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Von der internationalen Bestseller-Autorin von Daisy Jones & The Six und Die Sieben Männer der Evelyn Hugo Zwei Leben, zwei Lieben, eine Entscheidung. Was wäre wenn? Als Hannah in einer Bar in Los Angeles auf ihre Jugendliebe trifft, weiß sie noch nicht, dass die Entscheidung, die sie an diesem Abend trifft, ihr ganzes Leben verändern wird. Was, wenn sie die Nacht mit Ethan verbringen würde? Ist er derjenige, der für sie bestimmt ist? Oder sollte Hannahs Leben eigentlich ganz anders aussehen: mit Henry an ihrer Seite, der ihr nach einem schweren Unfall zeigt, worauf es wirklich ankommt? Hannah befindet sich plötzlich gleichzeitig in zwei unterschiedlichen Leben – aber wo wartet ihr Happy End? »Für alle, die auf der Suche nach der perfekten Strandlektüre sind ...Maybe in Another Life von Taylor Jenkins Reid.« ― The Purist »Unterhaltsam und unvorhersehbar; Reid liefert ein überzeugendes Argument für das Glück in jedem Leben.« ― Kirkus (starred review) Diese romantische Liebesgeschichte ist unter dem Titel Das Glück und wir dazwischen bei Diana erschienen.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Maybe In Another Life
TAYLOR JENKINS REID ist die internationale Bestsellerautorin u.a. von Die sieben Männer der Evelyn Hugo, Daisy Jones & The Six, Malibu Rising und Carrie Soto is Back. Ihre Romane sind millionenfach gelesen, in über zwanzig Sprachen übersetzt, verfilmt und stürmen zahlreiche Bestsellerlisten. Taylor Jenkins Reid lebt mit ihrer Familie in Los Angeles.
Von Taylor Jenkins Reid sind in unserem Haus außerdem erschienen:
Daisy Jones & The Six Die sieben Männer der Evelyn Hugo Carrie Soto is Back Malibu RisingForever,Interrupted
Zwei Leben, zwei Lieben, eine Entscheidung. Was wäre, wenn?Als Hannah in einer Bar in Los Angeles ihrer Jugendliebe wieder begegnet, weiß sie noch nicht, dass die Entscheidung, die sie an diesem Abend trifft, ihr ganz neue Wege eröffnen wird. Was, wenn sie die Nacht mit Ethan verbringen würde? Ist er der Mann, der für sie bestimmt ist? Oder sollte Hannahs Leben eigentlich ganz anders aussehen: mit Henry an ihrer Seite, der ihr nach einem schweren Unfall zeigt, worauf es wirklich ankommt? Hannah befindet sich plötzlich in zwei unterschiedlichen Leben – aber wo wartet ihr Happy End?»Für alle, die auf der Suche nach der perfekten Strandlektüre sind.« The Purist»Unterhaltsam und unvorhersehbar; Reid liefert ein überzeugendes Argument für das Glück in jedem Leben.« Kirkus Reviews
Taylor Jenkins Reid
Roman
Aus dem Englischen
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Neuausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage April 2025© Ullstein Buchverlage GmbH, Friedrichstraße 126, 10117 Berlin 2025
© 2015 by Taylor Jenkins Reid Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel Maybe in Another Life bei Washington Square Press.
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Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildungen: Palmen: © Denise Taylor / Getty Images; Kopf: © Noviembre Anita Vela / Getty Images; Körper: © Compassionate Eye Foundation / Getty Images; Bildrahmen: © FinePic®, MünchenFoto der Autorin: © Michael BucknerE-Book Konvertierung powered by pepyrusISBN 978-3-8437-3571-1
Dieses Buch ist 2017 unter dem Titel Das Glück und wir dazwischen bei Diana, München, erschienen.
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Titelei
Das Buch
Titelseite
Impressum
Nur gut, dass ich …
Als ich …
Als mich …
Ich zerre …
Also …
Also …
Drei Tage später
Ich
Ich …
Mein Vater …
Ethan
Aus
Ich
Deanna
Carl
Meine
Als
Gegen zwei Uhr mittags
Seit
Gleich
Ma’am
Ich
Was
Im
Ich
Henry
Ich
Gabby
Gabby
Am
Gabby
Wir
Ich
Später
Es
Zum
Als
Nach
Es
Henry
Gabby
Ich
An
Es
Drei Wochen später
Jetzt
Drei Monate später
Ich
Drei Jahre später
Gabby
Gabby
Danksagungen
Anhang
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Nur gut, dass ich …
Nur gut, dass ich einen Gangplatz gebucht habe, ich bin die Letzte, die das Flugzeug besteigt. Ich wusste schon, dass ich zu spät am Flughafen sein würde. Eigentlich komme ich immer zu spät, darum auch der Gangplatz. Ich hasse es, wenn die Leute aufstehen müssen, damit ich mich an ihnen vorbeidrängen kann. Deshalb gehe ich im Kino auch nie auf die Toilette, obwohl ich eigentlich jedes Mal muss.
So schnell ich kann, gehe ich den schmalen Gang hinunter, presse mein Handgepäck dicht an meinen Körper und versuche, dabei niemanden anzurempeln. Dennoch stoße ich an den Ellenbogen eines Mannes und entschuldige mich, obwohl er es anscheinend gar nicht registriert hat. Als ich allerdings eine Frau nur ganz leicht am Arm streife, durchbohrt sie mich mit ihren Blicken. Ich setze bereits zu einer Entschuldigung an, überlege es mir dann jedoch anders.
Problemlos finde ich meinen Platz; schließlich ist es der einzige, der noch unbesetzt ist.
Die Luft ist abgestanden, und es läuft leise Fahrstuhlmusik. Als die Gepäckfächer zugeschlagen werden, übertönt das Klacken die Gespräche um mich herum.
Ich setze mich und lächele der Frau neben mir zu. Sie ist älter als ich, etwas rundlich und hat kurz geschnittene grau melierte Haare. Nachdem ich meine Tasche vor mir verstaut habe, schließe ich den Sicherheitsgurt. Das Tablett ist hochgeklappt. Meine elektronischen Geräte sind ausgeschaltet. Mein Sitz befindet sich in aufrechter Position. Wenn man häufig zu spät kommt, weiß man, wie man die verlorene Zeit wieder aufholen kann.
Vor den Fenstern verladen dick vermummte Männer in neonfarbenen Jacken das Gepäck. Ich freue mich, dass ich in wärmere Gefilde fliege, und nehme das Board-Magazin zur Hand.
Schon bald höre ich das Donnern der Turbinen und spüre, wie sich die Räder unter uns in Bewegung setzen. Als wir uns in die Luft erheben, umklammert meine Sitznachbarin angstvoll die Armlehnen.
Mir macht Fliegen keine Angst. Ich habe Angst vor Haien und vor Orkanen. Und davor, fälschlicherweise verhaftet zu werden. Und ich habe Angst, im Leben nie etwas Bedeutsames zustande zu bringen. Aber keine Angst vorm Fliegen.
Ihre Knöchel sind weiß vor Anspannung.
Ich stecke das Magazin zurück in die Tasche. »Sie fliegen wohl nicht oft?«, frage ich sie. Mir hilft es in solchen Situationen immer, wenn ich mit jemandem reden kann. Wenn es ihr auch hilft, ist es das Mindeste, das ich tun kann.
Während wir weiter in die Höhe steigen, wendet die Frau sich mir zu. »Leider nein«, antwortet sie mit einem gequälten Lächeln. »Ich verlasse New York nur selten und fliege zum ersten Mal nach Los Angeles.«
»Vielleicht beruhigt es Sie, dass ich ziemlich viel fliege. Eigentlich sind bei einem Flug nur Start und Landung unangenehm. Vor uns liegen noch drei Minuten vom ersten Teil, und die letzten fünf Minuten können auch noch einmal etwas anstrengend werden. Was den Rest dazwischen angeht, könnten Sie genauso gut im Bus sitzen. Also nur noch acht unangenehme Minuten insgesamt, dann sind Sie in Kalifornien.«
Das Flugzeug steigt so steil nach oben, dass eine lose Wasserflasche den Gang hinunterrollt.
»Acht Minuten? Das ist alles?«, fragt sie.
»Das ist alles«, bestätige ich. »Sind Sie aus New York?« Sie nickt. »Und Sie?«
Ich zucke die Schultern. »Ich habe in New York gewohnt, aber jetzt ziehe ich zurück nach L.A.«
Als wir durch die Wolken fliegen, sackt das Flugzeug plötzlich in ein Luftloch und fängt sich wieder. Meine Nachbarin schnappt nach Luft. Ich muss zugeben, dass auch mir etwas mulmig ist.
»Aber ich war nur neun Monate in New York.« Je mehr ich rede, desto weniger kann sie auf die Turbulenzen achten. »Ich bin in den letzten Jahren häufig umgezogen. Erst habe ich in Boston studiert, dann bin ich nach Washington gegangen, anschließend nach Portland in Oregon und von dort nach Seattle. Dann nach Austin, Texas, und schließlich nach New York. Die Stadt, in der Träume wahr werden. Allerdings nicht für mich. Ich bin in Los Angeles aufgewachsen. Man könnte sagen, ich gehe dorthin zurück, wo ich herkomme, aber ich weiß nicht, ob ich die Stadt als meine Heimat bezeichnen würde.«
»Wo lebt Ihre Familie?«, erkundigt sie sich. Sie klingt angespannt und hat den Blick nach vorn gerichtet.
»Als ich sechzehn war, ist meine Familie nach London gezogen. Meine jüngere Schwester, Sarah, war an der Royal Ballet School angenommen worden. Diese Chance konnten sie sich nicht entgehen lassen. Ich bin in L.A. geblieben und habe dort die Schule beendet.«
»Haben Sie dann dort allein gewohnt?« Die Ablenkung funktioniert.
»Bis zum Abschluss der Highschool habe ich bei der Familie meiner besten Freundin gelebt. Dann bin ich aufs College gegangen.«
Das Flugzeug stabilisiert sich, und als der Kapitän die Flughöhe verkündet, löst meine Nachbarin die Hände von den Armlehnen und atmet tief durch.
»Sehen Sie?«, sage ich. »Genau wie im Bus.«
»Danke«, erwidert sie.
»Gern.«
Sie blickt aus dem Fenster, und ich hole wieder das Magazin hervor. Da dreht sie sich erneut zu mir um. »Warum ziehen Sie so häufig um? Ist das nicht anstrengend?«, fragt sie, maßregelt sich jedoch sofort. »Na, höre sich das einer an. Kaum hyperventiliere ich nicht mehr, spiele ich mich auf, als wäre ich Ihre Mutter.«
Sie lacht, und ich falle in ihr Lachen mit ein. »Nein, das ist schon okay. Ich mache das nicht mit Absicht, ich habe mich nicht bewusst für ein Nomadenleben entschieden. Obwohl ich jedes Mal aus eigenem Antrieb umgezogen bin. Nach einiger Zeit stellt sich bei mir immer das Gefühl ein, dass ich dort, wo ich gerade bin, nicht hingehöre. Und dann habe ich jedes Mal die Hoffnung, dass es vielleicht irgendwo einen Ort gibt, an dem das anders ist. Ich glaube … Ich weiß nicht«, sage ich. Es fällt mir schwer, das zu erklären, vor allem jemandem, den ich kaum kenne.
Doch dann füge ich hinzu: »Ich habe mich noch nirgendwo zu Hause gefühlt.«
Sie blickt mich an und lächelt. »Das tut mir leid. Das muss schwer sein.«
Aus einem Impuls heraus zucke ich die Schultern. Ich tendiere stets dazu, das Negative zu ignorieren und mich auf das Positive zu konzentrieren.
Aber ich fühle mich momentan nicht gerade toll mit meinen Impulsen. Ich bin mir nicht sicher, ob sie mich dorthin bringen, wo ich hinwill.
Und weil ich meine Nachbarin nach diesem Flug nie wiedersehen werde, gehe ich noch einen Schritt weiter und gestehe ihr etwas, das ich mir erst vor Kurzem selbst eingestanden habe. »Manchmal befürchte ich, dass ich nie ein Zuhause finden werde.«
Flüchtig legt sie ihre Hand auf meine. »Das werden Sie«, sagt sie voller Zuversicht. »Sie sind doch noch jung. Sie haben noch viel Zeit.«
Ich frage mich, ob sie wohl weiß, dass ich neunundzwanzig bin, das aber jung findet, oder ob sie mich vielleicht jünger schätzt.
»Danke«, erwidere ich. Ich hole meine Kopfhörer aus der Tasche und setze sie auf.
»Vielleicht können wir in den fünf heiklen Minuten während der Landung über meine berufliche Situation sprechen. Auch ein schwieriges Thema«, sage ich lachend. »Das wird Sie auf jeden Fall ablenken.«
Sie lacht ebenfalls. »Sie würden mir einen großen Gefallen tun.«
Als ich aus dem Gate komme, hält Gabby ein Schild mit der Aufschrift »Hannah Marie Martin« hoch, als ob ich sie nicht wiedererkennen würde oder nicht wüsste, dass sie mich abholt.
Ich gehe schnell auf sie zu, und als ich näher komme, erkenne ich, dass sie neben meinen Namen ein Bild von mir gezeichnet hat. Die Zeichnung ist einfach, aber gar nicht schlecht. Ihre Hannah hat große Augen und lange Wimpern, eine winzige Nase und einen Strich als Mund. Die Haare sind zu einem dramatischen Dutt aufgetürmt, und das einzig Bemerkenswerte an meinem Strichmännchenkörper ist ein überdimensional großer Busen.
Das entspricht nicht unbedingt dem Bild, das ich selbst von mir habe. Aber zugegeben, für eine Karikatur sind der große Busen und der hohe Dutt meine hervorstechenden Merkmale. So wie bei Mickey Mouse die runden Ohren und die Handschuhe oder bei Michael Jackson die weißen Socken und die schwarzen Slipper.
Lieber wäre mir, sie hätte mich mit meinen dunkelbraunen Haaren und meinen hellgrünen Augen dargestellt, aber ich weiß schon, dass das mit den Farben bei einer Kugelschreiberzeichnung etwas schwierig ist.
Auch wenn ich Gabby seit ihrer Hochzeit vor zwei Jahren nicht mehr besucht habe, habe ich sie jeden Sonntagmorgen gesehen. Wir videochatten – egal, was wir an dem Tag sonst noch vorhaben oder wie verkatert eine von uns auch sein mag. In gewisser Weise ist das die verlässlichste Sache in meinem Leben.
Gabby ist klein und zierlich, an ihr ist kein Gramm Fett zu viel. Ihre Haare sind zu einem kurzen Bob geschnitten. Als ich sie umarme, fällt mir wieder auf, wie seltsam es ist, jemanden zu umarmen, der so viel kleiner ist als ich, und wie unterschiedlich wir zwei aussehen: Ich bin groß, kurvig und weiß. Sie ist klein, dünn und schwarz.
Sie ist kein bisschen geschminkt und dennoch die hübscheste Frau unter allen Anwesenden. Das sage ich ihr allerdings nicht, weil ich schon weiß, was sie dann antworten wird. Dass das unwichtig sei. Dass wir uns gegenseitig keine Komplimente zu unserem Aussehen machen oder darum konkurrieren sollten, wer die Hübschere sei. Sie hat recht, also behalte ich es für mich.
Ich kenne Gabby, seit wir vierzehn Jahre alt waren und am ersten Tag auf der Highschool im Erdkundeunterricht nebeneinandersaßen. Schon bald waren wir unzertrennlich. Wir waren Gabby und Hannah, Hannah und Gabby, nur selten wurde der eine Name ohne den anderen genannt.
Als meine Familie nach London ging, zog ich bei ihr und ihren Eltern, Carl und Tina, ein. Sie behandelten mich wie ihre eigene Tochter. Halfen mir bei den Bewerbungen fürs College, sorgten dafür, dass ich meine Hausaufgaben machte, und verordneten mir auch mal Hausarrest. Carl wollte mich davon überzeugen, den Arztberuf zu ergreifen, so wie er und sein Vater. Er wusste damals schon, dass Gabby nicht in seine Fußstapfen treten würde, weil sie bereits vorhatte, in die Politik zu gehen. Ich glaube, Carl sah in mir seine letzte Chance. Tina dagegen ermunterte mich, meinen eigenen Weg zu finden. Leider weiß ich immer noch nicht genau, wie dieser Weg aussieht. Doch damals war ich davon überzeugt, dass sich alles finden würde, dass sich die großen Dinge im Leben von alleine regeln.
Nachdem wir aufs College gegangen waren – Gabby nach Chicago, ich nach Boston –, telefonierten wir zwar ständig miteinander, fingen jedoch beide an, ein eigenes Leben zu führen. Im ersten Collegejahr freundete Gabby sich mit einer anderen schwarzen Studentin namens Vanessa an. Gabby berichtete mir von ihren Shopping-Touren ins nahe gelegene Einkaufszentrum und von den Partys, die sie besuchten. Ich müsste lügen, würde ich behaupten, ich wäre damals nicht etwas beunruhigt gewesen, dass Vanessa Gabby näherkommen würde, als ich es je könnte. Schließlich teilte Vanessa etwas mit Gabby, was ich nie mit ihr teilen konnte.
Einmal habe ich Gabby am Telefon sogar darauf angesprochen. Ich lag im Wohnheim auf meinem XL-Bett, und das Telefon war schon ganz heiß und feucht von unserem stundenlangen Gespräch.
»Hast du das Gefühl, dass Vanessa dich besser versteht als ich?«, fragte ich sie. »Weil ihr beide schwarz seid?« Kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, schämte ich mich bereits dafür. In meinem Kopf hatte sie vernünftig geklungen, doch laut ausgesprochen klang sie völlig absurd.
Wenn Worte Dinge wären, hätte ich sie in der Luft abgefangen und zurück in meinen Mund geschoben.
Gabby lachte mich aus. »Findest du, dass Weiße dich besser verstehen, nur weil ihr weiß seid?«
»Nein«, antwortete ich. »Natürlich nicht.«
»Also sei still«, sagte Gabby.
Und das war ich. Wenn ich eins an Gabby liebe, dann, dass sie immer weiß, wann ich den Mund halten sollte. Sie ist tatsächlich der einzige Mensch, der mir häufig beweist, dass sie mich besser kennt als ich mich selbst.
»Lass mich raten«, sagte sie jetzt, während sie mir mit vollendeter Höflichkeit das Handgepäck abnimmt. »Wir brauchen einen Gepäckwagen für all dein Zeug.«
Ich lache. »Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich gerade von der anderen Seite des Landes hierherziehe«, erwidere ich.
Ich habe schon vor einiger Zeit aufgehört, mir Möbel oder größere Gegenstände zu kaufen, stattdessen miete ich möblierte Wohnungen. Nach ein oder zwei Umzügen hat man begriffen, dass es Zeit- und Geldverschwendung ist, ein IKEA-Bett aufzubauen, um es sechs Monate später wieder auseinanderzubauen und für fünfzig Dollar zu verkaufen. Dennoch besitze ich noch ein paar Dinge, und einige davon haben schon diverse Umzüge überlebt. Ohne sie würde ich mich unvollständig fühlen.
»Ich wette, da sind mindestens vier Flaschen Orange-Ingwer-Bodylotion drin«, bemerkt Gabby, während sie eine meiner Taschen vom Gepäckband hievt.
Kopfschüttelnd erwidere ich: »Nur eine. Allmählich wird sie knapp.«
Ungefähr zu der Zeit, als wir uns kennenlernten, habe ich angefangen, Bodylotion zu benutzen. Wir sind zusammen ins Einkaufszentrum gegangen und haben in diversen Läden an all den Flaschen gerochen. Doch jedes Mal habe ich wieder dieselbe Sorte gekauft: Orange-Ingwer. Irgendwann hatte ich sieben Flaschen von dem Zeug gelagert.
Wir zerren meine restlichen Taschen vom Band, packen sie eine nach der anderen auf den Gepäckwagen und schieben ihn mit all unserer Kraft gemeinsam über das Flughafengelände ins Parkhaus. Dort verfrachten wir das Gepäck in Gabbys winziges Auto und steigen ein.
Während sie den Wagen aus der Garage manövriert und über die Straßen zum Freeway lenkt, plaudern wir ein bisschen. Sie fragt mich, wie mein Flug war und wie es sich angefühlt hat, New York zu verlassen. Sie entschuldigt sich für ihr kleines Gästezimmer. Ich sage, sie solle nicht albern sein, und bedanke mich noch mal, dass sie mich bei sich wohnen lässt.
Mir entgeht nicht, dass sich die Geschichte wiederholt. Mehr als ein Jahrzehnt später wohne ich erneut bei Gabby im Gästezimmer. Immer noch treibt es mich von einem Ort zum nächsten, und immer noch kann ich mich auf die Gastfreundschaft von Gabby und ihrer Familie verlassen. Diesmal sind es Gabby und ihr Mann Mark, die mich bei sich aufnehmen. Das unterstreicht den Unterschied zwischen uns beiden nur noch stärker: Gabbys Lebensumstände haben sich, seitdem wir uns kennen, stark verändert, meine überhaupt nicht. Gabby arbeitet als Entwicklungsbeauftragte in einer Non-Profit-Organisation, die sich um gefährdete Teenager kümmert. Ich bin Kellnerin. Und noch dazu keine besonders gute.
Als das Auto über den Freeway saust und das Fahren nicht länger Gabbys ganze Aufmerksamkeit erfordert – oder vielleicht auch, als sie so schnell fährt, dass ich nicht mehr aus dem Wagen springen kann –, fragt sie mich, was ihr seit unserer Begrüßung unter den Nägeln brennt: »Was ist denn eigentlich passiert? Hast du ihm gesagt, dass du weggehst?«
Ich seufze vernehmlich und blicke aus dem Fenster. »Ich habe ihm gesagt, dass ich keinen Kontakt mehr zu ihm will«, antworte ich. »Dass ich ihn nie mehr wiedersehen will. Daher finde ich, dass er nicht wissen muss, wo ich lebe.«
Gabby hält den Blick auf die Straße gerichtet, doch sie nickt. Sie ist zufrieden mit mir.
Ich brauche jetzt ihre Unterstützung. Vermutlich ist ihre Meinung über mich derzeit verlässlicher als meine eigene. Und obwohl ich weiß, dass Gabby mich immer lieben wird, ist mir klar, dass ich ihre bedingungslose Loyalität in letzter Zeit auf eine harte Probe gestellt habe.
Vor allem deshalb, weil ich mit einem verheirateten Mann geschlafen habe.
Anfangs wusste ich nicht, dass er verheiratet ist. Und aus irgendeinem Grund dachte ich, dann wäre es okay. Er hat mir nie gestanden, dass er verheiratet ist. Er hat nie einen Ehering getragen und hatte noch nicht einmal einen hellen Streifen am Ringfinger, wie das in Zeitschriften von verheirateten Männern behauptet wird. Er war ein Lügner. Und ein guter noch dazu. Obwohl ich die Wahrheit ahnte, dachte ich irgendwie, solange er es nicht zugibt, träfe mich auch keine Schuld.
Zum ersten Mal schwante mir, dass etwas nicht stimmt, als er sechs Tage lang nicht auf meine Anrufe reagierte. Als er sich dann schließlich meldete, tat er so, als wäre nichts Ungewöhnliches geschehen. Als er nicht wollte, dass ich sein Telefon benutze, vermutete ich, dahinter stecke eine andere Frau. Dass in Wahrheit ich die andere Frau war, begriff ich erst, als wir in einem Restaurant in SoHo einem seiner Kollegen begegneten. Anstatt mich dem Mann vorzustellen, sagte Michael, ich hätte etwas zwischen den Zähnen und solle zur Toilette gehen, um es zu entfernen. Ich ging zur Toilette. Und fand nichts. Ehrlich gesagt fiel es mir schwer, mich mehr als ein paar Sekunden im Spiegel anzusehen, ehe ich wieder zurückging und so tat, als hätte ich das Spiel noch nicht durchschaut.
Natürlich wusste Gabby über die ganze Sache Bescheid. Ihr gestand ich alles immer dann, wenn ich es mir selbst eingestehen konnte.
»Ich glaube, er ist verheiratet«, hatte ich ihr vor ungefähr einem Monat eröffnet. Noch im Pyjama saß ich im Bett, sprach über mein Laptop mit ihr und steckte dabei meinen Dutt fest.
Ich konnte sehen, wie Gabby die pixelige Stirn in Falten legte. »Das habe ich dir doch gesagt«, erwiderte sie etwas ungeduldig. »Vor drei Wochen schon. Ich habe dir gesagt, dass du die Sache beenden musst. Das ist nicht in Ordnung. Er ist der Ehemann einer anderen. Und du darfst einem Mann nicht erlauben, dich wie eine Gespielin zu behandeln. All das habe ich dir bereits gesagt.«
»Ich weiß, aber ich habe wirklich nicht geglaubt, dass er verheiratet ist. Ich dachte, das würde er mir doch bestimmt erzählen. Und ich werde ihn auch nicht darauf ansprechen. Das wäre doch ziemlich verletzend für ihn, oder?« So lautete meine Begründung. Ich wollte ihn nicht verletzen.
»Du musst diesen Mist beenden, Hannah. Ich meine es ernst. Du bist ein wunderbarer Mensch und hast einiges zu bieten. Aber so etwas ist einfach nicht richtig. Und das weißt du auch.«
Ich hörte ihr zu. Und dann schlug ich ihre Ratschläge in den Wind. Als wären sie für jemand anderen bestimmt und würden mich nichts angehen.
»Nein«, sagte ich und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, du siehst das falsch. Michael und ich haben uns an einem Mittwochabend in einer Bar in Bushwick kennengelernt. Ich bin sonst nie in Bushwick. Und ich gehe mittwochs eigentlich so gut wie nie aus. Und er auch nicht! Wie wahrscheinlich war es also, dass wir uns überhaupt begegnen? Dass zwei Menschen auf diese Weise zusammentreffen?«
»Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?«
»Warum nicht? Ich rede von Schicksal. Ehrlich. Angenommen, er wäre wirklich verheiratet …«
»Das ist er.«
»Das wissen wir nicht. Aber nehmen wir an, er ist es.«
»Er ist verheiratet.«
»Nehmen wir an, er ist es. Das bedeutet noch lange nicht, dass wir nicht füreinander bestimmt sind. Nach allem, was wir wissen, folge ich nur dem natürlichen Lauf des Schicksals. Vielleicht ist er verheiratet, und es ist doch okay, weil es eben so sein sollte.«
Mir war klar, dass Gabby enttäuscht von mir war. Das sah ich an ihren zusammengezogenen Brauen und daran, wie sie den Mund verzog.
»Hör zu, ich weiß noch nicht einmal, ob er verheiratet ist.« Doch, das wusste ich. Ich wusste es ganz genau. Und weil ich es wusste, musste ich mich mit allen Mitteln zur Wehr setzen. Darum sagte ich: »Weißt du, Gabby, selbst wenn er verheiratet ist, heißt das nicht, dass ich nicht besser für ihn bin als diese andere Frau. In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt.«
Zwei Wochen später fand seine Frau heraus, dass wir eine Affäre hatten, und rief mich schreiend an.
Es sei nicht das erste Mal.
Sie habe ihn bereits zweimal mit einer anderen erwischt.
Und ob ich wisse, dass sie zwei Kinder hatten? Das hatte ich nicht gewusst.
Es ist ziemlich leicht, sich etwas zurechtzulegen, wenn man die Gesichter und die Namen der Menschen, die man durch sein Tun womöglich verletzt, nicht kennt. Solange der andere ein abstraktes Wesen ist, ist es leicht, nur an sich selbst zu denken.
Vermutlich habe ich deshalb absichtlich alles im Unklaren gelassen.
Ich hatte das »Ja, aber«-Spiel gespielt. Das »Das wissen wir doch nicht genau«-Spiel. Das »Selbst wenn es so wäre«-Spiel. Ich hatte die Wahrheit durch mein eigenes schmales Objektiv betrachtet, das nur einen kleinen, rosa gefärbten Ausschnitt zeigte.
Und dann war das Objektiv plötzlich weg, und ich erkannte in hartem Schwarz-Weiß, was ich getan hatte.
Spielt es eine Rolle, dass ich mich anständig verhielt, sobald ich die Wahrheit wusste? Dass ich, nachdem ich die Stimme seiner Frau gehört hatte und die Namen seiner Kinder kannte, nie wieder mit ihm sprach?
Spielt es eine Rolle, dass ich meine Schuld einsehe und dass ich mein Handeln zutiefst bereue? Dass ich mich mit einem kleinen Teil meiner selbst dafür hasse, dass ich die Wahrheit bewusst ignoriert habe, um mich zu rechtfertigen?
Gabby findet schon, dass es eine Rolle spielt. Sie meint, dadurch hätte ich meinen Fehler wiedergutgemacht. Ich selbst bin mir allerdings nicht so sicher.
Nachdem Michael aus meinem Leben verschwunden war, realisierte ich, dass mich in New York sonst nicht viel hielt. Der Winter war hart und kalt und verstärkte mein Gefühl, dass ich in der Millionenstadt allein war. In der ersten Woche, nachdem ich mit Michael Schluss gemacht hatte, rief ich mehrfach bei meinen Eltern und meiner Schwester Sarah an. Nicht, um mit ihnen über meine Probleme zu sprechen, sondern um eine freundliche Stimme zu hören. Häufig landete ich auf der Mailbox, doch üblicherweise riefen sie dann zurück. Ich wusste nie genau, wann ich sie erreichen konnte. Und durch den Zeitunterschied blieb uns häufig nur eine kurze Zeitspanne, um miteinander zu sprechen.
Letzte Woche kam dann einiges zusammen. Das Mädchen, deren Wohnung ich gemietet hatte, teilte mir mit, sie brauche sie in zwei Wochen wieder selbst. Mein Chef baggerte mich an und deutete an, dass Frauen, die Dekolleté zeigten, bessere Schichten bekämen. Dann steckte ich eine Stunde und fünfundvierzig Minuten in der U-Bahn fest, weil in Bowling Green ein Zug liegen geblieben war. Und ständig rief Michael an und hinterließ Nachrichten auf meiner Mailbox. Er könne mir alles erklären und habe vor, seine Frau für mich zu verlassen. Peinlicherweise muss ich zugeben, dass es mir dadurch besser ging, auch wenn ich mich zugleich absolut schrecklich fühlte.
Schließlich rief ich Gabby an. Und weinte. Ich gestand ihr, dass es viel schwieriger war, in New York zu leben, als ich bislang immer behauptet hatte. Dass es nicht funktionierte, dass mein Leben sich nicht so fügte, wie ich es mir vorgestellt hatte. Und ich erklärte ihr, ich müsse umziehen.
Da sagte sie: »Komm doch nach Hause.«
Ich brauchte einen kurzen Moment, um zu begreifen, dass sie damit meinte, ich sollte zurück nach Los Angeles ziehen. Schon lange sah ich meine Heimatstadt nicht mehr als mein Zuhause an.
»Nach L.A.?«, fragte ich.
»Ja«, bestätigte sie. »Komm nach Hause.«
»Du weißt aber schon, dass Ethan auch dort wohnt?«, sagte ich. »Er ist vor ein paar Jahren zurückgekommen, glaube ich.«
»Dann triffst du dich eben mit ihm«, meinte Gabby. »Es wäre schließlich nicht das Schlimmste, was dir passieren könnte, wieder mit einem anständigen Typen zusammen zu sein.«
»Dort ist es wärmer«, überlegte ich und blickte aus meinem winzigen Fenster auf den schmutzigen Schnee unten auf der Straße.
»Neulich hatten wir zweiundzwanzig Grad«, bestätigte sie.
»Ein Umzug löst zwar nicht das eigentliche Problem«, erkannte ich womöglich zum ersten Mal in meinem Leben.
»Aber ich brauche einfach eine Luftveränderung.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Komm her, in die hiesige Luft.«
Zum ersten Mal seit langer Zeit kam mir etwas wirklich sinnvoll vor.
Und jetzt drückt Gabby einen Augenblick lang meine Hand, ohne den Blick von der Straße zu wenden. »Ich bin stolz auf dich, weil du dein Leben in die Hand nimmst. Dass du heute Morgen in dieses Flugzeug gestiegen bist, heißt, dass du dein Leben wieder in den Griff bekommst.«
»Meinst du?«, frage ich.
Sie nickt. »Ich glaube, Los Angeles wird dir guttun. Meinst du nicht? Zu deinen Wurzeln zurückzukehren. Es ist ein Verbrechen, dass wir so lange so weit voneinander entfernt gelebt haben. Du machst dieser Schande ein Ende.«
Ich lache und bemühe mich, den Umzug als Sieg und nicht als Niederlage zu betrachten.
Schließlich biegen wir in eine steile Straße ein, und Gabby parkt den Wagen am Straßenrand vor einer Wohnanlage.
Gabby und Mark haben sich letztes Jahr ein Townhouse gekauft. Ich halte Ausschau nach der Hausnummer vier. Auch wenn ich noch nie hier war, habe ich in den letzten Monaten schon diverse Karten, Selbstgebackenes und Geschenke für Gabby hergeschickt. Von daher kenne ich die Adresse gut. Gerade, als ich im Abendlicht die richtige Tür entdecke, tritt Mark heraus.
Mark ist ein großer Mann mit einem kräftigen Körperbau, der auf konventionelle Weise gut und männlich aussieht. Ich hatte immer eine Schwäche für Typen mit hübschen Augen und einem Bartschatten, und ich dachte eigentlich, Gabby auch. Doch dann ist sie bei Mark gelandet, dem Idealbild eines ordentlichen, zuverlässigen Mannes. Er ist der Typ, der aus gesundheitlichen Gründen ins Fitnesscenter geht. Das habe ich noch nie getan.
Ich öffne die Autotür und hole eine meiner Taschen heraus. Gabby greift sich eine andere, während Mark zu uns tritt. »Hannah!«, sagt er und umarmt mich herzlich.
»Wie schön, dich zu sehen.« Er greift sich die übrigen Taschen, dann gehen wir ins Haus. Ich blicke mich im Wohnzimmer um, es ist in Naturtönen gehalten und mit viel Holz ausgestattet. Brav, aber hübsch.
»Dein Zimmer ist oben«, erklärt Gabby, und zu dritt steigen wir eine schmale Treppe hinauf. Vom Flur führen Türen in ein großes und ein kleines Zimmer.
Gabby und Mark zeigen mir das Gästezimmer, und wir setzen die Taschen ab.
Das Zimmer ist klein, aber für mich groß genug. Neben einem Doppelbett mit einer dicken weißen Tagesdecke gibt es einen Schreibtisch und eine Kommode.
Es ist schon spät, bestimmt sind Gabby und Mark müde.
Darum will ich sie nicht lange aufhalten.
»Geht ihr zwei nur ins Bett«, sage ich. »Ich finde mich schon allein zurecht.«
»Bist du dir sicher?«, fragt Gabby. Ich beharre darauf.
Als Mark mich daraufhin umarmt und im Schlafzimmer verschwindet, meint Gabby, sie werde gleich nachkommen.
»Ich freue mich wirklich, dass du da bist«, sagt sie. »Immer, wenn du umgezogen bist, habe ich gehofft, dass du nach Hause zurückkommst. Zumindest für eine Weile. Ich hab dich gern in meiner Nähe.«
»Tja, da hast du mich.« Ich lächele. »Vielleicht näher, als du dir wünschst.«
»Sei nicht albern«, entgegnet sie. »Von mir aus kannst du in meinem Gästezimmer wohnen, bis wir beide neunzig sind.« Sie umarmt mich und geht ebenfalls ins Schlafzimmer. »Wenn du vor uns aufwachst, mach dir ruhig schon Kaffee.«
Nachdem die Schlafzimmertür zugegangen ist, nehme ich meinen Kulturbeutel und schlendere ins Bad.
Das Licht hier drin ist hell und unerbittlich; manche würden es auch als hart bezeichnen. Neben dem Waschbecken hängt ein Vergrößerungsspiegel. Als ich ihn zu mir heranziehe, stelle ich fest, dass ich mir die Brauen zupfen lassen muss. Insgesamt kann ich mich aber nicht beklagen. Doch als ich den Spiegel zurückschiebe, streift mein Blick von der Seite her mein linkes Auge.
Ich ziehe die Haut straff und versuche zu leugnen, was ich sehe. Dann lasse ich sie wieder los und untersuche die Stelle.
Ich bekomme die ersten Falten.
Ich habe weder eine Wohnung noch einen Job. Ich lebe nicht in einer festen Beziehung und kann noch nicht einmal eine Stadt als meine Heimat bezeichnen. Ich habe keine Ahnung, was ich mit meinem Leben anfangen will. Und trotzdem hat die Zeit mich eingeholt. Die Jahre, die ich mit diversen Jobs in verschiedenen Städten vertrödelt habe, zeichnen sich in meinem Gesicht ab.
Ich habe Falten.
Daraufhin schiebe ich den Spiegel fort, putze mir die Zähne, wasche mir das Gesicht und beschließe, mir eine Nachtcreme zuzulegen und künftig immer Sonnencreme zu benutzen. Dann schlage ich die Decke zurück und gehe ins Bett.
Mein Leben mag ein ziemliches Desaster sein. Vielleicht treffe ich auch nicht immer die besten Entscheidungen.
Aber ich werde nicht hier herumliegen, an die Decke starren und die ganze Nacht lang grübeln.
Stattdessen werde ich tief und fest schlafen und daran glauben, dass ich es morgen besser machen werde. Ja, morgen wird alles besser. Morgen werde ich mich um alles kümmern.
Morgen ist ein brandneuer Tag.
Als mich das Klingeln des Handys aufweckt, ist es hell und sonnig im Zimmer.
»Ethan!«, flüstere ich ins Telefon. »Es ist neun Uhr morgens. An einem Samstag!«
»Ja«, erwidert er, und seine heisere Stimme klingt durchs Telefon noch rauer. »Aber du bist noch auf Ostküstenzeit eingestellt. Für dich ist es schon zwölf. Du solltest aufstehen.«
Weiterhin im Flüsterton erwidere ich: »Na gut, aber Gabby und Mark schlafen noch.«
»Wann sehen wir uns?«, fragt er.
Ethan habe ich in der zehnten Klasse auf der Highschool kennengelernt. Auf einer Schulfeier.
Damals wohnte ich noch zu Hause bei meinen Eltern. Gabby hatte an jenem Abend eine Anfrage als Babysitterin und wollte den Job lieber annehmen, als tanzen zu gehen. Schließlich ging ich allein. Nicht etwa, weil ich das wirklich wollte, sondern weil mein Dad mich geärgert hatte, als er sagte, ich würde nie etwas ohne Gabby unternehmen. Ich wollte ihm eigentlich nur beweisen, dass er unrecht hatte.
Den Großteil des Abends lehnte ich an der Wand und schlug die Zeit tot, bis ich wieder heimgehen konnte. Ich langweilte mich derart, dass ich überlegte, Gabby anzurufen und sie zu überreden, nach dem Babysitten noch nachzukommen. Aber Jesse Flint tanzte den ganzen Abend eng umschlungen mit Jessica Campos. Und Gabby war in Jesse Flint verliebt, sie verzehrte sich seit Beginn der Highschool nach ihm. Das konnte ich ihr nicht antun.
Etwas später am Abend, als die Paare anfingen, in der spärlich beleuchteten Turnhalle zu knutschen, blickte ich zu der einzigen anderen Person hinüber, die ebenfalls an der Wand lehnte. Er war groß und dünn, hatte zerzauste Haare und trug ein zerknittertes Hemd. Seine Krawatte hing ihm locker um den Hals. Er sah mir in die Augen. Dann trat er auf mich zu und stellte sich vor.
»Ethan Hanover«, sagte er und streckte die Hand aus.
»Hannah Martin«, antwortete ich und ergriff sie.
Er ging auf einer anderen Schule in die elfte Klasse. Wie er berichtete, war er nur als Begleiter mitgekommen, um seiner Nachbarin, Katie Franklin, einen Gefallen zu tun. Ich kannte Katie ganz gut und wusste, dass sie lesbisch war, sich jedoch nicht traute, das ihren Eltern zu gestehen. Die ganze Schule wusste, dass sie und Teresa Hawkins mehr als nur Freundinnen waren. Darum nahm ich an, dass ich niemandem schadete, wenn ich ein bisschen mit dem Jungen flirtete, den sie zur Tarnung mitgebracht hatte.
Doch schon bald vergaß ich sowieso alles um uns herum. Als Katie schließlich kam und zu Ethan sagte, es sei Zeit zu gehen, hatte ich das Gefühl, sie würde mir etwas wegnehmen. Ich verspürte den Impuls, ihn festzuhalten und für mich zu beanspruchen.
Am nächsten Wochenende gab Ethan eine Party im Haus seiner Eltern und lud mich dazu ein. Normalerweise gingen Gabby und ich nicht auf große Partys, aber ich überredete sie mitzukommen. Kaum war ich durch die Tür, kam Ethan auch schon auf mich zu. Er fasste meine Hand und stellte mich seinen Freunden vor. Irgendwo unterwegs verlor ich Gabby aus den Augen.
Schon bald hatten Ethan und ich uns nach oben verzogen. Hüfte an Hüfte saßen wir auf der obersten Treppenstufe und sprachen über unsere Lieblingsbands. Dort, in der Dunkelheit, küsste er mich, während unter uns eine wilde Party tobte.
»Ich habe diese Party nur geplant, damit ich dich anrufen und einladen konnte«, meinte er. »Ist das albern?«
Ich schüttelte den Kopf und küsste ihn erneut.
Als Gabby mich ungefähr eine Stunde später fand, fühlten sich meine Lippen geschwollen an, und ich hatte einen Knutschfleck.
Eineinhalb Jahre später verloren wir miteinander unsere Unschuld. Es passierte in seinem Zimmer, seine Eltern waren verreist. Als ich unter ihm lag, sagte er mir, dass er mich liebte, und ständig fragte er mich, ob alles okay sei.
Manche Leute beschreiben ihr erstes Mal als lustiges oder jämmerliches Erlebnis. Meins war anders. Ich habe es mit einem Jungen erlebt, den ich liebte und der genauso wenig wie ich wusste, was wir da taten. Das erste Mal, als ich Sex hatte, habe ich Liebe gemacht. Aus diesem Grund hat Ethan immer einen Platz in meinem Herzen behalten. Und dann brach alles auseinander. Ethan erhielt einen Studienplatz an der Universität von Berkeley. Sarah wurde an der Königlichen Ballettschule aufgenommen, und meine Eltern packten ihre Sachen und zogen nach London. Ich zog zu den Hudsons. Und dann, an einem milden Augustmorgen, eine Woche bevor mein letztes Jahr an der Highschool begann, stieg Ethan in den Wagen seiner Eltern und zog in den Norden von Kalifornien.
Bis Ende Oktober hielten wir durch, dann machten wir Schluss. Damals versicherten wir uns gegenseitig, es läge nur am falschen Timing und an der Entfernung. Wir redeten uns ein, dass wir im Sommer wieder zusammenkommen würden. Alles bliebe beim Alten; wir seien Seelenverwandte.
Doch es war genauso wie bei all den anderen Trennungen, die sich in jedem Herbst auf jedem College ereignen. Ich überlegte, auf eine Uni in Boston oder New York zu gehen, weil ich von der Ostküste aus leichter nach London fliegen konnte. Als Ethan Weihnachten nach Hause kam, war ich mit einem Typen namens Chris Rodriguez zusammen. Als Ethan für die Sommerferien zurückkehrte, war er mit einer Alicia Foster zusammen.
Als ich schließlich zum Studium nach Boston ging, war unser Schicksal besiegelt.
Nun lagen mehr als dreitausend Meilen zwischen uns, und wir hatten nicht vor, daran etwas zu ändern.
Ethan und ich blieben locker in Kontakt – hier und da ein Telefonat, hin und wieder ein Tanz auf den Hochzeiten von gemeinsamen Freunden. Doch es bestand immer eine unausgesprochene Spannung zwischen uns. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass wir miteinander noch nicht fertig waren.
Immer noch, nach all diesen Jahren, strahlt er für mich heller als andere Menschen. Obwohl ich irgendwann über ihn hinweg war, ist das Feuer nie ganz erloschen. Es ist, als würde immer eine kleine Kontrolllampe leuchten – nicht alarmierend, aber beständig.
»Nach meinen Berechnungen bist du seit zwölf Stunden in der Stadt«, stellt Ethan fest. »Und ich lasse nicht zu, dass du weitere zwölf Stunden hier verbringst, ohne dass wir uns treffen.«
Ich lache. »Na, dann machen wir es kurz«, erwidere ich.
»Gabby meint, wir würden heute Abend in eine Bar in Hollywood gehen. Sie hat einen Haufen Leute eingeladen, von der Highschool und so. Sie nennt es eine Einzugsparty. Was keinen Sinn ergibt. Ich weiß auch nicht.«
Ethan lacht. »Schick mir eine SMS mit Zeit und Ort, und ich komme.«
»Toll. Das hört sich gut an.«
Ich will mich schon verabschieden, als erneut seine Stimme ertönt. »Hey, Hannah.«
»Ja?«
»Ich bin froh, dass du wieder da bist.«
Ich lache. »Tja, mir fiel keine neue Stadt mehr ein.«
»Ich weiß nicht«, erwidert er. »Ich denke eher, du bist endlich zur Vernunft gekommen.«
Ich zerre ein paar Sachen aus meinem Koffer und schleudere sie quer durchs Gästezimmer. »Ich schwöre euch, dass ich das später wieder aufräume«, versichere ich Gabby und Mark, die fertig angezogen in der Tür stehen. Sie sind schon seit mindestens zehn Minuten bereit zum Aufbruch.
»Das wird aber keine Modenschau«, bemerkt Gabby.
»Es ist mein erster Abend nach meiner Rückkehr«, erinnere ich sie. »Da will ich gut aussehen.«
Erst hatte ich eine schwarze Bluse mit schwarzen Jeans an, dazu lange Ohrringe und natürlich einen Dutt. Doch dann fiel mir ein, dass ich schließlich nicht mehr in New York bin. Das hier ist L.A. Heute Nachmittag hatte es draußen über fünfzehn Grad.
»Ich suche nur ein Trägertop«, erwidere ich und durchwühle die Kleidung, die ich im Zimmer verteilt habe. Als ich ein Trägertop finde, ziehe ich es über und schlüpfe in meine schwarzen Pumps. Dann blicke ich in den Spiegel und richte meinen Dutt. »Ich räume das ganz bestimmt nachher auf.«
Mark lacht. Er weiß, dass ich manchmal nicht ganz das tue, was ich sage. Als Gabby ihn gefragt hat, ob ich bei ihnen wohnen darf, hat sie ihn bestimmt gewarnt: »Wahrscheinlich lässt sie überall ihre Sachen herumliegen.« Er hat allerdings ganz sicher gesagt, dass das in Ordnung sei. Also habe ich kein allzu schlechtes Gewissen.
Doch ich glaube eigentlich nicht, dass Mark deshalb lächelt. Er sagt: »Für jemanden, der so unorganisiert ist wie du, wirkst du äußerst aufgeräumt.«
Gabby lächelt erst ihn, dann mich an. »Das stimmt. Du strahlst.« Sie fasst den Türknauf und sagt: »Aber das Aussehen ist nicht das Entscheidende bei einer Frau.« Sie kann nicht anders. Ihre politische Korrektheit ist Teil ihrer Persönlichkeit. Und auch dafür liebe ich sie.
»Danke euch beiden«, antworte ich, während ich ihnen nach draußen zum Wagen folge.
Als wir in die Bar kommen, ist es dort noch relativ ruhig. Gabby und Mark setzen sich, und ich hole uns etwas zu trinken – Bier für Mark und mich und ein Glas Chardonnay für Gabby. Die vierundzwanzig Dollar zahle ich mit meiner Kreditkarte. Ich weiß nicht genau, wie viel Geld ich noch zur Verfügung habe, weil ich Angst habe nachzusehen. Es reicht auf jeden Fall, um ein paar Wochen davon zu leben und mir eine Wohnung zu besorgen. Ich will nicht knauserig sein, vor allem nicht, nachdem Mark und Gabby so nett sind, mich bei sich wohnen zu lassen, also denke ich nicht weiter darüber nach.
Nachdem ich die zwei Bier zum Tisch gebracht habe, gehe ich zurück, um Gabbys Wein zu holen. Als ich mich setze, ist eine Frau dazugekommen, der ich schon einmal auf Gabbys und Marks Hochzeit begegnet bin. Sie heißt Katherine und ist vor ein paar Jahren beim New-York-Marathon mitgelaufen. Gesichter und Namen kann ich mir ziemlich gut merken. Es fällt mir leicht, mich an Details zu erinnern, auch wenn ich jemanden nur ein Mal getroffen habe. Allerdings habe ich schon vor langer Zeit gelernt, das nicht offen zu zeigen. Es schreckt die Leute ab. Katherine streckt mir ihre Hand entgegen. »Katherine«, stellt sie sich vor.
Ich schüttelte ihr die Hand und stelle mich ebenfalls vor.
»Freut mich, dich kennenzulernen«, sagt sie. »Willkommen zurück in Los Angeles!«
»Danke«, erwidere ich. »Aber ich glaube, wir sind uns schon einmal begegnet.«
»Ach, wirklich?«
»Ja, auf Gabbys und Marks Hochzeit. Ja … ja«, sage ich, als würde ich mich gerade erst erinnern. »Du hast mir erzählt, dass du irgendwo an einem Marathon teilgenommen hast, stimmt’s? War es in Boston oder New York?«
Sie lächelt. »In New York! Ja! Gutes Gedächtnis.«
Und jetzt mag Katherine mich. Wenn ich gleich damit herausgerückt wäre, wenn ich gesagt hätte: »Oh, wir sind uns schon einmal begegnet. Auf der Hochzeit hattest du ein gelbes Kleid an und hast erzählt, der New-York-Marathon sei bislang das Härteste, aber auch das Beste gewesen, was du je in deinem Leben gemacht hast«, wäre ich Katherine unheimlich gewesen. Das habe ich auf die harte Weise gelernt.
Bald darauf trudeln die Freundinnen ein, mit denen Gabby und ich auf der Highschool zusammengegluckt haben: Brynn, Caitlin und Erica. Als ich sie entdecke, schreie ich mir die Lunge aus dem Hals. Es tut so gut, vertraute Gesichter zu sehen und zu erleben, dass es Leute gibt, die einen schon mit fünfzehn kannten und immer noch mögen. Brynn wirkt älter als früher, Caitlin dünner, nur Erica sieht noch genauso aus.
Dann tauchen ein paar Arbeitskollegen von Mark mit ihren Ehefrauen auf, und bald drängen wir uns um den Tisch, der langsam zu klein für alle wird.
Es werden Drinks geholt und Runden ausgegeben, und ich trinke ein Bier und ein paar Cola light. Mit Michael in New York habe ich ziemlich viel getrunken. Das wird jetzt anders.
Als ich mal wieder an der Theke stehe, sehe ich Ethan durch die Tür treten.
Er ist noch größer, als ich ihn in Erinnerung hatte, und trägt lässig ein blaues Baumwollhemd über einer dunklen Jeans. Seine Haare sind kurz geschnitten und zerzaust, sein Bart ein paar Tage alt. Auf der Highschool war er süß. Jetzt ist er attraktiv. Vermutlich wird er mit zunehmendem Alter immer attraktiver werden.
Ob er wohl auch schon erste Falten hat, so wie ich?
Ich beobachte, wie er in der Menge nach mir Ausschau hält, bezahle die Getränke und gehe zu ihm. Als ich mir schon Sorgen mache, ob er mich wohl je bemerken wird, entdeckt er mich endlich. Seine Miene hellt sich auf, und er strahlt.
Mit einem großen Schritt ist er bei mir. Er wirft die Arme um mich und drückt mich fest an sich. Schnell stelle ich die Getränke auf dem Tresen ab, um nichts zu verschütten.
»Hallo«, sagt er.
»Du bist da!«, stelle ich fest.
»Du bist da!«, erwidert er.
Ich nehme ihn noch einmal in die Arme.
»Es ist wirklich toll, dich zu sehen«, meint er. »Du bist so schön wie immer.«
»Vielen herzlichen Dank.« Da tritt Gabby zu uns.
»Gabby Hudson«, sagt Ethan und beugt sich vor, um sie ebenfalls zu umarmen.
»Ethan!«, ruft sie. »Wie schön, dich zu sehen.«
»Ich hole mir nur kurz etwas zu trinken, bin gleich wieder bei euch«, sagt er.
Ich nicke, und Gabby und ich kehren zu unserem Tisch zurück.