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Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. Es war bereits dunkel. Pfarrer Heinrich Zandler ging um das Haus der Baders herum zur Hintertür. Er war leise, denn es sollte eine Überraschung werden. Im Schein der Taschenlampe sah er den Korb, – er war leer. Er lächelte, dann hielt er sein Ohr an die Tür und klopfte. Als niemand antwortete, klopfte er noch einmal. »Claudia, ich bin es, Zandler. Komm, öffne die Tür! Claudia, ich will dir doch nur helfen«, sagte er mit gedämpfter Stimme. Niemand antwortete. »Claudia, bitte! Mach auf!«, sagte er. »Du musst vor mir doch keine Angst haben.« Der Schlüssel innen im Schloss wurde gedreht, dann ging die Tür auf. »Grüß Gott, Claudia! Willst du kein Licht machen?« Claudia trat zur Seite, ließ Pfarrer Zandler eintreten und schloss die Tür. »Vorn ist Licht«
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Seitenzahl: 132
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Als die Sonne sich im Osten über die karstige Spitze des Bacher schob, lag das schmale Seitental noch im dichten Nebel. Leise und weit entfernt drang das kratzige Lied eines Rotschwanzes durch den Dunst wie eine verlorene, vergessene Melodie. So erschien es Alexander von Jost jedenfalls in seiner weltabgeschiedenen Einsamkeit. Der ehemalige Diplomat seufzte. Wie war es nur dazu gekommen, wie hatte er sich in eine solch verflixte Lage bringen können? Noch immer erschien ihm seine Situation wie ein schlechter Traum. Er öffnete den Reißverschluss seiner Wetterjacke, denn mit der steigenden Sonne wurde es allmählich wärmer. Er hatte eine empfindlich kalte Oktobernacht hinter sich und fühlte sich völlig steifgefroren. Doch es empfahl sich nicht unbedingt, dies mittels einiger Freiübungen zu ändern. Sein verstauchter Fuß war nicht zu gebrauchen, stark angeschwollen und schmerzte bei der kleinsten Bewegung höllisch. Der schlanke, große Mann mit den klaren, rehbraunen Augen blickte sich aufmerksam um. Der Nebel löste sich allmählich auf, Konturen wurden sichtbar, das Vogelkonzert intensivierte sich. Die Lärchen am gegenüberliegenden Berghang leuchteten in tiefem Gold, dazwischen das intensive Grün der Bergkiefern. Graues Geröll, das sich im Bachbett am Fuß des Hanges fortsetzte, bildete dazu einen aparten Kontrast. Die Natur in den schmalen und oft abgelegenen Tälern rund um den Wörthersee hatte auch im Herbst ihren besonderen Reiz. Aus diesem Grund war er am Vortag zu einer längeren Wanderung gestartet, einem gut beschilderten Steig gefolgt und allmählich wieder mit sich selbst und der Welt in Einklang gekommen. Doch er hatte sich verschätzt, was die Entfernungen anging. Und er hatte nicht berücksichtigt, wie früh die Sonne im Oktober sank und die Dämmerung kam. An einer unübersichtlichen Stelle war er im abendlichen Zwielicht gestolpert und einen Hang hinabgestürzt. Nachdem Alexander den ersten Schrecken überwunden hatte, war ihm bewusst geworden, dass er seinen rechten Fuß nicht benutzen konnte.
Es war bereits dunkel. Pfarrer Heinrich Zandler ging um das Haus der Baders herum zur Hintertür. Er war leise, denn es sollte eine Überraschung werden. Im Schein der Taschenlampe sah er den Korb, – er war leer. Er lächelte, dann hielt er sein Ohr an die Tür und klopfte.
Als niemand antwortete, klopfte er noch einmal.
»Claudia, ich bin es, Zandler. Komm, öffne die Tür! Claudia, ich will dir doch nur helfen«, sagte er mit gedämpfter Stimme.
Niemand antwortete.
»Claudia, bitte! Mach auf!«, sagte er. »Du musst vor mir doch keine Angst haben.«
Der Schlüssel innen im Schloss wurde gedreht, dann ging die Tür auf.
»Grüß Gott, Claudia! Willst du kein Licht machen?«
Claudia trat zur Seite, ließ Pfarrer Zandler eintreten und schloss die Tür.
»Vorn ist Licht«, sagte Claudia.
Pfarrer Zandlers Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Er folgte Claudia in das Wohnzimmer. Dort brannte nur eine kleine Lampe, ähnlich wie man sie in Zeltlagern benutzte.
Der Geistliche stellte den Korb auf dem Couchtisch ab. Claudia stand mit gesenktem Blick ruhig da. Er ging auf sie zu, nahm ihre Hand und drückte sie in einen der Sessel.
»Madl, was ist los?«
»Danke für das Essen, das Sie jeden Abend hinstellen!«
»Gern geschehen! Aber ich will jetzt wissen, was los ist. Du verkriechst dich. Die Rollläden sind zu, und nach hinten hinaus machst du abends kein Licht.«
»Ich will nicht gesehen werden«, sagte Claudia.
»Wo ist dein Mann?«, fragte Zandler.
»Albin ist nicht da.«
»Und wo ist er?«
Claudia zuckte mit den Schultern.
»Liebes Madl, lass dir nicht jedes Wort einzeln herauslocken.«
Pfarrer Zandler stand auf und drehte die Lampe größer.
Er betrachtete Claudia genauer und erschrak noch mehr. Sie sah elend aus. Claudia war schon immer sehr zierlich gewesen. Aber jetzt war sie dünn, geradezu ausgezehrt.
Pfarrer Zandler packte das Essen aus, das Helene Träutlein ihm eingepackt hatte.
»Hier in dem Behälter ist warmes Essen. Hier haben wir Kuchen, Apfelstrudel, und in dem Schraubglas ist Schlagsahne. Iss!«
Claudia schüttelte den Kopf.
»Ich bekomme nix runter. Mein Magen rebelliert seit Wochen.«
»Ich verstehe!«, sagte Zandler. »Aber du gefährdest deine Gesundheit. Schmal bist du geworden. Hast du Bauchdrücken?«
Sie nickte.
»Soll ich dir sagen, was dir auf den Magen geschlagen ist? Du hast Heimweh nach deinen Kindern.«
Claudia liefen die Tränen über die Wangen. Sie nickte.
»Da kann ich dir sagen, dass es den beiden gut geht. Ich war in München und habe sie besucht. Und ich habe ihnen versprochen, dass ich dich zu ihnen bringe.«
Claudia verbarg ihr Gesicht in den Händen und weinte bitterlich. Pfarrer Zandler stellte sich neben ihren Sessel und legte ihr väterlich die Hand auf die Schulter.
»Madl, so geht das nicht weiter. Ich kann dir doch nur helfen, wenn du mir sagst, was los ist.«
»Albin macht mir Kummer«, flüsterte Claudia.
»So etwas habe ich mir schon gedacht«, sagte Pfarrer Zandler. »Schließlich kann ich eins und eins zusammenzählen. Warum lässt du dir nicht helfen? Und warum hast du die Kinder nach München geschickt?«
»Das ist besser so. Wie haben Sie sie gefunden?«
»Ich habe meine Methoden. In München habe ich sie von der Schule abgeholt. Wir waren im Eiscafé. Anschließend war ich mit ihnen in einem Spielwarengeschäft.«
»Hat meine Freundin Nora etwas erzählt?«
»Nein, sie hatte Dienst. Ich warte, dass du mir endlich erzählst, was los ist.«
Claudia verzog das Gesicht und presste die Hand gegen den Magen.
»Hast du Schmerzen?«, fragte Zandler.
Claudia antwortete nicht.
Pfarrer Zandler ging zum Telefon, um Doktor Martin Engler anzurufen.
»Die Leitung ist tot«, sagte er.
»Ich habe das Telefon abgemeldet.«
»Warum?«
»Ich wollte Geld sparen«, sagte Claudia.
»Dann hast du den Strom auch abgemeldet?«
Sie nickte.
Pfarrer Zandler verlor allmählich die Geduld. Es kostete ihn viel Kraft, ruhig zu bleiben.
»Claudia, wenn du jetzt nicht redest, dann gehe ich zu deinen Nachbarn und rufe von dort aus Doktor Martin Engler an.«
»Bitte nicht!«, schrie sie auf und schaute ihn mit großen flehenden Augen an.
»Trotzdem musst du in ärztliche Behandlung, Claudia. Stehe auf und ziehe dir eine Jacke über! Ich bringe dich in die Praxis.«
»Nein, ich bleibe hier!«
»Gut, aber ich lass mich nur darauf ein, wenn du etwas isst und mir erzählst, was los ist.«
Claudia nickte. Sie fing langsam an, zu essen.
»Albin spielt«, sagte sie plötzlich.
»Wie bitte? Du meinst, er verspielt Geld?«, fragte Pfarrer Zandler nach, als wüsste er nichts. Dem war aber nicht so. Noras Nachbarin hatte ihm bereits einiges angedeutet.
Sie nickte.
»Und wie lange geht das schon so?«
»Lange, fast zwei Jahre. Er hat in München gearbeitet. Dort kam er in falsche Gesellschaft. In seiner Firma wurde abends um Geld gespielt. Es hat lange gedauert, bis ich dahinterkam. Erst als die Bank unseren Hauskredit kündigen wollte, habe ich davon erfahren. Meine Eltern haben mir vorzeitig mein Erbe ausgezahlt. So konnte ich es abwenden. Das Haus ist jetzt bezahlt. Aber es kam zum großen Streit mit meinen Eltern. Sie wollten, dass ich Albin verlasse. Aber das kann ich nicht. Ich habe doch vor dem Altar geschworen, ›in guten wie in schlechten Tagen‹, Sie wissen schon«, seufzte Claudia. »Außerdem brauchen Kinder ihren Vater. Albin versprach mir, dass er aufhört. Er kündigte und suchte sich eine andere Arbeit. Für einige Wochen war ich in dem Glauben, dass nun alles gut sei. Aber dann fand ich heraus, dass sich nichts geändert hatte. Wir stritten nur noch. Er spielte weiter. Er gab mir kaum noch Geld, wenn überhaupt, dann waren es kleine Beträge, Münzen und kleine Scheine. Ich konnte wenigstens ein bisserl etwas einkaufen. Die Kinder brauchen Schulsachen und mal Zahnpasta und anderes. Sie verstehen?«
Pfarrer Zandler nickte. Er wollte sie nicht unterbrechen.
»Dann kam ich dahinter, dass das Geld, das er mir gab, gestohlen war.«
»Gestohlen?«, fragte Pfarrer Zandler entsetzt. Sofort kam ihm ein bestimmter Verdacht. »Was weißt du darüber?«
Es dauerte eine Weile, bis Claudia die richtigen Worte fand und den Mut, darüber zu sprechen.
»Eines Tages sagte er, dass er mir erst später Geld geben könnte. Er müsse erst noch zur Bank gehen. Als er das Haus verließ, ging ich ihm nach. Er ging nicht zur Bank, sondern schlich durch die Felder und über die Wiesen. Ich folgte ihm. Dann habe ich alles gesehen. Er hat eingebrochen, Herr Pfarrer. Es war kein richtiger Einbruch, mit Tür aufbrechen oder so. Das war es nicht. Aber gestohlen hat er trotzdem. Sie wissen doch, wie das im Sommer auf den Höfen ist. Dann stehen alle Fenster und Türen offen. Die Bauern sind oft auf den Feldern. Er konnte gefahrlos die Häuser betreten. Ich habe ihn zur Rede gestellt. Als er mir nicht antworten wollte, rief ich meine Eltern zur Hilfe. Mein Vater hat es dann aus ihm herausgequetscht. Es sei nichts Schlimmes, was er getan habe, sagte er. Er habe ja nur das Dosengeld mitgehen lassen.«
Claudia holte einen Zettel aus der Kommode und gab ihn Pfarrer Zandler.
»Das sind die Namen der Leute, die er bestohlen hat. Er hat alles aufgeschrieben, auf Euro und Cent. Das hat er gemacht, weil er ihnen das Geld wiederbringen wollte, auf dem gleichen Weg, wie er es genommen hat.«
Claudia wurde wieder von einem Weinkrampf geschüttelt.
»Deshalb hast du die Kinder nach München gebracht?«
»Ja, deshalb! Was ist, wenn er erwischt wird? Ich wollte nicht, dass Eva und Nils erfahren, dass ihr Vater ein Dieb ist. Sie sollten nicht miterleben müssen, falls Wolfi und Chris ihren Vater abführen.«
Pfarrer Zandler seufzte.
»Das verstehe ich. Armes Madl. Aber dich selbst einzusperren, ist doch keine Lösung.«
»Was soll ich machen? Ich schäme mich und habe Angst. Ich würde gern arbeiten, aber nicht hier in Waldkogel. Doch wie soll ich nach Kirchwalden oder München kommen, ohne Auto? Das Auto hat Albin verkauft. Er brauchte wohl wieder Geld. Ich habe weder Geld für den Bus, noch für die Bahn.«
»Und wie machst du das, wenn du die Kinder besuchst?«
»Nora schickt mir einen Umschlag mit dem Fahrgeld. Aber sie verköstigt schon die Kinder. Deshalb fahre ich nicht oft. Zum Leben brauche ich nicht viel. Ich habe Gemüse und Obst im Garten. Das ernte ich nachts, damit mich niemand sieht.«
»Langsam, langsam! Heißt das, du lebst seit Wochen nur von Obst und Gemüse? Und das isst du roh? Wenn du den Strom abgemeldet hast, dann kannst du auch nicht kochen.«
»Ein bisserl koche ich. Ich habe noch Spiritus im Schuppen für die Lampe und einen kleinen Kocher. Aber ich muss sparsam sein.«
»Gütiger Himmel«, stöhnte Pfarrer Zandler.
Sie sah ihn an. »Mehr kann ich jetzt nicht essen. Den Rest esse ich morgen.«
»Nix da! Claudia, ich nehme dich jetzt mit. Und ich dulde keine Widerrede. Los, wir gehen!«
Pfarrer Zandler holte eine Jacke, die im Flur hing und hielt sie ihr hin.
»Anziehen! Wir gehen jetzt. Martin ist als Doktor ebenso zur Verschwiegenheit verpflichtet, wie ich. Deshalb mache dir keine Sorgen. Er wird dich aufnehmen und hochpäppeln.«
Er warf ihr die Jacke um die Schultern, legte den Arm um sie und schob sie zur Hintertür.
»Du bleibst hier stehen. Ich mache die Sturmlampe aus. Ein Brand wäre eine Katastrophe, die keiner brauchen kann.«
Pfarrer Zandler ging mit Claudia durch die stillen nächtlichen Straßen von Waldkogel zum Pfarrhaus. Seine Haushälterin war schon in ihr Zimmer gegangen. Er bat Claudia, in der Küche zu warten. Er ging in die Studierstube und rief Doktor Martin Engler an.
Keine zehn Minuten später fuhr Martin mit dem Geländewagen vor. Zandler und Claudia stiegen ein. Martin fuhr sie zu seiner Praxis, die eine Bettenstation hatte.
Eine halbe Stunde später lag Claudia in einem Bett und schlief fest. Doktor Martin Engler hatte ihr eine Beruhigungsspritze gegeben, auf die sie sofort eingeschlafen war.
Martin und Pfarrer Zandler setzten sich in die große Wohnküche. Martin machte einen Kräutertee.
»Somit sind die rätselhaften Gedächtnis- und Erinnerungslücken meiner Patienten geklärt«, sagte Doktor Martin Engler erschüttert. »Dafür habe ich zwei neue Patienten.«
»Zwei?«
»Claudia, die völlig entkräftet und nervlich am Ende ist, und ihr Mann. Spielsucht ist eine Krankheit. Albin braucht dringend eine Therapie.«
Doktor Martin Engler rieb sich das Kinn.
»Claudia bleibt hier, bis sie wieder bei Kräften ist. Es wäre mir lieb, wenn Sie morgen früh herkommen würden, Herr Pfarrer. Dann reden wir gemeinsam mit ihr. Vielleicht weiß sie, wo Albin steckt.«
»Ich werde da sein, Martin. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir weiter vorgehen sollen.«
»Meinen Sie, Albin kommt immer noch nach Waldkogel und besorgt sich Kleingeld?«, fragte Martin.
Zandler zuckte mit den Schultern.
»Da in letzter Zeit wohl kein Geld mehr verschwunden ist, nehme ich an, er lässt sich hier nicht mehr sehen. Aber es gibt genug Dörfer in der Umgebung.«
Die Männer schauten sich an und seufzten. Sie saßen noch eine Weile zusammen und redeten. Sie überlegten, wie sie helfen konnten.
Als die Uhr auf dem Turm der schönen Barockkirche Mitternacht schlug, verabschiedete sich Pfarrer Zandler.
Bevor er schlafen ging, zündete er in der Kirche eine dicke Kerze an für die Engel vom ›Engelssteig‹ und bat sie um Hilfe für Claudia und für Albin.
Er las noch einmal den Zettel mit den Namen und den Beträgen, den Claudia ihm gegeben hatte. Da kam ihm eine Idee.
*
Albert Weißgerber und seine Frau Marie saßen nach dem Abendessen auf der Bank vor dem Haus. Doktor Martin Engler drehte mit seinem Geländewagen einen Kreis auf dem freien Platz zwischen dem Wohnhaus und den Hallen des Sägewerks. Er parkte und stieg aus.
Die beiden standen auf und gingen ihm entgegen.
»Grüß Gott, Martin!«, sagte Albert. »Brauchst du Holz? Ich habe mir schon gedacht, dass du bald kommst.«
Doktor Martin Engler begrüßte die beiden herzlich.
»Das stimmt, Albert. Brennholz brauche ich auch bald wieder. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Aber der nächste Winter kommt bestimmt. Also karre mir die übliche Ladung an!«
»Das mache ich!«
Der Hausarzt von Waldkogel rieb sich das Kinn.
»Deswegen bin ich nicht vorbeigekommen. Ich wollte mit dir reden, Marie.«
»Hast du einen Patienten, nach dem gesehen werden muss?«, fragte Marie. Sie war die Leiterin der Dorfhelferinnen in Waldkogel. »Gehen wir rein!«
Martin folgte den beiden in die große Wohnküche. Sie setzten sich an den Küchentisch. Albert holte drei Bier. Sie prosteten sich zu und tranken.
»Es geht um den alten Alfons Bacher, Marie. Er war heute bei mir in der Praxis. Krank ist er nicht. Er kommt zweimal im Jahr und lässt sich untersuchen. Wenn alle Waldkogeler so gesund wären, könnte ich meine Praxis dicht machen«, schmunzelte Martin. »Trotzdem macht mir der alte Alfons Kummer. Er scheint den Lebensmut verloren zu haben. Geklagt hat er nicht. Aber er hat einige Bemerkungen gemacht, die mir gar nicht gefallen haben. Er wirkte traurig.«
»Meinst du, er hat Depressionen?«, fragte Marie nach.
»So extrem ist es nicht, Marie. Aber es stimmt etwas nicht mit ihm. Ich kann es schwer beschreiben. Es war seine ganze Haltung und Ausstrahlung. Er tat sehr heiter. Aber es war nicht ehrlich. Er hat mir Theater vorgespielt.«
»Du meinst, er hat eine Fassade aufgebaut?«
»So kann man es beschreiben, Marie. Ich will die Pferde nicht scheu machen. Ich will ihm auch nicht zu nahetreten. Sicher habe ich versucht, ihm ein bisserl was zu entlocken. Aber gelungen ist es mir nicht. Trotzdem denke ich, dass er Hilfe braucht. Mit Hilfe meine ich ein bisserl Beistand. Kannst du es einrichten, dass du mal nach ihm schaust?«