Mein Senf zu allem - Christian Urech - E-Book

Mein Senf zu allem E-Book

Christian Urech

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Beschreibung

"Mein Senf zu allem" enthält kürzere und längere Texte zu allen möglichen philosophischen Fragestellungen: Was ist der Sinn des Lebens? Gibt es Gott? Tiefsinnige Überlegungen zu den Stichworten Anstand, Hass, Übertreibung, Recht und Gerechtigkeit, Arbeit, Populismus, Männer und Frauen, Islam «Wir» und «Die», Wahrhaftigkeit, Lüge und Wahrheit, Wirtschaft, Tod, Verallgemeinerungen, das menschliche Hirn, Schicksal, Blues Zeit, Natur, Kunst, Kultur, Medien, Sport, Körper und Geist, Geschichte, Kinder, Liebe, Theorie und Praxis, Humor, Tatsachen und Meinungen, Unsterblichkeit, Glück, Religion und Philosophie, Wiedergeburt, Evolution, Homosexualität und Sehnsucht etc. machen diese Texte zum unverzichtbaren Begleiter durch Jahr. Das Buch vermittelt auf unterhaltsame, poetische und kluge Weise Orientierung und bietet praktische Lebenshilfe.

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Inhaltsverzeichnis

Gott

Sex

Anstand

Hass

Gutbös

Übertreibung

Recht und Gerechtigkeit

Arbeit

Populismus

Männer und Frauen

Der Islam

«Wir» und «Die»

Wahrhaftigkeit

Lüge und Wahrheit

Wirtschaft

Tod

Verallgemeinerungen

Das menschliche Hirn

Schicksal

Blues

Zeit

Natur

Kunst

Das Gute und das Böse

Kultur

Medien

Sport

Körper und Geist

Geschichte

Gott (2)

Kinder

Liebe

Theorie und Praxis

Humor

Cryptoleaks

«Ich»

Bilanz

Während des Lockdowns

Das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht

Begegnungen, alltägliche

Die Traumwelt und die Wachwelt

Tatsachen und Meinungen

Unsterblichkeit

Chronos

Vergebliches Verlangen

Der Sinn des Lebens

Das glückliche Leben

Religion und Philosophie

Wiedergeburt

Evolution oder der Beginn der Welt

Scheisse

Homosexualität

Vorsatz

Eine unmögliche Liebe

Glück, Zeit. Wasser. Fragen

Der Engel vom Hauptbahnhof

Glück ist eine Gabe, aber auch eine Kunst

Menschenversuche

Zwei Leben

Der Hanfdieb wird als Frosch geboren

Hänsel und Gretel

Eine unbequeme Wahrheit

Das Private ist politisch

Das angenehme Schweinchen

Der verlorene Traum

Die sensible Tomate

Liebe (2)

Der einsame Buchstabe

Thomas Mann in Zürich

Hotel «The Doors»

Der Absturz

Das misanthropische Wohnzimmer

So könnte eine Geschichte beginnen

Sehnsucht

Sehnsucht (2)

Gelber Schimmel

Das Märchen vom König

Gestirne, die auf Reisen gehn

Die Selsamifikation der Welt

Das letzte Hemd hat keine Taschen

Oh Mensch! Gib acht!

Was spricht die tiefe Mitternacht?

Ich schlief, ich schlief.

Aus tiefem Traum bin ich erwacht.

Die Welt ist tief.

Und tiefer als der Tag gedacht.

Tief ist ihr Weh.

Lust – tiefer noch als Herzeleid.

Weh spricht: Vergeh!

Doch alle Lust will Ewigkeit.

Will tiefe, tiefe Ewigkeit!

Friedrich Nietzsche

GOTT

Viele Menschen denken an Gott als einen Vater, als eine Art Pater familias, als den Chef des Universums, der die Regeln vorgibt, deren Einhaltung er belohnt oder sanktioniert – die Guten kommen ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen. Diese Gottesvorstellung ist zwar bequem – sie enthebt von eigenem Denken –, aber sie ist leider auch grauenhaft unplausibel, ja geradezu naiv. Trotzdem ist sie ein Longseller und gerade momentan wieder sehr im Trend. Gotteskriege werden deswegen geführt, Menschen enthauptet. Und es ist nicht anzunehmen, dass sie in Zukunft an Attraktivität verliert: je moderner die Zeiten, desto heiliger die Kriege, möchte man sagen. Je verwickelter die Zeiten, je komplexer die Welt, desto grösser die Sehnsucht nach einem einfachen Weltbild, nach Schwarz und Weiss, Freund und Feind.

Andere sehen Gott als eine Art Gebärerin, die die Schöpfung aus sich herausgestossen hat, als Schöpferin, die die Welt zwar verursacht hat, sich nun aber nicht mehr um ihre Geschöpfe kümmert – wie die Mutter, die aus welchen Gründen auch immer ihr Kind in die Babyklappe von Einsiedeln legt. Das Verursachende und das Verursachte sind absolut voneinander geschieden. Und die Schöpfung, unsere Welt, wuchert nun so vor sich hin, ohne Plan, ohne Ziel, nach dem Prinzip des Zufalls – woraus sich die chaotische Weltlage einigermassen erklären liesse. Die Menschheit, sich selbst überlassen, führungslos, wurstelt sich durch, unaufhaltsam dem Abgrund entgegen.

Diese Gottesvorstellung ist einigermassen deprimierend, weshalb ich mir erlaube, sie an dieser Stelle zu verwerfen. Einen ganz anderen Ansatz wählen die Pantheisten. Für sie sind Schöpfung und Schöpfer eins, Gebärende und Geborenes. Gott sucht sich in seiner Schöpfung selbst, Gott ringt in seiner Schöpfung um das Bewusstsein seiner selbst. Er mordet mit, er leidet mit, er fühlt und denkt mit uns. In dieser Vorstellung sind wir alle ein Teil von Gott oder vielmehr eine Spiegelung, eine Projektion von Gott, das Göttliche im Kleinen, noch Unfertigen. Die Schöpfung ist ein Hologramm, in dem jeder Splitter das Ganze enthält. Im Einzelnen ist wie ein Keim das Ganze enthalten, oder, noch eigenartiger, die Einzigartigkeit ist eine Illusion und wir alle sind das Ganze. So denken die Mystiker. Dieses Gottesbild ist doch wesentlich tröstlicher als die vorangehenden: Wir sind die Tropfen, die letztlich den Ozean bilden.

Die Vorstellung, dass das Einzelne und das Ganze im Grunde dasselbe sind, ist mir sympathisch, auch wenn sie selbstverständlich nicht alle Fragen beantwortet. Ethische Fragen bleiben offen, das mystische Weltbild erlaubt es uns, ja zwingt uns geradezu dazu, alles zu billigen, also auch heilige Kriege, Morde, Köpfe abschlagen, Ausbeutung, Vergiftung und Zerstörung des Planeten. Schliesslich ist auch das Teil des sich gebärenden Gottes – jede Abscheulichkeit, jede Perversion und Absurdität ist in ihm. So wird mancher Mystiker zum amoralischen Nihilisten und Anarchisten, der glaubt, er könne tun, was er will.

Manche stellen sich Gott als konkrete Person vor, andere als reine Idee. Gott als Person, als alter Mann mit wallendem Rauschebart – die Kindervorstellung. Gott als Idee, als reines Abstraktum – die idealistische Philosophenvariante. Dazwischen jene, die sagen, sie glaubten zwar nicht an Gott, aber schon irgendwie an eine höhere Macht. Jene, die von sich behaupten, sie seien zwar nicht religiös, aber sehr wohl spirituell. Doch was soll denn das heissen: spirituell im Sinn von geistlichen Gedanken oder im Sinn von geistigen Getränken? Da ist etwas, sagen sie – dahinter, darin, darüber oder was?

Hilft uns auch nicht weiter.

Dann jene, die glauben, Gott sei in einem Buch. Gott als Schriftsteller, als Märchen- und Geschichtenerzähler. Erst hat er die Bibel diktiert (mehreren Sekretären), dann den Koran (einem einzigen Sekretär), dann das kommunistische Manifest (zwei Sekretären), dann das Manifest der unsichtbaren Hand des freien Marktes.

Man kann sich natürlich auch damit behelfen, dass man nicht an einen Gott glaubt, sondern an mehrere, so, wie es die eher sinnenfreudigen Menschen tun. Das ist eine vor allem für die Göttlichen selbst tröstliche Variante: Mitglieder von Götterfamilien, von der altgriechischen über die hinduistische bis zur buddhistischen im Tibet, sind doch weit weniger einsam als allein herrschende Vätergötter und von daher vielleicht ein bisschen weniger grantig und absolut und bösartig als diese.

Grandios, wenn auch nicht unbedingt einleuchtend, ist die Vorstellung des Buddhismus von Gott als Nichts. Gott ist nicht tot, wie Nietzsche verkündigte, es hat ihn gar nie gegeben ausserhalb unseres illusionären Bewusstseins. Alles ist Schein, alles ist Trug, alles ist Illusion – wir müssen es nur erkennen und gehen ins Nirwana ein.

Gott ein Traum, den wir träumen – oder ist es umgekehrt und wir sind der Traum, den Gott träumt? Der womöglich wieder nur eine Figur im Traum eines anderen, noch mächtigeren Gottes ist – mächtig und auch wieder nicht, denn was spielt es für eine Rolle, wie mächtig wir sind – angesichts der hintergründigen Tatsache, dass alles im Innersten Nichts ist?

SEX

Viele heterosexuelle Männer sehnen sich nach einer Frau mit Schwanz. Sie sind es leid, immer die aktive Rolle spielen zu müssen. Dies betrifft insbesondere Männer, die sich in ihrem Selbstverständnis als besonders «männlich» empfinden, also die sogenannten Machos. Natürlich sind sie sich dessen kaum bewusst: Männer funktionieren ja selten über den Kopf. Sie würden Aussagen wie diesen wohl in der Mehrzahl vehement widersprechen. Trotzdem – man frage mal die Spezialisten auf diesem Gebiet. Prostituierte männlichen Geschlechts haben es heute schwer – kaum jemand interessiert sich noch für ihre Dienstleistungen. Die schwulen männlichen Kunden sind übersättigt. Das Angebot übersteigt die Nachfrage bei weitem. Jedoch können sich Transmenschen oder auch solche, die sich als Transmenschen nur verkleiden und eine entsprechende Rolle spielen, kaum über entsprechende Umsatzmöglichkeiten beklagen. Zu ihrer Klientel gehören vor allem sogenannte Heteros – also Männer, die sich in ihrem «Tagleben» vehement dagegen verwahren würden, homosexuell zu sein. Sie sind auch in keinster Weise homosexuell sozialisiert – nicht selten sind sie ausgesprochen homophob. Sie hassen Schwule.

Was ist Sex? Haben wir Männer, haben wir Frauen Sex mit unserem Schwanz, unserer Muschi? Nein. Natürlich nicht. Wir haben Sex mit unserem Hirn. Oder durch unser Hirn. Nicht der Schwanz ist horny, nicht die Muschi ist tickelig, sondern unser Zentralorgan im Kopf.

ANSTAND

Ich misstraue jenen, die sich ständig über den mangelnden Anstand der anderen beklagen. Wahrscheinlich haben sie selber keinen.

HASS

Hass ist wie die Liebe ein sozusagen menschliches Gefühl. Wir haben es in uns, und es nützt nichts, das zu leugnen. Es ist ganz offensichtlich ein Agens in der Geschichte der Menschheit. Hass zu überwinden bedeutet nicht, ihn zu leugnen. Man muss ihm in die Augen sehen. Und ihm dann eine deutliche Absage erteilen.

GUTBÖS

Nehmen wir einmal der Einfachheit halber an, das Gute und das Böse liessen sich nach dem Kantschen Imperativ definieren: Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andern zu. Na ja – ich weiss, dass es diese selbstdestruktiven Psychopathen gibt, die sehr wohl wollen, dass man ihnen das Böse zufüge, dass sie anderen zufügen. Aber wir wollen uns hier mal nicht in die Höllen der Psychopathologie begeben. Nach der unkomplizierten Definition könnte man also sagen: Das Gute und das Böse sind im Kind in einem ungefähren Gleichgewicht. Es sind zwei kleine Hunde oder andere Tierchen, die in uns schlummern. Nun, man füttert das eine oder das andere Tier. Das wird dann stärker. Das erste Verbrechen erzeugt vielleicht noch Gewissensbisse, der erste Tote tut vielleicht noch weh. Aber irgendwie gewöhnt sich der Mensch an alles. Schliesslich zückt er die Pistole, ohne einen Gedanken an die Folgen zu verschwenden. Is ein Job, nich? Das böse Tier wird fetter und fetter, bis es schliesslich platzt. Was nicht heisst, dass der Böse nicht auch seine weichen Seite hat. Das gute Tier ist schon noch da, wenn auch klein und verschüchtert. Vielleicht weint der Mafia-Pate im Kino, sehr wahrscheinlich liebt der Boss der Bosse seine Mutter, seine Frau und seine Kinder wirklich. Auch seinem Schäferhund ist der Despot in wahrer Liebe zugetan. Aber natürlich kann man auch sein gutes Tier füttern, die Empathie, das Mitleid und die Fürsorglichkeit. Doch selbst diese schönen Eigenschaften können leider zu einem Monster werden. Wie es schon im Faust steht: Derjenige, der stets das Gute will, schafft vielleicht das Böse, und derjenige, der das Böse will, bewirkt vielleicht manchmal auch was Gutes. Eine Gewissheit auf diesem schlüpferigen Boden der Moral gibt es leider nicht.

Es liegt also an jedem Einzelnen, ob er das gute oder das böse Tier füttern will. Aber aufgrund wessen entscheiden wir uns? Ist es reiner Zufall, der uns in die eine oder andere Richtung treibt? Oder war vielleicht das böse resp. das gute Tier von allem Anfang an ein kleines bisschen stärker in uns? Oder waren es die Umstände, die uns lenkten und bestimmten? Machte Gelegenheit den Dieb aus mir?

Um sich bewusst entscheiden zu können, braucht es jedenfalls Reflexionsfähigkeit und ein gewisses Bewusstsein von sich selbst, eine gewisse Distanz zu sich selbst, die man nicht bei jedem Menschen voraussetzen kann – was gewiss nicht nur eine Frage der so genannten Intelligenz ist.

ÜBERTREIBUNG

Übertreibung führt schliesslich in den Untergang. Nehmen wir den Fall von El Patron Pablo Escobar, dem Drogenhändler, der erst zu einem der reichsten Männer der Welt wurde, um anschliessend alles zu verlieren und mit 44 wie ein räudiger Hund erschossen zu werden. Er wurde immer gewalttätiger, skrupelloser und machtbesessener, bis er schliesslich seine eigentlich unentschlossenen bis unwilligen Gegner zum Handeln zwang. Er machte sich alle zu Feinden – die staatlichen Organe, die anderen Bosse des Medellin-Kartells, dem er angehörte, rivalisierende Kartelle und die rechtsradikale Bürgerwehr. Dadurch geriet er in einen Mehrfrontenkrieg, der schliesslich zu seinem Untergang führte.

RECHT UND GERECHTIGKEIT

Was Recht ist, lässt sich relativ leicht erklären: Es sind die Gesetze und ihre Anwendung, also ihre Auslegung, die, wie jeder Jurist bestätigen kann, keineswegs eindeutig ist, zumal sie den beteiligten Instanzen einen relativ grossen Ermessenspielraum zugesteht. Es spielt also eine Rolle, unter welchen Umständen eine kriminelle Tat verübt wurde. Die Verfassung der Täterschaft spielt eine Rolle, ihre Motive und die Folgen des Vergehens oder Verbrechens. Die Juristerei ist ja keine exakte Wissenschaft, es ist überhaupt keine Wissenschaft, sondern eine pragmatische Normsetzung und -durchsetzung für unser Zusammenleben im Alltag. Auch ist das Recht nicht statisch, sondern verändert sich ständig; alte Gesetze werden abgeschafft und neue eingeführt. Keinesfalls kann Recht mit Gerechtigkeit gleichgesetzt werden; alles Mögliche kann zum Gesetz werden, auch das Ungerechte. Natürlich sollte sich das Recht am Gerechtigkeitsgedanken orientieren; ein Staat, in dem das nicht der Fall ist, bezeichnen wir als Unrechtsstaat. Wenn das Recht eines Staates die Todesstrafe kennt, ist sie rechtens, was aber nicht heisst, dass sie dann automatisch auch gerecht ist. Die einen denken ja, die anderen nein.

Was aber ist Gerechtigkeit? Das ist schon schwieriger zu definieren, weil das, was sie ausmacht, ein subjektives Element enthält, will heissen, dass nicht jeder und jede das Gleiche als gerecht oder ungerecht empfindet. Empfindet – Gerechtigkeit hat also mit Empfindungen zu tun, mit Gefühlen, ist also nicht rein rational zu erklären. Auch ändert sich das Gerechtigkeitsempfinden von Generation zu Generation, von Kultur zu Kultur. Sogar unser Gerechtigkeitsempfinden als Individuen verändert sich manchmal im Lauf des Lebens.

Aber gibt es nicht so etwas wie einen «harten Kern» von Gerechtigkeitswerten, die von den meisten Individuen in den meisten Kulturen durch alle Zeiten geteilt werden? Schwer zu sagen. Wahrscheinlich werden die meisten der Aussage beipflichten, dass es ungerecht oder zumindest ungerechtfertigt ist, einen anderen Menschen zu töten. Doch gilt das ganz und gar nicht absolut. Im Krieg wird das Töten sogar zur (patriotischen) Pflicht. Oder denken wir an die Todesstrafe, von der wir oben sprachen. Und einer Tötung im Affekt, zum Beispiel aus Rach- oder Eifersucht, sprechen wir zumindest mildernde Umstände zu. Oder nehmen wir Diebstahl. Die meisten werden es als ungerecht empfinden, wenn ihnen jemand etwas wegnimmt, was ihnen gehört, und deshalb auch akzeptieren, dass es ungerecht ist, wenn sie jemandem etwas wegnehmen. Wenn wir uns aber etwas vertiefter mit dem Gedanken des Eigentums beschäftigen, geraten wir augenblicklich in Widersprüche. Was ist eigentlich Eigentum? Legales Eigentum ist nicht immer legitimes Eigentum: Sklaven zu halten war einmal legal, während wir die Sklaverei heute für wirklich ungerecht halten. Ist es moralisch verwerflich, Steuern zu hinterziehen – ist es ungerecht? Oder ist es legitim, dem Staat, der mir etwas wegnehmen will, ein Schnippchen zu schlagen? Ist nicht Eigentum an sich, wie es die Anarchisten um Proudhon postulierten, Diebstahl? Ist es gerecht, einen kleinen Dieb nach dem Prinzip der Zero Tolerance ein ganzen Leben lang einzubuchten, während ein Banker, Vermögensberater oder «Finanzdienstleister», der im grossen Stil Gelder verschiebt und wäscht, Scheintransaktionen durchführt, Briefkastenfirmen gründet und Steuerzahlungen umgeht, immer reicher wird, weil nämlich ihm seinen Diebstahl niemand nachweisen kann? Was ist ungerechter, Waffen zu verkaufen oder Waffen zu benützen? An einem Krieg zu verdienen oder ihn zu führen? Kann es auch ungerecht sein, etwas zu unterlassen?

Wir sehen, die Gerechtigkeitsfrage lässt sich letztlich nicht beantworten. Man nehme also die Summe der subjektiven Gerechtigkeitsempfindungen und suche den kleinsten gemeinsamen Nenner, dann hat man das Recht. Insofern könnte man sagen, das Recht sei der Kompromiss der Gerechtigkeit und somit höchst unvollkommen, aber auch unumgänglich.

ARBEIT

Arbeit wird in Zukunft völlig anders interpretiert, bewertet werden. Arbeit als Erwerbsarbeit, das ist ein Auslaufmodell, wenn wir daran denken, dass in Zukunft all die Arbeiten, die wir bisher aus Zwang geleistet haben, von Robotern, Maschinen und Computern übernommen werden können. Eigentlich könnten wir dann vom biblischen Zwang, unser Überleben im Schweiss unserer Anstrengung zu sichern, befreit werden. Aber der Mensch ist nicht so. Er wird sich dann schon neue Zwänge ersinnen. Entweder wird die Zukunft der Arbeit so, wie es in der französischen Serie «Stadt ohne Namen» («Trepalium») gezeigt wird – nämlich dass es 20 Prozent Beschäftigte gibt, die permanent unter der Angst leben, aus der «privilegierten Stadt» innerhalb der Mauern verstossen zu werden, und 80 Prozent jener Menschen, die keine Arbeit und kein Einkommen haben und in Slums ausserhalb der Stadtmauern leben, oder es verwirklicht sich vielleicht die vorläufig leider wohl utopische Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens, das wenigstens ein bisschen Gleichheit und Gerechtigkeit schafft. Sicher ist, dass Arbeit zukünftig zum Schlüsselbegriff für persönliches Glück werden wird. Arbeit macht frei – oder eben nicht.

POPULISMUS

Zu Populismus kommt mir als allererstes die Redensart «Dem Volk nach dem Maul reden» in den Sinn. Da stellt sich natürlich sofort die Frage: Wer ist «das Volk»? Und wie oder was denkt das Volk? Zunächst einmal: Das Volk, das sind wir, und zwar ausdrücklich und explizit wir im Gegensatz zu den anderen, den Fremden, den Störenfrieden, den Sündenböcken, den Parasiten, den Scheininvaliden, den Flüchtlingen und andern Eindringlingen, den entarteten Künstlern, den Widernatürlichen, den Undisziplinierten, den Unangepassten, den faulen Hunden, den Feinden. Und die anderen, das sind auch die geheimnisvollen Eliten, die intellektuellen Besserwisser, die Linken und Gutmenschen, die geheimen Strippenzieher, die abgehobenen Kunstschaffenden, Professoren und Richter, Illuminaten und jüdische Weltverschwörer. Zeichen des Populismus sind auch gezielt gestreute Widersprüchlichkeiten, der Milliardär, der vorgibt, die Sache der «kleinen Leute» zu vertreten, der Sexist, der sich für eine strengere Sexualmoral und gegen Abtreibung starkmacht, es bedeutet, den Freiheitsgedanken zu vertreten und gleichzeitig Zero-Tolerance gegen Kleinkriminelle zu praktizieren. Ein anderes Kennzeichen des Populismus besteht in der Taktik, einfach einmal etwas zu behaupten, ohne dass es mit Fakten belegt wird (das überlässt man den Intellektuellen und den Eliten), oder auch hemmungslos zu lügen (resp. «alternative Fakten» zu verbreiten) – ohne die geringste Scheu, der Lüge überführt werden. Jemand wird das, was ich behaupte, schon glauben (wollen). Und sowieso lügen alle Politikerinnen und Politiker, darüber regen sich bloss «Gutmenschen» auf. Politisch unkorrekt zu sein, wird als gezielte Provokation eingesetzt. Auch ist jeder Art von Populismus ein rassistisches Element inhärent, was vom Populisten auch gar nicht wirklich bestritten wird. Donald Trump stört es nicht, mit Hitler verglichen zu werden, im Gegenteil, er freut sich darüber.

MÄNNER UND FRAUEN

Was ist eine typische Frau, ein typischer Mann?

Ich glaube nicht an diese Typisierungen, die machen höchstens einen statistischen Sinn. Es gibt wohl Eigenschaften und Merkmale, die bei Frauen und Männern gehäuft auftreten, aber das sagt noch wenig bis nichts über den individuellen Einzelfall aus. Natürlich könnte man sagen: Männer sind eher wie Hunde und Frauen eher wie Katzen. Ganz falsch läge man damit nicht. Unter uns gesagt: Hunde sind Wesen, die ein bisschen einfach gestrickt sind, was sie aber auch irgendwie liebenswert machen kann (zum Beispiel, wenn sie einen so treuherzig anschauen und gestreichelt werden wollen – da kann man schon schwach werden). Katzen sind viel raffinierter, sie können einen ganz schön bezirzen und um den Finger wickeln, und wenn sie bösartig sind, dann nicht auf eine so plumpe Weise wie meistens die Männer. Aber wie gesagt: Das sind grobe Verallgemeinerungen. Im wirklichen Leben gibt es natürlich auch sehr katzenhafte Männer und hundeartige Frauen, um es mal so zu sagen.

Und was bin ich? Die Frage stellt mich vor ein Dilemma. Ich bin weder Hund noch Katze, oder vielmehr: sowohl als auch. Ich habe wohl mehr weibliche Züge als viele andere Männer, aber ich fühle mich dennoch nicht als Frau. Gewisse Verhaltensweisen von Frauen sind mir sogar vollends fremd (zum Beispiel ihr Schuh- oder Kleidertick). Mit den meisten («klassischen») Männern verbindet mich: Komplizierte Beziehungsdiskussionen gehen mir auf den Geist. Für mich sind Liebe und Sex (meistens) zwei verschiedene Paar Schuhe. Andererseits interessiere ich mich für sehr viele «Frauenthemen» (Literatur, Kunst, Psychologie), habe nahe am Wasser gebaut, bin auch sonst sehr emotional und sehr sehr neugierig, so dass mich auch, aber nicht nur, Klatsch interessieren kann. Viele Männerthemen (Autos, Sport, Frauen, Autos, Technik!!!, Computer) interessieren mich dagegen überhaupt nicht, und viele Herangehensweisen von Männern an die Herausforderungen des Lebens (Imponiergehabe, Konkurrenzgerangel, Kumpanei, Gewalttätigkeit) leuchten mir nicht unmittelbar ein. So weiss ich zum Beispiel nicht, ob ich eher einen Frauenoder einen Männerhumor habe. Was ist Frauen-, was ist Männerhumor? Gehört ein Sinn für Ironie, für das Groteske und für die Alltagskomik tatsächlich eher zum Männerhumor, wie ich meine? Vielleicht sitze ich da einfach einem Vorurteil auf.

Anders gefragt: Bin ich eher vom Mars oder eher von der Venus?

Wenn man das so meint, dass der Mann vom Mars dominant, aktiv, kriegerisch ist und die Frau von der Venus anschmiegsam, passiv und lieb, dann kann ich wiederum keine eindeutige Antwort geben. Ich glaube nicht, dass viele Menschen mich für sehr dominant halten würden, aber ich kenne die herrschsüchtigen Züge meines Charakters schon. Ich will auch nicht bestreiten, dass ich anschmiegsam, passiv und lieb sein kann (und es manchmal auch will), aber andererseits liebe ich meine Freiheit und werde ausgesprochen ungern dominiert, vor allem dann, wenn ich es nicht so will. Nein, dieses Mars-Venus-Geschwätz ist ein Chabis. Wenn schon, dann bin ich weder vom Mars noch von der Venus, sondern von einem ganz anderen Planeten aus einem ganz anderen Sonnensystem.

DER ISLAM

D er Islam ist weder eine bessere noch eine schlechtere Religion als andere Religionen. Alle Religionen haben ihre Perversionen. Alle Religionen können bösartig sein. Alle Religionen können positive Auswirkungen haben, indem sie positive ethische Implikationen postulieren. In Indien haben die Hindus schreckliche Verbrechen an Muslimen begangen. Und sogar der eigentlich so friedliche Buddhismus erzeugt in Burma Hass gegen die Muslime. Die von mir so verehrte Aung San Su Kyi hat sich bis heute nicht eindeutig gegen die progromartige Verfolgung der muslimischen Rohingya gestellt, beispielsweise, indem sie für sie die birmanische Staatsbürgerschaft einfordert, so wie es UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay vor einiger Zeit getan hat. Und wenn man das Buch von Suketu Metha über «Bombay – Maxiumum City» liest, erfährt man, wie unglaublich brutal die Religionskämpfe in dieser Stadt sein können. Religionskämpfe gibt es also in allen Religionen. Das heisst für mich nicht, dass ich alle Religionen verurteilen möchte. Aber eine gesunde Distanz gegenüber allen Religionen, die sich in irgendeiner Form mit Machtansprüchen verbinden, ist die Pflicht jedes vernünftigen Menschen. Religion misst sich an der Umsetzung von religiöser Prinzipien durch den Einzelnen.

«WIR» UND «DIE»

Die künstliche Aufteilung der Menschen in die Gruppen «Wir» und «Die» war schon immer ein Mittel von Herrschenden – Feldherren, Königen, Demagogen, Diktatoren, Populisten –, sich die verführbaren Teile der Bevölkerung nutzbar zu machen, sei es nun als Stimmoder als Kanonenfutter. Und man glaube jetzt ja nicht, automatisch zum nicht verführbaren Teil der Bevölkerung zu gehören. Früher, zum Teil auch heute noch, waren «Wir» die eigene Nation, die eigene Klasse, die eigene Kaste, die eigene Religion, vielleicht auch die eigene Hautfarbe und Nasenform. Heute ist dieses «Wir» diffuser, «wir» sind nicht mehr einfach «die Schweizer», sondern nur die «richtigen» Schweizer, die Eidgenossen. Alle anderen sind die «Fremden», mit denen wir nichts zu tun haben wollen, die, noch radikaler, eliminiert gehören: «Die», das ist das «Asylantenpack», das sind die islamistischen Terroristen, d.h. die Moslems allgemein, natürlich all diese Neger und anderen Halbaffen irgendwo aus dem Pfefferland, die unser Hab und Gut stehlen und unsere schweizerisch-arischen Frauen begrapschen und vergewaltigen, überhaupt alle Ausländerinnen und Ausländer, egal welcher Couleur, seien es nun die Sauschwaben, die Spaghettifresser, die faulen Griechen oder Schweizer aufschlitzende Kosovaren. Natürlich gehört auch das schwule Saupack nicht zu «uns», sondern zu «denen», aber auch die Weichsinnigen, die Lieben und Netten, diese Gutmenschen, über deren Naivität man lachen könnte, würde sie einem nicht so grausam auf den Sack gehen.

WAHRHAFTIGKEIT

Das Leben hat kein Happy End. Ein Happy End ist für uns nicht vorgesehen – für niemanden von uns. Aber spielt das eine Rolle? Würde ein Happy End denn Sinn machen? No Happy Ending – das ist eine anthropologische Grundvoraussetzung, verschleiert von ein wenig Hoffnung. Tausende von Jahren der Geschichte zeigen diese Offensichtlichkeit. Wir müssen lernen – und wir müssen leiden, damit wir lernen. Auch wenn wir scheitern – und wir werden letztlich scheitern, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche –, so müssen wir dennoch versuchen, das Richtige zu tun. Was aber ist das Richtige? Unmöglich, es zu wissen. Das Authentische vielleicht – oder, um ein altmodisches Wort zu gebrauchen, das Wahrhaftige. Es hat etwas mit Ehrlichkeit zu tun (auch ein altmodisches Wort), aber nicht mit Ehrlichkeit anderen gegenüber (das wäre Rücksichtslosigkeit), sondern mit Ehrlichkeit gegenüber sich selbst. Mehr kann man im Leben wohl kaum erreichen – und es ist jämmerlich wenig. Aber mit dieser Einsicht fängt diese Art von Ehrlichkeit wohl an. Wenn ich nun noch die Eitelkeit, die selbst in dieser Ehrlichkeit steckt, ausräumen könnte, hätte ich wahrscheinlich einen ersten Schritt getan – einen bescheidenen ersten kleinen Schritt.

LÜGE UND WAHRHEIT

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