Maya und Domenico: Die krasse Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft - Susanne Wittpennig - E-Book

Maya und Domenico: Die krasse Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft E-Book

Susanne Wittpennig

5,0

Beschreibung

Dies könnte eine ganz normale Teenie-Love-Story sein, denn sie enthält eigentlich alle typischen Elemente, die in keiner Geschichte für Heranwachsende fehlen dürfen. Wären da nicht die beiden Protagonisten: die wohlbehütete Maya und der Herumtreiber Domenico, die sich den gängigen Klischees widersetzen und eine ziemlich krasse Freundschaft entwickeln. Die 13-jährige Maya kann sich in ihrer Klasse nicht so richtig durchsetzen. Da sind zum einen ihre drei Erzfeindinnen Delia, Manuela und Isabelle, die nun wirklich keine Gelegenheit auslassen, sie zu triezen. Zum anderen ist da der machthungrige André, der mit seinen Kumpels immer wieder für Unruhe sorgt. Außerdem wird sie zu Hause von ihrem strengen Vater unter Druck gesetzt. Doch Mayas Leben wird auf den Kopf gestellt, als der freche und angeberische Domenico neu in die Klasse kommt. Das ist das, was ihr gerade noch gefehlt hat: Domenico sieht einerseits so gut aus, dass sie in seiner Gegenwart weiche Knie bekommt, und andererseits ist er so unsympathisch, dass er ihrer Meinung nach dahin gehen kann, wo der Pfeffer wächst. Trotzdem kommen sich die beiden näher, und Maya entdeckt hinter seiner Maske einen ganz anderen Domenico. Plötzlich wird sie mit einer für sie völlig fremden Welt konfrontiert und gerät in eine Konfliktsituation – nicht nur innerlich, sondern auch mit ihrem Vater, der gegen die Freundschaft mit diesem mysteriösen Jungen ist. Ein Kampf beginnt, in dem Maya über sich selbst hinauswächst und Domenicos Leben fast aus den Fugen gerät.

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Susanne Wittpennig

Maya und Domenico

Die krasse Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft

Für meine Schwestern Aline und Julia. Aline las die Geschichte neun Mal,

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Text nach der 11. Auflage 2011 © 2014 by `fontis – Brunnen Basel Cover: Susanne Wittpennig, Basel E-Book-Herstellung: Textwerkstatt Jäger, Marburg

ISBN (EPUB) 978-3-03848-610-7 ISBN (MOBI) 978-3-03848-611-4

www.fontis-verlag.com

Inhaltsverzeichnis

1. Eine sensationelle Neuigkeit

2. Die Laterne im Wald

3. Domenico

4. Mister Universum

5. Seltsame Vorfälle

6. Andrés Rache

7. Der Schatten in seinen Augen

8. Triumph beim Völkerballspiel

9. Sein Geheimnis

10. Der verbotene Turm

11. Drei Freunde

12. Janets böses Gerücht

13. Erste Liebe

14. Die verrückte Mutprobe

15. Was ist nur mit ihm los?

16. Die andere Seite vom Park

17. Ein Alptraum

18. Die Gewitternacht

19. Frau Galiani weiß alles

20. Ein neues Licht

1. Eine sensationelle Neuigkeit

Ganz ehrlich: Bis ich vierzehn Jahre alt war, passierte nicht viel in meinem Leben. Fast alles war so, wie es sein sollte. Ich wuchs wohlbehütet auf, war gut erzogen und ging nicht sehr gern zur Schule. Das war ich, und ich träumte damals, dass sich etwas ändern würde. Aber ich wusste nicht, was das sein konnte.

Bis diese Geschichte passierte. Sie riss mich aus meiner Unsichtbarkeit heraus und stellte mich Auge in Auge dem Leben gegenüber. Sie brannte sich für immer in mein Herz ein und lässt mich heute gleichzeitig lachen und weinen.

Als ich den roten Sonntag vom Kalender riss, folgte unweigerlich in schwarzen Buchstaben ein stinklangweiliger Montag, und nichts deutete darauf hin, dass an diesem Tag eine sensationelle Neuigkeit mein Leben verändern sollte.

Ich latschte mit meiner miesesten Laune über den Schulhof. Diese fröhlich singenden Vögel hatten es gut. Sie ahnten ja nicht, dass das Innere dieses Gebäudes eine Folterkammer war. Nicht mal die Sonne ließ sich davon abhalten, ihre schönen sanften Strahlen über dieses etwas seltsame altertümliche Schulhaus mit den grünen Erkertürmen zu werfen. Immerhin waren schon viele Generationen von Schülerinnen und Schülern durch das runde Schultor getreten und hatten es überlebt. Das war ein Trost, wenn auch nur ein sehr schwacher.

Wir Realschüler waren im vorderen Trakt untergebracht, insgesamt zwölf Klassen auf drei Stockwerke verteilt. Die kühlen Gänge rochen nach Bodenwachs, Kreide und verstaubtem Papier, und mittels eines missratenen Versuchs, dem Ganzen Farbe zu verleihen, waren sämtliche Klassenzimmertüren im letzten Jahr knallorange gestrichen worden.

Ich schlüpfte rasch in die Mädchentoilette und stellte mich vor den Spiegel. Auf dem Glas prangte direkt über meinem Kopf mit pinkfarbenem Lippenstift in Delias ausladender Schnörkelschrift «Kiss me!», verziert mit ihrem herzförmigen Lippenabdruck. Ich riss grummelnd ein paar Kleenex aus der Box und entfernte das kitschige Kunstwerk.

Das Gesicht, das mir entgegenblickte, konnte man eigentlich nur als durchschnittlich bezeichnen. Ich meine, es hatte durchaus ein paar hübsche Eigenschaften. Die großen braunen Augen zum Beispiel, die wie polierte Kastanien glänzten. Die lustigen Sommersprossen, die auf meiner Nase tanzten, wenn ich lächelte. Aber das war auch schon alles. Der Rest war durch und durch unauffällig und gewöhnlich. Mein Haar hatte dieselbe mattbraune Farbe wie eine Baumrinde und war lang und glatt, ohne Wellen oder irgendwas, das ihm interessante Konturen verlieh. Ich hatte es schon ein paar Mal mit Mamas Haarspray versucht, aber es war nichts zu machen, es fiel immer wieder in seine brave Form mit dem Mittelscheitel zurück.

Delia und Isabelle sahen überhaupt nicht brav aus und waren viel hübscher als ich. Delia hatte ein herzförmiges Gesicht und einen ebenso herzförmigen Mund und hellblaue Augen mit langen Wimpern. Isabelle hatte eine Stupsnase und ein keckes, spitzes Kinn, mit dem sie sehr selbstbewusst aussah. In meinem Gesicht gab es nichts Keckes, alles war glatt und brav und rund. Ich trug das Haar immer offen, damit es meine Ohren verdeckte, weil Delia behauptete, ich hätte Schimpansenohren. Seit der Grundschule wünschte ich mir Ohrringe, richtig große, silberne, coole Ohrringe. Aber damit stieß ich bei Paps auf Granit. Er war absolut gegen alles, was die Natürlichkeit des Körpers beeinträchtigte. In Ohren gehören nun mal keine Löcher! Das lag wohl daran, dass er mit Leib und Seele Arzt war.

Meine Uhr zeigte halb acht, und ich zog eine Grimasse. Allerhöchste Zeit, mich in die grässliche Folterkammer zu begeben.

Unser Klassenzimmer lag im obersten Stock, Zimmer 308, linker Flur, dritte Tür. Ich straffte meinen Rücken und hielt den Kopf gerade, als ich über die Schwelle trat. Keine Unsicherheit zeigen, Maya, Selbstbewusstsein ausstrahlen. So ist es gut – ja, bingo, keiner hat dich gesehen ...

Ich steuerte auf meinen Platz in der hintersten Reihe zu und suchte das Zimmer mit meinen Augen nach Delia Samantha ab. So hieß sie wirklich, und sie war furchtbar stolz darauf. Ihre jüngere Schwester hieß Linda Anastasia und ging in die 6b. Sie war ebenso hübsch wie Delia, aber man sah die beiden Schwestern nie zusammen.

Delia posierte mit ihren Busenfreundinnen Manuela und Isabelle am offenen Fenster und schüttelte ihre hellblonde Mähne. Sie trug ein schwarzes Top mit glitzernden Pailletten – bauchfrei natürlich, damit jeder ihr Nabelpiercing bewundern konnte – und einen breiten silbernen Gürtel um ihre Hüfthosen. Meine T-Shirts waren immer lang genug, dass sie mein Hinterteil bedeckten. Mein Vater hätte mir nie erlaubt, in solchen Klamotten wie Delia rumzurennen. Er sagte immer, dass solche Mädchen wie sie eines Tages als Prostituierte enden würden. Na ja, Delia trieb sich mit so manchem Jungen rum. Von mir wollte keiner was wissen, und ich hatte auch keinen Schimmer, wie ich es anstellen sollte, einen Typen zu erobern. Wer wollte sich schon mit der Außenseiterin der 8a anfreunden? Ich setzte mich an meinen Platz, stützte meinen Kopf in die Hände und wartete das Klingelzeichen ab.

Dani und Ronny hatten soeben ihren Godzilla an der Wandtafel vollendet, als die verrostete Schulglocke schepperte und Evelyn von draußen brüllte: «Sie kommt!»

Blitzschnell stürzten alle zu ihren Plätzen. Dani und Ronny schmierten mit dem Schwamm über ihre bescheuerte Karikatur und verdrückten sich in ihre Bänke. Mit unserer Klassenlehrerin war nicht zu spaßen. Ausgerechnet heute hatte Frau Galiani aus irgendwelchen Gründen die Stunde mit Herrn Lenz getauscht. Auch das noch. Bei ihr musste man aufpassen wie ein Schießhund. Ihren scharfen Augen entging natürlich nie etwas.

Sie war mittelgroß und kräftig gebaut und hatte absolut nichts Weibliches an sich. Ihr Haar war stoppelkurz, und sie trug immer Jeans und Sportschuhe, selbst im Hochsommer. Ihr wettergegerbtes Gesicht mit dem ausgeprägten Kinn hatte einen herben und spöttischen Ausdruck. Zwischen ihren Augenbrauen war eine tiefe, steile Falte sichtbar, die je nach Alarmstufe ihre Länge veränderte. Ihre schneidende Stimme traf jedes Mal mitten ins Ziel. Doch sie war immer total fair, und man lernte eine Menge bei ihr.

Direkt nachdem sie uns begrüßt und den Unterricht aufgenommen hatte, wurde die Tür vorsichtig ein weiteres Mal geöffnet. Ein kleiner blonder und ziemlich dicker Junge schlich herein. Patrik. Er sah sich geduckt um und huschte lautlos an seinen Platz. Frau Galiani sah ihn kurz an, sagte aber nichts. Sie wusste ganz genau, dass Patrik jeden Morgen absichtlich zu spät kam, damit ihn die andern vor dem Unterricht nicht terrorisieren konnten. Und sie tolerierte es.

Mit einem Seufzen fand ich mich langsam mit dem Montag ab und war erleichtert, dass ich heute nicht aufgerufen wurde.

In der kurzen Pause wollte ich den Wust an Hausaufgaben, den uns Frau Galiani aufgebrummt hatte, in mein Heft notieren, doch ich kam nicht dazu. Delias klackernde Schuhe und eine dichte Parfumwolke steuerten in meine Richtung.

«Oh, süße Maya! Schön brav die Aufgaben notieren, was? Da wird dein Papi aber Freude an dir haben!»

«Das geht dich nichts an!» murmelte ich unbeholfen. Delia war ziemlich dumm in der Schule, aber das interessierte natürlich niemanden. Sie war hübsch genug, um das wieder wettzumachen.

Sie gackerte lauthals und klebte sich wieder an Isabelle und Manuela. Alle drei steckten ihre Köpfe zusammen und kicherten und tuschelten und verfolgten jede meiner Bewegungen mit ihren geschminkten Augen. Ich wandte mich ab und blickte aus dem Fenster, um die blöden Tränen, die bei mir viel zu leicht flossen, zu verbergen.

Ich drehte mich erst wieder um, als die Jungs mit ihren saudämlichen Sprüchen anfingen. Der große, bullige André und seine beiden Kumpel Dani und Ronny formierten sich um Patrik und zogen immer engere Kreise um ihn, wie Geier um ihre Beute. André war ein Koloss von einsfünfundachtzig und Schuhgröße 45, und er liebte es, schwächere Mitschüler zu terrorisieren.

Patrik tat mir total leid. Nicht nur, dass er klein und dick war; er stotterte auch ziemlich beim Reden. Obwohl er ein Jahr jünger war als wir anderen, hatte er am meisten Grütze im Hirn, weil er Bücher geradezu verschlang. Im Rechnen war er unschlagbar. Dafür musste er im Sport hart büßen, weil er wegen seiner Statur die einfachsten Dinge nicht schaffte.

«So, Fettwanst!» pöbelte ihn André an. «Rück mal deine Mathe-Aufgaben raus! Na, mach schon! Wo sind sie?»

«I-in meiner Sch-schultasche!» flüsterte Patrik gequält.

«Hoho!» Dani hob Patriks Schulranzen auf und schüttete den ganzen Inhalt einfach auf den Boden.

«Ah, da haben wir's ja!» Er hob ein blaues Heft mit dem sorgsam aufgeklebten Bild einer Lufthansa-Maschine auf und schleuderte es mit einer solcher Wucht auf sein Pult, dass es auf der andern Seite wieder hinunterflatterte. Patrik ließ alles mit gesenktem Blick über sich ergehen.

«Hey, du fetter Pilot! Das Flugzeug wird bei deinem Gewicht ja abstürzen!» höhnte André, der mit seinen hünenhaften Körpermaßen bestimmt einiges schwerer war als Patrik. Aber sein Spatzenhirn kapierte das nicht.

Ich kochte vor Wut. Ich hätte nie den Mut gehabt, mich da einzumischen. Frau Galiani hatte Patrik ziemlich deutlich klargemacht, dass er sich selber wehren müsste, weil das niemand anders für ihn tun könnte. Sie hatte sich viel Zeit für ihn genommen und ihn in Selbsthilfegruppen geschickt, um sein Selbstbewusstsein zu stärken. Aber Patrik hatte ja keinen Vater, der ihm gezeigt hätte, wie man sich als Mann behauptete. Der war kurz nach seiner Geburt bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Und Patrik war nun mal keine Kämpfernatur, sondern die gutmütigste Seele, die auf diesem Planeten rumlief.

Endlich machte die Klingel diesem grausamen Terror ein Ende. Patrik schniefte und stolperte durchs Zimmer, um seine verstreuten Schulsachen aufzusammeln. Ich schenkte ihm ein unauffälliges Lächeln, doch er sah mich nicht.

Es folgten Mathe und Englisch und danach die große Pause. Ich wanderte lustlos auf den Schulhof. Dort setzte ich mich auf die Mauer neben der alten Linde, wo ich immer saß und die Pausen allein zubrachte. Niemand außer mir war allein. Alle fanden irgendwie den Anschluss an eine Gruppe und hingen zusammen rum und lachten und grölten und redeten. Ich hatte es oft versucht – früher. Ich hatte versucht, mich ihnen anzuschließen, aber immer, wenn ich in ihre Nähe kam, schien sich eine unsichtbare Mauer um die Clique aufzubauen, die ich nicht durchdringen konnte.

So verbrachte ich meine Zeit damit, die Grüppchen zu studieren, und wusste bald auswendig, wer immer mit wem zusammen war. Es gab nur ein einziges Mädchen, das ich auch oft allein sah, und das war Janet Bonaventura. Sie war berühmt, weil sie ständig irgendwelchen Ärger verursachte, und niemand traute sich in ihre Nähe. Aber sie wollte wohl auch niemanden an sich ranlassen. Es hieß, dass sie außerhalb der Schule eine Bande anführte, mit Drogen dealte und Einbrüche verübte. Andere Gerüchte sagten sogar, dass sie eine Hexe sei. Ihre grünen Katzenaugen streiften lauernd über den Pausenhof, und mir war klar, dass sie ebenso intensiv beobachtete wie ich, wenn auch aus ganz anderen Gründen.

Ich wäre vielleicht für immer «unsichtbar» geblieben und hätte so wenigstens meinen Frieden gehabt, wenn nicht eines Tages die Sache mit der Bibel passiert wäre. Ich hatte gedacht, wenn ich die Bibel mit in die Schule nähme, würde Gott immer ganz nah bei mir sein. Es war ein kleines Neues Testament, und es passte gut in meine Jackentasche. Wenn ich einsam durch den Pausenhof wanderte, fasste ich in die Jackentasche und spürte den weichen ledernen Buchumschlag. Aber eines Tages hatte André mir meine Jacke geklaut und quer durchs ganze Zimmer geschleudert, und dabei war die Bibel zu Boden geflattert und hatte alle Blicke auf sich gezogen.

Und von da an war ich die Komische, die Fromme, die einfach nirgends dazupasste. Ich traute mich seither nicht mehr, die Bibel mit zur Schule zu nehmen, obwohl ich nicht verstehen konnte, warum andere Mädchen, die einen Talisman trugen oder sich wie verrückt mit Horoskopen beschäftigten, respektiert wurden. Oder Ronny, der leidenschaftlich an Außerirdische glaubte und von nichts anderem als seinem «Krieg der Sterne» erzählte und sich dauernd einbildete, UFOs am Himmel zu sehen. Das war doch auch ziemlich abgedreht, oder?

Am Ende der fünften Stunde überraschte uns Frau Galiani mit einer sensationellen Neuigkeit: «Morgen kommt ein neuer Schüler in eure Klasse. Er war vorher an der Leonhardt-Schule und wird hierher ein Jahr zurückgestuft!»

Ihre Worte gingen in einer aufbrausenden Woge von Gejohle und der schrillen Schulglocke unter.

«Hey, Mädels, habt ihr das gehört? Wir kriegen Zuwachs!» rief Delia begeistert und trommelte mit den Händen auf den Tisch. «Mensch, einen süßen Typen könnten wir prima gebrauchen! Wir haben ja nur diese Milchbubis hier!»

André warf ihr einen grollenden Blick zu, und ich hätte sie am liebsten am Kragen gepackt und gegen die Wandtafel geknallt, mitten in die Jahreszahlen des Zweiten Weltkriegs hinein, so dass ihr hübsches Gesicht hinterher so richtig kreidebeschmiert war. Ich hoffte mit aller Leidenschaft, dass der Neue potthässlich sein würde, am besten mit einem total lächerlichen Namen wie Karlheinz Krähenbühl!

«Na, du Heilige, was glotzt du so?» Delia stemmte forsch ihre Hände in die Hüfte und pustete mir mitten ins Gesicht. «So wie du aussiehst, wird der Neue bestimmt gleich das große Kotzen kriegen!»

«Ha! Ha! Ha! Bestimmt heißt er Karlheinz Krähenbühl!» erwiderte ich ungeschickt und verhaspelte mich am Ende des Satzes. Delia, Isabelle und Manuela sahen sich amüsiert an und lachten dann schallend los.

«Habt ihr das gehört? Karlheinz Krähenwas?»

«Gott, wie niedlich!»

«Ach, du armes Mädchen, plagt dich etwa der Neid, weil du so bescheuert aussiehst, dass du nie einen Boy abkriegen wirst?» Delias Stimme triefte vor Spott. Manuela und Isabelle kicherten und warfen arrogant ihre Haare zurück. Da verpuffte das kleine bisschen Mut wieder, und ich ließ geschlagen den Kopf hängen. Die drei Tussis johlten laut und triumphierend auf und staksten mit schwingenden Hüften und erhobenen Köpfen aus dem Raum. Traurig und wütend blickte ich ihnen nach. Warum endete es bloß immer eins zu null für diese doofen Hühner?

2. Die Laterne im Wald

Mein Zuhause lag nur fünfzehn Minuten von der Schule entfernt in einem der exklusiveren Wohnviertel der Stadt. Unsere Straße war grün und sonnig und mit schönen Magnolien gesäumt. Ich wohnte in einem großen weißen Haus mit einem wunderschön gepflegten Garten. Der war Mamas Werk. Direkt neben unserem Haus lag Papas Arztpraxis. Sie war bekannt und meistens so ausgebucht, dass Paps kaum noch neue Patienten aufnehmen konnte. Doktor Fischer war den meisten Leuten ein Begriff, weil mein Vater schon ein paar Mal im Fernsehen und im Radio gesprochen hatte. Ab und zu erschien auch ein Zeitungsartikel von ihm in irgendwelchen Gesundheits-Ratgebern. Mamas Theorie war, dass die andern Mädchen aus meiner Klasse neidisch auf mich waren, weil ich ein so privilegiertes Kind war, doch ich glaubte da nicht recht dran.

Mama war meistens schon am Kochen, wenn ich nach Hause kam. Ich kam in der Regel gut mit ihr klar. Sie erlaubte mir auch viel mehr als Paps. Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange, als ich in die Wohnung latschte und die Jacke über den Kleiderständer warf.

«Na, wie war die Schule, meine Große?»

«Oberdoof!»

Mama machte sich Sorgen um mich, weil ich mir in der Klasse keinen Respekt verschaffen konnte. Frau Galiani hatte auch mir eine dieser Selbsthilfegruppen anzudrehen versucht. Aber ich hatte mich bei dem Gedanken irgendwie lächerlich gefühlt. Selbsthilfegruppen, das war doch nur was für die absoluten Problemfälle, für Quadratverlierer. Und das war ich doch nicht!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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