Martyrium zwischen Fanatismus und Heiligkeit - Roger Husistein - E-Book

Martyrium zwischen Fanatismus und Heiligkeit E-Book

Roger Husistein

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Beschreibung

Magisterarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Theologie - Systematische Theologie, Note: 1.25, Université de Fribourg - Universität Freiburg (Schweiz) (Theologische Fakultät), Sprache: Deutsch, Abstract: Ausgangslage: Die Selbstmordattentate vom 11. September 2001 haben die westliche Welt geschockt. Sie stellen einen vorläufigen Höhepunkt dar in einer langen Reihe von Anschlägen. Während diese bei uns in erster Linie als Terrorattacken wahrgenommen wurden, werden die Attentäter von ihrem Umkreis als Märtyrer1 verehrt. Seither ist ein alter, schillernder Begriff aus dem Vokabular der Religionen wieder in aller Munde: das Martyrium. Aus eigener Erfahrung erlebe ich, dass viele meiner Zeitgenossen mit dem Martyrium in erster Linie Fanatismus verbinden. Natürlich hängt dies auch mit der Tatsache zusammen, dass das Martyrium vor allem im Zusammenhang mit den Selbstmordanschlägen durch islamistische Fanatiker thematisiert wird, bei denen nicht nur die Attentäter selber, sondern oft auch eine grosse Zahl von unbeteiligten Zivilisten ums Leben kommen. Doch die Skepsis gegenüber dem Martyrium greift wohl noch tiefer. In einer Zeit der postmodernen ‚schwachen Vernunft’ ohne überindividuelle Gewissheiten ist für viele westliche, säkularisierte Menschen die Haltung, dass jemand für eine Idee oder eine religiöse Überzeugung im Ernstfall sein Leben hingibt, zumindest suspekt. Und doch mussten wohl in keinem anderen Jahrhundert so viele Menschen überall auf der Welt wegen ihren Überzeugungen und ihrem Engagement ihr Leben lassen wie im vergangenen. Dazu gehören so grosse religiöse Persönlichkeiten wie Martin Luther King, Dietrich Bonhoeffer, Mahatma Gandhi, Edith Stein oder Oscar Romero, die auch heute noch nicht nur von ihren jeweiligen religiösen Gemeinschaften als Märtyrer verehrt werden. Daneben dürfen aber auch jene wegen ihres Glaubens Verfolgten nicht vergessen werden, die namenlos geblieben sind und weitgehend vergessen wurden. Gerade die christlichen Kirchen haben immer an der speziellen Bedeutung der Märtyrer als Glaubenszeugen festgehalten. Auch in anderen Religionen wie dem Judentum oder dem Islam nimmt das Martyrium (oder ähnliche Phänomene mit anderen Bezeichnungen) einen herausragenden Platz ein. Aber auch scheinbar areligiöse oder sogar antireligiöse Gruppen verehren ihre Märtyrer, man denke nur an die Kommunistin Rosa Luxemburg oder an Che Guevara.

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Inhaltsverzeichnis
Teil I: Der traditionelle christliche Martyriumsbegriff.
1. Das Martyrium in der Urkirche.
1.1 Biblischer Hintergrund.
1.2 Entstehung des Märtyrertitels.
1.3 Die römischen Christenverfolgungen als Kontext des urchristlichen Martyriums
1.4 Martyriumstheologie
1.5 Märtyrerverehrung
1.6 Die Frage der Lapsi
2. Das Martyrium in der Kirchengeschichte
a) The Martyrological Confrontation
b) The Martyr’s Motive.
c) The Martyrological Narrative
d) Kritik an Weiner
Teil II: Shusaku Endo und sein Roman Chinmoku - Schweigen
1. Shusaku Endo - Leben und Werk.
2. Die japanische Christenverfolgung im 17. Jahrhundert - Ursachen und
2.1 Geschichtlicher Überblick über die Christenverfolgungen.
2.2 Ursache für die Christenverfolgung
2.3 Martyriumsvorstellungen
3. Der Roman Chinmoku - Schweigen.
3.1 Entstehungskontext
3.2 Inhalt.
3.3 Analyse.
3.3.1 Schwachheit - Stärke
3.3.2 Endos Christologie
3.3.3 Das Martyrium im Kontext von Endos Roman Schweigen.
Teil III : Zeitgenössische Ansätze des Martyriumsverständnisses
1. Orte der Reflexion über das Martyrium im 20. Jahrhundert.
2. Erweiterungen des Martyriumsbegriffs
2.1 Politische Märtyrer - Märtyrer für das Reich Gottes
2.2 Der fehlende Hass auf den christlichen Glauben: Christen als Opfer von Christen
2.3 Vom individuellen zum kollektiven Martyrium: Das gekreuzigte Volk.
2.4 Der gewaltbereite Märtyrer
1. Das Martyrium in einer säkularisierten Gesellschaft
2. Christliches Martyrium in der Nachfolge Jesu
3. Gratwanderungen
3.1 Die Konflikte, die zum Martyrium führen
3.2 Martyrium und Jenseitsvertröstung.
3.3 Martyrium und Heldentum.
3.4 Die Idealisierung des Leidens

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Einleitung

Ausgangslage:Die Selbstmordattentate vom 11. September 2001 haben die westliche Welt geschockt. Sie stellen einen vorläufigen Höhepunkt dar in einer langen Reihe von Anschlägen. Während diese bei uns in erster Linie als Terrorattacken wahrgenommen wurden, werden die Attentäter von ihrem Umkreis als Märtyrer1verehrt. Seither ist ein alter, schillernder Begriff aus dem Vokabular der Religionen wieder in aller Munde: das Martyrium. Aus eigener Erfahrung erlebe ich, dass viele meiner Zeitgenossen mit dem Martyrium in erster Linie Fanatismus verbinden. Natürlich hängt dies auch mit der Tatsache zusammen, dass das Martyrium vor allem im Zusammenhang mit den Selbstmordanschlägen durch islamistische Fanatiker thematisiert wird, bei denen nicht nur die Attentäter selber, sondern oft auch eine grosse Zahl von unbeteiligten Zivilisten ums Leben kommen. Doch die Skepsis gegenüber dem Martyrium greift wohl noch tiefer. In einer Zeit der postmodernen ‚schwachen Vernunft’ ohne überindividuelle Gewissheiten ist für viele westliche, säkularisierte Menschen die Haltung, dass jemand für eine Idee oder eine religiöse Überzeugung im Ernstfall sein Leben hingibt, zumindest suspekt. Und doch mussten wohl in keinem anderen Jahrhundert so viele Menschen überall auf der Welt wegen ihren Überzeugungen und ihrem Engagement ihr Leben lassen wie im vergangenen. Dazu gehören so grosse religiöse Persönlichkeiten wie Martin Luther King, Dietrich Bonhoeffer, Mahatma Gandhi, Edith Stein oder Oscar Romero, die auch heute noch nicht nur von ihren jeweiligen religiösen Gemeinschaften als Märtyrer verehrt werden. Daneben dürfen aber auch jene wegen ihres Glaubens Verfolgten nicht vergessen werden, die namenlos geblieben sind und weitgehend vergessen wurden. Gerade die christlichen Kirchen haben immer an der speziellen Bedeutung der Märtyrer als Glaubenszeugen festgehalten. Auch in anderen Religionen wie dem Judentum oder dem Islam nimmt das Martyrium (oder ähnliche Phänomene mit anderen Bezeichnungen) einen herausragenden Platz ein. Aber auch scheinbar areligiöse oder sogar antireligiöse Gruppen verehren ihre Märtyrer, man denke nur an die Kommunistin Rosa Luxemburg oder an Che Guevara.

In meiner Arbeit möchte ich mich nicht ausschliesslich, aber doch hauptsächlich auf eine Auseinandersetzung mit dem christlichen Martyrium beschränken. Für die christlichen Kirchen gilt das Martyrium traditionell als die höchste Form der Nachfolge ihres Herrn Jesus

1Um der Lesbarkeit willen erlaube ich mir, ausser dort, wo es sich explizit um eine Frau handelt, in meiner Arbeit nur die männliche Form des Märtyrers zu verwenden. Ich bin mir bewusst, dass eine solche Sprachregelung der Sichtbarkeit der zahlreichen Märtyrerinnen, die seit je her mehr der Gefahr des Vergessens ausgesetzt waren als die Märtyrer, nicht unbedingt förderlich ist.

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Christus. Es betrifft existentielle Fragen des Christseins, ist sozusagen der Ernstfall des christlichen Glaubens. Einen herausragenden Stellenwert nimmt das Martyrium für den christlichen Glauben vor allem deshalb ein, weil es in direkte Beziehung gesetzt wird mit dem Kreuzestod und der Auferstehung Christi. Es ist nicht nur eine Folge des Zeugnisses, sondern selbst Zeugnis und vollendet dadurch die Nachahmung Christi und die Konformität mit ihm. Der Märtyrer wurde dadurch zum Urbild des Heiligen.

Durch die Beschäftigung mit dem Martyrium wurden bei mir viele Fragen aufgeworfen. Die einen betreffen vor allem die Christologie: Inwieweit ist das Martyrium ein Zeugnis für Christus. Welche Kreuzestheologie steht dahinter? Wird da dem Kreuzestod Jesu nicht eine Bedeutung gegeben, die auf eine Verherrlichung des Leidens hinausläuft, was sich auch im bisweilen erhobenen Vorwurf der ‚Martyriumssehnsucht’ widerspiegelt? Muss ein Christ wirklich die Bereitschaft haben, sich im Notfall selbstlos und heroisch für den Glauben an Christus zu opfern? Es stellt sich zudem die Frage, ob das Verhalten des Märtyrers vor dem Martyrium einfach ausgeblendet werden kann. Ist es nicht entscheidend, aus welchem Grund jemand umgebracht wird? Was für eine Bedeutung kann der Tod als Nachfolge Christi überhaupt haben, wenn dabei das vorhergehende Engagement unberücksichtigt bleibt? Oder anders gefragt: Hat der Kreuzestod Jesu allein, isoliert von seiner vorherigen Verkündigung des Reiches Gottes, überhaupt eine Bedeutung? Und: Wie ist das Verhältnis zwischen Jenseitsglauben und Martyrium? Ist ein Martyrium ohne den Glauben an ein Weiterleben nach dem Tod überhaupt denkbar?

Andere Fragen sind eher ethisch-pastoraler Art. Ganz allgemein wird jemand erst zu einem Märtyrer, wenn er als solcher von einer Gemeinschaft anerkannt wird. Das Martyrium ist auch das Produkt einer sozialen Interaktion. Ohne die Kirche oder zumindest einige Gläubige, die ihn als solchen verehren, gibt es keinen christlichen Märtyrer. Jedenfalls wird dieser erst durch die Anerkennung als Märtyrer durch andere Christen in dieser Welt sozial bedeutsam.2Dabei besteht auch die Gefahr des Missbrauchs der Märtyrer. Der Märtyrer kann für gewisse Ziele und Ideologien vereinnahmt werden. In der Erhebung zu den Altären werden nicht selten die realen Konflikte, die zum Tod des Märtyrers geführt haben, ausgeblendet. Täter und Opfer sind nicht immer klar zu trennen sind, dies gilt beispielsweise zum Teil für die Märtyrer der Mission. Durch ihr Verhalten haben einzelne Missionare dazu beigetragen, dass sie schliesslich umgebracht wurden. Zudem: was bedeutet die Tatsache, dass Christen auch von

2Natürlich gibt es auch den Fall, dass jemand nicht zum Märtyrer erhoben wird und in Vergessenheit gerät, obwohl er eigentlich ‚in Deo’ ein Märtyrer ist. Die Kirche hat nie den Anspruch erhoben, alle heiligmässigen Menschen heilig gesprochen zu haben.

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Christen verfolgt werden, z.B. in Lateinamerika, wo Christen umgebracht wurden, weil sie sich für die Rechte der Armen eingesetzt haben, aber auch in den Konfessionskriegen, in denen die Opfer wechselseitig zu Märtyrern wurden?

Fragestellung:Durch die Vertiefung ins Gebiet des Martyriums hat sich das Thema immer mehr ausgeweitet. Bei meinem Versuch, einen realistischen Ausgangspunkt für die Behandlung des Themas zu finden, bin ich auf den japanischen Literaten Shusaku Endo (1923-1996) gestossen. Endo gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller Japans im 20. Jahrhundert. Mit 10 Jahren seiner Mutter zuliebe getauft, war sein ganzes Leben geprägt von der Auseinandersetzung mit einem christlichen Glauben, der ihm als fremder Anzug erschien, von dem er sich aber doch nie lösen konnte. Ein grosser Teil seiner Werke ist von dieser Auseinandersetzung bestimmt. Neben der Frage der Inkulturation des westlich geprägten Christentums in Japan sind seine Romane auch geprägt von der Suche nach einer Christologie, die dem leidenden Jesus vor einem triumphierenden Christus den Vorzug gibt. Vor allem in seinem HauptwerkSchweigenbehandelt Endo im Kontext der Missionierung Japans im 16./17. Jahrhundert auch das Thema des Martyriums. Er interessiert sich dabei aber nicht so sehr für jene, die ‚glorreich’ das Martyrium bestehen, sondern für die ‚Verräter’, die Apostaten, die versagen und vom Glauben ‚abfallen’, sei es aus Schwäche oder aus Liebe für die Mitmenschen. Müssen Christen Helden sein? Wer ist Christus für jene Menschen, die keine Helden sind? Der Verräter Judas und der Jesus verleugnende Petrus spielen bei Endo deshalb eine wichtige Rolle. Durch die Fokussierung auf die ‚Gefallenen’ und den Umgang der Kirche mit ihnen möchte ich versuchen, einen etwas ungewöhnlichen Blick auf das Martyrium zu werfen und das Thema auf diese Weise anzugehen.

Aufbau:In einem ersten Teil soll zuerst der traditionelle christliche Martyriumsbegriff der ersten christlichen Jahrhunderte kurz vorgestellt werden. Das Martyriumsverständnis, das sich während den Christenverfolgungen in den Anfängen der Kirche entwickelt hat, ist bis heute massgebend geblieben, auch wenn es sich natürlich im Laufe der Zeit in den verschiedenen Kontexten veränderte. Zudem möchte ich in einem etwas längeren Exkurs die beiden Soziologen Eugene und Anita Weiner einen soziologischen Blick auf das Martyrium im Allgemeinen werfen lassen.

Der umfangreichere zweite Teil soll dann ganz dem RomanSchweigenvon Shusaku Endo gewidmet sein. Dieser gibt mir einerseits anhand der Märtyrer der japanischen Christenverfolgungen des 16./17. Jahrhunderts die Möglichkeit, ein historisches Beispiel

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etwas ausführlicher zu besprechen und auch kritisch zu beleuchten. Andererseits stellt der Roman eine aktuelle Auseinandersetzung eines gläubigen Christen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit dem Martyrium dar. Dabei möchte ich sowohl Leben, Werk und Kontext von Shusaku Endo vorstellen, wie auch anhand seines Romans dessen implizite Christologie und Martyriumsvorstellung aufzeigen.

Der dritte Teil der Arbeit soll dann über Shusaku Endo hinausgehen. In ihm werden andere zeitgenössische theologische Diskussionen zum Martyrium aufgegriffen werden. Das Schwergewicht wird dabei auf der Erweiterung des Martyriumsbegriffs durch die Befreiungstheologie liegen. Dazu gehört aber auch ein Exkurs über das Martyriumsvorstellungen im islamischen Kontext.

Abschliessend soll dann in einem vierten Teil versucht werden, aus den bisherigen Überlegungen heraus einige Ansatzpunkte und Kriterien für ein gegenwärtiges Martyriumsverständnis zu entwickeln. Als Leitlinie soll dabei die Frage dienen, wie heute noch sinnvoll von einem christlichen Martyrium gesprochen werden kann, angesichts dessen, dass dieses oft mit Fanatismus gleichgesetzt wird.

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Teil I: Der traditionelle christliche Martyriumsbegriff

Der italienische Kirchenrechtler Prospero Lambertini, der spätere Papst Benedikt XIV (1740-

1758), definiert in seinem Werk‚De Servorum Dei Beatificatione et Beatorum

Canonizatione’das Martyrium angesichts der Verfolgung als „freiwilliges Erleiden oder

Ertragen des Todes um des Glaubens an Christus oder einer anderen tugendhaften Handlung willen, die auf Gott zurückzuführen ist“3. Er nennt dabei neben anderen Kriterien drei Hauptmerkmale zur Bestimmung des christlichen Martyriums: 1. Die Tatsache des

gewaltsamen Todes (martyriummaterialiter).2. Den Glaubens- und Kirchenhass bei den

Verfolgern (martyriumformaliter ex parte tyranni).3. Das Zeugnis des Glaubens auf Seiten des Opfers trotz Lebensbedrohung (martyriumformaliter ex parte victimae).4Sowohl die Definition wie diese drei Hauptkriterien sind bis heute für die katholische Heiligsprechung

massgebend geblieben, auch wenn sich das konkrete Martyriumsverständnis durch die

verschiedenen Verfolgungssituationen und die gesellschaftlichen Entwicklungen und

Fragestellungen natürlich immer auch verändert hat. Gerade die Ereignisse und Erfahrungen

des 20. Jahrhunderts haben - wie wir noch sehen werden - zu einer grossen Erweiterung des

Begriffs geführt.

In diesem ersten Teil soll zuerst einmal ein geraffter Überblick gegeben werden über die

Entstehung des christlichen Martyriumsbegriffs in den ersten Jahrhunderten nach Christus.

Als neue, aber sich schnell ausbreitende Gemeinschaft stiess die junge christliche Kirche nicht

nur auf Gegenliebe, sondern sah sich von Anfang an Ablehnung und Verfolgung ausgesetzt.

Die Zeit der Urkirche gilt denn auch als Zeit der Märtyrer. Nicht umsonst räumen

Lexikonartikel zum Martyrium den Christenverfolgungen der ersten Jahrhunderte mit

Abstand am meisten Platz ein. Die Märtyrer der Urkirche gelten als leuchtende Vorbilder

dafür, was es heisst, Christus bis ins Äusserste nachzufolgen. Die Situation der

Christenverfolgungen, die zum Glaubenszeugnis zwangen, hatte einen nicht zu

unterschätzenden Einfluss auf das Selbstverständnis der Christen. Der Märtyrer wurde zum

Prototyp des Heiligen. Das Martyrium beeinflusste wichtige Teile des kirchlichen Lebens, so

z.B. die Liturgie (Martyrologien) oder die Busstheologie (Frage derLapsi,der Abgefallenen).

Wohl deshalb existieren über das Martyrium in den ersten christlichen Jahrhunderten

unzählige Studien. Trotz ihrer grossen Bedeutung können ihre Ergebnisse hier nicht

umfassend wiedergeben werden. Für meine Arbeit beschränke ich mich auf eine

Zusammenfassung der wichtigsten Ideen, die auch in der gegenwärtigen Diskussion des Märtyrerbegriffs von Bedeutung sind.5

3Vgl. III 11,1: „martyrium esse voluntariam mortis perpessionem seu tolerantiam propter fidem Christi, vel alium virtutis actum in Deum relatum.“ Zitiert nach Butterweck, “Martyriumssucht” in der Alten Kirche, 1.

4Vgl. Moll, Die katholischen deutschen Martyrer des 20. Jahrhunderts, XI und Maier: Politische Martyrer, in: Stimmen der Zeit 222 (2004), 297.

5Ausführliche kirchengeschichtliche Darstellungen bieten u.a. Baumeister, Die Anfänge der Theologie des Martyriums, 1980; Baus, Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Grosskirche, 1985; Brox (Hg.), Die Geschichte des Christentums, Band I und Band II, 1996; Brox, Zeuge und Märtyrer, 1961; Butterweck, “Martyriumssucht” in der Alten Kirche? 1995; Campenhausen, Die Idee des Martyriums in der Alten Kirche,21964.

Konsultierte Lexikonartikel: Albrecht, Art. Märtyrer, in: EKL III, 300f.; Albrecht, Art. Märtyrerakten, in: EKL III, 301f.; Barceló u.a., Art. Christenverfolgungen, in: RGG II, 246-254; Beinhauer-Köhler u.a., Art. Märtyrer,

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1. Das Martyrium in der Urkirche

1.1 Biblischer Hintergrund

Jesu Verkündigung des Reiches Gottes, sein Tod am Kreuz als letzte Konsequenz seines

Lebens und der Glaube an seine Auferstehung sind zentrale Elemente des christlichen

Glaubens. Jesus steht damit in einer langen Reihe von biblischen Propheten wie Elija, Jesaja

oder Jeremia, die für ihr Zeugnis für das Reich Gottes verfolgt wurden. Die Offenbarung

Gottes gerade in einem Menschen, der wegen seines Zeugnisses verfolgt und gekreuzigt

wurde und somit nach damaligen Kriterien gescheitert ist, ist das Paradoxon des christlichen

Glaubens, das Anstoss erregt und zum unterscheidenden Merkmal von anderen Religionen

wurde. Nicht umsonst wurde das Kreuz zum Symbol des Christentums. Zum Christsein

gehörte für die Jünger Jesu von Anfang an wesentlich die Möglichkeit, das gleiche Schicksal

erleiden zu müssen, wie ihr Herr am Kreuz. Das Neue Testament ist durchzogen von der

Erfahrung, dass das öffentliche Bekenntnis zu Christus Ablehnung und Verfolgung mit sich

bringen kann. In der Aussendungsrede in Mt 10 prophezeit Jesus seinen Jüngern, dass sie

seinetwegen leiden werden. Sie werden um seinetwillen vor Statthalter und Könige geführt

werden, um vor ihnen und den Heiden Zeugnis abzulegen (Mt 10,18), um seines Namens

willen werden sie von allen gehasst werden (Mt 10,22f/Joh 15,18-21). Wer ein Jünger Jesu

sein will, muss bereit sein, sein Kreuz auf sich zu nehmen und ihm nachzufolgen. Wer das

Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um seinetwillen verliert, wird es

gewinnen (Mt 16.24ff). Jenen, die in der Verfolgung standhaft bleiben und sich zu ihm

bekennen, verspricht Jesus grossen Lohn. Gerade sie spricht er selig:

„Selig,die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn so wurden schon vor euch die Propheten verfolgt.“ (Mt 5,10ff)

Bei all diesen kurzen Bibelworten zeigt sich, dass die Bindung an Jesu entscheidend für die Verfolgung ist. Die Jünger werden verfolgt, weil sie für ihn Zeugnis ablegen. In Joh 15,13

in: RGG V, 861-878; Brox, Art. Zeugnis, in: HThG, 905-911; Freudenberger u.a., Art. Christenverfolgungen, in: TRE VIII, 23-62; Frutaz/Beckmann, Art. Martyrer, in: LThK2VII, 127-133; Gerlitz u.a., Art. Martyrium, in: TRE XXII, 197-220; Hamman: Art. Martyrerakten, in: LThK2VII, 133f.; Jossua, Art. Zeugnis, in: NHThG V; Kantzenbach/Lilienfeld/Prien, Art. Christenverfolgungen, in: EKL I, 670-679; Klausner, Art. Martyrdom, in: The Encylopedia of Religion, 230-238; Luz u.a., Art. Nachfolge Jesu, in: TRE XXIII, 678-710; Neuhäusler/Rahner, Art. Martyrium, in: LThK2VII, 134-138; Sim/Köpf/Ulrich, Art. Nachfolge Christi, in: RGG VI, 3-11; Sode, Art. Martyrologien, in: RGG V, 878; Stieger, Art. Martyrologien, in: LThK2VII, 138-140; Vetter/Hagemann/Balic, Art. Martyrium, in: Lexikon religiöser Grundbegriffe, 671-673; Waldmann, Art. Märtyrer, in: WdC, 765f.; Wischmeyer, Art. Märtyrerakten, in: RGG V, 873-875; Wischmeyer, Art. Märtyrerverehrung, in: RGG V, 875f.

Konsultierte Internetartikel: Hassat, Art. Martyr, in: New Advent. Catholic Encyclopedia, http://www.newadvent.org; Bridge, Art. Acts of the Martyrs, in: New Advent. Catholic Encyclopedia, http://www.newadvent.org; Delehaye, Art. Martyrology, in: New Advent. Catholic Encyclopedia, http://www.newadvent.org.

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spricht Jesus davon, dass es keine grössere Liebe gibt, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Auch hier ist die Lebenshingabe an eine personale Beziehung geknüpft. Die Nachfolge bezieht sich zuerst einmal nicht auf eine Sache oder Ideologie, sondern auf eine Person, auch wenn dann natürlich mit dieser Person eine konkrete Praxis, nämlich das Eintreten für das Reich Gottes verbunden ist.

Ohne die Verfolgungssituation der ersten Christen als Hintergrund vor Augen zu haben, ist ein adäquates Verständnis der Evangelien nicht möglich. Dies gilt auch für die anderen neutestamentlichen Schriften. Besonders stark ist dies bei der Apokalypse des Johannes oder bei einzelnen Pastoralbriefen wie dem 1. Petrusbrief und dem Hebräerbrief zu spüren6- aber auch bei Paulus, der vom Saulus, der die Christen aktiv verfolgte, zum gläubigen und damit angefeindeten Christen wird.7Er reflektiert nach seiner Bekehrung in seinen Briefen nicht nur die Leiden und die Verfolgung der Gemeinden, die er zu trösten und ermuntern versucht, sondern auch seine eigenen Erfahrungen von Ablehnung.8In 2 Kor unterstreicht er dabei die Leidensgemeinschaft mit Christus:

„Vonallen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum; wir wissen weder aus noch ein und verzweifeln dennoch nicht; wir werden gehetzt und sind doch nicht verlassen; wir werden niedergestreckt und doch nicht vernichtet. Wohin wir auch kommen, immer tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird. Denn immer werden wir, obgleich wir leben, um Jesu willen dem Tod ausgeliefert, damit auch das Leben Jesu an unserem sterblichen Fleisch offenbar wird. So erweist an uns der Tod, an euch aber das Leben seine Macht.“ (2 Kor 4,8-12)

Viele Christen wurden wegen ihres Bekenntnisses nicht nur verfolgt, sondern erlitten auch den Tod. Ausser Johannes starben traditionell alle zwölf Apostel den Märtyrertod. Der Evangelist Lukas beschreibt in der Apostelgeschichte - wohl als Beispiel für viele andereausführlich das Glaubenszeugnis und die Steinigung des Diakons Stephanus in Jerusalem. Diese bildete den Auftakt einer anfänglich v.a. gegen den hellenistischen Gemeindeteil gerichteten Christenverfolgung. Lukas gestaltet den Prozess und die Hinrichtung des Stephanus nach dem Vorbild der Darstellung des Prozesses und der Kreuzigung Jesu. Er bringt damit zum Ausdruck, dass er als erster Märtyrer in der Nachfolge Jesu dessen Weg gegangen ist.9Auch hier zeigt sich einmal mehr das Spezifikum des christlichen Martyriums, das untrennbar mit der Person Jesu Christi und dessen Tod am Kreuz als Folge der Verkündigung des Reiches Gottes verbunden ist.

6Vgl. z.B. 1 Petr 4,12-19; Hebr 10,32-34; Apk 12,10f.

7Vgl. Apg. 8,3; 22,1-21.

8Vgl. z.B. Röm 8,35; 1 Kor 4,9-13; 2 Kor 1,3-11; 2 Thess 1,4; 2 Tim 3,10-12;

9Stephanus gilt deshalb als einer der Erzmärtyrer des Christentums, was auch seine grosse Verehrung und seinen besonderen Platz im Kirchenjahr am zweiten Weihnachtstag erklärt.

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1.2 Entstehung des Märtyrertitels

Der Begriff‚martys’bezeichnet ursprünglich den Zeugen und‚martyrion’das Zeugnis für etwas, das man aus persönlicher Erfahrung kennt. Im engeren Sinn wurde‚martys’in erster Linie für den Zeugen vor Gericht gebraucht. Im Neuen Testament wird der Begriff hingegen vor allem auf die Apostel angewandt, die für das Leben und Wirken Christi und sein Evangelium Zeugnis ablegen. Mit diesem ist aber noch nicht unbedingt der Tod verbunden. Die Einengung des Martyriums auf das Blutzeugnis für Christus geschieht in den Christenverfolgungen der ersten Jahrhunderte. Der Begriff ‚martyrein’ im Sinne des Blutzeugnisses findet sich wahrscheinlich zum ersten Mal im 1. Clemensbrief (erste Hälfte des 2. Jh.), der Begriff‚martys’als Blutzeugen erstmals im Bericht über das Martyrium des Polykarps (ca. 175 n. Chr.). In dieser Zeit wird der Märtyrer immer klarer unterschieden vomConfessor,dem Bekenner, der zwar ebenfalls in der Verfolgung für Christus Zeugnis ablegt und oftmals auch grosse Qualen aushalten muss, aber nicht den Märtyrertod erleidet. Die Entstehung des christlichen Märtyrertitels ist in der Forschung umstritten geblieben. Neben der genuin christlichen Auseinandersetzung mit dem Kreuzestod Jesu wurde er wahrscheinlich auch beeinflusst durch frühjüdische Vorstellungen (z.B. der Makkabäerbücher), die ein Martyrium als Folge der Treue zur Thora im Kontext der Hellenisierung kennen und dieses als Sühne für das ganze Volk Israel deuten. Möglicherweise wurde er aber auch mitgeprägt vom stoisch-platonischen Bild des Philosophen, der im Extremfall auch für das Bezeugen der Wahrheit den Tod in Kauf nimmt. Als viel zitiertes Beispiel gilt vor allem der Tod des Sokrates.10Diskutiert wird auch ein Einfluss durch den römisch-hellenistischen Heroenkult der damaligen Zeit.

1.3 Die römischen Christenverfolgungen als Kontext des urchristlichen Martyriums

Bis zur Anerkennung als offiziell erlaubte Religion im römischen Reich durch Kaiser Galerius im Toleranzedikt von Nikomedia 311 n. Chr., welches durch die beiden Kaiser Konstantin I. und Licinius im Mailänder Toleranzedikt 313 n. Chr. bestätigt und ausgeweitet wurde, hatte die junge christliche Kirche mehr als 250 Jahre lang immer wieder unter Verfolgungen zu leiden. Die Verfolgungen waren bis in die Mitte des 3. Jh. n. Chr. meist lokal beschränkt und gingen wellenartig vor sich. Die Zahl der Martyrien hielt sich relativ in

10Vgl. Butterweck, „Martyriumssucht“ in der Alten Kirche? v.a. 8-89.

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Grenzen. Die staatlichen Behörden schritten meist nicht von sich aus ein, sondern erst nach Anfeindungen durch die lokale Bevölkerung, die Christen beim Staat anzeigten. Erst als die Christen zahlenmässig ein ernstzunehmender Machtfaktor geworden waren, wurden unter Kaiser Decius und Valerian (um ca. 250 n. Chr.) systematischere Verfolgungsmassnahmen eingeleitet. In dieser Zeit geriet das römische Reich durch grosse soziale und wirtschaftliche Verwerfungen und Angriffe von aussen in Bedrängnis, worauf die Behörden mit einer Verstärkung und Erneuerung des traditionellen römischen Götter- und Kaiserkults als einheitsstiftendes Element im Reich reagierten. Die traditionelle römische Einstellung zur Religion war geprägt von Toleranz gegenüber den zahllosen lokalen Kulten in den eroberten Gebieten des Weltreichs. Auch privat konnte jeder sich jenem Gott und Kult zuwenden, den er bevorzugte. Gleichzeitig war aber jeder dazu verpflichtet, den Gott seiner Heimatstadt und vor allem die Götter Roms zu verehren, deren Gunst für das Wohl des Reiches unerlässlich war. Die Verehrung der römischen Götter und im Speziellen der römische Kaiserkult galten als wichtigstes Integrationselement für die Aufrechterhaltung der Ordnung im Weltreich. Die einzelnen Kulte benötigten eine staatliche Anerkennung. Um diese zu erhalten, durften sie die öffentliche Ordnung nicht stören. Die christliche Kirche war zwar gegenüber dem Kaiser durchaus loyal eingestellt11, ihr monotheistischer Glaube verbot ihnen jedoch jegliche Götzen-und Kaiserverehrung, was auch die verlangten Opfer vor dem kaiserlichen Standbild und den Götterstatuen einschloss. In dieser Weigerung sahen die römischen und lokalen Behörden eine Ablehnung der römischen Ordnung und ihrer Götter und eine subversive Gefahr für den Staat. Sie verweigerten der christlichen Kirche die nötige staatliche Anerkennung. Deshalb reichte es bereits aus, ein Christ zu sein, um bestraft werden zu können. Für die Verfolgung der Christen waren also religiöse und politische Gründe untrennbar miteinander verbunden. Der Verstoss gegen die römische Religion mit ihren Göttern und die Beleidigung der kaiserlichen Majestät bildeten eine Einheit. Das römische Verhalten gegenüber der christlichen Kirche unterschied sich damit wesentlich von jenem gegenüber der jüdischen Gemeinschaft, welche den römischen Götter- und Kaiserkult ebenfalls ablehnten, deren religiöser Partikularismus jedoch mehrheitlich geduldet wurde - und dies trotz den zahlreichen jüdischen Aufstandsversuchen gegen die römische Besatzung. Der Kirchenhistoriker Claude Lepelley sieht den Hauptgrund dafür in der Tatsache, dass das Judentum in den Augen der Römer als Religion eines besonderen Volkes galt. Als Volksreligion mit einem hohen Alter und einer „aussergewöhnlichen Originalität der

11Paulus verlangte von den Christen, dass sie die römischen Staatsorgane achteten (vgl. Röm 13,1-7). Auch christliche Apologeten argumentierten gegenüber den römischen Behörden immer wieder mit der Loyalität der Christen gegenüber dem Römischen Reich.

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Glaubens- und Lebensformen“12wurde das Judentum innerhalb der römischen Religionsordnung anerkannt. Nach Lepelley konnte die Kirche als junge religiöse Gruppierung einen solchen Status nicht erreichen. Sie war dem Vorwurf ausgesetzt, dass ihre Mitglieder - ob Juden oder Heiden - die traditionellen Götter ihrer Völker und Städte verraten hatten und damit die Ordnung destabilisierten. Im Gegensatz zu den Juden, die nur einen beschränkten und unaufdringlichen Proselytismus betrieben, pflegten die Christen unter den Heiden zudem eine intensive Missionstätigkeit, welche mit einer Unterbindung des Götter-und Kaiserkults einherging. Dadurch machten sie sich die Behörden zu Feinden.13Neben dem politisch-religiösen Vorgehen der römischen Behörden gegen die Christen darf nicht vergessen werden, dass sich oft auch der Volkszorn pogromartig gegen die Christen entlud. Ähnlich wie später die Juden im christlichen Europa wurden die Christen immer wieder zu Sündenböcken für verschiedenste Übel und Unglücksfälle. Ihnen wurden die schlimmsten Verbrechen angedichtet, darunter auch der Vorwurf des Kannibalismus. Lepelley sieht als Gründe für diesen Volkszorn u.a. die Isolierung, in der sich die Christen begaben, indem sie an vielen öffentlichen Zeremonien, wie Theateraufführungen, blutigen Schauspielen im Amphitheater oder Banketten und Bestattungsfeiern nicht teilnahmen, weil diese mit heidnischen Ritualen und Opferhandlungen durchmischt waren. Zudem führten sie ihre eigenen Rituale, v.a. das Abendmahl, unter Ausschluss der Nicht-Christen durch, was sie in den Augen der Zeitgenossen suspekt machte. Diese befürchteten den Zorn der Götter und die Bestrafung des ganzen Volkes und machten dafür die Christen verantwortlich.14

1.4 Martyriumstheologie

Das Martyrium galt in der Urkirche als höchste Form der Nachfolge Christi. Das Christsein beinhaltete in den ersten Jahrhunderten angesichts der Verfolgungen die Bereitschaft zum Märtyrertod. Nur wer für den Herrn Jesus Christus notfalls bis in den Tod Zeugnis ablegte, war ein wahrer Jünger Christi. Zu leiden und sterben wie Christus am Kreuz galt als höchste Form der Einswerdung mit ihm. Der Gekreuzigte leidet mit dem Märtyrer mit, ist im Martyrium gegenwärtig. So kann die heilige Felizitas, die im Gefängnis ein Kind erwartet und wegen ihrer Geburtswehen von den Wächtern verhöhnt wird, in den Martyriumsakten über ihre Passion sagen:

12Lepelley : Die Christen und das Römische Reich, in : Brox (Hg.), Die Geschichte des Christentums, Band I, 238.

13Vgl. dazu: Ebd., 237-240.

14Ebd. 248-251.

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„Jetzt leide ich, was ich leide; dort [beim Martyrium in der Arena] aber wird ein anderer in mir sein, der für mich leidet, weil auch ich für ihn leiden will.“15

Für die urchristliche Theologie gab es keine grössere Form der Nachahmung Christi als diese Vereinigung mit Christus im Märtyrertod. Die Märtyrer galten als Sieger über den Satan und als gerechteste und vollkommenste Menschen. In den Augen der Christen damals gab es keinen grösseren Beweis der Gottes- und Nächstenliebe als das Zeugnis für Christus bis ins Martyrium. Diese Verbindung des eigenen Martyriums mit dem Leiden Christi ist ein Charakteristikum der christlichen Martyriumsvorstellungen.16Während die Juden im Martyrium sich weigerten, die Gebote der Tora zu übertreten und die ‚Heiligung des göttlichen Namens’ (Qiddushha-shem)zu verleugnen, war das christliche Martyrium immer auch mit dem Zeugnis für Jesus Christus verbunden. Sein Tod am Kreuz als Folge seines Einsatzes für das Reich Gottes gilt für die Christen als höchster Ausdruck der Liebe und seine Auferstehung vom Tod als Erlösungshandeln Gottes an den Menschen. Es ist deshalb nahe liegend, dass die verfolgten Christen ihr eigenes Leiden mit jenem ihres Herrn in Verbindung setzten und ihr Festhalten am Glaubenszeugnis und ihr Ausharren im Leiden für den vollkommensten Ausdruck der Nachfolge Christi hielten. Dabei wurde das Martyrium nicht einfach nur als Folge des Zeugnisses für Christus verstanden, sondern wurde selbst zum Zeugnis. Es hatte sakramentalen Charakter, indem es Christus vergegenwärtigte. Im eigenen Martyrium bezeugte der Märtyrer das Leiden und den Tod Christi und seine Auferstehungdas neue Leben, das durch Christus den Menschen geschenkt ist.17Ohne diese Hoffnung auf die rettende Liebe Gottes ist das Martyrium nur schwer nachvollziehbar. Die Martyrien wurden in den Märtyrerakten ausführlich beschrieben. In ihnen wird oft in pathetischer Form die Standhaftigkeit der verfolgten Christen vor den Richtern und bei der Hinrichtung dargestellt. Die standhafte Weigerung, ein Opferritual auszuführen und so der Hinrichtung zu entgehen, war in den Augen der Behörden nichts anderes als ein Ausdruck der Halsstarrigkeit der Angeklagten, während dieses Zeugnis für die Christen der höchste Ausdruck ihres Glaubens darstellte. In einigen dieser Märtyrerakten, aber auch in apologetischen und pastoralen Schriften kommt dabei eine ausgesprochene Martyriumsfrömmigkeit, ja sogar Martyriumssehnsucht zum Ausdruck. Bischof Ignatius von Antiochien, der traditionell als Schüler des Apostels Johannes gilt und unter Kaiser Trajan 117 n. Chr. in Rom den Märtyrertod erlitten haben soll, schreibt beispielsweise in seinen

15Die Passion der Heiligen Perpetua und Felizitas, in: Hagemeyer/Hürtgen (Hg.), Ich bin Christ. Frühchristliche Martyrerakten, 104.

16Allenfalls findet sich eine islamische Parallele in der schiitischen Leidensmystik als Folge des Martyriums von Imam Hussein, dem Enkel Mohammeds, in der Schlacht bei Kerbala (im heutigen Irak) 680 n.Chr.

17Weckel, Um des Lebens willen, 60-62.