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Nach Hoffnung sehnen sich derzeit viele Menschen. In dieser Situation tun uns Menschen gut, die glaubhaft für eine Hoffnung stehen, die im Leben trägt. Die Benediktinerin Philippa Rath und der Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose zeigen mit ihrem Engagement in Kirche und Welt, wie man mit der Kraft der Hoffnung Widerständen trotzen und Grenzen überwinden kann. Stephan Langer und Johanna Beck von »Christ in der Gegenwart« haben die beiden an ihren Wirkstätten aufgesucht und mit ihnen lange Gespräche geführt. Herausgekommen ist ein sehr persönliches Buch, das den Quellen der beiden auf die Spur kommt: ihren Wurzeln, den Anrufen, denen sie in ihrem Leben gefolgt sind, den Krisen, die sie durchgestanden haben, ihrem Glauben und ihren Fragen. Der Band lädt dazu ein, an diesem kostbaren Austausch teilzuhaben und gemeinsam neue Hoffnung zu schöpfen.
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Seitenzahl: 244
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© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2024
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Verlag Herder
Umschlagmotiv: © Julia Seinbrecht / KNA (Sr. Philippa Rath),
© wunderlichundweigand / Katharina Gebauer (Burkhard Hose)
Satz: Barbara Herrmann, Freiburg
E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe
ISBN Print 978-3-451-39953-4
ISBN E-Book (E-Pub) 978-3-451-84953-4
Einleitung
Dass Geschlechtergerechtigkeit sein möge – Ein Gespräch beginnt
Kindheit, Familie und Studium
Ich habe die Trotzmacht des Geistes und des Glaubens in mir gespürt – Sr. Philippa
Die Bibel wurde immer mehr zum Ort meiner Unabhängigkeit – Burkhard
Im Kloster – In der KHG
Mit 33 muss man wissen, wo man hingehört – Sr. Philippa
Reich Gottes zu entdecken gehört zu unserer DNA – Burkhard
Leitgedanken und Engagement
Diese mutigen Frauen sind für mich Prophetinnen unserer Zeit – Sr. Philippa
Ich sehe eine Saat aufgehen, die wir nicht gesät haben – Burkhard
Glaube
Aus dem Scherbenhaufen kann neues Leben erwachsen – Sr. Philippa
Wir „Kompliz:innen“ Jesu müssen Banden bilden – Burkhard
Binde deinen Karren an einen Stern – Gemeinsam neue Hoffnung schöpfen
„Mit welcher Person unserer Zeit würden Sie gerne einmal diskutieren?“ So lautet eine der Rubriken in der Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“, bei der wir beide arbeiten. Jeden Monat legen wir dieses Format einem Lehrer, einer Lehrerin der Theologie vor. Und natürlich haben wir auch selbst eine entsprechende Hitliste an Gesprächspartnern im Kopf. Da gibt es gemeinsame Favoriten, die stets aktuell bleiben, wie etwa – wenig überraschend – Papst Franziskus. Darüber hinaus hat jeder von uns interessante und inspirierende Menschen im Blick, mit denen wir gerne einmal intensiver ins Gespräch kommen würden.
Die Benediktinerin Philippa Rath und der Hochschulpfarrer Burkhard Hose stehen bei uns beiden schon lange und beständig ganz oben auf der Liste der erträumten Interviewpartner. Wer die gegenwärtigen katholischen Debatten im deutschsprachigen Raum verfolgt, kommt an den beiden nicht vorbei. Nicht weil sie sich in den Medien nach vorne drängen würden. Im Gegenteil: Sie machen gerade dadurch Schlagzeilen, dass sie glaubwürdig, klar und bescheiden auftreten. Bei Schwester Philippa war das zuletzt im Umfeld des Synodalen Wegs zu erleben, Burkhard Hose ist eine der führenden Persönlichkeiten bei #OutInChurch, der Initiative queerer Menschen in der Kirche. Mit ihrem Engagement sind Burkhard Hose und Schwester Philippa für viele Menschen zu Hoffnungsträgern geworden.
Die innere Freiheit und Ruhe, die beide ausstrahlen, lassen fast automatisch nach dem Grund dieser großen Unabhängigkeit fragen. Als wir im Verlag überlegten, ein Glaubensbuch herauszubringen, kamen uns deshalb sofort diese beiden in den Sinn. Aber warum ein Glaubensbuch? Ganz einfach, weil wir das Gefühl hatten: Es braucht jetzt nicht mehr das soundsovielte Buch über allfällige Kirchenreformen. Die theologischen Argumente dazu sind längst ausgetauscht, zum Teil liegen sie schon seit Jahrzehnten auf dem Tisch. Wobei es natürlich auch weiterhin wichtig bleibt, für eine Öffnung der katholischen Kirche zu kämpfen – nicht zuletzt, um sexualisierte Gewalt und geistlichen Missbrauch in der Zukunft möglichst zu verhindern.
Aber wir sind eben auch überzeugt: Wir müssen jetzt den Kern des christlichen Glaubens wieder freilegen und in die Zukunft tragen. Die Menschen brauchen Nahrung für die Seele und Quellen, aus denen sie Hoffnung schöpfen können. „Kirche und Reich Gottes sind nicht deckungsgleich“, hat Burkhard Hose bei unseren Gesprächen wiederholt gesagt. Und genau darum geht es. Wir wollen nicht die Kirche retten – so sehr wir auch glauben, dass Glaubensweitergabe ganz ohne Kirche nicht funktioniert. Sondern wir wollen ermutigen. Wir wollen darlegen, warum ein Leben in den Spuren Jesu sinnvoll ist und wie es konkret aussehen kann – nämlich sehr verschieden. So viele Menschen dürsten derzeit nach einer Hoffnung, die trägt! Zusammen mit Philippa Rath und Burkhard Hose sind wir überzeugt, dass unser christlicher Glaube genau diese Hoffnung bereithält. Nicht abstrakt, sondern ganz konkret, mitten im Leben. Die Welt muss nicht so bleiben, wie sie derzeit ist. Dafür hat Jesus, der Christus, Zeugnis abgelegt; dafür stehen Schwester Philippa und Burkhard Hose; und davon wird in diesem Buch ausführlich erzählt werden.
Deshalb sind wir mehrfach hingefahren: nach Würzburg in die Hochschulgemeinde mitten in der Stadt. Immer kam uns Burkhard Hose schon freundlich lächelnd entgegen, wenn er von unserer Ankunft hörte. Er hat uns ein bisschen herumgeführt: durch das moderne Ensemble mit Kapelle, klösterlich anmutendem Innenhof … In seinem Büro warteten dann Dora, seine liebe Hündin, und ein einfacher, aber liebevoll gerichteter Vespertisch.
Sr. Philippa haben wir in der geschichtsträchtigen Abtei St. Hildegard getroffen, in Eibingen, oberhalb vom arg touristischen Rüdesheim am Rhein. Auch dies ein Kraftort, freilich ganz anderer Art. Kaum ist der Besucher, die Besucherin dort, tauchen sie ein in die „große Stille“, in eine sehr besondere Atmosphäre. In einem kleinen Eckzimmer haben wir uns unterhalten, nur die Glocke der Abtei drang immer mal wieder zu uns durch, erinnerte unaufdringlich an den zeitlichen Rahmen.
Diese Begegnungen, immer über mehrere Stunden hinweg, waren für uns äußerst beeindruckend. Burkhard und Sr. Philippa – auch in unseren Gesprächen sind wir irgendwann zum vertrauten „Du“ gewechselt – erzählten sehr persönlich und bewegend. Sie haben uns sehr nah „rangelassen“, auch an ihre eigenen Hoffnungsquellen. So ist am Ende ein Buch entstanden, das ehrlich ist, das in die Zukunft weist – und das hoffentlich auch Sie, liebe Leserin, lieber Leser, so inspiriert, ermutigt und stärkt, wie es uns beiden ergangen ist.
Johanna Beck, Stephan Langer
Wir fangen an. Gemeinsam. Zwar sind Sr. Philippa Rath und Burkhard Hose zwei Menschen mit sehr individuellen, auch recht unterschiedlichen Glaubenswegen. Aber es verbindet sie das Engagement für einen zeitgemäßen Glauben und eine gerechtere Kirche, ihr Einsatz für marginalisierte Gruppen. Bald merken wir: Die Verbundenheit der beiden geht weit über die inhaltliche Ebene hinaus. Wir spüren eine Vertrautheit, eine tiefe Freundschaft, eine Verbundenheit in der Hoffnung – und erleben einen lebendigen Austausch.
***
Sr. Philippa und Burkhard, ihr kennt euch noch gar nicht so lange. Wie habt ihr zusammengefunden?
Sr. Philippa: Nach dem Erscheinen des Buches „Weil Gott es so will“ mit 150 Lebenszeugnissen von Frauen, die sich zur Priesterin oder Diakonin berufen wissen (Freiburg 2021), kam in mir der Gedanke auf, einen Komplementärband mit Stimmen von Kirchenmännern herauszugeben. Ich hatte sehr viel Resonanz auf das erste Buch hin bekommen, auch von Männern, die sich bedankten und mir schrieben: Wie können wir uns solidarisieren mit dem berechtigten Anliegen der Frauen?
So entstand der Gedanke dieses „Männerbuchs“. Meine Überlegung war: Wenn ich Männer der Kirche darum bitte, einen Beitrag zu schreiben, dann wäre es sicher sinnvoll, einen männlichen Mitherausgeber zu finden, möglichst einen Priester. Und das sollte natürlich ein aufgeschlossener, frei denkender Mensch und auch ein Stück weit ein bekannter Name sein. Da fiel mir sehr schnell Burkhard Hose ein. Ich kannte seine Bücher. Ihn persönlich kannte ich damals noch nicht. So habe ich zum Telefon gegriffen und ihn angerufen. Ich war erstaunt, dass er sofort zusagte. Das war die Initialzündung für unseren gemeinsamen Weg. Ich spürte damals gleich, dass da eine innere Verbindung da war. Ich war gerade in Urlaub auf der Reichenau. Burkhard kam von Würzburg aus auf die Insel, an einem wunderschönen Spätsommertag. Dort haben wir gemeinsam eine Liste mit 105 potenziellen Autoren erstellt und diese dann eingeladen, an unserem „Männerbuch“ mitzuarbeiten.
Burkhard: Dass ich so spontan dabei war, lag vor allem an meinem Vertrauen in deine Person, Philippa. Wir kannten uns zwar nicht persönlich, aber ich habe dich natürlich wahrgenommen, etwa mit deinem beeindruckenden Eingangsstatement bei der Eröffnung des Synodalen Wegs. Damals hast du gesagt: „Ich liebe unsere Kirche, aber ich leide auch an ihr und nicht selten schäme ich mich für sie.“ Und: „Ich stehe hier vor allem für viele Frauen, auch Ordensfrauen, die sich mehr Mitbeteiligung und Mitverantwortung in unserer Kirche wünschen – nicht als Lückenbüßer, nicht als Almosen, sondern als verbrieftes Recht in Anerkennung ihrer gleichen Würde.“
Hinzu kam: Ich war innerlich schon länger mit der Frage beschäftigt, wie ich mich in meiner privilegierten Position als Priester in dieser Kirche solidarisch mit den Frauen zeigen könnte – ohne bloß paternalistisch zu erzählen, wie wichtig Frauen sind, wo es sie braucht oder wo sie fehlen. Solche Erzählungen, die nett klingen, kennen wir aus dem Mund von Kirchenmännern zur Genüge. Sie ändern substanziell aber weder etwas an der ungerechten Zurücksetzung, die Frauen erfahren, noch an der privilegierten Bevorzugung der Männer bzw. der Priester-Männer.
Regelrecht umgetrieben hat mich in dieser Hinsicht eine Erfahrung, die ich wenige Monate zuvor bei einer Veranstaltung von Maria 2.0 gemacht hatte. Ich war zu einer Lesung in Köln eingeladen. In der anschließenden Diskussion hatten mich Besucher:innen der Veranstaltung darauf angesprochen, was ich denn eigentlich persönlich als Mann, der ein kirchliches Amt innehat, dazu beitragen würde, dass sich jetzt mal die Kirchenmänner zusammenschließen und für Gerechtigkeit eintreten. Ich habe mich damals irgendwie herausgewunden. Von da an hatte ich das Gefühl, so etwas wie einen Auftrag erhalten zu haben, dem ich mich nicht entziehen konnte. Und das hat mich nicht in Ruhe gelassen. Da kam dann deine Anfrage, die genau in diese Beunruhigung hineingefallen ist. Das hat mir die Möglichkeit gegeben, die zu Recht eingeforderte Solidarisierung der privilegierten Kirchenmänner mit den Frauen anzugehen und mich dafür persönlich zu engagieren. Es war so, als hätte tatsächlich noch ein konkreter Anstoß gefehlt. Und dann kam dein Anruf, der genau in diese Richtung zielte. Wir haben uns sofort in diesem Punkt verstanden.
Sr. Philippa: Der Gedanke, dass das Priestertum für die Männer ein Privileg ist, war mir vorher so nie gekommen. Darauf bin ich erst durch unser erstes Gespräch aufmerksam geworden. Seitdem ist das ein Thema, das mich sehr beschäftigt. Privilegien sollte es in der Kirche nicht geben. Schritt für Schritt hat sich dann unser gemeinsames Ziel der Gerechtigkeit herauskristallisiert: dass Geschlechtergerechtigkeit sein möge, nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Kirche. Es stünde ihr so gut an und entspräche so sehr der Botschaft Jesu, gerade in dieser Frage beispielgebend voranzugehen, statt den gesellschaftlichen Entwicklungen hinterherzulaufen. Wie entscheidend könnte sich die Welt zum Guten verändern, wenn Frauen und Männer überall die gleiche Würde und die gleichen Rechte hätten!
Burkhard und ich haben uns also in unseren Herzensanliegen und in unserem Engagement sehr gut ergänzt. Es war eine bereichernde und fruchtbare gemeinsame Zeit, eine Weggemeinschaft und Freundschaft auf Entfernung. Wir sehen uns kaum und wenn, dann nur bei offiziellen Anlässen. Aber ich habe immer das Gefühl, dass wir uns schon immer gekannt haben.
Unser Männerbuch Frauen ins Amt! Männer der Kirche solidarisieren sich wurde dann auch tatsächlich eine wunderbare Ergänzung zum ersten Band „Weil Gott es so will“. Wenn ich heute immer wieder einmal den ein oder anderen der Autoren treffe, zum Beispiel im Synodalen Ausschuss oder bei Veranstaltungen, dann erinnere ich sie gern daran, was sie vor drei Jahren geschrieben haben. Manche haben das nämlich leider schon allzu schnell wieder vergessen …
Burkhard: Vergessen kann man das eigentlich nur, wenn man sich nicht wirklich auf den persönlichen, ich möchte beinahe sagen emotionalen Ansatz eingelassen hat, den wir den männlichen Autoren ans Herz gelegt haben. Uns war wichtig – neben der argumentativen und kognitiven Auseinandersetzung mit dem Thema –, die Männer biografisch anzusprechen. Wir haben ihnen gesagt, wir wollen von ihnen keine theologischen Abhandlungen. Theologisch ist alles längst geschrieben und nachzulesen. Deshalb haben wir die Autoren eingeladen: Schreiben Sie etwas dazu, an welchem Punkt in Ihrer Lebensgeschichte Sie persönlich gespürt haben, dass es ungerecht zugeht. Das ist mir seither immer wichtiger geworden: Der Wandel setzt tatsächlich dort ein, wo Kirchenmänner der Veränderung nicht nur kognitiv zustimmen, sondern die Notwendigkeit, dass sich etwas ändern muss, emotional, sozusagen am eigenen Leib erfahren.
Und du, Philippa, hast auch einen großen Anteil daran, wie ich mein Priesteramt in dieser Kirche heute interpretiere. Ich ringe damit, warum ich überhaupt ein Amt habe und auch gerne in der Kirche bleiben will. Heute empfinde ich es fast wie eine erweiterte oder neue Berufung, das Amt im Amt, soweit es mir möglich ist, umzuprägen und umzugestalten. Ich will in der Art, wie ich dieses Amt ausfülle, nicht weiter Ungerechtigkeit manifestieren. Ich will dieses Amt und den Einfluss, der sich damit verbindet, nutzen, damit sich das verändert. Ich möchte nicht nur um der Frauen willen, dass es gerechter zugeht, sondern auch um meinetwillen und um all der Männer willen, von denen ich weiß, dass sie sich in der bisherigen Amtsvorstellung nicht mehr beheimatet fühlen. Das hat sich durch die Begegnung mit dir herauskristallisiert.
Sr. Philippa: In dem Zusammenhang hat mich sehr beeindruckt, dass du mit deiner Kollegin eines Tages das Büro getauscht hast. Büroräume sind immer auch Statussymbole. Genau so muss es sein, denke ich. Einzelne müssen anfangen, auf ihre Privilegien zu verzichten, müssen das Ganze einmal von der anderen Seite her betrachten und anders zu leben beginnen. Nur so verändern wir die Welt und auch unsere Kirche. Auch dein Engagement bei #OutInChurch hat mich in diesem Zusammenhang immer bewegt. Kurzum: Wir kämpfen an verschiedenen Orten, du eher auf der Straße in die Gesellschaft hinein, ich aus dem Kloster heraus in die Kirche hinein. Was uns verbindet, ist die gemeinsame Sehnsucht nach einer anderen Kirche.
Wenn wir unser aktuelles Projekt in den Blick nehmen:Was bedeutet es euch? Was ist euch daran wichtig?
Sr. Philippa: Ich bin in den letzten Jahren sehr vielen ganz unterschiedlichen Menschen begegnet. Mir ist dabei immer wichtiger geworden, die Menschen vor Resignation zu bewahren und ihre Hoffnung zu stärken. Es stehen so viele derzeit auf der Kippe, nicht wenige haben unsere Kirche schon verlassen oder sind zumindest innerlich deutlich auf Distanz gegangen. In dieser Situation möchte ich Hoffnungszeichen setzen und auch persönlich davon erzählen, wie sehr mich die Hoffnung durch mein Leben begleitet und getragen hat, wie sehr sie mir geholfen hat, Grenzen zu übersteigen und Mauern zu überwinden. Ich halte die Hoffnung tatsächlich für die stärkste Kraft in meinem Leben. Glaube, Liebe, Hoffnung, die berühmten christlichen Tugenden. Für mich ist da noch vor der Liebe die Hoffnung die stärkste Kraft. Nur, indem ich an der Hoffnung festgehalten habe, habe ich viele schwierige und schwere Situationen in meinem Leben durchgestanden. Nur die Hoffnung hat mir neue Horizonte eröffnet, mich Schritt für Schritt in die Zukunft geführt und mich vor Frustration und Resignation bewahrt.
Ich spüre, wie sehr diese Botschaft bei den Menschen ankommt. Ich bekomme viel Resonanz: Menschen, die mir sagen: Jetzt kann ich wieder ein Stück weitergehen, ohne abzustürzen. Jetzt habe ich wieder neue Kraft, um in der Kirche zu bleiben. Jetzt habe ich wieder Mut, mich weiter für Reformen einzusetzen. Das ist für mich unendlich wichtig, dass ich Menschen helfen kann, ihr Leben zu bewältigen und wieder neu mit positiver Energie in die Hand zu nehmen. In unserem Buchprojekt sehe ich die Chance, einen noch größeren Kreis von Menschen zu erreichen, die ähnliche Sorgen und Nöte haben und die an einem ähnlichen Wendepunkt in ihrem Leben stehen. Das ist für mich das Wichtigste an unserem Projekt. Aber ich möchte es eigentlich gar nicht „Projekt“ nennen, denn es ist viel mehr: Es ist mein innerstes Anliegen, meine Aufgabe, ein Anruf, dem ich folgen muss.
Worauf konkret richtet sich deine Hoffnung?
Sr. Philippa: Dass sich neue Türen ins Offene hinein auftun, in die Weite und in die Freiheit. Dass sich neue Horizonte eröffnen, die zeigen, dass Frieden und Versöhnung in der Welt und in der Gesellschaft trotz aller gegenteiligen Erfahrungen möglich sind, dass Veränderungen und Reformen, dass Einheit in Vielfalt in der Kirche trotz aller Gegenkräfte Wirklichkeit werden können. Dass wir die Kraft und den Mut erhalten, gemeinsam weiterzugehen und die nächsten Schritte unter die Füße zu nehmen. Bei der Hoffnung geht es mir nicht um einen blinden Optimismus nach dem Motto: „Es wird schon alles gut werden.“ Sie ist für mich viel mehr die treibende Kraft, die Verzweiflung und Resignation überwindet und ungeachtet aller irdischen Enttäuschung die Welt in Gang hält. Charles Péguy hat in seinem lesenswerten Buch Das Mysterium der Hoffnung einmal gesagt: „Die Hoffnung sieht das, was noch nicht ist und sein wird. Sie liebt das, was noch nicht ist und sein wird. In der Zukunft der Zeit und der Ewigkeit … In Wahrheit ist es die Hoffnung, die die beiden anderen – Glaube und Liebe – anspornt. Und sie mit sich fortzieht. Und die alle Welt antreibt. Und sie mit sich fortzieht.“ (Herold Bibliothek, 3. Auflage, Wien 1983, S. 16–17) Das entspricht genau meiner Erfahrung. Und ich habe auch erfahren, dass sich – wenn ich an der Hoffnung festhalte – oft sehr unerwartete, gar nicht geplante Perspektiven und Möglichkeiten ergeben. Solche Lösungen sind dann oft völlig anders als gedacht, weil Gott eben immer größer ist, als unsere Gedanken es je sein könnten, und weil er per se immer der ganz Andere ist.
In diesem Zusammenhang würde ich gerne auf unseren benediktinischen Professgesang hinweisen, den wir bei der Ewigen Profess und dann jedes Jahr wieder an unserem Professtag singen. Dort heißt es: „Nimm mich auf, o Herr, und ich werde leben, und lass mich in meiner Hoffnung niemals scheitern.“ An diese flehentliche Bitte halte ich mich. Denn, wenn ich keine Hoffnung mehr habe, dann passiert auch nichts mehr. Dann blockiere ich mich selbst, dann bleibe ich stecken und entwickle keine Kraft und keine Fantasie mehr.
Burkhard: Ich kann mich da gut einreihen, gerade wenn du vom gemeinsamen Weitergehen sprichst. Ich erlebe, dass sich neue Formen von Zugehörigkeit und Verbundenheit entwickelt haben. Zugehörigkeit wird immer weniger über eine formale und früher vielleicht selbstverständliche Verbundenheit mit der Kirche erfahrbar. Sondern es braucht etwas Neues: eine Zugehörigkeit zu Menschen, denen der Glaube wichtig ist und die für sich begreifen, dass sie nicht allein glauben können.
Deshalb will ich auch nicht raus aus der Kirche. Ich will nicht allein bleiben mit meinem Glauben. Und ich spüre gerade, dass es viele gibt, die nach solchen neuen Formen von Verbundensein suchen.
Ich selbst zum Beispiel fühle mich jetzt Philippa und einer immer größer werdenden Gruppe von Menschen, die sich um mehr Gerechtigkeit bemühen, zugehörig. Das ist meine Kirche. Genauso war #OutInChurch für mich nie nur eine Kampagne von queeren Aktivist:innen, sondern unser gemeinsames Sichtbarwerden ist eine spirituelle Erfahrung geworden. Da hat sich für mich eine neue Form von Kirche-Sein ereignet, die weit über das herkömmliche Verständnis oder über eine rein formale Mitgliedschaft hinausgeht.
Und auch das Buch hätte ich mir nicht alleine vorstellen können. Mir tut es gut, dass wir zu zweit sind. Zu zeigen, da sind zwei Menschen, die einen ganz unterschiedlichen Hintergrund haben, aber die eine Verbundenheit leben. Es gibt also auch heute eine Kirche, die lebt und die gleichzeitig auch neu entsteht.
Sr. Philippa: Das möchte ich deutlich unterstreichen. Wenn überhaupt, dann wollte ich dieses Buch nur gemeinsam mit Burkhard schreiben, weil wir aus so ganz unterschiedlichen Lebenszusammenhängen kommen und uns dennoch oder gerade deshalb so gut ergänzen. Wir haben sehr verschiedene Lebensläufe und Lebenslinien. Aber dennoch verlaufen diese oft parallel und kreuzen sich immer wieder. Vor allem aber haben wir eine gemeinsame Vision von Kirche. Das verbindet uns tief im Inneren.
Das Thema Zugehörigkeit, Burkhard, ist für mich auch ein ganz wichtiger Punkt. Auch wenn es vielleicht für die einen jetzt fremd, für andere kitschig klingen mag: Die Kirche ist und bleibt meine Heimat, trotz allem. Ich liebe sie und ich leide oft an ihr. In ihr sind meine Wurzeln. Bei vielen Menschen, die die Kirche verlassen haben, sehe ich, wie heimatlos sie geworden sind. Sie spüren das in der Regel auch sehr bald und suchen dann nach neuen Formen, ihren Glauben zu leben. Da ist es für mich eine wichtige Aufgabe, gemeinsam mit ihnen nach solchen neuen Formen der Zugehörigkeit und Beheimatung zu suchen. Gemeinsames Suchen – das passt auch gut zu meinem benediktinischen Leben. Die gemeinsame Gottsuche steht im Mittelpunkt unseres Lebens. Diese Suche ist niemals abgeschlossen. Wir bleiben unser Leben lang auf der Suche. Und wenn viele heute nach einer neuen Art, Kirche zu leben, Ausschau halten, nach Ankerplätzen auf Zeit suchen, nach Andersorten oder wie immer man es nennen möchte, nach Orten jedenfalls, an denen Menschen zusammenkommen und ihren Glauben gemeinsam leben und feiern können, dann möchte ich an ihrer Seite sein.
Das Wort des Propheten Jeremia „Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben“ (Jeremia 29,11) ist mir in diesem Zusammenhang sehr wichtig. Es war das Motto des Freiburger Katholikentages 1978, dem ersten, an dem ich teilgenommen habe. Genau das fehlt uns heute weithin. Es fehlt uns an Menschen, die Zukunft und Hoffnung schenken. So viele sind hoffnungslos, nicht nur im Blick auf die Kirche, sondern auch im Blick auf die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen. Meine Überzeugung ist: Es gibt immer Hoffnung. Trotz allem. Und es gibt immer eine Zukunft. Beides hält Gott für uns bereit.
Burkhard: Wir hatten bisher noch nicht die Gelegenheit, über diesen Abschnitt aus dem Jeremiabuch zu sprechen. Und jetzt stelle ich fest: Auch an diesem Punkt gibt es offensichtlich eine Verbindung zwischen uns, denn Jeremia 29 ist für mich ein ganz wichtiger Anker geworden. Der historische Kontext ist ja, dass die Exilierten damit hadern, dass sie im babylonischen Exil sind und nicht nach Jerusalem zurückkehren können. Der Prophet aber fordert sie auf, sich gerade in diesem Exilsdasein neu zu orientieren und einzurichten. Die Verschleppten, die ihre Heimat verloren haben, sollen gedanklich und emotional nicht zum Alten zurückkehren, sondern sich in dieser ganz anderen, zumutenden Situation gemeinsam neu erfinden. Wörtlich heißt es: „Baut Häuser und wohnt darin, pflanzt Gärten und esst ihre Früchte! Nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, damit sie Söhne und Töchter gebären. Ihr sollt euch dort vermehren und nicht vermindern. Bemüht euch um das Wohl der Stadt, in die ich euch weggeführt habe, und betet für sie zum Herrn; denn in ihrem Wohl liegt euer Wohl“ (Jeremia 29,5–7). Das sind Begriffe, die auf die Schöpfungserzählung anspielen: Pflanzt Gärten, baut Häuser. Mir tut dieser Text gut, weil er mich daran erinnert, dass auch wir heute ein bisschen an der Neuschöpfung des Kirche-Begriffs beteiligt sind.
Natürlich kenne auch ich Momente, in denen ich ein bisschen wehmütig an Zeiten zurückdenke, die ich früher kirchlich erlebt habe, in der Jugendarbeit zum Beispiel. Aber dann rufe ich mir in Erinnerung: Nein, jetzt geht es darum, mit diesem Schatz, mit dem, was ich in der Kirche mitbekommen habe, wirklich an einer Neuschöpfung, an etwas ganz Neuem, mitzuarbeiten.
Sr. Philippa: Das ist sehr schön ausgedrückt: an etwas Neuem, an einer Neuschöpfung mitarbeiten. Darin finde ich auch viele Parallelen zwischen unserem gemeinsamen Engagement in der Kirche und meinem Leben in unserer klösterlichen Gemeinschaft. Auch unsere Klöster und die Orden insgesamt sind derzeit auf der Suche nach neuen Wegen und neuen Formen. Da sind wir im wahrsten Sinne Kirche im Kleinen. Das ist – hier wie dort – ein in die Zukunft hinein noch völlig offener Prozess. Ein bisschen Wehmut im Gedenken an die alten glorreichen Zeiten (die im Übrigen auch oft gar nicht so glorreich waren) darf da sicher sein, aber wir dürfen auf keinen Fall darin steckenbleiben. Nostalgie hilft uns nicht weiter auf dem Weg in die Zukunft. Wir brauchen jetzt neue Ideen, neue Modelle, neue Formen. Ich weiß selbst noch nicht, wohin es geht, aber ich empfinde diese unsere Zeit als ungeheuer spannend und herausfordernd. Es ist eine Zeit der Wandlung auf allen Ebenen. Eine Zeit des Aufbruchs ins Ungewisse. Wir sollten uns an Abraham halten, der noch in hohem Alter auf Gottes Geheiß hin aufgebrochen ist in ein unbekanntes Land.
Unsere Gesprächspartner kommen jetzt einzeln, nacheinander zu Wort. Wir beginnen biografisch, bei den Wurzeln in der Familie, auch des Glaubens – von der Geburt bis zur Ausbildung. Es geht um Entscheidungen, Glaubenswege, stärkende Rituale, tragende Erlebnisse. Auch das Schmerzvolle kommt zur Sprache: Diskriminierungserfahrungen, Mobbing und die Herausforderungen durch die eigene sexuelle Orientierung in der Kirche.
***
Sr. Philippa, wie hast du in der Familie den Glauben erlebt? Gab es prägende und tragende Rituale?
Der Glaube und die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche waren für uns ganz selbstverständlich gelebter Alltag. Wir kannten es nicht anders. Unser Vater war ein sehr gläubiger Mensch, der schon früh bereit gewesen war, für seinen Glauben einzustehen. Er hat sich als junger Mann sonntags nach der Messe hinter der Kirche mit der Hitlerjugend geprügelt. Mein Patenonkel, der Pastor war, musste während der Hitlerzeit immer wieder ins Gefängnis, weil seine Predigten den Nazis zu freimütig und regimekritisch waren. Die Gestapo hat ihm in den Kellern in Düsseldorf sehr zugesetzt, worüber er mit uns Kindern allerdings nie gesprochen hat. Er war davon gezeichnet und ist dann auch an den Folgen dieser Misshandlungen viel zu früh gestorben. Seit Generationen war das Katholisch-Sein also in unserer Familie väterlicherseits selbstverständlich. Unsere Mutter war ein klein bisschen anders. Sie hatte eine protestantische Stiefmutter – ihre Mutter war schon in den 20er Jahren an der Spanischen Grippe gestorben. Aber wie das in unserer Zeit so war: Der Vater war die prägende Kraft. Er war ein klassischer pater familias. Er hat uns viel Raum gelassen, aber auch klare Grenzen gesetzt. Er hat Freiheit ermöglicht und zugleich Verantwortung eingefordert. Auch später, als es darum ging, unsere Studienfächer auszuwählen, sagte er nur: „Studiert das, wofür ihr brennt, was euch wirklich interessiert und wofür ihr euch in eurem Leben einsetzen wollt.“ Das fand ich großartig. Es ging nicht darum, bestimmte Karriereabsichten der Eltern zu befriedigen, sondern darum, dass die Kinder das verwirklichen und zur Blüte bringen, was in ihnen steckte.
Wir wurden schon früh zu Selbständigkeit und Eigenverantwortung erzogen und hatten jede unsere je eigenen Aufgaben in der Familie. Ich erinnere mich noch, dass mir anfangs im Kloster einmal eine liebe Mitschwester das Putzen beibringen wollte, weil sie dachte, dass ich das in meinem Berufsleben wohl kaum gelernt hätte. Da täuschte sie sich, denn wir mussten seit unserem zehnten Lebensjahr ganz selbstverständlich unsere Zimmer selbst putzen. Bei uns gab es eine klare Ordnung: Erst wenn die Hausaufgaben fertig waren und wir unsere verschiedenen kleinen Dienste in der Familie erledigt hatten, durften wir unserer Wege gehen. Um sechs Uhr abends mussten wir zuhause sein, da gab es kein Pardon. Insgesamt hatten wir trotz der klaren Regelungen aber eine ziemlich freie Kindheit. Wir hatten einen herrlichen Garten und um uns herum waren lauter Spielstraßen, wo heute vierspurige Straßen sind. Das war wirklich schön.
Sonntags gingen wir selbstverständlich alle gemeinsam zur Messe, was den ältesten Schwestern oft peinlich war. Wir beteten bei jeder Mahlzeit. Die Eltern legten viel Wert darauf, dass wir gemeinsam aßen. Im Hausflur hing ein Weihwasserkessel, und Mutti hat uns jeden Morgen, bevor wir zur Schule gingen, ein Kreuz auf die Stirn gezeichnet. Das sind Dinge, die man nie vergisst. Auch im Mai die Maiandacht und im Oktober die Rosenkranzandacht sind mir unvergesslich. Nicht jeden Tag, aber doch regelmäßig nahmen wir daran teil. Dann erinnere ich mich auch an die Fronleichnamsprozessionen, bei denen ich das Birett meines Patenonkels, der damals Dechant in meiner Heimatstadt Ratingen war, auf einem Silbertablett tragen durfte. Darauf war ich mächtig stolz. Mein Onkel Franz war überhaupt eine sehr prägende Gestalt für mich. Bei ihm ging ich mit sechs Jahren zur Frühkommunion und habe auch sonst viel von ihm gelernt. Er hat in mich das Bild eines liebenden, verzeihenden und barmherzigen Gottes tief eingepflanzt und damit mein Gottesbild entscheidend geprägt.
War das ein Gefühl der Geborgenheit?
Die Geborgenheit in der Familie und im Glauben, das gehörte für uns zusammen. Es ist eine Erfahrung von Heimat, von unverbrüchlicher Treue vor allem. Die Familie hielt zusammen, was auch geschah. Und was den Glauben betrifft: Da waren die Gewissheit und das unbedingte Vertrauen in die bedingungslose Liebe Gottes zu jedem Menschen. Das haben uns unsere Eltern und die Familie wirklich vermittelt. Darauf ist sicher auch zurückzuführen, dass wir bis heute so ein gutes Verhältnis unter uns Geschwistern haben. In wie vielen Familien ist das ganz anders. Da gibt es so viel Zerrissenheit, so viel Streit, so viel Unfrieden. Uns allen hat das eine innere Standfestigkeit mitgegeben, die unser Leben ganz entscheidend geprägt hat.
Das ist nicht selbstverständlich!
Deshalb weiß ich das auch so zu schätzen. Ich kenne genug Menschen, denen es ganz anders ergangen ist, die noch immer hadern mit ihrer Kindheit und Jugend, die heute einsam und allein sind. Und ich kenne Menschen, die unendlich gelitten haben unter dem, was ihnen im Elternhaus, im Religions- oder im Kommunionunterricht an Gottesbildern vermittelt wurde: der Buchhaltergott, der strafende Gott, ja sogar der grausame Gott.
Man kann mit toxischen Gottesbilder so viel kaputtmachen.
Oh ja, das kann man. Ich werde oft gefragt, welcher mein Lieblingspsalm ist. Es ist Psalm 139: „HERR, du hast mich erforscht und du kennst mich …“ Ich habe diesen Psalm immer als ungemein tröstlich, bergend und voller Hoffnung empfunden. Aber für diejenigen, die ein anderes Gottesbild in sich tragen, kann er durchaus furchteinflößend sein. Die fühlen sich verfolgt und beobachtet. Da erscheint dann der „Big-Brother-is-watching-you-Gott“, den ich Gott sei Dank nie kennengelernt habe.
War für dich in diesem Kontext die Familie ein Safe Space?