von Alfred Bekker
In eine Marseiller Galerie wird eingebrochen. Der Besitzer
scheint ermordet worden zu sein – seine Leiche ist aber
unauffindbar. Commissaire Pierre Marquanteur und sein Team beginnen
mit ihren Ermittlungen und stellen schnell fest, dass der Galerist
in höchst dubiose Geschäfte verwickelt war. Innerhalb kurzer Zeit
werden weitere Personen aus seinem Umfeld ermordet. Dann meldet
sich ein Kollege aus Russland, und der Fall bekommt eine Wendung
…
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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books,
Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press,
Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition,
Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints
von
Alfred Bekker
© Roman by Author /
COVER A.PANADERO
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich
lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und
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Alles rund um Belletristik!
1
Marseille – im Jahr 2007 …
»Und das soll nun Kunst sein!«, sagte der Mann im Bistro, in
dem mein Kollege Commissaire François Leroc und ich uns gerade
stärkten. »Wissen Sie, was ich denke, Monsieur Marquanteur?«
»Naja …«, sagte ich, denn ehrlich gesagt wusste ich nicht so
genau, worauf der Bistro-Mann hinauswollte. Aber die Croissants,
die er anbot, schmeckten gut. Und darauf kam es an.
Er deutete auf die Vogelscheuche, die an einem Laternenpfahl
hing und durch den letzten Regen ziemlich in Mitleidenschaft
gezogen worden war.
»Die lassen dies da nun vergammeln und keiner hängt den Müll
weg, weil es ja eine Kunstaktion ist. Ich weiß nicht, das soll wohl
den menschlichen Verfall und das Vergehen der Zeit illustrieren
oder sowas.«
»Kann schon sein«, sagte ich kauend.
»Ja, kann sein oder ist wirklich so, Monsieur
Commissaire?«
François und ich waren in letzter Zeit öfter hier gewesen.
Deswegen kannte er unsere Namen. Ich seinen allerdings nicht. Eine
Schande. Aber man kann nicht alles behalten.
»Habe ich mir noch keine Gedanken drüber gemacht, muss ich
jetzt ehrlich gestehen.«
»Also wenn ich meinen Sperrmüll zur falschen Zeit an die
Straße stelle, kriege ich eine Verwarnung. Aber wenn ich Künstler
wär‘, dann könnte ich jeden Mist einfach irgendwo lassen und das
wär‘ in Ordnung?«
»So würde ich das jetzt nicht sehen«, sagte ich.
»Ja, aber ich sehe das so! Und richtig ist das nicht! Das kann
mir keiner erzählen!«
»Von der Seite habe ich das noch nicht betrachtet.«
»Sollten Sie vielleicht mal, Monsieur Commissaire Marquanteur.
Sie sind doch Commissaire?«
»In der Tat, ja.«
»Dann frage ich jetzt mal den Commissaire Marquanteur, mit
seiner große Kenntnis von den Paragraphen und so: Kann man sowas
nicht verbieten?«
Ich hatte mich verschluckt und irgendwie ein Stück Croissant
in den falschen Hals gekriegt. Mein Kollege François haute mir auf
den Rücken. Nach einem Moment war es wieder gut.
»Geht‘s wieder?«, fragte der Bistro-Mann.
»Alles in Ordnung«, sagte ich.
»Und meine Frage?«
»Wie?«
»Ja, die Antwort fehlt: Kann man so eine Verschandelung der
Stadt, wie die da, nicht verbieten?«
»Also, genau genommen fällt das nicht in unsere
Zuständigkeit«, sagte ich.
»Ah, ja«, sagte der Bistro-Mann.
»Gutes Croissant«, meinte François kauend. »Echt!«
»Gibt keine Besseren«, ergänzte ich.
»Das hört man gerne«, sagte der Bistro-Mann und streckte dann
die Hand in Richtung der Vogelscheuche aus. »Aber davon kriegt man
Augenkrebs!«
2
St. Petersburg, Russland
Das Café Rasputin war ein beliebter Szene-Treff, wo sich
Künstler, Intellektuelle und alle, die sich dafür hielten
einfanden, um über den Niedergang Russlands zu diskutieren oder der
Performance eines experimentellen Dichters zu lauschen. An den
Wänden hingen großformatige Gemälde in grellen Farben. Wladimir
Basilov fiel in seinem biederen, dreiteiligen Anzug sofort auf. Er
ließ suchend den Blick über die Gäste schweifen. Stimmengewirr
erfüllte den Raum.
Und Zigarettenrauch.
In kalten Schwaden hing er über den Tischen und machte Basilov
klar, wie sehr ihn zwanzig Jahre Marseille geprägt hatten. In
Frankreich war das Rauchen beinahe überall verboten, und so war
Basilov den in Augen und Nase beißenden Qualm nicht gewöhnt.
Sein Blick blieb an einem Mann im dunklen Rollkragenpullover
haften, der allein an seinem Tisch saß.
Basilov ging an seinen Tisch.
Der Mann im Rollkragenpullover zog an seiner filterlosen
Zigarette und blies Basilov den Rauch entgegen. »Na, endlich! Ich
dachte, du kommst nicht mehr! Setz dich!«
Basilov nahm Platz. »Wir müssen miteinander reden,
Sergej!«
Der Mann im Rollkragenpullover beugte sich nach vorn und
sprach nun in gedämpftem Tonfall. »Ich steige aus, Wladimir! Die
Sache ist zu heiß geworden. Und wenn du schlau bist und am Leben
bleiben willst, tust du dasselbe!«
3
»Was ist passiert?«, fragte Basilov.
»Genug, um in Zukunft die Finger von der Sache zu lassen. Das
Geschäft läuft nicht mehr, und ich habe keine Lust, mir die Finger
zu verbrennen. Vor zwei Tagen wurde Korzeniowskij erschossen, und
ich möchte nicht der Nächste zu sein.«
Basilov verengte die Augen.
»Korzeniowskij?«, echote er. »Das wusste ich nicht …«
»Du scheinst so manches nicht zu wissen, Wladimir!«
»Dann erkläre es mir, Sergej!«
»Ich sehe zu, dass ich mein Geld in die Schweiz bekomme, und
dann bin ich weg!«, erklärte der Mann im Rollkragenpullover.
Er lehnte sich zurück und ließ den filterlosen Glimmstängel
aufglühen.
Basilov wedelte mit der Hand, um den Rauch zu
vertreiben.
Sergej grinste schief. »Verweichlichter Franzose!«, murmelte
er verächtlich.
»Was den Pass betrifft, stimmt das«, konterte Basilov.
»Na, das wird es für dich ja etwas leichter machen, mit der
neuen Situation fertig zu werden.«
Basilov lachte heiser. »Du hast gut reden, Sergej! Ich bin
schließlich Verpflichtungen eingegangen! In Marseille gibt es
Leute, die auf die nächste Lieferung so sehnsüchtig warten wie ein
Junkie auf seinen Stoff! Die werden ziemlich sauer
reagieren.«
Sergej zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid.«
»Was ist mit Lebedew?«
»Der ist schon vor Wochen von der Bildfläche verschwunden.
Offenbar hat er den Braten etwas früher gerochen als der Rest von
uns und zugesehen, dass er seine Schäfchen ins Trockene bekommt.«
»Verdammt!« Basilov ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten.
Eine dunkle Röte überzog sein Gesicht.
Sergej wirkte gelassener. »So ist das nun mal. Jeder muss
jetzt sehen, dass er so gut wie möglich aus dem Schlamassel
herauskommt.«
»Na, großartig!«
Sergej drückte den Rest seiner Zigarette im Aschenbecher aus,
trank seinen mit Wodka vermengten Kaffee aus und erhob sich.
Basilov war bleich wie die Wand geworden.
Sergej sah ihn an und verzog das Gesicht. »Hey, bist du
wirklich schon so ein französisches Weichei geworden, Wladimir? Ich
dachte, ihr würdet den Unternehmergeist immer besonders groß
schreiben!«
Basilov verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln.
»Das tun wir auch.«
»Da wird der deinige ja wohl nicht gleich versagen, nur, weil
die Zeit der Riesenjackpots für dich jetzt erst mal eine Weile
vorbei ist!«
»Sehr witzig!«
»Immerhin lebst du noch – das ist mehr, als man von so manch
anderem sagen kann, der bei der Sache mitgemacht hat!« Gönnerhaft
klopfte Sergej seinem Gesprächspartner auf die Schulter. »Nichts
für ungut, Wladimir! War ‘ne schöne Zeit, und ich denke, wir werden
dem warmen Euro-Regen noch lange nachtrauern.«
Basilov bleckte die Zähne wie ein Raubtier. »Du kannst mich
mal!«, fauchte er.
»Wie auch immer. Vielleicht machen wir ja irgendwann, wenn
sich die Lage beruhigt hat, mal wieder zusammen Geschäfte. Man
sollte ja immer optimistisch bleiben!« Er grinste schief und setzte
noch hinzu: »Außerdem kommen Ikonen nie aus der Mode!«
Sergej sah auf die Uhr.
Dann nickte er Basilov zu und ging in Richtung Ausgang.
Gerade hatte ein Mann in dunkler Lederjacke, dazu passenden
Stiefeln und grauer Strickmütze den Raum betreten.
Sergej erstarrte, als er ihn sah.
Der Mann in Leder griff unter seine Jacke und riss eine
Pistole hervor.
Er drückte sofort ab.
Sergej bekam einen Treffer in den Brustbereich, taumelte zwei
Schritte zurück und wurde anschließend noch in Kopf und Hals
getroffen.
Mit einem dumpfen Geräusch schlug der Getroffene auf den
Holzboden. Blut sickerte aus den Wunden.
Überall im Café brach Panik aus. Entsetzensschreie gellten
durch den Raum.
Basilov erhob sich vom Platz, drehte sich herum und griff
unter seine Jacke.
Der Mann in Leder schwenkte den Lauf seiner Automatik in
Basilovs Richtung. Die Blicke der beiden Männer begegneten sich
kurz. Dann leckte erneut das Mündungsfeuer wie eine rote
Drachenzunge aus dem Lauf der Automatik hervor.
Basilov bekam einen Schuss in die Brust, der ihn gegen die
Wand taumeln ließ. Ein zweiter Treffer erwischte ihn nur Zentimeter
daneben – genau dort, wo sich das Herz befand.
Basilov rutschte an der Wand hinunter, versuchte sich
festzuhalten, und riss dabei eines der großformatigen Gemälde von
den Haken.
Er ächzte und rang nach Luft.
Der Mann in Leder drängte sich derweil bereits durch die von
Panik erfüllten Gäste des Café Rasputin in Richtung Ausgang.
Rechts und links stoben die Leute vor ihm zur Seite, so gut
sie konnten. Niemand wollte schließlich mit der Waffe in seiner
Rechten angeschossen werden.
Augenblicke später war er draußen in der Menge der Passanten
verschwunden.
Inzwischen stöhnte Basilov schmerzerfüllt auf.
Er versuchte sich zu bewegen, aber er hatte das Gefühl, von
mehreren Messern durchbohrt zu werden.
Er rang noch immer nach Luft. Das Atmen tat höllisch weh.
Vorsichtig betastete er die Stellen, an denen er getroffen worden
war. Die Projektile hatten seine Kleidung aufgerissen. Unter dem
edlen Tuch seines Marseiller Schneiders kamen die ersten Lagen
grauen Kevlars zum Vorschein.
Immerhin, dachte er, die Weste hat gehalten, was der
Hersteller verspricht, auch wenn die Treffer trotzdem sehr
schmerzhaft gewesen sind.
Aber die Kevlar-Weste hatte das Eindringen der Kugeln in den
Körper verhindert und Basilov damit das Leben gerettet. Ein paar
blaue Flecken würden ihm von der Attacke bleiben – wenn er Pech
hatte, vielleicht auch eine angeknackste Rippe. Basilov berührte
eine der Stellen ein zweites Mal. Er war sich noch nicht ganz
sicher, wie schwer die Verletzungen tatsächlich waren.
Vorsichtig stand er auf und stützte sich dabei auf einen der
Tische.
Im Café Rasputin herrschte jetzt vollkommenes Chaos. Alle
rannten durcheinander und versuchten, sich irgendwie in Sicherheit
zu bringen.
Da auch Basilov eine Waffe in der Hand hielt, wich ihm jeder
aus.
Nur weg, so lange die Miliz noch nicht hier ist!, ging es ihm
durch den Kopf.
Er hatte keine Lust, sich den langwierigen Fragen der Polizei
zu stellen und am Ende noch ein kleines Vermögen investieren zu
müssen, um die betreffenden Beamten zu schmieren.
Vielleicht hat Sergej recht gehabt und es ist wirklich Zeit,
dass ich aussteige!, überlegte Basilov, als er ins Freie
taumelte.
4
»Na, gewöhnst du dich langsam an den neuen Dienstwagen?«,
fragte mich mein Kollege François Leroc, als ich ihn an diesem
Morgen abholte. Wie üblich hatte François an der bekannten Ecke
gewartet. Es regnete Bindfäden, und er war ziemlich durchnässt.
»Ich versuche es«, erwiderte ich. François hatte einen wunden
Punkt angesprochen.
Der Porsche, den ich die letzten Jahre über gefahren hatte,
war mir gestohlen worden. Wir fanden ihn später in einer
Schrottpresse als handliches Päckchen wieder, und es stellte sich
im Laufe der Ermittlung heraus, dass die Diebe es auf den Inhalt
des installierten Dienstrechners abgesehen hatten. Die darauf
gespeicherten Daten waren für die Gangster ein Hilfsmittel gewesen,
um einen groß angelegten Cyberangriff auf die Polizei zu
starten.
Inzwischen fuhr ich einen handgefertigten Hybriden aus einer
Dodge Viper SRT-10, auf die man die Karosserie eines Porsche
aufgesetzt hatte.
Die technische Innenausstattung mit integriertem
TFT-Bildschirm und Computer entsprach dem Standard, den auch der
alte Porsche gehabt hatte.
Seit einiger Zeit war der Zwitter aus Porsche und Dodge nun
fertig gestellt, und ich hatte Gelegenheit, die Fahreigenschaften
kennen zu lernen.
Bis jetzt war ich vollauf zufrieden, auch wenn ich dem alten
Porsche immer noch etwas nachtrauerte. Aber das hatte wohl eher
sentimentale Gründe, die wohl auch verantwortlich dafür waren, dass
ich vom neuen Porsche sprach – und nicht etwa vom neuen
Dodge.
Kollege François Leroc schnallte sich an.
»Na, dann zeig mal, was der Neue kann!«, meinte er.
»Witzbold.«
»Wieso?«
»So lange wir uns im Großraum Marseille aufhalten, dürfte das
wohl kaum praktikabel sein, wenn wir nicht eine unangenehme
Begegnung mit unseren Kollegen in Uniform riskieren wollen.
Schließlich gibt es ja auch für unsereins keine gesonderten
Verkehrsregeln.«
»Zumindest, solange nicht irgendein gerechtfertigter Notfall
vorliegt«, gestand ich zu.
Der Regen wurde so heftig, dass es selbst die unermüdlich hin
und her schwingenden Wischblätter kaum schafften, einen klaren
Durchblick zu gewährleisten.
»Wieso bist du ausgerechnet heute so spät dran, Pierre?«,
fragte François, als wir wenig später an einer Ampel halten
mussten. »Ich bin fast aufgeweicht bei der verdammten Nässe!«
»Ich war heute Morgen noch in der Werkstatt und hatte dort
einen Sondertermin außerhalb der Geschäftszeiten.«
François grinste.
»Ach, hat das gute Stück schon seine Mucken?«
Ich schüttelte den Kopf. »Keineswegs. Es waren nur noch ein
paar Feineinstellungen vorzunehmen. Routinekram eben.«
»Wer es glaubt, wird selig. Mal ehrlich, ich weiß nicht, ob
ich diesem zusammengeschraubten Zwitter trauen soll!«
5
Als wir das Präsidium erreichten, ließ der Regen zum Glück
endlich nach.
Noch bevor wir unser gemeinsames Dienstzimmer erreichten, lief
uns Kollege Maxime Valois über den Weg. Der Innendienstler aus der
Fahndungsabteilung grüßte knapp und wies uns darauf hin, dass unser
Chef in einer halben Stunde eine Besprechung in seinem Büro
angesetzt hatte.
»Du bist doch sicher informiert, worum es geht, Maxime«,
vermutete ich.
Maxime nickte. »Das wird eine groß angelegte Operation mit
internationaler Zusammenarbeit und so weiter …«
»Drogen?«
»Nein. Schon mal was von der Eremitage gehört?«
»Ist das nicht ein Museum in St. Petersburg?«
»Richtig.«
»Dann geht es um illegalen Kunsthandel?«
»Lass dich einfach überraschen, Pierre! Ich muss noch mal ein
Dossier für euch zusammenstellen.«
»Bis nachher.«
Der illegale Kunsthandel hatte finanziell gesehen längst
Dimensionen wie der Handel mit Drogen, Waffen oder Müll erreicht
und war zu einem wichtigen Zweig des organisierten Verbrechens
geworden, ohne dass die Öffentlichkeit davon besonders Notiz
genommen hatte.
Wir fanden uns zusammen mit einer Reihe weiterer Beamter
pünktlich im Besprechungszimmer von Monsieur Jean-Claude Marteau,
Commissaire général de police, ein und nahmen Platz.
Seine Sekretärin Melanie grüßte uns knapp.
Sie servierte Kaffee für alle. Außer uns waren unter anderem
die Kollegen Stéphane Caron und Boubou Ndonga anwesend. Die
Commissaire Josephe Kronbourg und Léo Morell trafen kurz nach uns
ein.
Maxime Valois schlich sich erst auf leisen Sohlen in den Raum,
als Monsieur Jean-Claude Marteau bereits zu sprechen begonnen
hatte.
»Über die Bedeutung des illegalen Kunsthandels für das
organisierte Verbrechen brauche ich wohl kaum noch ein Wort zu
verlieren«, erklärte unser Chef. »Da werden Milliarden umgesetzt,
und wir kommen an die Hintermänner noch schwerer heran als im
Drogenhandel. Jetzt erreichte uns eine Bitte des Innenministeriums
der Russischen Föderation um Zusammenarbeit, die für uns
möglicherweise die Chance bietet, einige dieser mafiösen Strukturen
endlich aufzudecken. Wir kommen auf diese Weise an Informationen
heran, die uns da weiterhelfen werden. Sie haben vielleicht von dem
Skandal um die Kunstgüter der Eremitage in St. Petersburg gehört.
Offenbar sind dort seit Jahren massenhaft Kunstgegenstände
verschwunden und auf dem schwarzen Markt verkauft worden. Vom
Wachpersonal bis zur Kuratorin steckten maßgebliche Teile des
Museumspersonals mit den Kriminellen unter einer Decke. Die Ware
tauchte später zu einem Teil auch hier in Marseille auf. Und das
geht nun schon seit Jahren so. Jetzt ist dieser Connection der Kopf
abgeschlagen worden. Aber an dieser Stelle übergebe ich das Wort
besser an Commissaire Marcel Duval.«
Monsieur Marteau deutete auf einen Mann in den Fünfzigern.
Außer einem schmalen, dunklen Haarkranz hatte er keine Haare mehr
am Kopf. »Kollege Duval wurde uns als Experte für den
internationalen Kunsthandel zugeteilt und wird uns mit seiner
Sachkenntnis unterstützen. Bitte Marcel, Sie haben das Wort.«
»Danke.« Marcel Duval erhob sich und aktivierte den Beamer des
Laptops, das vor ihm auf dem Tisch stand. Auf Knopfdruck wurde das
Bild einer Frau von Mitte fünfzig projiziert. »Sie sehen die
Kuratorin der Eremitage in St. Petersburg. Nachdem eine Revision
der Bestände angekündigt wurde, traf sie buchstäblich der Schlag.
Die Revision ergab dann auch den Grund. Es fehlten erhebliche Teile
des Bestandes, die offenbar über ein kriminelles Netzwerk auf den
Markt gebracht wurden. Eine Reihe von Personen wurde verhaftet,
darunter der Ehemann und der Sohn der Kuratorin. Der festgestellte
Schaden ist kaum abzuschätzen, denn ein Teil des
Eremitage-Bestandes ist noch nicht einmal richtig katalogisiert
gewesen. Man weiß bis heute nicht, wie viele Stücke wirklich
verschwunden sind. Tatsache ist, dass eine Art Panikwelle durch den
illegalen Kunstmarkt fegte, die einmal um den ganzen Globus
schwappte und wohl noch nicht ganz abgeebbt ist. Selbst hier in
Marseille waren ein paar Ausläufer davon zu spüren. So verzeichnen
wir seit einiger Zeit ein deutlich erhöhtes Angebot an
Kunsthandwerk, Ikonen und Schmuck, die genau zum Bestand der
Eremitage passen. Hin und wieder haben wir Glück und können die
Herkunft nachweisen. Häufiger ist das jedoch nicht der Fall, und es
bleibt nur die Vermutung, dass mit der Herkunft etwas nicht
stimmt.«
Marcel Duval betätigte noch einmal den Beamer. Das Gesicht
eines Mannes im dunklen Rollkragenpullover wurde sichtbar. »Wir
haben im Zusammenhang mit dem Auftauchen von inflationär vielen
Ikonen in Marseille, Düsseldorf, New York und London einige
wertvolle Hinweise des Innenministeriums der Russischen Föderation
erhalten, die es uns vielleicht möglich machen, auch bei uns ein
paar Leuten das Handwerk zu legen, die schon seit Jahren den
illegalen Kunsthandel als organisiertes Verbrechen betreiben und
dabei bereit sind, über Leichen zu gehen. Der Mann, den Sie hier
sehen, heißt Sergej Sergejewitsch Michailov. Er arbeitet für ein
Kunsthandels-Syndikat in St. Petersburg. Letzte Woche wurde er dort
im Café Rasputin von einem Killer erschossen, als er sich mit einem
Mann namens Wladimir Basilov traf.«
Duval sorgte dafür, dass der Beamer das nächste Bild zeigte.
Ein Mann im konservativen Dreiteiler war zu sehen. Er wirkte so
bieder wie ein Bankangestellter. »Basilov lebt seit zwanzig Jahren
in Marseille. Davor war er Angestellter der russischen Botschaft
und KGB-Agent. Wir nehmen an, dass seine Verbindungen zu dieser
Organisation auch noch fortbestanden, nachdem sich der KGB in FSB
umbenannt hatte und Basilov aus dem Botschaftsdienst ausschied.
Offiziell übrigens deswegen, weil er Mitglied der Kommunistischen
Partei war, die Boris Jelzin kurz nach dem Putsch gegen Gorbatschow
verbieten ließ. Aber seine angebliche Treue zum Kommunismus hat ihn
nicht daran gehindert, anschließend nach allen Regeln der Kunst zu
einem kapitalistischen Geschäftsmann zu werden. Er blieb in
Marseille, hatte offenbar gute Fürsprecher bei den Behörden, und
ist inzwischen Franzose.«
»Hat er vielleicht ein paar KGB-Geheimnisse verraten, damit
jemand die Hand über ihn hält?«, fragte Stéphane Caron.
Duval drehte sich zu ihm um und nickte. »Daran habe ich auch
gedacht. Und ich habe versucht, etwas darüber in den Archiven zu
finden. Zumindest, was FoPoCri betraf, waren sie mir zugänglich.
Bisher Fehlanzeige! Aber das muss nichts heißen. Möglicherweise
schlummert da noch etwas beim Geheimdienst. Oder Basilov hat es
sogar geschafft, dass dort alles verschwunden ist, was ihn
irgendwie hätte kompromittieren können. Denn eins ist klar: Ohne
seine alten KGB-Verbindungen hätte er nicht der wichtige
Verbindungsmann im illegalen Kunsthandel werden können, der er
zweifellos ist.« Duval atmete tief durch. »Leider konnte man ihm
nie etwas nachweisen, aber das könnte sich nun ändern.«
FoPoCri - das war die Force spéciale de la police criminelle.
Unsere Abteilung.
»Inwiefern?«, hakte Monsieur Marteau nach.
»Nun, ich erwähnte ja gerade die Ermordung von Sergej
Michailov. Einen Tag zuvor starb Boris Korzeniowskij in seiner
Datscha unweit von St. Petersburg. Korzeniowskij stand auch mit
Basilov in Kontakt und gehörte derselben Szene an. Er residierte
normalerweise am Genfer See und sorgte für die Geldwäsche der
Gewinne aus den illegalen Deals. Offenbar findet da gerade eine
Säuberungsaktion innerhalb der Kunstmafia statt, die durch die
Aufdeckung des Eremitage-Skandals verursacht wurde. Jeder, der
irgendwie in der Sache drinhängt, versucht jetzt erstens
Kunstobjekte, die er noch auf Lager hat, möglichst schnell
abzustoßen und zweitens diejenigen loszuwerden, die ihn als
Mitwisser kompromittieren würden.«
»Und Basilov soll dahinter stecken?«, fragte Monsieur
Jean-Claude Marteau.
»Das wissen wir nicht«, bekannte Duval. »Wir wissen nur, dass
es eine Verbindung zwischen Basilov und den bisherigen Opfern
gibt.«
»Dann könnte es durchaus sein, dass er selbst auch auf der
Todesliste steht«, folgerte ich.
»Durchaus«, stimmte Duval zu. »Falls jemand, der über ihm in
der Organisation steht, ihn als Gefahr ansieht.«
»Jedenfalls wird Monsieur Basilov uns einige Fragen zu
beantworten haben«, stellte Monsieur Marteau fest. »Bei unserem
Vorgehen geht es in erster Linie darum, Basilovs Hintermänner zu
ermitteln, die offenbar schon seit Jahren ihr Geschäft auch hier in
Marseille betreiben.«
Duval ergriff noch einmal das Wort und ergänzte: »Um das von
Monsieur Marteau skizzierte Ziel dieser Operation zu erreichen,
wurde uns die Unterstützung des russischen Innenministeriums
zugesagt. Sie schicken einen hochrangigen Ermittler, der sich auf
dieses Gebiet spezialisiert hat. Sein Name ist Valerij Markov, und
eigentlich sollte er bereits eingetroffen sein.«
»Es wundert mich, dass ich nichts davon gehört habe«, erklärte
Monsieur Marteau, während sich auf seiner Stirn eine Falte
bildete.
Duval hob die Augenbrauen. »Ich habe keine Ahnung, wo Markov
bleibt. Dass Sie noch nicht informiert wurden, liegt wohl einfach
daran, dass diese Art von internationaler Zusammenarbeit auf
höchster Ebene im Präsidialamt und im Außenministerium verhandelt
wird.«
»Möglich«, brummte unser Chef.
»Dass der Typ hier nicht aufgetaucht ist, liegt wahrscheinlich
mal wieder an der schlechten Organisation der Russen«, äußerte sich
unser Kollege Josephe Kronbourg.
Duval warf dem ehemaligen Beamten der Schutzpolizei einen
tadelnden Blick zu. »Haben Sie Vorurteile?«, fragte er kühl.
»War ja nur eine Vermutung«, meinte Josephe.
»Was auch immer Sie für Vorurteile gegen Russen haben mögen –
auf Markov treffen sie wohl kaum zu. Er ist ein hervorragender
Ermittler und durch kompromissloses Vorgehen gegen die alten
Seilschaften hervorgetreten.«
Duval deutete auf unseren Kollegen Maxime Valois. »Ihr Kollege
Valois war so freundlich, heute noch in aller Schnelle ein paar
Dossiers über die Leute zusammenzustellen, von denen seit Langem
bekannt ist, dass sie auf dem illegalen Kunstmarkt in Marseille
irgendeine Rolle spielen. Wir werden nicht umhin kommen, einen
Großteil dieser Leute abzuklappern und zu befragen, um ein klareres
Bild darüber zu bekommen, was gegenwärtig in der Szene so los ist.
Ich bin überzeugt davon, dass es uns mit dem entsprechenden Einsatz
auch gelingen wird, die verschlungenen Pfade der Ikonen
zurückzuverfolgen, die gegenwärtig den Markt überschwemmen.«
»Gut«, nickte Monsieur Marteau. »Ich schlage vor, dass Sie die
Befragung von Basilov vornehmen.«
Duval lächelte dünn. »Das hatte ich mir auch so
vorgestellt.«
»Pierre und François werden Sie dabei begleiten«, ergänzte
unser Chef. »Und die Dossiers gehen an alle Mitarbeiter, die ich
für diesen Fall abstelle.«
6
Wenig später saßen François und ich im Porsche. Der
Motorenklang kam mir immer noch ziemlich fremd vor. Aber was die
Leistung anging, konnte es die Dodge Viper mit jedem
Original-Porsche aufnehmen.
Marcel Duval benutzte seinen eigenen Wagen. Es handelte sich
um einen Renault, der ihm von der Fahrbereitschaft unseres
Präsidium für die Dauer seines Aufenthalts zur Verfügung gestellt
worden war.
Basilov wohnte in einem umgebauten Bürogebäude, das jetzt
vornehmlich Eigentumswohnungen enthielt. Wir stellten den Wagen auf
einem der wenigen Parkplätze ab, die es in der Umgebung gab, und
mussten die letzten fünf Minuten bis zur Haustür zu Fuß
laufen.
Dort trafen wir Duval, der ebenfalls zugesehen hatte, dass er
seinen Wagen irgendwo in der Gegend abstellen konnte.
»Ich habe bereits geklingelt«, erklärte Duval. »Leider macht
niemand auf. Weder in der Galerie, noch in der
Privatwohnung.«
»Versuchen wir es noch mal«, schlug François vor. »Um Basilov
in die Fahndung zu geben, ist es vielleicht noch ein bisschen früh,
oder?«
Duval drückte erneut auf die Klingel.
Wir warteten ab.
Im Untergeschoss war seine Galerie untergebracht. Darüber
bewohnte er eine Etage, die mindestens zweihundert Quadratmeter
hatte und damit für Marseiller Verhältnisse schon fast unverschämt
groß war.
Die Galerie machte erst am frühen Nachmittag auf.
Offenbar konnte sich ihr Besitzer nicht vorstellen, dass es
Kunstfreunde gab, die bereits am Vormittag Interesse daran hatten,
sich ein paar Stücke anzusehen.
»Die Galerie ist mehr oder minder zur Tarnung da!«, erklärte
Marcel Duval. »Da finden Sie ein paar Gemälde von ausgeflippten
modernen russischen Künstlern, die Basilov zu exorbitanten Preisen
einkauft.«
»Na, wenn er Sie hier in Marseille mit Gewinn verkaufen kann
…«, gab François zurück.
»Genau das ist der Punkt«, erklärte Duval. »Wahrscheinlich
kann er das nicht.«
»Geldwäsche?«, fragte ich.
»Ich würde sagen, ja – nur ist ihm das bisher vor Gericht
nicht bewiesen worden. Aber der Verdacht liegt natürlich
nahe.«
Eine ziemlich breit gebaute Frau in den Fünfzigern kam zu uns
an die Tür. Sie musterte uns.
»Wer sind Sie?«
Ich hielt ihr meinen Ausweis unter die Nase. »Pierre
Marquanteur, FoPoCri. Dies sind meine Kollegen François Leroc und
Marcel Duval. Wir suchen Monsieur Wladimir Basilov.«
»Da sind Sie hier leider verkehrt«, behauptete sie und drängte
sich zwischen uns hindurch zur Tür.
»Wieso, wohnt Monsieur Basilov seit Neuestem nicht mehr
hier?«, fragte Duval überrascht.
»Doch, das tut er schon. Aber Monsieur Basilov ist ein sehr
arbeitsamer Mann. Der steht um fünf Uhr auf und erledigt seine
Büroarbeit.« Sie sah auf ihre Uhr. »Jetzt treffen Sie ihn zwei
Straßen weiter im Café Capute an. Da frühstückt er für gewöhnlich.
Und zwar ziemlich ausgedehnt. Das ist auch gut so, dann stört er
mich nicht dabei, wenn ich alles in Ordnung bringe.«
»Die Galerie und die Wohnetage?«
»Ja. Da muss man schon im Akkord arbeiten, wenn alles sauber
sein soll. Aber Monsieur Basilov kann es nicht leiden, wenn er
dabei ist und durch den Staubsauger oder ähnliches aus seinen
Gedanken herausgerissen wird. So was geht ihm unheimlich auf die
Nerven!« Die korpulente Frau atmete tief durch. »Aber ich will
nicht meckern, schließlich bezahlt er mich hervorragend. Ich bin
jetzt schon seit zehn Jahren bei ihm. Damals kam unsere Jüngste ins
Collège und wir konnten das Geld gut …«
»Schon gut«, sagte François. »Wir werden es mal bei diesem
Café Capute versuchen.«
»Einfach fünf Minuten die Straße entlang, dann können Sie das
Schild gar nicht verfehlen!«
»Danke.«
Sie schloss die Tür auf. »Falls wir noch Fragen haben: Wie ist
denn Ihr Name?«, fragte ich.
Sie musterte mich erneut von oben bis unten. »Florentine
Masperone. Was wollen Sie eigentlich von Monsieur Basilov?«
»Nur ein paar Routinefragen«, sagte ich, schrieb mir
anschließend noch Florentine Masperones Adresse auf und hinterließ
ihr meine Karte. Madame Masperone studierte sie eingehend, bevor
sie das Stück Papier in ihrer Manteltasche verschwinden ließ, die
Tür vollends öffnete und in der Galerie verschwand.
»Also auf zu diesem Laden, der sich Café Capute nennt«,
forderte Duval uns auf.
Wir hatten schon ein paar Schritte hinter uns gebracht, als
wir aus der Galerie einen furchtbaren Schrei hörten.
Instinktiv ging unser Griff sofort zur Dienstwaffe.
7
Wir kehrten zur Haustür zurück.
Madame Masperone öffnete sie.
Kreidebleich trat sie uns entgegen.
»Kommen Sie!«, flüsterte sie. »Ich weiß gar nicht, wie ich das
Monsieur Basilov beibringen soll.«
»Wovon sprechen Sie, Madame Masperone?«, fragte ich.
»Es ist eingebrochen worden. Die Galerie ist ein einziges
Chaos. Seien Sie vorsichtig! Vielleicht sind die Täter noch da
drin!«
Mit der Waffe in der Hand drangen wir in die Galerie ein.
Madame Masperone folgte uns.
In der Galerie waren mehrere Vitrinen für Ausstellungsstücke
zerschlagen worden. Außerdem hatten die Täter Gemälde von den
Wänden gerissen und auf den Boden geschleudert. An anderen Stellen
gab es leere Haken. Moderne russische Kunst schien den oder die
Eindringlinge nicht besonders interessiert zu haben, denn sie
hatten sie achtlos liegengelassen.
François rief per Handy Verstärkung.
In sämtlichen Räumen der Galerie sah es ähnlich aus. Ein in
die Wand eingelassener Safe stand offen. Er war leer.
Neben einer zerschlagenen Glasvitrine fand sich eine deutliche
Blutspur auf dem Boden.
»Scheint, als wäre Monsieur Basilov der nächste auf der
Todesliste der Kunstmafia gewesen«, meinte Duval.
»Sie setzen voraus, dass das Blut von Basilov stammt«,
erwiderte ich.
»Ich finde, das liegt nahe.«
»Jedenfalls dürfte das vorhandene Spurenmaterial ausreichen,
um einen DNA-Test durchzuführen«, stellte François fest und steckte
seine Waffe ein. »Abgesehen davon werden die Kollegen der
Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst hier zweifellos jeden Millimeter
unter die Lupe nehmen. Mal sehen, was noch so an Spuren
hinterlassen wurde.«
»Wenn es sich um die Leute handelt, die ich in Verdacht habe,
wird man gar nichts weiter finden«, stellte Duval klar. »Zumindest
nichts, was wir nicht finden sollten. Das sind nämlich
Profis.«
»Warten wir es ab«, schlug ich vor.
Madame Masperone war uns gefolgt.
Die Blutlache sah sie jetzt offenbar auch zum ersten Mal. Sie
war ganz bleich geworden. »Mein Gott«, flüsterte sie. »Monsieur
Basilov wird doch wohl nichts passiert sein …«
»Haben Sie auch einen Schlüssel für die Wohnung?«, fragte
ich.
»Ja. Da muss ich schließlich auch saubermachen, und Monsieur
Basilov ist oft für längere Zeit auf Geschäftsreisen … Zum Lift
kommen Sie über die Tür dahinten!«
»Und das Treppenhaus?«
»Ist direkt daneben.«
»Gibt es hier eigentlich eine Alarmanlage?«
Madame Masperone nickte. »Ja, aber sie war
ausgeschaltet.«
»Hat Sie das nicht gewundert?«
»Ehrlich gesagt nein. Es kommt öfter vor, dass Monsieur
Basilov vergisst, sie wieder einzuschalten, wenn er hier ist. Ich
habe ihn schon des Öfteren deswegen angesprochen. Schließlich nützt
es nichts, eine Direktleitung zu einem privaten Sicherheitsdienst
zu haben, wenn die Anlage gar nicht aktiviert ist.
»Kennen Sie den Code?«, fragte ich.
Madame Masperone runzelte die Stirn. »Natürlich kenne ich den
Code, der eingegeben werden muss …«
Ich wandte mich an François. »Sehen wir uns in der Wohnung
um.«
»Okay«, nickte mein Kollege.
Madame Masperone gab mir den Schlüssel für die Wohnung.
Wir gingen durch die Tür, die sie uns gezeigt hatte, während
Duval bei ihr blieb.
Die Chance, dass sich der oder die Täter noch im Gebäude
aufhielten, schätzten wir zwar gering ein. Aber auszuschließen war
es nicht.
»Wer von uns nimmt den Lift und wer das Treppenhaus?« fragte
François.
»Das Treppenhaus ist immer für den, der fragt!«, erwiderte ich
grinsend.
»Ich würde sagen, du lässt mich den Lift nehmen.«
»Wieso?«
»Schließlich bist du mir noch was schuldig.«
»Habe ich da was verpasst, François?«
»Schon vergessen? Du hast mich heute Morgen im Regen stehen
lassen, nur, damit noch irgendwas an deinem Wagen herumgeschraubt
werden konnte!«
»Porsche!«
»Wie auch immer, Pierre.«
Ich seufzte. »Okay. Ich will mal nicht so sein.«
8
Ich pirschte mich über das Treppenhaus ein Stockwerk höher und
stand sogar schneller vor der Wohnungstür als François, was daran
lag, dass er die Liftkabine erst aus dem obersten Stock hatte holen
müssen.
Neben dem Ausgang durch die Galerie gab es auch noch einen
separaten Zugang für die Wohnungen in den oberen Stockwerken, die
deutlich kleiner ausfielen als der von Basilov bewohnte
Bereich.
Die Wohnungstür war nicht abgeschlossen. Ein Kameraauge war
auf den Flur gerichtet. Allerdings war es starr. Ich fragte mich,
ob die Überwachungsanlage abgeschaltet war.
Mit der Dienstwaffe in der Hand gingen wir hinein und sahen
uns um. Schon im Eingangsbereich waren die Spuren des Einbruchs zu
sehen. Die Schubladen waren ausgezogen und der Inhalt auf dem Boden
verstreut worden. In dem sehr großen Wohnzimmer fanden wir die
Polstermöbel aufgeschlitzt vor. Zum Teil großformatige Gemälde mit
moderner Kunst waren ebenso wie in der Galerie von den Wänden
gerissen und achtlos auf dem Boden liegen gelassen worden.
Auf einer der Leinwände war etwas zu sehen, was vielleicht
Fußabdrücke waren.
Hinter einem der Bilder war ein weiterer Safe verborgen
gewesen, dessen Stahltür weit offen stand. Er war genauso leer wie
der Safe in der Galerie.
Nachdem wir alle Räume durchsucht hatten, steckten wir die
Dienstwaffen ein. Hier war niemand mehr.
François fand ein Display samt Tastatur, von dem aus die
gesamte Überwachungsanlage für die Wohnung die Galerie zu regeln
war.
»Abgeschaltet«, stellte François fest.
»Wie praktisch für den Einbrecher.«
»Da es von Basilov keine Spur gibt, müssen wir das Schlimmste
befürchten, Pierre.«
»Jedenfalls waren an den Türen keinerlei Spuren für ein
gewaltsames Eindringen zu sehen«, gab ich zu bedenken. »Basilov
könnte den Täter selbst hereingelassen haben. Der hat ihn dann
umgebracht, die Wohnung durchsucht und anschließend die Leiche
entsorgt.«
»Warum hat er dann nicht dafür gesorgt, dass der Blutfleck
verschwindet?«, fragte ich.
»Gute Frage. Vielleicht wurde er gestört, und es war nicht
mehr möglich, noch einmal in die Wohnung zu gehen.«
»Und was könnte der Täter hier gesucht haben?«
»Jedenfalls nicht die moderne russische Kunst, die hier
überall hängt. Ich nehme an, es war der Inhalt der Safes.«
»Was könnte da drin gewesen sein?«
»Wenn unser Kollege Marcel Duval mit seiner Hypothese Recht
hat und Basilov auf einer Säuberungsliste der Kunstmafia steht,
würde ich sagen, dass nach belastendem Material gesucht
wurde.«
Ich ließ den Blick schweifen.
Die zertrümmerte Telefonanlage fiel mir auf. Offenbar sollte
es erschwert werden, herauszubekommen, mit wem Basilov zuletzt
telefonischen Kontakt hatte. Aber früher oder später würden wir die
Verbindungsdaten über die Telefongesellschaft schwarz auf weiß vor
uns haben.
Ich streifte mir Latexhandschuhe über.
Die Kollegen des Erkennungsdienstes sehen es im Allgemeinen
nicht gerne, wenn sich die Ermittler im Außendienst am Tatort allzu
gründlich umsehen. Zu viele Spuren konnten dadurch vernichtet
werden. Andererseits war der Zeitfaktor nicht zu unterschätzen,
denn der arbeitete grundsätzlich für den Täter. Je mehr Zeit
verging, desto schwieriger wurde es, die Tat aufklären zu
können.
Ich betrat einen Raum, der offenbar als Arbeitszimmer diente.
Bücher waren aus Regalen herausgerissen und auf dem Boden
verstreut worden. Etwa ein Drittel davon war in russischer Sprache,
der Rest auf Französisch und Englisch, einige wenige in Deutsch.
Neben ein paar Science-Fiction-Romanen fanden sich dort vor allem
Bücher zur Kunstgeschichte und Kataloge mit Werkverzeichnissen.
Außerdem Werke zum Steuer- und Bilanzrecht Frankreichs, der Cayman
Islands und der Schweiz.
Die Schubladen des Schreibtischs lagen umgedreht auf dem
Boden.
Auf der Holzplatte war ein Abdruck zu sehen, der dafür sprach,
dass hier noch vor Kurzem ein Computer gestanden hatte. Die Täter
hatten ihn offenbar einfach mitgenommen.
»Eine Leiche und ein Computer sind verschwunden«, stellte ich
fest. »Das muss doch jemandem aufgefallen sein, zumal man vor der
Haustür nicht parken kann.«
»Das heißt, die Täter haben beides – und wer weiß, was sonst
noch – mit dem Aufzug in die Parkgarage der Mieter gebracht.
Wahrscheinlich haben sie dort auch ihren Wagen abgestellt,
Pierre.«
»Was bedeutet, dass sie in irgendeiner Form registriert
gewesen sein müssen, um dort hinein und wieder hinauszukommen!«,
zog ich einen meiner Meinung nach logischen Schluss.
François war derselben Ansicht.
»Wir werden mit der Hausverwaltung und dem privaten
Sicherheitsdienst sprechen müssen, der für dieses Haus zuständig
ist, Pierre.« Mein Kollege schüttelte den Kopf und machte ein
nachdenkliches Gesicht. »Da wohnt jemand schon unter einer Adresse,
die sicherheitstechnisch mit allen nur erdenklichen Schikanen
ausgestattet ist, und dann geschieht so etwas!«
»Jedenfalls scheint der Sicherheitsdienst nichts bemerkt zu
haben«, nickte François.
Wir nahmen uns anschließend noch das Schlafzimmer vor.
Sowohl der Inhalt der Kleiderschränke als auch die Utensilien
im Bad zeigten, dass hier zumindest zeitweilig auch eine Frau
gelebt haben musste.
»Wir werden Madame Masperone danach fragen«, schlug François
vor. »Ich würde ja lachen, wenn Basilov gleich gesund und munter
zurückkehrt, nach dem er im Café Capute gefrühstückt hat!«
»Den Laden werden wir uns auch noch vornehmen müssen«,
kündigte ich an.
François nickte. »Das tun wir, sobald die Kollegen der
Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst hier das Terrain übernommen
haben.«
Ich hatte damit begonnen, systematisch die Taschen von
Basilovs Anzügen zu durchsuchen. Ich fand einen Zettel mit einer
Handynummer. »Mal sehen, vielleicht bringt uns das hier ja weiter,
François.«
Ich tippte die Nummer in meine Handytastatur und wartete ab.
Aber niemand nahm das Gespräch entgegen. »Der Teilnehmer ist
vorübergehend nicht erreichbar«, wurde mir mitgeteilt.
Wir kehrten zu Duval zurück.
Unser Kollege deutete auf ein Loch in der Wand.
»Hier hat eine Kugel dringesteckt«, meinte er. »Sie muss durch
den Körper Basilovs gegangen sein und ist dann hier
gelandet.«
»Der Täter scheint ein Profi gewesen zu sein«, sagte
François.
Ich hob die Augenbrauen. »Trotzdem ist es doch seltsam, dass
die Kugel in der Wand und die Leiche beseitigt wurden und der
Blutfleck nicht. Dafür gibt es einen Grund!«
»Warten wir ab, was die Kollegen dazu sagen!«, schlug François
vor.
Nach fünf Minuten trafen Kollegen der Schutzpolizei ein, um
den Tatort zu sichern. Nach zwanzig Minuten erreichten unsere
Erkennungsdienstler Sami Opporte und Jean-Luc Duprée den
Tatort.
Dieser Fall wurde auf Grund der internationalen Dimension mit
besonderer Priorität behandelt. Aus diesem Grund sollten die
Kollegen der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst von unseren eigenen
Erkennungsdienstlern unterstützt werden. Die Beamten des zentralen
Marseiller Erkennungsdienstes hatten im Übrigen ihre Labors am
Stadtrand und brauchten um diese Zeit entsprechend lange, um den
Tatort zu erreichen. Wir rechneten erst eine Dreiviertelstunde
später mit ihnen.
In der Zwischenzeit unterhielten wir uns noch einmal mit
Florentine Masperone.
»Wir haben Anzeichen dafür gefunden, dass Monsieur Basilov mit
einer Frau zusammengewohnt hat«, eröffnete ich ihr. »Was wissen Sie
darüber?«
»Eigentlich lebte Monsieur Basilov immer sehr zurückgezogen«,
erklärte sie. »Aber vor zwei Monaten zog eine junge Frau bei ihm
ein. Ich schätze, sie war halb so alt wie er. Mitte zwanzig,
schwarzes Haar, zierlich und immer elegant gekleidet.«
»Wissen Sie ihren Namen?«
»Er nannte sie Nora. Mehr weiß ich nicht.«
»Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?«
Florentine Masperone wirkte nachdenklich. »Ehrlich gesagt, das
letzte Mal, dass ich sie gesehen habe, war, kurz bevor Monsieur
Basilov zuletzt verreist ist.«
»Wann war das?«
»Vor anderthalb Wochen. Ich glaube, er sagte etwas von St.
Peter Ording. Liegt an der Nordsee in Deutschland, glaube ich. Da
würde ich gerne sein. Bestimmt schön kühl da. Monsieur Basilov ist
dort öfter hingeflogen.«
»Meinen Sie wirklich St. Peter Ording?«, fragte ich.
»Was weiß ich?«
»Könnte es sein, dass er nach St. Petersburg in Russland
geflogen ist?«, mischte sich François ein.
Florentine Masperone wirkte etwas ratlos. »Auf den Gedanken
bin ich gar nicht gekommen«, gestand sie.
»Hat Basilov irgendwann mal geäußert, dass er sich bedroht
fühlt?«, fragte ich.