2,49 €
Die meisten Menschen wissen von ihren Eltern nur die Begebenheiten, die sie mit ihnen direkt erlebt haben, denn die Eltern haben zumeist nur sehr wenig von sich erzählt – und schon gar nichts an Schriftlichem für ihre Kinder hinterlassen. Und weil man als Kind auch nicht intensiv nachgefragt hat, ist so manches unbekannt geblieben. Das ist für den Autor Anlass, einiges aufzuschreiben, damit seine Kinder und Enkelkinder mehr über ihren Vater bzw. Großvater wissen, wenn sie ihm keine Fragen mehr stellen können. Seine Autobiografie in „Soziale Arbeit in Selbstzeugnissen“ Band 2, herausgegeben im November 2002 sowie seine beiden eBooks „Heimerziehung im Wandel der Zeiten“ vom Januar 2016 und „Meine berufspolitischen Aktivitäten“ vom März 2017 beschränken sich lediglich auf den fachlichen Teil seines Lebens. So nimmt die Beschreibung privater und persönlicher Erlebnisse und Begebenheiten hier einen breiteren Raum ein.
Hierzu schreibt der Autor:
„In diesem eBook will ich mich auf meine Kindheit, meine Jugendjahre und die ersten Jahre im Erwachsenenalter beschränken. Vielleicht finde ich noch die Zeit, auch über die Jahre nach meiner beruflichen Tätigkeit, im Rentenalter zu berichten. Ich tue das nicht, weil ich glaube, dass mein Leben besonders viele berichtenswerte Begebenheiten aufweist, sondern weil ich der Meinung bin, dass jedes Leben berichtenswert ist und nicht in Vergessenheit geraten darf.“
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2017
Von meinen Eltern weiß ich nur die Begebenheiten, die ich mit ihnen direkt erlebt habe, denn sie haben nur sehr wenig von sich erzählt – und schon gar nichts an Schriftlichem für ihre Kinder hinterlassen. Und weil ich auch nicht intensiv nachgefragt habe, ist so manches unbekannt geblieben. Das ist für mich Anlass, einiges aufzuschreiben, damit meine Kinder und Enkelkinder mehr über ihren Vater bzw. Großvater wissen, wenn sie ihm keine Fragen mehr stellen können. Meine Autobiografie in „Soziale Arbeit in Selbstzeugnissen“ Band 2, herausgegeben im November 2002 sowie meine beiden eBooks „Heimerziehung im Wandel der Zeiten“ vom Januar 2016 und „Meine berufspolitischen Aktivitäten“ vom März 2017 beschränken sich lediglich auf den fachlichen Teil meines Daseins. So muss die Beschreibung privater und persönlicher Erlebnisse und Begebenheiten hier einen breiteren Raum einnehmen.
Außerdem tue ich nach fast 80 Lebensjahren nichts lieber, als über mein Leben zu berichten, welche Menschen mir begegnet sind, wie ich zur Diakonie und zur Sozialen Arbeit gekommen bin, wie meine berufliche Ausbildung, mein Studium und mein beruflicher Weg verlaufen sind, und was mir in meinem beruflichen und persönlichen Leben wichtig war und noch ist. Zugleich ist dieser Bericht der Versuch, Vergangenes noch einmal Revue passieren zu lassen, zu sichten und zu ordnen.
In vielem, was ich erlebte, spürte ich Gottes Fügung und Führung. Dennoch wäre es falsch, in fatalistischer Weise nur von Vorherbestimmung zu sprechen. Es gab und gibt in jeder Lebenssituation auch Alternativen, die nach einer eigenen Entscheidung verlangen. Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn ich mich 1958 nicht dazu entschlossen hätte, die DDR zu verlassen und in den Westen zu gehen? Schließlich war das meine Entscheidung. Oder was wäre aus meinem Leben geworden, wenn ich mich dazu entschlossen hätte, mein Studium als Bergbauingenieur nicht abzubrechen. Welche anderen menschlichen Begegnungen hätten dann mein Leben geprägt? Goethe rief einmal aus:
„Es ließe sich alles trefflich schlichten,
könnte man die Dinge zweimal verrichten.“
Nein! Alle Entscheidungen, müsste ich sie wieder treffen, würden zum gleichen Ergebnis führen. Nur im Detail gibt es Situationen, in denen ich mich anders verhalten würde. Denn es ist wohl so, wie es der Schweizer Heilpädagoge Emil Kobi in seinem Aufsatz „Zur Unheimlichkeit von Heimen“ ausdrückte: „Kein Pädagoge verlässt diese Erde schuldlos“. So gibt es in meinem Berufsleben und in meinem Privatleben Situationen und Momente, die ich am liebsten ungeschehen machen möchte, wo ich auf das Verzeihen von Mitmenschen angewiesen war und auf Vergebung meines Schöpfers angewiesen bin. Und Vieles geschah so, wie es der Begründer der SOS-Kinderdorfbewegung Hermann Gmeiner einmal sagte: „Alles Große in unserer Welt geschieht nur, weil jemand mehr tut, als er muss.“
Und letztlich muss ich noch zugeben, dass das meiste in meinem Leben von mir wie ein besonderes Abenteuer erlebt wurde. So habe ich z.B. als Neunzehnjähriger meine Flucht in den Westen oder 1996 die Schließung des Kinderheimes in Reinfeld nicht vorrangig als etwas Belastendes, sondern als ein besonderes Erlebnis, geradezu als Abenteuer wahrgenommen, gerade so wie einen Einhundert-Kilometer-Lauf, wo man auch bis in den Grenzbereich seiner Leistungsfähigkeit vordringt, das aber als ein besonderes Erlebnis in sich aufnimmt, das einen reicher macht.
In diesem eBook will ich mich auf meine Kindheit, meine Jugendjahre und die ersten Jahre im Erwachsenenalter beschränken. Vielleicht finde ich noch die Zeit, auch über die Jahre nach meiner beruflichen Tätigkeit, im Rentenalter zu berichten. Ich tue das nicht, weil ich glaube, dass mein Leben besonders viele berichtenswerte Begebenheiten aufweist, sondern weil ich der Meinung bin, dass jedes Leben berichtenswert ist und nicht in Vergessenheit geraten darf.
Klein Wesenberg, im März 2017
Das Licht der Welt erblickte ich am 22. August 1938 in dem 6.000 Einwohner zählenden Städtchen Hartenstein im Erzgebirge als vierter von fünf Jungen. Meine Mutter war 31 Jahre alt, mein Vater 40.
Das Erzgebirgsstädtchen Hartenstein
Als Kind muss ich zuweilen schwierig gewesen sein und meiner Mutter manchen Kummer bereitet haben. Ich entsinne mich, einmal – ich war etwa fünf Jahre alt – in den Keller eingesperrt worden zu sein. Der Keller unseres Hauses war nur vom Hausflur aus durch eine schwere Falltür zu erreichen. In ihr war ein etwa 20 mal 20 cm großes vergittertes Guckloch. Das kleine Fenster war von außen verschlossen und mit alten Lappen abgedichtet, damit die eingekellerten Kartoffeln nicht erfroren. Es war also kein Entkommen aus dem dunklen Keller möglich. Der Kellerraum war ein in den Fels gehauenes Gewölbe, etwa so groß wie eine Einzelzelle im Gefängnis. Eine Steintreppe führte hinauf zur Falltür. Links und rechts waren die Boxen für die eingekellerten Kartoffeln. Im hinteren Teil befand sich ein Regal, auf welchem die Einweckgläser aufgereiht standen. Der Keller hatte kein elektrisches Licht. Wollte man in den Keller gehen, musste man vorher eine Laterne anzünden und die schwere Falltür öffnen. Ich war also Gefangener in Einzelhaft in einer Dunkelzelle. Weshalb ich diese schwere Strafe erhielt, weiß ich nicht mehr. Aber noch heute ist mir der Geruch von Moder und gelagerten Kartoffeln in Erinnerung. Wie viele Stunden ich im Keller zubringen musste, weiß ich auch nicht mehr, denn nachdem mir klar war, dass es kein Entkommen gab, fügte ich mich in mein Schicksal, machte mir aus alten Kartoffelsäcken einen Schlafplatz und legte mich nieder. Als meine Mutter die Falltür öffnete, um mich wieder aus dem Keller zu lassen, bekam sie einen großen Schreck, denn es war dort unten still. Sie musste, erst eine Laterne anzünden, selbst in den Keller hinabsteigen und mich wecken.
Zugleich war ich ein sehr nachdenkliches Kind
Im Dezember 1943 wurde Andreas drei Jahre alt. Die Schlacht um Stalingrad war verloren und die deutsche Armee befand sich überall auf dem Rückzug. Unsere Mutter wollte dem allgemeinen Aufruf folgen und sich für den Dienst in einer Munitionsfabrik melden. So beschloss sie, Andreas und mich vormittags in den Kindergarten zu geben. Der Hartensteiner Kindergarten war im ehemaligen Hospital untergebracht, einem großen Gebäude, das damals auf mich einen geradezu bedrohlichen Eindruck machte. Sie brachte Andreas und mich in der Vorweihnachtszeit dahin und meinte, dort hätten wir es gut. Es würden viele Weihnachtslieder gesungen, und wir könnten mit vielen anderen Kindern spielen. Doch wir beide fanden alles gar nicht gut. Während wir zu Hause überall ungehindert hin durften, war das Spielgelände mit einem großen Zaun eingegrenzt. Und die Kinder stocherten mit kleinen Schaufeln ziel- und planlos im Schnee herum. Dagegen hatte der Großvater zu Hause einen richtigen Schneeschieber, mit dem man den Weg frei räumen konnte. Am zweiten Tag weigerten Andreas und ich uns so heftig in den Kindergarten zu gehen, dass unsere Mutter nachgeben musste. Sie konnte sich nicht für den Dienst in der Munitionsfabrik melden. – Später glaubte ich, ich sei mit schuld, dass der Krieg verloren ging, weil ich meine Mutter daran gehindert hatte, in der Munitionsfabrik zu arbeiteten. Diese Begebenheit habe ich in dem eBook „Kindliche Gewissensbisse“ im September 2016 verarbeitet.
Es gab immer wieder Probleme und Konflikte mit mir. Mehrmals sagte meine Mutter zu mir: „Wenn du so weiter machst, kommst du noch mal ins Heim“. Und sie hat damit recht behalten. Von 1965 bis 1996 lebte ich bei verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen im Heim; jedoch nicht als "Zögling", sondern als Leiter der Einrichtung.