Maries wundervolle Welt - Jürgen Johannes Platz - E-Book

Maries wundervolle Welt E-Book

Jürgen Johannes Platz

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Beschreibung

Marie lebt bei ihrer geliebten Großmutter und kommt gerade in die Schule. Ihre Großmutter und auch ihre Lehrerin erzählen ihr viele sinnige, spannende und lustige Geschichten über unsere schöne Welt: die Natur, die Jahreszeiten, den Nachtwächter, die Fasnet und vieles andere. Die kleine Marie lernt dadurch eine lebendige, beseelte Welt kennen, in der sie sich sehr glücklich und geborgen fühlt. Ein Buch zum Lesen und Vorlesen - ab 6.

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Inhalt

Marie kann nicht schlafen

Die kleine Sonnenblume

Das Würmchen

Die Apfelernte

Der Schmetterling

Die vier Haufen

Im Herbstwald

Ein Sonntagsessen

Der Martinimarkt

Das Geheimnis

Der Nachtwächter

Das Sternenkleid

Weihnachten im Stall

Das erste Glöckchen

Schalk, wach’ uff

Ein Frühlingsstrauß

Des Entendiebs roter Schwanz

Für meine Tochter Samira

Marie kann nicht schlafen

Nun musste Marie nur noch ein einziges Mal schlafen, dann war ihr erster Schultag gekommen. Doch an diesem Abend konnte sie nicht einschlafen. Sie dachte an das Klassenzimmer, in dem sie schon vor einigen Wochen zur Einschulung gewesen war. Und daran, wie stolz sie darauf war, dass sie alle Bilder an der Tafel sogleich erkannt hatte: den Stuhl, die Leiter, das Marienkäferchen, das ja schließlich ihren Namen trug, und – die Teekanne. Diese Kanne war besonders schön anzusehen, denn sie war mit roten und gelben Tulpen verziert, die nach oben beinahe bis zum Deckel und nach unten bis zum Boden reichten. Marie dachte auch an die anderen Kinder, die sie noch nicht kennengelernt hatte. Besonders die „Großen“, aus den oberen Klassen, beunruhigten sie sehr. Waren sie nett? Oder würden sie die Erstklässler ärgern?

Die Großmutter, bei der Marie wohnte, seit ihre Eltern im letzten Frühjahr gestorben waren, lugte nochmals leise durch den Spalt der angelehnten Kinderzimmertür, um zu sehen, ob Marie denn schon schliefe. Doch was musste sie entdecken: Marie war immer noch wach – und das um halb zehn!

„Aber Marie, was hast du denn? Kannst du nicht schlafen, mein kleiner Schatz?“, fragte sie besorgt.

Großmutter wurde nie richtig ärgerlich oder gar böse. Immerzu war sie lieb, nicht nur Marie gegenüber. Sie hatte eigentlich alle Kinder lieb, besonders diejenigen, die Marie besuchten. Und weil sie alle lieb hatte, konnte sie auch nicht wirklich böse werden.

„Warum kannst du denn nicht schlafen?“, fragte die Großmutter nochmals.

„Ich hab ein wenig Angst! Vor der Schule und all den fremden und großen Kindern. Und ich weiß auch nicht, wann morgen die Schule aus ist und ob du mich rechtzeitig wieder abholst und ob ich alles im meinem Schulranzen habe, was ich brauche, und neben wem ich sitzen werde, das weiß ich auch nicht, und was dann in der Pause alles sein wird, da sind doch so große Kinder, die wollen mich vielleicht ärgern und wer hilft mir dann, wenn du nicht da bist?“, Marie musste jetzt tief Luft holen.

„Oh je, oh je! Liebe Marie! Was du dir alles für Sorgen machst! Weißt du, der erste Schultag, der ist etwas ganz Besonderes. Jetzt sage ich dir mal, was Schule für dich sein wird. Ab morgen darfst du alles lernen: über die Welt, die Pflanzen und Tiere, über die Sterne und das Firmament und über die Menschen. Schau, auch die Großen, auch deine Lehrerin, sie alle waren einmal klein und gingen zum ersten Mal in die Schule. Denen ging es auch so ähnlich wie dir jetzt gerade. Und wenn ich an meinen ersten Schultag zurückdenke – davor war mir auch ganz bang. Doch kaum war der Tag gekommen, kaum saß ich an meinem neuen Platz im Klassenzimmer neben meiner neuen Nachbarin, da war die Angst fast schon weg, denn es gab so viel Neues zu entdecken und zu erzählen, dass der erste Schultag viel zu kurz war und ich den zweiten kaum mehr erwarten konnte. Aber damit du jetzt in Frieden einschlafen kannst, will ich dir eine Geschichte erzählen, die mir mein Lehrer am ersten Schultag, gleich zu Beginn, vor über siebzig Jahren, erzählt hat.“

Die kleine Sonnenblume

Die Großmutter erzählte: „Endlich war der große Tag gekommen, an dem sich die kleine Sonnenblume zum ersten Mal öffnen sollte. Die Sonne war gerade aufgegangen und die Vöglein begrüßten den neuen Tag mit frohem Gesang. Da erwachte auch die kleine Sonnenblume und öffnete langsam ihre Blüte. Wie strahlten da die sonnengelben Blättchen! Und sie erblickte die weite Welt: den Bach, in dem die Fischlein blinkten, die Wiese, auf der die bunten Blumen leuchteten, den Himmel mit den lichten Wolken und seinem blauen Grund. Es war alles so schön, dass sie vom Kopf bis zu den feinen Wurzeln überglücklich war.

Auch sah sie die anderen Sonnenblumen. Einige waren schon groß und ihre Köpfe schienen bis zum blauen Himmel zu reichen. Als die kleine Sonnenblume so emporschaute, da wurde sie eines hellen Lichtes gewahr und es schien, als sei hoch am Himmel eine noch größere Sonnenblume. Die allergrößte! Die strahlte wie keine zweite. Alle anderen Sonnenblumen schauten zu dieser hinauf und auch die kleine Sonnenblume schaute und schaute und tat es den anderen gleich. Dabei wurde ihr so warm und wohl, dass sie immer nur hinschauen mochte und ihr Köpfchen gar nicht mehr abwenden wollte.

So hatte sie schon lange geschaut – da plötzlich sprach diese große, leuchtende Sonnenblume zur ihr:

‚Ich hab dich lieb!‘, und schickte ihr wärmstes Licht herab. Nun war die kleine Sonnenblume so glücklich wie noch nie zuvor.

Als es Abend wurde, war die strahlende Blume hinter die Berge gewandert und es wurde langsam dunkel. Mond und Sterne erwachten. Die müde, kleine Sonnenblume war im kühlen Mondlicht bald eingeschlafen.

Unterdessen hatte sie einen seltsamen Traum:

Sie träumte, ein finsterer Geselle käme zu ihr dahergeflattert, würfe einen grauen Schatten auf sie und setze sich bei ihr nieder.

‚Wer bist du?‘, fragte die kleine Sonnenblume im Traum.

‚Ich bin der finstre Nachtfalter!‘

‚Aber warum schläfst du in der Nacht nicht, wie ich und die anderen?‘

‚Ich schlafe am Tag!‘, antwortete der Falter schnippisch.

‚Aber weißt du nicht, wie schön der lichte Tag ist? Die große Sonnenblume leuchtet dann vom Himmel herab und die ganze Welt freut sich in ihrem Glanz und ihrer Wärme!‘

‚Ha! Wie klein und dumm du doch bist! Das ist gar keine Sonnenblume, die da leuchtet! Das ist die Sonne. Ihr Licht blendet meine Augen und ihr Feuer verbrennt mir die grauen Flügel! Gefährlich und böse ist sie! Ich rate dir: Hüte dich vor dieser schlimmen Sonne!‘, schwirrte der Falter und erhob sich. Spöttisch lachend flatterte er wie ein Schatten weiter, bis er in der Dunkelheit verschwunden war.

Mit dem ersten Sonnenstrahl erwachte die kleine Sonnenblume. Sie wagte es nun nicht mehr, zur Sonne aufzublicken, und tat, wie der Nachtfalter ihr geraten. Ihr war ganz bang ums Herz. Es schien ihr, als läge über der schönen Welt ein dunkler Schatten. Traurig ließ sie daher ihr Köpfchen hängen und Kummer lag auf ihrem Sonnen-Gesicht.

Da kam ein bunter Schmetterling munter herbeigeflogen. Als dieser die kleine Sonnenblume so traurig vorfand, flog er zu ihr hin und setzte sich leise nieder. Nach einer Weile fragte er:

‚Warum lässt du dein sonniges Köpfchen so hängen? Schau doch, wie droben die Sonne lacht!‘

Da hob die kleine Sonnenblume ein wenig ihr Köpfchen und erzählte dem Schmetterling vom Nachtfalter, dem sie im Traum begegnet war, und was er ihr geraten hatte.

Da sprach der Schmetterling:

‚Du bist zwar noch klein, aber nicht dumm! Schau, wie schön die Welt ist! Sieh meine Flügel, wie deren Farben leuchten! Das alles haben wir der lieben Sonne zu verdanken! Sie ist es, die alles vergoldet, wärmt und gedeihen lässt. Ihr Liebeslicht erwärmt die Herzen aller Wesen.‘

Zögerlich schaute die kleine Sonnenblume auf zur Sonne und fühlte, dass der Schmetterling recht hatte: Ihr wurde wieder ganz licht und warm. Da lachten beide vor Freude und die kleine Sonnenblume dankte dem Schmetterling für seinen guten Rat.

Von nun an freute sich die kleine Sonnenblume auf jeden neuen Tag: Mit jedem ersten Vogelgesang erwachte sie fortan glücklich im Licht der lieben Sonne. – Ja, diese Geschichte erzählte mir mein Lehrer am ersten Schultag. Ich habe sie nie wieder vergessen!“, sagte die Großmutter zum Abschluss.

Marie war bei den letzen Worten sanft eingeschlummert und die Großmutter, nachdem sie noch eine kleine Weile am Bettrand gewartet und Maries friedliches Gesicht liebevoll betrachtet hatte, schlich sich ganz leise hinaus. Draußen, im Flur, ließ sie eine kleine Lampe brennen. Maries Tür blieb angelehnt. Die Großmutter ging nun auch ins Bett. Beide schliefen so gut wie schon lange nicht mehr.

Wenn am Morgen der Wecker nicht so laut geläutet hätte, dann hätten die Großmutter und Marie gewiss den ersten Schultag verschlafen.

Aber so kam es nicht: Die Großmutter hatte zum Glück einen besonders alten und lauten Wecker!

Marie kam also rechtzeitig zur Schule.

Die Großmutter brachte sie hin, ging dann aber gleich wieder nach Hause.

Sie dachte sich: „Marie kennt den Schulweg schon gut und findet nach der Schule sicher alleine wieder nach Hause.“

Doch als sie wieder zuhause in der Küche saß, da dachte sie nur an ihre kleine Marie. Sie dachte an die Angst, die Marie vor den Großen hatte, und an den Pausenhof, der für Marie noch ganz fremd war.

So hielt sie es nicht lange aus und machte sich alsbald ein zweites Mal auf den Weg zur Schule, um rechtzeitig zur großen Pause wieder dort zu sein. Kaum war sie angekommen, sie hatte sich sehr beeilt, da begann auch schon die Pause und aus der Schultür quoll ein fast endloser Strom von Kindern. Die Großmutter stand am Zaun des Schulhofs.

Sie hielt Ausschau nach Marie, konnte sie aber zunächst nicht entdecken.

Doch schließlich sah sie ihre Kleine. Sie sah sie von Weitem, wie sie mit anderen Kindern lachte und spielte. So war die Großmutter sehr beruhigt und wollte gerade wieder gehen, da rief Marie, die sie entdeckt hatte:

„Großmutter!“

Marie kam, mit dem Pausenbrot in der Hand, herbeigesprungen und fragte erstaunt:

„Was machst du denn hier? Hast du die ganze Zeit hier draußen gewartet?“

„Nein, nein, Marie! Ich wollte nur sehen, ob es dir gut geht. Ich war schon zuhause, doch dann, als ich so alleine in der Küche saß, da machte ich mir doch Sorgen um dich. Da hielt ich es nicht mehr aus und kam wieder her“, antwortete die Großmutter.

„Das ist lieb von dir, Großmutter! Aber du brauchst dich nicht zu sorgen. Jetzt ist alles gut. Es ist so, wie du es mir gestern Abend gesagt hast: Ich freue mich jetzt schon auf morgen, auf meinen zweiten Schultag!“, erklärte Marie.

„Dann ist’s gut! Dann geh ich jetzt aber schnell wieder nach Hause, damit das Essen fertig ist, wenn du nachher kommst!“

Die Großmutter machte sich nun beruhigt auf den Heimweg und Marie war riesig froh darüber, dass ihre Großmutter sich so sehr um sie kümmerte.

Als die Schule zu Ende war, fand Marie den Heimweg ganz alleine. Es war tatsächlich so: Sie konnte den nächsten Schultag kaum erwarten!

Der Geheimgang

Nun ging Marie bereits schon so lange in die Schule, dass sie sich gar nicht mehr vorstellen konnte, wie es zuvor gewesen war, als sie noch nicht zur Schule ging.

Morgens konnte sie es kaum erwarten, sich auf den Schulweg zu machen. Sehr oft war sie unter den ersten Kindern, die in der Frühe im Klassenzimmer ankamen. So konnte sie ihre Lehrerin für einige Minuten fast ganz für sich alleine haben. Die Lehrerin war nämlich auch schon sehr zeitig im Klassenzimmer und hatte stets allerlei zu tun: Da mussten die Wachsmalstifte geordnet, die Tafel vorbereitet oder die Tische und Stühle gerade gerückt werden, damit, wenn die Kinder kämen, alles wieder für den herrlichen Schultag bereit war. Manchmal durfte Marie ein wenig mithelfen oder ihre Lehrerin begleiten, wenn sie im Materialraum noch Hefte, Papier oder neue Stifte besorgen musste. Der Weg dorthin war sehr aufregend, denn die Lehrerin, Frau Sommer war ihr Name, also Frau Sommer hatte natürlich viele Schlüssel: für jede Tür in der Schule einen, der passte. Es gab in der Schule nämlich Türen, die waren immerzu verschlossen, und nur wer einen passenden Schlüssel hatte, konnte sie öffnen.

Eine dieser Türen führte in den Keller. Von dort aus ging ein Gang durch den Keller hindurch. Am Ende des Ganges war der Raum mit all den bunten Stiften, Farben und Schulheften: der Materialraum.

Der Weg durch den Schulkeller war deswegen so aufregend, weil dort alles anders aussah als oben im Schulhaus: Dort unten war das Licht schwach und trübe, an der Wand führten dicke Rohre entlang. Es war sehr warm hier und mit geschlossenen Augen konnte man sich, selbst im Winter, sehr leicht vorstellen, es wäre ein heißer Sommertag und man ginge oben durch die sommerlich warmen Flure der Schule. Die Rohre an der Wand gehörten nämlich zur Heizung und da sie auch das heiße Wasser transportierten, waren sie das ganze Jahr über warm. Und so war auch der Gang hier unten stets geheizt.

Der Weg durch den schummrig-warmen Keller war für die Kinder ein „Geheimgang“ und sie konnten und durften dort nur in Begleitung eines Lehrers sein.

In manchen Ecken brummte es laut: Hier standen die Waschmaschinen der Schule. In ihnen wurden die vielen Handtücher und Tafellappen der Klassenzimmer gewaschen.

Nun waren die beiden am Ende des Gangs angekommen und Frau Sommer nahm den passenden Schlüssel und schloss die Tür zum Materialraum auf.

Stockfinster war es hier und die ersten Schritte zum Lichtschalter musste man im Dunklen tastend zurücklegen. Marie konnte die Hand nicht vor Augen sehen. Doch Frau Sommer fand den Lichtschalter rasch und schon erstrahlte der eben noch pechschwarze Raum im hellsten Licht. Marie musste, im ersten Moment, geblendet die Augen etwas zusammenkneifen. Blinzelnd schaute sie sich um: Da waren sie, die Regale mit den bunten Heften, den Tafelschwämmen, den Buntstiften, Stecknadeln, Bienenwachskerzen, Pinseln, Tafellappen und Handtüchern. Marie staunte.

„Heute, Marie, bekommt ihr einen neuen Wachsmalstift! Einen rosa Wachsmalstift, den brauchen wir, um den neuen Buchstaben zu schreiben!“ Natürlich verriet Frau Sommer nicht, welcher neue Buchstabe heute dran war, aber Marie fragte dennoch:

„Wie heißt denn der neue Buchstabe, Frau Sommer?“

„Das wirst du bald sehen, liebe Marie! Nachher erzähle ich euch eine neue Geschichte und wenn du gut aufpasst, dann kannst du sicher erraten, wie der neue Buchstabe klingt! Jetzt müssen wir aber rasch zurück, denn die anderen Kinder sind sicher schon längst angekommen und wollen uns begrüßen.“

Sie reichte Marie vier Schachteln mit rosa Stiften: „Hier, die darfst du tragen!“, sagte Frau Sommer, und beide beeilten sich, um rechtzeitig ins Klassenzimmer zurückzukommen.

Zwölf Kinder waren inzwischen eingetroffen und freuten sich, Frau Sommer begrüßen zu können. Natürlich wollten alle wissen, welche Farbe die neuen Stifte, die Marie trug, hatten.

„Rosa“, rief Marie, „für den neuen Buchstaben!“

„Welcher ist es?“, fragten einige.