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Liebe, Verrat und Leidenschaft!
Um Ross Castle zu retten, hat Lady Catherine Rayburn als Spionin der Krone alles riskiert, und was ist ihr Lohn? Der König zwingt ihr einen seiner Ritter als Ehemann auf. Catherine bleibt keine Wahl, sie muss William FitzAlan heiraten – und sich dem verteufelt attraktiven Ritter hingeben. Ihren Besitz und ihren Körper darf sie ihm nicht vorenthalten, doch kann der starke Ritter auch ihr Herz erobern?
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Seitenzahl: 486
Buch
Lady Catherine Rayburn hat das Undenkbare getan: Sie hat ihren Ehemann verraten. Ihr brutaler Gatte stirbt aufgrund der Informationen, die sie dem König zum Schutz der Krone übermittelt hat. Und was ist ihr Lohn? Der König überantwortet ihr Land und ihren Besitz einem seiner Ritter und stellt Catherine vor die Wahl: Entweder sie heiratet William FitzAlan oder sie geht in den Tower. Catherine bleibt nichts anderes übrig, als dem verteufelt attraktiven Ritter ihre Hand zur Ehe zu reichen und sich ihm hinzugeben. Ihren Besitz und ihren Körper darf sie ihm nicht vorenthalten, doch kann der starke Ritter auch ihr Herz erobern?
Autorin
Margaret Mallory wuchs in einer Kleinstadt im US-Staat Michigan auf und studierte Jura an der Michigan State University und der University of Michigan Law School. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern an der Pazifikküste, und seit die Kinder auf dem College sind, widmet sich Margaret Mallory ihrer großen Leidenschaft: dem Schreiben historischer Liebesromane.
Weitere Romane der Autorin sind bei Blanvalet in Vorbereitung.
Margaret Mallory
Meinzärtlicher Ritter
Roman
Deutsch von Cora Munroe
Für Cathy Carter, meine Schwester und Bibliothekarin ersten Ranges, die mir nach Lektüre der ersten Seiten riet, es zu wagen, und für meinen Mann, Bob Cedarbaum, der mich auf Treu und Glauben unterstützt, ohne je ein einziges Wort gelesen zu haben.
Prolog
Monmouth CastleEngland, nahe der walisischen GrenzeOktober 1400
Das Knarren der Stalltür weckte ihn auf.
Williams Hand fuhr an den Griff seines Schwertes, als er den Kopf vom Stroh hob, um zu lauschen. Leichte Schritte überquerten den Boden. Geräuschlos erhob er sich. Niemand, der zu dieser Stunde in den Stall kam, konnte gute Absichten hegen.
Eine Gestalt in einem Kapuzenumhang huschte an den Pferden entlang und veranlasste sie, die Köpfe zu heben und zu schnauben. William wartete, während der Mann sich streckte, um eine Laterne anzuzünden, die an einem Pfosten hing. Ob der Eindringling etwas im Schilde führte oder nicht, Feuer war immer eine große Gefahr im Stall. Sobald der Mann seine Kerze ausblies, war William mit drei raschen Schritten bei ihm.
Als er sich auf ihn stürzte, drehte sich der Eindringling um.
William hörte das Rauschen von Röcken und sah das Gesicht eines Mädchens, das erschreckt die Augen aufriss. Reflexartig umschlang er es mit den Armen und drehte sich gerade noch rechtzeitig, um ihren Sturz abzufedern, bevor sie auf dem Boden aufprallten.
»Bitte verzeiht!«, keuchte er, während er sich von ihr löste und sich aufrappelte. »Habe ich Euch verletzt?«
Er hätte ihr seine Hand angeboten, um ihr aufzuhelfen, aber sie war so schnell wie er wieder auf den Beinen, und ihr helles Haar löste sich in leuchtenden Wellen aus der Kapuze. Sie hatte ihr Gewicht nach vorn verlagert und beäugte ihn argwöhnisch.
William starrte sie an. Wie konnte er dieses reizende und zerbrechlich wirkende Mädchen für einen Mann gehalten haben? Dem feinen Seidenkleid nach zu urteilen, das durch den Spalt ihres Umhangs zu sehen war, hatte er eine hochwohlgeborene Dame angegriffen. Ihre Gesichtszüge waren fein und ihre vollen Lippen leicht geöffnet.
Er kniff die Augen in dem Versuch zusammen, in dem schwachen Licht herauszufinden, welche Farbe ihre Augen hatten. Ohne nachzudenken, streckte er die Hand aus, um einen Strohhalm aus ihrem Haar zu entfernen. Er zuckte zurück, als er die Schneide in ihrer Hand blitzen sah. Er hätte sie ihr ohne Schwierigkeiten entwenden können, aber er wollte sie nicht ängstigen.
»Wer seid Ihr, und was macht Ihr hier?«, verlangte sie zu wissen. Sie atmete schwer und zeigte mit dem Messer auf sein Herz. »Antwortet mir, oder ich rufe die Wache.«
»Ich bin ein Ritter in Diensten des Earl von Northumberland«, sagte er beruhigend. »Ich bin spät angekommen, und die Halle war voller Gäste, weshalb ich beschloss, hier meine Bettstatt aufzuschlagen.«
Er gedachte nicht, ihr zu sagen, dass er sich im Stall versteckte. Als er am Abend Northumberlands Nachricht in der Halle überbracht hatte, hatte er eine gewisse Witwe erblickt, die er vom Hof her kannte. Da er es vorzog, allein zu schlafen, war er rasch geflohen.
»Da Ihr jetzt wisst, weshalb ich hier bin, darf ich dann dasselbe von Euch erfahren?«, forderte er und legte den Kopf schief. »Ich denke, Ihr seid es, die sich um diese Zeit nicht allein hier aufhalten sollte.«
Sie antwortete ihm nicht, doch selbst bei dem schlechten Licht konnte er sehen, wie ihre Wangen erröteten.
»Ihr wisst gewiss, dass es für eine junge Dame gefährlich ist, zu dieser Nachtzeit allein herumzulaufen – vor allem, wenn das Schloss voller Männer ist und der Wein ohne Unterlass fließt.«
»Ich konnte nicht schlafen«, sagte sie mit einer Stimme, die vor Trotz schrill war. »Deshalb habe ich beschlossen auszureiten.«
»Ihr könnt nicht mitten in der Nacht allein ausreiten!« Leiser fuhr er fort: »Also wirklich, so töricht könnt Ihr nicht sein.«
Ihre Augen funkelten, als sie die Lippen aufeinanderpresste – ihm kam ein verstörender Gedanke.
»Falls Ihr Euch mit einem Mann trefft, dann schätzt er Euch nicht so, wie er es sollte. Sonst würde er Euch nicht bitten, ganz allein zu ihm zu kommen.« Er hielt sie für ungefähr sechzehn, ein halbes Dutzend Jahre jünger, als er selbst war. Jung genug, so nahm er an, um so naiv zu sein.
»Zu einem Mann rennen?«, sagte sie und verdrehte die Augen gen Himmel. »Also, das wäre wirklich töricht.«
Sie steckte das Messer in die Scheide an ihrem Gürtel zurück. Offenbar hatte sie beschlossen, dass er keine Bedrohung darstellte. Bevor er darüber erleichtert sein konnte, drehte sie sich um und griff nach der Trense an dem Pfosten, der ihr am nächsten war.
»Ich gehe jetzt«, verkündete sie mit der Trense in der Hand.
»Das kann ich nicht zulassen«, sagte er und fragte sich sogleich, wie er sie davon abhalten sollte. Es würde ihnen beiden erheblichen Ärger bereiten, wenn er sie zu dieser späten Stunde in ihre Gemächer tragen würde, wobei sie zweifelsohne schreien und um sich treten würde.
»Gewiss hat der Ausritt Zeit bis morgen«, argumentierte er.
Sie starrte ihn mit grimmiger Entschlossenheit an, sodass er sich fragte, mit welchem Trick sie versuchen würde, an ihm vorbeizukommen.
»Wenn ich Euch den Grund verrate, weshalb ich nicht warten kann«, sagte sie schließlich, »lasst Ihr mich dann gehen?«
Er nickte, obwohl er immer noch fest entschlossen war, sie aufzuhalten.
»Ich werde morgen heiraten.«
Die Welle der Enttäuschung in seiner Brust überraschte ihn. Obwohl er gehört hatte, dass das Schloss wegen einer anstehenden Hochzeit so voll war, war ihm nicht in den Sinn gekommen, dass dieses herzzerreißend liebreizende Mädchen die Braut sein könnte.
Als er nichts erwiderte, schloss sie daraus, dass weitere Erklärungen vonnöten wären, um ihn davon zu überzeugen, sie gehen zu lassen. »Ich erwarte nicht, dass dies eine glückliche Ehe für mich wird«, sagte sie und reckte das Kinn. »Mein Verlobter ist ein Mann, den ich weder mögen noch bewundern kann.«
»Dann müsst Ihr das Eurem Vater sagen; vielleicht ändert er ja seine Meinung noch.« Bereits während er das sagte, war William klar, dass es dafür viel zu spät war, da die Hochzeit für den folgenden Tag angesetzt war.
»Ich bin die Erbin einer bedeutenden Burg«, sagte sie ungeduldig. »Ich kann von meinem Vater oder dem König nicht erwarten, bei der Entscheidung, welcher Mann die Herrschaft darüber bekommt, meine Wünsche zu berücksichtigen.«
»Welche Einwände habt Ihr gegen den Mann?« William hatte kein Recht, diese Frage zu stellen, aber er wollte es wissen. Er fragte sich, ob diese junge Unschuld vielleicht mit irgendeinem Lüstling verheiratet wurde, der alt genug war, ihr Großvater zu sein. So etwas kam oft genug vor.
»Er ist voller Grausamkeit, ich habe es gesehen.« Ihre Augen blickten ernst und unerschrocken. »Er ist kein Mann, dem man trauen kann.«
Ihre Antwort überraschte ihn erneut. Und doch zweifelte er nicht daran, dass sie ihm die Wahrheit sagte, so wie sie sie sah.
»Morgen werde ich tun, was mein Vater und mein König von mir verlangen, und diesen Mann heiraten. Von diesem Moment an werde ich tun müssen, was mein Ehemann mir sagt, und ihm in allen Dingen gehorchen.«
William dachte natürlich daran, dass der Mann sie mit in sein Bett nehmen würde, und fragte sich, ob sie sich dessen ebenfalls bewusst war.
»Heute Nacht müsst Ihr mir diese letzte Stunde der Freiheit gewähren«, sagte sie entschlossen. »Das ist nicht zu viel verlangt.«
William hätte ihr sagen können, sie solle dem Urteil ihres Vaters und des Königs vertrauen, dass diese sie gewiss keinem Mann geben würden, der ihrer derart unwürdig war. Aber er glaubte es selbst nicht.
»Ich reite mit Euch«, sagte er. »Oder Ihr geht nicht.«
Sie kniff die Augen zusammen und musterte ihn eine Zeit lang. Da er das Licht im Rücken hatte, konnte das Mädchen ihn längst nicht so gut sehen wie er sie. Ein willkommener Vorteil, denn er wollte sie nicht verschrecken. Er war sich vollkommen bewusst, dass trotz seiner Jugend etwas an seinen Gesichtszügen und seinem strengen Gebaren war, das selbst erfahrene Kämpfer einschüchterte.
»Ihr müsst mich das für Euch tun lassen«, sagte er und streckte die Hand nach dem Zaumzeug aus. Fast seufzte er laut vor Erleichterung, als sie schließlich nickte und ihm das Zaumzeug in die Hand drückte.
Als er die Pferde sattelte, versuchte er die Stimme in seinem Hinterkopf zu verdrängen, die ihm sagte, dass es Wahnsinn war. Bei Gott, der König selbst hatte beim Zustandekommen dieser Heirat die Hand im Spiel. Wenn er dabei erwischt wurde, dass er die Braut am Vorabend ihrer Hochzeit allein bei einem Ausritt begleitete, würde der König ihn erschlagen lassen.
»Haltet den Kopf gesenkt«, ermahnte er sie, als sie über den äußeren Burghof zum Tor ritten. »Achtet darauf, dass Euer Umhang Euer Kleid bedeckt – und jede Strähne Eures hellen Haares.«
Die Wachen erinnerten sich daran, dass er mit Nachrichten von Northumberland, dem »Königsmacher«, gekommen war. Sie machten ihm keine Schwierigkeiten.
William und das Mädchen ritten in die kalte, sternenklare Nacht hinaus. Sobald sie den Pfad entlang des Flussufers erreicht hatten, übernahm sie die Führung. Sie trieb ihr Pferd an, als wäre der Teufel persönlich hinter ihr her. Als sie es schließlich zügelte, schloss William zu ihr auf. Die Flanken seines Pferdes bebten.
»Ich danke Euch hierfür«, sagte sie und schenkte ihm ein Lächeln, bei dem ihm das Herz in der Brust eng wurde.
Sein Atem ging schnell, als er sie anstarrte. Sie war atemberaubend. Ihr Gesicht strahlte vor Glück, und ihr helles Haar schimmerte im Mondschein. In dem Moment, da sie die Arme ausbreitete, den Kopf in den Nacken warf und zu den Sternen hinauf lachte, hörte er ganz auf zu atmen.
Bevor er sich wieder im Griff hatte, war sie bereits von ihrem Pferd geglitten und zum Flussufer hinabgelaufen. Er band ihre Pferde an und folgte ihr. Jeden Gedanken daran verdrängend, wie gefährlich es für sie beide war, gemeinsam hier zu sein, breitete er auf dem feuchten Boden unter den Bäumen seinen Umhang für sie aus.
Den Blick auf den Streifen Mondlicht gerichtet, das von der sich sanft bewegenden Wasseroberfläche des Flusses weiter unten reflektiert wurde, saß sie schweigend neben ihm. Während sie den Fluss betrachtete, prägte er sich ihr Profil ein und atmete ihren Duft ein. Er glaubte, sie hätte seine Anwesenheit schon längst vergessen, als sie endlich das Wort erhob.
»Ich werde mich immer an diese Nacht erinnern«, sagte sie und drückte rasch seine Hand. »Ich werde sie als glückliche Erinnerung in meinem Herzen bewahren für die Zeit, wenn ich eine solche brauche.«
Er nahm ihre Hand, als sie ihn berührte, und ließ sie nicht mehr los.
Sie verstummte wieder, und er spürte, dass ihre Gedanken, anders als die seinen, weit in die Ferne schweiften. Bei seiner Erfahrenheit in puncto Frauen überraschte ihn seine heftige Reaktion auf dieses Mädchen. Alle seine Sinne waren hellwach und registrierten ihre Nähe – seine Haut vibrierte fast. Und doch empfand er tiefstes Glück dabei, in dieser kühlen Herbstnacht einfach nur hier mit ihr zu sitzen und auf den Fluss hinauszuschauen. Er wollte nie wieder von hier fort.
Als sie erschauderte, zwang er sich, den Bann zu brechen. »Euch ist kalt, und wir sind bereits zu lange weg. Wenn jemandem auffällt, dass Ihr nicht da seid …«
Er beendete den Satz nicht. Sie wusste so gut wie er, welche Katastrophe es bedeutete, wenn man sie erwischen würde. Resignierend ließ sie sich von ihm aufhelfen.
Sie ritten langsamer zurück, Seite an Seite dieses Mal und meistens schweigend. William versuchte, alles in seiner Erinnerung festzuhalten: den Mondenschein, den dunklen Fluss, das sanfte Schnauben ihrer Pferde. Das Mädchen würde er nie vergessen, das wusste er.
Die Wachen am Tor ließen sie wortlos ein. Als sie am Stall angekommen waren, half William ihr beim Absitzen. Das Gefühl, die Hände um ihre schlanke Taille zu haben, als er sie – unschicklich nahe – vor sich auf den Boden absetzte, brachte sein Herz zum Rasen und seinen Kopf zum Schwirren.
Er blickte auf sie herab, und ein so starkes Sehnen erfüllte ihn, dass ihm der Atem stockte. Sein Blick ruhte auf ihrem Mund. Erst als sie einen Schritt zurücktrat, wurde er sich bewusst, dass er drauf und dran gewesen war, sie zu küssen. Es wäre aus vielerlei Gründen verkehrt gewesen, dennoch wünschte er sich von ganzem Herzen, er hätte es getan. Seufzend ließ er sie dicht am Eingang stehen und führte die Pferde in den dunklen Stall.
Als er zurückkehrte, flüsterte sie: »Ich bin Euch zu großem Dank verpflichtet.«
»Meine Dame, ich würde Euch vor dieser Heirat bewahren, wenn ich nur wüsste wie.«
Er sprach übereilt, selbst überrascht, dass er die törichten Worte aussprach, die in seinem Herzen waren. Mit dem Schwert war er einer der besten Männer, doch in diesem Kampf hatte er keine Waffe, die er schwingen konnte. Eines Tages wäre er ein Mann, mit dem man rechnen musste, ein Mann mit Land und Macht. Doch als landloser Ritter würde er sie nur in Gefahr bringen, wenn er den Plänen des Königs zuwiderhandelte.
»Ich werde meine Pflicht tun und dem Wunsch meines Vaters und meines Königs Folge leisten«, sagte sie bestimmt. »Aber ich danke Euch für den Wunsch, es könnte anders sein.«
Er wünschte, er könnte sie besser sehen. Impulsiv streckte er die Hand aus und strich mit dem Finger die Rundung ihrer Wange entlang. Bevor er sich dessen bewusst war, was er tat, umfasste er ihr Gesicht mit beiden Händen. Er spürte, wie sie sich ihm entgegenlehnte. Und dieses Mal hielt er sich nicht zurück.
Sehr sanft streifte er mit den Lippen ihren Mund. Bei der ersten Berührung durchzuckte ihn ein Speer der Lust und traf ihn so hart, dass ihm schwindelig wurde, seine Knie drohten nachzugeben. Er drückte seinen Mund fest auf ihren. Vage wurde er sich durch das in seinem Innern tobende Verlangen der Unschuld ihres Kusses bewusst. Er zwang sich dazu, die Hände zu lassen, wo sie waren, und nicht dem überwältigenden Verlangen nachzugeben, nach ihrem Körper zu greifen. Wenn sie auch nur im Geringsten zu erkennen gegeben hätte, dass sie diesen Weg schon einmal gegangen war, hätte er sie im Stroh zu seinen Füßen genommen.
Er beendete den Kuss und zog sie in seine Arme. Mit geschlossenen Augen hielt er sie fest und wartete darauf, dass das Donnern seines Herzens nachließ. Gott erbarme sich seiner! Was passierte mit ihm? Dieses Mädchen, das ihm blind vertraute, hatte keine Ahnung von der Gefahr, in der es schwebte.
Schwer schluckend löste er seine Umarmung. Er war sprachlos, wusste nichts zu sagen. Behutsam zog er ihr die Kapuze über den Kopf und steckte ihr langes Haar darunter. Dann ließ er die Arme wie schwere Gewichte an seine Seiten fallen.
»Ich wollte nicht, dass er der Erste ist, der mich küsst«, sagte sie, als müsste sie ihm erklären, warum sie es zugelassen hatte.
Sein Magen krampfte sich zusammen, als er daran dachte, welche ersten Male der andere Mann mit ihr erleben würde.
Sie trat rasch einen Schritt vorwärts, erhob sich auf die Zehenspitzen und presste sanft die Lippen an seinen Mund. Im nächsten Augenblick rannte sie, fest in ihren Umhang gehüllt, über den Burghof.
Viele Jahre lang träumte William von dieser Nacht. In seinen Träumen hielt er sie jedoch im Mondenschein am Fluss in den Armen. In seinen Träumen küsste er die Sorge und die Angst von ihrem Gesicht. In seinen Träumen rettete er sie vor ihrem unglücklichen Schicksal.
In seinen Träumen war sie die Seine.
1
Ross CastleEngland, nahe der walisischen GrenzeJuni 1405
Lady Mary Catherine Rayburn saß auf der Bank in ihrem Schlafgemach und wartete auf Nachrichten. Wenn der Prinz ihre letzte Botschaft rechtzeitig erhalten hatte, sollte die königliche Armee ihren Gatten und die Rebellen inzwischen gefangen genommen haben.
Sie zog den Ärmel ihrer Tunika hoch und untersuchte ihren Arm in dem Sonnenstrahl, der durch das schmale Fenster fiel. Die Blutergüsse verblassten allmählich; Rayburn war seit zwei Wochen fort. Sie ließ den Ärmel fallen und lehnte den Kopf an die steinerne Wand hinter ihr.
Nicht ein einziges Mal in all den Jahren hatte ihr Gatte jemals vermutet, dass sie ihn hinterging. Aber jetzt würde er es wissen. Außer den Männern, die mit ihm gegangen waren, war sie als Einzige in der Halle gewesen, als er Zeit und Ort seines Treffens mit den walisischen Rebellen offenbarte.
Sie vergrub das Gesicht in zitternden Händen und betete, dass sie keinen Fehler gemacht hatte. Was sonst hätte sie tun können? Erst wenn er Rayburn mit den Rebellen erwischte, wäre der König vom Verrat seines Vasallen überzeugt.
Falls Rayburn unerkannt entkam, würde er hierher zurückkehren und sie töten. Was wurde dann aus Jamie? Es war undenkbar, dass ihr Sohn allein mit diesem Mann auf der Welt zurückblieb.
Die Kälte der Steinmauer drang durch den schweren Wandbehang in ihrem Rücken und ließ sie zittern. Ihr hohes Fieber war erst in der letzten Nacht zurückgegangen. Sie war die Letzte gewesen, die sich mit der Krankheit, die in der Burg grassierte, angesteckt hatte.
Erschöpft schloss sie die Augen. Wie hatte es so weit kommen können? Sie dachte an die Zeit vor Rayburns Verrat am König zurück – und vor ihrem Verrat an Rayburn.
Der König war sich Rayburns Treue absolut sicher gewesen, als er ihn ihr zum Ehemann gewählt hatte. Mit sechzehn war sie damals eine sehr gute Partie gewesen. Sie verfügte über eine höchst seltene und ansprechende Eigenschaft einer Edeldame: Sie war Alleinerbin ihres kränkelnden Vaters. Mehr noch, sie war Erbin einer der beeindruckendsten Burgen in den Welsh Marshes, dem strategisch bedeutungsvollen Grenzland zwischen England und Wales. Deshalb hatte sich der König persönlich um ihre Verlobung gekümmert.
Mit zehn Jahren war sie einem jungen Mann versprochen worden, dessen Familie wie die ihre eng mit König Richard verbunden war. Die Verbindung verlor jedoch in dem Augenblick ihren Glanz, als Henry Bolingbroke sich des Throns bemächtigte. Deshalb war ihr Vater erfreut gewesen, als nur wenig später der junge Mann die Höflichkeit besaß, vom Pferd zu fallen und sich das Genick zu brechen. Als der neue König »anbot«, einen Ehegatten für sie auszusuchen, war ihr Vater nur allzu froh über diese Gelegenheit, seine Ergebenheit unter Beweis zu stellen.
König Heinrich erwog gründlich und hielt sie mächtigen Männern, die er in seiner Schuld wissen wollte, als Köder hin. Als ihr Vater jedoch genau zu jenem Zeitpunkt schwer erkrankte, als die Waliser rebellierten, handelte der König rasch. Er konnte es sich nicht leisten, Ross Castle und die umliegende Grenzregion ohne einen starken Mann zu lassen, der in der Lage war, es zu verteidigen. Während ihr Vater auf dem Sterbebett lag, eskortierten sie die Soldaten des Königs zu dessen Schloss im nahe gelegenen Monmouth zu ihrer Hochzeit.
Sie verschränkte die Arme über der Brust und wiegte sich selbst, als die Erinnerung an diesen Tag sie überkam. Sie hatte gewusst, dass Rayburn ein kalter Mann war. Sie hatte keine Zärtlichkeit von ihm erwartet. Dennoch war ihre Hochzeitsnacht ein Schock für sie gewesen. Es gelang ihm nur mit Mühe, sie zu entjungfern.
Vielleicht war sein Erfolg der Tatsache geschuldet, dass es das erste Mal war. Er befahl ihr, alle Kerzen auszulöschen und still auf dem Bett auf ihn zu warten. Erst später verstand sie, dass die Geräusche, die sie in der Dunkelheit hörte, bedeuteten, dass ihr Ehemann sich selbst berührte, um der Aufgabe gewachsen zu sein.
Es gab keine Küsse, keine Zärtlichkeiten. Wenigstens war es gnädigerweise rasch vorüber. Sobald er fertig war, verließ er sie. Sie weinte die ganze Nacht lang in dem Glauben, dass ihr Leben nicht mehr schlimmer werden könnte.
Wie naiv sie doch gewesen war.
Fest entschlossen, sie zu schwängern, stattete er ihr wöchentliche Besuche in ihrem Schlafgemach ab. Sie versuchte, die anstößigen Worte, die er ihr ins Ohr flüsterte, nicht zu hören, und seine rauen Hände, die über ihre Schenkel und ihren Po rieben, nicht zu spüren. Wenn es ihm gelang, sie zu penetrieren, zwang sie ihre Gedanken weit weg, während er in ihren Körper stieß und grunzte.
Mit der Zeit fiel es ihm immer schwerer, seiner Pflicht nachzukommen. Wenn er nicht konnte, schlug er sie. Manchmal erregte ihn die Gewalt gerade lange genug, dass er zu seinem Ziel kam. Er gewöhnte sich an, sich zu betrinken, bevor er zu ihr ging. Der Alkohol machte ihn noch gewalttätiger.
Wie durch ein Wunder wurde sie schwanger. Ihre Schwangerschaft rettete ihr das Leben. Rayburn mangelte es immer noch an sämtlichen ausgleichenden Charaktereigenschaften, doch wenigstens hörte er auf, sie im Schlafgemach zu terrorisieren.
Vor ein paar Wochen hatte er dann beschlossen, dass er einen »Reserve-Erben« brauche.
Sie bedauerte nicht, was sie unternommen hatte, um sich zu retten. Und um die Krone für Harry zu retten. Eines Tages wäre Harry ein großer König, einer, den England verdiente. Und doch hatte der Verrat sie unglaublich erschöpft.
Die Augenlider wurden ihr schwer, als sie in den lindernden Erinnerungen an ihre Kinderspiele mit Harry in Monmouth schwelgte. Es waren glückliche Zeiten gewesen, vor dem Tod ihrer Mutter und bevor ihr Freund zum Prinzen und Erben des Throns wurde. Sie rollte sich auf der harten Bank zusammen und schloss die Augen.
»Mylady, was macht Ihr außerhalb Eures Bettes?« Die Stimme der Magd riss Catherine aus einem unruhigen Schlaf.
»Was ist?«, fragte sie, während sie sich aufsetzte.
»Bewaffnete Männer nähern sich dem Schloss«, sagte die Frau. Ihre Stimme war vor Anspannung sehr hoch.
»Welches Banner tragen sie?«, verlangte Catherine zu wissen.
»Das des Königs, Mylady.«
Die Welle der Erleichterung, die sie durchströmte, war so stark, dass sie sich an der Bank festhalten musste, um nicht zusammenzubrechen.
»Was hat das zu bedeuten, Mylady?«, fragte die Magd und zerknäuelte mit den Fingern ihre Schürze.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie und versuchte, beruhigend zu klingen, »aber von den Männern des Königs haben wir nichts zu fürchten.«
Wenn Rayburn festgenommen worden war, warum sollte der König dann bewaffnete Männer hierher nach Ross Castle schicken? War Rayburn geflohen und sie suchten hier nach ihm? Würde er hierherkommen, um sich zu verstecken? Panik stieg in ihr auf. Sie zwang sich zur Ruhe.
Nein, wenn Rayburns Verrat aufgeflogen war, dann würde er schwerlich hier Unterschlupf suchen. Angesichts der Gefahr, hingerichtet oder in den Kerker geworfen zu werden, würde er auf den Kontinent fliehen. Dessen war sie sich so gut wie sicher.
»Mylady, die Soldaten des Königs sind fast am Tor angelangt. Die Wachen warten auf Euren Befehl, was sie tun sollen.«
»Da sie das Banner des Königs tragen, müssen wir ihnen das Tor öffnen«, sagte sie. »Aber sag den Wachen, sie sollen auf mich warten.«
»Aber, Mylady, Ihr seid zu schwach. Ihr dürft nicht …«
Catherine brachte die Magd mit einem Heben der Hand zum Verstummen. »Hilf mir beim Ankleiden. Ich muss wissen, welche Nachricht sie bringen.«
Sich auf den Arm der Magd stützend erhob sie sich. Erst war ihr schwindelig, aber das Gefühl war recht schnell vorbei. Sie nickte zustimmend beim ersten Kleid, das die Magd ihr hinhielt, und ließ sich von der Frau ankleiden. Ihre Gedanken drehten sich nur um eine Frage: Warum schickte der König seine Männer nach der Schlacht hierher?
»Dafür ist keine Zeit«, sagte sie, als die Magd einen aufwendigen Kopfschmuck aus blauem Brokat auswählte. »Ein juwelenbesetztes Haarnetz muss reichen.«
Die Proteste der Magd ignorierend rollte Catherine ihr Haar zusammen und steckte es unter das Netz. Sobald die Magd ein Diadem darübergestülpt hatte, um es am Platz zu halten, schickte Catherine sie mit ihrer Botschaft ans Tor.
Sie war erleichtert, als sie Jacob vor ihrer Tür wartend vorfand. Dankbar nahm sie den Arm, den der alte Mann ihr bot, und lächelte in sein vom Wetter gegerbtes Gesicht hinauf.
»Lasst mich Euch bei den Besuchern entschuldigen«, schlug er vor und zog dabei die Augenbrauen besorgt zusammen. »Ich sage ihnen, dass Ihr zu krank seid, um sie zu begrüßen.«
»Danke, Jacob, aber ich muss selbst ans Tor«, sagte sie. »Sie sollen keinen Fuß innerhalb der Burgmauern aufsetzen, bevor ich mich nicht davon überzeugt habe, dass sie tatsächlich die Männer des Königs sind.« Und bevor ich weiß, was sie wollen.
Nach so vielen Tagen in der Dunkelheit ihres Schlafgemachs schmerzte die helle Sonne ihre Augen, als sie aus dem Bergfried trat. Sie fühlte sich schwach, doch die frische Luft machte ihren Kopf klar, als sie über den inneren und äußeren Burghof gingen. Die Hälfte des Burghaushaltes wartete besorgt wegen der bewaffneten Männer auf der anderen Seite des Tors in der Nähe des Torhauses.
Sobald ihr Sohn sie entdeckt hatte, riss er sich von Alys los und schlang die Arme um ihre Beine. Sie kniete sich hin, um ihn zu küssen.
»Jamie, bleib hier bei Alys, während ich hinausgehe und mit diesen Rittern spreche«, instruierte sie ihn bestimmt. »Geh nicht aus dem Tor.« Sie warf der Haushälterin einen vielsagenden Blick über seinen Kopf hinweg zu, den diese mit einem raschen Nicken beantwortete.
Als sie sich wieder aufrichtete, tanzten grelle Flecken vor ihren Augen. Sie war noch nie in ihrem Leben ohnmächtig geworden, und sie durfte sich nicht erlauben, dass es ausgerechnet jetzt passierte. Sie würde ihrer Pflicht nachkommen und die Mitglieder ihres Haushaltes schützen.
Sie winkte die anderen zurück und stellte sich allein vor das Tor. Auf ihr Nicken hin ließen die Wachen die Zugbrücke über den trockenen Burggraben ab. Sie schlug mit einem dumpfen Geräusch auf.
Durch die Eisenstäbe des Fallgatters konnte Catherine die Ritter auf der anderen Seite des Burggrabens sehen. Sie wirkten unnachgiebig, als wären sie im Kampf erfahren und bereit, weiter zu kämpfen.
Sie drehte sich um und gab den Befehl: »Öffnet das Fallgatter, aber haltet euch bereit, es auf mein Zeichen hin wieder zu schließen.«
Die Eisenketten rasselten und ächzten, während die Wachen die Kurbel betätigten und langsam das Fallgatter hochzogen.
Sobald es weit genug oben war, dass sie darunter durchschlüpfen konnte, trat sie auf die Zugbrücke hinaus. Sie spürte die Überraschung der wartenden Reiter. Sie starrten sie an, blieben jedoch, wo sie waren – genau wie von ihr beabsichtigt.
Auf dem Weg nach Ross Castle wanderten die Gedanken von William Neville FitzAlan immer wieder zur Gemahlin des Verräters. Inzwischen Witwe des Verräters. Lady Rayburns letzte Nachricht an den Prinzen hatte zur Festnahme und Hinrichtung ihres Gatten geführt. Rayburn hatte dieses Schicksal verdient. Aber was für eine Frau war das, die jahrelang das Bett eines Mannes teilte und ihn dann an seine Feinde verriet?
William fragte sich übellaunig, ob sie ihm auch in anderer Hinsicht untreu gewesen war. Es kam ihm mehr als wahrscheinlich vor. Seiner Erfahrung nach war Treue bei Frauen seiner Klasse ein rares Gut. Die ritterlichen Ideale von Treue und Ehre leiteten gewiss nicht das weibliche Verhalten. Vielleicht war es eher das Verlangen nach einem anderen Mann gewesen als ihre Loyalität zu Lancaster, das sie dazu gebracht hatte, den Verrat ihres Mannes aufzudecken.
Doch unabhängig von ihrem Motiv mussten sowohl der König als auch er selbst ihr dankbar sein. Die Dame war nun jedoch ein politisches Problem für den König.
Da sein Anspruch auf die Krone in Zweifel gezogen wurde, musste König Heinrich ein eindeutiges Zeichen geben, dass Verräter und deren Familien schwer bestraft wurden. Vor allem die einflussreichen Familien brauchten dieses Zeichen. Als Frau eines englischen Lords in der Grenzregion, der sich gegen den König gestellt hatte, sollte Lady Rayburn in den Tower geschickt werden – einen Ort, an dem tödliche Unfälle gang und gäbe waren.
Andererseits beharrte Prinz Harry darauf, dass er die anonymen Botschaften über die Rebellenarmee von Lady Rayburn erhalten habe. Doch nur wenige Männer des Königs glaubten ihm, und der Überbringer der Botschaften war nirgendwo zu finden.
Der König beliebte selbst zu bestimmen, was er glaubte. Die Wahrheit war ohnehin irrelevant. Inmitten der Rebellion konnte der König eine Grenzburg nicht in den Händen einer Frau lassen. Die Lords der Umgegend, obwohl sie angeblich loyal waren, waren fast genauso besorgniserregend wie die Rebellen selbst. Wenn einer von ihnen Ross Castle in die Hände bekam – ob durch Gewalt oder durch Heirat –, hätte der König große Schwierigkeiten, es sich zurückzuholen. Der König wollte es in den Händen eines Mannes wissen, den er selbst bestimmt hatte.
William war der Mann, auf den die Wahl des Königs gefallen war. Seine Loyalität hatte die schwierigsten Prüfungen überstanden. Mehr noch. Der König war überzeugt davon, dass Williams Hunger nach eigenen Ländereien so groß war, dass er sie sich von niemandem wieder nehmen lassen würde, wenn er sie erst besäße. In seinen Händen wäre Ross Castle sicher.
William hatte an diesem Morgen den Angriff geführt und den Feind überrascht. Auf Befehl des Königs war Rayburn auf dem Schlachtfeld hingerichtet worden. Der Kopf des Verräters war kaum von seinen Schultern abgetrennt, da erklärte der König bereits seine Ländereien und seinen Titel als verwirkt und übertrug beides auf William.
William hatte das Schlachtfeld umgehend verlassen, um seinen Besitz zu sichern, während das Blut des Verräters noch auf seinem Waffenrock trocknete. Doch es gab noch einen letzten Preis, den er bezahlen musste.
Der König legte das Schicksal der Witwe des Verräters in seine Hände.
Er hatte die Wahl. Er konnte die Dame nach London schicken, um sie wegen des Verrates ihres Mannes im Tower einkerkern zu lassen. Oder er konnte sie retten – indem er sie zur Frau nahm. Der König ließ ihn vom Bischof begleiten, der ihn von der Notwendigkeit, ein Aufgebot zu bestellen, befreien würde, falls William sich zur Heirat entschließen sollte. Der König kannte seinen Mann.
Der Prinz wäre erzürnt, wenn Lady Rayburn eingekerkert würde. Doch während der König die Gefühle des Prinzen missachten konnte, konnte William dies nicht. Eines Tages wäre der junge Harry sein König. Doch auch wenn dies nicht der Fall wäre, würde William die Witwe heiraten. Er würde nicht zulassen, dass einer Frau oder einem Kind Leid zugefügt wurde, wenn er es verhindern konnte.
Seine Gedanken schweiften von der Frau ab, als er die Kuppe des nächsten Hügels erreichte. Er zügelte sein Pferd und nahm seine neuen Ländereien zum ersten Mal in Augenschein. Sanfte grüne Hügel wurden in direkter Umgebung der Burg von Feldern abgelöst, auf denen die diesjährige Frucht stand. Die Burg selbst – eine beeindruckende Wehranlage mit zwei konzentrischen Verteidigungsringen um einen älteren quadratischen Hof – stand auf einer natürlichen Erhebung an einem sich dahinschlängelnden Fluss.
Edmund Forrester, sein Stellvertreter, ritt neben ihn. »Gute Lage am Fluss. Leicht zu verteidigen«, sagte Edmund anerkennend.
William nickte, ohne den Blick von der Burg zu wenden. Sein ganzes Leben lang hatte er so etwas haben wollen. Im Haushalt seines Vaters hatte man sich um ihn gekümmert, doch er hatte kein Anrecht, keinen Anspruch auf das Erbe. Seine Position war immer unsicher und gefährdet gewesen. Jetzt endlich konnte er Ländereien und einen Titel, der seinen Platz in dieser Welt bestimmte, sein Eigen nennen.
Wenn doch nur John an diesem besonderen Tag bei ihm sein könnte. Vier Jahre war der Tod seines Bruders jetzt her, doch er spürte den Verlust noch immer schmerzlich. John war der einzige Mann gewesen, mit dem er sich wahrhaft verbunden gefühlt hatte. Doch er konnte froh sein, Edmund an seiner Seite zu wissen. Sie hatten jahrelang gemeinsam im Norden gekämpft. Es gab nicht viele Männer, denen er vertraute – aber er vertraute Edmund.
William gab seinem Pferd die Sporen und führte seine Männer den Pfad entlang zur Burg hinunter. Sein Herz schlug wild vor Erwartung. Obwohl die Ausgucker das Banner des Königs gesehen haben mussten, als sie den Hügel hinuntergeritten waren, ließen sich die Bewohner der Burg viel Zeit damit, die Tore zu öffnen. Er war wütend, lange bevor die Zugbrücke endlich heruntergelassen wurde.
Als das Fallgatter sich hob, duckte sich eine schlanke Frau darunter durch und trat allein auf die Zugbrücke hinaus.
William blinzelte gegen die Sonne, um sie besser sehen zu können. Etwas an der Art und Weise, wie die junge Frau dastand und ihnen selbstbewusst entgegenblickte, ließ seine Männer unruhig in ihren Sätteln hin und her rutschen.
Ihre Tat war so kühn, dass William anerkennend lächeln musste. Es war offensichtlich, dass sie ihren Wachleuten die Möglichkeit geben wollte, das Fallgatter hinter ihr wieder herunterzulassen, falls er und seine Männer sich als Feinde entpuppen sollten. Doch ihr Plan hatte einen Fehler: Die Burg mochte so gerettet werden, doch die Dame gewiss nicht.
2
Catherine musterte die Männer auf der anderen Seite des Burggrabens, während sie darauf wartete, dass einer von ihnen vorträte. Sie trugen Harnische und Kettenhemden, und ihre Pferde sahen aus, als wäre ihnen sehr zugesetzt worden. Ein einzelner Kirchenmann ritt mit ihnen, und seine weiße Robe leuchtete in einem Meer aus poliertem Metall.
Sie beobachtete, wie der Kirchenmann absaß und auf die Zugbrücke trat.
»Vater Whitefield!« Glücklicherweise hörte der alte Freund ihres Vaters ihren Ausruf nicht. Sich an seinen raschen Aufstieg erinnernd, den er seit Heinrichs Thronbesteigung in der Kirche gemacht hatte, sank sie in einen tiefen Knicks.
»Es ist gut, dich wieder zu sehen, Kind«, sagte der Bischof und streckte ihr die Hand entgegen.
»Was hat das alles zu bedeuten, Hochwürdigster Herr?«, flüsterte sie. »Warum schickt der König bewaffnete Männer hierher?«
»Ich bringe dir eine Nachricht des Königs«, sagte der Bischof, und seine Stimme hallte von den Burgmauern wider.
Was für eine Botschaft erforderte einen Bischof und bewaffnete Männer?
»Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, liebes Kind«, sagte er und tätschelte ihre Hand, »aber dein Gemahl ist heute in der Schlacht gefallen.«
»Gelobt sei der Herr!«, rief Catherine aus und fiel auf die Knie. Sie kniff die Augen zusammen und schlug die Hände vors Gesicht. »Gelobt sei der Herr! Gelobt sei der Herr!«
»Lady Catherine!«, brüllte der Bischof über ihr. »Bitte Gott um Vergebung für diese Sündhaftigkeit!«
Catherine wusste, dass es eine Sünde war, ihrem Ehemann den Tod zu wünschen. Aber Gott in seiner unendlichen Weisheit hatte ihre Gebete erhört und Rayburn von dieser Welt genommen.
Gelobt sei der Herr, gelobt sei der Herr.
»… schändliches Verhalten … einer Ehefrau nicht würdig …«
Sie war sich dunkel bewusst, dass der Bischof noch immer redete. Sie ignorierte ihn und betete weiter.
»Mary Catherine!«
Als er ihren Namen rief, öffnete sie die Augen.
»Steh auf, steh auf!«, sagte der Bischof und zog sie am Arm hoch. »Ich habe dir noch mehr zu sagen.«
Er zog ein Pergament unter seiner Robe hervor, brach das Siegel und rollte es auf. Während er es auf Armeslänge von sich hielt, warf er ihr über den oberen Rand einen ernsten Blick zu. Dann begann er zu lesen. »Alle Ländereien … an die Krone verwirkt … verleiht dieselben … für treue Dienste …«
Catherine konnte den Worten nicht folgen. Ihr schwirrte der Kopf, während der Bischof eintönig weiterlas.
»In einfachen Worten«, sagte er, als er das Pergament einrollte, »der König erklärt Rayburns Titel und all seinen Besitz, einschließlich Ross Castle, für verwirkt. Er verleiht sie dem Mann, der deinen verräterischen Gatten heute im Kampf besiegt hat.«
Der Atem wich aus ihrem Körper, als hätte sie einen Schlag in die Magengrube erhalten.
»Warum sollte der König mir das antun?«, fragte sie flüsternd. »Nach allem, was ich für ihn getan habe? Nach all den Risiken, die ich auf mich genommen habe?«
Der Bischof beugte sich vor und betrachtete sie aus zusammengekniffenen Augen. »Du hättest das in dem Moment vorhersehen müssen, als dein Gemahl die Hand gegen den König erhob.«
»Aber ich habe meine Hand nicht gegen den König erhoben!«, protestierte sie. »Es war die Entscheidung des Königs, nicht meine, dass ich Rayburn heiraten sollte. Das wisst Ihr sehr wohl.«
»Hüte deine Zunge«, warnte der Bischof sie, rot vor Zorn. »Es ist nicht weise, deinen König zu kritisieren.«
»Sagt der König etwas darüber, was ich tun soll?«, fragte sie. Panik wallte in ihr auf. »Wo Jamie und ich leben sollen?«
Der Bischof räusperte sich. »Es ist nicht alles verloren, meine Liebe.« Er hielt inne, um dem, was er nun zu sagen hatte, mehr Gewicht zu verleihen. »Mit dem Segen des Königs hat der neue Herr von Ross Castle sich einverstanden erklärt, dich zur Frau zu nehmen.«
»Der König will, dass ich wieder heirate?« Ihre Stimme hob sich, doch sie konnte nichts dagegen tun.
Der ruhige Blick des Bischofs verriet ihr, dass sie sich nicht verhört hatte.
»Nein, das kann er nicht tun!« Sie wich kopfschüttelnd vor ihm zurück. »Er kann das nicht noch einmal von mir verlangen!«
Der Bischof ergriff ihren Arm und flüsterte ihr zornig ins Ohr: »Es ist die einzige Möglichkeit, die dem König bleibt, dich zu retten.«
Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Das werde ich nicht tun! Niemals!«
»Catherine!«, rief der Bischof. »Hör sofort auf damit!«
»Ihr müsst den König bitten, mich zu verschonen!«, bettelte sie und klammerte sich an seinen Ärmel. »Bitte, Hochwürdigster Herr, ich flehe Euch an.«
»Komm zur Vernunft, Frau«, sagte der Bischof und nahm sie bei den Schultern. »Du hast keine Wahl.«
»Und wenn ich mich weigere?« Sie fühlte die Wut in ihrer Brust aufsteigen.
»Das wäre sehr unvernünftig«, sagte der Bischof mit gebrochener Stimme.
»Ihr müsst es mir sagen, Hochwürdigster Herr«, bedrängte sie ihn.
»Der König würde dich einkerkern lassen.«
Das Blut strömte aus ihrem Kopf, als sie endlich begriff. Warum hatte sie das nicht vorher erkannt? Heinrich kämpfte an beiden Grenzen gegen Aufstände. Sein Anspruch auf den Thron war schwach. Wenn er nicht rasch handelte und ihre Ländereien in die Hände eines Mannes seines Vertrauens gab, würde einer der benachbarten Lords sie an sich reißen.
»Du solltest dankbar sein, dass FitzAlan bereit ist, dich zu nehmen«, spie der Bischof aus. »Der König hat es nicht zur Bedingung gemacht.«
Durch zusammengepresste Zähne entgegnete sie: »Vielleicht wäre der Tower die bessere Wahl für mich.«
»Denk an deinen Sohn! Was wird aus ihm, wenn du im Kerker landest?«
Der Bischof traf den Nagel auf den Kopf. Es gab nichts, was sie nicht erdulden würde, um ihren Sohn zu retten.
»Wie viel Zeit bleibt mir«, fragte sie schwach, »bis ich mir die Art meines Gefängnisses aussuchen muss?«
Vielleicht fand sie einen Ausweg, wenn ihr Kopf klarer war und sie sich nicht so krank fühlte.
Der Bischof blies die Nasenflügel auf. »Die Hochzeit soll sofort stattfinden.«
»Sofort?«, fragte sie erstaunt. »Soll ich ohne Gnadenfrist von einer Hölle in die nächste wandern?«
Ihr Wutausbruch hatte sie vollends geschwächt.
»Wann?«, fragte sie und richtete den Blick auf die Holzplanken der Zugbrücke vor ihren Füßen. »Wann wird er kommen?«
Bitte, Gott, lass es Wochen dauern und nicht Tage.
»Er ist bereits hier.«
Als sie aufschaute, sah sie, dass der Bischof über die Schulter blickte. In ihrer Not hatte sie die anderen Reiter ganz vergessen.
Die Soldaten in der ersten Reihe machten einem einzelnen Ritter auf einem riesigen Schlachtross Platz. Unfähig, sich zu rühren, beobachtete Catherine entsetzt, wie das gewaltige Tier auf sie zustürmte. Sein heißer Atem blies ihr ins Gesicht, bevor der Mann es zügelte.
Sie schluckte und zwang ihren Blick langsam nach oben, um den Ritter anzusehen. Ihre Augen hefteten sich fest auf seine Hand, die das Heft seines Schwertes umklammerte, als witterte er Gefahr und wäre bereit, ihr zu begegnen. Sie folgte der Linie seines Arms hinauf. Als ihr Blick seinen Brustkorb erreichte, drehte sich ihr schier der Magen um. Sein Waffenrock war von Blut besudelt. Vom Blut seiner Feinde, vom Blut der Unterlegenen.
Ihre Augen wanderten zwanghaft hinauf zu seinem Gesicht. Sie sah Schmutz, Blut und verklebtes Haar. Dann traf ihr Blick auf den rasenden Zorn in den Augen der Bestie, und sie fiel in Ohnmacht.
Als der Bischof die mutige junge Frau auf der Zugbrücke grüßte, erkannte William, dass es Lady Rayburn persönlich war. Da er wusste, was der Bischof ihr zu sagen hatte, blendete er die Worte des Bischofs aus und verlor sich in Gedanken über die Frau.
Natürlich hatte er sich gewünscht, dass sie hübsch wäre, auch wenn es für seine Entscheidung keine Rolle spielte. Doch das Glück war mit ihm. Wenn sie auch die Seele einer Schlange haben mochte, schien Lady Rayburn – zumindest aus dieser Entfernung – jung und außergewöhnlich hübsch sowie mit einem ranken, schlanken Körper gesegnet zu sein.
Ruckartig kehrte sein Aufmerksamkeit zurück, als sie auf die Knie fiel und ausrief: »Gelobt sei der Herr!« Er brauchte eine ganze Weile, bis er begriff, dass sie Gott für den Tod ihres Mannes dankte. Wie konnte die Frau auf den Knien liegend vor Glück weinen, wenn ihr die Nachricht vom Tod ihres Mannes überbracht wurde? Nicht einmal seine Mutter war so herzlos.
Als er hörte, dass sie ihre angehende Ehe mit ihm mit einem Gefängnis verglich, verwandelte sich sein Schock in Entrüstung. Sie sollte ihm für ihre Rettung dankbar sein! Stattdessen machte sie ihn lächerlich. Edmund griff nach seinem Arm, doch William riss sich los und trieb sein Pferd auf die Zugbrücke.
Als er auf sie zuritt, trat der Bischof einige Schritte zurück. Aber die Frau bewegte sich nicht, nicht einmal als sein Pferd über ihr schnaubte. Zögernd hob sie den Blick, als wolle sie jeden Zentimeter von Pferd und Reiter in sich aufnehmen. Als er schließlich auf sein Gesicht fiel, schauten sie einander in die Augen.
Sein Herz hörte auf zu schlagen.
Sie war es. Er war sich fast sicher.
Ihr Blick verschwamm, und sie schwankte. Mit einer Schnelligkeit, die er in der Schlacht erlernt hatte, war er aus dem Sattel und bückte sich, um sie aufzufangen, bevor ihr Kopf auf dem Boden aufschlug. Ihr blondes Haar löste sich aus dem Haarnetz und floss in seidigen Wellen über seinen Arm und die rauen Planken der Zugbrücke.
Um ihn herum herrschte Verwirrung. Doch William sah nichts als die junge Frau in seinen Armen. Sie war es. Das Mädchen seiner Träume.
Bevor er sie hochheben konnte, traf ihn ein Gewicht im Rücken. Kleine Fäuste prügelten auf ihn ein, während eine hohe Stimme in sein Ohr heulte: »Lass sofort meine Mutter los! Lass sie sofort in Ruhe!«
»Schafft den Jungen fort«, rief er dem nächststehenden Mann zu.
Der Mann zog das Kind von seinem Rücken und hielt es mit ausgestreckten Armen in die Luft, während der Junge wütend in der Luft strampelte. Er hatte dunkle Haare und war kaum älter als drei oder vier Jahre.
William sah dem Jungen in die Augen. »Ich werde ihr nicht wehtun. Das verspreche ich dir.«
Dem Kind gelang es fast, ihm an den Kopf zu treten.
Kaum war er von dem Jungen befreit, erschien ein Gesicht vor ihm, das so rund und rosig war wie das eines fetten Mönchs, es keifte: »Meine Herrin lag die letzten fünf Tage mit Fieber im Bett.«
William lehnte sich zurück, um zu sehen, wer ihn da so vehement zurechtwies. Es war eine ältere Frau, offensichtlich irgendeine Dienerin.
Die Frau legte die Hand an die blasse Wange der Dame in seinen Armen. »Was habt Ihr ihr angetan?«, jammerte sie. »Meine arme Herrin! Gott stehe uns bei.«
William unterdrückte einen Fluch. »Ich bin hier, um die Dame zu retten, nicht um ihr zu schaden.«
Die Schärfe seiner Stimme hätte die Frau das Weite suchen lassen sollen. Sie tat es nicht, doch wenigstens hörte sie mit ihrem Jammern auf.
»Zeig mir, wohin ich sie bringen soll«, sagte er und bemühte sich, ruhig zu sprechen. »Wir können sie nicht mitten auf der Zugbrücke liegen lassen.«
Die Frau blinzelte ihn an und richtete sich dann mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf. Sie raffte die Röcke und eilte an ihm vorbei. »Hier entlang! Hier entlang!«
William erhob sich mit der Dame auf dem Arm und schritt durch das Burgtor. Er folgte der rundlichen Dienerin, die sich alle paar Schritte zu ihm umdrehte und mit den Armen fuchtelte. Er hörte das Gemurmel und wusste, dass die Diener die Köpfe senkten und zurücktraten, als er an ihnen vorbeiging.
Aber er sah keinen von ihnen.
Seine ganze Aufmerksamkeit galt der Wärme ihres Körpers an seinem, dem Flattern glatter Seide an seiner Hand. Sie wog nahezu nichts. Als eine schwache Windböe in ihr Haar fuhr, füllte der Duft von Wildblumen seine Nase und sandte ihn zu einer mondbeschienenen Nacht am Fluss zurück.
Bevor er es bemerkte, stieg er die Stufen zum Bergfried hinauf. In diesem Augenblick befreite sich der Junge aus dem Griff seines Wärters und klammerte sich an Williams Bein.
»Willst du, dass er deine Mutter fallen lässt, du dummes Kind?« Bevor einer seiner Männer sich auch nur rührte, eilte die mollige Frau zurück und packte den Jungen am Kragen.
»Ich kümmere mich um deine Mutter, Kind«, sagte sie, als sie das sich windende Kind in die Arme einer anderen Dienerin schob. »Sei ein guter Junge, dann nimmt dich Mary mit in die Küche und gibt dir ein süßes Hefebrötchen.«
William gab seinen Männern ein Zeichen, dass sie in der Halle zurückbleiben sollten, und folgte der Frau die Wendeltreppe hinauf in die oben liegenden Privaträume der Familie.
»Ich bin Alys, die Haushälterin«, informierte ihn die Frau, während sie die Stufen vor ihm hinaufschnaufte. »Ich kenne Lady Catherine seit sie ein kleines Baby war.«
Die Frau in seinen Armen bewegte sich. Sich selbst vergessend, beugte er sich hinunter, um sie zu beruhigen, und hätte ihr fast einen Kuss auf die Stirn gedrückt. Er schüttelte heftig den Kopf, um sich daran zu erinnern, dass diese Frau, die in seinen Armen so zerbrechlich wirkte, sich mit Bischöfen stritt. Und Schlimmeres tat.
Am Eingang zu den Privatgemächern blieb er stehen und ließ den Blick durch den elegant eingerichteten Raum schweifen – Möbel aus dunklem Holz, prächtige Wandbehänge und ein reizender Fenstersitz in Richtung Fluss. Das alles gehörte jetzt ihm. Nie wieder würde sein Heim von der Gunst eines anderen Mannes abhängen. Seine Kinder würden mit der Gewissheit aufwachsen, ein Heim zu haben.
Ein Ruck ging durch ihn, als ihm bewusst wurde, dass diese Kinder von der Frau, die er auf den Armen trug, zur Welt gebracht würden.
Er sah auf sie hinab. Zwar waren ihre Augen geschlossen, doch er bemerkte eine Falte zwischen ihren Brauen. Wie lang war sie wohl schon wach?
»Hier herein, Mylord«, rief die Haushälterin aus einem der Schlafzimmer, die sich an den Raum anschlossen.
Er trug die Dame in das Zimmer und legte sie behutsam auf das hohe Bett. Beim Zurücktreten erhaschte er einen Blick auf seinen blutverschmierten Waffenrock. Wie musste er in ihren Augen ausgesehen haben, schließlich kam er direkt vom Schlachtfeld. Kein Wunder, dass sie in Ohnmacht gefallen war.
Er nahm Alys am Arm. »Ich muss mich waschen«, sagte er, während er sie aus dem Schlafgemach begleitete. »Und meine Männer brauchen etwas zu essen und zu trinken.«
»Ich werde mich sogleich darum kümmern, Mylord.« Alys wandte sich ab, um zu gehen, doch er hielt sie am Arm fest.
»Ich weiß, dass du deiner Herrin sehr zugetan bist.« Er erkannte am Flackern in ihrem Blick, dass es ihr gefiel, dass er das bemerkte. »Deshalb musst du ihr helfen zu verstehen.«
Alys schaute zu ihm auf. Ihre Miene war ernst. »Was zu verstehen, Mylord?«
»Es ist der Wunsch des Königs, dass wir heute noch heiraten.« Er ignorierte die Tatsache, dass Alys scharf einatmete, und fuhr fort: »Sie ist in Gefahr, wenn wir es nicht tun. Das muss sie verstehen – und dabei kannst du ihr helfen.«
Alys presste die Lippen zu einem festen Strich zusammen und nickte.
»Ich werde in einer Stunde wieder hier sein und ihr erklären, wie die Hochzeit vonstatten geht«, sagte er. »Wo kann ich jetzt ein Bad nehmen?«
3
William kam wieder zu Verstand, als er sich den Dreck der Schlacht abschrubbte. Immer wieder erinnerte er sich selbst daran, was er von der Frau wusste, die zu heiraten er im Begriff stand. Sie spionierte hinter ihrem Mann her und hatte ihn ausgeliefert. Ohne einen Hauch von Bedauern oder Mitleid betrog sie den Vater ihres Kindes, den Mann, dessen Bett sie seit fünf Jahren teilte.
Das waren Tatsachen. Was waren im Vergleich dazu schon Träume?
Entweder hatte sie sich seit jener Nacht im Stall verändert, oder er hatte sich damals bereits in ihr getäuscht. Wie lange waren sie in dieser Nacht zusammen gewesen? Eine Stunde? Zwei? Was konnte ein Mann in dieser Zeit schon erfahren? Vor allem ein junger Mann, der durch die Nähe eines wunderschönen Mädchens im Mondlicht abgelenkt war? Er hatte alles über die Natur der Frauen auf den Knien seiner Mutter gelernt. Das einzige Mal, dass er diesen Unterricht vergessen hatte, war mit dem Mädchen im Stall gewesen.
Sie war so schön wie eh und je. Er würde aufpassen müssen.
Er fühlte sich bereit, das Heft in die Hand zu nehmen, als er in sein bestes Gewand gehüllt zu den Privatgemächern zurückkehrte. Gott sei Dank hatte der Bischof darauf bestanden, dass er seine beste Kleidung von seinem Packpferd holte, bevor sie sich auf den Weg gemacht hatten. Er hob die Hand, um anzuklopfen, hielt dann jedoch inne. Hier brauchte er keine Erlaubnis, um einzutreten.
Als er die Tür aufstieß, erblickte er Alys und Lady Catherine an einem kleinen Tisch nahe dem Fenster. Alys warf ihren Stuhl um, als sie aufsprang. Lady Catherine jedoch beobachtete ihn ruhig durch den Dampf hindurch, der von dem Becher aufstieg, den sie in Händen hielt. Sie verzog keine Miene.
Ohne den Blick von ihm zu wenden, setzte sie den Becher ab und sagte mit klarer Stimme: »Alys, geh bitte den Bischof holen.«
William fragte sich, was sie wohl vorhatte, dachte sich jedoch, dass er es sicher bald herausfinden würde.
Alys warf ihrer Herrin einen Blick zu, der besagte, dass sie es nicht für angebracht hielte, sie mit ihm allein zu lassen. Doch als Lady Catherine bestätigend nickte, tat Alys wie geheißen.
Zum ersten Mal allein, betrachteten er und seine Zukünftige einander eine Zeit lang. Er sah nicht einmal einen Anflug des Erkennens in diesen wachen blauen Augen. Erinnerungsfetzen zogen durch sein Gedächtnis. Er konnte die knappen, intensiven Erinnerungen an das Mädchen nicht damit in Einklang bringen, was er über die Frau vor sich wusste. Aber schließlich war sie so überaus reizend, dass es ihm schwerfiel, überhaupt zu denken.
Ihre glatte Porzellanhaut zeigte jetzt einen Hauch Farbe. »Ich bin erfreut zu sehen, dass Ihr nicht mehr so blass seid wie vorhin.«
»Normalerweise falle ich nicht in Ohnmacht«, beeilte sie sich ihm zu versichern, »aber ich war krank.«
»Ich hoffe, Ihr fühlt Euch besser, denn wir müssen jetzt die Verhältnisse zwischen uns klären.«
Etwas an der Art, wie sie das Kinn reckte, sagte ihm, dass sie in der vergangenen Stunde nachgedacht und einen Plan ausgeheckt hatte. Er war froh über das Verhandlungsgeschick, das er in Northumberlands Diensten erworben hatte.
»Es ist freundlich von Euch, dass Ihr Euch bereit erklärt habt, mich zu heiraten«, begann sie.
Aha. Ihr Eröffnungszug bestand also in einem unverhohlenen Versuch, ihm zu schmeicheln.
»Ihr schient mir anders darüber zu denken, als Ihr von meinem Vorhaben zum ersten Mal hörtet.« Er wollte damit Amusement zur Schau stellen, doch ein Anflug von Wut war in seiner Stimme auch zu hören.
Seine Bemerkung ignorierend fuhr sie fort: »Soweit ich weiß, hat der König Euch die Wahl gelassen.«
Die leichte Betonung des Wörtchens Euch entging ihm nicht.
»Fürwahr, das hat er eigentlich nicht«, sagte er achselzuckend. »Ich könnte es nicht auf mein Gewissen laden, dass eine Dame möglicherweise zu Unrecht eingekerkert wird, wenn ich es verhindern kann.«
»Viele Männer in Eurer Situation hätten anders entschieden.«
Nur, solange sie noch kein Auge auf diese Frau geworfen hätten. Kein Mann, der dieses Gesicht gesehen hatte, würde die Entscheidung als schwierig empfinden. Verlangen brannte heiß und fordernd in ihm bei dem Gedanken, dass er sie noch heute Nacht in seinem Bett haben würde. Das Wissen, dass sie ihren ersten Mann hintergangen hatte und den Gedanken, ihn zu heiraten, verabscheute, tat seiner Leidenschaft keinen Abbruch.
Sie zu begehren, war das Eine. Ihr zu vertrauen etwas ganz anderes.
»Wollt Ihr mir schmeicheln, indem Ihr mir sagt, dass Ihr die Ehe mit mir der Gefangenschaft vorzieht, oder seht Ihr beides noch immer als gleichwertig an?« Wieder war es ihm unmöglich, die Schärfe aus seiner Stimme zu verbannen.
Sie besaß den Anstand zu erröten. »Meine Einwände bezogen sich generell auf eine neue Eheschließung – und das auch noch so rasch«, murmelte sie und senkte den Blick. »Nicht auf eine Ehe speziell mit Euch.«
»Nun, um mich geht es aber, nicht wahr?«, schnauzte er sie an.
Das Vermögen, seine Gefühle zu verschleiern, hatte er bereits in jungen Jahren vervollkommnet. Warum war es ihm jetzt nicht möglich? Verärgert über sich selbst stand er vom Tisch auf und stellte sich mit dem Rücken zu ihr ans Fenster. Zur Hölle, er hätte sie geheiratet, ohne auf seine eigenen Wünsche Rücksicht zu nehmen. Doch jetzt wollte er sie. Unbedingt. Er hoffte, sie hatte es nicht bemerkt.
Ihre nächsten Worte holten ihn rasch zu ihrem Gespräch zurück.
»Ich bin unter einer Bedingung einverstanden, Euch zu heiraten.«
Er drehte sich zu ihr um und hob eine Augenbraue. »Ihr glaubt Euch in der Position zu feilschen?«
»Ja.«
Die Bestimmtheit ihrer Stimme verriet ihm, dass sie das nackte Begehren in seinem Blick gesehen hatte und wusste, welche Macht es ihr verlieh.
»Eure Sicherheit, Euer Heim, Euer Rang – das reicht Euch nicht als Grund?«, fragte er.
»Wenn Ihr mir darüber hinaus nicht dieses Eine versprechen könnt«, sagte sie beharrlich, »wähle ich eher das Exil oder den Kerker, als Euch zu heiraten.«
Er meinte seinen Ohren nicht zu trauen. Sie zog den Kerker einer Ehe mit ihm vor? »Was ist es denn, was Ihr von mir verlangt?«
Sie holte zitternd Luft und verriet damit, wie angespannt sie trotz ihrer zur Schau gestellten Ruhe war. Und doch blickte sie ihm fest in die Augen, als sie ihre Bedingung stellte.
»Ihr müsst mir Sicherheit für meinen Sohn versprechen. Ihr müsst mir zusichern, dass Ihr ihm nichts antut. Mehr noch, dass Ihr ihn und seine Interessen schützt.« Sie räusperte sich. »Das ist mein Preis.«
Er sagte sich, dass sie ihn nicht kannte, dass sie nicht wissen konnte, wie sehr ihn ihre Worte verletzten. Tief einatmend setzte er sich zu ihr und legte seine Hände auf die ihren auf dem Tisch. Sie zuckte zusammen, machte jedoch keinen Versuch, ihre Hände wegzuziehen.
»Ich werde diese Bedingung akzeptieren«, sagte er und schaute ihr fest in die Augen, »doch ich hätte Euren Sohn auch ohne Eure Bitte beschützt.«
Sie zögerte, dann schenkte sie ihm ein kleines Lächeln.
In diesem Augenblick stürmte der Gegenstand ihres Gesprächs ins Zimmer. Lady Catherine schalt das Kind nicht für die Unterbrechung. Stattdessen schloss sie den Jungen in die Arme und küsste seinen Scheitel. Die Liebe zwischen Mutter und Sohn war so offensichtlich, dass William sich allein durch seine Nähe zu ihr gewärmt fühlte. Die Kehle schnürte sich ihm zu, denn er wusste, dass er dasselbe für seine Kinder wollte.
Der Bischof betrat in gemessenerem Tempo den Raum.
»Ich habe Euch gebeten zu kommen, Hochwürdigster Herr«, sagte Lady Catherine, »weil es einen Punkt gibt, der in den Ehevertrag aufgenommen werden muss.«
Deshalb also hatte sie den Bischof kommen lassen. Seine privat geäußerte mündliche Versicherung reichte nicht aus.
William war nicht beleidigt. Ganz im Gegenteil, er bewunderte die Entschlossenheit der Dame und ihre Klugheit, einen Weg zu finden, ihn an sein Versprechen zu binden. Er hoffte, sie würde die Kinder, die sie gemeinsam hätten, genauso unerschütterlich beschützen wie ihren Erstgeborenen.
»Der Vertrag ist bereits geschrieben.« Der Bischof legte die Fingerspitzen aneinander und ließ seinen Blick auf William wandern, während er sprach. »Ich versichere Euch, dass alle wichtigen Dinge bereits berücksichtigt wurden.«
William hob die Hand. »Ich werde Eurem Schreiber die notwendigen Änderungen diktieren. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren, lasst uns also gleich damit anfangen.«
Der Bischof schaute sauertöpfisch. »Wie Ihr wünscht.«
Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.
»Komm, Jamie«, sagte Lady Catherine. Sie klang erschöpft. »Mutter muss sich jetzt ausruhen.«
Ihr Sohn küsste die dargebotene Wange und sauste aus dem Raum. Sobald er fort war, ließ sie sich gegen die Lehne des Stuhls sinken.
»Ich kann Euch nicht mehr Zeit geben«, sagte William und schaute schuldbewusst in ihr bleiches Gesicht. »Die Hochzeit muss heute stattfinden.«
Sie antwortete ihm nicht, sondern wandte ihm nur die erstaunlich blauen Augen zu.
»Ich bin als starker Kämpfer und Befehlshaber bekannt. Wenn Ihr den Schutz meines Namens genießt, seid Ihr sicher«, erklärte er. »Selbst der König wird Euch dann nicht mehr drohen können wie jetzt.«
Er schaute sie unverwandt an. »Und niemand wird es wagen, Euch zu berühren, wenn Ihr erst mein Kind in Euch tragt«, sagte er, und die Worte klangen hart und leidenschaftlich, »denn er wüsste, dass ich ihn bis zur Hölle und zurück verfolgen würde, um Rache zu nehmen.«
Catherine fühlte sich wach und gestärkt, während sie im dampfenden Badezuber saß und an einem Becher der heißen Brühe nippte, die Mary ihr aufzwang. Erstaunlicherweise war sie in tiefen Schlaf gefallen, nachdem FitzAlan sie allein gelassen hatte. Sie fühlte sich jetzt viel besser.