Max Verstappen. Unstoppable - Mark Hughes - E-Book

Max Verstappen. Unstoppable E-Book

Mark Hughes

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Beschreibung

Formel-1-Superstar Max Verstappen, Jahrgang 1997 und bereits dreifacher Weltmeister, ist ein Motorsport-Phänomen, wie es die Welt seit Michael Schumacher und Lewis Hamilton nicht erlebt hat. Er hat sich mit seinem jugendlichen Charisma, seinem Speed, seinem unbedingten Siegeswillen und seinem unbändigen Ehrgeiz längst einen Platz in den Geschichtsbüchern der Formel 1 gesichert. Motorsportjournalist und F1-Insider Mark Hughes beschreibt in seiner aktuellen Biografie den rasanten Aufstieg eines der aufregendsten jungen Sportler der Gegenwart und gewährt dabei neue, faszinierende Einblicke hinter die Kulissen der Formel 1.

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Seitenzahl: 465

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Für Heather

Inhalt

EINFÜHRUNG

MONACO

VATER UND SOHN

DIE GEBURT EINES CHAMPIONS

DIE HIERARCHIE SPRENGEN

MENSCH UND MASCHINE

VOM KART IN DIE FORMEL 3

VOM ROOKIE ZUM REKORDBRECHER

DIE SPANNUNG STEIGT

GUTE JUNGS, BÖSE JUNGS

JETZT FEHLTE NUR NOCH EIN KONKURRENZFÄHIGES AUTO

ES LEBE DER KÖNIG

UNSCHLAGBAR

FREUDEN UND LEIDEN EINES WELTMEISTERS

DANKSAGUNG

EINFÜHRUNG

Max Verstappen eroberte die Formel 1 mit Vollgas. Kaum war er da, hatte er sich auch schon durchgesetzt. Den Namen Verstappen kannten viele Rennsportfans noch aus den 1990er- und frühen 2000er-Jahren, als Max’ Vater, Jos, den manche nur „Boss“ nannten, mit seiner direkten Art und seinem aggressiven Fahrstil für Furore und so manche Kontroverse sorgte, wenngleich er nie Einfluss auf den Ausgang eines Rennens hatte und sich in der Formel 1 nie wirklich hatte durchsetzen können. Sein Stern verblasste, bevor er richtig aufgegangen war.

Nachdem sich Jos aus der Formel 1 zurückgezogen hatte, begann allerdings schon die zweite Verstappen-Ära. Wenn es einen Weg gäbe, den perfekten Rennfahrer unter Laborbedingungen zu erschaffen, wäre Max Verstappen womöglich die beste Vorlage für dieses Experiment. Denn Max ist nicht nur der Sohn von Jos, sondern auch von Sophie Kumpen, einer der weltbesten Kartfahrerinnen ihrer Generation. Sie fuhr gegen Jenson Button, Giancarlo Fisichella, Jarno Trulli und einen begabten, aber nicht ganz so herausragenden Rennfahrer namens Christian Horner. An einem guten Tag konnte Sophie die Besten von ihnen schlagen. Sie war beeindruckend, talentiert und klug.

Aber gibt es so etwas wie ein Speed-Gen? Wurde Max das Weltmeisterwerden in die Wiege gelegt? War es die doppelte Dosis Racing-DNA, die ihn zum Rennfahrer machte und ihn mit dem fast schon übernatürlichen Gespür für die physikalischen Haftungsgrenzen von Reifen auf Asphalt segnete, die ihn zum Champion machte? Oder ist sein Erfolg schlicht der Tatsache zu verdanken, dass er auf der Kartbahn aufwuchs – mit dem Geruch von verbranntem Gummi und Zweitaktbenzin in der Nase, aufgezogen und angetrieben von einem der härtesten, anspruchsvollsten und gelegentlich wohl furchteinflößendsten aller ehrgeizigen Väter, die es je auf einer Rennstrecke gab?

Wissenschaftler verbrachten zahllose Stunden damit, herauszufinden, ob es so etwas wie ein Siegergen überhaupt gibt, ob sportliches Talent in einem bestimmten Bereich eher angeboren ist oder vielmehr antrainiert werden muss, und welche Kombination aus Veranlagung und Training notwendig ist, damit ein Sportler sein volles Potenzial entfaltet.

David Epstein hat in seinem 2020 auf Deutsch erschienenem Buch Die Siegergene: Talent, Übung und die Wahrheit über außergewöhnlichen Erfolg den Stand der Forschung zusammengefasst. „Das Ergebnis der Kompetenzstudie … lässt sich in einem einzigen Satz zusammenfassen, der in meinen Gesprächen mit Psychologen, die auf diesem Gebiet forschten, gebetsmühlenartig wiederholt wurde: ‚Die Software ist entscheidend, nicht die Hardware.‘“ Mit anderen Worten: Das, was Profis von Amateuren unterscheidet, haben sie durch beharrliches Üben erworben.

Das Augenmerk der dem Epstein-Buch zugrundeliegenden Studien lag auf dem Gebiet der Leichtathletik; es gibt keine vergleichbaren Untersuchungen, die sich der Frage gewidmet haben, ob die Erkenntnisse auch auf den Motorsport übertragbar sind. Es gab allerdings Untersuchungen zur Erleichterung von Auswahlverfahren bei Kampfpilotanwärtern. Und hierbei lassen sich durchaus einige Parallelen zum Motorsport feststellen. Was bei diesen Studien herausgefunden wurde, scheint eher die „Hardware“-Theorie zu bestätigen, nämlich dass gewisse Fähigkeiten durchaus angeboren sind und es von Person zu Person signifikante Unterschiede hinsichtlich der natürlichen Begabung gibt.

Vermutlich muss beides zusammenkommen. Es gibt unterschiedliche individuelle Begabungen, und es gilt die „10.000-Stunden-Regel“. Diese ist bekannt geworden durch Malcolm Gladwells Bestseller Überflieger: Warum manche Menschen erfolgreich sind – und andere nicht, der wiederum auf einer Studie aus dem Jahr 1993 basiert, die der Psychologe Anders Ericsson von der Florida State University mit Weltklassegeigern an der Westberliner Musikhochschule durchgeführt hat.

Ericsson und sein Team kamen bei ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass grob gesagt 10.000 Übungsstunden vor dem zwanzigsten Lebensjahr den Unterschied ausmachen zwischen Elite und Nicht-Elite. Ein derartiges Arbeitspensum ist alles andere als angenehm und wird nur von den motiviertesten und entschlossensten Sportlern durchgehalten, aber es ist laut Ericsson unerlässlich, um sich die von einem Spitzensportler benötigten Fähigkeiten anzueignen, um etwa Bewegungsmuster zu verinnerlichen und den Gegner „lesen“ und auf diesen in einer vorbewussten Art und Weise reagieren zu können.

Hatte Max also eine angeborene „natürliche“ Begabung? Wenn ein Vierjähriger in ein Gokart steigt, Runde um Runde fährt und schon bald schneller ist als andere Kinder, die diesen Sport schon seit Jahren betreiben, deutet einiges darauf hin.

Hat er seine „10.000 Stunden“ geübt? Auf jeden Fall. Und noch einige mehr. Mit Jos als Vater hätte es auch gar nicht anders sein können. Obwohl sich Jos bis in die Formel 1 hochgearbeitet hatte, blieb er dem Kartsport, der ja den idealen Einstieg in den Rennsport bietet, immer verbunden. Er war einer der größten Experten in Sachen Kartsport und verdiente damit seinen Lebensunterhalt. Als der vierjährige Max ein eigenes Kart haben wollte (er war extrem sauer, als man ihm zunächst sagte, er solle damit noch ein oder zwei Jahre warten, sodass Sophie ihren Mann davon überzeugte, dass es für alle Beteiligten von Vorteil wäre, dem Jungen das Fahrzeug besser früher als später zu geben), erfüllte ihm Jos diesen Wunsch gerne.

Und als Max ein paar Jahre später, als sein Talent mehr als deutlich zu erkennen war, darum bat, mit dem Rennsport beginnen zu dürfen, wollte Jos es von Anfang an richtig angehen. Ihm war es von vornherein ernst mit der Ausbildung seines Sohnes, an spaßigem Zeitvertreib hatte er kein Interesse. Wahrscheinlich wäre auch für Max ohnehin nie etwas anderes infrage gekommen, als sich voll und ganz reinzuhängen. In diesem Umfeld waren sowohl der Wunsch, Rennen zu fahren, als auch die Herangehensweise an den Sport, die ihm von Anfang an eingetrichtert wurde, eine Selbstverständlichkeit.

Wie kann man Jos’ Ehrgeiz , sich in seinem Sohn zu verwirklichen und es nach den Fehlern, die er selbst in seiner Karriere gemacht hat, nun besser zu machen, und Max’ Recht, aus eigenen Fehlern lernen zu dürfen, in Einklang bringen? Als Jos in die Formel 1 kam, gab es einigen Wirbel um diesen wilden Kerl aus der holländischen Schrottplatz-Community, der im Kartsport und in den Nachwuchsklassen des Automobilsports für Furore gesorgt hatte.

Selbst für die begabtesten und ehrgeizigsten Fahrerinnen und Fahrer, sogar für diejenigen, die dank einer vermögenden Familie einen immensen Vorteil haben, ist der Motorsport oft ein verwirrender Kosmos, den man erst nach und nach verstehen lernt. Selbst wenn man sich den Zugang dazu erkaufen kann, das Wissen und die Intelligenz, die man braucht, um seine Chancen zu maximieren, erlangt man auf diese Weise nicht: Es gibt unzählige Fallstricke und mindestens so viele Hürden, an denen selbst die vielversprechendsten Karrieren scheitern können. Dieses Wissen eignet man sich schon von Kindesbeinen an an, wenn man Rennen fährt, und selbst diejenigen mit einer besonders schnellen Auffassungsgabe, brauchen Jahre für einen essenziellen Grundstock. Aber Max’ Weg wurde von jemandem geebnet, der das alles schon einmal durchgemacht hatte, von jemandem, der bereit war, sich zu hundert Prozent auf die Planung und das Management seiner Karriere zu konzentrieren und die Fehler zu vermeiden, die er selbst gemacht hatte. Es war ein Zehnjahresprojekt, das die Verstappens zwangsläufig zu einer unaufhaltsamen Kraft machen sollte.

Die für den Rennsport nötige Einstellung ist nicht jedermanns Sache. Es ist im Grunde Besessenheit, die nur am Rande minimal Platz für anderes lässt – für andere Interessen, für Beziehungen außerhalb des Rennsports, für Interesse an der Welt außerhalb der Rennblase. Es geht nur um Leistung: Reaktionen und Lösungen zu auftretenden Problemen müssen a) richtig sein und b) unmittelbar umgesetzt werden. Mit dem Wort „fokussiert“ ist das nicht einmal ansatzweise beschrieben. Leistung dominiert alles. Man ist ständig damit beschäftigt, Möglichkeiten zu finden, wie man selbst oder das eigene Auto noch schneller werden kann. Es gibt immer wieder neue Erkenntnisse und Erfahrungen zu sammeln, doch ohne Zwang und harte Arbeit wird man es nicht schaffen, das Beste aus sich herauszuholen. Wenn man eine Rennstrecke mit dem Gefühl verlässt, dass man mehr hätte leisten können, ist das unerträglich, völlig inakzeptabel. Für Hobby-Rennfahrer mag das das in Ordnung sein. Es ist vielleicht auch in Ordnung für Kinder, die einfach nur Spaß haben am Rennsport und die Anerkennung genießen. Aber es ist nicht in Ordnung für diejenigen, die es richtig ernst meinen. „Ich habe mit vielen großartigen Fahrern zusammengearbeitet“, sagt Kees van der Grint, der Bridgestone-Reifeningenieur, der mit Jos vom Kart bis zur Formel 1 zusammengearbeitet und den frühen Aufstieg von Max aus nächster Nähe miterlebt hat, „aber die Art und Weise, wie sie an die Dinge herangegangen sind, war nicht normal, nicht einmal gemessen an dem, was im Rennsport üblich ist. Sie war extrem. Die Entschlossenheit dieser Leute, der unbedingte Wille, keine Kompromisse eingehen zu wollen, war unglaublich. Ich glaube nicht, dass Max in diesem Alter viel Einfluss auf die Entscheidungen hatte. Im Grunde hat Jos alles entschieden. Und sie geben alles. Wirklich alles. Zum Beispiel gehen sie nach einem Test noch mal auf die Strecke zurück, um ein paar Runden bei Regen zu fahren, für den Fall, dass es am Renntag regnen sollte. Oder sie versuchen, in mühseliger Arbeit den Motor oder das Kart schneller zu machen, worin sie viele Stunden investieren. So etwas habe ich echt noch nicht gesehen.“

Auch als Jos F1-Fahrer war, blieb er dem Kartsport treu. Er leitete Teams, bereitete Motoren vor und verkaufte sie. So gewann beispielsweise Giedo van der Garde 2002 die Kart-Weltmeisterschaft mit einem Motor von Jos Verstappen. Auch zwischen den Grands Prix war er in den europäischen Kart-Paddocks oder in seiner Werkstatt anzutreffen und schraubte, wie sich van der Grint erinnert: „Selbst als Jos in der Formel 1 aktiv war und noch bevor Max Rennen fuhr, konnte es schwierig sein, ihn für einen Testtag zu bekommen, wenn dieser mit einem wichtigen Kart-Event kollidierte.“ Sein Fokus lag immer auf dem Kartsport. Aus Sicht des Rennsports hätte es also kein perfekteres Umfeld für den jungen Max geben können. Sein Vater war dort bereits aktiv und kannte sich bestens aus, sodass die Voraussetzungen von Max, als er mit dem Rennsport begann, von Anfang an optimal waren.

Auch wenn etwas von Jos’ Impulsivität und seiner kurzen Lunte bei Max in Momenten, in denen er extrem angespannt ist, gelegentlich durchschimmert, besitzt er einen grundsätzlich ausgeglicheneren Charakter, und es braucht mehr als seinen Vater, um ihn zu stressen. Diesbezüglich scheint er mehr nach seiner Mutter als nach seinem Vater zu kommen, weshalb Jos manchmal glaubte, dass Max manches nicht ernst genug nahm, was zu einigem Ärger zwischen Vater und Sohn führte. Doch trotz der unbekümmerten, offenen Art, dem ungezwungenen Lächeln und den lockeren Sprüchen ist er absolut straight: Seine Einstellung ist die eines Rennfahrers durch und durch. Klappt man das Visier herunter, wird er, wie ihn sein Red-Bull-Teamchef Christian Horner beschreibt, „ein Vollblut. Er ist willensstark, er kann sehr heißblütig werden, wenn die Emotionen hochkochen. Er hält sich nicht zurück. … Aber man weiß, dass man von ihm hundert Prozent bekommt, und seine mentale Belastbarkeit ist einzigartig, so etwas habe ich noch nicht gesehen. Seine Fähigkeit, sich in Drucksituationen zu behaupten, ist phänomenal. Und je mehr Druck man auf ihn ausübt, desto besser wird er. Einfach phänomenal.“

Trotz seines Alters ist Max gierig und engagiert. Er hat den Mut, den Jos ihm eingeimpft hat. Wobei die Art und Weise, wie er das getan hat, in keinem Elternratgeber zu finden sein wird und gelegentlich mehr als grenzwertig war. Nehmen wir den Vorfall in Neapel 2012, der mittlerweile zur Rennsportfolklore gehört. Damals war Jos so wütend über einen dummen Fehler, den Max beim Rennen gemacht hatte, dass er seinen 15-jährigen Sohn an einer Tankstelle stehen ließ und alleine weiterfuhr. Ein anderes Mal ließ Jos ihn aus Verärgerung über einen Fahrfehler beim Rennen die kilometerlange Strecke zurück zum Hotel laufen. Als Max mit Rennanzug und Helm zu Fuß unterwegs war, wurde er von einem Autofahrer aufgelesen und zum Hotel gebracht. Als Jos ihn früher als erwartet ankommen sah, fragte er ihn, wie er das so schnell geschafft habe. Als Max es ihm erklärte, bestand Jos darauf, ihn dorthin zurückzubringen, wo er aufgegriffen worden war, und ihn seine Strafe ohne Hilfe verbüßen zu lassen. Jos war als Pädagoge weder einfühlsam noch sanft oder subtil. Die sich selbst gestellte Aufgabe bestand für Jos darin, Max zum besten Rennfahrer zu machen, der er sein konnte, und Jos kannte nur einen einzigen Weg, das zu erreichen. Für Kompromisse gab es da keinen Platz und verletzte Gefühle spielten dabei keine Rolle.

Doch damit der Plan aufging, brauchte Max mehr als nur herausragendes Talent. Er brauchte auch eine ganz besondere Persönlichkeit, die zwar das Durchsetzungsvermögen und die Energie eines erfolgreichen Rennfahrers in sich vereinte, aber nicht über die damit oft verbundenen rebellischen Züge verfügte. Es brauchte ein gehöriges Maß an Belastbarkeit, um mit Jos’ extremer Herangehensweise fertig zu werden und gleichzeitig seine einmal gemachten Fehler nicht zu wiederholen.

Damit Jos harte Hand die gewünschte Wirkung erzielen konnte, musste Max sich voll und ganz darauf einlassen, was aber nicht ganz so schwer gewesen sein dürfte, wie sich das manch einer vorstellen mag, weil er ja nie etwas anderes gekannt hatte. Außergewöhnlich war, dass Max trotz der Rigorosität seines in vielerlei Hinsicht extremen Vaters seine eigene Identität bewahrte.

„Max ist der Diplomat“, sagt seine Mutter Sophie in der Fernsehsendung RTL-Boulevard. „Er möchte es immer allen recht machen.“ Angesichts der dominanten Persönlichkeit von Jos und der so intelligenten wie streitbaren Sophie kann man sich leicht vorstellen, dass es für den jungen Max in den ersten elf Lebensjahren vor der Trennung seiner Eltern nicht immer einfach war. Wenn man heute mit ihm spricht, merkt man nichts davon, er ist locker und umgänglich und lächelt immer. Das Besondere an seiner Persönlichkeit, das Entscheidende, ist, dass er sich durch nichts einschüchtern lässt. Er fürchtet niemanden, und um seinen Ruf schert er sich nicht. Er ist geradeheraus und auf dem richtigen Weg, er ist immer der Dominante, egal wobei. Aber es hat keine Rebellion gegeben. Nicht, soweit man weiß. Er ist einfach nur geradlinig, sachlich und offen, typisch holländisch eben, und er führt das Leben weiter und treibt die Karriere weiter voran, die Jos mitgestaltet hat. Er hat seinen Vater, als er berühmt und erfolgreich wurde, nicht aufs Abstellgleis befördert. Jos ist immer noch an seiner Seite, ein Partner, vielleicht sogar ein gleichberechtigter Partner, obwohl sich die Abnabelung des Sohns von seinem Vater abseits der Rennstrecke ziemlich nahtlos vollzogen zu haben scheint.

Jos und Raymond Vermeulen, der Manager, den Jos vor Jahren für sich selbst engagiert hatte und der immer noch der Berater seines Vertrauens ist, kümmern sich in aller Ruhe um die Geschäfte, während Max auf der Piste die Gegner alt aussehen lässt, um dann zur Normalität zurückzukehren, die für Max seit Ende 2020 aus Partnerin Kelly Piquet und Penelope, ihrer Tochter aus einer früheren Beziehung, besteht.

„Kelly ist ein bisschen älter als er“, sagte Sophie 2021 in der Sendung RTL Boulevard. „Sie hat ein kleines Kind. Sie haben eine Art kleine Familie gegründet, und ich glaube, dass Max das vielleicht vermisst hat, als er jung war, und ich denke, dass ihm diese Stabilität auch in diesem Jahr geholfen hat, weil er weiß, dass zu Hause jemand auf ihn wartet. Sie kommt auch aus einer Rennfahrerfamilie, von daher versteht sie das alles. Wenn man sieht, wie liebevoll er zu ihrem Kind ist, aber auch zu seiner Schwester, dann sieht man, dass er das Herz am rechten Fleck hat.“

Max hat sich anscheinend das ruhige Leben zu Hause geschaffen, das er als Kind nie hatte, das er sich aber sicher gewünscht haben dürfte, wenn man bedenkt, wie unharmonisch die Ehe seiner Eltern war. Wie schlimm es war, lässt sich daran ermessen, dass Sophie nach der Trennung 2008 eine einstweilige Verfügung gegen Jos erwirkte. Nach der Trennung blieb Max bei Jos – nicht zuletzt, weil sie zu dieser Zeit ohnehin durchs Kartfahren sehr viel Zeit miteinander verbrachten – während Max’ Schwester Victoria bei Sophie blieb. Max behielt zu allen einen engen Kontakt, ein liebevoller Sohn und Bruder.

Wie wichtig ihm das war und immer noch ist, zeigte sich auch eindrucksvoll daran, dass er wenige Stunden nach dem Gewinn seines ersten Weltmeistertitels in einem Interview sagte, er sehe dies als Erfolg für die Familie. „Wenn man sein Lebensziel erreicht, ist das ein unglaubliches Gefühl, nicht nur für mich, sondern für meine ganze Familie. Sie haben viel für mich geopfert. Mein Vater war viel unterwegs, daran ist wahrscheinlich die Ehe zerbrochen. Und auch meine Schwester hat auf einiges verzichten müssen, sie hat mich vermisst, und sie hat auch ihren Vater vermisst, weil er immer bei mir war. Das alles ist für etwas gut gewesen. Es war nicht umsonst. Das ist etwas ganz Besonderes.“

„Ich glaube, Max weiß, wie traurig ich war, wie sehr ich ihn vermisst habe, als er jünger war“, sagte Sophie in der Verstappen-Dokuserie Whatever It Takes von 2020, „und ich glaube, er will die verlorene Zeit wiedergutmachen.“

Auch Victoria hat unter der Trennung gelitten, und während Max’ Erfolge es ihr ermöglichten, ihren eigenen Interessen nachzugehen – unter anderem im Kartsport –, haben sie sie, wie Max andeutet, auch etwas gekostet. In Whatever It Takes spricht sie darüber: „Ich verstehe, warum Papa so viel Zeit mit Max verbracht hat. Es ist unglaublich, dass sie es in die Formel 1 geschafft haben. Aber für mich war es manchmal schwer. Es gab Zeiten, da fühlte ich mich nicht wichtig, wenn sie nur über Max sprachen.“

Max erzählt auch von der Freizeit, die er mit seiner Mutter und seiner Schwester auf Kartbahnen verbringt. „Wir fahren manchmal zusammen Kart. Zwischen meiner Mutter und meiner Schwester gibt es immer ein Wettrennen. Sie liegen immer nur Zehntelsekunden auseinander, und meine Schwester wird oft wütend, weil sie glaubt, dass sie besser ist. Gegen meinen Vater bin ich das letzte Mal gefahren, als ich 13 war, und wir hatten ähnliche Rundenzeiten. Das hat mir Spaß gemacht.“

„Als sie Kinder waren, hat Max Victoria immer einen Sticker oder ein Malbuch gegeben, um den Frieden zu wahren“, erzählte Sophie auf RTL. „Er denkt immer an sie. Sie gehören einfach zusammen. Er ist so gut, so lieb. Max will alles immer erst im Gespräch klären, er ist ein sensibler Mensch. Das wilde Racer-Herz hat er von Jos, die Sanftmut von mir. Aber täuschen Sie sich nicht. Unter dem Helm ist er ein Tiger.“

Max ist sensibel genug, um eine gute Atmosphäre um sich herum zu schaffen, aber er ist kein Grübler. Tiefenpsychologische Fragen nach seiner Beziehung zu seinem Vater in seiner Kindheit treiben ihn nicht um. Er hätte darauf keine tiefgründigeren Antworten als achselzuckend zu sagen „es ist, wie es ist“ und „ich bin sehr dankbar dafür“. Seine Realität. Und nur die zählt. Seine Sicht der Dinge ist, dass er sah, wie alle um ihn herum Rennen fuhren und er verlangte, auch mitmachen zu dürfen. Jos kam dieser „dringenden Bitte“ (wie er später sagte) nach, aber er trainierte ihn so, wie noch nie jemand zuvor trainiert worden war. Jedenfalls nicht in diesem Sport. Vielleicht gibt es Parallelen zu den Williams-Schwestern oder Andre Agassi im Tennis.

Der Junge, der in den Zirkus hineingeboren wurde, ist nun derjenige, der auf dem Drahtseil steht und all die Lektionen umsetzt, die ihm sein Vater auf den Kartbahnen Europas beigebracht hat. Und der blickt nun mit sichtlichem Stolz nach oben, weil er weiß, dass sein Sohn auf dem Seil besser ist, als er selbst es je war, und er ist zufrieden, weil er ihm das Rüstzeug für seinen Erfolg mitgegeben hat, eine Ausbildung, die viel besser ist, als seine eigene je hätte sein können.

Aber was ist das für ein Typ, der sein ganzes bisheriges Leben dem Rennsport gewidmet hat? Trotz seines unglaublichen Talents wirkt er bodenständig und mitunter auch ein wenig unbedarft. So scheinen ihm die typischen Sorgen der Generation Z, etwa was die soziale Gerechtigkeit anbelangt, keine größeren Kopfschmerzen zu bereiten; ja mehr noch: Er macht nicht den Eindruck, als wüsste er, was in der Welt außerhalb seiner eigenen Blase vor sich geht oder als interessiere er sich auch nur dafür. Er ist ein netter Kerl, ein fürsorglicher, vernünftiger junger Mann, aber für die Dinge jenseits seiner unmittelbaren Lebenswirklichkeit scheint er sich schlicht nicht zu interessieren. Da ist immer dieser Hang zur Ausgewogenheit. Natürlich nicht im Auto. Aber außerhalb des Autos geht es darum, alles so stressfrei wie möglich zu gestalten, auch für die wichtigen Menschen um einen herum. Aus Rennsportsicht ist das eigentlich eine perfekte Kombination: ein Ausbund an Leidenschaft und Aggression im Auto, und eines an Ausgeglichenheit, wenn er keinen Rennoverall und Helm anhat. Vielleicht ist das, mehr noch als Renntalent, das entscheidende genetische Erbe: die Kombination von Jos Feuer und Sophies Ausgeglichenheit. „Wissenschaftlich gesehen ist das womöglich die beste Mischung, die es gibt“, sagt Frits van Amersfoort, für dessen Team sowohl Jos als auch Max gefahren ist. „Max’ Ehrgeiz und seine Wildheit kommen von Jos und die soziale Seite von Sophie. Das ist die perfekte Kombination. Ich glaube nicht, dass man in einem Labor hätte erreichen können, was diese beiden Menschen erreicht haben!“

Jedes Mal, wenn er im Auto sitzt, will er das Beste aus sich herausholen, was Max in seinen ersten Jahren in der Formel 1 manchmal zu Manövern verleitete, die nicht der Rennetikette entsprachen. Ein extremes Beispiel war, als er Kimi Räikkönen in Spa zwang, bei 200 km/h auf der Geraden zu bremsen, um einen verheerenden Unfall zu vermeiden. Der legendäre dreifache Weltmeister Niki Lauda kommentierte diese Harakiri-Aktion mit den Worten: „Der sollte mal zum Psychiater gehen.“

„Toll, dann können wir ja zusammen dahin gehen“, sagte Max lachend, als er von Laudas Kritik hörte. Nicht aggressiv oder defensiv. Es ist ihm einfach egal, was andere denken, weil er sich seiner Sache sicher ist.

Die üblichen Regeln wurden durch sein überbordendes Talent und die geschickte Art, wie Jos es in Szene setzte, oft bedeutungslos. Einige von Verstappens übermütigen Aktionen erforderten neue sportliche Regeln, wie sie eine Generation zuvor für Michael Schumacher aufgestellt worden waren. Eine davon war das neue sportliche Reglement, das ein Mindestalter von 18 Jahren für F1-Fahrer vorschreibt, nachdem Max mit 17 Jahren und 166 Tagen als jüngster Fahrer aller Zeiten debütiert hatte. Er hatte bereits 14 Grands Prix absolviert, bevor er überhaupt einen Führerschein besaß und auf Europas Straßen fahren durfte. Max hat keine Zeit für die Art und Weise, wie sich die Formel 1 im Zeitalter der sozialen Medien verändert hat, denn er ist diesbezüglich alte Schule, obwohl er ein sogenannter Digital Native ist. Er kann Dinge mit einem Auto tun, von denen andere nur träumen. Er kann im Rennen auf eine Weise Rad an Rad fahren, dass seine Gegner fast den Eindruck haben müssen, es sei unmöglich, ihn mit normalen Mitteln zu schlagen. Aber er wird nur durch den Sport definiert und er ist keiner von denen, die den Rennsport in der Art und Weise transzendieren, wie es Lewis Hamilton oder Ayrton Senna getan haben. Dafür ist er zu geradlinig, zu uninteressiert an der Welt jenseits des Rennsports. Denn das ist eine Welt, in der er nie gelebt hat. Aber innerhalb der Blase, in der er sein ganzes Leben verbracht hat, sind bisher nur sehr wenige jemals so hoch geflogen wie er.

MONACO

Wie auf kaum einer anderen Rennstrecke konnte der junge Newcomer sein großes Potenzial in Monaco unter Beweis stellen.

Der Gewinn der Weltmeisterschaft 2022 war weit weniger stressig und umstritten gewesen als der Titelgewinn im Jahr zuvor. Das letzte Rennen, das auch diesmal wieder in Abu Dhabi stattgefunden hatte, war eine entspannte Angelegenheit gewesen, die Max, der sich bereits vier Rennen zuvor den Titel gesichert hatte, den 15. Saisonsieg bescherte. Das war auch ein neuer Rekord, denn Max hatte in dieser Saison, die er unglaublich dominiert hatte, mehr Grand-Prix-Siege eingefahren als Jack Brabham, Graham Hill oder Emerson Fittipaldi in ihren gesamten jeweils langen Karrieren. Vom Nahen Osten flog Max mit dem Dassault Falcon 900EX – dem Privatjet, den er im Jahr 2020 von Richard Branson gekauft hat – nach Nizza und von dort per Helikopter weiter nach Monaco, wo er seit seinem 18. Geburtstag lebt.

Ich hatte Jos schon früh in jenem Jahr interviewt, als Max noch nicht das Nest verlassen hatte, obwohl er bereits Formel-1-Pilot war. Jos hatte damals noch keinen Grund gesehen, warum Max aus dem Haus im belgischen Maaseik ausziehen sollte. „Er wäscht seine Wäsche hier und hat all seine Sachen hier“, sagte Jos, als ob das Max davon hätte abhalten können, allein leben zu wollen. Max’ Weg in die Formel 1, der im Grunde in seiner Kindheit begonnen hatte, war zu Ende, und der 17-Jährige konnte es kaum erwarten, einen Teil seines Millionengehalts für eine eigene Wohnung auszugeben, in der er in relativer Anonymität trainieren, sich ausruhen und spielen konnte.

Seit seinem elften Lebensjahr lebte Max ausschließlich bei seinem Vater, besuchte zwischen den Rennen seine Mutter und seine Schwester und kam oft früh aus der Schule – oder musste erst gar nicht hin –, um mit Jos im Transporter quer durch Europa zum nächsten Rennen zu fahren, der nächsten Chance für Max, genau das zu tun, was er gerne tat. So jedenfalls blickt Max heute auf diese Zeit zurück.

„Ob es Max tatsächlich jeden Tag Spaß gemacht hat, weiß ich nicht. Ich bezweifle es. Das, was im Nachhinein erzählt wird, stimmt nicht unbedingt immer mit der Realität überein“, sagt Kees van der Grint. „Jetzt, wo sie so erfolgreich sind, können sie darüber lachen, wie sie immer wieder zusammen Tausende Kilometer in dem Transporter zurückgelegt haben. Ich weiß nicht, ob Max jede Nacht glücklich war. Aber natürlich verdienen sie den Erfolg, den sie heute haben, auch wegen dieser Zeit damals. Ich glaube nicht, dass Jos ihn dazu gedrängt hat, eine Rennsportkarriere anzustreben, wobei aber immer klar gewesen sein wird: Wenn wir das machen, dann richtig.“

„Ich habe Max’ Karriere immer alles untergeordnet“, sagte Jos, kurz nachdem Max von zu Hause ausgezogen war. „Max war auf seine Karriere fixiert, und als er es in die Formel 1 geschafft hatte, ging er nach Monaco.“

Es war ein unglaubliches Abenteuer gewesen, vom Kart-Kid zum vielversprechendsten aller F1-Fahrer aufzusteigen, wobei dieser Erfolg auf seinem Talent sowie auf Jos’ Fachwissen und Erfahrung gründete. Doch nun war er bereit, sein eigenes Leben zu führen, auch wenn sich Jos und sein Vertrauter Raymond Vermeulen (der die Wohnung in Monaco gefunden hatte, in die Max später einzog) weiter um das Geschäftliche kümmerten.

In der zweiwöchigen Pause zwischen dem Großen Preis von Japan und dem Großen Preis von Russland wurde Max 18 Jahre alt. Jos schenkte ihm zum Einzug in seine eigene Wohnung einen Jetski, und Sophie half ihm beim Möbelkauf. Sie hatte das mütterliche Gefühl, dass das der Moment war, in dem sie ihn an den Superstarruhm zu verlieren begann, und dass dies die letzte normale Sache war, die sie als Mutter und Sohn gemeinsam tun würden. Ihr Sohn, der bereits als minderjähriger F1-Debütant 14 Grands Prix bestritten hatte, was einer von bald zahllosen Rekorden war. In Suzuka war er von Rechts wegen noch ein Kind, das bei seinem Vater wohnte, auch wenn er im Toro Rosso versuchte, den Red Bull von Daniil Kwjat in der legendären Kurve 130R mit 320 km/h zu überholen, wobei sein rechter Hinterreifen neben der Streckenbegrenzung war. Zwei Wochen später in Sotschi war er ganz offiziell ein Monegasse.

Dass in Monaco der prestigeträchtigste Grand Prix der Welt ausgetragen wird, ist für die Entscheidung, seinen Hauptwohnsitz dorthin zu verlegen, im Grunde völlig nebensächlich. Für viele Formel-1-Stars, die in relativ kurzer Zeit ein großes Vermögen angehäuft haben, ist das Fürstentum wegen seiner niedrigen Steuern der ideale Wohnort. Dennoch hat Monaco in Verstappens Karriere auch eine besondere sportliche Bedeutung. Bei seinem ersten Rennen auf dem legendären Stadtkurs im Jahr 2015 war er in seinem Toro Rosso zwar schnell gewesen, aber dramatisch vorzeitig ausgeschieden, nachdem er über die Front von Romain Grosjeans Lotus geflogen war.

Und dann war da ein Jahr später der Große Preis von Monaco 2016, das Rennen nach seinem siegreichen Red-Bull-Debüt, als er im ersten Qualifying beim Schwimmbad in die Mauer krachte, wobei eine Spurstange brach, weshalb er in der nächsten Kurve nicht mehr lenken konnte. Zwei Jahre später ereignete sich im Samstagstraining ein fast identischer Unfall, der ihn die Teilnahme am Qualifying kostete. Beide Male gehörte er zu den Schnellsten und galt als aussichtsreicher Kandidat für die Pole-Position – und damit als potenzieller Sieger, da Überholen auf der engen, kurvenreichen Strecke nahezu unmöglich ist. Auf diesem legendären Kurs wären also zwei prestigeträchtige Siege durchaus möglich gewesen, aber so wurden die Chancen darauf verschenkt.

Im Donnerstagstraining 2015 sammelte Max seine ersten Erfahrungen auf der Strecke, die bekanntermaßen sehr anspruchsvoll ist, wenn man versucht, ein 1000-PS-Monster durch die engen, von Mauern gesäumten Straßen zu steuern. Im Toro Rosso, der alles andere als ein Top-Auto war, fuhr der 17-jährige Rookie sensationell die zweitschnellste Zeit und lag damit nur zwei Zehntel hinter Lewis Hamilton im Mercedes. Für die Beurteilung des Potenzials neuer Fahrer sagen die Spitzenwerte weit mehr aus als die Durchschnittswerte. Sie geben Aufschluss über die Leistungen, die regelmäßig gebracht werden können, wenn der Fahrer über genügend Erfahrung verfügt, um seine besten Leistungen abrufen zu können. Das erste Training am Donnerstag 2015 war ein wichtiges Indiz für die kommende Größe. In seiner erst zweiten Saison im Autorennsport (im Gegensatz zum Kartsport) war er in einem mittelmäßigen Fahrzeug der Zweitschnellste bei einem F1-Training, das die Fahrer auf dem Stadtparcours auf ganz besondere Weise forderte.

Der Zwischenfall von 2018 war ebenso bezeichnend. Drei Jahre nach seinem erstaunlichen Debüt kam er mit einer ziemlichen Bürde nach Monaco, da er in den fünf vorangegangenen Rennen der Saison jedes Mal in irgendeiner Form Schwierigkeiten gehabt hatte. Es wirkte so, als ob er in seiner dritten Saison bei Red Bull noch immer ein Auto hatte, dass dem Mercedes klar unterlegen war, weswegen er das Unmögliche möglich zu machen versuchte, indem er technischen Rückstand mit einem draufgängerischen Fahrstil zu kompensieren suchte, was allerdings keine Früchte trug. Jos hatte ihm insgeheim geraten, es etwas bedachter anzugehen. Andere, die Max darauf ansprachen, wurden kurz abgefertigt. „Ich werde meinen Fahrstil nicht ändern“, hatte er vor dem Wochenende gesagt. „Das werde ich nie tun, weil er mich dahin gebracht hat, wo ich jetzt bin.“

Dieser Standpunkt war zu einer Art Mantra geworden, in einer Zeit, in der sich ein Zwischenfall an den nächsten reihte. Er trug ein teaminternes Bestzeitduell mit seinem Red-Bull-Kollegen Daniel Ricciardo aus, als er am Samstagmorgen in derselben Kurve wie 2016 ausgangs des Schwimmbads einen schweren Crash baute – eine Wiederholung des zwei Jahre zurückliegenden Unfalls. Als er aus dem Wrack kletterte, blickte er auf eine der großen Leinwände, die die Liveübertragung zeigten und rund um die Strecke aufgestellt waren, und sah, wie Jos wütend mit der Faust auf den Tisch schlug. Als Max in die Red-Bull-Box zurückkehrte, erwartete er vielleicht das übliche „Mach dir keine Gedanken, Kopf hoch“ vom Team, doch stattdessen sah er Helmut Marko, der sich von ihm abwandte und seine Enttäuschung nicht verbergen konnte. Red-Bull-Teamchef Christian Horner erklärte vor den Fernsehkameras, dass Verstappen einen Weg finden müsse, seine Herangehensweise zu ändern, da sie einfach nicht funktioniere. Später fand er Max zusammengesackt in seinem Zimmer in der Teambasis am Hafen, während er versuchte, ihn zu trösten und mit ihm darüber zu sprechen, was er anders machen musste. Das Team arbeitete auf Hochtouren, damit das Auto für das Qualifying zwei Stunden später wieder einsatzbereit war, aber gerade als die letzten Vorbereitungen getroffen waren und das Qualifying beginnen sollte, wurde ein Riss im Getriebe entdeckt. Damit war Max’ Monaco-Wochenende gelaufen – und das auf einer von nur zwei oder drei Strecken, auf denen sein Auto in dieser Saison wirklich schnell war und auf der Ricciardo von der Pole startend gewinnen sollte.

Obschon er immer wieder beteuerte, seinen Fahrstil nicht geändert zu haben, tat er danach genau das. In einem Interview, das ich 2019 mit ihm führte, stand er kurz davor, dies endgültig zu bestätigen. „Ich glaube, es ist ein sehr schmaler Grad, der entscheidend dafür ist, ob es wirklich schiefgeht oder richtig gut wird. Aber man lernt immer aus seinen Fehlern, und das habe ich definitiv getan – aber zu sagen, dass ich meine Herangehensweise komplett geändert hätte, ist nicht wahr. Ich habe nur ein paar Dinge verfeinert, wodurch das Endergebnis des gesamten Wochenendes gleich viel besser war. Ich lerne einfach, passe mich an und versuche, besser zu werden. Ich glaube nicht, dass ich versucht habe, aggressiver oder schneller zu fahren. Vielleicht habe ich mich ein bisschen zurückgehalten, und das hat mich ein bisschen schneller gemacht. Vielleicht habe ich es zu sehr erzwingen wollen.… Man muss den richtigen Moment abpassen, in dem man pushen kann, und man muss wissen, wann man es besser bleiben lässt. Man darf bei all dem auch nicht vergessen, dass mein Aufstieg bis in die Formel 1 so rasend schnell vonstattenging – zwischen meiner Kartzeit und der Formel 1 lag nur ein Jahr, in dem ich in der Formel 3 gefahren bin. Ich denke, einige der Fehler, die ich in der Formel 1 gemacht habe, haben andere in den unteren Klassen gemacht, an denen das Medieninteresse natürlich viel geringer ist. Was mich angeht, ist das keine Frage: Ich mache sie lieber in der Formel 1 als in einer der unteren Klassen. Mein Vater hat mir immer gesagt: ‚Selbst wenn du denkst, dass du nicht schnell genug bist, bist du es sicher längst.‘ Ich hatte das Gefühl, dass ich nach diesen sechs Rennen besser geworden bin, indem ich etwas langsamer gefahren bin. Ich lerne aus jedem Rennen.“

Es war das letzte Puzzleteil. Nach dieser demütigenden Erfahrung im Jahr 2018 wurde er zu dem großen Fahrer, den man nach seinem ersten Training 2015 bereits in ihm gesehen hatte. Was auch immer er nach dem Crash in Monaco änderte, es half ihm, noch besser zu werden. Alles, worauf er jetzt noch wartete, war ein konkurrenzfähiges Auto, mit dem er ganz oben mitfahren konnte.

Ein Jahr später wurde Max in Monaco nach einem starken Rennen Zweiter. In den letzten Runden attackierte er sogar Hamilton, der auf den älteren Reifen unterwegs war, wobei sich die Autos der beiden in der Schikane sogar berührten. Doch erst 2021 beim nächsten Rennen im monegassischen Fürstentum (das Rennen 2020 war wegen der Coronapandemie abgesagt worden) konnte er endlich nach einer herausragenden Leistung auf seiner „Heimstrecke“ als Erster über die Ziellinie fahren. Abgesehen vom Prestige dieses Grand-Prix-Sieges war dies ein wichtiger Meilenstein in seiner Karriere: Zum ersten Mal war er der Führende in der Fahrergesamtwertung, zum ersten Mal war er in der Formel 1 der Gejagte und nicht der Verfolger.

Machen wir einen Sprung ins Jahr 2022. Der Große Preis von Monaco war eines der wenigen Rennen der Saison, das der amtierende Weltmeister Verstappen nicht gewinnen konnte. Die Umstände dieses Misserfolgs verärgerten das „Team Verstappen“ und belasteten das Verhältnis zu Red Bull. Auslöser für die Geschichte war ein Unfall von Max’ Teamkollegen Sergio Perez in den letzten Sekunden des Qualifyings.

Hintergrund der ganzen Aufregung war, dass Perez im Lauf der bisherigen Saison deutlich besser mit Verstappen mithalten konnte und schlicht konkurrenzfähiger war als in ihrer ersten gemeinsamen Saison bei Red Bull im Vorjahr, als Perez im Qualifying im Durchschnitt immer fast eine halbe Sekunde langsamer war als Max und weniger als halb so viele WM-Punkte geholt hatte als er. Er war als zweiter Fahrer eingesetzt worden, eine Rolle, die er 2021 zufriedenstellend ausfüllte. Er war da, um für Red Bull zu retten, was zu retten war, wenn Verstappen ein Problem hatte, wie in Baku, als der in Führung liegende Max nach einem Reifenplatzer in die Streckenbegrenzung krachte. Doch der Mann, der seit mehr als einem Jahrzehnt in der Formel 1 fuhr, aber noch nie ein wirklich konkurrenzfähiges Auto zur Verfügung gehabt hatte, wollte nun eindeutig mehr als nur eine Nebenrolle spielen.

Im Jahr 2022 konnte Perez mit dem Auto, mit dem er viel besser klarkam als sein Teamkollege, der das Gefühl hatte, dass es seine eigenen Fähigkeiten einschränkte, Verstappen gelegentlich einen echten Zweikampf liefern. In Jeddah fuhr er beim zweiten Rennen der Saison eine beeindruckende Pole-Position heraus und wurde nur durch das unglückliche Timing einer Safety-Car-Phase zurückgeworfen, die Verstappen nach einem späten Zweikampf mit Charles Leclerc im Ferrari den Weg zum Sieg ebnete.

In der Woche vor dem Showdown in Monaco hatten die Spannungen innerhalb des Teams weiter zugenommen. Grund dafür war die Teamorder an Perez beim Großen Preis von Spanien, Verstappen vorbeizulassen, nachdem dieser sich nach einem Ausflug ins Kiesbett wieder zurückgekämpft hatte. Perez verzichtete darauf, selbst den Sieg herauszufahren und meinte: „Ich halte es für sehr unfair, aber okay.“

In Monaco war Perez wie immer auf Stadtkursen ziemlich schnell. Im Qualifying war er in jeder Session schneller als Verstappen, wobei er sich dennoch hinter den Ferraris einreihen musste, die mit der Strecke besser zurechtkamen. Das Problem der Red Bulls im Qualifying bestand darin, die Vorderreifen schnell genug auf die nötige Temperatur zu bringen, bevor sie auf eine schnelle Runde gehen konnten, was den Ferrari problemlos gelang. Sowohl Verstappen als auch Perez versuchten, das Problem mit einer zusätzlichen Aufwärmrunde oder sogar mit zwei zusätzlichen zu umgehen. Man muss diese Feinheiten kennen, um zu verstehen, was sich hier zwischen den Red-Bull-Piloten abspielte, als sie um ihre wichtigen Startplätze in Monaco kämpften.

Perez entschied sich in der letzten Session, die zeitlich kürzer war, für einen ersten Run über mehrere Runden mit zwei schnellen Runden und einer Abkühlrunde dazwischen. Dadurch blieb ihm nur wenig Zeit für seinen zweiten Run mit neuen Reifen. So musste er auf die letzte schnelle Runde ohne die zusätzliche Vorbereitungsrunde gehen, was bedeutete, dass seine Vorderreifen mit ziemlicher Sicherheit zu kalt sein würden. Daher musste er im ersten Lauf über mehrere Runden eine gute Rundenzeit herausfahren.

Verstappen hingegen entschied sich für die konventionelle Aufteilung in zwei gleich lange Runs. Zwei getrennte Einzelrunden gaben ihm die Zeit, jeweils eine zusätzliche Vorbereitungsrunde mit den neuen Reifen zu fahren. Theoretisch hätte er so den Vorteil nutzen können, dass die Strecke am Ende der Session griffiger ist, weil mehr Gummi auf ihr ist.

Auf seinem ersten Run fuhr Perez eine etwas schnellere Zeit als Verstappen. Doch in den letzten Runs hatte Verstappen mit seiner zusätzlichen Vorbereitungsrunde bereits Perez’ Zeit im ersten Sektor aus den ersten Runs unterboten und schien auf dem besten Weg, die Führung zu übernehmen. Es überrascht nicht, dass Perez’ zweiter Run angesichts seiner Reifen, die noch nicht auf der richtigen Temperatur waren, nicht gut verlief und er sich nicht weiter verbessern konnte. Endgültig besiegelt wurde dies, als sein Red Bull in der Portier-Kurve mit dem Heck in die Leitplanke einschlug und kurz darauf noch der Ferrari von Carlos Sainz in ihn hineinfuhr. Die roten Flaggen nach diesem Crash bedeuteten das Ende des Qualifyings, womit Verstappen nicht mehr die Möglichkeit hatte, seine Runde zu Ende zu fahren und die bisherige Bestzeit von Perez – und vielleicht sogar die von Sainz – zu toppen. So landeten Perez und Verstappen auf den Plätzen drei und vier in der Startaufstellung.

Verstappen hatte den Braten gerochen. In Monaco war es nicht ungewöhnlich, dass ein Fahrer nach einer guten Zeit im ersten Run unter verdächtigen Umständen einen Unfall baute, um zu verhindern, dass die Rivalen mit einer besseren Rundenzeit noch an ihm vorbeiziehen konnten. Michael Schumacher wurde 2006 wegen eines solchen Vergehens ans Ende der Startaufstellung strafversetzt. 2014 hatte Nico Rosberg während seines letzten Runs durch einen Fahrfehler, in dessen Folge er mit seinem Auto in einer Auslaufzone zum Stehen kam, für gelbe Flaggen gesorgt, womit seinem Teamkollegen und Titelrivalen Lewis Hamilton die Chance genommen worden war, noch eine bessere Zeit zu fahren. Mangels eindeutiger Beweise mussten die Stewards Rosbergs Erklärung akzeptieren, er habe die Situation falsch eingeschätzt und nicht absichtlich gelbe Flaggen erzwingen wollen. Im Gegensatz zu Rosberg wurde Perez nicht einmal vor die Stewards zitiert, um sich zu erklären. Doch was das Team – und Verstappen – anhand der Telemetrie- und In-Car-Aufzeichnungen sahen, ließ kaum Raum für Zweifel. Sie waren überzeugt, dass Perez den Crash absichtlich herbeigeführt hatte, mit untypischem Vollgasgeben sehr früh in der Kurve und kaum erkennbaren Versuchen, etwas gegen den daraus resultierenden Kontrollverlust über das Fahrzeug zu unternehmen.

Perez wies die Vorwürfe zwar zurück, vermochte allerdings nicht wirklich zu überzeugen. Man kann sich kaum vorstellen, dass ein Formel-1-Pilot an dieser Stelle so stark aufs Gas geht und erst so spät eine deutliche Lenkkorrektur vornimmt, wenn keine Absicht dahintersteckt. „Das gehört einfach zum Sport dazu, wie die ganzen Spekulationen, die die Leute gerne anstellen“, sagte er später. „Das ist so viele Rennen her, dass es für mich keine Rolle mehr spielt.“

Zwei Dinge über Max Verstappen: Sein Siegeswille ist selbst für einen Formel-1-Fahrer extrem, und er neigt dazu, Situationen nach einem Schwarz-Weiß-Schema zu beurteilen, für Grautöne ist da kein Platz. Das hat er mit seinem Vater gemeinsam. Einer, der beides hautnah miterlebt hat, ist Kees van der Grint. „Als Jos einmal eine Kart-Europameisterschaft gewann und im Finale nur noch Dritter oder Vierter werden musste, um den Titel zu holen, überholte er den in Führung liegenden Mike Hezemans mit einem halsbrecherischen Manöver. Er gewann. Nachdem ich Jos gratuliert hatte, fragte ich ihn, warum er das gemacht hat, denn es hätte ja auch schiefgehen können. Er sagte: ‚Die Meisterschaft ist mir egal.‘ Er wollte nur Erster werden. Das ist Teil der Verstappen-DNA, und es ist sehr schwer, dagegen anzukämpfen. Und bei Max ist es genauso. Er hat das nötige Urteilsvermögen und ist auf der Strecke vielleicht nicht ganz so leichtsinnig, aber innerlich respektiert er absolut niemanden neben sich. Er weiß, wie gut er ist, und wenn ihm jemand in die Quere kommt, versetzt das seinem Selbstbewusstsein keinen Knacks. Ganz im Gegenteil.“

Es wäre für Max dementsprechend eine Sache gewesen, wenn ihm ein Rivale dazwischengefunkt hätte, aber da es sich um seinen eigenen Teamkollegen handelte – um einen Fahrer, der ihn seiner Meinung nach unterstützen und nicht in den Rücken fallen sollte –, war seine Empörung groß, was er auch nicht zu verhehlen suchte. „Es ist sehr ärgerlich“, sagte er hinterher im Fahrerlager, „und natürlich ist es schade, dass derjenige, der das Auto in die Mauer gesetzt hat, mein Teamkollege ist. Aber am Ende erhält man dafür keine Strafe. Wenn man weiß, dass man einen guten ersten Run hat, dann kann man denken: ‚Ach, weißt du was, ich parke ihn einfach, indem ich ihn taktisch in die Mauer lenke.‘ Das kann man machen.“

Er ist immer so direkt, spricht so unverblümt, wenn ihm etwas wichtig ist. Da greift kein PR-Filter. Und in diesem Fall war er offensichtlich sehr überzeugt von dem, was er sagte. Am nächsten Tag, als Perez aufgrund der besseren Startposition das Rennen gewann, empfand Max Verstappen diese Ungerechtigkeit in noch größerem Maße. Im Rennstallduell der Red Bulls mit den Ferraris wechselte Perez als Führender zu einem bestimmten Zeitpunkt von Regenreifen auf Intermediates, um seine Chancen zu erhöhen, den früh in Führung gegangenen Charles Leclerc (und später auch Sainz) zu überholen. Der Zeitpunkt des Boxenstopps von Verstappen, der als schlechter Platzierter nicht in Schlagdistanz zu den Ferraris lag, war abhängig von Perez’ Stopp. Und so kam er nur als Dritter ins Ziel. Perez, der gerade seinen Vertrag um zwei Jahre verlängert hatte, feierte seinen Sieg ausgiebig mit dem Team. Den Verstappens war dagegen nicht nach Feiern zumute.

Am Tag danach machte Jos seinem Unmut auf Max’ Website Luft: „Um ehrlich zu sein, hatte ich kein gutes Gefühl beim Rennwochenende in Monaco. Und das ist noch sehr vorsichtig ausgedrückt. … Auch als Vater war ich vom Rennen enttäuscht. Max’ dritter Platz war sehr enttäuschend. Wir haben alle gesehen, dass es ein schwieriges Wochenende für ihn war. Das fängt beim Auto an, das von der Abstimmung her einfach noch nicht zu seinem Fahrstil passt. Max hat viel zu wenig Grip auf der Vorderachse. Und gerade in Monaco mit all den kurzen Kurven braucht man ein Auto, das sehr schnell einlenkt. Das war einfach schwierig. … Red Bull hat ein gutes Ergebnis erzielt, aber gleichzeitig wenig getan, um Max nach vorne zu bringen. Dass er Dritter wurde, verdankt er dem Fehler von Ferrari beim zweiten Stopp von Charles Leclerc. Die gewählte Strategie hat Max als dem Führenden in der Fahrerwertung nicht geholfen. Sie begünstigte komplett Perez. Das war enttäuschend für mich, und ich hätte mir gewünscht, dass es für den Weltmeisterschaftsführenden anders gelaufen wäre. … Pérez hat das Rennen eigentlich wegen des früheren Boxenstopps gewonnen. Das Team kann das vielleicht als Glück darstellen, aber sie hatten zum Beispiel bei Gasly gesehen, dass die Intermediates zu diesem Zeitpunkt die beste Wahl waren. … Ich hätte mir gewünscht, dass sie sich für Max entschieden hätten, aber ich bin natürlich nicht ganz objektiv. Ich denke, dass Max hier zehn Punkte verschenkt hat. Gerade nach den beiden Ausfällen brauchen wir jeden Punkt. Man darf nicht vergessen, dass Ferrari momentan das bessere Auto hat, vor allem im Qualifying.“

Im Gegensatz zu Max hatte Jos es vermieden, Perez’ umstrittenen Qualifying-Erfolg zu erwähnen, aber das eigene Team auf Max’ Website öffentlich dermaßen zu kritisieren, war alles andere als eine Kleinigkeit, über die man hinwegsehen konnte. Natürlich mag hier zum Teil sein hitziges väterliches Temperament mit ihm durchgegangen sein, gewiss steckte aber auch der Versuch dahinter, Red Bull mithilfe des Einflusses, den er aufgrund von Max’ phänomenalem Talent zu besitzen glaubte, zum Handeln zu zwingen. Helmut Marko, der Motorsport-Chef von Red Bull, ließ mit einer Antwort nicht auf sich warten.

„Ich habe ihn sofort angerufen“, erzählte er De Limburger. „Ich fragte: ‚Was ist los, Jos?‘ Jeder kann seine eigene Meinung haben, auch Jos, aber er sollte sie nicht auf der Website seines Sohnes veröffentlichen. Er sagte: ‚Ja, aber ich bin der Vater‘, was in Ordnung ist. Aber es auf diese Weise zu machen, ist definitiv nicht in Ordnung.“

Marko sagte auch: „Jos ist großartig, und das ist der Grund, warum Max es so weit gebracht hat. Als Max in die Formel 1 kam, war es am Anfang nicht immer einfach mit Jos. Er hatte zu allem eine Meinung, woran sich übrigens bis heute nichts geändert hat. Seine Kommentare sorgten für Unmut im Team und lieferten den Journalisten Stoff zum Schreiben. Aber Jos ist eben Jos. Er kann manchmal sehr schnell in Rage geraten, und daran wird sich auch nichts mehr ändern.“

Mit anderen Worten: Marko konnte kaum mehr tun, als seinen Unmut zu äußern. Es war derselbe Kampf um Macht und Kontrolle, der von Anfang an zwischen Red Bull und dem Team Verstappen herrschte und der auch durch den Gewinn der Weltmeisterschaft 2021 und den anschließend unterzeichneten mehrjährigen Mega-Vertrag nicht beendet wurde.

Die Ereignisse von Monaco 2022 sind in dieser Hinsicht sehr aufschlussreich. Sie zeigen uns, wie komplex und empfindlich die Beziehung zwischen Red Bull und Max ist, und dass sie sich für den gemeinsamen Erfolg zwar voll und ganz aufeinander verlassen können, ihre Verbindung aber in mancherlei Hinsicht keine Liebeshochzeit ist. Sie sind seit vielen Jahren erfolgreiche Partner und haben gute Zeiten erlebt. Aber es herrscht immer noch eine gewisse Distanz zwischen ihnen – und das liegt an den Verstappens. Denn es geht um Kontrolle.

Red Bull hat sein berühmtes Nachwuchsprogramm, sponsert junge Fahrer im Kartsport und in den Motorsport-Nachwuchsklassen, um den nächsten Champion aufzuspüren. Helmut Marko, der Anfang der 1970er-Jahre selbst ein vielversprechender Formel-1-Fahrer war, ist für diese Talentsuche verantwortlich. Dass sich Red Bull ein Junior-F1-Team (damals Toro Rosso, dann AlphaTauri, heute Racing Bulls) leistet, um die Lücke zwischen den Nachwuchsklassen und dem Topteam zu schließen, in dem sich die Fahrer entweder als zukünftige Weltmeister etablieren oder ausscheiden können, ist Teil dieser Strategie, möglichst effiziente Bewährungsmöglichkeiten zu schaffen.

Doch trotz seines offensichtlich großen Potenzials war Verstappen weder im Kartsport noch in der Formel 3 ein Red-Bull-Junior. Jos hatte dafür gesorgt, dass er so lange wie nötig unabhängig blieb, um sich möglichst viele Optionen offenzuhalten. Erst als Red Bull Max nach nur einer Saison im Formelsport (2014 in der F3) für 2015 ein Formel-1-Cockpit bei Toro Rosso anbot, kam er zu dem Rennstall.

„Es gab ein Tauziehen um ihn mit Mercedes, das auch durch die Konkurrenz zwischen den beiden älteren österreichischen Herrschaften geprägt war“, sagt Red-Bull-Teamchef Christian Horner in Anspielung auf Helmut Marko und Niki Lauda, der bei Mercedes eine ähnliche Rolle gespielt hat wie Marko bei Red Bull. Die beiden hatten seit Ende der 1960er-Jahre miteinander gewetteifert, wer von ihnen zuerst in die Formel 1 kommt (sie debütierten im selben Rennen), wer von ihnen zuerst groß herauskommt (bis zu seinem Unfall sah es so aus, als wäre es Marko), wer von ihnen einen Ferrari-Vertrag bekommt (Marko hatte an dem Wochenende, an dem er verunglückte, ein Vertragsangebot aus Maranello in seiner Aktentasche, aber den Vertrag bekam schließlich Lauda, der mit Ferrari zweimal Weltmeister wurde). Sie wurden gute Freunde, doch die Rivalität blieb. Zwei alte Rivalen auf der Rennstrecke – beide gezeichnet durch Unfälle in einer Ära, als der Tod in der Formel 1 noch zum Alltag gehörte –, die sich immer noch gegenseitig die Punkte stahlen. Marko erinnerte Lauda immer wieder daran, dass er seine Karriere nur seinem, also Markos, Unfall zu verdanken hatte, dass er all die Rennen gefahren war, die Marko hatte aufgeben müssen. Lauda konterte indes, dass Marko es sowieso nie geschafft hätte. Und im selben Geiste wetteiferten sie nun darum, den nächsten Superstar der Formel 1 für ihr jeweiliges Team zu gewinnen.

„Ich erinnere mich an ein Abendessen mit Helmut in Heidelberg bei einem Rennen am Hockenheimring. Er sagte: ‚Das Einzige, was wir für Max haben, was Mercedes nicht hat, ist ein Platz in der Formel 1.‘ Und dass wir ihm nächstes Jahr einen Platz bei Toro Rosso anbieten sollten. … Zuerst dachte ich, das wäre ein zu großer Schritt. Und dann überlegt man: Er hat es in der Formel 3 gleich geschafft, also warum nicht? Der Junge scheint ein großes Talent zu sein, wenn er gut genug ist, wird er mit der Herausforderung schon klarkommen. Mercedes konnte ihm eben nicht sofort einen Platz in der Formel 1 anbieten und wollte ihn stattdessen in einem GP2-Team unterbringen. Das war unser Trumpf. Ich glaube, Helmut hat sich sehr gefreut, ihn unter Vertrag zu nehmen, nicht nur wegen seines Talents, sondern auch, weil es ein großer Stinkefinger Richtung Niki war!“

Dass es für Jos so wichtig war, bis zu diesem Zeitpunkt für Max alle Optionen offenzuhalten, hatte zweifellos etwas mit seiner eigenen Erfahrung und dem seiner Meinung nach maßgeblichen Faktor für das Scheitern seiner eigenen F1-Karriere in den 1990er-Jahren zu tun – denn er hatte die Kontrolle jemand anderem (Benetton-Chef Flavio Briatore) überlassen und wurde in eine untergeordnete Rolle gedrängt (gegenüber Michael Schumacher). Das dürfte Jos wahrscheinlich einen erheblichen Knacks versetzt haben. Er war im Kartsport und bei den Junioren ein ebenso überragendes Talent gewesen wie später Max. Er galt als der nächste große Rennfahrer. Seit der Formel 3 war Jos in allem, was er bis zu seinem Einstieg in die Formel 1 gemacht hatte, die Nummer eins gewesen, aber hier wurde er plötzlich in eine Nebenrolle gedrängt, und was noch schlimmer war, in eine Nebenrolle, in der ihm nicht die gleichen Mittel zur Verfügung standen wie der Nummer eins. Es ist alles eine Sache der Wahrnehmung, und von diesem Moment an galt seine F1-Karriere als weniger erfolgreich, als sie hätte sein können. Die Kontrolle zu behalten, war daher immer ein zentrales Element von Jos’ Karriereplanung für seinen Sohn.

Und so kam es, dass sich Red Bull und Max im Grunde noch gar nicht kannten, als der Rennstall ihm das Steuer eines seiner F1-Boliden anvertraute. Die Verstappens hatten sich nur für Red Bull und nicht für Mercedes entschieden, aufgrund dessen, was Red Bull angeboten hatte. Jos hatte das Interesse von Mercedes an Max brillant ausgenutzt, um das F1-Cockpit bei Toro Rosso für 2015 zu bekommen, wobei es Raymond Vermeulen geschafft hat, einen sehr vorteilhaften Vertrag auszuhandeln. Nicht vorrangig in finanzieller Hinsicht, sondern in Bezug auf die Kontrolle, die den jungen Nachwuchsfahrern von Red Bull bekanntermaßen nicht gewährt wurde. Daniel Ricciardo, der seit 2006 unter den Fittichen von Red Bull stand und 2011 sein F1-Debüt gab, war vertraglich langfristig gebunden und erst Ende 2018 frei, selbst zu entscheiden. In der Zwischenzeit hätte er jederzeit entlassen werden können, wenn seine Leistungen nicht den Erwartungen entsprochen hätten, wie es schon vielen vor ihm ergangen war: Christian Klien, Jaime Alguersuari, Jean-Éric Vergne und so manchen anderen.

Das war bei Max’ Vertrag mit Red Bull nicht der Fall. Es schien fast so, als hätten Jos und Raymond Vermeulen Red Bull einen Gefallen getan, indem sie ihnen Max quasi ausliehen – daher sofort das F1-Cockpit (plus ein paar Freitagstrainings bei den verbleibenden Rennen 2014) und die Option, danach zu wechseln, wenn er nicht zu einem vereinbarten Zeitpunkt vom Juniorteam zu Red Bull geholt wird.

„Es gab einen Anknüpfungspunkt in Max’ Vertrag“, bestätigt Horner. „Indem wir die Cockpits von ihm und Daniil Kwjat getauscht haben, haben wir Max’ Vertrag mit uns verlängert. Das war möglich, weil die beiden Teams demselben Eigentümer gehören.“

Die Verhandlungen wurden von Jos und Raymond Vermeulen sehr erfolgreich geführt. Sie haben Max’ Talent und sein offensichtlich enormes Potenzial mutig und effizient genutzt. Ganz sachlich wurden die beiderseitigen Interessen in weitgehende Übereinstimmung gebracht, es war gewiss kein mit heiligen Schwüren besiegeltes Happy End. Die Verstappens hatten nicht unbedingt vor, langfristig bei Red Bull zu bleiben.

An dieser aus der inneren Unabhängigkeit herrührenden Gelassenheit änderte sich auch nichts, als die Partnerschaft schon bald schöne Früchte trug: Selbst nachdem Red Bull Max 2016 nach nur fünf Rennen in seiner zweiten Saison von Toro Rosso zum Mutterteam beförderte (und damit die vertraglich geregelte Möglichkeit ausschloss, ihn Ende 2017 zu verlieren), selbst nachdem er in Spanien sensationell und geradezu märchenhaft sein allererstes Rennen für Red Bull gewonnen hatte – als jüngster Grand-Prix-Sieger aller Zeiten mit 18 Jahren. Auch danach blieb er immer noch als Erstes sich selbst treu, und die Verstappens fühlten sich niemand anderem verpflichtet als sich selbst.

Das führte unweigerlich zu Spannungen in der Beziehung zum Rennstall, auch weil Mercedes den Sport weiter dominierte und Lewis Hamilton einen neuen Rekord nach dem anderen aufstellte. In den folgenden fünf Saisons fuhr Max Verstappen ein Auto, das in keinerlei Hinsicht dem Mercedes ebenbürtig und nur dann gut genug war, um trotz allem den einen oder anderen Sieg einzufahren, wenn bei den Silberpfeilen etwas schiefging. Für Max, der wahrscheinlich der schnellste Fahrer im Starterfeld war – und immer mehr auch als solcher wahrgenommen wurde – war es keine geringe Herausforderung, seine zunehmende Frustration zu kontrollieren, damit sie sich nicht auf seine persönliche Leistung auswirkte. Was das Verhältnis zum Team anging, hielten die Verstappens weiterhin alle Karten in der Hand, aber was nützte das, wenn das Team ihm kein konkurrenzfähiges Auto zur Verfügung stellte, mit dem er auch um die Weltmeisterschaft mitfahren konnte?