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Amy Winehouse hat in ihrer allzu kurzen Karriere ein unvergleichliches musikalisches Erbe hinterlassen. Mit ihrer Musik berührt die Soul-Diva bis heute Millionen. Ihr Vater Mitch Winehouse gewährt in seinem Erinnerungsbuch einen intimen Einblick in das Leben der berühmten Tochter. Von der Kindheit und Jugend einer talentierten und immer zu Scherzen aufgelegten Amy, über den Aufstieg zum gefeierten Weltstar, bis hin zur fatalen Drogensucht, die ihr letztlich das Leben kostete, stellt Mitch Winehouse das facettenreiche Leben seiner Tochter dar. Als Vater, der erst stolz und später zunehmend besorgt Amys Weg begleitet, gibt er Einblick in seine Gefühlswelt und die Gedanken seiner Tochter. Damit möchte er nicht nur die Fans von Amy Winehouse erreichen, sondern auch Angehörige und Freunde von Drogenabhängigen. Sein Buch ist eine Hommage, die der vielschichtigen und nicht unkomplizierten Persönlichkeit der geliebten Tochter gerecht zu werden versucht, zugleich aber auch eine anschauliche Mahnung vor dem Drogenmißbrauch aus Sicht eines betroffenen Vaters. Das Buch fußt auf dem Tagebuch von Mitch Winehouse, das auch schockierende Details nicht ausspart. Darüber hinaus enthält es bisher unveröffentlichte Fotos aus dem privaten Familienalbum. "Meine Tochter Amy" ist die persönlichste und wahrhaftigste Biografie der Pop-Ikone Amy Winehouse. Seinen Teil des Erlöses aus dem Buch stiftet Mitch Winehouse der "Amy Winehouse Foundation", die in Amys Namen Kinder und Jugendliche in Notsituationen unterstützt.
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Seitenzahl: 430
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Dieses Buch widme ich meinem Vater Alec, meiner Mutter Cynthia und meiner Tochter Amy. Sie haben mir gezeigt, dass die Macht der Liebe stärker ist als alles, was wir uns vorstellen können. Die Liebe überwindet sogar den Tod. Sie werden ewig einen Platz in meinem Herzen haben.
Dies ist nicht das Buch, das ich eigentlich schreiben wollte. Ich hatte an einem Buch über die Geschichte meiner Familie gearbeitet, mit meinem Freund Paul Sassienie und seinem Partner Howard Ricklow. Es sollte dieses Jahr erscheinen.
Stattdessen musste ich dieses Buch schreiben und euch die wahre Geschichte von Amys Leben erzählen. Ich bin jemand, der Klartext redet. Amys viel zu kurzes Leben war eine Achterbahnfahrt; ich werde euch alles darüber berichten. Ich war nicht nur ihr Vater, sondern auch ihr bester Freund, Vertrauter und Berater – nicht dass sie immer auf mich gehört hätte, aber sie ließ mich stets ausreden. Ich war für Amy der Fels in der Brandung, sie war – mit ihrem Bruder Alex – der Sonnenschein meines Lebens.
Durch dieses Buch, so hoffe ich, werdet ihr meine geliebte Tochter Amy besser verstehen und in einem anderen Licht sehen.
Ein großes Dankeschön gilt meiner Frau Jane, die in der schwersten Zeit meines Lebens an meiner Seite stand und immer zu mir gehalten hat, meinem Sohn Alex für seine Liebe und sein Verständnis, Janis, der wunderbaren Mutter unserer Kinder, meiner Schwester Melody, der ganzen großartigen Familie und meinen Freunden, die immer für mich da sind, meinem Manager Trenton, meiner Assistentin Megan, Raye und allen bei Metropolis, meinen Agenten Maggie Hanbury und Robin Straus und den tollen Leuten bei HarperCollins. Besonders bedanken möchte ich mich bei Paul Sassienie, Howard Ricklow und Humphrey Price, die mir halfen, dieses Buch zu schreiben.
Mein gesamtes Autorenhonorar für dieses Buch geht an die Amy Wine-house Foundation, die wir, Amys Familie, gegründet haben, um Kindern und jungen Erwachsenen zu helfen, die mit ihren Problemen alleine nicht fertigwerden. Ich werde den Rest meines Lebens der Aufgabe widmen, Spenden für diese Stiftung zu sammeln.
Durch ihre Musik, die Arbeit der Stiftung und dieses Buch – davon bin ich fest überzeugt - wird Amy für immer unter uns sein.
BEVOR WIR ANFANGEN
DANKSAGUNG UND EINE ANMERKUNG
PROLOG
…UND DANN KAM AMY
DER WEG AUF DIE BÜHNE
WENN DIE LIEBE ZUSCHLÄGT
FRANK – ES GEHT UM ALLES
BLACK UND EINE FLUCHT NACH SPANIEN
DER WEG IN DIE DUNKELHEIT
„RONNIE SPECTOR TRIFFT FRANKENSTEINS BRAUT“
EIN ÖFFENTLICHER ZUSAMMENBRUCH
SÜCHTIG
EIN SPRUNG IN DER PLATTE
BIRMINGHAM 2007
„WIE GESAGT, ES GEHT IHR GUT, DANKE DER NACHFRAGE“
PRESSE, LÜGEN UND EIN VIDEO
DER LANGE WEG DER BESSERUNG
CLASS–A MUG STILL TAKING DRUGS
„DAS IST VERDAMMT NOCH MAL NICHT LUSTIG“
GESTRANDET
„ICH WEINE, WENN MIR DANACH IST“
MIT LEIB UND SEELE
„KNUDDEL MICH, PAPA“
LEB WOHL, CAMDEN TOWN
EPILOG
EINIGE BEMERKUNGEN ÜBER DIE AMY WINHOUSE FOUNDATION
QUELLENNACHWEIS
Gerne würde ich behaupten, das erste Mal, dass ich meine neugeborene Tochter im Arm hielt, am 14. September 1983, sei ein unvergesslicher Augenblick gewesen, aber so einfach war die Sache nicht.
Manche Tage ziehen sich, an anderen vergeht die Zeit wie im Fluge. Der besagte Tag war einer von denen, an denen scheinbar alles gleichzeitig passiert. Anders als unser dreieinhalb Jahre zuvor geborener Sohn Alex, kam unsere Tochter im Eiltempo zur Welt – wie wenn ein Korken aus der Flasche ploppt. Schon wie sie zur Welt kam, war typisch für Amy – schreiend und um sich tretend. In meinem ganzen Leben habe ich kein Baby gehört, das so laut schreien konnte. Ich würde gerne behaupten, dass es ein melodisches Schreien war, aber es war einfach nur laut. Amy war vier Tage zu spät dran, und das blieb so: Ihr Leben lang kam sie immer zu spät.
Amy wurde im Chase Farm Hospital in Enfield im Londoner Norden geboren, nicht weit von unserer Wohnung in Southgate. Und nachdem es so schnell über die Bühne gegangen war, fand sich bald ihre gesamte Familie – Großeltern, Großtanten, Onkel und Cousins - rund um Janis’ Bett ein, umden Neuankömmling zu begrüßen. Wie das bei uns zu allen Anlässen üblich ist, ob erfreulich oder nicht.
Ich bin ein sehr emotionaler Mensch, vor allem wenn es um die Familie geht, und als ich Amy im Arm hielt, dachte ich: Ich bin der glücklichste Mann auf Erden. Es war so schön, eine Tochter zu haben; nach Alex’ Geburt hofften wir auf ein Mädchen, damit er eine Schwester hatte. Janis und ich wussten schon, wie sie heißen sollte. Einer jüdischen Tradition gemäß beginnen die Namen unserer Kinder mit demselben Buchstaben wie der eines verstorbenen Verwandten. Alex ist nach meinem Vater Alec benannt, der starb, als ich 16 war; hätten wir noch einen Jungen bekommen, wollte ich ihn Ames nennen - ein jazziger Name. “Amy“, sagte ich, sah sie an und dachte, das klingt nicht so jazzig. Welch ein Irrtum. Und so wurde sie Amy Jade Winehouse – Jade nach Jack, dem Vater meines Stiefvaters Larry.
Amy war wunderschön und ihrem älteren Bruder wie aus dem Gesicht geschnitten. Auf Bildern der beiden im selben Alter kann ich sie kaum unterscheiden. Am Tag nach ihrer Geburt nahm ich Alex mit zu seiner kleinen Schwester. Wir machten ein paar hübsche Fotos von den beiden, auf denen er Amy knuddelt.
Ich hatte diese Fotos viele Jahre nicht gesehen, als mich Amy im Juli 2011, fast 28 Jahre danach, eines Tages anrief.
Sie rief mich am Tag vor meiner Abreise nach New York an, und ich merkte sofort, dass sie sehr aufgeregt war.
“Papa, Papa, du musst vorbeikommen“, sagte sie.
“Ich kann nicht, Liebling“, sagte ich. “Ich habe heute Abend einen Auftritt und fliege morgen früh.“
Sie blieb hartnäckig. “Papa, Papa, ich habe die Fotos gefunden, du musst vorbeikommen.“ Plötzlich wusste ich, wieso sie so aufgeregt war. Irgendwann bei Amys vielen Umzügen war eine Schachtel mit Familienfotos verschwunden, und die hatte sie nun offenbar wiedergefunden. “Du musst rüberkommen.“ Sie bestand darauf. Schließlich fuhr ich mit meinem Taxi zum Camden Square und parkte vor ihrem Haus.
“Ich schaue nur kurz rein“, sagte ich und wusste nur zu gut, wie schwer es war, ihr was abzuschlagen. “Muss gleich weiter. Du weißt, dass ich heute viel zu tun habe.“
“Oh, du gehst immer zu schnell wieder“, antwortete sie. “Papa, bleib da.“
Ich folgte ihr hinein. Sie hatte die Fotos auf einem Tisch ausgebreitet. Ich schaute mir die Bilder an. Ich hatte bessere, aber diese hier, die sie ausgegraben hatte, bedeuteten ihr offenbar viel. Da war eines, auf dem Alex die neugeborene Amy hielt, und da war Amy als Teenager – auf allen anderen war jedoch nicht sie zu sehen, sondern Familie und Freunde.
Sie nahm ein Foto von meiner Mutter. “War Omi nicht schön?“, sagte sie. Dann griff sie sich das Bild von Alex und ihr und bemerkte mit Stolz und geschwisterlicher Rivalität in der Stimme: “Oh, schau ihn an.“
Ich sah ihr zu, wie sie die Fotosammlung durchging. Eins nach dem anderen nahm sie heraus. Zu jedem Einzelnen hatte sie etwas zu sagen, und ich dachte mir: Dieses Mädchen da ist weltberühmt, hat Millionen Menschen Freude gebracht, und sie ist einfach ein normales Mädchen, das seine Familie liebt. Sie war so gar nicht auf sich fixiert, und nach allem, was sie durchgemacht hatte, war ich wirklich stolz auf sie. Sie ist großartig, meine Tochter.
An dem Tag war sie gut drauf, und es war sehr nett mit ihr. Nach ungefähr einer Stunde musste ich schließlich gehen. Wir umarmten uns zum Abschied, und als ich sie in meinen Armen hielt, spürte ich, dass sie dabei war, zu sich zu finden und wieder zu Kräften zu kommen – sie hatte sich im Haus ein Fitnessstudio eingerichtet und mit Gewichten trainiert.
“Wenn du zurück bist, gehen wir beide ins Studio und machen das Duett“, sagte sie auf dem Weg zur Tür. Wir hatten zwei Lieblingssongs, “Fly Me To The Moon“ und “Autumn Leaves“, und Amy wollte einen davon mit mir aufnehmen. “Wir werden ordentlich proben“, fügte sie hinzu.
“Das glaube ich erst, wenn ich es sehe“, lachte ich. Wir hatten dieses Gespräch über die Jahre oft geführt, aber das letzte Mal war eine Weile her. Es war schön, sie wieder so reden zu hören. Als ich wegfuhr, winkte ich aus dem Auto. Danach habe ich meine geliebte Tochter nie wieder lebend gesehen.
Freitag landete ich in New York und verbrachte einen ruhigen Abend allein. Tags darauf traf ich meinen Cousin Michael und seine Frau Alison in ihrer Wohnung in der 59. Straße – nachdem er Alison geheiratet hatte, war Michael ein paar Jahre zuvor in die USA ausgewandert. Sie hatten drei Monate alte Zwillinge, Henry und Lucy, und ich konnte es kaum erwarten, sie zu sehen. Die Kinder waren wunderbar. Henry saß auf meinem Schoß, als Michaels Vater, mein Onkel Percy, aus London anrief. Michael reichte mir den Hörer, damit ich Hallo sagen konnte. Das übliche: “Hallo Onkel, wie geht’s?“ “Hallo Mitch, wie geht’s dir? Und Amy?“ Ich antwortete ihm, ich hätte Amy vor meinem Abflug gesehen, und es gehe ihr gut.
Im selben Moment läutete mein Mobiltelefon. Auf dem Display stand “Andrew – Security“. Amy rief mich oft von Andrews Telefon an, also sagte ich zu Onkel Percy: “Ich glaube, das ist Amy“, und gab Michael den Hörer zurück. Henry saß noch auf meinem Schoß, als ich ranging.
“Hallo Liebling“, sagte ich. Es war aber nicht Amy, sondern Andrew. Ich konnte kaum verstehen, was er sagte.
Alles, was ich mitbekam, war: “Du musst heimkommen, du musst heimkommen.“
“Was? Wovon redest du?“
“Du musst nach Hause kommen“, wiederholte er.
Alles um mich herum begann zu verschwimmen. “Ist sie tot?“, fragte ich.
Und er sagte: “Ja.“
Ich war von Anfang an wie vernarrt in meine Tochter, der Rest der Welt interessierte mich kaum noch. Kurz bevor Amy zur Welt kam, hatte ich meinen Job verloren – vermutlich weil ich mir für die Geburt vier Tage freinehmen wollte. Als Amy dann da war, spielte so etwas keine Rolle mehr. Obwohl ich arbeitslos war, zog ich los und kaufte eine JVC-Videokamera für fast einen Tausender. Janis war außer sich, aber das kümmerte mich nicht. Ich machte viele Stunden Filmaufnahmen von Amy und Alex; die Bänder habe ich heute noch bei mir.
Alex war großartig. Stundenlang hielt er Wache an ihrem Kinderbett. Einmal kam ich spätnachts in ihr Zimmer und fand Amy hellwach, während Alex am Boden schlief – ein toller Wächter. Ich war ein nervöser Vater und schaute oft in Amys Gitterbett, ob mit ihr alles okay war. Als sie noch ein sehr kleines Baby war, hörte ich sie einmal röcheln: „Sie atmet nicht richtig!“, schrie ich, und Janis musste mir erklären, dass alle Babys solche Geräusche machen. Ich war immer noch nicht beruhigt, also hob ich Amy hoch, und natürlich wollte sie danach nicht mehr schlafen. Aber alles in allem war sie ein braves Kind und schlief bald die Nächte durch. So fest, dass Janis sie manchmal zum Stillen wecken musste.
Badezeit für die Kinder: ein Gewirr von Armen und Beinen, und der Boden war immer tropfnass.
An ihrem ersten Geburtstag lernte Amy laufen, von da an wurde sie ein bisschen schwierig. Sie war sehr neugierig, und wenn man nicht ständig ein Auge auf sie hatte, ging sie auf Erkundungsreise. Zum Glück hatten wir Hilfe – meine Mutter, mein Stiefvater und der größte Teil meiner Familie waren fast jeden Tag da. Manchmal kam ich spät von der Arbeit, und Janis teilte mir mit, sie hätten mein Abendessen aufgegessen.
Janis war und ist eine wundervolle Mutter; Alex und Amy konnten schreiben und lesen, bevor sie zur Schule gingen, und das verdankten sie ihr. Wenn ich von der Arbeit kam, hörte ich sie oben, schlich mich rauf und stand leise vor der Tür, um sie zu betrachten. Janis las ihnen vor, die Kinder saßen eng an sie geschmiegt, mit gespanntem Blick, was wohl als Nächstes geschehen würde. Ein schönes Bild. So verbrachten sie ihre gemeinsame Zeit, und ich wünschte, ich hätte mehr dabei sein können.
Ich konnte nicht genug kriegen von den Kindern, und wenn ich abends erst um zehn oder elf heimkam, weckte ich sie manchmal auf, um Gute Nacht zu sagen. Ich ging rein, stolperte gegen das Gitterbett, „Oh, schau, sie sind wach“, und drückte sie an mich, um sie zu knuddeln. Janis machte das wahnsinnig, und zwar mit Recht.
Ich war mit Leib und Seele Vater, aber wir tobten mehr herum, als dass ich ihnen Geschichten vorlas. Alex und ich spielten im Garten Fußball, später Kricket, und Amy wollte unbedingt mitmachen – „Papa! Papa! Gib mir den Ball!“ -, aber als ich ihn ihr sachte hinstupste, griff sie fröhlich danach und warf ihn über den Zaun.
Amy tanzte für ihr Leben gern, und wie es die meisten Väter mit ihren kleinen Töchtern tun, hielt ich sie an der Hand und balancierte ihre Füße auf meinen. So schwangen wir durchs Zimmer. Am meisten gefiel es Amy jedoch, wenn ich sie herumwirbeltesie liebte es, wenn sie dabei die Orientierung verlor. Angst kannte sie nicht, sie kletterte höher, als es mir lieb war, und turnte wie wild auf einem Klettergerüst im Park herum. Aber sie spielte auch gerne zu Hause mit ihren Puppen. Sie liebte ihre Cabbage-Patch-Puppen; wir mussten sogar die „Adoptionsurkunden“ abschicken, die den Puppen beilagen, damit sie zufrieden war. Wenn Alex sie triezen wollte, fesselte er die Puppen.
Meine zwei Lieben, Alex und Amy, in der Schuluniform der Osidge Primary. Alex kümmerte sich stets um seine kleine Schwester.
Wenn ich früh genug nach Hause kam, las ich den Kindern vor: immer Noddy-Bücher von Enid Blyton. Amy und Alex waren Noddy-Experten. Amy liebte das Noddy-Ratespiel. Es war immer dasselbe und ging so:
Amy sagte: „Papi, was hatte Noddy an dem Tag an, als er Big Ears traf?“
Ich tat so, als dächte ich nach, und versuchte es: „Trug er sein rotes Hemd?“
Amy antwortete: „Nein.“
Dann sagte ich, das sei eine echt schwere Frage und ich müsse nachdenken. „Den blauen Hut mit dem Glöckchen an der Spitze?“ Wieder ein Nein von Amy. Da schnippte ich mit den Fingern und sagte: „Ich weiß es! Er hatte die kurze blaue Hose und den gelben Schal mit roten Punkten an.“
„Nein, Papi„, antwortete Amy darauf.
Ein stolzer Papa und seine geliebte Tochter. Wahrscheinlich war ich gerade von der Arbeit gekommen und hatte sie geweckt, sehr zum Missfallen von Janis.
Also musste ich aufgeben und Amy fragen, was er anhatte. Bevor sie ein Wort herausbekam, kicherte sie schon los: „Er hatte gar nichts an, er war … nackt!“
Für gewöhnlich hielt sie sich die Hand vor den Mund, um ihr hysterisches Lachen zu unterdrücken. Wie oft wir das Spiel auch spielten, es lief immer gleich.
Wir waren keine von den Familien, die einfach so den Fernseher laufen ließen. Bei uns lief immer Musik, und ich sang die ganze Zeit im Haus. Die Kinder führten kleine Shows für uns auf. Amy war damals etwa zwei, Alex fünf. Ich moderierte sie an, Janis klatschte, und dann sangen sie – na gut, singen ist vielleicht ein bisschen viel gesagt. Alex konnte nicht wirklich singen, aber er versuchte es, und Amy schien nur ein Ziel zu haben: lauter zu singen als er. Es war klar, dass sie das Rampenlicht liebte, und wenn es Alex langweilig wurde und er lieber was anderes machte, sang Amy weiter – sogar wenn wir ihr sagten, sie solle aufhören.
Sie liebte auch ein kleines Spiel, das ich gerne mit ihr spielte, oft im Auto. Ich fing ein Lied an, und sie sang das letzte Wort. Ich sang: „Fly me to the …“ und Amy sang: „MOON“. Ich sang weiter: „… and let me play amongst the …“, und sie sang: „… STARS“. So konnten wir uns endlos amüsieren.
Irgendwann bekam Amy einen kleinen Plattenspieler und spielte immer wieder dieselben Kinderlieder. Es war alles, was man aus ihrem Zimmer hörte. Dann bekam sie ein Xylofon und brachte sich – langsam und mühselig – bei, „Home On The Range“ zu spielen. Es schallte durchs ganze Haus: pling, pling, pling, und ich wünschte, sie würde die richtigen Töne treffen, im Takt – es war eine Qual, es wieder und wieder zu hören.
So süß sie auch war, der Satz, der in Amys frühen Jahren am häufigsten bei uns zu hören war, lautete: „Sei still, Amy!“ Sie wusste nie, wann es genug war. Wenn sie zu singen anfing, war sie nicht zu stoppen. Und wenn sie mal nicht im Mittelpunkt stand, ließ sie sich was einfallen – manchmal auf Kosten ihres älteren Bruders. Auf der Feier zu Alex’ sechstem Geburtstag stahl ihm Amy die Schau und lieferte den Gästen einen spontanen Auftritt als Sängerin und Tänzerin. Alex war ganz und gar nicht begeistert, und ehe wir eingreifen konnten, schüttete er ihr sein Getränk über den Latz. Amy brach in Tränen aus und rannte aus dem Zimmer. Ich brüllte Alex derart an, dass er zu Tode erschrak und ebenfalls weinend rauslief. Nach der Party saß Amy schmollend in der Küche auf dem Boden, und Alex wollte nicht mehr aus seinem Zimmer kommen.
Amy war ein entzückendes Baby, immer lächelnd und glücklich, und wenn sie mal nicht zufrieden war, wussten es alle. Wir fuhren schon früh mit ihr in Urlaub, und sie liebte den Strand.
Obwohl so etwas vorkam, waren sich Alex und Amy sehr nahe und machten viel gemeinsam. Sie gingen schwimmen und nahmen Stepptanzunterricht, vergnügten sich stundenlang. Auch als sie älter wurden und eigene Freundeskreise hatten, blieben sie sich sehr nahe, und das sollte sich nie ändern.
Amys Freundschaft zu ihrem Bruder hielt sie nicht davon ab, sich in den Mittelpunkt zu drängen – für Aufmerksamkeit tat sie alles. Sie konnte schelmisch, frech und übermütig sein. Bald nach Alex’ Geburtstagsfeier, als sie drei Jahre alt war, nahm Janis Amy mit in den Broomfield Park, nicht weit von zu Hause. Nach kurzer Zeit war Amy weg, und Janis konnte sie nicht mehr finden. In Panik rief sie mich in der Arbeit an, Amy sei fort. Ich raste in den Park, außer mir vor Sorge. Als ich ankam, war die Polizei bereits da, und ich war auf das Schlimmste gefasst – das ist meine Art, mit Dingen umzugehen; in meiner Vorstellung war sie nicht verschwunden, sondern entführt worden. Meine Mutter und Tante Lorna waren auch da - alle suchten nach Amy. Offensichtlich war Amy nicht mehr im Park, und die Polizei riet uns, heimzugehen, was wir auch taten. Janis und ich saßen da, heulten uns die Augen aus, und dann, fünf Stunden nach Amys Verschwinden, läutete das Telefon. Es war Ros, eine Freundin meiner Schwester Melody. Amy war bei ihr. Gott sei Dank.
Was passiert war, war typisch Amy. Ros war mit ihren Kindern ebenfalls im Park gewesen. Als Amy weglief, sah sie Ros und rannte zu ihr. Ros fragte sie natürlich, wo ihre Mami sei, und die freche Amy sagte, ihre Mami habe sie allein gelassen und sei nach Hause gegangen. Also nahm Ros Amy mit, aber statt uns anzurufen, rief sie meine Schwester Melody an, die Lehrerin war. Ros erreichte sie allerdings nicht, hinterließ Melody in der Schule aber die Nachricht, dass Amy bei ihr sei. Als Melody erfuhr, dass sich Ros um Amy kümmerte, dachte sie nicht groß darüber nach, weil sie ja keine Ahnung hatte, dass Amy vermisst wurde. Als sie schließlich zu Hause angekommen war und von Amys Verschwinden erfuhr, wurde ihr allerdings einiges klar. Eine Viertelstunde später stand Melody mit Amy vor der Tür, und ich umarmte sie unter Tränen.
Amy mit drei Jahren in Spanien. Sie trug nichts, was nicht rosa war.
„Nicht weinen, Papi, jetzt bin ich zu Hause“, beruhigte sie mich.
Leider lernte Amy offenbar nichts aus der Geschichte. Ein paar Monate danach fuhr ich mit den Kindern ins Brent-Cross-Einkaufszentrum im Londoner Nordwesten. Wir waren gerade im John-Lewis-Kaufhaus, und plötzlich war Amy verschwunden. Eben war sie noch da, im nächsten Augenblick war sie weg. Alex und ich durchsuchten die unmittelbare Umgebung, weit konnte sie ja nicht sein. Aber keine Spur von ihr. Ich dachte: Jetzt geht das wieder los - diesmal ist sie wirklich gekidnappt worden.
Wir weiteten unsere Suche aus, und als wir an einem Ständer mit langen Mänteln vorbeikamen, hüpfte sie hervor und rief: „Buh!„ Ich war wütend, aber je mehr ich schimpfte, desto mehr lachte sie. Ein paar Wochen später versuchte sie es wieder. Diesmal wusste ich Bescheid und lief sofort rüber zu den langen Mänteln. Da war sie nicht. Ich durchsuchte sämtliche Kleiderstangen: keine Amy. Als ich mich richtig zu sorgen begann, sagte eine Stimme über Lautsprecher: „Wir haben die kleine Amy hier, wenn Sie sie verloren haben, kommen Sie bitte zur Kundeninformation.“ Sie hatte sich woanders versteckt und wirklich verlaufen, und jemand hatte sie abgegeben. Ich schärfte ihr ein, sich nicht mehr zu verstecken oder wegzulaufen, wenn wir unterwegs waren. Sie versprach es und tat es nicht mehr. Aber ihre nächsten Streiche sollten vor einem größeren Publikum stattfinden.
Als Kind habe ich mich mal an einem Apfel verschluckt und versetzte meinen Vater damit in Panik. Als sich Alex kurz vor seinem siebten Geburtstag beim Abendessen verschluckte, geriet ich ebenso in Panik, steckte ihm die Finger in den Hals und wollte das Ding rausziehen. Ich hatte wirklich Angst. Es dauerte nicht lange, da verlegte sich Amy, des Versteckspiels überdrüssig, auf das Erstickspiel. Eines Samstagnachmittags waren wir bei Selfridges, dem Kaufhaus in der Oxford Street, und es war brechend voll. Plötzlich warf sich Amy auf den Boden, hustete und hielt sich den Hals. Ich wusste, dass sie nur spielte, aber sie machte ein solches Theater, dass ich sie schließlich auf die Schulter packte und wir aus dem Laden flohen. Danach bekam sie überall „Erstickungsanfälle": bei Freunden, im Bus, im Kino. Irgendwann ignorierten wir es einfach, und schon hörte es auf.
Ich bin zwar in Nordlondon geboren, aber ich fühlte mich immer als East-Ender, weil ich als Kind viel Zeit bei meinen Großeltern Ben und Fanny Winehouse in ihrer Wohnung über Bens Friseursalon in der Commercial Street verbrachte. Auch das Haus meiner anderen Großmutter Celie Gordon in Albert Gardens lag im Herzen des East End. Ich ging sogar im East End zur Schule. Mein Vater arbeitete als Friseur bei seinem Vater, meine Mutter war Damenfriseurin im selben Laden, und auf dem Weg zur Arbeit lieferten sie mich um die Ecke in der Schule an der Deal Street ab.
Schon als sie noch sehr jung waren, faszinierte das East End Amy und Alex, und ich fuhr oft mit ihnen hin. Sie liebten es, Geschichten über unsere Familie zu hören, und zu sehen, wo sie gelebt hatte, erweckte die Geschichten zum Leben. Amy hörte am liebsten die Geschichten über meine Wochenenden im East End, als ich noch ein kleiner Junge war. Ich erzählte ihr, dass ich jeden Freitag mit Mama und Papa nach Albert Gardens kam, wo wir bis Sonntagabend blieben. Das Haus war vollgestopft bis unter das Dach. Oma Celie war da, ihre Mutter, Urgroßmutter Sarah, Celies Bruder, Großonkel Alec, die Brüder meiner Mutter, Onkel Wally und Onkel Nat, und die Zwillingsschwester meiner Mutter, Tante Lorna. Als wären das noch nicht genug Leute, wohnte im obersten Stock noch Izzi Hammer, ein Überlebender des Holocausts, der im Januar 2012 leider gestorben ist.
Die Wochenenden begannen mit dem traditionellen jüdischen Abendessen am Freitag: Hühnersuppe, Grillhähnchen, Bratkartoffeln, Erbsen und Karotten. Zum Nachtisch gab es „Lokshen“-Kugeln mit Rosinen.
Wo all diese Leute schliefen, weiß ich wirklich nicht mehr, jedenfalls waren die Wochenenden magisch, es wurde gesungen, getanzt, Karten gespielt, es gab Unmengen zu essen und trinken. Gelegentliche lautstarke Streitereien mischten sich mit dem Lachen und der Lebenslust einer großen, glücklichen jüdischen Familie. Diese Tradition behielten wir Amys Leben lang bei; es war immer etwas Besonderes und später ein Prüfstein für Amys Freundschaften – wer stand ihr nahe genug, um zum Freitagsmahl eingeladen zu werden?
Meine Eltern Cynthia und Alec 1953 in ihrer Wohnung in der Rectory Road in Stoke Newington. Amy hat Alec nie kennengelernt, er starb lange vor ihrer Geburt. Sie kannte ihn jedoch aus meinen Geschichten, und sein Stil prägte ihre Vorliebe für Retrosachen.
Amy mit ihrem größten Fan, meiner Mutter
Da ich die Woche über arbeitete, verbrachte ich mehr Zeit am Wochenende mit den Kindern. Als Alex zwei war, nahm ich ihn mit zum Fußball. Damals konnte man da noch kleine Kinder auf dem Schoß haben. Spurs gegen West Bromwich Albion, Februar 1982. Es war eiskalt, so kalt, dass ich eigentlich nicht hinwollte, aber Alex hatte sich so darauf gefreut. Janis zog ihm seinen gefütterten Schneeanzug an, in dem er doppelt so groß aussah – er konnte sich kaum rühren. Als wir dort waren, fragte ich ihn, ob alles in Ordnung sei, und er sagte Ja. Fünf Minuten nach dem Anstoß sagte er: „Papi, ich muss Kacka.“ Also brachte ich ihn aufs Klo; es war gar nicht so einfach, ihn aus dem Anzug rauszukriegen. Ich benötigte noch mal zehn Minuten, um ihn wieder einzupacken. Kaum saßen wir wieder, musste er pinkeln, also das ganze Spiel von vorne. Und in der Halbzeit sagte er: „Papi, ich mag gehen, ich will nach Hause.“
Amy nahm ich mit zum Fußball, als sie etwa sieben war. Als wir wiederkamen, fragte Janis, wie es ihr gefallen habe. Amy sagte, es sei furchtbar gewesen. Janis fragte, wieso sie nicht gesagt habe, dass sie heimmöchte, und sie sagte: „Daddy hat es gefallen, und ich wollte ihn nicht verärgern.“ Das war typisch für die kleine Amy, sie dachte immer an andere.
Zeichnungen aus Amys Schulzeit: Amy mit ihren Freundinnen Juliette und Gemma. Weshalb sie ihre Haare nicht in der richtigen Farbe zeichnete, weiß ich nicht. Die herzförmigen i-Punkte, die sie als Schülerin zeichnete, fand ich bezaubernd.
Inzwischen ging Amy zur Schule. Nach der Vorschule kam sie mit fünf auf die Osidge Primary School, wo auch Alex schon war. Dort lernte sie Juliette Ashby kennen, die ihre beste Freundin wurde. Die beiden waren unzertrennlich und blieben befreundet, solange Amy lebte. Amys zweitbeste Freundin auf der Osidge war Lauren Gilbert – Amy hatte sie bereits gekannt: Onkel Harold, der Bruder meines Vaters, war Laurens Stiefgroßvater.
Amy musste ein hellblaues Hemd mit Schlips, Pulli und einen grauen Rock tragen. Die Vorschule hatte ihr gefallen, und sie war glücklich, alt genug zu sein, um ihrem Bruder in die Schule zu folgen, aber in Osidge hatte sie von Anfang an Probleme. Jeder Tag dort konnte ihr letzter sein. Sie stellte nichts Schlimmes an, sondern störte einfach nur und suchte ständig Aufmerksamkeit, was zu regelmäßigen Beschwerden führte. Still sitzen konnte sie nicht. Sie kritzelte in ihren Büchern herum und trieb Schabernack. Einmal versteckte sie sich unter dem Lehrerpult. Als der Lehrer reinkam, fragte er die Klasse, wo Amy sei, und Amy musste so lachen, dass sie sich den Kopf anstieß und nach Hause geschickt wurde.
Mit sieben hinterließ Amy bleibenden Eindruck bei ihrer Zweitklass-lehrerin, Miss Cutter (heute Jane Worthington), die mir kurz nach Amys Tod schrieb:
Amy war ein sehr aufgewecktes Kind und wuchs zu einer schönen, begabten Frau heran. Meine bleibende Erinnerung ist die an ein Kind, das sein Herz auf der Zunge trug. Wenn sie glücklich war, erfuhr das die ganze Welt, wenn sie sich ärgerte, ebenfalls. Es war offensichtlich, dass ihre Familie Amy liebte und förderte.
Amy war ein schlaues Mädchen, und wenn sie Interesse gehabt hätte, wäre sie in der Schule gut gewesen. Irgendwie war sie aber nie so interessiert. Sie war gut in Sachen wie Mathe – aber nicht in dem Sinne, dass sie gute Noten hatte. Janis war richtig gut in Mathe, und sie brachte es den Kindern bei. Amy liebte Analysis und quadratische Gleichungen, all diese Dinge, die ich nicht kapierte - und da war sie noch in der Grundschule. Kein Wunder, dass sie sich in den Mathestunden immer langweilte.
Meine Tochter, das frühreife Talent, immer glücklich, wenn sie sich präsentieren konnte. Hier 1988 zu Hause in der Osidge Lane in Southgate
Eine Neigung, von der jeder wusste, war ihre Liebe zur Musik. Ich hatte die ganze Zeit Musik an, zu Hause, im Auto, und Amy sang alles mit. Sie liebte die Big-Band- und Jazzsongs, die ich auflegte, aber sie interessierte sich auch schon für R&B und Hip-Hop. Eine besondere Vorliebe hatten Juliette und sie damals für die US-R&B/Hip-Hop-Gruppen TLC und Salt-n-Pepa. Außerdem mochten sie die Backgroundsängerinnen von Wham!, Pepsie & Shirlie; sie kleideten sich wie sie und sangen ihre Lieder. Als Amy etwa zehn war, gründete sie mit Juliette die kurzlebige Rapgruppe Sweet ‘n‘ Sour – Juliette war Sweet, Amy Sour. Sie probten viel, zu Auftritten kam es jedoch leider nicht.
Ich liebte meine Familie rückhaltlos, aber als Amy und Alex älter wurden, veränderte sich etwas – nicht an meiner Liebe und Hingabe zu ihnen, sondern in anderer Hinsicht. Obwohl wir eine gute Ehe führten und zwei wundervolle Kinder hatten, trennten Janis und ich uns 1993.
Ein paar Jahre zuvor hatte mir ein guter Freund, der verheiratet war, gestanden, dass er sich mit einer anderen traf. Es ging mir nicht in den Kopf, wie er das tun konnte. Er hatte eine wunderbare Frau und einen fantastischen Sohn. Warum in aller Welt setzte er all das für eine Affäre aufs Spiel? Er sagte: „ Es ist nicht nur eine Affäre. Wenn du diesen besonderen Menschen findest, weißt du, dass es das Richtige ist. Wenn dir das je passiert, wirst du’s begreifen.“
Janis und ich 1975, frisch verlobt. An wen erinnert sie wohl?
Unglaublich, aber bald darauf fand ich mich in der gleichen Lage und begann meinen Freund zu verstehen. 1984 hatte ich eine neue Marketingmanagerin angestellt, Jane, und wir verstanden uns sofort. Es war nichts Romantisches: Jane hatte einen Freund, ich war glücklich verheiratet. Aber es hatte definitiv zwischen uns gefunkt. Lange Zeit passierte nichts, dann auf einmal doch. Jane besuchte mich, seit Amy achtzehn Monate alt war, und hatte Janis und die Kinder unzählige Male getroffen. Sie hielt eisern daran fest, dass sie sich nicht zwischen mich und meine Familie drängen wollte. Die Kinder mochten Jane.
Amy, stolz auf ihren Bruder Alex, bei dessen Bar-Mizwa 1992
Mein Problem war, dass ich in Jane verliebt, aber noch mit Janis verheiratet war. So etwas geht auf lange Sicht nicht gut. Es war ein schreckliches Dilemma. Ich wollte mit Janis und den Kindern leben, aber auch mit Jane zusammen sein. Ich war mit Janis nie unglücklich. Wir führten eine gute Ehe. Viele Männer, die fremdgehen, hassen ihre Frauen, aber ich liebte Janis. Man kann nicht mit ihr streiten, sie ist ein so herzensguter Mensch.
Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Ich wollte niemanden verletzen. Am Ende zog es mich mehr zu Jane.
1992 entschied ich mich, Janis zu verlassen. Ich beschloss, damit bis nach Alex’ Bar-Mizwa im Jahr darauf zu warten, und zog kurz danach aus. Das Schwierigste war, es Alex und Amy zu sagen. Ich erklärte ihnen, dass wir sie beide liebten und dass die ganze Sache nichts mit ihnen zu tun hatte, und ich hoffte, dass sie es verstehen. Alex nahm mir meinen Auszug jedoch sehr krumm – wer könnte es ihm verübeln? –, während Amy es zu akzeptieren schien.
Ich fühlte mich schrecklich, als ich auszog und zu meiner Schwester Melody nach Barnet fuhr. Sechs Monate blieb ich bei ihr, dann zog ich mit Jane zusammen. Rückblickend finde ich es feige, dass ich die Sache so lange laufen ließ, aber ich wollte einfach, dass alle glücklich sind.
Seltsamerweise sah ich die Kinder nach meinem Auszug öfter als zuvor. Selbst meine Freunde glaubten, Amy sei von der Scheidung nicht übermäßig betroffen, und als ich fragte, ob sie darüber sprechen wolle, sagte sie achselzuckend: „Du bist immer noch mein Papa, und Mama ist immer noch meine Mama. Was gibt’s da zu reden?“
Ich fühlte mich wohl schuldig und verhätschelte deshalb die Kinder. Ohne jeden Grund kaufte ich ihnen Geschenke, führte sie in teure Restaurants aus und gab ihnen Taschengeld. Manchmal ging das nicht, weil ich wegen der neuen Firma knapp bei Kasse war, dann aßen wir im Chelsea Kitchen in der King’s Road, wo man für zwei Pfund satt werden konnte; die Kinder sagten mir später, sie seien mit mir lieber dorthin gegangen als in die teuren Lokale, vor allem weil sie wussten, dass es mich nicht viel kostete.
Eines hat sich nie verändert: meine Liebe zu ihnen und ihre Liebe zu mir.
Amy ganz nachdenklich. Glückwunschkarte zu meinem Geburtstag 1992
Wo ich auch wohnte, Amy und Alex hatten immer ein Zimmer bei mir. Amy blieb oft übers Wochenende, und ich versuchte ihr stets etwas zu bieten. Sie stand auf Gespenstergeschichten, und das Haus, in dem ich in Hatfield Heath, Essex, lebte, lag etwas abseits, nahe einem Friedhof. Wenn wir an dunklen Winterabenden heimfuhren, parkte ich beim Friedhof, schaltete das Licht aus und erzählte ihr Gruselgeschichten. Bald dachte sie sich selber Geisterstorys aus, und ich musste so tun, als würden sie mir furchtbare Angst einjagen.
Natürlich verbrachte ich auch mit Alex viel Zeit. Aber da er so viel älter war, führte er schon ein ganz eigenes Leben, und deshalb war ich am Wochenende öfter mit Amy zusammen.
Einmal sollte sie einen Aufsatz über einen Menschen schreiben, der ihr sehr viel bedeutete. Sie beschloss, über mich zu schreiben, und bat mich, ihr zu helfen. Um die Sache spannend zu machen, erfand ich ziemlich haarsträubende Geschichten über mein Leben, aber Amy – jung, wie sie war – nahm alles für bare Münze. Ich gab an, ich sei der jüngste Mensch gewesen, der jemals den Mount Everest bestiegen hatte, dass ich außerdem bei den Spurs gespielt habe und mit zehn Jahren das Siegtor im Cupfinale 1961 gegen Leicester City geschossen habe. Mit meinem Assistenten Dr. Christiaan Barnard habe ich zudem die erste Herztransplantation durchgeführt. Vielleicht habe ich ihr auch noch erzählt, ich sei Rennfahrer und Jockey gewesen.
Amy 1988 in Camber Sands – es kam selten vor, dass sie lange genug stillhielt, dass man sie fotografieren konnte.
Amy machte sich Notizen, schrieb den Aufsatz und gab ihn ab. Ich erwartete ein paar nette Anmerkungen über ihre Fantasie und ihren Humor, stattdessen schrieb mir die Lehrerin: „Ihre Tochter hat Wahnvorstellungen und braucht Hilfe.“ Kurz vor ihrem Tod erinnerte mich Amy an diese Hausaufgabe und den daraus entstandenen Ärger – und an eine andere meiner kleinen Geschichten, die ich Alex und ihr erzählt und inzwischen vergessen hatte. Ich hatte ihnen beiden erzählt, ich hätte mit sieben an der Tower Bridge gespielt, sei in die Themse gefallen und fast ertrunken. Ich fuhr sie sogar hin, zeigte ihnen, wo es hätte passiert sein sollen, und sagte, es gebe eine Plakette, die an den Vorfall erinnere, aber die habe man abgenommen, um sie zu putzen.
In den Schulferien mussten wir für Amy etwas finden, mit dem sie sich beschäftigen konnte. Wenn ich bei einem Meeting war, ging Jane mit ihr essen – Amy bestellte dabei immer das Gleiche: Krabbensalat. Als Jane sie das erste Mal ausführte und Amy noch klein war, fragte Jane: „Magst du Schokopudding als Nachtisch?“
„Nein, ich habe Laktoseintoleranz“, entgegnete Amy stolz.
Aber dann verschlang sie tütenweise Bonbons – sie war eine richtige Naschkatze.
Jane arbeitete ehrenamtlich beim Hausradiosender des Whipps Cross Hospital und hatte eine eigene Sendung. Amy kam mit und half ihr. Sie war zu jung, um dabei zu sein, wenn Jane die Patienten interviewte, und so suchte sie die Platten aus, die gespielt wurden. Einmal interviewte Jane Amy, ich habe die Bänder noch irgendwo. Jane löschte ihre Fragen raus, Amy sprach also direkt zu den Hörern – ihre erste Sendung.
Eine Sache, die mich mit Amy auch nach meinem Auszug immer verband, war die Musik. Sie lernte die Musik lieben, die ich, als ich jünger war, über meine Mutter lieben gelernt hatte. Meine Mama hörte diese Platten nicht nur gerne, sie waren ein Teil ihres Lebens.
Sie war ein großer Jazzfan und war, bevor sie meinen Vater kennenlernte, mit dem berühmten Jazzmusiker Ronnie Scott zusammen. Bei einem Gig 1943 stellte Ronnie ihr den legendären Bandleader Glenn Miller vor, der versuchte ihm meine Mutter auszuspannen. Meine Mama verliebte sich in Glenn Millers Musik, und Ronnie war verliebt in sie. Er war am Boden zerstört, als sie die Beziehung beendete. Er flehte sie an und machte ihr sogar einen Heiratsantrag, aber sie sagte Nein. Sie blieben jedoch bis zu seinem Tod 1996 eng befreundet. Ronnie erwähnt meine Mutter in seiner Autobiografie.
Als sie noch ein kleines Mädchen war, hörte Amy meine Mutter gerne von Ronnie erzählen, von der Jazzszene und all den Sachen, die sie angestellt hatten. Jazz hatte Amy immer gemocht; mit zunehmendem Alter fuhr sie richtig darauf ab. Ella Fitzgerald und Sarah Vaughan waren ihre frühen Lieblinge.
Besonders gefiel ihr eine Geschichte über Sarah Vaughan und Ronnie Scott, die ich ihr erzählte. Immer wenn Ronnie einen „großen Namen“ in seinem Club aufbot, lud er meine Mutter, Tante Lorna, meine Schwester, mich und wen immer wir mitnehmen wollten ein. Wir sahen fantastische Künstler – Ella Fitzgerald, Tony Bennett und viele andere. Aber am meisten beeindruckte mich Sarah Vaughan – sie war einfach wundervoll. Hinterher gingen wir in die Garderobe; da wartete eine Schlange von etwa sechs Leuten darauf, ihr vorgestellt zu werden. Als Mama an der Reihe war, sagte Ronnie: „Sarah, das ist Cynthia. Sie war meine Sandkastenliebe, und wir stehen uns immer noch sehr nahe.“ Sarah und meine Mama unterhielten sich zwei, drei Minuten, Sarah fragte Sachen wie: „Wo wohnst du? Was machst du so?“, es war ein nettes Gespräch.
Ich mit sechs Jahren mit meiner Mutter. Amy liebte meine Mutter genauso wie ich. Wir hörten oft stundenlang gemeinsam Jazzplatten an – so wie sie später mit Amy.
Dann war ich dran. Ronnie wandte sich zu mir: „Das ist Mitch, Cynthias Sohn.“
Und Sarah sagte: „Was machst du?“
Ich erzählte ihr von meinem Job im Kasino, wir plauderten ein paar Minuten über dies und jenes, und direkt nach mir wurde ihr als Nächster Matt Monro vorgestellt.
Ronnie sagte: „Sarah, das ist Matt Monro.“
Sarah antwortete einfach: „Und was machst du so, Matt?“
Sie hatte echt keine Ahnung, wer Matt Monro war. Das ist irgendwie typisch für amerikanische Künstler; sie sind recht engstirnig. Viele von ihnen wissen nicht, was außerhalb von New York oder L.A. los ist, geschweige denn in England. Matt tat mir ein bisschen leid, weil er in meinen Augen der beste britische Sänger aller Zeiten war – und er selbst war auch nicht gerade erfreut. Er verließ den Club und sprach nie mehr ein Wort mit Ronnie Scott.
Außer den Geschichten von meiner Mutter interessierte sich Amy auch für Musicals im Fernsehen, Filme mit Fred Astaire und Gene Kelly. Sie mochte Astaire lieber, weil sie ihn artistischer fand als den athletischen Gene Kelly. Sie liebte Broadway Melodie 1940, in dem Astaire mit Eleanor Powell tanzte. „Schau dir das an, Papa“, sagte sie. „Wie machen sie das nur?“ Mit dieser Szene begann ihre Leidenschaft fürs Stepptanzen. Amy sang regelmäßig für meine Mutter, und dann strahlte meine Mama. Als ihr größter Fan war sie überzeugt, Amy werde mal ein Star, und es war ihre Idee, sie mit neun Jahren auf die Susi Earnshaw Theatre School in Barnet in Nordlondon zu schicken, nicht weit von wo wir wohnten. Da gab es Kurse für Fünf- bis Sechzehnjährige. Amy ging jeden Samstag hin und lernte singen und Stepptanz.
Offensichtlich gefiel es ihr dort, sie freute sich jedes Mal unbändig, und anders als in der Osidge-Schule hörten wir bei Susi Earnshaw nie Klagen über ihr Benehmen. Susi selbst erzählte uns, wie hart Amy in den Kursen arbeitete. Man brachte ihr bei, ihre Stimme zu entwickeln, und daran lag ihr wirklich was, je mehr sie über die Sängerinnen lernte, die sie zu Hause und mit meiner Mutter hörte. Es faszinierte Amy, wie Sarah Vaughan ihre Stimme als Instrument einsetzte, und es machte ihr Spaß, zu lernen, wie das ging.
Von Beginn ihrer Zeit bei Susi Earnshaw an ging Amy zum Vorsingen. Mit zehn bewarb sie sich für das Musical Annie. Susi schickte nicht oft Mädchen zu solchen Castings. Sie sagte mir, Amy solle nur wegen der Erfahrung hingehen, die Rolle werde sie nicht kriegen, aber es sei gut für Kinder, das mal zu erleben – und sich an Absagen zu gewöhnen.
All das erklärte ich Amy, und sie verstand es; sie mochte die Show sowieso nicht. Aber sie wollte gerne hingehen und es versuchen. Mein großer Fehler war, meiner Mutter davon zu erzählen. Aus irgendeinem Grund konnten weder ich noch Janis Amy begleiten, und meine Mutter sprang nur zu gerne ein. Als ihr größter Fan glaubte sie, die Sache sei geritzt und das Vorsingen für Amy nur eine Formalität – ihre Enkelin werde die neue Annie. Ich glaube, sie kaufte sich sogar ein neues Kleid für die Premiere, so sicher war sie sich.
Als ich Amy abends sah, sagte sie als Erstes zu mir: „Papa, schick nie wieder Oma mit mir zum Vorsingen, nie wieder.“
Es hatte schon im Zug angefangen; meine Mama setzte Amy unter Druck, indem sie ihr Ratschläge erteilte. Wie sie ihr Lied singen und mit dem Regisseur sprechen sollte: „Tu dies nicht, tu das nicht, schau dem Regisseur in die Augen … „ Das alles hatte Amy schon bei Susi Earnshaw gelernt, aber natürlich wusste es meine Mama besser. Schließlich kamen sie im Theater an, wo laut Amy „Tausende“ Mütter, Väter und Großmütter waren und wie meine Mama dachten, ihr kleines Wunderkind müsse die neue Annie werden.
Schließlich war Amy an der Reihe und gab dem Pianisten ihre Noten. Er wollte sie aber so nicht spielen, weil das Lied für die Show in der falschen Tonart war. Amy mühte sich durch den Song, in einer für sie viel zu hohen Tonart, und nach ein paar Takten gab man ihr das Zeichen zum Aufhören. Der Regisseur war sehr nett und dankte Amy, sagte jedoch, ihre Stimme passe nicht zu der Rolle. Da drehte meine Mutter durch. Sie marschierte auf den Regisseur zu und brüllte ihn an, er habe keine Ahnung, wovon er spreche; es gab einen fürchterlichen Streit.
Im Zug nach Hause ging meine Mama dann auf Amy los; das Übliche: „Du hörst nicht auf mich, du weißt alles besser …“
Amy war die verpasste Rolle herzlich egal, aber meine Mutter war so verärgert, dass sie sich für den Rest des Tages ins Bett legte. Als Amy mir davon erzählte, musste ich lachen. Ich fand das urkomisch. Meine Mama und Amy glichen sich wie ein Ei dem anderen und hatten sich wahrscheinlich die ganze Heimfahrt lang angeschrien. Die Szene hätte ich gerne gesehen.
Amy und meine Mutter hatten eine lebhafte Beziehung, aber sie liebten sich, und meine Mama ließ den Kindern fast alles durchgehen. Wenn wir sie besuchten, föhnte Amy ihr oft die Locken (Mama war Friseurin), während Alex zu ihren Füßen saß und sie pedikürte. Wenn sie fertig war, kam meine Mutter oft und zeigte uns, „was Amy angerichtet hat“ – ihre Haare waren ein einziges Chaos. Wir lachten herzhaft; diese gemeinsamen Abende waren etwas Besonderes.
Im Frühjahr 1994, als Amy zehn war, brachte ich sie zum Aufnahmetest für ihre nächste Schule, Ashmole in Southgate, Nordlondon. Ich hatte diese Schule gut 25 Jahre zuvor besucht, außerdem ging Alex auch dorthin. Die Wahl lag also nahe.
Mein alter Klassenlehrer, Mr. Edwards, war tatsächlich noch da und sollte Amys Rektor werden. Zufällig war er es, der sie und mich befragte. Als wir in Mr. Edwards’ Büro traten, erkannte er mich sofort und sagte in seinem schönen walisischen Dialekt: „O mein Gott, nicht noch eine Winehouse! Ich wette, dieses Exemplar spielt nicht Fußball.“ Ich hatte mir als Fußballer für das Schulteam einen Namen gemacht, und Alex trat in meine Fußstapfen. Ich selbst war inzwischen aber mehr an die Anrede „Mr. Winehouse“ gewöhnt.
Amys Klassenfoto von 1994. Von einem Vater erwartet man natürlich, dass er das sagt – aber sie sticht wirklich sehr deutlich heraus. Vielleicht weil sie in der Mitte sitzt und ganz bewusst in die Kamera blickt.
Amy wollte auf die Ashmole-Schule, weil ich dort gewesen war und weil sie auf dieselbe Schule gehen wollte wie ihr Bruder. Im September 1994 fing sie dort an, aber es war nicht sehr viel anders als auf der Osidge. Sie störte von Anfang an den Unterricht. Auch ihre Freundin Juliette kam von Osidge nach Ashmole. Beide allein waren an sich schon schlimm genug, aber zusammen waren sie zehnmal schlimmer; kein Wunder also, dass man sie bald in verschiedene Klassen steckte.
Alex besaß jetzt eine Gitarre und hatte sich selbst das Spielen beigebracht, und als Amy es versuchen wollte, zeigte er ihr, wie es geht. Er war sehr geduldig, obwohl sie oft stritten, wie Bruder und Schwester das nun mal tun. Es überraschte mich, dass sie Noten lesen konnten. Ich fragte: „Wo habt ihr das gelernt?“, und beide starrten mich an, als spräche ich eine Fremdsprache. Amy schrieb bald eigene Songs – einige sehr gute, einige fürchterliche. Einer der guten hieß „I Need More Time“. Sie hat ihn mir erst ein paar Monate vor ihrem Tod wieder mal vorgespielt. Glaubt mir, er wäre gut genug für eines ihrer Alben gewesen; zu schade, dass sie ihn nie aufgenommen hat.
Ich holte die Kinder oft von der Schule ab; damals hatte ich ein Cabrio, und Amy bestand immer darauf, das Dach abzunehmen. Wenn wir dann so dahinfuhren, mit Alex vorne neben mir, sang sie, so laut sie konnte. An roten Ampeln stand sie auf und posierte. „Setz dich hin, Amy!“, forderten wir beide, aber sie sang weiter, und die Leute auf der Straße lachten.
Einmal war sie mit meinem Freund Phil im Auto unterwegs und sang das Lied „Deadwood Stage (Whip-Crack-Away!)“ aus dem Doris-Day-Film Calamity Jane. „Weißt du“, sagte Phil, als sie zurück waren und seine Ohren wahrscheinlich immer noch dröhnten, „deine Tochter hat eine echt kräftige Stimme.“
Amys Wildheit beschränkte sich nicht aufs Autofahren. Irgendwann verlegte sie sich darauf, mit Alex’ Rad zu fahren, was mir Todesangst einjagte, weil sie so leichtsinnig war. Sie hatte keinerlei Fahrgefühl und raste herum, so schnell sie konnte, überall. Sie liebte die Geschwindigkeit und fiel ein paarmal hin. Beim Eislaufen und Rollschuhfahren am Wochenende war es dasselbe – sie liebte es; und sie war echt schnell unterwegs. Ich weiß nicht, woher sie diese Leidenschaft hatte, aber sie blieb ihr für immer. Viel später, als schon ihr erstes Album erschienen war, erzählte sie mir, sie wolle irgend-wann mal eine Hamburgerkette mit Bedienungen auf Rollschuhen eröffnen.
Amy beim Sommerfest ihrer Schule, nachdenklich, aber immer noch in Rosa und natürlich mit Herz
Sie war zwar wild, aber ich war nachsichtig mit ihr; ich konnte nicht anders. Klar, dass ich nach der Scheidung von Janis die Kinder etwas verhätschelte, aber sie wurden nun mal größer und brauchten andere Sachen – andere Kleidung – als früher. Ich ging mit Amy zum Shoppen, um ihr neue Klamotten zu kaufen. Sie ging jetzt schließlich auf eine neue Schule und war fast schon ein Teenager.
„Schau, Papa“, sagte sie aufgeregt, als sie aus der Umkleidekabine kam, mit einer nagelneuen Jeans mit Leopardenmuster, „die ist fantastisch; findest du, dass sie mir steht?“
Immer wenn sie bei uns war, hatte Amy ein Buch dabei, in dem sie ständig Notizen machte; mitten im Gespräch sagte sie plötzlich: „Oh, Moment mal“, und verschwand, um was aufzuschreiben, was ihr gerade eingefallen war. Die Sachen sahen aus wie Gedichte, und später tauchte immer mal wieder eine Zeile in einem Song auf, neben anderen, die sie bei ganz anderen Gelegenheiten aufgeschrieben hatte.
Auch im Rechnen war Amy weiterhin ein Naturtalent, das hatte sie ja mit Janis geübt, als sie kleiner war und Janis sich auf ihr Pharmazieexamen vorbereitete. Janis stellte Amy ziemlich komplizierte Aufgaben, und sie hatte Freude daran, sie zu lösen. Stundenlang saß Amy an mathematischen Problemen, einfach so zum Spaß. Die Mathematik hat sie ihr Leben lang fasziniert. Sie meisterte komplizierteste Sudokurätsel in unglaublicher Geschwindigkeit.
Leider zeigte sie nichts davon in der Schule. Regelmäßig bekamen wir Klagen über Amys Benehmen und ihr mangelndes Interesse zu hören. Dass sie störte, lag natürlich daran, dass sie sich langweilte – der schulische Unterricht war einfach nicht ihr Ding. (Ich war genauso gewesen. Ich hatte regelmäßig geschwänzt, allerdings saß ich in der Bücherei und las, während sich meine Freunde auf der Straße herumtrieben.) Amys Wissensdurst war ungeheuer, aber sie hasste die Schule. Sie wollte einfach nicht hin. Also stand sie morgens nicht auf oder kam, wenn sie sich doch mal aufgerafft hatte, mittags heim und ging nicht wieder hin.
Als Baby und kleines Kind hatte Amy einen sehr festen Schlaf, aber mit etwa elf Jahren wollte sie nicht mehr ins Bett – sie las die ganze Nacht, löste Rätsel, sah fern, hörte Musik – alles, was sie vom Schlafen abhielt. Klar, dass es jeden Morgen ein Kampf war, sie wachzukriegen.
Janis hatte es irgendwann satt und rief mich an: „Deine Tochter will nicht aufstehen.“ Und ich fuhr den ganzen Weg von Chingford, wo Jane und ich wohnten, um sie aus den Federn zu kriegen.
Mit der Zeit wurde Amy in der Schule immer aufsässiger, und Janis und ich wurden wegen ihres Benehmens zu zahllosen Sprechstunden geladen. Ich hoffe, der Schulleiter hat nicht bemerkt, dass ich ein Kichern unterdrücken musste, als er sagte:
„Mr. und Mrs. Winehouse, Amy ist heute bereits zu mir geschickt worden, und wie immer wusste ich schon vorher, dass es sie ist …“
Wenn ich Janis angeschaut hätte, wäre ich in Lachen ausgebrochen.
„Woher ich das wusste?“, fuhr der Rektor fort. „Sie hat ‘Fly Me To The Moon‘ gesungen, so laut, dass es in der ganzen Schule zu hören war.“
Ich wusste, dass ich nicht lachen durfte, aber das war so typisch Amy. Später erzählte sie mir, dass sie immer „Fly Me To The Moon“ sang, um sich zu beruhigen, wenn es Ärger gab. Eigentlich richtig süß.
Das Einzige, was ihr in der Schule gefiel, waren Aufführungen. Einmal schaute ich mir eine Show an, in der sie sang. Ich weiß nicht, was da nicht stimmte – die falsche Tonart oder so was –, jedenfalls war sie nicht gut. Ich war enttäuscht, dachte mir aber: Zumindest kann sie spielen und tanzen. Im Jahr darauf lud sie Jane und mich wieder ein.
„Papa, kommt ihr mich in Ashmole anschauen?“, fragte sie. „Ich singe da wieder.“
Ehrlich gesagt, rutschte mir bei der Erinnerung an den letzten Auftritt das Herz in die Hose, aber selbstverständlich gingen wir hin. Sie sang „Ironic“ von Alanis Morissette. Und sie war fabelhaft; ich hatte ja gewusst, dass sie es draufhatte. Was mich überraschte, war die Reaktion der anderen Leute. Das gesamte Publikum horchte auf: Wow, was ist denn das jetzt?
Amy in Schale vor einem ihrer ersten Auftritte. Ihr Make-up wurde später deutlich besser.
Inzwischen war Amy zwölf und wollte ganz auf eine Theaterschule wechseln. Janis und ich waren dagegen, aber Amy bewarb sich bei der Sylvia Young Theatre School im Zentrum Londons und sagte uns erst Bescheid, als sie zum Vorsprechen eingeladen wurde. Woher sie die Schule überhaupt kannte, fanden wir nie heraus; Sylvia Young schaltete nur Anzeigen in der Zeitschrift The Stage. Amy sang „The Sunny Side Of The Street“, das ich mit ihr geübt hatte und bei dem ich ihr geholfen hatte, ihre Atemtechnik zu verbessern. Und sie errang ein halbes Stipendium, nicht nur für ihren Gesang, sondern auch für Spiel und Tanz. The Stage brachte einen Bericht mit Foto über ihren Erfolg.
Für die Bewerbung hatte Amy etwas über sich schreiben müssen. Sie schrieb Folgendes: