Mein kleines Café in Primrose Hill - Sophie Oliver - E-Book + Hörbuch

Mein kleines Café in Primrose Hill Hörbuch

Sophie Oliver

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Beschreibung

Ein Roman voller Freundschaft, Liebe und Duft von zartem Gebäck.

Als Matilda das Catering für ein Event der renommierten Unternehmensberatung Fisher & Medvinsky übernimmt, ahnt sie nicht, dass dieser Tag ihr Leben verändern wird. Denn Rob Fisher, der charismatische Eigentümer, sieht nicht nur unverschämt gut aus und ist äußerst charmant - etwas an ihm berührt Matilda. Aber sie wohnt in London und er in New York. Und Matildas Leben dreht sich um ihren Tearoom - er ist ihr Zuhause. Sie kann sich ein Leben in New York einfach nicht vorstellen. Aber plötzlich ist das Café in Gefahr, und auch Rob muss sich unerwarteten Schwierigkeiten stellen. Ist die Anziehung stark genug, um einen Ozean zu überwinden?

So zauberhaft wie eine Tasse Tee vor dem Kamin und so romantisch wie ein Sternenhimmel.

Große Gefühle bei beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert


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Zeit:6 Std. 28 min

Sprecher:Carolin-Therese Wolff
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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Eton Mess

Nibbles

Jam Roly-Poly

Spotted Dick

Arctic Roll

Chelsea Bun

Banoffee Pie

Cantuccini

Syllabub

Scones

Fruitcake

Knickerbocker Glory

Profiteroles

Manhattan

Cranachan

Croissant

Twinkie

Pancakes

Porridge

Over Easy

Crumpet

Fudge

Cancha

Lemon Drizzle Cake

Marmite Soldiers

New York Cheesecake

Apple Crumble

Big Little Venice Breakfast

Low Carb Cookie

Bread-and-Butter-Pudding

Kaffee mit Schuss

Trifle

Hash Browns

Yorkshire Parkin

Savoury Muffins

Begriffserklärung und Rezepte

Danksagung

Weitere Titel der Autorin

Der Sommer der Oliven

Das Erbe von Gullrock Hall

Über dieses Buch

Ein Roman voller Freundschaft, Liebe und Duft von zartem Gebäck.

Als Matilda das Catering für ein Event der renommierten Unternehmensberatung Fisher & Medvinsky übernimmt, ahnt sie nicht, dass dieser Tag ihr Leben verändern wird. Denn Rob Fisher, der charismatische Eigentümer, sieht nicht nur unverschämt gut aus und ist äußerst charmant – etwas an ihm berührt Matilda. Aber sie wohnt in London und er in New York. Und Matildas Leben dreht sich um ihren Tearoom – er ist ihr Zuhause. Sie kann sich ein Leben in New York einfach nicht vorstellen. Aber plötzlich ist das Café in Gefahr, und auch Rob muss sich unerwarteten Schwierigkeiten stellen. Ist die Anziehung stark genug, um einen Ozean zu überwinden?

So zauberhaft wie eine Tasse Tee vor dem Kamin und so romantisch wie ein Sternenhimmel.

Über die Autorin

Geboren und aufgewachsen in Bayern, verließ Sophie Oliver nach dem Abitur ihre Heimat, um zu studieren und die Welt zu erkunden. Mittlerweile ist sie zu ihren Wurzeln zurückgekehrt und lebt mit Familie und Hund auf dem Land. Sophie liebt die bunte Vielfalt, Schräges genauso wie Schönes sowie »all things British«. Ihre Lebensneugierde drückt sie in ihren Romanen und Kurzgeschichten aus, wobei sie sich darüber freut, in verschiedenen Genres schreiben zu dürfen.

SOPHIE OLIVER

Mein kleines Caféin Primrose Hill

beHEARTBEAT

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Redaktion: Anne Pias

Covergestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de

Unter Verwendung von Motiven ©istockphoto / Ruth Black

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 978-3-7325-5867-4

www.be-ebooks.de | www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Eton Mess

Seit achtundvierzig Stunden verfluchte Matilda Clover den Tag, an dem sie den Cateringvertrag mit dieser unsäglichen Firma unterschrieben hatte. Genauso lange hatte sie nämlich schon nicht mehr geschlafen. Ihr war schleierhaft, wie sie alles rechtzeitig schaffen sollten. Von einem leichten Frühlingsbuffet war die Rede gewesen, für zwanzig bis dreißig Personen. Mittlerweile lag die Gästezahl bei über hundert, und die Essenswünsche waren sehr speziell. Für jeden Geschmack sollte etwas dabei sein, aber so klassisch britisch wie möglich. Nichts Mediterranes und um Himmels willen nichts Asiatisches, Indisches oder Kontinentales. Rein englisches Essen auf Gourmetniveau, nicht mehr und nicht weniger.

Weshalb hatte sie nicht auf ihren Geschäftspartner gehört? Cedric war von Anfang an dagegen gewesen. Weil es nicht zum Stil ihres Unternehmens passte, hatte er gesagt. Das war absolut richtig. Trotzdem hatte er irgendwann nachgegeben. Zweifellos hatte die unverschämt hohe Summe, die der Auftraggeber für die Veranstaltung bezahlen würde, letztendlich auch seinen Widerstand aufgeweicht – und nun saßen sie gemeinsam in diesem Schlamassel. Cedric hatte bestimmt genauso wenig geschlafen wie Matilda, zumindest sah er so aus.

»Also gut.« Sie seufzte. »Die Tische für das Buffet sind aufgebaut, der Weinhändler hat gestern schon geliefert, einen Tag zu früh und komplett alles, was bestellt wurde – ein Wunder! Und die Deko sieht phänomenal aus. Weshalb sind wir eigentlich nervös?«

Während sie sprach, hakte sie verschiedene Posten auf einem Klemmbrett ab und scheuchte gleichzeitig einige Helfer mit wilden Gesten herum. Cedric stand neben ihr und zündete sich eine Zigarette an, das Rauchen verboten!-Schild ignorierte er geflissentlich. Keinen der Anwesenden schien es zu stören.

»Schätzchen, es kommt auf das Buffet an. Und wir wissen beide, wie fieberhaft daran noch gearbeitet wird. Es muss perfekt sein. Immerhin haben wir einen Ruf zu verlieren. Wir wurden wegen des Essens engagiert, nicht wegen der hübschen Blumen auf dem Tisch.«

Matilda hakte sich bei Cedric unter und drückte beruhigend seinen Arm. »Ich verspreche dir, dies wird unser einziges Catering bleiben. Egal wie viele Nachfolgeaufträge wir bekommen, wir werden sie ablehnen.«

Der Blick, den er ihr zuwarf, war der eines dankbaren Dackels. »Und wir werden einfach weitermachen wie bisher?«

Matilda tätschelte ihn. »Wie bisher. Wie wir es mögen. Das hier …« Mit einer müden Handbewegung schloss sie das hektische Treiben um sie herum mit ein. »… ist eine einmalige Ausnahme.«

Pünktlich um zwanzig Uhr legte sich Matildas Nervosität. Die Veranstaltung startete, sie hatten es geschafft. Das Buffet war ein kulinarischer Traum, makellos, weil Cedric ein Meister in der Küche war. Lediglich die Nachspeise war missglückt. Schweren Herzens hatte Cedric die Zubereitung aus Zeitgründen an einen Aushilfskoch abgegeben. Die Sache ging völlig daneben, weshalb Matilda und Cedric improvisieren mussten und in letzter Sekunde eine üppige Wanne voller Eton Mess zauberten. Verteilt auf langstielige Gläser wirkte alles sehr englisch, und bestimmt würde niemand das eigentlich geplante Dreierlei von der Valrhona-Schokolade vermissen. Während die meisten Gäste noch wie ein Schwarm ausgehungerter Heuschrecken über das Buffet herfielen und dabei völlig ihre gute Kinderstube vergaßen, wie so oft, wenn es etwas umsonst gab, bezog Matilda ihren Posten hinter der Champagner-Bar. In der Aperitif-Phase war die erste Charge in Windeseile ausgetrunken worden, und fleißige Helfer stockten den Vorrat wieder auf. Ein besonders bedauernswerter Handlanger hatte, beladen mit einer Kiste Taittinger, den unglücklichen Einfall, Cedric zu fragen, wo diese denn hinsolle. Dafür musste er sich anblaffen lassen und stand daraufhin hilflos und verunsichert da. Matilda hatte Erbarmen. Sie winkte ihn zu sich und nahm ihm die Kiste ab.

»Räum alles in einen freien Kühlschrank unter dem Tresen, bitte«, wies sie ihn mit einem Lächeln an. »Und was immer Cedric gesagt hat, nimm es dir nicht zu Herzen. Seine Nerven liegen gerade ein wenig blank, normalerweise ist er ein ganz Lieber.«

»Er meinte, es sei peinlich, dass ich nach der ausführlichen Einsatzbesprechung immer noch nicht wisse, was mein Job sei, dass meine Kleidung das Letzte sei und dass man heutzutage kaum mehr brauchbares Personal finde.«

Mit einem mühsam unterdrückten Grinsen stellte Matilda die Kiste auf den Boden. »Ja, er kann manchmal ein kleines Monster sein. Aber genauso schnell beruhigt er sich wieder. Cedric steht unter Druck, weil er will, dass dieses Event ein Erfolg wird. Und es war in der Tat vereinbart, dass alle Servicekräfte Schwarz tragen. Jeans und ein T-Shirt, das geht nun wirklich nicht.« Sie deutete auf seine Kleidung. Daraufhin wurde er tatsächlich rot. Was erfrischend wirkte bei einem derart gut aussehenden Mann.

»Ich habe mich verspätet«, erklärte er bedauernd, »und bin gerade erst angekommen. Eigentlich wollte ich mich rasch umziehen, aber da drückte mir bereits jemand den Champagner in die Hand.«

»Ist schon gut. Du brauchst keine Angst um deinen Job zu haben. Jetzt bist du ja hier. Wenn du die Flaschen eingeräumt hast, schlüpfst du in deine Arbeitskleidung, und niemand wird etwas merken.«

Sie beobachtete, wie er in die Hocke ging, um den Kühlschrank zu befüllen. Dabei spannte das Shirt um seine breiten Schultern, und auch sein Po machte einen durchaus griffigen Eindruck. Matilda schüttelte den Kopf, wie um sich selbst zu schelten. Die Hintern fremder Männer hatten sie nicht zu interessieren. Rasch goss sie ein Glas Champagner ein und drückte es ihm in die Hand, als er fertig war.

»Ich bin Matilda«, sagte sie, »und zusammen mit Cedric heute deine Chefin. Trink das, es wird dich ein wenig entspannen. Und dann leg los, es gibt viel zu tun.«

Ohne zu widersprechen, leerte er das Glas in einem Zug. Danach meinte er mit einem Augenzwinkern: »Danke! Mein Name ist Rob. Ich hatte noch nie einen Arbeitgeber, der mir Champagner spendiert – und erst recht keine so hübsche Chefin.«

Damit ließ er sie verdutzt zurück. Anscheinend war er doch nicht so schüchtern, wie sie gedacht hatte.

Viel länger konnte sich Matilda allerdings keine Gedanken über ihren attraktiven Helfer machen, denn der nächste Ansturm auf die Bar begann. Eine Verschnaufpause gönnte sie sich erst, als die Rede des Veranstalters anstand. Fisher & Medvinsky waren eine ziemlich einflussreiche Unternehmensberatung aus den USA, die nun auch den britischen Markt erobern wollte. Die heutige Feier diente der Information und dem gegenseitigen Beschnuppern. Man hatte viele wichtige Menschen geladen, die wiederum viele weitere wichtige Menschen kannten, und Fisher & Medvinsky hofften anscheinend, dass das betont englische Essen die Leute davon überzeugen würde, die Amerikaner meinten es gut mit ihnen – und ihrem Geld ...

»Oh mein Gott!« Cedrics Gesicht glühte rot wie eine Chilischote, als er mit wedelnden Händen auf Matilda zueilte, was ihn komplett unmännlich wirken ließ. Nicht, dass es Cedrics Absicht gewesen wäre, besonders männlich zu erscheinen. Sie fand diese Hysterie auf jeden Fall besorgniserregend.

»Sieh ihn dir an!« Mit Schweißperlen auf der Stirn wies er auf den Redner am Mikrofon, welchen Matilda bisher nicht wahrgenommen hatte, weil sie schon wieder dabei war, die Kühlschränke nachzufüllen. Eigentlich passte es ihr nicht, von Cedric bei ihrer Arbeit unterbrochen zu werden.

»Er ist es!«, zischte er ihr zu. »Er ist es, und wir sind erledigt! Er-le-digt!«

»Wovon sprichst du bitte?«

Abermals deutete Cedric nach vorn. »Da! Das ist Robert Fisher! Der Robert Fisher, einer der Eigentümer von Fisher & Medvinsky! Und ich habe ihn angeschnauzt, als wäre er ein debiler Laufbursche!«

Tatsächlich! Der hübsche Helfer in Jeans und T-Shirt, der sich ihr als Rob vorgestellt hatte – der mit dem knackigen Hintern –, war, wie es aussah, ihr Auftraggeber! Mittlerweile trug er einen schwarzen Anzug und hatte sein widerspenstiges braunes Haar mit Gel gebändigt. Das ließ ihn schlagartig um Jahre älter wirken. Allerdings vermutete Matilda, dass Rob Fisher gar nicht so jungenhaft war, wie sie vorhin gedacht hatte, sondern eher Ende dreißig. Und ziemlich souverän, wie er so dastand und zum Publikum sprach.

»Oje!« Matilda dachte an das Glas Champagner, das sie ihm aufgenötigt hatte. Darüber hinaus hatte sie ihm gesagt, sie sei seine Chefin und er würde seinen Job schon nicht verlieren. Was ihr im Nachhinein lächerlich gönnerhaft erschien. Nun lief auch sie dunkelrot an, wie ihr ein Blick in die Glasscheibe des Getränkekühlschranks verriet.

Cedric war nur noch ein Häufchen Elend. »Ich bringe es wieder in Ordnung, versprochen! Sobald er da vorne fertig ist, werde ich versuchen, mit ihm zu sprechen.«

Aber das war nicht nötig. Denn nachdem Robert Fisher seine Rede beendet hatte, kam er von sich aus herüber an die Bar und schenkte Matilda und Cedric ein strahlendes Lächeln.

»Mister Fisher«, begann Cedric mit dem gepflegten Akzent eines englischen Internatsschülers und dem Tonfall eines Bestattungsunternehmers, »es tut mir unsäglich leid!«

»Kein Grund, sich zu entschuldigen. Die Veranstaltung ist ein voller Erfolg, das Essen vorzüglich, besonders die Nachspeise!«

»Ich meinte wegen vorhin. Dummerweise hatte ich Sie nicht erkannt, der Fehler liegt ganz bei mir.«

Rob Fisher zwinkerte Cedric zu. »No problem. Mir sind effiziente Leute, die darum bemüht sind, dass etwas vorangeht, sympathisch. Außerdem hatten Sie vollkommen recht – es wäre nachlässig gewesen, planlos und in Jeans und T-Shirt zur Arbeit zu erscheinen.«

Damit hatte er umgehend Cedrics Herz gewonnen. Erleichtert machte sich dieser davon und ließ Matilda mit dem Amerikaner allein.

»Mister Fisher«, setzte nun Matilda zu einem Erklärungsversuch an.

»Wir waren doch schon beim Du. Also sollten wir auch dabei bleiben. Was dich betrifft ...«

»Ich hätte dir keinen Alkohol aufdrängen dürfen.« Zerknirscht zuckte sie mit den Schultern.

»Wenn du wüsstest, was ich für eine höllische Anreise hinter mir habe … Da kam das Glas Champagner gerade richtig. Darf ich mich revanchieren und dich einladen? Privat, nicht hier? Wie wäre es mit morgen?«

Matilda war verwirrt. Sie fand den unsicheren Helfer wesentlich anziehender als den smarten Businessman. »Gerne«, hörte sie sich trotzdem sagen. Was blieb ihr auch anderes übrig? Er war ihr Auftraggeber. »Aber ich arbeite morgen den ganzen Tag.«

»Dann hole ich dich ab, wenn du fertig bist. Ich wollte mir ohnehin das berühmte Eton’s Mess ansehen, von dem alle schwärmen.«

Nibbles

Rob Fisher hatte seine Hausaufgaben gemacht. Das tat er immer. Sonst wäre er niemals so erfolgreich geworden.

Das Eton’s Mess, benannt nach einem seiner beiden Besitzer, Cedric Eton – Wortwitz! –, war eines der derzeit angesagtesten Lokale in London. Cedric Eton und Matilda Clover arbeiteten ausschließlich mit Spitzenprodukten in Bio-Qualität, vorzugsweise auch noch regional und saisonal. Alles wurde frisch hausgemacht. Sie boten Frühstück, Mittagessen und Nachmittagstee an, und es gab einen Shop, in dem sie Backwaren und Delikatessen vertrieben. Reservierungen waren generell nicht möglich. Wer zuerst da war, bekam einen Tisch, alle anderen mussten warten, bis sie an die Reihe kamen. Und zwar ausnahmslos. Weshalb genau nun ein jeder, ob Normalo oder Prominenz, unbedingt ins Eton’s Mess wollte, erschloss sich Rob Fisher nicht. Aber vielleicht würde er es herausfinden. Immerhin hatte sich das Ganze mit dem hervorragenden Catering schon gut angelassen. Die beiden Gastronomen hatten ihn nicht enttäuscht. Im Gegenteil!

Matilda Clover mit ihrem schulterlangen dunkelbraunen Haar und den mandelförmigen grünen Augen setzte allem gewissermaßen das Sahnehäubchen auf. Da im gesamten World Wide Web kein einziges Foto von ihr zu finden gewesen war, hatte ihr Anblick ihn beinahe umgehauen. Und weil Rob kein Kostverächter war (um bei den kulinarischen Termini zu bleiben), bemühte er sich sehr darum, sie wiederzusehen.

Kurz vor neunzehn Uhr betrat er das Eton’s Mess. Und konnte seine Überraschung nicht verbergen. Obwohl er eigentlich mit edlem Interieur gerechnet hatte – immerhin wurde das Lokal als Feinschmecker-Eldorado gepriesen –, fand er sich stattdessen in einer Art Landhausküche wieder. Es roch himmlisch! Nach Gewürzen und Tee, nach Plätzchen, Blumen und etwas Frischem, das ihn an einen Spaziergang im Wald erinnerte. In einer Glasvitrine lag Backwerk, von Scones über Brot bis Muffins gab es alles, was das Herz begehrte. Oben auf der Theke standen altmodische Schraubgläser mit Bonbons darin. Im Regal daneben stapelten sich die verschiedensten Leckereien für daheim.

Vom Laden aus konnte man ins Restaurant sehen, der Übergang war offen. Wobei Restaurant nicht unbedingt der Begriff war, der Rob beim Anblick der bunt zusammengewürfelten Vintagemöbel eingefallen wäre. Die Gäste saßen an Holztischen, großen und kleinen, runden und eckigen. Es gab unterschiedliche Arten von Stühlen, daneben gepolsterte Sessel, sogar einige Sofas. Auf jedem Tisch stand ein Strauß Wiesenblumen. Und am Ende des Raums verbreitete ein Kamin mit offenem Feuer wohliges Ambiente.

Es war, als würde man in Großmutters Cottage treten oder in ein Landhaus in den Cotswolds. Hinaus aus der Hektik Londons und hinein in eine nostalgische Welt, die auf unperfekte Weise geradezu perfekt war.

Rob wunderte sich, dass ihn das Eton’s Mess derart berührte, war sein eigener Stil doch eigentlich edel, clean und modern. Aber hier wollte er es sich am liebsten sofort mit einer Tasse Tee gemütlich machen.

Es befanden sich nur noch wenige Gäste im Lokal, denn um sieben Uhr wurde geschlossen.

»Da bist du ja tatsächlich!« Matilda kam auf ihn zu, und Rob konnte nicht sagen, ob ihre Stimme angenehm oder unangenehm überrascht klang. Sie trug enge Jeans und ein weißes Leinenhemd, das vorn etwas offen stand und den Blick auf ein zart gebräuntes Dekolleté erlaubte. Ihr Haar hatte sie ein wenig nachlässig zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden, aus dem sich ein paar Strähnen gelöst hatten, die ihr Gesicht umrahmten. Alles in allem wirkte sie so unangestrengt schick, dass sich Rob viel zu overdressed fühlte.

Überdies war er es gewohnt, dass Frauen bei seinem Anblick enthusiastischer reagierten, ihn wenigstens mit Küsschen begrüßten. Davon konnte bei Matilda keine Rede sein, sie warf ihm lediglich einen kurzen Blick zu, mit dem sie ihn rasch von oben bis unten musterte, dann nickte sie, bevor sie ihm den Rücken zudrehte. In der Hand hielt sie einen großen Stoffbeutel, in den sie das Gebäck aus der Auslage räumte. Als sie damit fertig war, schnappte sie sich ihre Jacke, griff nach dem prall gefüllten Beutel und meinte: »Wir können gehen. Die Kollegen werden abschließen.«

Ohne ihn zu fragen, wohin er mit ihr wollte, schlug sie eine bestimmte Richtung ein, und Rob blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.

»Ich bringe nur rasch die Backwaren weg, die heute nicht verkauft wurden. Das stört dich doch nicht? Ich mache das jeden Abend.«

»Nein, überhaupt nicht.«

Kurz darauf bog sie auf einen kleinen Platz ein, an dessen Ende sich eine Suppenküche befand.

»Warte hier bitte«, sagte sie knapp, lief die Stufen zum Gebäude hinauf und verschwand. Sie kehrte ohne den Sack zu ihm zurück. »Erledigt. Wohin wollen wir?«

Es kam ihm ein wenig oberflächlich vor, die vornehme Bar anzusteuern, die er im Sinn gehabt hatte. Stattdessen entschied er sich für einen Pub, den er bei seinem letzten Besuch in London entdeckt hatte. Er befand sich glücklicherweise in Gehweite.

»Wie wäre es mit dem The Princess of Wales-Pub?«, schlug er vor.

»Gute Idee, der ist gleich dort vorne, da gehe ich gerne rein.«

Matildas zufriedenes Gesicht, als sie ihm mit ihrem Glas Guinness zuprostete, bestätigte ihn in seiner Wahl.

»Gottlob kein Champagner«, meinte sie lachend, bevor sie einen großen Schluck Bier trank. Dazu hatten sie ein paar Nibbles bestellt, kleine Knabbereien, wie es sie in Pubs gab, Chips, Erdnüsse, Oliven und Cracker. »Rob, warst du mit unserem Catering zufrieden?«, fragte sie ihn geradeheraus.

»Mehr als zufrieden.«

»Das freut mich. Immerhin weiß man ja vorher nicht wirklich, was eine amerikanische Unternehmensberatung von einem englischen Tearoom erwartet.«

Er lachte. »Tearoom ist wohl etwas untertrieben. Das Eton’s Mess scheint das Lokal der Stunde zu sein.«

»Ganz erstaunlich, nicht? Dabei standen Cedric und ich schon kurz vor dem Bankrott, weil es anfangs überhaupt nicht lief. Und mit einem Mal war unsere Gegend in. Models und Schauspieler haben Häuser in Primrose Hill gekauft, die Nachfrage nach hochwertigen Bio-Lebensmitteln ist gestiegen, und wir hatten plötzlich Zulauf. Wo die VIPs einkaufen, sind die Fans nicht weit, und so hat eines das andere ergeben. Das Eton’s Mess schwimmt momentan auf einer Erfolgswelle, aber in London kann sich das auch schnell wieder ändern. Deshalb nutzen wir die Gunst der Stunde. So lange wie möglich.«

Während sie sprach, hatte Rob überlegt, ob Matildas Augen nun eher grünbraun oder grüngrau waren. Unmöglich festzustellen im schummrigen Licht des Pubs. In jedem Fall fand er sie faszinierend, Matilda, ihre Augen und einfach alles an ihr. Er würde sie erobern. Ganz sicher.

Jam Roly-Poly

Matilda konnte den Moment exakt bestimmen, in dem sie Robs Aufmerksamkeit verlor. Während sie sprach, wanderte sein Blick von ihren Augen zu ihrem Mund, verweilte zu lange dort, und schließlich schlich sich ein leicht verklärtes Grinsen auf sein Gesicht. Zweifelsohne schaltete sich sein Gehirn gerade aus. Wie schade! Aber das bestätigte den Eindruck, den sie von Rob Fisher hatte. US-Alphamännchen mit Eroberungszwang, erfolgreich im Job, zielstrebig bei der Frauenwahl und sicherlich sportlich-ambitioniert im Bett, um in guter Erinnerung zu bleiben. Verblüffend, dass er keine Keule mit sich herumtrug, mit Kerben darin für jeden seiner Jagderfolge. Denn offensichtlich war es das, worauf er aus war. Weshalb sollte er sich sonst mit ihr treffen wollen? Sie hatten rein gar nichts gemeinsam.

Auch Matilda hatte ihre Hausaufgaben gemacht und Rob gegoogelt. Er war ein erfolgsverwöhnter Mann. Intelligent, ehrgeizig. In England hatte er als Jugendlicher eine Privatschule besucht, daher sein gepflegter Akzent, der ihn nicht von vornherein als Amerikaner brandmarkte. Danach Studium in Harvard und Jobs bei verschiedenen hochkarätigen Unternehmensberatungen, bevor er sich mit seinem Studienfreund Josh Medvinsky selbstständig gemacht hatte. An sich eigentlich lobenswert und kein Grund, den Mann nicht zu mögen. Zumal er wirklich höllisch gut aussah. Besonders an diesem Tag, in Jeans, Hemd, Jackett und mit einem gewinnenden Lächeln im Gesicht. Ohne Gel war offensichtlich, dass sich sein braunes Haar nicht leicht bändigen ließ und ein wenig strubbelig wirkte, ein Sympathiepunkt in Matildas Augen. Wenn da nicht die Flut von Society-Fotos gewesen wäre. Anscheinend kam Rob Fisher viel rum. Bei Hollywoodpartys und Filmfestspielen, Charity-Dinnern und Kunstausstellungen fand man ihn überall. Immer mit einer anderen schönen Frau am Arm in eine Kamera lächelnd. Also wieso bitte saß er in einem Pub in Camden Town mit der Besitzerin eines Bio-Cafés und tat so, als wäre dies die Erfüllung all seiner Wünsche? Bestimmt gab es geeignetere Zielobjekte, deren Gunst er schneller gewinnen konnte als Matildas.

»Du solltest dein Licht nicht unter den Scheffel stellen. Ich bin mir sicher, der Erfolg des Eton’s Mess liegt nicht daran, dass irgendein Supermodel dort am liebsten seinen laktosefreien Latte macchiato trinkt, sondern hat maßgeblich mit dir zu tun. Matilda Clover, zertifizierte Ernährungsberaterin mit einem Master-Abschluss in Betriebswirtschaft.«

Damit strafte er ihre kritischen Gedanken Lügen. Anscheinend hatte er sehr wohl zugehört und sich obendrein über sie informiert.

Geschieht dir recht, alte Schwarzmalerin, schalt sich Matilda im Geiste. Mach dich locker, er will einen netten Abend mit dir verbringen, sieht super aus und hat sich sogar über dich erkundigt. Nicht alle Männer sind schlecht. Nicht so wie ...

Den aufkeimenden Gedanken an ihren treulosen Ex drängte sie schnell zurück.

Stattdessen schenkte sie Rob ein strahlendes Lächeln, das auch sein Gesicht aufleuchten ließ.

Ab diesem Moment wurde der Abend ein Erfolg. Besonders als eine schottische Band zu spielen anfing und Rob sich nicht scheute, gemeinsam mit Matilda lauthals mitzusingen. Er war durchaus musikalisch, stellte sie erfreut fest, als er an sie gewandt den Song »I’m Gonna Be« von den Proclaimers mitschmetterte. Beim Refrain hielt es kaum einen Gast im Pub mehr auf den Sitzen, und schließlich grölten alle ausgelassen »500 miles« mit. Als sich die Band anschließend eine wohlverdiente Pause gönnte, rief Matilda Rob über den Publärm hinweg zu: »Das war super!«

Er strahlte. Weil es im Lokal heiß und stickig war, hatte er sein Hemd ausgezogen und trug nur ein weißes T-Shirt. Sein braunes Haar war nun richtig verstrubbelt, und Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Schlagartig wirkte er nicht nur jungenhaft, sondern auch unglaublich anziehend.

»Ich liebe dieses Lied! Meine Vorfahren kommen aus Schottland, ich selber reise oft hin, und ›500 Miles‹ erinnert mich immer an die schottische Fußballnationalmannschaft«, teilte er ihr enthusiastisch mit.

Matilda verstand zwar nicht allzu viel von Fußball, aber dass die Schotten diesen Song abspielten, wenn sie ein Tor erzielten, wusste sogar sie. Darüber hinaus fand sie es erfrischend, dass ein Mann aus dem Land des American Football sich für guten, alten europäischen Footie interessierte. Rob besaß Facetten, die auf den ersten Blick nicht sichtbar waren, ein Pluspunkt in Matildas Augen. Er schien kein Blender zu sein, sondern ganz im Gegenteil mehr bieten zu können, als sein wahnsinnig attraktives Äußeres vermuten ließ. Er war witzig und der perfekte Gentleman.

Später brachte er sie nach Hause, verabschiedete sich mit einem Kuss auf die Wange und rief am darauffolgenden Morgen an, um sich für den schönen Abend zu bedanken und sie um eine erneute Verabredung zu bitten.

Smooth war der Ausdruck, der Matilda dabei einfiel. Geschmeidig, glatt. Tausendfach geübt wahrscheinlich ... Sie stand in ihrer Küche vor dem offenen Kühlschrank und pickte mit den Fingern Stücke von einer Jam Roly-Poly, während sie nachdachte. Die hatte eigentlich Cedric mit nach Hause nehmen wollen, nachdem sie im Café übrig geblieben war, aber Matilda war schneller gewesen und hatte sich die süße Roulade unter den Nagel gerissen.

Weil sie Rob gegenüber nicht überkritisch sein wollte und ihn verflixt anziehend fand, stimmte sie einem zweiten Date zu. Danach einem dritten und vierten.

So ging das Ganze etwa eine Woche. Tagsüber arbeitete Matilda im Café und Rob in seinem nagelneuen Büro in der City, und abends gab er sich reichlich Mühe, sie von seinen Qualitäten zu überzeugen. Matilda spürte, dass es zwischen ihnen knisterte, trotzdem wagte keiner den ersten Schritt.

»Wenn er dir zu amerikanisch ist, warum triffst du dich dann dauernd mit ihm?«, fragte Cedric mit leicht genervtem Unterton, während er den Eintopf des Tages komponierte. Kichererbsen, Lamm und grüne Bohnen standen an diesem Tag auf dem Programm. Zusammen mit einer Gewürzmischung, die nur Cedric kannte. Er war ein begnadeter Koch. Das wusste er auch. Und dementsprechend exzentrisch benahm er sich gern. Seine pechschwarzen Haare hielt er am Herd mit einer Art OP-Häubchen bedeckt. Eine Kochmütze kam ihm nicht ins Haus, es musste immer genau jenes Häubchen sein, himmelblau mit kleinen goldenen Sternen darauf, das alle drei Tage abends gewaschen wurde, um am nächsten Morgen wieder einsatzbereit zu sein. Jeder hatte seine Macken, und Cedric und Matilda kannten einander schon so lange, dass sie die Eigenheiten des anderen nicht mehr als schräg wahrnahmen. Matilda war an diesem Tag friedfertig gestimmt. Zumal der Duft die Küche des Eton’s Mess mit köstlicher Behaglichkeit erfüllte, das färbte anscheinend ab.

»Weil ich ihn irgendwie faszinierend finde«, gab sie zu.

Das unterdrückte Schnauben, das vom Herd kam, klang sehr nasal. »Na endlich! Ich dachte schon, du bist komplett abgestumpft! Die Pleite mit Danny liegt immerhin ewig zurück, und bisher hast du alle Interessenten abgeschmettert. Machte beinahe einen frigiden Eindruck.«

»Du bist ein Aas, Cedric!«

»Ich weiß. Aber ich sage dir immer die Wahrheit. Und wenn du meine Meinung zu diesem Mister Fisher wissen willst ...«

»Möchte ich nicht ...«

»... dann lass dir gesagt sein – der Mann ist heiß. Und schwerreich. Was könnte es daran auszusetzen geben? Ich würde ihn mir ja selber schnappen, doch er scheint diesbezüglich absolut unempfänglich zu sein.«

Spotted Dick

Am Freitag holte Rob Matilda wieder im Eton’s Mess ab. Erneut brachten sie zuerst das Brot in die Suppenküche. An diesem Tag musste er sogar einen Sack Gemüse tragen, dafür durfte er mit hineinkommen, um die Sachen abzugeben.

Einerseits empfand er Genugtuung, da er sich anscheinend so weit qualifiziert hatte, dass Matilda ihn nicht mehr – wie sonst – wie eine unerwünschte Person vor der Tür parkte. Andererseits fühlte er sich ein bisschen außen vor gelassen, weil sie die komplette Suppenküchen-Aktion stets nonchalant unkommentiert ließ, als wäre er zu oberflächlich, um mit ihr über Armut sprechen zu können. Vielleicht dachte sie aber auch, sie würden einander zu wenig kennen, um die wirklich ernsten Themen anzuschneiden, und wollte sich vor ihm nicht profilieren. Er hoffte inständig, dass dies der Grund war. Dann würde er sie noch hinreißender finden.

An diesem Tag hatte Matilda die Bar ausgewählt. Sie saßen in einem schicken Lokal in einer verkehrsberuhigten Seitenstraße. Kleine Boutiquen reihten sich an Restaurants und Schmuckläden, und von den nostalgisch anmutenden Straßenlaternen hingen bepflanzte Blumenampeln mit bunten Petunien, die der Gasse ein hübsches Flair verliehen. Durch das große Fenster, an dem sie saßen, sah Rob zahlreiche Paare in Richtung der verschiedenen Bars spazieren. Statt Jeans trug Matilda an diesem Abend ein schwarzes Kleid mit einer Lederjacke darüber, dazu goldene Ohrringe und das Haar offen. Sie konnte also auch edel. Zwischen ihnen stand ein Teller mit spanischen Tapas, auf die Rob überhaupt keine Lust hatte, weil er viel zu sehr darauf brannte, Matilda endlich zu küssen. Er hätte alles dafür gegeben, um zu wissen, was sie wirklich über ihn dachte, ob sie sich ebenso nach ihm verzehrte wie er sich nach ihr. Um auf andere Gedanken zu kommen, war es wohl besser, etwas Unverfängliches zu sagen.

»Cedric ist ziemlich schwul, oder?«, hörte er sich fragen. Im gleichen Augenblick hätte er sich gern selbst getreten. Was war nur mit ihm los? Matilda brachte ihn total aus dem Konzept.

Sie verschluckte sich an ihrem Getränk. Nicht vor Empörung, sondern weil sie lachen musste.

»Was bringt dich zu dieser Schlussfolgerung? Cedrics Eyeliner oder die Regenbogen-Küchenschürze?«

»Na ja. Er sieht ein wenig aus wie Captain Jack Sparrow in der Kombüse mit dem ganzen schwarzen Zeugs um seine Augen.«

»Er ist Künstler, Rob. Zumindest nennt er sich selbst so. Für mich ist er die Diva am Herd. Ich lasse ihn machen. Solange er spitzenmäßig kocht, kann er aussehen, wie er will. Wir sind hier nicht so puritanisch wie die Amerikaner. Wir haben es gerne ein wenig exzentrisch. Und nur damit du es weißt – Cedric ist nicht schwul, sondern bisexuell. Er selbst bezeichnet sich als geschlechtlich nicht diskriminierend.«

An ihrem Augenzwinkern erkannte er, dass sie ihn neckte. Das war ja beinahe schon ein kleiner Flirt! Nachdem der Kellner endlich das Geschirr abgeräumt hatte und die Tapas-Barriere zwischen ihnen entfernt war, griff Rob nach Matildas Hand.

Er wollte mehr über sie erfahren, über ihr Leben, ihre Leidenschaften. Sie zog sie nicht zurück, verschränkte ihre Finger sogar mit seinen, erzählte ihm aber gerade so viel, wie sie anscheinend vorhatte preiszugeben, bevor sie Fragen an ihn richtete.

Plötzlich begann sein Handy, das neben ihm auf dem Tisch lag, zu vibrieren. Rasch drückte Rob den Anruf weg, jedoch nicht schnell genug, um zu verhindern, dass Matilda den Namen auf dem Display sah.

Ashley.

Hatte sie einen Moment zuvor noch offen Interesse an ihm gezeigt, kühlte Matilda nun merklich ab. Er bezahlte und brachte sie nach Hause. Sonst fiel es ihm nie schwer, Frauen von sich zu überzeugen, er hatte immer einen lockeren Spruch parat und wusste, was die Damen hören wollten. In Matildas Gegenwart fühlte er sich wie ein schüchterner Junge beim ersten Date, und zwar jedes Mal aufs Neue, wenn er sie sah. Auf den Stufen vor ihrer Eingangstür fasste er sich ein Herz.

»Matilda, ich will noch mehr Zeit mit dir verbringen. Es dürfte dir nicht entgangen sein, dass ich dich hinreißend finde. Aber ich möchte mich nicht aufdrängen. Falls ich dir gleichgültig sein sollte, dann sag es bitte.«

Sie riss die Augen auf. »Wow! Wie überaus geradlinig!« Eine feine Röte huschte über ihre Wangen. »Natürlich mag ich dich.«

»Du magst mich?« Niederschmetternder ging es kaum. Außer sie hätte gesagt, er sei nett.

»Klar. Aber ich habe den Eindruck, du bekommst in deinem Leben schon genug weibliche Aufmerksamkeit. Brauchst du da wirklich auch noch meine?«

Er seufzte, lehnte sich an den Handlauf des Treppenaufgangs. »Du hast mich im Internet gesucht, nicht wahr? Diese unsäglichen Bilder von Fotografen, die wie Moskitos überall herumschwirren und knipsen, was ihnen vor die Linse kommt, nur weil sie es zu Geld machen wollen. Glaub nicht alles, was du über mich liest. Wenn ich mit jeder Frau, die auf einem Foto neben mir steht, ein Verhältnis hätte, müsste ich mich vervierfachen, um das zeitlich zu schaffen.«

Sie warf ihm einen kritischen Blick aus halb geschlossenen Augen zu, sagte aber nichts. Bestimmt hatte sie den Namen auf dem Handydisplay gelesen. Er wollte ihr ohnehin nichts vormachen.

Entschlossen stieß er sich von der Brüstung ab und trat vor sie.

»Hör zu. Ich bin kein frauenverschlingendes Monster. Ich weiß, dass die äußeren Umstände nicht gerade für uns sprechen. Du lebst in London, ich muss irgendwann zurück nach New York. Gibst du uns trotzdem eine Chance?«

Matilda wirkte nicht nur unsicher, sondern geradezu hin- und hergerissen. Er nahm ihre Hände in seine.

»Ich möchte etwas regeln, ein Problem lösen«, sagte er.

»Ashley?«

Rob nickte. »Es wird nicht lange dauern. Ein paar Tage. Bis dahin kannst du es dir überlegen.«

»Das muss ich nicht.« Sie löste ihre Hände und machte einen Schritt zurück, auf die Haustür zu. »Tu, was du tun musst, und komm dann zu mir.«

Es war, als ob Rob plötzlich einen warmen Wirbelwind in seinem Bauch gehabt hätte. So fühlte sich pure Freude an, aufregend und unglaublich gut. Eine lange verloren geglaubte Empfindung.

Sie wollte sich umdrehen, um aufzuschließen.

»Warte!«, rief er. »Bevor du gehst, gib mir einen Kuss, Matilda. Einen einzigen, bitte!«

Lächelnd trat sie auf ihn zu, umfasste seinen Nacken und zog sein Gesicht zu sich herunter. Ihre Lippen waren weich und warm. Sie küsste ihn keineswegs zögerlich, sondern so aufreizend, als sollte es ein verführerischer Vorgeschmack auf mehr sein. Der Wirbelwind breitete sich über Robs ganzen Körper aus, erfüllte ihn zugleich mit Zufriedenheit und Verlangen. Als sie ihn losließ und ohne ein weiteres Wort ins Haus schlüpfte, stand er noch eine Weile reglos da, überwältigt von den Gefühlen, die sie in ihm auslöste. Bis er bemerkte, dass das glückselige Grinsen auf seinem Gesicht langsam einen Krampf in seiner Wangenmuskulatur verursachte.

Arctic Roll

Wie jeden Donnerstagabend trafen sich Matilda und Cedric mit dem Serpentine Running Club an der Primrose Hill Bridge am Nordende des Regents Park. An diesem Tag waren sie nur zu fünft, wahrscheinlich weil es ein wenig nieselte und kühl war. Ihr Trainer Mat begrüßte sie trotzdem enthusiastisch und kündigte an, es würden Treppensprints geübt. Normalerweise war Cedric der Star der Truppe, denn zum Laufen erschien er stets gänzlich ungeschminkt und mit einem dünnen Haarband, das sein schwarzes Haar aus dem Gesicht hielt. In seinen Sporthosen und dem Laufshirt vermittelte er den Eindruck eines hippen und sehr attraktiven Profifußballers, was die weiblichen Joggerinnen dahinschmelzen ließ. An guten Tagen war Cedric dem ein oder anderen Flirt nicht abgeneigt, er war schließlich offen für alles. Auch wenn er männliche Bekanntschaften bevorzugte, hätte er eine gut aussehende junge Dame nicht von seiner Bettkante gestoßen. An diesem Tag allerdings japste er bereits, nachdem er die Treppe dreimal auf und ab gelaufen war, und hatte keinerlei Interesse – weder an Mat noch an den weiblichen Mitläuferinnen. Die Stufen führten einen kleinen Hügel hinauf, von dem aus man einen hübschen Rundumblick über den Park hatte – selbst das konnte Cedric nicht aufheitern.

»Ich glaube, ich bekomme eine Erkältung«, stieß er hervor, während er sich mit den Händen auf seinen Oberschenkeln abstützte und nach Luft schnappte. Matilda stand neben ihm, ebenfalls schwer atmend.

»Es ist April, nicht November. Die paar Regentropfen werden dich schon nicht umbringen. Ich vermute vielmehr, es liegt an der Flasche Wein, die du gestern unbedingt trinken musstest, obwohl du nur allein zu Hause vor dem Fernseher gesessen hast. Oder an der kompletten Arctic Roll, die du dir dazu reingezogen hast.«

»Ich schicke dir nie wieder eine Whatsapp, wenn du alles gegen mich verwendest«, schmollte er. »Außerdem, einen so sensationell guten Tropfen hättest auch du nicht in der Flasche schlecht werden lassen, sondern zügig geleert.«

»Mag sein. Aber dann darf man nicht tags darauf beim Sport jammern.«

Sie waren wieder an der Reihe und spurteten erneut die Treppe auf und ab, danach hatte Mat ein Einsehen und lud zum lockeren Laufen am Kanal ein. Erst nach einer ganzen Weile hatte sich Cedrics Puls anscheinend so weit normalisiert, dass er eine Unterhaltung mir Matilda aufnehmen konnte, ohne dabei krebsrot vor Atemnot zu werden.

»Ich habe übrigens eine Kiste von dem Wein bestellt. Wenn du Lust hast, würde ich ein Fläschchen mit dir teilen.«

»Oh, sehr gerne! So eine Einladung schlage ich nicht aus.«

»Es sei denn, dein amerikanischer Liebhaber ruft dich.«

Matilda verdrehte die Augen. »Wie sich das anhört! Rob und ich sind Freunde, kein Liebespaar.«

»Wie bitte? Wie lange willst du ihn noch hinhalten, Tillie? Langsam wird es unmenschlich.«

»So lange wie nötig. Mr Fisher muss zuerst Ordnung in sein Privatleben bringen, bevor ich ihn in mein Bett lasse.«

Cedric warf ihr einen neugierigen Seitenblick zu. »Wie heißt sie?«

»Ashley.«

»Klingt wahnsinnig amerikanisch.«

»Finde ich auch.«

»Was ist mit morgen Abend?«, fragte er nun. »Um acht bei mir? Ich habe jetzt diesen neuen Movie-Kanal abonniert, da läuft immer was Gutes.«

»Sehr gerne«, freute sich Matilda. »Ich bringe was zu knabbern mit.«

Gerade liefen sie an einem hölzernen Steg vorbei, der neben einer Gruppe von Trauerweiden, deren Äste beinahe bis in den Kanal hingen, aufs Wasser hinauszeigte. Es sah absolut malerisch aus, und Matilda tapste ein paar Schritte rückwärts weiter, um alles ein wenig länger betrachten zu können. Sie liebte London. Für sie war es die vielschichtigste Stadt, die sie sich vorstellen konnte. Jedes Viertel bot andere Besonderheiten, von den ultramodernen Bürogebäuden in der City über die hippen Szeneviertel, die gediegenen Straßenzüge in Mayfair, die familienfreundlichen Vororte bis zu ebenjenen bezaubernden Winkeln in den Parks – es gab alles, was das Herz begehrte, und noch viel mehr. Dabei fühlte sich Matilda inmitten Londons Multikulti-Atmosphäre pudelwohl. Niemand würde sie schräg ansehen, wenn sie sich im Pyjama rasch ein Bier im Off-Licence-Laden an der Ecke holte – oder im Abendkleid. Solange ein freundlicher Plausch über das Wetter möglich war, ging alles. Auf den Abend mit Cedric morgen freute sie sich jetzt schon. Sie hatten eine Weile nicht mehr einfach nur zusammen abgehangen, da sie andauernd mit dem Café beschäftigt und nach der Arbeit erschöpft waren. Oder weil Matilda eben in letzter Zeit ziemlich viel mit Rob zugange gewesen war. Glücklicherweise hatten sie es endlich geschafft, gutes Personal für das Eton’s Mess zu finden, sodass ihrer beider Freizeit ohne schlechtes Gewissen ausgebaut werden durfte. Besonders Katie, die neue Geschäftsführerin, wenn Cedric und Matilda nicht anwesend waren, war ein Goldstück.

Das Handy in Matildas Jacke vibrierte. Sie zog es heraus, um einen raschen Blick darauf zu werfen, nahm den Anruf aber nicht entgegen, sondern steckte es wieder zurück.

»Rob?«, fragte Cedric.

Als Matilda nickte, meinte er anerkennend: »Lass ihn ruhig ein bisschen zappeln, Tillie. Nur nicht immer erreichbar sein, halte ihn ein wenig auf Distanz, dann gibt er sich noch mehr Mühe. Wie heißt es so schön? Treat him mean, keep him keen.«

Sie lachte laut auf, sodass sich Mat neugierig zu ihnen umdrehte. Die anderen Läufer trugen Kopfhörer und bekamen von alldem nichts mit.

»So berechnend wie du tust, bin ich nicht. Ich habe jetzt Running Club und mache Sport, da will ich nicht telefonieren, das ist der einzige Grund.«

Das stimmte. Sie war viel zu sehr außer Atem, als dass sie ein vernünftiges Gespräch mit Rob hätte führen können – Coolness hatte nichts damit zu tun. Im Gegenteil. Wenn es um Rob ging, fand Matilda sich alles andere als cool. Sie musste dauernd an ihn denken, bekam ihn nicht mehr aus dem Kopf. Gerade jetzt fiel ihr ein, wie er reagiert hatte, als sie ihn nach seiner Familie gefragt hatte.

»Ich hatte eine tolle Kindheit«, hatte er sofort geantwortet, »und liebevolle Eltern, die wahrscheinlich ein wenig zu nachsichtig mit mir waren. Wir verbrachten viel Zeit bei meinen Großeltern in Schottland und bei Verwandten in Südengland. Immer am Meer. Meine schönsten Kindheitserinnerungen haben mit Wasser zu tun – Strand, Fluss, See. Sobald ich die Füße ins Wasser halten kann, bin ich glücklich.«

Matilda ging es ebenso.

»Ich weiß, das passt nicht gerade zu dem beruflichen Image, das ich verkörpere«, hatte Rob weitererzählt. »Aber das liegt daran, dass mein Vater ein erfolgreicher Geschäftsmann war und von mir als einzigem Kind erwartete, dass ich in seine Fußstapfen trete.«

»Ich dachte, du machst deinen Job gerne?«, hatte Matilda überrascht gefragt.

»Das dachte ich auch – bis ich dich kennenlernte. Wenn ich dich im Eton’s Mess sehe, dich bei der Arbeit beobachte, oder dir nur zuhöre, wie du von deinem Tearoom sprichst, fällt mir auf, was für Freude du dabei empfindest. Diese Zufriedenheit – das ist etwas, dem ich sehr selten begegne, etwas ganz Besonderes, Matilda.«

Sie konnte mit Sicherheit sagen, dass es ebenjener Moment war, in dem Rob ihr Herz vollends erobert hatte. Er besaß eine vielschichtige Persönlichkeit mit viel mehr Tiefgang, als er auf den ersten Blick zeigte. Sie spürte, dass seinem Wesen eine gewisse Wehmut anhaftete, als wäre er im Leben noch nicht genau dort angekommen, wo er eigentlich hinwollte. Gleichzeitig strahlte er etwas so Positives aus, dass sie sich sicher war, er würde seinen Platz in der Welt schon finden. Diese kleinen Widersprüche an Rob verzauberten Matilda, deswegen musste sie pausenlos an ihn denken und konnte es kaum erwarten, ihn wiederzusehen.

Als sie ihre Runde beendet hatten und wieder beim Treffpunkt angelangt waren, löste sich die Gruppe wegen des schlechten Wetters rasch auf. Matilda lief noch eine Viertelstunde weiter, bis sie vor ihrer Haustür ankam.

Am nächsten Abend hatte sich der Regen kontinuierlich verstärkt, und es sah nicht so aus, als wäre ein Ende in Sicht. War Matilda zunächst versucht, sich ein Taxi zu rufen, entschied sie sich dann doch für die U-Bahn. Ihre nächstgelegene Tube-Station war Chalk Farm, ein nostalgisches Bauwerk aus der Zeit um Neunzehnhundert. Mit einem Regenschirm bewaffnet durch das abendliche Camden eilend, sah Matilda das Gebäude schon von Weitem. Es lag zwischen zwei v-artig auseinanderlaufenden Straßen und hatte die Form eines schmalen Keils. Seine rot glasierten Ziegel leuchteten zusammen mit den strahlend weißen halbmondförmigen Fenstern im Dämmergrau bunt gegen das Nieselwetter an, und Matilda freute sich wieder einmal darüber, in einer Stadt leben zu dürfen, in der sogar U-Bahn-Stationen aussahen wie aus einem Harry-Potter-Film. Sie nahm die Northern Line Richtung Süden und musste in der Tottenham Court Road in die Central Line umsteigen, um zu Cedrics Wohnung in Notting Hill zu gelangen. Diese Station, war das genaue Gegenteil von Chalk Farm: hochmodern, riesengroß und überfüllt mit Menschen, die mit zahlreichen Rolltreppen auf und ab fuhren. Die feuchten Kleider und Regenschirme der Leute sowie ein ständiger Luftzug, der von ankommenden und abfahrenden Zügen herrührte, ließen Matilda erschaudern. Es roch unangenehm, ein wenig nach nassem Hund. Sie eilte von einem Gleis zum nächsten, was einen strammen Fußmarsch erforderte, dabei die Tasche mit den mitgebrachten Snacks an sich pressend. Manche Bereiche waren überhitzt, sodass sich rasch Schweißperlen auf Matildas Oberlippe bildeten. Auf dem Bahnsteig herrschten im Gegensatz dazu eisige Temperaturen. Der einfahrende Zug der Central Line war derart voll, dass sich Matilda nirgendwo festhalten konnte, jedoch ohnehin so zwischen anderen Fahrgästen eingekeilt war, dass sie nicht umfiel. Es waren sechs Stationen bis Notting Hill. Am Oxford Circus stiegen eine Menge Leute aus, Matilda atmete kurz durch, dann drängte sich im letzten Moment, bevor die Türen schlossen, eine Traube von Touristen herein, und als der Zug wieder anfuhr, war es enger als zuvor.

Schicksalsergeben schwitzte Matilda vor sich hin, dabei nahm sie sich vor, für den Heimweg auf jeden Fall ein Uber-Taxi zu rufen.

Die vor Neunzehnhundert erbaute U-Bahn-Station Notting Hill Gate, mit ihrem luftigen Bahnsteig und gewölbeartigen Glasdach entschädigte sie ein wenig. Es regnete noch immer, sodass Matilda auf dem schnellsten Weg zu Cedric hastete, bevor sie völlig durchweicht war.

Cedric wohnte in einem viktorianischen Haus in einer Straße namens Dawson Place, ganz in der Nähe des Portobello Market. Es war nicht ratsam, ihn samstags aufzusuchen, denn dann wimmelte es in weitem Umkreis um die Portobello Road von Touristen, die den berühmten Flohmarkt besuchen wollten. Matilda bestritt nicht, dass es durchaus Spaß machte, die Vielzahl von Ständen zu durchstöbern, in denen es von Vintage-Mode über altes Porzellan, Möbel und Gemälde bis hin zu kulinarischen Köstlichkeiten alles gab, was das Herz begehrte – nur wäre es eben schön gewesen, beim Bummeln nicht von einer Menschenmenge durch die Reihen der Buden geschoben zu werden. Sie für ihren Teil vermied es, in die Nähe des Flohmarktes zu kommen. Wenn man sich an diesem Freitagabend umsah, war es nur schwer vorstellbar, dass in denselben Gassen, in denen der Regen auf relativ leere Bürgersteige trommelte, in gut zwölf Stunden die Hölle los sein würde.