Martin Buber. Der Weg des Menschen - Martin Buber - E-Book

Martin Buber. Der Weg des Menschen E-Book

Martin Buber

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Beschreibung

»Alles, was deine Hand zu tun findet, tue in deiner Kraft.« (Martin Buber)

Der Originaltext dieses Buches geht zurück auf einen Vortrag Martin Bubers, den er im Jahr 1947 gehalten hat. Er beschreibt hier, was für das Leben der Chassidim wichtig war. In ihrer Welt findet er Antworten auf die Grundfragen menschlicher Existenz und die Sinngebung des Lebens überhaupt. Doch seine Überlegungen sind nicht auf die chassidische Welt beschränkt, sondern weisen weit darüber hinaus.
Wer über seinen eigenen Lebensweg nachdenken möchte, findet in diesem Buch fruchtbare Anregungen. Zudem ist es ein idealer Einstieg für alle, die sich näher mit Martin Buber auseinandersetzen möchten.

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Seitenzahl: 92

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MARTIN BUBER

Der Weg desMenschen

nach der chassidischen Lehre

Mit Aquarellen von Andreas Felger

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Copyright © 2018 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

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Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Der Text von Martin Bubers Schrift »Der Weg des Menschen«

ist in alter Rechtschreibung belassen.

ISBN 978-3-641-22545-2V001

www.gtvh.de

»Der ›Weg des Menschen nach der

chassidischen Lehre‹ ist nicht nur ein

Kleinod der Literatur, sondern zugleich

ein außergewöhnliches Lehrstück

religiöser Anthropologie …«

Gershom Scholem,

jüdischer Religionshistoriker (1897-1982)

Inhalt

CHASSIDISMUS – Eine Einführung

MARTIN BUBER – Ein Kurzportrait

1.

Selbstbesinnung

2.

Der besondere Weg

3.

Entschlossenheit

4.

Bei sich beginnen

5.

Sich mit sich nicht befassen

6.

Hier wo man steht

Anmerkungen

Literatur

ANDREAS FELGER – Ein Kurzportrait

Bildlegenden

CHASSIDISMUS1 - Eine Einführung

Der Chassidismus ist eine spirituelle Erneuerungsbewegung innerhalb des Judentums, die im 18. Jahrhundert in der heutigen Westukraine entstand und sich schnell in Osteuropa verbreitete.

Jeder Jude sollte ein Chassid sein – eine Bezeichnung, die Menschen von außergewöhnlicher Frömmigkeit und ethischer Tugend vorbehalten war. Das Wort leitet sich von Chesed (Güte) ab und bezeichnet den äußerlichen Ausdruck für die Liebe zu Gott und zu den Menschen.

Den Chassidim geht es um eine strenge Einhaltung religiöser Rituale und einen hohen moralischen Anspruch, verbunden mit dem Streben nach einer besonderen Gottesnähe, die mystische Ausprägungen hat. Für alle Chassidim steht das persönliche und gemeinschaftliche religiöse Erleben an erster Stelle im Leben.

Der Begründer des Chassidismus, Israel ben Eliezer (1690 bis 1760), genannt Baal Schem Tow (»Meister des guten Namens«), war eine charismatische Persönlichkeit, und seine einfachen und jedermann zugänglichen Lehren sorgten für eine wahre spirituelle Erneuerung des Judentums. Er versammelte erstmals eine Gruppe von Anhängern um sich, die von volkstümlichen Traditionen, einer besonderen Massenbegeisterung und inniger Verehrung für ihn als ihren spirituellen Führer (Zaddik) geprägt war.

Im Gegensatz zur jüdischen mystischen Tradition (Kabbala) lehrte der Baal Schem Tow, dass eine dauerhafte Gemeinschaft mit Gott nicht auf die spirituelle Elite beschränkt ist, sondern allen Juden offensteht, unabhängig von deren Stand und Bildungsgrad. Da Gott allen Bereichen des irdischen Daseins innewohnt, kann man sich jederzeit und bei allem Tun an ihn halten, bei der Arbeit wie im Gebet, auf dem Marktplatz wie in der Synagoge.

Martin Buber ist bis heute einer der prominentesten Deuter des Chassidismus, wobei er selbst kein Chassid war. Für ihn war es bedeutungsvoll, dass »… diese Frommen denken, spielen, träumen und tanzen und an Gott glauben konnten, wie nicht leicht sonst jemand an Gott glauben mochte, und sie konnten zugleich die Welt lieben als den Ort, an dem Gott uns begegnen will, in allem Tun, in jedem Ding …« (Zitat Albrecht Goes)

Diese bewusste alltägliche Begegnung mit Gott war es, die Buber in seiner Sammlung von Erzählungen und Sprüchen der spirituellen Führer der Bewegung, der Zaddikim (Rechtschaffenen), oder, in ehrerbietender Anrede, Rabbiner, hervorzuheben versuchte.

Besonders erwähnenswert sind hier »Die Geschichten des Rabbi Nachman« (1906), »Die Legende des Baalschem« (1908) und »Die Erzählungen der Chassidim« (1949).

Paul Mendes-Flohr

Israel, im April 2018

MARTIN BUBER - Ein Kurzportrait

»Der archimedische Punkt,

von dem aus ich an meinem Orte

die Welt bewegen kann,

ist die Wandlung meiner selbst.«

© Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh

Kindheit

Martin (Mordechai) Buber wurde 1878 in Wien geboren.

Nach der frühen Trennung seiner Eltern wuchs er in Lemberg in der Ukraine bei seinen Großeltern auf. Sein Großvater, Salomon Buber, der für die intellektuelle Entwicklung Bubers den entscheidenden Grundstein legte, war ein wohlhabender und sehr gebildeter Mann. Seine Großmutter verwaltete das gemeinsame Anwesen und war eine Liebhaberin deutscher Literatur. Bereits in seiner Kindheit sprach Martin Buber jiddisch, deutsch, polnisch, hebräisch und französisch.

© Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh

Studium und Berufung

Martin Buber begann sein Studium 1896 in Wien und führte es später in Leipzig, Berlin und Zürich fort. Seine Leidenschaft galt der Philosophie, Kunstgeschichte, Germanistik und Philologie.

Buber promovierte 1904 und arbeitete von 1905 bis 1916 als Lektor in einem Frankfurter Verlag, wo er u. a. eine umfangreiche Sammlung sozialpsychologischer Monografien unter dem Titel »Die Gesellschaft« herausgab. Parallel schrieb er seine ersten Bücher »Die Geschichten des Rabbi Nachman«, »Die Legende des Baalschem« und »Ekstatische Konfessionen«.

1923 erschien sein populärstes Werk »Ich und Du«, und Buber nahm einen Lehrauftrag für jüdische Religionslehre und Ethik an der Universität in Frankfurt an. 1925 begann er zusammen mit dem jüdischen Philosophen Franz Rosenzweig eine Bibelübersetzung des Alten Testaments, die er viele Jahre nach dessen Tod im Jahr 1962 vollenden sollte.

Ehe und Familie

Martin Buber heiratete Paula Winkler aus München, die ihm an der Universität Zürich als Germanistik-Studentin begegnet war.

1900 und 1901 wurden Sohn Rafael und Tochter Eva geboren. Seine Ehefrau Paula starb in Venedig im Frühling 1958, als sie zusammen mit ihrem Mann auf der Rückreise nach Europa war.

© Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh

Lebenswerk und Emigration

Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 legte Martin Buber seine Professur nieder. In der Zeit des Nazi-Regimes arbeitete er intensiv am Aufbau einer jüdischen Erwachsenenbildung mit dem Ziel, den Juden Selbstbewusstsein und Kraft zu geben. 1935 wurde ihm schließlich jede öffentliche Betätigung untersagt. Er emigrierte 1938 über Palästina nach Jerusalem und erhielt an der Hebräischen Universität einen Lehrauftrag für Sozialphilosophie.

Zahlreiche Vortragsreisen führten ihn immer wieder nach Europa und in die USA.

Auszeichnungen

Martin Buber wurde für sein Lebenswerk vielfach geehrt und erhielt 1951 den Hansischen Goethe-Preis, 1953 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, 1958 die Ehrendoktorwürde an der Sorbonne in Paris, 1960 den Kulturpreis der Stadt München, 1961 den Österreichischen Staatspreis, 1962 die Ehrendoktorwürde der Medizinischen Fakultät der Universität Münster, 1963 den Erasmus-Preis in Amsterdam, 1964 das philosophische Ehrendoktorat der Universität Heidelberg und viele weitere Auszeichnungen.

Martin Buber starb am 13. Juni 1965 in Jerusalem.

Nachlass

Martin Buber war religiöser Sozialist, Kulturzionist und Mystiker, und er gilt als einer der bemerkenswertesten jüdischen Denker des 20. Jahrhunderts. Buber negierte die orthodoxen jüdischen Rituale und Gebräuche und ging nicht einmal zum Gottesdienst in die Synagoge. Er suchte die unmittelbare Beziehung zu Gott und übertrug diese besondere Art der Gottes-Beziehung auf alle zwischenmenschlichen Begegnungen. Dieses Phänomen, das »dialogische Prinzip«, stellte Buber erstmals 1923 in seinem populärsten Werk »Ich und Du« vor. Seine Arbeit war geprägt von einem »authentischen jüdischen Geist« (Zitat: Prof. Dr. Karl-Josef Kuschel), und sein Lebenswerk inspirierte vor allem Christen. Martin Buber war unermüdlich in der Förderung einer arabisch-jüdischen politischen Koexistenz und Gerechtigkeit sowie des jüdisch-chistlichen Dialogs. Auch die fernöstlichen Religionen, z.B. der Neohinduismus (Mahatma Gandhi), prägten seine Denkweise.

1. SELBSTBESINNUNG

Als Rabbi Schnëur Salman, der Raw2 von Reussen, weil seine Einsicht und sein Weg von einem Anführer der Mithnagdim3 bei der Regierung verleumdet worden waren, in Petersburg gefangen saß und dem Verhör entgegensah, kam der Oberste der Gendarmerie in seine Zelle. Das mächtige und stille Antlitz des Raw, der ihn zuerst, in sich versunken, nicht bemerkte, ließ den nachdenklichen Mann ahnen, welcher Art sein Gefangener war. Er kam mit ihm ins Gespräch und brachte bald manche Frage vor, die ihm beim Lesen der Schrift aufgetaucht war. Zuletzt fragte er: »Wie ist es zu verstehen, daß Gott der Allwissende zu Adam spricht: ›Wo bist du?‹« »Glaubt Ihr daran«, entgegnete der Raw, »daß die Schrift ewig ist und jede Zeit, jedes Geschlecht und jeder Mensch in ihr beschlossen sind?« »Ich glaube daran«, sagte er. »Nun wohl«, sprach der Zaddik,4 »in jeder Zeit ruft Gott jeden Menschen an: ›Wo bist du in deiner Welt? So viele Jahre und Tage von den dir zugemessenen sind vergangen, wie weit bist du derweilen in deiner Welt gekommen?‹ So etwa spricht Gott: ›Sechsundvierzig Jahre hast du gelebt, wo hältst du?‹«

Als der Oberste die Zahl seiner Lebensjahre nennen hörte, raffte er sich zusammen, legte dem Raw die Hand auf die Schulter und rief: »Bravo!« Aber sein Herz flatterte.

Was geschieht in dieser Geschichte?

Auf den ersten Blick erinnert sie uns an talmudische Erzählungen, in denen ein Römer oder sonst ein Heide einen der jüdischen Weisen über eine biblische Stelle befragt, um einen angeblichen Widerspruch in der Lehre Israels aufzudecken, und eine Antwort empfängt, die entweder darlegt, daß kein Widerspruch besteht, oder auf andere Weise die Kritik widerlegt, woran sich zuweilen eine persönliche Zurechtweisung knüpft. Bald aber merken wir einen bedeutsamen Unterschied zwischen den talmudischen Erzählungen und der chassidischen, einen Unterschied, der freilich zunächst größer erscheint, als er ist. Die Antwort wird nämlich auf einer anderen Ebene gegeben als die, auf der die Frage gefragt worden ist.

Der Oberste geht darauf aus, einen angeblichen Widerspruch in der jüdischen Glaubenswelt aufzudecken. Die Juden bekennen sich zu Gott als dem allwissenden Wesen, aber die Bibel legt ihm Fragen in den Mund, wie sie jemand fragt, der etwas nicht weiß und es erfahren will. Gott sucht Adam, der sich versteckt hat, er ruft in den Garten hinein und fragt, wo er sich befinde; also weiß er es nicht, man kann sich vor ihm verbergen, also ist er der Allwissende nicht.

Statt nun aber die Bibelstelle zu erklären und den scheinbaren Widerspruch aufzuheben, geht der Rabbi von ihr nur aus und benützt ihr Motiv, um dem Obersten eine Vorhaltung über sein eigenes bisheriges Leben, über den Unernst, die Gedankenlosigkeit und den Mangel an Verantwortungsgefühl in seiner eigenen Seele zu machen. Auf die sachliche Frage, die, mag sie hier auch ehrlich gemeint sein, doch im Grunde keine echte Frage, sondern nur eine Form der Kontroverse ist, wird eine persönliche Antwort erteilt, oder vielmehr, statt einer Antwort erfolgt eine persönliche Zurechtweisung. Von jenen talmudischen Entgegnungen ist scheinbar nur die zuweilen daran geknüpfte Zurechtweisung übriggeblieben.

Betrachten wir jedoch die Erzählung genauer. Der Oberste fragt nach einer Stelle aus dem biblischen Bericht von der Sünde Adams. Was der Rabbi antwortet, geht darauf hinaus, daß er zu ihm sagt: »Du selber bist Adam, zu dir selber spricht Gott: ›Wo bist du?‹« Scheinbar hat er ihm über die Bedeutung der biblischen Stelle als solcher keine Auskunft gegeben. In Wahrheit aber beleuchtet die Antwort zugleich die Situation des von Gott befragten Adam und die Situation jedes Menschen allzeit und allerorten. Der Oberste muß ja, sowie er die biblische Frage als an ihn selber gerichtet vernimmt und versteht, merken, was es bedeutet, wenn Gott fragt: »Wo bist du?«, sei die Frage nun an Adam oder an sonst einen Menschen gerichtet. Wenn Gott so fragt, will er vom Menschen nicht etwas erfahren, was er noch nicht weiß; er will im Menschen etwas bewirken, was eben nur durch eine solche Frage bewirkt wird, vorausgesetzt, daß sie den Menschen ins Herz trifft, daß der Mensch sich von ihr ins Herz treffen läßt.