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Der schwarze Baptistenführer Martin Luther King (1929–1968) war ein Aktivist der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Er engagierte sich für den gewaltfreien Widerstand gegen Diskriminierung und Rassenhetze in den Vereinigten Staaten. Seine Rede «I have a dream» in Washington am 28. August 1963 wurde zu einem Fanal, das weltweit Gehör fand. Am 4. April 1968 fiel Martin Luther King in Memphis/Tennessee einem Attentat zum Opfer. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.
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Seitenzahl: 205
Gerd Presler
Der schwarze Baptistenführer Martin Luther King (1929–1968) war ein Aktivist der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Er engagierte sich für den gewaltfreien Widerstand gegen Diskriminierung und Rassenhetze in den Vereinigten Staaten. Seine Rede «I have a dream» in Washington am 28. August 1963 wurde zu einem Fanal, das weltweit Gehör fand. Am 4. April 1968 fiel Martin Luther King in Memphis/Tennessee einem Attentat zum Opfer.
Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.
Prof. Dr. Dr. Gerd Presler, geb. 1937 in Hannover, studierte 1958–1966 Germanistik, Philosophie, Evangelische Theologie, Pädagogik und Kunstgeschichte an den Universitäten Münster/W., FU Berlin, Kopenhagen. 1970 Dr. theol. mit einer Dissertation über Søren Kierkegaard. 1996 Dr. phil. mit einer Dissertation über die Skizzenbücher von Ernst Ludwig Kirchner. Lehrte 1972–2003 als Professor für Evangelische Theologie in Karlsruhe. Seit 1978 erschienen Texte in «ART – Das Kunstmagazin», «Weltkunst», FAZ, FAZ-Magazin zu Themen der neueren Kunstgeschichte, vor allem «Die Brücke», «Neue Sachlichkeit», «CoBrA».
Veröffentlichungen: «Martin Luther King», 1984 – (Hg.) «Franz Radziwill. Werkverzeichnis der Druckgraphik», Karlsruhe/Dangast 1993, 2. Auflage 2010. – «Asger Jorn. Werkverzeichnis der Druckgraphik», 2. aktualisierte und erweiterte Auflage, erarbeitet von Gerd Presler. Kopenhagen 2009. – «Die Brücke», 2007 (rowohlts monographien 50642). – Herausgeber der Werkverzeichnisse der Skizzenbücher von Ernst Ludwig Kirchner, Edvard Munch, Max Beckmann, Willi Baumeister, Asger Jorn, Walter Stöhrer, Ludwig Meidner, Karl Hofer. Eine ausführliche Liste seiner Veröffentlichungen findet sich auf seiner Webseite presler-buch.de
Mehrfach versuchten Unbekannte, sein Haus in die Luft zu sprengen; oftmals entging er einem Mordanschlag; immer wieder wurde er verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Hundertzwanzig Mal mag das geschehen sein. Die Rede ist von Martin Luther King jr., der am 4. April 1968, nur 39 Jahre alt, von einem bezahlten Killer «erledigt» wurde: Ein Mann mit einem Traum, der doch kein Träumer war; ein Mann, mit dem sich Präsidenten, Gelehrte und Gouverneure nur zu gern zeigten und der doch nicht sicher sein konnte, an der nächsten Imbissbude oder im Geschäft an der Ecke bedient zu werden; ein Mann, der mehr als 300 Doktorhüte, Auszeichnungen und Diplome erhielt und der doch unzählige Male als «dreckiger Nigger» angespuckt, getreten und mit Steinen beworfen wurde. Wie war es möglich, dass ein Mensch solche Gefühle erregte, Gefühle von Verehrung und Liebe; Gefühle aber auch voll tiefen Hasses? Diese Frage lässt sich beantworten: Martin Luther King jr. setzte ein Recht außer Kraft, auf das jeder Mensch glaubt, einen Anspruch zu haben; das Recht, sich zu wehren, wenn er angegriffen wird, das Recht, mit gleicher Waffe zurückzuschlagen.
Die Geschichte des Menschen ist die Geschichte der Gewalt; und wiewohl er eine unendliche Sehnsucht nach Liebe, Geborgenheit und Glück in sich trägt, greift der Mensch doch immer zuerst nach ihr, um seine Probleme zu «lösen». Bisher ist es nicht gelungen, ihn vom Wege der Gewalt abzubringen und ihm das Zeichen des Kain von der Stirn zu wischen. Es gibt viele, die der menschlichen Natur das Vermögen dazu gänzlich absprechen. Friedrich Hacker, ein führender amerikanischer Mediziner, scheute sich nicht, den Menschen «die entfesselte Bestie ohne Hemmungen»[1] zu nennen. Der niederländische Verhaltensforscher Niko Tinbergen, immerhin Nobelpreisträger, bezeichnete den Menschen als «einen aus den Fugen geratenen Mörder»[2]. Man findet bei den meisten Säugetieren viel Gezänk, Streiterei und Drohgebaren, aber nur wenige blutige und tödliche Kämpfe. Der Mensch ist das einzige Säugetier, das ein Mörder und Sadist ist.[3] Den eigenen Artgenossen umbringen, das tut kein Affe. Das ist menschlich.
Gewalt ist ansteckend wie eine Epidemie. Schon immer war der Mensch von ihr fasziniert, und diese Faszination schlug öfter in Nachahmung um als in Schrecken und Abscheu. Jede Zeit, jede Gesellschaft schuf sich ihr Instrumentarium, um zu quälen, zu schänden, zu töten.
Niemand bestreitet, dass der Mensch dazu neigt, Konflikte gewaltsam auszutragen. Am Kind schon kann man das beobachten. Diese Analyse des menschlichen Verhaltens ist sicher richtig. Aber sie ist nicht vollständig. Homo homini lupus (der Mensch ist dem Menschen ein Wolf) – gerade deshalb muss er sich vor sich selbst schützen; und er weiß das. Gerade weil der Mensch gefährlich ist, kann die Konsequenz nur heißen, Sicherungen einzubauen – und er tut das. Der Mensch ist kein Naturwesen, das alles, was sein Überleben sichert, vollendet beherrscht. Vielmehr kommt er hilflos und instinktunsicher zur Welt und ist aufs Erlernen angewiesen. Erziehung erweist sich als ein zentraler und buchstäblich «notwendiger» Vorgang im menschlichen Leben. Mit der Gesetzgebung schuf der Mensch einen weiteren Schutzwall gegen die eigene gefährliche Natur, ein Geflecht lebenserhaltender Vereinbarungen. Erziehung und Gesetzgebung machen den Menschen nicht zu einem friedlichen Wesen. Er ist, wie gesagt, anders. Aber es ist lohnend, ihm die Mittel und Wege zu zeigen, die ihn zu einem friedensfähigen Wesen heranreifen lassen.
Martin Luther King jr. kannte die Natur des Menschen – Wir haben gelernt, wie die Vögel zu fliegen und wie die Fische zu schwimmen. Doch wir haben nicht gelernt, in Frieden miteinander zu leben[4] –, aber er resignierte nicht vor dieser angeblichen Unabänderlichkeit. Er war davon überzeugt: Der Mensch ist seiner Veranlagung nicht hilflos ausgeliefert. Es gab überwältigende Beispiele, die das bewiesen, und für King waren Jesus aus Nazareth und Mahatma Gandhi diejenigen, die einen «anderen» Weg beschritten hatten. Gewaltlos die Konflikte in kleinen Gemeinschaften wie Familie und Schule, und in den großen von Staaten, Ländern, Nationen und Erdteilen zu lösen, erforderte nicht nur ein Umdenken. Es erforderte ein «Umhandeln», das eingeübt werden musste, und zwar von Kindheit an. Gewaltlosigkeit ist dem Menschen von der Natur nicht mitgegeben. Aber er kann sie erlernen. Sie kann seine zweite Natur werden. King hat das konsequent praktiziert. Sein gewaltsamer Tod sollte für uns die Aufforderung sein, einen begonnenen Weg fortzusetzen.
Die Geschichte Martin Luther Kings jr. begann vor mehr als 360 Jahren; eine Geschichte voller Dunkelheiten und wert, nicht vergessen zu werden.
Viele leisten sich auch heute noch das Vorurteil, das schwarze Afrika könne auf keine kulturellen und zivilisatorischen Leistungen zurückblicken. Es sei ein Randgebiet der Weltgeschichte. Oft ist zu hören, Schwarze seien von Natur aus faul und dumm, zu eigenständiger Arbeit nicht befähigt, eine Rasse, dem Affen nahe, hässlich, primitiv, sexuell überdreht und gefährlich. Wenn jemals etwas aus den Schwarzen werden solle, dann nur unter Anleitung der weißen Rasse. Für Schwarze sei es letztlich besser, sich in allem den Lebensvorstellungen der Weißen anzupassen. Er habe nichts zu verlieren und könne nur so zu einem vollwertigen Menschen heranreifen. Dieses weitverbreitete Vorurteil ist unhaltbar. Wir wissen inzwischen, dass die Wiege der Menschheit möglicherweise in Afrika stand. Dr. B. Leakey fand in der Olduvai-Schlucht in Ostafrika Spuren eines frühen Vorläufers des Menschen, der erstmals Werkzeuge gebrauchte und damit eine Entwicklung einleitete, die in den komplizierten technischen Erfindungen von heute ihre Fortsetzung fand. Afrikaner entdeckten das Feuer. Als erste Menschen kultivierten sie Getreide. Die Grabbeigaben von Bardari in Äthiopien brachten das zutage. Felsmalereien eines Volkes, das um 3000 v. Chr. in der Sahara lebte, bewahren einen feinen, genauen Realismus. Sie stellen so etwas dar wie den Anfang einer Porträtkunst. Die Malerei des 20. Jahrhunderts in Frankreich und Deutschland erhielt entscheidende Impulse von der afrikanischen Plastik. Die «Fauves», die «Wilden» und nicht zuletzt Pablo Picasso sowie die deutschen Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel, Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner und Max Pechstein verdanken ihr eine neue Sehweise.
Die Tragödie der schwarzen Menschen Afrikas begann im 15. Jahrhundert. Die «Ware» Schwarzer entdeckten die Araber. Sie «belieferten» seit ca. 1450 europäische Höfe. Nach der Entdeckung Amerikas übernahmen spanische Kaufleute den «Überseehandel» und sandten Schiff um Schiff mit schwarzer Sklaven in ihre südamerikanischen Kolonien. In den Bergwerken und Zuckerrohrplantagen herrschte ein hoher Bedarf an billigen Arbeitskräften. 1592 verpflichtete sich der Sklavenhändler Gomez Reynal, in neun Jahren 38250 Schwarze «bereitzustellen». Der Tod jedes fünften wurde dabei in Kauf genommen und war Teil der «Kalkulation». Das spanische Königshaus verdiente an der Konzession für Gomez Reynal eine Million Dukaten. Bis 1600 stieg der Strom der Verschleppten auf 900000 an. Bis 1700 brachten Händler ca. 2,7 Millionen Schwarze außer Landes; bis 1800 waren nahezu 7 Millionen schwarze Menschen deportiert. Die tragische Geschichte der nordamerikanischen Schwarzen, in der King ein besonderes Kapitel aufschlagen sollte, begann mit der Ankunft eines holländischen Schiffes 1619 im Hafen von Jamestown, Virginia. Ein verheerender Sturm zwang die zwielichtige Mannschaft aus Piraten und Strolchen, dort Schutz zu suchen. Sie hatten zuvor einen spanischen Sklaventransporter gekapert und gute Beute gemacht. Nun boten sie die Menschenfracht an: Zwanzig afrikanische Schwarze. Antonio, einer von ihnen, blieb mit Isabella zusammen. Der Farmer William Tucker kaufte sie beide. Als 1624 ein Sohn zur Welt kam, dem sie den Namen ihres Besitzers gaben, war dieses Kind der erste in Nordamerika geborene Schwarze. Millionen sollten ihm folgen.
Was vorher die katholischen Christen um des Reichtums willen in Mittel- und Südamerika praktizierten, übernahmen nun die überwiegend protestantischen Christen Nordamerikas. Nach ihrer Überzeugung zeigte sich die Gnade Gottes im wirtschaftlichen Erfolg auf Erden. Mit diesem Glaubensbekenntnis überwand man alle Skrupel und empfand die Sklaverei als gottgewollte Einrichtung. 1669 präzisierte der «Sklavenkodex von Virginia»: «Wenn ein Sklave nicht auf seinen Herrn hört oder Befehle anderer, die Aufsicht über ihn führen, nicht befolgt, und die Zwangsgewalt dieser Person seinen Tod herbeiführt, so soll dieser Tod nicht als Verbrechen bestraft werden.» Der Sklave nahm im weißen Wirtschaftsgefüge einen festen Platz ein. Er arbeitete zumeist in der Landwirtschaft auf den ausgedehnten Reis-, Tabak- und Zuckerrohrplantagen. Arbeitszeit: 15 Stunden. In den Augen der Herrschenden besaß er keine individuellen Züge. Er galt nicht als Mensch, sondern als Ding, als Werkzeug, dazu bestimmt, den Besitz der Besitzenden wie eine Maschine zu mehren.
Die Überfahrt von Afrika nach Amerika spielte im Leben der Verschleppten eine besondere Rolle: Hier ging ihnen in letzter Konsequenz auf, was sie für den Rest ihres Lebens zu erwarten hatten – falls sie den Transport überstanden. Gustavus Vasa, ein Schwarzer aus Benin in Westafrika, wurde mit elf Jahren auf einem Sklavenschiff nach Virginia gebracht. Davon berichtete er 1793, in einem in London erschienenen Buch: «… das erste, was ich sah, als wir die Küste erreichten, war das Meer und ein Sklavenschiff, das dort vor Anker lag und auf seine Ladung wartete … Nachdem ich an Bord geschafft worden war, wurde ich sofort von einem Mann der Besatzung abgetastet und auf meine Stärke und Gesundheit untersucht … bald wurde ich unter Deck gebracht und dort empfing mich ein Gestank, wie ich ihm sonst nicht mehr in meinem Leben begegnet bin. Davon wurde mir so übel … daß es mir unmöglich wurde, etwas zu essen … doch … boten mir zwei weiße Männer etwas zu essen an, und als ich mich weigerte, hielt mich der eine an den Händen fest, legte mich quer über eine Winde, fesselte meine Füße, während der andere auf mich einprügelte … Nie zuvor habe ich Menschen von solcher Brutalität gesehen. Sie waren nicht nur grausam im Umgang mit den Negern, sondern auch untereinander. Ich denke da besonders an eine Szene, die ich mitansah, als man mir gestattete, mich an Deck aufzuhalten. Ein Weißer wurde so unerbittlich mit einem großen Tau verprügelt, daß er an den Folgen der Mißhandlung starb, und die anderen warfen ihn zur Seite wie den Kadaver eines Tieres. Da fürchtete ich diese Leute noch mehr, denn ich konnte mir ausrechnen, daß sie mit mir nicht anders verfahren würden. Der Gestank in den Lagerräumen, in denen man uns hielt, war … unerträglich. Aber jetzt, da das Schiff voll beladen war, spottete der Gestank einfach jeder Beschreibung. Die Enge und die Hitze – der Raum war vollgestopft, daß man keine Bewegung machen konnte – ließen uns fast ersticken. Ich hoffte nichts sehnlicher als zu sterben, denn dann würden meine Qualen ein Ende nehmen.»[5]
Unter den Kapitänen gab es «loose packers» und «tight packers». Die «Losepacker» gaben ihrer «Ware» etwas mehr Platz, damit ihr Gesundheitszustand erhalten und die Sterberate niedrig blieb. Die «Engpacker» handelten nach dem Geschäftsprinzip, die durch Tod und Krankheit entstandenen Verluste von vornherein durch eine möglichst hohe «Stückzahl» aufzufangen. Pfarrer John Newton berichtete, was er selbst als Augenzeuge beobachtete: «Die Sklaven liegen in zwei Schichten übereinander … so dicht beieinander wie Bücher in einem Regal. Ich habe es erlebt, daß sie so eng zusammengepfercht waren, daß man wirklich keinen mehr hätte hineinpressen können. Die armen Kreaturen sind zudem noch mit Ketten gefesselt … Jeden Morgen fand ich in mehr als nur einem Fall, daß da ein Toter an einen Lebendigen gefesselt lag.»[6]
Zwar schrieb im 18. Jahrhundert der puritanische Geistliche Cotton Mather, die weißen Bürger von Boston sollten ihre Sklaven «gemäß den Regeln der Menschlichkeit» als «Wesen mit einer unsterblichen Seele» und nicht als «bloße Tiere»[7] behandeln. Die praktischen Folgen solcher Ermahnungen bewirkten jedoch wenig. Auch der Protest der Quäkergemeinde von Germantown, Pennsylvania, 1668, blieb ein Einzelfall: «Wir protestieren dagegen, daß man Menschen in dieses Land verschleppt, daß man sie raubt und verkauft, gegen ihren Willen.»[8]
Eine Wende hätte kommen können, als sich die britischen Kolonien in Nordamerika von der Krone lossagten. Bei den Ereignissen in der «Kingstreet» am 5. März 1770, die den Aufstand einläuteten, führte der Mulatte Crispus Attucks, in dessen Adern Blut von Schwarzen und Indianern floss floß, die Menge an. Er wurde von einem britischen Soldaten erschossen und ging als erstes Opfer des «Boston massacre» und Märtyrer der amerikanischen Revolution in die Geschichte ein. Obwohl viele Schwarze in den folgenden Jahren des Kampfes gegen die britische Oberherrschaft ihr Leben gaben, blieb die amerikanische Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 kaum mehr als eine Absichtserklärung: «Wir halten diese Wahrheiten für selbsteinsichtig, daß alle Menschen gleichgeschaffen und von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet worden sind, darunter das Recht auf Leben, Freiheit und das Verlangen nach Glück. Um diese Rechte zu sichern, sind Regierungen unter den Menschen eingesetzt, deren Macht aus der Zustimmung der Regierten herrührt.» Es kann als gesichert gelten, dass Thomas Jefferson, der diese Sätze niederschrieb, die Schwarzen aus ihrer verzweifelten und hoffnungsarmen Lage befreien wollte. In der Debatte, die am 3. Juli der Annahme der Unabhängigkeitserklärung voranging, fiel das Wort: «Es ist unehrenhaft, Sklaven zu halten», das King später aufnahm und ergänzte: Es ist nicht unehrenhaft, ein Sklave zu sein; aber es ist sehr unehrenhaft, ein Sklavenhalter zu sein.[9] Das beeindruckte die Vertreter des Südens, vor allem aus South Carolina und Georgia jedoch nicht. Die Klausel, die die Versklavung von Einwohnern Afrikas verurteilte, wurde auf ihr Betreiben aus dem Text herausgenommen. Als die 40 Delegierten ihre Unterschriften unter das Papier setzten, notierte Jefferson: «Ich fürchte um mein Land, wenn ich mir ins Gedächtnis rufe, daß Gott gerecht ist und daß sein Urteilsspruch einmal kommen muß.» Und dann fügte er hinzu: «Wir müssen geduldig warten auf den Eingriff einer über alles hinweg die Dinge regelnden Vorsehung und können nur hoffen, daß die Rettung unserer leidenden Brüder durch sie vorbereitet wird. Wenn das Maß der Tränen voll ist, wenn ihr Stöhnen selbst den Himmel in Dunkelheit hüllt, wird sich zweifellos der gerechte Gott ihrer erbarmen.»
Die Folgen des unguten Kompromisses traten zutage, als wenige Jahre später (1792) von Eli Whitney eine Baumwollentkörnungsmaschine erfunden wurde. Sie stellte die Wirtschaft des Südens auf eine neue Basis und führte zu einer riesigen Nachfrage an Arbeitskräften. Dadurch verschärfte sich das Sklaven- und Rassenproblem. Ein schwarzer Sklave kostete nun nicht mehr 200, sondern 2000 Dollar. Die Baumwollproduktion brachte einen ungeheueren Reichtum ins Land. Es entstanden die großen Plantagen, auf denen im feudalen Herrenhaus die Besitzer wie Patriarchen nicht selten über Leben und Tod von mehreren tausend Sklaven regierten. Alle Macht, alles Recht und die polizeiliche Gewalt lagen in ihren Händen. Jederzeit konnten die weißen Herren die Familien der Schwarzen auseinanderreißen; Eltern verloren dann ihre Kinder, Frauen ihre Männer. Es gab Widerstand. Gewaltsam begonnen, wurde er mit Gewalt erstickt. Das Ergebnis war immer dasselbe: Die Lage der Schwarzen verschlechterte sich. Um 1800 lehnte sich in Virginia der Sklave Gabriel auf und griff zu den Waffen; in Charleston brachte der freigelassene Sklave Denmark Vesey 1822 viele Aufständische hinter sich, ebenso 1831 Nat Turner. Sie konnten Anfangserfolge verbuchen, wurden dann aber von «Haussklaven» verraten und endeten furchtbar. «The white backlash», das weiße Zurückpeitschen, die Geißel der Vergeltung traf die Rebellen. Und doch begann mit diesen Namen die Befreiungsgeschichte der Schwarzen. Dass in aussichtsloser Lage jemand allein dem folgte, was sein Innerstes ihm auferlegte, dass jemand bereit war, ein Zeichen zu setzen, nicht mehr, aber auch nicht weniger, das machte diese Revolten für die kommenden Zeiten so wichtig. Zwar bezeichnete Gouverneur Hammond aus South Carolina noch 1835 die Sklaverei als «den Grundpfeiler unseres republikanischen Gebäudes»; zwar entschied 1857 der Oberste Gerichtshof, Schwarze seien nicht unter die in der Verfassung genannten «Bürger der USA» zu rechnen und besäßen «keine Rechte, die ein Weißer respektieren muß». Aber es gab auch andere Stimmen. Unter denen, die die Sklaverei abschaffen wollten, den «Abolitionisten», trat besonders der weiße Publizist William Lloyd Garrison hervor. 1831 schrieb er im Bostoner «Liberator»: «Ich werde hart sein wie die Wahrheit. Ich habe nicht vor, über die Sklaverei mit Mäßigung zu denken, zu sprechen und zu schreiben. Nein! Nein! Sag einem Mann, dessen Haus in Flammen steht, er solle gemäßigt Alarm schlagen, gemäßigt seine Frau retten, sag einer Mutter, sie solle, wenn ihr Kind in die Flammen gestürzt ist, mit Mäßigung vorgehen …» Garrison war vielleicht der Erste, der die Probleme der Schwarzen nicht durch die eingefärbte Brille der Weißen, sondern mit den Augen der Schwarzen selbst sah. «Euere Leiden sind meine Leiden.»[10] Er verbrannte nach einem Vortrag von Henry D. Thoreau am 4. Juli 1854 öffentlich die amerikanische Verfassung, weil sie den Schwarzen nicht als Menschen, sondern als Wirtschaftsfaktor und Besitzgegenstand behandelte. Thoreaus zugespitzte Formulierungen über «Sklaverei in Massachusetts» gipfelten in dem Satz: «Meine Worte sind Mord am Staat.» Sie erregten Garrison ungeheuer und nachhaltig.
1857 lernte Thoreau John Brown kennen, der mit einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter einen regelrechten Krieg gegen die Sklaverei führte. Brown überfiel 1859 ein staatliches Waffendepot, wurde gefangen und am 2. Dezember gehängt. Im Prozess rechtfertigte er seine Tat: «Hätte ich die Waffen ergriffen zu Gunsten der Reichen, Mächtigen, der Gebildeten … so hätte dieses Gericht meine Tat wohl einer Belohnung für wert befunden … Die Bibel … lehrte mich, die Menschen zu befreien … ich kämpfte für die Armen, und ich sage, es war recht so, denn sie sind so viel wert wie alle andern auch.»[11] Henry D. Thoreau ergriff in dem Aufsatz «Die letzten Tage des John Brown» unzweideutig und nachhaltig Partei für den Märtyrer der gerechten Sache. «John Browns Laufbahn während der letzten sechs Wochen seines Lebens war wie die eines Meteors – eine helle Lichtspur in der Dunkelheit, in der wir leben. Ich kenne in unserer Geschichte nichts, was so wunderbar war.»[12]
Wenige Jahre zuvor, nämlich 1852, war der Roman «Onkel Toms Hütte» von Harriet Beecher Stowe erschienen, ein Buch mit außergewöhnlicher Wirkung, welches das Elend der Sklaverei nachdrücklich vor Augen stellte. Von den einen als Befreiungslektüre gelesen, bot es den anderen Handhabe zu rüdesten Formen legaler Unterdrückung. In Maryland verurteilte ein Gericht den freien Schwarzen Samuel Green zu zehn Jahren Gefängnis, weil er beim Lesen des Buches ertappt worden war.
1860 übernahm Abraham Lincoln das Präsidentenamt. Seine besonnene Haltung in der Sklavenfrage ließ den Süden um die alten Privilegien fürchten. Die Sätze des Rechtsanwalts aus Bloomington in Illinois klangen ihm schrill in den Ohren: «Die Sklaverei stammt vom Egoismus in der Natur des Menschen, der Kampf gegen die Sklaverei stammt von seiner Liebe für die Gerechtigkeit.»[13]
1854 trat South Carolina aus der Union aus. Es folgten vor der Vereidigung Lincolns Florida, Georgia, Alabama, Mississippi, Louisiana und Texas. Am 12. April 1861 begann der Krieg zwischen den Nord- und den Südstaaten. Virginia, Arkansas, North Carolina und Tennessee traten der Konföderation der Südstaaten bei. Viele Schwarze kämpften in der Armee der Union der Nordstaaten. Der Lohn sollte nicht ausbleiben. Am 1. Januar 1863 verfügte ein Gesetz die Freiheit aller Schwarzen. Der Süden aber missachtete dieses 14. Amendment, das Sklaven zu Bürgern ernannte, und ebenso das 15. Amendment, das ihnen das Wahlrecht zusicherte. Karl Schurz bereiste im Auftrag der Washingtoner Regierung den Süden und stellte fest: «Einen Neger zu töten, betrachten sie nicht als Mord; eine Negerin zu vergewaltigen, sehen sie nicht als Unzucht an; einem Neger sein Eigentum fortzunehmen, ist in ihren Augen nicht Raub.»[14] Ein Pacht- und Abgabensystem («sharecropping») überzog das Land. Es band die Schwarzen weiterhin fest an die Wirtschaftsformen der weißen Oberschicht. Der «white backlash» schuf sich zudem am 24. Dezember 1865 mit der Geheimorganisation «Ku-Klux-Klan» ein wirksames Mittel der Unterdrückung. Zum Führer wählte man 1867 Nathan Bedford Forrest, der dadurch besonders geeignet erschien, dass er kurz zuvor in Fort Pillow «Nigger» umgebracht hatte. Das Ziel der Geheimorganisation bestand darin, durch Drohung und Mord, Vergewaltigung und Verleumdung, Verstümmelung und wirtschaftlichen Druck Angst und Schrecken unter die schwarze Bevölkerung zu säen, um sie still und gefügig zu halten. «Jim Crow», der dumme, tierische Nigger, der schwarze Untermensch, dazu geboren, der weißen Herrenrasse zu dienen oder zu sterben, war ihr Leitbild. Eine Bibelgesellschaft in St. Louis brachte ein Buch heraus mit dem Titel: «Der Neger, ein Tier». Die «Jim Crow»-Ideologie blieb bis heute fester Bestandteil des Denkens weiter Kreise in Amerika. Das bedeutete und bedeutet: Schwarze leben abseits des Rechts, abseits der gesellschaftlichen Anerkennung, abseits der menschlichen Achtung.
Wenige durchbrachen die «Jim Crow»-Ideologie. Zu ihnen zählte W.E. Burghard DuBois, Sohn eines schwarzen Dienstmädchens und eines hellhäutigen Mulatten aus Westindien. DuBois studierte in Europa, darunter zeitweilig Geschichte bei dem berühmten Gelehrten Heinrich von Treitschke in Berlin. Er schrieb als einer der ersten Schwarzen an der Harvard University eine Doktorarbeit. Thema: Die Abschaffung des Sklavenhandels. In Atlanta, Georgia, bekleidete er das Amt eines Universitätsprofessors. 1909, am 2. Dezember, dem 100. Geburtstag von Abraham Lincoln, gründete er mit Gleichdenkenden die «Nationale Vereinigung für den Fortschritt der Farbigen» NAACP. Mit diesem organisatorischen Instrument bekam der Kampf gegen die ungehemmte Unterdrückung der Schwarzen eine weitverzweigte Grundlage. Das Ziel hieß: Beseitigung der Rassenvorurteile, Rechtsgleichheit, Stimmrecht bei Wahlen, Bildungs- und Ausbildungschancen. Die NAACP half, wenn Schwarze vor Gericht gestellt wurden und gab das Geld für einen Anwalt. Die NAACP ermittelte durch einen eigenen Detektiv, als in Coatesville, Pennsylvania, ein Schwarzer von weißen Rassefanatikern bei lebendigem Leibe verbrannt wurde. Das war kein Einzelfall. 1912 lynchten Weiße 63 Schwarze, 1913 schlugen sie außerhalb des Gesetzes in 79 Fällen zu. Eine Strafverfolgung fand nicht statt! Marcus Garvey hielt die weißen Amerikaner für so unverbesserliche Rassisten, dass er 1914 den Vorschlag machte, alle Schwarzen sollten nach Afrika zurückkehren. Viele Jahre später nahmen die «Black Moslems» und die «Black Power»-Bewegung diese Anregung auf.
Ab 1915 verstärkte der Ku-Klux-Klan seinen Terror. Das «unsichtbare Empire», zu dem in führenden Positionen Ärzte und Rechtsanwälte zählten, breitete sich über den ganzen Süden aus und hatte zeitweilig mehrere Millionen Mitglieder. Joseph Simmons, geboren 1882, trieb sie zu immer neuen und furchtbaren Taten gegen Schwarze, Juden, Katholiken und Einwanderer. Bei Rassenunruhen zwischen dem 1. und 3. Juni 1917 fanden in East St. Louis, Illinois, 200 Schwarze den Tod. 1918 erschütterten Gewaltakte an Schwarzen die Städte Chester und Philadelphia. Im «Roten Sommer» 1919 kam es zu 26 Rassenunruhen. 1923 verließen infolge des Ku-Klux-Klan-Terrors 500000 Schwarze den Süden der USA. Dann brachten Weltwirtschaftskrise und der Zweite Weltkrieg eine längere Pause. In dieser Zeit gründeten am 5. Dezember 1935 schwarze Frauen einen «Nationalen Rat» in New York. Im August 1936 gewann der schwarze Leichtathlet Jesse Owens bei den Olympischen Sommerspielen in Berlin vier Goldmedaillen für die USA. 1941 gab die «National Urban League» (eine 1911 von Schwarzen gegen die Arbeitslosigkeit unter den aus dem Süden geflohenen ehemaligen Sklaven gegründete Vereinigung) in einer ein stündigen Radiosendung bekannt, die Schwarzen Amerikas werden sich an den Lasten und Leiden des Zweiten Weltkriegs beteiligen. Im gleichen Jahr wies Philip Randolph Präsident Roosevelt nachdrücklich darauf hin, dass 100000 Schwarze einen «Marsch auf Washington» unternehmen würden, wenn die Rassentrennung nicht endlich aufgehoben werde. Im Juni 1942 entstand unter Mitwirkung von Schwarzen und Weißen der «Kongress für rassische Gleichheit» (CORE). Am 28. Februar 1943 erlebte der Broadway die Uraufführung der ‹Negeroper› «Porgy and Bess» mit der Musik von George Gershwin, und am 21. Juni desselben Jahres starben 34 Schwarze bei Rassenunruhen in Detroit, Michigan. Grotesk wie diese Morde nahm sich auch der Protest aus, den 1000 weiße Studenten in Gary, Indiana, gegen die Rassenintegration in Schulen vorbrachten. Seit dem 9. April 1947 führte CORE Friedensfahrten im Süden durch. Der Schwarze Ralph Bunche erhielt am 22. September 1950 für seine Verdienste als Vermittler in Palästina den Friedensnobelpreis. 1951 reagierte die NAACP