Mein Weg zur geistigen Ebene - Clara Glass - E-Book

Mein Weg zur geistigen Ebene E-Book

Clara Glass

0,0

Beschreibung

Es wird ein Lebensweg mit seinen Höhen und Tiefen beschrieben. Bis sich durch ein schlimmes Ereignis alles ändert. Der Wendepunkt bewirkt eine neue Sicht auf das Leben. Dem Leser kann diese Geschichte Hoffnung geben und Mut machen. Sie ist wirklich geschehen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 279

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Leben leben, aber wie?

Annehmen, wie es ist.

Vertrauen besitzen in eine Kraft,

die mehr weiß als wir.

Hoffnungsvoll sein, dass es so,

wie es ist, gut ist.

Wissen, dass alles in Liebe

verbunden ist.

In Dankbarkeit Clara

Vorwort

Warum schreibe ich diese Zeilen? Was ist an meiner Geschichte so besonders, dass es andere Menschen lesen möchten? Ich glaube, es geht darum, Ihnen zu zeigen, dass es Hoffnung gibt. Alle, die durch ein tiefes Tal gehen mussten, werden gestärkt wieder daraus hervorgehen. Ich habe es erlebt. Ich kann es erzählen und aus tiefstem Herzen und tiefster Überzeugung sagen, dass es so ist.

Es gab Momente, in denen ich nicht wusste, wie ich das Leben aushalten soll. Ich fühlte mich ohnmächtig, den Ereignissen ausgeliefert, ohne Halt. Nach einer Zeit der Verwirrung war ich bereit, das Leben zu leben und nicht nur auszuhalten. Ich war bereit, mich auf den Weg zu machen, um Antworten zu finden.

Heute bin ich fest davon überzeugt, dass der, der den Mut hat zu suchen, auch belohnt wird.

Er wird belohnt mit Hoffnung, mit Stärke und der Gewissheit, dass die Dinge, die geschehen, einen Sinn haben, auch wenn wir ihn oft nicht verstehen können.

Wie viel von dem, was geschieht, ist mit der Geburt vorgegeben?

Hat der Mensch die Freiheit, selbst seinen Weg zu bestimmen? Oder ist das nur eine Illusion? Gibt es etwas, was uns lenkt und leitet und uns auf unserem Weg führt?

Meine Erkenntnisse beruhen auf meinen Erfahrungen. Jeder Mensch macht seine eigenen und kommt dabei einen Schritt weiter. Einen Schritt näher an das völlig bewusste Leben in Einklang und Harmonie. Ein Leben in Liebe.

Heute, am 6. Juni, sitze ich im Wohnzimmer am Esstisch, schaue auf das Blumenbeet, auf die Wand im Garten mit dem gestapelten Holz und blicke zurück.

Der 6. Juni 2011 ist der Tag in unserem Leben, an dem sich alles änderte, wirklich alles. Die Welt, die wir uns erschaffen hatten, brach zusammen. Es gab sie von einem Moment auf den anderen nicht mehr. Was ich damals noch nicht wusste: Es wird eine neue Welt entstehen, vielleicht sogar eine leichtere.

Es war Dienstag, der 7. Juni. Ich kam vom Sporttraining nach Hause und sah meinen Mann mit großen Augen an.

Irgendetwas Schlimmes war geschehen. Ich sollte mich hinsetzen. Dann sprach er einen Satz: „Stev hat seine Frau getötet.“ Ich musste schreien und rief: „Nein, oh Gott, nein!“ Er nahm mich in den Arm und wir fühlten gemeinsam einen riesigen Schmerz. Gedanken hatten sich aufgelöst, es gab nur Gefühl. Ein unermesslicher Schmerz erfasste mich, ich fühlte mich wie taub. Zweifel waren ausgeschlossen, es stimmte sicher.

Am Nachmittag erhielt mein Mann Besuch von einem Journalisten aus Berlin. Dieser Mann fragte ihn, ob er wisse, dass sein Sohn am Vortag seine Frau in Berlin getötet hatte. Er wäre sehr an Fotos und Informationen über ihn interessiert. Mein Mann war schockiert und wusste nicht, was er davon halten sollte. Er rief einen uns bekannten Strafverteidiger in Berlin an. Nach dem Gespräch stand fest: Es war so. Auf Empfehlung des Anwalts führte mein Mann kein Gespräch mit dem Journalisten und bat ihn zu gehen. Die „bz“ – Berlin schickte einen Mann aufs Dorf, um eine Story zu veröffentlichen, bei der es nur um Effekte ging.

Menschliche Gefühle interessierten nicht. Der Journalist kannte den Lebenslauf unseres Sohnes. Woher hatte er die genauen Informationen? Arbeiten Polizei und Zeitung zusammen?

Die Tatsache ist: Unser Sohn Stev hat seine schwangere Frau getötet. Alles andere bleibt Spekulation und verliert an Bedeutung. Die Fragen nach dem „Warum“ und die Fragen nach der eigenen Schuld bleiben offen und quälen dich jeden Tag. Nach einer solchen Nachricht ist der Mensch im Schockzustand. Denken geht nicht, fühlen verliert sich, handeln ist nicht möglich. Es existiert nur das eine Wort: „ Nein“! Der Vergleich mit einem schwarzen Loch im Universum ist angemessen. Es verdeutlicht das

„Nichts“, die Tiefe und Schwere dieses Zustandes. Nach ein paar Stunden kam ein Gedanke zurück. Ich wollte das Schlimmste, das Unvorstellbare, das Unfassbare erzählen.

Ich rief gute Bekannte in der Nähe an und sie kamen sofort zum Reden. Dafür bin ich bis heute sehr dankbar. Mit dem Abstandsblick von über zehn Jahren erkenne ich, dass das tiefe Loch einer Spirale glich, die mich immer weiter nach unten zog. Ich musste etwas tun. Es begann ein neues, anderes Leben.

Mein Leben war bis dahin ein Leben mit Höhen und Tiefen, wie es die meisten Menschen erleben. Ich hatte eine behütete Kindheit, durfte einen Beruf erlernen und ausüben, den ich wirklich liebte. Ich wurde Lehrerin für Physik und Mathematik. Ja, ich war es gerne mit Herz, Energie, Leidenschaft, Ehrgeiz und Zielstrebigkeit. Dabei wollte ich die Kinder motivieren zu lernen, ihre eigenen Fähigkeiten zu erkennen und sie zu verbessern.

Als Schülerin der 9. Klasse wollte ich keine Lehrerin werden. Mein Vater war Lehrer für Mathematik und Physik und ich sah jeden Tag, was andere nicht sehen. Wie viel Arbeit nach dem Unterricht noch zu leisten ist. Die Schreibtischarbeit betrifft die Vorbereitungen auf den Unterricht, die Ausarbeitung und Korrektur von Arbeiten, die Analyse von Ergebnissen, die Vorbereitungen von Elternversammlungen, Elterngesprächen, die Schülereinschätzungen, das Schreiben von Zeugnissen. Am Nachmittag stehen Konferenzen an, das Aufbauen von Experimenten für den Physikunterricht, die Betreuung der Schüler in verschiedenen Formen, Probleme der Klasse und des einzelnen Schülers, Klassenfahrten, Wandertage ... Die Liste ist lang. Ich wusste das und wollte mich nicht auf diesen Weg begeben.

Meine Eltern haben die Entscheidung mir selbst überlassen. Sie überredeten mich nicht, etwas zu tun, was ich nicht wollte. Was wollte ich? Das wusste ich nicht. Mein Klassenlehrer erkannte mein Potential und überredete mich, eine Aufnahmeprüfung an dem damaligen Pädagogischen Institut zu machen. Er sah, dass die Lehrerin in mir steckte und ich nicht mutig war, sie herauszulassen. Die Möglichkeit bestand, in einem Jahr die Voraussetzungen für ein pädagogisches Studium in den Fächern Mathematik und Physik zu erlangen. Da ich in einem Arbeiter- und Bauernstaat lebte (Diktatur des Proletariats) war die Zulassungsquote für die Intelligenzschicht begrenzt. Ich wurde angenommen. Das war eine Überraschung, denn im Innersten glaubte ich nicht daran. Nun begannen die Gedanken zu kreisen. Das Institut hatte ein Wohnheim.

Würde ich mit den Mitschülern wohnen? Nein. Meine Eltern wollten mich zu Hause haben, da wir in der gleichen Stadt wohnten. Würde ich dort meinen zukünftigen Mann kennenlernen? Ganz sicher bei 1000 Studenten und Studentinnen.

Das Jahr zur Vorbereitung auf das Studium, der sogenannte Vorkurs war hart. Die Lehr- und Lernmethoden waren neu, die Lehrstoffe anspruchsvoll. Ich merkte schnell, dass meine Ergebnisse in Physik viel besser ausfielen als in Mathematik. Als ein neuer Studiengang mit dem Hauptfach Physik und dem Nebenfach Mathematik angeboten wurde, entschied ich mich sofort dafür. Es gab noch einen zweiten Grund für diese Entscheidung. Meine Vorahnung hatte sich verwirklicht. Ich habe im Vorkurs meinen Mann kennengelernt. Im Wohnheim gab es eine kleine Party und ich wollte gerne tanzen. Also forderte ich einen gutaussehenden schüchternen Jungen zum Tanzen auf. Er wollte nicht und lehnte ab. Also ein Korb für mich. Na ja, dachte ich, dann eben nicht. Nach der Party geschah es dann. Er kam auf mich zu und entschuldigte sich dafür, dass er nicht mit mir getanzt hatte. Das war`s! So etwas hatte ich noch nicht erlebt. Da brach bei mir Neugierde, Wohlwollen, Interesse, Staunen hervor. Ich war bereit, mich wieder mit ihm zu treffen. Dann ging alles unheimlich schnell. Heute weiß ich, wieso. Wir waren füreinander bestimmt. Es war, als ob sich zwei unterschiedliche Magnetpole anzogen.

Nach einem Jahr, mit 18, wurde ich schwanger. Das schlug ein wie ein Blitz. Nicht geplant und neben dem Studium kaum zu bewältigen. Was nun? Wir wollten es schaffen.

Meine Eltern waren bereit, uns zu unterstützen, obwohl sich ihre Begeisterung in Grenzen hielt. Sie sahen natürlich mit Sorge, was in nächster Zeit auf uns zukommen würde. Es war ihre Idee, ob wir nicht heiraten wollten. Na ja, das könnten wir tun. Am 29. Mai 1969 heirateten wir mit achtzehn Jahren in kleinem Kreis. Wir waren die Ersten des Studienganges und die Voraussagen für ein langes Zusammenleben waren schlecht. Das wäre einfach zu früh.

Nun sind es mehr als fünfzig Ehejahre und wir feierten die

„Goldene Hochzeit“. Die große Liebe war da und hat uns nie verlassen. Rezepte gibt es nicht, unabhängig vom Alter.

Es muss passen und dazu kommen Verständnis, Anerkennung, Vergebung, Geduld, Glaube. Schwer, Worte zu finden. Gefühle sind da und schwer zu beschreiben. Und doch ist es ganz einfach: Ich liebe meinen Mann so, wie er ist, ich habe es getan und werde es immer tun. Wir sind füreinander da und begleiten uns auf unserem Lebensweg.

Es gibt einen Menschen, der mich beobachtet. Der große Tanz unseres gemeinsamen Lebens konnte beginnen. Es ist nicht wichtig, wie gut jeder Tanzschritt ausgeführt wird, es kommt nur auf den gemeinsamen Rhythmus an. Für die gleichen Schwingungen braucht es vor allem Liebe. Wenn der Tanz beginnt, weiß man nicht, ob jeder Schritt gelingt, ob man stolpert und ob man durchhält. Das Entscheidende ist die Zuversicht zu haben, es gemeinsam zu schaffen.

Wir hatten ein Ziel vor uns: eine Familie gründen, das Studium abschließen. So sollte es aber nicht kommen. Die vorletzte Klausur schrieb ich schwanger und mit Fieber. Am Nachmittag musste ich ins Krankenhaus. Eine Nierenbeckenentzündung könnte Auswirkungen auf das Baby haben. Also strenge Bettruhe und zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben. Ich nahm es an, so wie es war. Ich wollte alles für mein Baby tun, damit es wuchs und gesund zur Welt kam. In solchen Situationen kann ich ganz artig, gehorsam sein und alle Anweisungen befolgen. Das bedeutete still liegen, höchstens lesen und die weiße Wand gegenüber anstarren. Ich hatte Glück. Es war ein Vier-Bett-Zimmer und nach einiger Zeit durfte ich in das Bett am Fenster wechseln. Das Hochzeitsfoto stand auf dem Nachttisch und bei der Visite erklärte ich dem Arzt, dass mein Mann (ein ungewohntes Wort) arbeiten ging, um die Babykasse zu füllen. Er arbeitete in einem Sägewerk.

Es verging Woche für Woche in strenger Bettruhe. Ich fühlte mich manchmal sehr allein und hilflos. So passiv dazuliegen und nichts tun zu können, war schwer auszuhalten. Nach vier Wochen, am 6. Juli, bekam ich starke Blutungen. Die Ärzte entschieden, eine Geburt einzuleiten. Mit Hilfe einer Pumpe wurde das Kind ganz langsam herausgesaugt. Ich war wie im Nebel durch die Spritzen, die ich bekommen hatte. Nach längerer Zeit, ich weiß nicht, wie lange, wurde ein Junge geboren. Ralf war da. Ich hörte ihn schreien und bekam ihn nicht zu sehen. Er hatte ein Gewicht von 1050 Gramm. Für ein Frühchen im siebten Monat zur damaligen Zeit sehr wenig. Ich kam zurück in mein Zimmer, nicht auf die Entbindungsstation und schlief von den Medikamenten und Anstrengungen sofort ein.

Am nächsten Morgen wurde mir bei der Visite mitgeteilt, dass Ralf gestorben war. Er war zu klein und hat nur vierzig Minuten gelebt. Das war ein Schock. Ich drehte mich um und weinte in die Kissen. Mein Kind, unser Kind war tot.

Die Schwangerschaft war nicht geplant, aber jetzt hatten wir schon einen Kinderwagen, erste Babykleidung und einen Plan, wie wir alles schaffen wollten. Die Vorfreude auf ein Kind, auf eine Familie war da. Das gerade aufgebaute Gedankenhaus zerbrach. Die Traurigkeit erfasste mich und der Wunsch, nicht allein zu sein.

Ich fühlte mich verlassen, ohne Beistand. Ich hatte dieses entstehende Leben gespürt, sein Wachsen und seine Tritte gefühlt. Ich wollte ihn, wir wollten ihn. Nun war er weg, obwohl er kaum angekommen war.

Beim Frühstück gab es dann den zweiten Schock. Ich hatte gerade eine Kleinigkeit im Sitzen zu mir genommen, da betrat eine Krankenschwester das Zimmer. Sie wollte zu mir und stellte mir die Frage, ob ich einverstanden war, dass das Krankenhaus Ralf der Universität für Forschungszwecke übergab. Vor ein paar Stunden hatte ich erst erfahren, dass mein Baby tot war, und nun diese Frage.

Ich war wie gelähmt. Gedanken hatte ich keine. Ich wusste nur, dass ich Ralf nicht mit nach Hause nehmen konnte.

Meine Antwort lautete „Ja“ und ich leistete eine Unterschrift, denn es musste sofort entschieden werden.

Aus heutiger Sicht auf mein Leben weiß ich, dass diese Ereignisse ein Trauma bei mir ausgelöst haben. Nach über vierzig Jahren konnte ich dieses auflösen. Ich habe den ganzen Schmerz aus mir herausgeschrien. Damals habe ich ihn versteckt, weggeschlossen. Er blieb bei mir, fast mein ganzes Leben. Es war wie eine Starre, die über den Körper kommt. Der Körper funktioniert und die Seele leidet. Der Schmerz konnte nicht heraus, er blieb unaufgelöst. Am Nachmittag bekam ich Besuch, an den folgenden Tagen auch. Genaueres habe ich über diese Zeit nicht behalten. Ich stand nach ein paar Tagen allein in meinem Zimmer bei meinen Eltern und kam mir sehr verloren vor. Ich kann mich an fast nichts erinnern. Ich trug einen gelben Pulli und einen dunkelgrünen kurzen Rock, in den passte ich ja nun wieder hinein. Ich stand mitten im Zimmer und hatte das Gefühl, dass die Zeit stehen blieb.

Vielleicht tut sie das ja auch für einen Moment, aber das Leben geht weiter. Der Fluss des Lebens fließt und reißt dich mit. Auch wenn du noch nicht bereit bist, du musst wieder mit. Ich fuhr zum Institut, um meine letzte Prüfung nachzuholen. Der zuständige Dozent empfing mich mit den Worten: „Na, nun wissen Sie, wie Sie sich zu verhalten haben.“

Wie hatte ich mich denn zu verhalten? Die Liebe hatte zwei Menschen zusammengeführt. Gut, die Zusammenführung war eher wie ein Zusammenprall. Die Gefühle hatten die Oberhand und der Verstand war geschrumpft. Das ist doch nichts Falsches, dachte ich. Aber der Verstand musste nun größer werden. Es betraf das Verhütungsproblem. Wir hatten uns im Jahr 1969 keine Gedanken gemacht. Zwei verliebte, naive, junge Menschen hatten sich Hals über Kopf verliebt. Nun tauchte die Frage auf: „Was können wir tun?“ Ich besuchte meinen Frauenarzt und der erklärte mir, was geschehen war. Ich besitze zwei Gebärmütter, die mit einer Trennwand verbunden sind. Das tritt etwa bei 1000 Frauen ein mal auf. Das Kind konnte sich in einer Hälfte nicht ausreichend entwickeln. Bei einer nächsten Schwangerschaft wären die Bedingungen günstiger, aber immer noch schwierig. Er empfahl mir eine Babypille, da eine andere Form der Verhütung nicht in Frage kam. Die sogenannten „Babypillen“ waren neu auf dem Markt und mussten selbst bezahlt werden. Sie kosteten 7Mark der

DDR. Der Arzt begründete diesen Betrag mit den Worten:

„Mit 7 Mark wäre es nicht möglich, ein Kind zu ernähren“.

Damit hatte er natürlich Recht. Wir kannten eine Bezahlung von Medikamenten in unserer Gesellschaft nicht. Der Schock des Geschehenen saß so tief, dass ich alles unternommen hätte, damit so etwas nicht wieder passiert.

Wurde über das Geschehene gesprochen? Gab es Hilfe für meine kranke Seele? Nein. Ich war verheiratet, hatte einen neuen Namen, hatte unser Kind verloren und alles andere sollte einfach weitergehen. Es ging weiter. Deckel drauf und los.

Die Prüfungen lagen hinter uns und das neue Studienjahr begann. Ich wohnte in einem halben Zimmer bei meinen Eltern. Das zweite Studienjahr gehörte zum Grundstudium und es gab ein neues Angebot für die Pädagogikstudenten mit der Fachrichtung Mathematik/Physik. Das Institut hatte die Idee, eine neue Ausbildung mit dem Hauptfach Physik anzubieten. Das bedeutete, nach dem Grundstudium folgte eine intensive Ausbildung in Physik und Mathematik war abgeschlossen. Das gefiel mir sehr, denn in Physik war ich einfach besser. Mein Mann entschied sich sofort für diese Richtung. So wurde eine Seminargruppe P/M mit achtzehn Studenten eröffnet, sechzehn Jungen und zwei Mädchen.

Ob Fachvorlesungen oder Seminare, wir waren immer achtzehn. Da fiel sofort auf, ob jemand fehlte oder etwas nicht konnte. Ab diesem Jahr waren wir zwei immer zusammen. Wir saßen nebeneinander, lernten gemeinsam, führten die langen experimentellen Praktika durch, stritten über Fachfragen und diskutierten hart über die Wege zum Ergebnis. Wir haben dadurch viel gelernt. Über die Naturwissenschaft Physik, aber auch über uns, die Gemeinsamkeiten und das Trennende. Mein Mann mochte nicht tanzen, aber ich liebe tanzen. Ich glaube, es fehlte ihm nur der Mut dazu. Beim Studentenball wollte er nicht mit mir tanzen, also habe ich gesagt: „Wenn du nicht mit mir tanzt, tanze ich mit anderen.“ Das hat ihn umgestimmt und er bemüht sich seitdem, das Tanzbein zu schwingen. Wir tanzen nun schon über fünfzig Jahre durch das Leben. Ich habe die Vorstellung, dass das Leben ein Tanz ist. Die Schwingung erfasst dich und du hast mit deinem Partner den gleichen Rhythmus. Es kommt nicht auf die exakten Schritte, auf die Korrektheit an. Die Leichtigkeit, die Übereinstimmung, die Freude beim Tanz ist entscheidend.

Wir haben sie gefunden. Was für ein Glück!

Die finanzielle Situation eines Studenten ist schwierig. Wir hatten aber auch Vorteile. Für eine günstige Unterbringung im Wohnheim war gesorgt. Dazu gehörten zwei Räume zum Lernen für vier Studenten und ein gemeinsamer Schlafraum für acht. In der Mensa konnten wir für wenig Geld essen. Die Kosten der Ausbildung übernahm der Staat.

Dadurch sollte es jedem möglich sein zu studieren, wenn er angenommen wurde. Die Fachbücher waren teuer. Ich hatte Glück und durfte beim Professor für Physikmethodik als Hilfsassistentin arbeiten. Das bedeutete 30 M monatlich dazu. Außerdem erhielt ich ein Leistungsstipendium in Höhe von 30 M. Jetzt konnten wir mal ins Kino, in die Milchbar, in der „Jugendmode“ einkaufen und regelmäßig ins Theater. Mein Mann hatte weniger Geld, aber Probleme gab es deshalb nie. Das Geld kam in eine gemeinsame Kasse und wurde gemeinsam ausgegeben. So blieb es unser ganzes Leben bis heute.

Ein weiterer Punkt machte uns das Leben einfach. Wir hatten nur zu lernen und keine weitere Verantwortung. Wer zielstrebig und pflichtbewusst lernte, erzielte Erfolge. Die Lernzeiten zogen sich hin und manchmal bis in die Nächte.

Unsere Ausbildung war sehr gut. Das wurde uns in unserer Lehrtätigkeit sehr bewusst. Insbesondere im Fach Methodik war die Ausbildung gegenüber der an einer Universität wesentlich besser. Innerhalb von vier Jahren wurden wir systematisch an den Beruf herangeführt. Hier liegt nach meiner Ansicht ein großer Vorteil bei den Fachhochschulen.

Sie sind spezialisiert und konzentriert auf einen Beruf. Der Lehrerberuf braucht keine zweijährige „Probezeit“ nach dem Studium, wenn die Ausbildung sehr gut ist. Schon im

3. Studienjahr durften wir im Beisein von Betreuern des Institutes Probestunden geben. Sie wurden unmittelbar innerhalb einer Gruppe besprochen und ausgewertet. In den Ferien wurden wir für die Betreuung von Kindern eingeteilt. Danach absolvierten wir ein mehrmonatiges Praktikum an einer Schule mit Hilfe von Lehrern und Betreuern. Die Methodik Ausbildung ist für mich das Entscheidende am Lehrerberuf. Das Fachwissen ist eine gute Voraussetzung. Es geht aber darum, wie ich den Stoff den Kindern vermitteln kann. Das ist der Unterschied zu einem Mathematiker oder Physiker. Mir hat es sehr geholfen, ein Verständnis für das Kind zu haben und trotz einer Zielstellung vom Stoff her, Geduld zu üben und neue Ideen zu finden. Immer auf der Suche nach den individuellen Fähigkeiten der Kinder.

Am Ende unseres Studiums konnten wir das Diplom mit

„Sehr gut“ abschließen. Das machte uns stolz, wir hatten es geschafft. Wir waren Diplomfachlehrer. Mit dem Schaffen ist das so eine Sache. Ein Lebensabschnitt geht zu Ende und ein neuer beginnt. Es wurden mit uns Gespräche geführt, wo wir als Lehrer arbeiten werden. Der Staat hatte unsere Ausbildung finanziert und vertrat die Auffassung, dass wir dort arbeiten gehen, wo uns der Staat hinschickt. Ich erhielt ein Angebot für eine Doktorarbeit im Bereich Physikmethodik. Das lehnte ich ab. Wohnraum gab es nicht.

Also hätte es bedeutet, für die Zeit der Dissertation weiter bei meinen Eltern zu wohnen. Der Titel „Frau Doktor“ hätte sich gut angehört, aber mehr Bedeutung hatte er für mich nicht.

Wir wollten ein gemeinsames, unabhängiges Leben beginnen. Also gemeinsam aufs Land?

Ich lehnte wieder ab und wurde zu einem Gespräch mit der Bezirksschulrätin bestellt. Meine Vorstellungen vom Leben auf dem Land waren furchtbar. Die Schulrätin hatte einen strengen, großen Dutt und redete auf mich ein. Da platzte mir der Kragen. Sie könne leicht reden, denn sie lebte in der Stadt. Auf dem Land war man doch weg vom Schuss. Wir besaßen kein Fahrzeug, waren auf den Bus angewiesen. Es gab ein Lockmittel. Eine Eineinhalb-Zimmerwohnung und ich könnte nach drei Jahren wieder weg. Also stimmte ich zu.

Ich wusste damals nicht, dass ich mir diesen Ort und diese Schule schon längst ausgesucht hatte. Im Traum hatte ich sie gesehen, bevor ich da war. Mein Mann und ich kamen an dieselbe Schule als Mathematik-/ Physiklehrer. Ich war mir nicht sicher, ob das gut war. Es wäre mir lieber gewesen, wenn jeder an einer anderen Schule unterrichtet hätte. Später stellte sich heraus, dass es perfekt war, so wie es war. Wir konnten uns gegenseitig helfen, zeitlich abstimmen und trotzdem hatte jeder seinen Freiraum. Wir trafen eine Abmachung, die wunderbar klappte. Nach dem Unterricht tranken wir zu Hause einen Kaffee, sprachen über die wesentlichen Ereignisse und dann war das Thema beendet.

Vor Beginn des neuen Lebensabschnittes gab es etwas Schönes für uns. Mein Bruder verkaufte mir sein Motorrad.

Eine Jawa mit 175 cm3. Endlich etwas Fahrbares! Ich machte die Fahrerlaubnis und traf auf einen Fahrlehrer, der Fan von „Jawa“-Motorrädern war. Jeder musste sein Motorrad für die praktischen Fahrstunden mitbringen.

Kaum hatte er meins gesehen, saß er auch schon drauf und fuhr eine Runde. Der 1. Gang lag oben, man musste ihn mit dem Fuß hochziehen und die anderen dann nach unten drücken. Da es ein gebrauchtes Krad war, sprang der 1. Gang manchmal raus. Dann hieß es: Ruhe bewahren und noch einmal versuchen. Kaum hatte ich meine Fahrerlaubnis, wollte ich im Sommer fahren. Es ging los mit meinem Schatz auf dem Rücksitz. Nach einem Stopp bei der Oma machte das Anfahren genau die Schwierigkeiten mit dem 1. Gang. Ich behielt nicht die Ruhe, zog das Gas, das Motorrad kam vorne hoch wie ein Ziegenbock und ich lenkte es gegen einen Betonpfeiler. Wir flogen über den Lenker und lagen verteilt auf der Straße.

Die Vordergabel war verbogen und wir mussten von unserem ersten Lohn wohl investieren, denn ein Fahrzeug war für mich unverzichtbar. Dadurch hatte ich ein Gefühl von Unabhängigkeit und Freiheit. Außerdem konnte ich meine Elternbesuche mit dem Motorrad machen. Ja, damals besuchten die Lehrer die Eltern zu Hause. Das Ergebnis des kleinen Unfalls war neben Schäden am Krad Blessuren an unseren Körpern. Ich hatte nur einen Gedanken: „Jetzt stehst du am ersten Schultag zur Begrüßung vor allen Schülern im Minikleid und jeder kann deine blauen Flecken sehen.“ Ich glaube, es hat niemand meine Flecken beachtet. Ich bekam eine 6. Klasse als Klassenlehrerin. Ich war die 7. für die Kinder. Die Klasse war im ersten Jahr sehr schwierig. Es gab keine Ordnung und die Meinung, dass ich bestimmt in ein paar Jahren wieder gehen würde. Das Kollegium erwies sich als nett und feierfreudig. Die Lage des Dorfes war zentral zwischen zwei Städten und die Ostsee war nicht weit.

Es packte mich der Ehrgeiz, mit den Kindern klarzukommen, und es entstand eine Liebe zum Beruf. Die täglichen Aufgaben waren das eine, aber wenn dich alle Augen erwartungsvoll ansehen und du die Chance bekommst, etwas zu bewegen, ist das ein tolles Gefühl. Es gab für mich eine Parallele zum Schauspieler. Der Vorhang öffnet sich (die Klassentür öffnet sich), der Schauspieler

(der Lehrer) tritt auf. Alle schauen zu ihm hin, du spürst die Erwartung, du spürst die Anspannung und möchtest sie halten, sie umsetzen in Aktivität, in Motivation und zum Schluss in Erfolg. Der Erfolg wird nicht durch eine bestimmte Zensur deutlich, sondern durch das Ergebnis mit dir selbst. Der Zuschauer (der Schüler) hat etwas gelernt und du hast ihn dahingeführt. Es gelingt nicht immer, es bedarf Geduld, Ausdauer und Orientierung. Ich hatte das Gefühl, dass ich die Fähigkeiten besaß, Lehrerin zu sein.

Mein Vater, der selbst Lehrer war, hatte mir gesagt: „Du brauchst sieben Jahre, um es genau zu wissen.“ Ich wusste es früher.

Die ersten zwei Jahre waren wir mit unserer Arbeit voll beschäftigt. Wir besaßen keinen Fernseher, nur ein Radio und als Erstanschaffung einen Plattenspieler. Das Anfangsgehalt war gering, aber wir wollten alle Dinge nach und nach anschaffen. Dazu gehörten ein zweiflammiger Gaskocher, ein alter Tisch zersägt und angestrichen als Schreibtisch. Ein alter Kleiderschrank von der Oma wurde ebenfalls angestrichen (in weiß mit großen Kreisen). Neu war eine Doppelbett-Couch zum Ausziehen. Wir hatten eine gute Arbeit, nette Kollegen und das Dorf war irgendwie nicht mehr ganz so schlimm. Und wir hatten uns. Einmal die Woche ging mein Mann zum Fußball und ich zum Handball. Ich spielte schon als Schülerin. Im Nachbarort gab es eine Frauenmannschaft in der Bezirksliga, immerhin.

Das bedeutete in der Woche Training und am Wochenende Punktspiele.

Seit der Geburt unseres ersten Kindes waren fünf Jahre vergangen und es kam die Frage auf, ob wir keine Kinder mehr bekommen können. Doch, wir konnten, aber wir wollten nicht. Die Angst war so groß und saß so tief, dass uns dasselbe Schicksal wieder treffen könnte. Wir wussten, dass der Verlauf der Schwangerschaft schwierig sein würde und ein Risiko für das Kind bestand.

Wir hatten Sehnsucht nach einem Kind und wollten es mutig probieren. Es sollte klappen und die Hoffnung besiegte die Angst. Die Schwangerschaft wurde sofort als Risikoschwangerschaft eingestuft. Ich bekam Beruhigungstabletten und wurde zu einer Kur geschickt.

Innerhalb der Kur traten Probleme auf und die Ärzte entschieden, den Muttermund zuzunähen. Ich war zu allem bereit. Hauptsache ein gesundes Baby. Mein Mann besuchte mich mit dem Motorrad und versuchte, seine Angst nicht zu zeigen. Bis zum siebten Monat konnte ich das Kind halten, dann kam es zum Blasensprung und zur Einlieferung in die Klinik. 1975 war die individuelle Betreuung nicht sehr hoch. Ich lag auf dem Flur in der Warteschleife, da es viele Entbindungen an diesem Abend gab. Mein Muttermund öffnete sich und keiner dachte daran, dass er zugenäht war, bis ich in den „Kreißsaal“ kam. Ultraschall-Untersuchungen gab es nicht, sodass im Vorfeld nicht festgestellt wurde, dass unser Baby verkehrt herum lag. Es war eine Fuß-Steißlage, aber gemeinsam haben wir es geschafft und ein gesunder Junge kam auf diese Welt. Unser Frank war sehr klein (48 cm, unter 2500g) und ganz blau mit geringer Körpertemperatur. Ich durfte ihn kurz spüren, für einen Moment wurde er mir auf die Brust gelegt. Dieser Augenblick war erfüllt von Glückseligkeit. Ich wollte ihn behalten, aber das ging nicht. Die Schwestern wickelten ihn so, wie er war, ohne ihn zu waschen, zogen ihn an und mein Baby wurde in die Kinderklinik in einen Glaskasten gebracht. Mein Herz weinte, aber mein Verstand wusste: Es muss sein. Dort blieb er vier Wochen, bis wir ihn abholen durften. Ich hatte den festen Glauben, dass alles gut werden würde. Wir hatten ein Baby bekommen.

Die riesige Freude, das große Glück mischten sich trotzdem mit dem Angstgefühl, dass unserem Kind etwas passieren könnte. Ich lag in einem Acht-Bett-Zimmer auf der Entbindungsstation. Die anderen Mütter bekamen ihre Babys zum Stillen und ich nicht. Wenn die anderen Babys kamen, drehte ich mich auf die Seite und tat, als ob ich schlief. Mit meinen Gefühlen war es wie im Karussell.

Freude, Angst, Hoffnung, Schmerz, alles vermischte sich.

Ein Mal am Tag bei der Visite hörte ich einen Bericht über den Zustand unseres Babys. Da die Entbindung schwierig war, musste ich zehn Tage fest liegen, danach fuhr ich ohne Baby nach Hause. Wieder ohne Baby, aber voller Hoffnung.

Die frohe Erwartung besiegte wieder die Angst.

Bei der Entbindung konnten die werdenden Väter anwesend sein, aber nur bei „normalem“ Verlauf. Üblich war es nicht, dass die Männer bei der Geburt im Krankenhaus dabei waren. Ich wollte eine starke Frau sein und es alleine durchziehen. Nun stellte ich fest, dass es schön gewesen wäre, meinen Mann an meiner Seite zu haben, seine Hand zu drücken. Das Gefühl der Einsamkeit kam durch. Die Freude über unser Baby überwog alles. Wir warteten auf einen Anruf aus der Kinderklinik. Ich weiß bis heute, wie unser Frank aussah, was er anhatte, was die Schwester sagte, wie ich mit ihm im Auto saß. Ich fühlte mich im Himmel, nicht auf der Erde. Die Liebe strömte nur so durch mich durch.

Leider hatten die Ärzte nach längerer Beratung entschieden, dass ich nicht stillen durfte. So bekam unser Sonnenschein von Anfang an künstliche Babynahrung. Wenn ich heute auf diese Zeit und die Ereignisse zurückschaue, fühle ich immer noch diese gemischten Gefühle. Es ging um das Überleben unseres Sohnes. Das war die Hauptsache, aber ich bin mir nicht sicher, ob die sofortige Entfernung von der Mutter Spuren hinterlassen hat.

Ist dadurch die innige Beziehung, die zwischen Mutter und Kind besteht, angeschlagen worden? Ich stelle mir vor, ein Mensch kommt auf diese Welt und niemand ist da, der ihn empfängt. Leidet das Vertrauen in diese Welt nicht darunter? Muss nicht ein Gefühl von Einsamkeit und Angst entstehen? Die Schwestern in der Klinik bemühten sich sehr, sie waren aber nicht die Eltern. Besuche waren nicht erlaubt. Kann man dem Neugeborenen auch später noch die Geborgenheit und das Vertrauensgefühl geben? Ich weiß es nicht. Wir haben es versucht, konnten aber die Sorge um unseren Jungen nie ganz ablegen.

Nach der Ankunft in unserem Zuhause, einer 1,5-Zimmer-Wohnung im Neubaublock mit Ofenheizung, mit einer verhältnismäßig großen Küche und einem Bad veränderte sich unser Leben total. Alle Eltern dieser Welt kennen das Gefühl, wenn ein winziges, hilfsbedürftiges Wesen in die Familie kommt. Die volle Aufmerksamkeit und Fürsorge richten sich auf den Neuankömmling. Hinzu kommt die Aufregung, etwas falsch zu machen. Die Hebamme kommt kurz vorbei und dann heißt es, sei mutig und übernimm die Verantwortung. Es war März und wir haben tüchtig geheizt.

Bestimmt war es für unser Baby manchmal viel zu warm.

Die künstliche Nahrung hatte den Nachteil, dass der Stuhlgang hart wurde und unser Spatz war so winzig und klein. Beim Baden fing er an zu zittern vor Kälte. Alle vier Stunden gab es die Flasche. Er sollte zunehmen. Das tat er auch, bis die Ärzte meckerten, dass er zu dick sei. Durch die Risikoschwangerschaft, die schwierige Frühgeburt wurden wir regelmäßig zur Kontrolle und Beobachtung in die Universitätsklinik eingeladen. Für mich als Mutter war das sehr beruhigend, auch wenn der Aufwand hoch war.

Ein Auto hatten wir nicht, also wurden wir mit dem Sammeltransport zur Klinik gefahren und zurück, bis der letzte Patient wieder zu Hause war. Bedrückend war die Tatsache, dass die Mütter nach sechs Wochen ausgehend vom Geburtstermin wieder zur Arbeit mussten. Das ist viel zu früh.

Später habe ich mich gefragt: Warum hast du das mitgemacht? Ich weiß es nicht. Das Gesetz war so. Als Lehrerin brauchte ich keine Angst um meinen Arbeitsplatz zu haben. Die Erwartungshaltung in der Gesellschaft war klar. Du gehst arbeiten. In anderen Gesellschaften erwartete man von der Frau, dass sie zu Hause bei den Kindern blieb und nicht arbeiten ging. Die Frauen in der Welt sind in großer Zahl sehr gehorsam. Sie erfüllen die Erwartungen und stellen ihre Bedürfnisse nach ganz hinten. Natürlich ist eine Mutter zuerst für ihre Familie da, aber wieweit geht diese Fürsorge? Häufig wird es als Egoismus dargestellt, wenn eine Frau auch ihre eigenen Bedürfnisse verwirklichen will. Ist es das wirklich? Mein Traum war eine Familie und dieser Traum erfüllte sich gerade. Einen Krippenplatz für unser Baby erhielten wir nicht. Die einzige Krippe gehörte zu einem Betrieb, also kein Zugang für Lehrer. Wir konnten eine ältere Dame zur Betreuung gewinnen, allerdings nur halbtags. Das bedeutete für uns eine extreme Zeitplanung. Wir waren bereit und freuten uns über die prächtige Entwicklung von unserem kleinen „Spatz“.

Jeder Mensch braucht in seinem Leben Halt und Orientierung. Ich erhielt sie in der Familie und in der Naturwissenschaft. Mein Beruf war meine Pflicht, aber auch mein Bedürfnis. Ich wollte alles schaffen, ich wollte alles lösen. Es fühlte sich richtig und gut an. Mein Mann liebte mich, unser Kind konnte ich immerzu drücken und im Beruf gab ich mein Bestes.

Die Physik ist für mich die Wissenschaft, die vieles erklären kann. Wenn ich den Verstand fordere, komme ich sehr weit. In der Entwicklung der Wissenschaft sind die Menschen ständig zu neuen Erkenntnissen gekommen. Sie haben entdeckt, wie sie sich das Leben erleichtern können.

Sie haben Antworten gefunden auf Fragen, die die Menschen über Jahrhunderte beschäftigten. Das ist beeindruckend. Die Wissenschaft kann dir Halt geben. Du kannst an sie glauben. Sie ist eine Möglichkeit für Erklärungen. Die Neuorientierung begann mit Einstein.

Große Erkenntnis: Nichts ist absolut, alles ist relativ. Alle Gesetze, die wir in der Schule, im Studium kennenlernen und analysieren, gelten nur unter bestimmten Bedingungen.

Die Natur ist aber ein Ganzes. Wenn ich sie erkennen wollte, kam ich an meine Grenzen, um Antworten zu finden. Ich glaubte an die Wissenschaft, ich wollte glauben.

Alle lernen den Energieerhaltungssatz: „Energie kann nicht entstehen oder verloren gehen, sie kann nur umgewandelt werden. Die Summe aller Energien ist konstant“.

Wenn dieses Gesetz allgemeingültig ist, kann es auch auf die gesamte Natur übertragen werden. Also auch auf den Menschen. Hier begannen meine Zweifel an der Wissenschaft, die als Fels in der Brandung steht und immer eine Antwort weiß. Ich habe weiter unterrichtet, 34 Jahre lang. Die Aussagen der Wissenschaft sind richtig, nur nicht absolut. Sie sind begrenzt.

Sie sind eine große Hilfe für den Menschen, genau wie der Verstand. Sie sind nicht alles! Wenn du dich an die Gesetze hältst, bist du auf der sicheren Seite. Du hast die Wissenschaft verstanden, du kannst sie anwenden.

Experimente liefern die Beweise. Die Mathematik unterstützt dich beim Begründen. Alles ist in Ordnung. Du lebst in deiner Ordnung.

Eine sehr schwere Bewährungsprobe kam auf uns zu. Wir wussten damals noch nicht, dass es nicht die schwerste in unserem Leben sein sollte. Mein Mann wurde mit 26 Jahren zur Armee einberufen, für 1,5 Jahre zu den Grenztruppen.

Die oberste Grenze für eine Einberufung war 27 Jahre. Es traf uns wie ein Blitzschlag. Unser Baby war ein Jahr alt.