Mein Leben (Selbstbiographie) - Flavius Josephus - E-Book

Mein Leben (Selbstbiographie) E-Book

Flavius Josephus

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Beschreibung

Die vorliegende Selbstbiographie schrieb der bekannte antike Geschichtsschreiber Flavius Josephus, um sich gegen die Beschuldigungen zu verteidigen, welche Justus von Tiberias und andere gegen ihn erhoben hatten. Man warf ihm nämlich vor, eine Reihe von Tatsachen, zumal solche, die seine Statthalterschaft in Galiläa betrafen, wissentlich verschwiegen oder verfälscht zu haben. Justus von Tiberias insbesondere hatte wie Josephus eine Geschichte des Jüdischen Krieges herausgegeben und darin seine Angriffe gegen den Befehlshaber von Galiläa veröffentlicht. Dem Zweck der Biographie entsprechend ist der in diesem mittleren Teil behandelte Lebensabschnitt, weil er sich auf die Statthalterschaft in Galiläa bezieht, am ausführlichsten geschildert, und so mag die Schrift nicht unpassend als Anhang zur Geschichte des Jüdischen Krieges aufgefaßt werden.

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Vorbemerkung.

Die Selbstbiographie schrieb Josephus, um sich gegen die Beschuldigungen zu verteidigen, welche Justus von Tiberias1 und andere gegen ihn erhoben hatten. Man warf ihm nämlich vor, eine Reihe von Tatsachen, zumal solche, die seine Statthalterschaft in Galiläa betrafen, wissentlich verschwiegen oder verfälscht zu haben. Justus von Tiberias insbesondere hatte wie Josephus eine Geschichte des Jüdischen Krieges2 herausgegeben und darin seine Angriffe gegen den Befehlshaber von Galiläa veröffentlicht. Dieses Werk ist nicht auf uns gekommen; wir vermögen deshalb nicht zu sagen, wie der Verfasser seine Anklagen zu beweisen versucht hat. Einige derselben müssen wohl nicht ganz unbegründet gewesen sein was daraus hervorgeht, daß der mittlere, wichtigste Teil der Selbstbiographie, der vornehmlich der Widerlegung dienen sollte, in merklicher Aufregung und stellenweise sogar in offenkundiger Verlegenheit geschrieben ist. Dem Zweck der Biographie entsprechend ist der in diesem mittleren Teil behandelte Lebensabschnitt, weil er sich auf die Statthalterschaft in Galiläa bezieht, am ausführlichsten geschildert, und so mag die Schrift nicht unpassend als Anhang zur Geschichte des Jüdischen Krieges aufgefaßt werden.

Was die Zeit betrifft, in der das Werkchen geschrieben wurde, so ergibt sich aus Abschnitt 66, wo der 101 n. Chr. erfolgte Tod Agrippas II. vorausgesetzt wird, daß die Abfassung erst nach diesem Ereignis, also im Jahre 102 oder 103 n.Chr. stattgefunden hat.

Im übrigen ist die flott geschriebene Biographie ohne weitere vorgängige Erläuterungen verständlich.

1 Vergl. über ihn: Creuzer, Studien und Kritiken, 1853, S. 57‒59, und besonders: Bärwald, Flavius Josephus in Galiläa etc., S. 20‒26. Die letztere Schrift gibt übrigens einen dankenswerten Kommentar zur Selbstbiographie des Josephus, wenn man sich auch mit den darin enthaltenen Ausführungen über Agrippa II., Johannes von Gischala und Josephus (letzterer wird schlankweg als Verräter gebrandmarkt) nicht durchgängig einverstanden erklären kann.

2 Als Teil seines Gesamtwerkes: Über die gekrönten Könige der Juden. Daß Justus außer dieser Chronik, die bis Trajan reichte, noch eine besondere Geschichte des Jüdischen Krieges verfaßt habe, wie Müller (Des Flavius Josephus Schrift gegen den Apion, S. 6) annimmt, ist eine durch nichts bestätigte Vermutung. Photius (9. Jahrh. n. Chr.), dem die Chronik noch vorgelegen hat, bezeichnet deren Stil als kurz und gedrängt, fügt aber hinzu, Justus habe eine Menge der wichtigsten Begebenheiten übergangen und namentlich in Bezug auf den Krieg der Römer gegen die Juden und die Zerstörung Jerusalems erdichtetes Zeug vorgebracht (Phot. bibl. cod. 33).

1. Ich habe einen Stammbaum aufzuweisen, der nicht unberühmt ist, sondern bis in die ältesten Priesterfamilien zurückreicht. Bekanntlich gründet sich der Adel bei dem einen Volk auf diese, bei dem anderen auf jene Voraussetzung, und so wird bei uns als Kennzeichen vornehmer Geburt die Zugehörigkeit zur Priesterschaft angesehen. Übrigens leite ich meine Abstammung nicht nur aus priesterlichem Geschlecht, sondern ‒ was viel besagen will ‒ sogar aus der ersten der 24 Klassen und zwar aus der vornehmsten Familie derselben her. Mütterlicherseits bin ich auch königlichem Geblüt entsprossen; denn die Asamonäer, die Vorfahren meiner Mutter, sind während eines beträchtlichen Zeitraumes Hohepriester und Könige unseres Volkes gewesen. Mein Stammbaum ist folgender: Mein Urahn Simon mit dem Beinamen Psellos lebte um die Zeit, als ein Sohn des Hohepriesters Simon, derselbe, der zuerst unter den Hohepriestern den Namen Hyrkanus trug, das hohepriesterliche Amt bekleidete. Simon Psellos hatte neun Söhne. Einer von diesen, Matthias, des Ephlias Sohn genannt, heiratete die Tochter des Hohepriesters Jonathas, der zuerst von den Asamonäern die Hohepriesterwürde an sein Haus brachte und dessen Bruder Simon gleichfalls Hohepriester war, und erhielt von ihr im ersten Jahre der Regierung des Hyrkanus einen Sohn, Matthias mit dem Beinamen „der Bucklige.“ Des letzteren Sohn war Joseph, geboren im neunten Regierungsjahre Alexandras, und von Joseph ward im zehnten Jahre der Regierung des Königs Archelaus Matthias gezeugt. Der Sohn dieses Matthias bin ich selbst, geboren im ersten Jahre der Herrschaft des Cæsars Gajus. Ich habe wiederum drei Söhne, von denen der älteste, Hyrkanus, im vierten, Justus im siebenten, und Agrippa im neunten Jahre der Regierung des Imperators Vespasianus das Licht der Welt erblickte. Indem ich so meinen Stammbaum, wie ich ihn in den amtlichen Urkunden vorfand, veröffentliche, sehe ich mit Verachtung auf diejenigen hinab, die mich verleumden wollen.

2. Mein Vater Matthias war aber nicht bloß um seines Adels, sondern noch mehr um seiner Gerechtigkeit willen ein hervorragender Mann und deshalb in unserer Hauptstadt Jerusalem allgemein geachtet. Mit meinem leiblichen Bruder Matthias gemeinsam erzogen, eignete ich mir einen hohen Grad von Bildung an, und man glaubte von mir, daß ich die anderen an Gedächtnis und Verstand überträfe. So kam es, daß ich schon als Knabe von etwa 14 Jahren meiner Wißbegierde wegen von jedermann gelobt wurde, und daß selbst die Hohepriester und Vornehmen der Stadt mich besuchten, um eine besonders gründliche Auslegung des Gesetzes von mir zu erfahren. Im Alter von 16 Jahren faßte ich den Entschluß, unsere Sekten zu prüfen, deren es, wie ich des öfteren3 auseinandergesetzt habe, drei gibt: Pharisäer, Sadduzäer und Essener. Ich glaubte nämlich dadurch die beste herausfinden zu können, daß ich sie alle kennen lernte. Unter harten Abtötungen und zahlreichen Mühseligkeiten durchlief ich die drei Sekten, und als ich dann meinen Wissensdrang noch immer nicht für befriedigt hielt, wurde ich der eifrige Schüler eines gewissen Banus, der, wie ich vernahm, in der Wüste lebte, Kleider von Baumrinde trug, wildwachsende Kräuter aß und zur Reinigung sich öfters am Tage wie in der Nacht mit kaltem Wasser wusch. Bei ihm brachte ich drei Jahre zu und kehrte, nachdem meine Absicht erreicht war, in die Stadt zurück. Im 19ten Lebensjahre begann ich dann die öffentliche Laufbahn als Anhänger der Pharisäersekte, welche den griechischen Stoikern nahe kommt.4

3. Mit dem vollendeten 26sten Lebensjahr unternahm ich eine Reise nach Rom aus folgender Veranlassung. Um die Zeit, als Felix Landpfleger von Judäa war5, ließ derselbe einige mir sehr befreundete Priester, wackere und ehrenwerte Männer, einer ganz unbedeutenden Ursache wegen verhaften und schickte sie nach Rom, wo sie sich vor dem Cæsar verantworten sollten. In der Absicht nun, zu ihrer Befreiung das meinige beizutragen, besonders aber, weil ich erfuhr, daß sie auch im Unglück die Ehrfurcht gegen Gott nicht außer acht ließen und sich von Feigen und Nüssen ernährten, fuhr ich nach Rom, hatte aber zur See schwere Gefahren zu bestehen. Unser Schiff nämlich sank mitten auf dem Adriatischen Meere unter, und wir mußten, fast 600 an der Zahl, die ganze Nacht hindurch schwimmen. Endlich gegen Tagesanbruch kam uns durch Gottes Fürsorge ein Fahrzeug aus Kyrene zu Gesicht, in welches ich nebst einigen anderen, die den übrigen vorausgeschwommen waren, im ganzen etwa 80, aufgenommen wurde. So ward ich gerettet und kam nach Dikæarchia, welches die Italiener Puteoli nennen und wo ich bei Aliturus gastliche Aufnahme fand. Dieser Mann, ein geborener Jude, war Schauspieler und stand bei Nero in hoher Gunst. Durch ihn wurde ich mit der Gemahlin des Cæsars, Poppæa, bekannt und trug ihr nun sogleich die Bitte um Freilassung der Priester vor. Sie gewährte mir denn auch diese Gnade, und nachdem ich obendrein noch reichlich von ihr beschenkt worden war, kehrte ich nach Hause zurück.

4. Hier fand ich das Feuer des Aufruhrs schon am glimmen und mußte die Wahrnehmung machen, daß gar viele sich mit dem verwegenen Plane trugen, von den Römern abzufallen. Ich versuchte nun die Empörer zu beschwichtigen und auf andere Gedanken zu bringen, indem ich ihnen vorstellte, mit wem sie es aufnehmen wollten und daß sie den Römern nicht nur an Kriegserfahrung, sondern auch an Glück nachstehen würden: sie möchten daher nicht so leichtfertig und sinnlos über Vaterland, Familie und sich selbst die äußerste Gefahr heraufbeschwören. So sprach ich und drang eifrig in sie, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen, weil ich voraussah, daß der Krieg für uns in der schrecklichsten Weise enden würde. Glauben aber fand ich nicht, denn der Wahnsinn der Verzweifelten überstieg alles Maß.

5. Schließlich mußte ich fürchten, durch derartige Reden den Haß der Menge sowie den Argwohn auf mich zu laden, als hielte ich es mit den Feinden, und demzufolge von den Empörern ergriffen und getötet zu werden. Ich zog mich daher, weil die Antonia bereits genommen war, ins Innere des Tempels zurück. Nach der Ermordung des Manæm und der Anführer des räuberischen Gesindels aber schlich ich mich wieder aus dem Heiligtum hinaus und hielt mich zu den Hohepriestern und den einflußreichsten Pharisäern. Unsere Besorgnis hatte übrigens schon einen hohen Grad erreicht; sahen wir doch das Volk in Waffen, uns selbst aber in gänzlicher Ratlosigkeit und außerstande, dem Aufruhr Einhalt zu tun, während uns die offenkundigste Gefahr bedrohte. Zum Schein stimmten wir deshalb dem Vorhaben der Empörer bei, rieten aber zur Mäßigung, da wir hofften, Gessius6 werde binnen kurzem mit bedeutender Truppenmacht heranziehen und den aufständischen Bewegungen ein Ende machen.

6. Er kam denn auch, wurde aber in einem Treffen geschlagen und verlor eine Menge seiner Leute. Diese Niederlage des Gessius war das Verderben unseres ganzen Volkes. Den Kriegslustigen schwoll darob der Kamm, und im Vollgefühl ihres Sieges über die Römer hofften sie, dieselben vollends vernichten zu können. Hierzu kamen als treibendes Moment noch andere Vorfälle, die sich folgendermaßen abspielten. Die Bewohner der benachbarten syrischen Städte ergriffen die bei ihnen ansässigen Juden und metzelten sie samt Weibern und Kindern ohne jeden stichhaltigen Grund nieder: denn die Ärmsten hatten weder an Abfall von den Römern gedacht, noch gegen die Syrer etwas feindseliges im Schilde geführt. Am gottlosesten und grausamsten trieben es die Bürger von Skythopolis. Als sie nämlich von den auswärtigen Juden angegriffen wurden, zwangen sie deren Stammesgenossen, die unter ihnen lebten, gegen diese zu den Waffen zu greifen, was nach unseren Gesetzen ein Frevel ist, und überwanden mit ihrer Hilfe die Angreifer. Kaum aber hatten sie gesiegt, als sie die Treue gegen ihre Mitbewohner und Kampfgenossen vergaßen und dieselben samt und sonders ermordeten, viele tausend an der Zahl. Ein gleiches Schicksal traf die Juden zu Damaskus. Doch diese Vorgänge habe ich in meinem Werke über den Jüdischen Krieg ausführlicher besprochen; hier erwähne ich sie nur flüchtig, um dem Leser zu beweisen, daß die Juden den Krieg gegen die Römer nicht mit Vorbedacht unternommen haben, sondern größtenteils dazu gezwungen wurden.

7. Als die Männer, welche zu Jerusalem an der Spitze standen, nach dem Siege über Gessius sahen, daß die Räuber samt den Empörern stark bewaffnet waren, begannen sie zu fürchten, sie möchten diesen ihren Feinden unterliegen, wenn sie selbst unbewaffnet blieben. In der Tat hat sich später gezeigt, wie begründet die Besorgnis war. Um diese Zeit erfuhren sie auch, daß noch nicht ganz Galiläa von den Römern abgefallen sei, vielmehr ein Teil des Landes sich ruhig verhalte. Sie schickten mich daher nebst zwei anderen höchst wackeren Priestern, Joazar und Judas, dorthin mit dem Auftrag ab, die Übelgesinnten zur Niederlegung der Waffen zu bereden und ihnen klarzumachen, daß es besser sei, wenn nur der kräftigste Teil des Volkes sich derselben bediene. Unsere Partei nämlich war wohl entschlossen, für den Notfall die Waffen bereitzuhalten, wollte jedoch zunächst abwarten, was die Römer tun würden.

8. Mit diesen Aufträgen also kam ich nach Galiläa. Hier fand ich die Sepphoriten in großer Unruhe wegen ihrer Vaterstadt, die von den Galiläern einesteils wegen ihrer Freundschaft für die Römer, andernteils weil sie mit Cestius Gallus, dem Statthalter von Syrien, einen Vertrag abgeschlossen hatte, mit Plünderung bedroht wurde. Sogleich aber befreite ich sie insgesamt von ihrer Furcht, indem ich das ihnen feindlich gesinnte Volk günstig für sie stimmte und ihnen sogar die Erlaubnis gab, so oft sie wollten, ihre Verwandten zu besuchen, welche in Dora, einer phönikischen Stadt, bei Gessius als Geiseln sich befanden. Die Bewohner von Tiberias dagegen traf ich bereits in bewaffnetem Aufruhr, der sich aus folgender Ursache entwickelt hatte.