenn es sein müsste, würde ich mir meine Tochter schnappen und mit eingezogenem Schwanz nach Hause fahren, aber das wäre ganz sicher nicht die beste Lösung.
Im Flur hallen Schritte auf dem Parkett wider, die leichter klingen als die von Marek. Ich bin überrascht, als eine Frau um die Ecke kommt und die Küche betritt. Mit einem sanften Lächeln wirft sie einen Blick auf Lilly und sieht dann mich an. „Hallo, Gracen, ich bin Josie.“
„Äh … hi“, erwidere ich verwirrt und frage mich, was diese umwerfende Frau in Mareks Haus zu suchen hat. Ist sie seine Freundin? Oder die Haushälterin?
Sie scheint jedoch weder das eine noch das andere zu sein, denn sie schenkt mir ein warmherziges, freundliches … und auch wissendes Lächeln.
Offenbar spürt sie mein Unbehagen, geht um die Kücheninsel herum und streckt mir eine Hand entgegen. Zögerlich ergreife ich sie.
„Es tut mir leid, das ist sicher alles verwirrend für dich“, sagt sie und umarmt mich herzlich. „Ich will noch einmal von vorn anfangen. Ich bin Josie, die Freundin von Reed Olson. Reed und Marek sind gut miteinander befreundet.“
„Ich habe ihn kennengelernt“, erwidere ich ihr mit einem zaghaften Lächeln. „Bei der Hochzeit. Nun ja … bei der Hochzeit, die beinahe stattgefunden hätte.“
Josie nickt verständig. Sie scheint die Geschichte zu kennen, wie Marek Lilly und mich nach North Carolina mitgenommen hat. Ich erröte leicht, da mir klar wird, dass diese Frau genau weiß, dass ich Marek seine Tochter vorenthalten habe.
Josie lässt meine Hand los, tritt einen Schritt zurück und lehnt sich an die Anrichte. Mit dem Daumen deutet sie über ihre Schulter. „Reed muss mit Marek sprechen, also dachte ich, ich schaue mal vorbei und erkundige mich, ob du etwas brauchst. Außerdem möchte ich dich in North Carolina willkommen heißen.“
In ihrer Stimme schwingt ein harter Ton mit, als sie das Gespräch zwischen Reed und Marek erwähnt, aber ich hake nicht nach, weil es mich nichts angeht. Obwohl dies nicht mein Haus ist, gebieten mir meine Manieren, sie zu fragen: „Möchtest du einen Kaffee?“
„Sehr gern“, antwortet sie mit einem strahlenden Lächeln. Im nächsten Moment wendet sie sich ab und geht zu Lilly, die immer noch wie gebannt auf den Fernseher starrt. Marshall von Paw Patrol hat gerade die Leiter seines Feuerwehrautos ausgefahren und rettet eine Katze vom Baum.
Josie beugt sich vor und tippt Lilly sanft auf die Schulter. Meine Tochter zuckt leicht zusammen und dreht sich um. Da sie Josie nicht kennt, schaut sie sie zurückhaltend an.
„Hallo, Lilly“, sagt Josie mit einem Lächeln. „Ich bin Josie. Ich bin eine neue Freundin deiner Mama.“
Interessant. Sie hat nicht gesagt, dass sie eine Freundin von Marek ist, obwohl sie ihn wahrscheinlich allein durch ihre Beziehung zu Reed gut kennen muss. Die beiden Männer stehen sich offensichtlich sehr nahe. Aber in Gegenwart von Lilly erwähnt sie ihn gar nicht, denn sie scheint sich nicht ganz sicher zu sein, wie viel Lilly verstanden hat.
Josie lässt sich von meiner Tochter in ein bezauberndes Gespräch über Paw Patrol verwickeln. Während die beiden sich unterhalten, brühe ich zwei Tassen Kaffee auf und hole die Milch wieder aus dem Kühlschrank. Gerade als ich Milch in den Kaffee gegeben habe, greift Josie nach einer Tasse.
„Hast du Kinder?“, frage ich, da sie eine Menge über Paw Patrol zu wissen scheint.
Sie schüttelt lachend den Kopf. „Noch nicht, aber eines Tages. Ich bin Notärztin, und ein Grundwissen über beliebte Fernsehserien ist durchaus hilfreich, um beruhigend auf meine jüngeren Patienten einwirken zu können.“
Schlagartig fühle ich mich in Josies Gegenwart noch wohler, da wir beide in einem medizinischen Beruf arbeiten. Ich tippe auf meine Brust und sage eifrig: „Ich bin Krankenschwester.“
„Ich weiß“, sagt Josie grinsend. „Auf der Säuglingsstation, richtig?“
„Das stimmt“, bestätige ich strahlend und greife nach meiner Tasse.
Josie starrt mich abschätzend an, dann wendet sie sich kurz dem Flur zu, als befürchtete sie, dass Reed und Marek jeden Moment zurückkommen könnten, bevor sie sich wieder zu mir umdreht. Sie tritt näher, senkt die Stimme und sagt mit eindringlichem Tonfall: „Hör zu … Ich weiß nicht, wie lange die beiden noch brauchen. Da Reed Marek gerade in der Luft zerreißt, gehe ich davon aus, dass sie bald zurück sein werden. Aber du sollst wissen, dass du hier eine Freundin hast. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schwer es für dich gewesen sein muss, plötzlich aus deinem Zuhause gerissen zu werden. Ich wette, Marek ist nicht sonderlich freundlich zu dir.“
Ein Anflug von Verlegenheit überkommt mich, und ich murmele bedrückt: „Dann kennst du die ganze Geschichte. Marek hat die Hochzeit verhindert und …“
„Dich und Lilly praktisch entführt, euch hierhergeschleppt und euch links liegenlassen, während er sich am Strand vergnügt hat? Ja, ich weiß alles“, erklärt sie mit eisiger Stimme. Es ist nicht zu überhören, wie sehr sie Mareks Verhalten missbilligt. „Deshalb ist Reed gekommen, um ihm den Kopf zurechtzurücken.“
Ich schüttle den Kopf und senke den Blick, als ich von Schuldgefühlen übermannt werde. „Marek hat allen Grund …“
„Nein“, wirft Josie hastig in unnachgiebigem Tonfall ein. „Es ist völlig egal, wer wen in der Vergangenheit verletzt hat, das ist keine Entschuldigung, dich und Lilly allein hier sitzenzulassen. Das wird er verstanden haben, wenn Reed mit ihm fertig ist.“
Ich bin mir meiner Gefühle nicht ganz sicher. Vielleicht empfinde ich Dankbarkeit, vielleicht auch ein wenig Genugtuung. Auf jeden Fall habe ich Tränen in den Augen und muss schlucken. „Danke, Josie. Es tut gut, das zu hören. Marek und ich, wir sind beide wütend und verletzt. Aber als er gestern Abend nach Hause kam, hat er angedeutet, dass er eine Beziehung zu Lilly aufbauen will. Heute wollen wir mit ihr sprechen.“
Josie wirft flüchtig einen Blick auf Lilly und wendet sich dann wieder mir zu. „Wie viel weiß sie?“
Unwillkürlich stoße ich einen tiefen Seufzer aus, der deutlich zum Ausdruck bringt, wie sehr mich die Sache aufwühlt. „Nicht viel. Nur, dass ihre Mama Owen nicht heiraten wird. Und dass sie aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen wurde, um in einem fremden Haus mit einem fremden Mann zu leben, von dem sie nicht einmal weiß, welche Rolle er in ihrem Leben spielt. Ich habe Marek gestern Abend gesagt, dass wir abreisen werden, weil ich Lilly nicht länger verwirren will. Das scheint ihn zum Nachdenken bewegt zu haben. Zumindest glaube ich das.“
Josie nickt verständnisvoll. Sie nimmt einen Schluck Kaffee und fragt: „Es war sicher schrecklich, dass Marek einfach so aufgetaucht ist und dich gezwungen hat, mit ihm zu gehen. Reed hat mir erzählt, was vorgefallen ist, und hat Mareks Verhalten nicht gutgeheißen.“
Ich starre in die Tasse und bin nicht in der Lage, Josie ins Gesicht zu blicken. Beschämt gebe ich zu: „Es war ein einziges Durcheinander. Marek hat gedroht, mir Lilly wegzunehmen, und mir keine Zeit gelassen, über die Konsequenzen nachzudenken. Du kannst dir nicht vorstellen, wie aufgewühlt alle waren, als ich die Hochzeit absagte. Ich konnte weder Owens noch meinen Eltern richtig erklären, was los war. All die Leute in der Kirche, denen ich gegenübertreten musste …“
Ich verstumme, während ich an diesen schrecklichen Tag zurückdenke. Owen stürmte wütend aus der Kirche, nachdem ihm klar wurde, dass er mich nicht umstimmen konnte. Ich musste allein vor die Menge treten und vor fünfhundert Menschen verkünden, dass die Hochzeit nicht stattfinden würde.
Meine Gefühle spielten an jenem Tag völlig verrückt. Ich wusste nicht, ob ich gerettet war oder nicht.
Josie antwortet nicht.
Als ich endlich den Mut aufbringe, sie anzusehen, neigt sie nachdenklich den Kopf zur Seite. „Darf ich dich etwas Persönliches fragen?“
Ich zucke mit den Schultern. Warum nicht? Sie kennt ohnehin schon den Großteil meiner Probleme.
„Reed hat mir erzählt, dass Owen sehr wohlhabend ist. Ich bin sicher, er hätte dir geholfen, Marek vor Gericht zu besiegen, damit du Lilly behalten kannst. Warum hast du dann die Hochzeit abgesagt? Warum hast du Marek nachgegeben und zugelassen, dass er dein Leben auf den Kopf stellt?“
Diesmal erröte ich nicht vor Verlegenheit. Stattdessen spüre ich, wie mir ein eiskalter Schauer über den Rücken läuft und das Blut aus meinem Gesicht weicht. Mit dieser Frage habe ich nicht gerechnet. Eigentlich möchte ich sie gar nicht beantworten müssen. „Äh … nun, ich meine … es war Mareks gutes Recht. Ich habe ihm seine Tochter lange vorenthalten.“
Josie schüttelt den Kopf. „Nein, da steckt doch mehr dahinter. Es ist offensichtlich, dass es dir Kopfzerbrechen bereitet. Du bist kein boshafter Mensch, und ich kann das Bedauern in deiner Stimme hören. Aber da ist noch etwas anderes.“
Ja, doch dieses Etwas ist mein Geheimnis, und das werde ich für mich behalten. Ich schüttle den Kopf und hebe das Kinn an. „Nein, da ist nichts. Du weißt gar nicht, wie schlecht ich mich deshalb fühle, Josie. Seit ich herausgefunden habe, dass ich schwanger bin, hat es mich tagein, tagaus geplagt. Ich bereue zutiefst, Marek hintergangen zu haben, und kann verstehen, dass er mir nur schwer vergeben kann. Aber ich werde nicht zulassen, dass Lilly dabei verletzt wird. Solange Marek sich also um seine Tochter bemüht, werde ich der Sache eine Chance geben und seinen Zorn hinnehmen. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.“
Josie kann sich nur schwer verstellen. Ihr ist deutlich anzusehen, dass sie meine Worte abwägt und sich fragt, ob ich ihr die Wahrheit erzähle. Schließlich schenkt sie mir ein anerkennendes Lächeln und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Okay. Ich kann dich verstehen. Aber lass dich nicht von ihm herumschubsen, in Ordnung?“
Mir entfährt ein Lachen, das belustigt und zugleich ein wenig hysterisch klingt. „Äh … ich tue mein Bestes, allerdings macht er es mir nicht leicht.“
„Konzentriere du dich einfach weiter auf Lilly“, rät sie. „Ich werde dir meine Nummer und meine E-Mail-Adresse geben. Du kannst dich jederzeit bei mir melden, falls du reden willst. Wenn du Lust hast, gehen wir demnächst einen Kaffee zusammen trinken.“
„Sehr gern“, erwidere ich leise. Ich bin überwältigt von ihrer Herzlichkeit und dankbar, unverhofft eine neue Freundin gefunden zu haben.
Die Eingangstür wird geöffnet und schwere Schritte ertönen im Flur. Josie und ich treten beide einen Schritt zurück, als Marek die Küche betritt, dicht gefolgt von Reed.
Reeds Blick fällt zuerst auf Josie, dann auf mich. Er schenkt mir ein zaghaftes Lächeln. „Hey, Gracen. Schön, dich wiederzusehen.“
„Hallo“, antworte ich leise und lehne mich mit der Hüfte gegen die Theke.
„Bist du bereit, zu gehen, Schatz?“, wendet Reed sich an Josie.
Sichtlich überrascht blickt sie zu ihm auf. Offenbar hat sie damit gerechnet, dass wir uns noch weiter unterhalten würden, doch sie stellt hastig ihre Tasse ab. „Ja, sicher.“
Sie kommt auf mich zu, umarmt mich kurz und zieht dann ihr Handy aus der Tasche. „Gib mir deine Nummer.“
Ich rattere die Nummer herunter, und sie speichert sie in ihren Kontakten, bevor sie mich anlächelt. „Ich schreibe dir morgen eine Nachricht. Wir sollten uns bald auf einen Kaffee treffen.“
„Das würde mich freuen“, erwidere ich und werfe einen Blick über ihre Schulter auf Marek. Er steht mit verschränkten Armen und einem gleichgültigen Ausdruck im Gesicht da.
Reed winkt mir zu, verabschiedet sich jedoch nicht von Marek, was ich bezeichnend finde. Offensichtlich herrscht dicke Luft zwischen den beiden. Ich sehe Josie und Reed nach, als sie ohne ein weiteres Wort das Haus verlassen.
Ich trinke noch einen Schluck Kaffee und riskiere einen Blick auf Marek. Er starrt mich mit einem entschlossenen Ausdruck in den Augen an, dann nickt er Richtung Lilly. „Es ist Zeit.“
Mein Herz setzt einen Schlag aus. Ich wusste, dass dieser Moment kommen würde, aber ich bin nicht darauf vorbereitet. Lilly ist dreieinhalb Jahre alt und kann komplexe Sachverhalte kaum verstehen. Ich habe keine Ahnung, wie ich das Gespräch mit ihr beginnen soll, aber eines weiß ich mit Sicherheit: Ich muss ehrlich sein.
In dem Wissen, dass Lilly nicht nur ein liebevolles, sondern auch ein ziemlich zähes Kind ist, vertraue ich darauf, dass sie die Situation wahrscheinlich besser meistern wird als ich.
Marek
Sobald ich höre, wie die Haustür hinter Reed und seinem vorlauten Mundwerk ins Schloss fällt, wende ich mich Gracen zu. Ich koche vor Wut, nachdem Reed sich bemüßigt gefühlt hat, mir die Leviten zu lesen, als wäre er mein Vater. Einem natürlichen Instinkt folgend, richte ich diese Wut auf Gracen, denn, seien wir ehrlich … sie ist ein leichtes Ziel. Vielleicht macht mich das zu einem Arschloch – aber das ist mir egal.
Nichtsdestotrotz klingen mir Reeds Worte, die er mir gerade auf meiner Veranda entgegengeschleudert hat, noch in den Ohren.
„Ich hoffe, du bist nicht hier, um mir ins Gewissen zu reden“, sagte ich zu ihm, als wir aus dem Haus traten, während Josie direkt auf Gracen zuging.
„Genau deshalb bin ich hier“, antwortete Reed in ruhigem Tonfall. „Du musst diese Wut loslassen, Bruder.“
„Das ist nicht so leicht“, knurre ich und lehne mich zu ihm vor. „Du weißt schon, immerhin hat sie mir mein Kind über drei verdammte Jahre lang vorenthalten.“
Reed zeigte jedoch kein Mitgefühl. „Finde dich damit ab“, erwiderte er. „Es ist nun einmal passiert. Akzeptiere es, denn wenn du dich weiter so abweisend verhältst, verletzt du Lilly dadurch nur.“
Ich wich vor ihm zurück, als hätte er mir eine Faust ins Gesicht gerammt. „Ich würde ihr nie wehtun.“
„Tust du ihrer Mutter weh, dann tust du auch ihr weh“, sagte Reed leise.
Plötzlich fühlte ich mich wie ein kleiner Junge. Ich schüttelte verneinend den Kopf. „Ich würde sie nie spüren lassen, dass ich einen Groll gegen ihre Mutter hege.“
„Sie hat es bereits gespürt“, entgegnete Reed. Für den Bruchteil einer Sekunde hasste ich ihn, denn er hatte recht. „Die Art und Weise, wie du Gracen schikanierst und ignorierst, spricht Bände. Kinder sind sehr aufmerksam. Und da wir gerade darüber sprechen… Was empfindest du eigentlich für Gracen? Es war ziemlich gewagt, sie und Lilly hierher zu bringen und in deinem Haus einzuquartieren.“
Bei den Worten versteifte ich mich augenblicklich. „Es war die einzige Möglichkeit für mich, Zeit mit Lilly zu verbringen.“
„Das stimmt nicht“, entgegnete Reed mit einem blasierten Grinsen. „Du hättest sie dort besuchen oder hier in einem anderen Haus unterbringen können. Wahrscheinlich wäre das sogar besser gewesen, denn du scheinst es kaum ertragen zu können, in Gracens Nähe zu sein.“
Herrgott, insgeheim verfluchte ich Reed für seine Worte. Aber ich würde ihm gegenüber nicht zugeben, dass Gracen immer noch einen Platz in meinem Herzen hatte. In den vergangenen vier Jahren habe ich hin und wieder an sie gedacht.
Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich ihr das Herz gebrochen habe.
Vielleicht verhalte ich mich deshalb so abweisend. Solange ich wütend auf sie sein kann, fühle ich mich nicht so schuldig.
Aber meine Schuldgefühle flammen jedes Mal wieder auf, wenn Gracen mich daran erinnert, dass ich mich von ihr getrennt habe, weil ich keine Verantwortung übernehmen wollte. Meine Profikarriere und meine Freiheit waren mir wichtiger. Ich wollte mir keine Gedanken um Gracen machen müssen, wollte keine Verpflichtungen haben und mich von der Liebe ablenken lassen. Ich war ehrlich zu ihr, denn sie hatte es verdient, die Wahrheit zu hören. Fünf Jahre lang war sie nicht nur meine Freundin und Geliebte gewesen, sondern auch meine Vertraute. Ich hatte ihr alles erzählen können und sie nie angelogen. Niemals hätte ich erwartet, dass sie sich unsere Trennung so sehr zu Herzen nehmen würde und von mir glauben könnte, ich hätte sie während der Schwangerschaft nicht unterstützt, wenn ich davon gewusst hätte. Es ist, als würde sie mich nicht wirklich kennen.
Verdammt, das Ganze ist ein einziges Durcheinander.
Ich habe Reed versichert, dass ich gestern Abend mit Gracen gesprochen habe und mich uneingeschränkt auf Lilly konzentrieren und sie kennenlernen will. Das schien ihn etwas zu besänftigen, aber ich weiß, dass er nach wie vor skeptisch ist.
Doch das ist mir egal, denn ich bin immer noch wütend auf ihn. Zum einen mischt er sich in meine Angelegenheiten ein, und zum anderen hatte er recht mit seiner Meinung über mich. Die Stimmung zwischen uns war also etwas angespannt, als er und Josie gingen.
Gracen nimmt einen Schluck Kaffee. Ich weiß, dass sie mir nur ausweichen will, aber ich starre sie unaufhörlich an. Dann begegnet sie endlich meinem Blick, und ich zeige mit einem Nicken auf Lilly.
Ein panischer Ausdruck huscht über Gracens Gesicht. Für einen Moment befürchte ich schon, dass sie einen Rückzieher machen könnte, weil sie glaubt, ich wäre kein guter Umgang für Lilly. Doch dann schenkt sie mir ein fast mutiges Lächeln und kommt auf mich zu.
Sie bleibt direkt vor mir stehen, beugt sich vor und flüstert: „Ich muss zugeben, dass ich keine Ahnung habe, was ich zu ihr sagen soll. Ich weiß, wie wütend du auf mich bist, weil ich dich im Dunkeln gelassen habe. Um ehrlich zu sein habe ich Angst, dass Lilly genauso reagieren könnte.“
Für einen kurzen glanzvollen Moment lasse ich meinen Zorn von mir abfallen und empfinde Mitgefühl für Gracen. Ganz gleich, wie wütend ich auf sie bin, ich will nicht, dass Lilly schlecht über ihre Mutter denkt. Sosehr ich mir auch eine Beziehung zu meiner Tochter wünsche, würde ich niemals die Liebe unterbinden oder schmälern wollen, die sie für Gracen empfindet.
Ohne nachzudenken plappere ich einfach drauflos. „Sag ihr, dass ich unterwegs war und noch nicht die Möglichkeit hatte, sie kennenzulernen. Oder so etwas in der Art.“
Gracen reißt überrascht die Augen auf, als sie hört, dass ich bereit bin, die Schuld auf mich zu nehmen. Insgeheim würde ich das Gesagte am liebsten zurücknehmen. Doch Gracen geht ohnehin nicht auf mein Angebot ein und schüttelt energisch den Kopf. Dann starrt sie mich finster an. „Ich werde sie nicht anlügen. Das alles ist meine Schuld, also werde ich sie auch tragen. Ich bin nur … Ich will einfach nur die richtigen Worte finden.“
„Und was sind die richtigen Worte, Gracie?“, frage ich leise und bin selbst verblüfft, weil ich sie, ohne nachzudenken, mit ihrem Spitznamen angeredet habe. Außer mir hat niemand sie je Gracie genannt.
„Ich weiß es nicht“, murmelt sie. „Sie hat nie nach ihrem Vater gefragt und schien immer damit zufrieden zu sein, ihre Mutter und ihre Großeltern zu haben, die sie vergöttern. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob die traditionelle Rollenverteilung einer Familie überhaupt versteht.“
„Du machst Witze“, entfährt es mir erstaunt.
Gracen zuckt mit den Schultern. „Ich wohne bei Mom und Dad. Sie passen auf Lilly auf, wenn ich bei der Arbeit bin. Zu anderen Kindern hat sie nicht viel Kontakt, außer zu ihren Cousins, denn meine Schwester Beverly besucht uns ab und an. Aber Bev wurde geschieden, bevor Lilly geboren wurde, und so hat Lilly auch von ihrer Seite keine Erfahrung mit einer Vaterfigur.“
Das ist einleuchtend. In ihrem Alter kann sie wohl kaum etwas verstehen, was sie nicht erlebt hat. Dabei kommt mir ein Gedanke. „Weiß sie überhaupt, was ein Vater ist?“
Gracen nickt. „Ich denke schon. Ich meine … sie weiß, dass ihr Großvater mein Vater ist. Aber sie hat nie nach ihrem Vater gefragt. Und nun ja … mit Owen …“
„Verdammt“, fluche ich leise und wende mich von ihr ab. Sofort werde ich erneut von Wut gepackt. Sie wollte meine Tochter von einem anderen Mann großziehen lassen.
„Es tut mir leid“, murmelt sie.
„Eine Entschuldigung ist nicht einmal annähernd gut genug“, blaffe ich, wobei ich darauf achte, meine Stimme nicht zu erheben. Am liebsten würde ich sie anschreien.
Gracen seufzt, doch dann strafft sie die Schultern und begegnet wieder meinem Blick. „Du darfst nicht so ein furchterregendes und wütendes Gesicht machen, wenn du dich mit mir und deiner Tochter zusammensetzen willst. Ich will nicht, dass sie Angst vor dir hat.“
Sofort verflüchtigt sich meine Wut, als mir klar wird, wie wichtig es ist, dass Lilly einen guten Eindruck von mir gewinnt. Reed hatte recht. Ich darf meine negativen Gefühle für Gracen nicht in Lillys Gegenwart zur Schau stellen. Es wäre schändlich, sie noch mehr durcheinanderzubringen. Das kann ich ihr nicht antun, denn das arme Mädchen wird auch so schon verwirrt genug sein.
Sobald ich meine Wut unter Kontrolle gebracht habe, verkrampft sich mir vor Angst der Magen. Ich wette, Gracen kann mir meine Beklommenheit deutlich anmerken. Sie hat denselben Ausdruck im Gesicht.
Sie wendet sich ab, greift nach der Fernbedienung und schaltet den Fernseher aus.
„Hey“, jammert Lilly und dreht sich zu ihrer Mutter um. „Ich habe mir gerade Paw Patrol angeschaut.“
„Du kannst es dir später ansehen“, sagt Gracen mit fester, bestimmter Stimme, in der gleichzeitig ein zärtlicher Unterton mitschwingt. Das ist beeindruckend und muss eine mütterliche Gabe sein.
Ich habe die Beziehung zwischen Mutter und Tochter bisher nur am Rande beobachten können, aber ich habe festgestellt, dass Lilly ein liebes Kind ist. Natürlich gibt es auch bei ihr Momente, in denen ihr Temperament die Oberhand gewinnt, doch sie ist immer leicht zu beruhigen. Gracen ist eine wahre Meisterin darin, Lilly nach einem Wutanfall auf andere Gedanken und wieder zum Lachen zu bringen.
„Okay, Mommy“, sagt Lilly mit honigsüßer Stimme. Obwohl ich dieses Kind überhaupt nicht kenne, berührt es mein Herz auf seltsame und ursprüngliche Weise.
„Komm ins Wohnzimmer, Schatz“, fordert Gracen ihre Tochter mit einer Geste auf. „Marek und ich möchten mit dir reden.“
Lilly springt von ihrem Stuhl auf und kommt mit kindlich beschwingten Schritten auf uns zu. Meine Füße fühlen sich an wie Blei, als ich Gracen ins Wohnzimmer folge. Sie setzt sich in einen Sessel am Fenster, von dem aus man einen Blick auf den Garten hat. Lilly klettert ungefragt auf den Schoß ihrer Mutter, während ich mich auf die Couch auf der gegenüberliegenden Seite des Wohnbereichs setze. Zwischen uns steht eine gepolsterte Ottomane, die ich als eine Art Puffer benutze, weil ich Lilly nicht einschüchtern möchte.
Nachdem Lilly auf ihrem kleinen Hintern herumgerutscht ist und es sich auf Gracens Schoß bequem gemacht hat, wirft sie mir einen verstohlenen Blick zu. Ich bemühe mich um ein beruhigendes Lächeln, doch es fühlt sich seltsam an. Lilly blickt sofort zu ihrer Mutter auf, und ich befürchte schon, dass meine Grimasse zu gruselig war.
„Lilly, Schatz“, sagt Gracen leise. Das Zittern in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. Sie hat eine Heidenangst, und ich wünschte, ich könnte sie beruhigen, aber ich weiß nicht, wie. Im Grunde will ich ihr nicht helfen, denn sie hat sich diese Grube selbst gegraben, und ich empfinde Genugtuung dabei, sie darin stecken zu lassen. Ich bin wirklich ein kranker Mistkerl. „Du weißt, dass wir hier in Mareks Haus wohnen, nicht wahr?“
Lilly nickt und spitzt die Lippen, während sie ihre Mutter vertrauensvoll anstarrt.
„Nun“, fährt Gracen zögerlich fort. „Vielleicht ist das für dich schwer zu verstehen, aber Marek ist dein Daddy.“
Lilly dreht mir langsam den Kopf zu, und ich kann sehen, dass sie die Worte ihrer Mutter nicht verarbeiten kann. Mein Herz fühlt sich an, als würde es mir jeden Moment aus der Brust springen.
„Er ist dein Daddy, so wie ich deine Mommy bin“, fährt Gracen fort. „So wie dein Opa mein Daddy ist, ist Marek auch dein Daddy.“
Lilly starrt Gracen schweigend an, dann wendet sie sich wieder mir zu. Ich nicke zur Bestätigung und frage mich, ob sie es nun verstanden hat. Auf jeden Fall hält sie sich viel besser, als ich es je könnte.
Gracen zieht Lilly an sich und schlingt schützend einen Arm um ihren Rücken. „Weißt du, Marek und ich waren früher sehr enge Freunde. Wir haben dich aus ganz viel Liebe zusammen erschaffen. Also ist er dein Daddy und ich bin deine Mommy.“
Verdammt. Ich muss schlucken, als die Emotionen mich zu überwältigen drohen. Wir haben dich aus ganz viel Liebe erschaffen.
Ich beiße die Zähne zusammen und versuche, die Gefühle zu unterdrücken, die auf mich einstürmen. Plötzlich erinnere ich mich daran, wie sehr Gracen und ich uns geliebt haben.
Ich beobachte Lilly und wappne mich für die Fragen, die sie ihrer Mutter möglicherweise stellen wird.
Wo war er die ganze Zeit?
Warum hast du es mir nicht schon früher erzählt?
Werden wir für immer hier leben?
Wird er jetzt für immer mein Daddy sein?
Liebt er mich?
Doch dann überrascht sie mich, als sie Gracen eindringlich anstarrt und fragt: „Wirst du ihn heiraten?“
Statt mich Hilfe suchend anzusehen, antwortet Gracen wie aus der Pistole geschossen. „Nein, Schatz. Dein Daddy und ich sind nur Freunde, die dich sehr lieb haben. Wir werden uns beide um dich kümmern und dir helfen, zu einem großen Mädchen heranzuwachsen. Ich weiß, dass das alles schwer zu verstehen ist, und es tut mir leid, dass du jetzt erst davon erfährst. Mommy hätte es dir schon vor langer Zeit erzählen sollen, und es war falsch von mir …“
Ich kann mir das nicht länger mit anhören, also schneide ich Gracen das Wort ab. Zum ersten Mal, seit wir uns mit Lilly zusammengesetzt haben, erhebe ich meine Stimme und rufe ihren Namen, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen: „Lilly.“
Sie wendet sich mir zu. Mit ihren blauen Augen, die meinen so ähnlich sind, starrt sie mich verwirrt an. Da ich noch nie ein ernstes Gespräch mit einem Kleinkind geführt habe, habe ich keine Ahnung, ob ich ihr das Richtige sage, aber ich versuche es trotzdem. „Es tut mir leid, dass ich vorher nicht für dich da war. Ich musste gehen und habe dich und deine Mommy wegen meines Jobs zurückgelassen. Doch jetzt sind wir wieder vereint, und ich werde ein guter Dad sein. Versprochen.“
Gracen blickt aus dem Fenster und streichelt Lilly über den Rücken.