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Nur ein Kuss. Kein Licht. Keine Namen. Seit sechs Jahren hat Melinda keinen Mann mehr geküsst. Als die Studentin auf der Hochzeit einer Bekannten in einem dunklen Zimmer einem Fremden gegenübersteht, fasst sie den Entschluss, den Schritt aus ihrer Männer-Abstinenz zu wagen. Schließlich ist sie bereits einundzwanzig, die drei Regeln, auf die sie sich einigen, klingen harmlos und sie würde dem Unbekannten nie wieder begegnen. Leider scheint das Glück nicht auf Melindas Seite zu sein. Ein paar Tage später stellt sich der Mann, den sie im Dunkeln geküsst hat, als ihr neuer Chef heraus und obendrein als 'der' Playboy des Napa Valleys: Armando Pérez.
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Seitenzahl: 373
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Informationen zum Buch
Impressum
Widmung
Kapitel 1 - Armando
Kapitel 2 - Melinda
Kapitel 3 - Armando
Kapitel 4 - Melinda
Kapitel 5 - Melinda
Kapitel 6 - Armando
Kapitel 7 - Melinda
Kapitel 8 - Armando
Kapitel 9 - Melinda
Kapitel 10 - Melinda
Kapitel 11 - Armando
Kapitel 12 - Melinda
Kapitel 13 - Melinda
Kapitel 14 - Melinda
Kapitel 15 - Armando
Kapitel 16 - Melinda
Kapitel 17 - Melinda
Kapitel 18 - Armando
Kapitel 19 - Melinda
Kapitel 20 - Armando
Kapitel 21 - Melinda
Kapitel 22 - Melinda
Kapitel 23 - Armando
Kapitel 24 - Melinda
Kapitel 25 - Armando
Kapitel 26 - Melinda
Kapitel 27 - Melinda
Kapitel 28 - Melinda
Kapitel 29 - Armando
Kapitel 30 - Melinda
Kapitel 31 - Armando
Kapitel 32 - Melinda
Kapitel 33 - Melinda
Kapitel 34 - Armando
Kapitel 35 - Melinda
Kapitel 36 - Armando
Kapitel 37 - Melinda
Dank
Über die Autorin
C. M. Spoerri
Melinda
Dein Weg zu mir
New-Adult
Liebesroman
Dieses Buch lässt sich unabhängig von “Emilia: Dein Weg zu mir” lesen. Allerdings kommen darin altbekannte Charaktere des Napa Valleys wieder vor. ;-)
Melinda: Dein Weg zu mir
Nur ein Kuss. Kein Licht. Keine Namen.
Seit sechs Jahren hat Melinda keinen Mann mehr geküsst. Als die Studentin auf der Hochzeit einer Bekannten in einem dunklen Zimmer einem Fremden gegenübersteht, fasst sie den Entschluss, den Schritt aus ihrer Männer-Abstinenz zu wagen. Schließlich ist sie bereits einundzwanzig, die drei Regeln, auf die sie sich einigen, klingen harmlos und sie würde dem Unbekannten nie wieder begegnen.
Leider scheint das Glück nicht auf Melindas Seite zu sein. Ein paar Tage später stellt sich der Mann, den sie im Dunkeln geküsst hat, als ihr neuer Chef heraus – und obendrein als DER Playboy des Napa Valleys: Armando Pérez.
Die Autorin
C. M. Spoerri wurde 1983 geboren und lebt in der Schweiz. Sie studierte Psychologie und promovierte im Frühling 2013 in Klinischer Psychologie. Seit Ende 2014 hat sie sich jedoch voll und ganz dem Schreiben gewidmet. Ihre Fantasy-Jugendromane (›Alia-Saga‹, ›Greifen-Saga‹) wurden bereits tausendfach verkauft. Im Herbst 2015 gründete sie mit ihrem Mann den Sternensand Verlag.
www.sternensand-verlag.ch
1. Auflage, Februar 2017
© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2017
Umschlaggestaltung: Rica Aitzetmüller | Cover & Books
Lektorat / Korrektorat: Martina König
Illustrationen: Mirjam H. Hüberli
Satz: Sternensand Verlag GmbH
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nach-drucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
ISBN-13: 978-3-906829-39-5
ISBN-10: 3-906829-39-5
epub: 978-3-906829-38-8
Für dich
Bernstein. Nein. Gold. Flüssiges Gold, das die Kehle verbrannte, bis tief in mein Innerstes drang und dort ein wohltuend schmerzhaftes Glühen verursachte, das mich von dem ganzen Mist hier ablenkte.
Normalerweise gehörte ich nicht zur pseudotheatralischen Sorte Mann, aber heute war mir danach, irgendetwas gegen eine Wand zu schmeißen. Nicht das flüssige Gold. Nein. Das tat mir viel zu gut – war mein alter Freund, auf den ich mich immer verlassen konnte. Das Getränk würde ich keinesfalls gegen eine Wand schmeißen, denn dann hätte ich nichts mehr, was mich von dem Ort ablenkte, wo ich mich gerade befand. Von dem Grund, warum ich überhaupt hier war.
Sie waren doch alle gleich. Alle. Jede Frau, mit der ich bisher zusammen gewesen war (und das waren nicht wenige gewesen). Sie ließen sich von einem hübschen Gesicht und ein paar Komplimenten betören, von Muskeln beeindrucken, von Geld anlocken wie Fliegen von einem Stück … lassen wir das. Sie klimperten mit den Wimpern, lachten übertrieben schrill über Witze, genossen es, verwöhnt und beachtet zu werden – bis zu dem Moment, wenn ein Besserer dahergelaufen kam. Dann vergaßen sie mit einem Mal die Geschenke, die man ihnen gemacht hatte, ignorierten die Tatsache, dass ein Mann auch Gefühle hatte. Vielmehr trampelten sie mit ihren Stöckelschuhen darauf herum und warfen ihre Haare über die Schulter zurück, um dem Neuen zu zeigen, wie aufreizend sie sein konnten.
Gut, ich klang wie ein masochistischer Sexist – und wenn schon! Ich hatte es einfach dermaßen satt, immer nur die zweite Geige zu spielen. Immer derjenige zu sein, der gut für eine Nacht war (manchmal auch eine zweite, dritte, vierte) dann aber weggeworfen wurde wie benutztes Klopapier. Nur dass ich selbst sogar die Spülung betätigen musste, denn dazu fanden die Frauen natürlich keine Zeit mehr – schließlich galt es, den Nächsten zu beeindrucken.
Okay … ich wusste, dass ich der Frau, derentwegen ich hier war, ein wenig Unrecht tat. Emilia war nicht ganz so aufgeblasen und ignorant wie die anderen. Das war ja leider der große Knackpunkt. Seit Giulia war sie die erste Frau gewesen, in der ich mehr als einen One-Night-Stand gesehen hatte.
Ich hatte geglaubt, dass Emilia anders war. Ich hatte es in ihren Augen gesehen – einen flüchtigen Moment lang. Wir waren auf einer Wellenlänge gewesen, sie hatte mir ihren Kummer anvertraut. Aus unverbindlichem Flirten war Anziehung geworden, die womöglich weiter geführt hätte, als es bei den letzten zwanzig Malen der Fall gewesen war.
Hatte ich zumindest gedacht …
Und dann war sie dennoch zu diesem muskelbepackten Latino mit Zahnpastalächeln gerannt und hatte mich stehen lassen. Ich hatte sogar probiert, sie aufzuhalten, war aber gescheitert. Schließlich hatte ich einsehen müssen, dass ich wieder einmal zweite Geige spielte – dabei konnte ich nicht mal Noten lesen.
Verdrossen drehte ich das Brandyglas in meiner Hand, sodass das Gold im Halbdunkeln wieder funkelte.
Alkohol – er hatte mir schon immer geholfen, mich für Dinge zu wappnen, die ich in nüchternem Zustand nicht ertragen hätte. Ein Glück, dass ich selbst Weinhändler und Brandy eines meiner Steckenpferde war.
Ich schloss die Augen, während ich einen nächsten Schluck trank, der ebenso feurig wie der vorherige in meinen Mund und von dort in meinen Hals rann.
Frauen waren im Grunde genau wie Brandy in meinem Leben: kurzes Vergnügen und feurig im Abgang. Etwas für den Moment. Nichts für die Ewigkeit.
Himmel noch mal … ich sollte nicht zu viel von ihnen erwarten. Sollte ich wirklich nicht … und dennoch. Bei Giulia und bei Emilia hatte ich es getan. Das war eindeutig zweimal zu viel gewesen. Jetzt stand ich allein in einem dunklen Zimmer und tat mir selbst leid. Prima!
Als ich die Augen wieder öffnete, glitt mein Blick zu meinem Ringfinger, obwohl ich ihn im Halbdunkeln nicht wirklich sehen konnte. Aber ich wusste, dass die helle Stelle ohnehin weg war. Sie hatte etwa ein halbes Jahr gebraucht, um vollends zu verschwinden (nicht die Frau, die helle Stelle auf meiner Haut). Ich hatte den Ring ja auch beinahe zwei Jahre lang getragen – und hier im Napa Valley schien sehr oft die Sonne, die mich während der Ehe gebrandmarkt hatte. Einer kurzen, leidenschaftlichen Ehe … die damit geendet hatte, dass Giulia mit einem noch leidenschaftlicheren Europäer durchgebrannt war, der sie nach einem halben Jahr allerdings wieder sitzen gelassen hatte.
Sie war nach Napa zurückgekehrt, hatte eine Boutique eröffnet und sich erhofft, dass ich wie ein verliebter Welpe Männchen machte. Aber alles, was sie von mir erhielt, war die kalte Schulter. Ich hatte genug von ihr. Von allen Frauen.
Ich lehnte die Stirn gegen das kühle Glas der Fensterscheibe. Draußen war es bereits dunkel – ebenso wie hier drinnen (und ich meinte nicht nur den Raum). Ich hatte mich von der Party in eines der Gästezimmer des Weingutes geschlichen. Jetzt hörte ich die fröhliche Musik und die vielen Stimmen der Hochzeitsgäste nur noch gedämpft durch die geschlossene Tür.
Ich vermeinte, die Braut lachen zu hören. Ja, sie war glücklich. Emilia hatte ihr Glück gefunden. Und ich einmal mehr den Weg zu meinem alten Freund Alkohol.
Warum genau war ich eigentlich zu dieser Hochzeit gegangen? Als ich die Einladung erhalten hatte, schwankte ich zwischen einem Lach- und einem Wutanfall. Ich hatte erst gar nicht antworten wollen. Und dann … ein zerstörerischer Teil von mir wollte trotz allem hingehen. Wahrscheinlich musste ich es mit eigenen Augen sehen, um es zu glauben – und um mir selbst eine Ohrfeige zu verpassen, weil ich der Verlierer in diesem verdammten Spiel namens ›Liebe‹ war.
Einmal mehr schwor ich mir, was ich mir nach Giulias Abgang geschworen hatte: ab heute keine Beziehungen mehr. Ab jetzt verschloss ich mein Herz wieder hinter Gittern, deren Zwischenräume ich mit Beton abdichtete. Darüber zog ich einen roten Vorhang und leuchtete die Bühne davor mit Scheinwerfern und Discokugeln aus. Ich wollte nur noch Spaß haben. Mit Frauen, mit Alkohol, mit Geld. Egal womit, Hauptsache, ich tat es für mich. Für mich allein und sonst für niemanden.
Herrgott, ich war Mitte zwanzig, reich, sah nicht übel aus und sollte mich nicht griesgrämig in einem dunklen Zimmer verkriechen und selbst bemitleiden!
Und hier und heute sollte dieser Spaß wieder beginnen. Der Abend war noch jung und auf Hochzeitsfeiern trieben sich immer bedürftige Frauen herum, die in sich hinein seufzten, weil sie gern an der Stelle der Braut gewesen wären. Diesen Wunsch konnte ich ihnen zwar nicht erfüllen, aber sie dafür genügend von ihren Hochzeitsträumen ablenken – zumindest eine Nacht lang.
Entschlossen löste ich die Stirn von der Scheibe und prostete meinem Spiegelbild zu, das ich nur vage erkennen konnte, ehe ich das halb leere Glas in einem Zug austrank.
Danke, flüssiges Gold, auf dein Brennen ist immer Verlass.
Ich schüttelte mich, ehe ich das Brandyglas auf die Fensterbank stellte und mich umdrehte, um das Zimmer zu verlassen. Aber gerade als ich ein paar Schritte in den Raum hinein gemacht hatte, öffnete sich die Tür und das gedämpfte Licht des Ganges fiel auf den Boden. Es erreichte mich nicht, da ich auf der noch dunklen rechten Seite stand. Also konnten die zwei Frauen, deren Silhouetten sich jetzt gegen das Licht abzeichneten, mich auch nicht sehen. Zumal ich einen schwarzen Smoking trug.
Ich wollte mich zu erkennen geben, um sie nicht zu erschrecken, doch dann hielt ich mitten im Atemzug inne, denn was die eine Frau zur anderen sagte, führte dazu, dass ich mir beinahe übermenschliche Fähigkeiten zuschrieb.
Es war genau das, was ich mir vorhin geschworen hatte.
»Hör zu, Lin.« Die Stimme klang jung, fröhlich, verschwörerisch. »Das hier soll etwas Besonderes werden. Hab endlich mal Spaß. Mit Männern, mit Alkohol, mit Geld … egal womit. Aber komm mal aus deinem Schneckenhaus raus und feiere die Tatsache, dass du jung bist. Wenigstens heute.«
Ich konnte das Gesicht der Sprecherin nicht erkennen, ebenso wenig wie das der anderen Frau, aber sie waren beide schlank und kleiner als ich. Okay, das war nicht gerade verwunderlich, denn ich gehörte zu der Sorte Männer, die in der vordersten Reihe gestanden hatten, als Gott Größe und Muskelmasse verteilte.
»Ab morgen«, fuhr die Frauenstimme fort, »darfst du wieder die seriöse Studentin sein, die brav ihre Hausaufgaben macht. Aber heute wird endlich mal die Sau rausgelassen. Du bist auf einer Hochzeit und das hier ist ein Zimmer mit einem Bett.«
Die Frau namens Lin holte merklich Luft, um etwas einzuwenden, aber die erste schnitt ihr das Wort ab. »Nein, behalt deinen Protest für dich. Ich werde nun einen Mann holen, mit dem du hier und jetzt rumknutschen wirst. Du musst ja nicht gleich mit ihm schlafen, aber wenigstens eine von uns soll ihren Spaß auf dieser Hochzeit haben. Nutz es aus, dass du nicht in einer Beziehung steckst. Tu es auch für mich.« Sie beugte sich etwas nach vorn und ihre Stimme wurde leiser. »Ich habe gehört, dass sich einer der größten Playboys des Valleys auf dieser Hochzeit rumtreibt. Er wird bestimmt nichts gegen ein kleines Abenteuer haben. Und er soll gut sein. Sehr gut sogar.« Sie kicherte. »Mal sehen, ob ich ihn auftreiben kann.« Dann richtete sie sich wieder auf und fasste die andere Frau an beiden Schultern. »Und wehe, du haust ab oder machst hier drinnen Licht und zerstörst damit die ganze Atmosphäre! Du hast versprochen, heute etwas Unvernünftiges zu tun, und das wirst du jetzt auch.«
Damit drehte sie sich um und zog die Tür hinter sich zu.
Die bisher stumme Lin und ich waren jetzt allein in der Dunkelheit.
Ich zögerte. Es war klar, dass die erste Frau, die ihre Freundin zu dieser ›Unvernünftigkeit‹ überreden wollte, mich mit dem Playboy gemeint hatte. Sie wollte mich herholen. Nun … ich war schon da – das hatte sie allerdings nicht ahnen können. Also würde sie dort draußen vergebens nach mir suchen.
Diesen Ruf des Frauenhelden, der alles flachlegte, was nicht bei drei auf den Bäumen war, hatte ich mir selbst zuzuschreiben. Ich hatte nach der Scheidung von Giulia viele (sehr viele!) One-Night-Stands gehabt. Wohl zu viele, wenn diese Frau dort draußen meinte, ich wäre so etwas wie ein notgeiles Sexmonster, das über diese Frau hier drinnen herfiel, nur weil sie sie als Freiwild bezeichnete.
Was mich wieder zu der stummen Lin brachte, die immer noch irgendwo dort vorn bei der Tür stand – und die jetzt leise die Luft ausstieß.
»Boaaaah, was tust du nur?«, stöhnte sie und ich konnte es klatschen hören. Wahrscheinlich hatte sie sich mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen (ich hoffte zumindest, dass das Geräusch keinen anderen Grund hatte). »Du bist echt dämlich, dich auf so etwas einzulassen, hörst du? Dämlich bist du! Eine dämliche Kuh … Mann, ich sollte mich mal von Dad untersuchen lassen. Wahrscheinlich habe ich anstelle eines Gehirns eine Erbse im Kopf. Oder eine Himbeere … irgendetwas Weiches, das irgendwann zerquetscht worden ist von all der Dummheit darin …«
So sehr ich mich bemühte, ich konnte nichts dagegen tun, dass ich laut losprusten musste. Ich hatte mich eigentlich vorsichtig zu erkennen geben und sie möglichst behutsam darauf vorbereiten wollen, dass sie hier drinnen nicht allein war. Aber ihr Selbstgespräch, das einem wahren Redeschwall gleichkam, war einfach zu amüsant.
Sie stieß einen leisen Schrei aus, als sie mein Lachen hörte, und ich nahm schemenhaft wahr, wie sie zur Tür floh, um so rasch wie möglich aus dem Zimmer zu entkommen. Aber irgendwie fand ich diese Situation mit einem Mal viel zu spannend, um sie ungenutzt verstreichen zu lassen. Ich hatte mir schließlich geschworen, hier und heute noch Spaß zu haben. Und DAS hier versprach gerade eine Menge Spaß.
Mit einem Satz war ich bei der Tür und Lin prallte gegen mich, da sie fast gleichzeitig dort ankam. Ich packte sie an den Oberarmen, damit sie nicht hinfiel, aber sie stieß sich mit überraschender Kraft von mir ab und ich spürte im nächsten Moment ihre Fäuste auf meine Brust einhämmern. Natürlich tat sie mir kaum weh damit. Ich hatte zudem in meinem Leben schon ganz andere Schläge bekommen, um jetzt auch nur mit der Wimper zu zucken.
»Lassen Sie mich los!«, rief sie mit einer Spur Panik in der Stimme. »Oder ich schreie!«
»Und zerstörst damit die ganze Atmosphäre?«, zitierte ich ihre Freundin. »Bonita, das wäre doch zu schade …«
Ich nannte sie absichtlich nicht bei ihrem Namen, sondern verwendete den Kosenamen, auf den alle Frauen hier im Valley ansprangen. Alle bis auf die, die ich gerade in den Armen hielt. Denn sie verstärkte vielmehr ihre Bemühungen, von mir wegzukommen.
»Ich werde Sie anzeigen! Wegen sexueller Belästigung!«, empörte sie sich.
»Wenn ich deine Freundin richtig verstanden habe, bist du doch hier, um … na, nennen wir es nicht ›belästigt‹, sondern … verführt zu werden«, schmunzelte ich. Dabei ließ ich meine Stimme tiefer klingen, was den meisten Frauen eine Gänsehaut bescherte. Hoffentlich auch ihr.
Dieses Spiel gefiel mir mit jeder Sekunde besser. Eine Frau mit Feuer, die mir ausgeliefert war – und die mal etwas Abwechslung vertragen konnte … zumindest ihrer Freundin zufolge. Das könnte wirklich interessant werden.
Zu meiner Überraschung spürte ich ihr Knie gegen meinen Oberschenkel prallen. Ein Versehen, denn sie hatte bestimmt nicht auf meine Beine gezielt.
»Hey, Chiquitita, kein Grund, gewalttätig zu werden«, protestierte ich und drehte zum Glück schnell genug mein Becken weg, um einem zweiten Tritt auszuweichen.
Wow, diese Frau hatte wirklich Feuer in sich!
»Lassen Sie mich los!«, zischte sie erneut.
Ehe sie dafür sorgen konnte, dass ich mich doch noch auf dem Boden wälzte (und nein, nicht vor Lust, sondern vor Schmerzen), tat ich ihr den Gefallen und ließ sie frei. Ich konnte sie in der Dunkelheit heftig atmen hören. Sie hatte sich aber auch wirklich angestrengt, um von mir loszukommen. Etwas, das meinem Ego nicht gerade guttat – aber das kauerte ohnehin winselnd in einer der Zimmerecken und wartete auf die nächste Infusion Brandy.
»Wer sind Sie?«, wollte sie wissen, als sich ihre Atmung etwas beruhigt hatte.
Sie betätigte nicht den Lichtschalter und machte auch keine Anstalten mehr, aus dem Zimmer zu fliehen. Ob sie zu überrumpelt war oder doch noch den Reiz des Unbekannten zu genießen begann, war schwer zu sagen.
»Ich glaube, deine Freundin ist gerade auf dem Weg, um mich zu suchen.« Ich schenkte ihr ein breites Lächeln, das sie leider nicht sehen konnte.
»Der … Playboy?« Ihre Stimme war fast ein Flüstern, vermischt mit Ehrfurcht und einer Portion Ängstlichkeit.
Sie hatte wohl nicht damit gerechnet, mir so rasch gegenüberzustehen.
»Ja, ich werde zumindest ab und an so bezeichnet.« Ich konnte nichts dagegen tun, dass sich Verbitterung in meine Klangfarbe mischte. Aber ich hatte es mir ja selbst zuzuschreiben, dass mich die meisten hier im Valley so sahen.
»Oh …« Mehr brachte sie nicht hervor. Anscheinend war es ihr peinlich, dass ich das Gespräch mitbekommen hatte.
»Schon gut, wie man sich bettet, so liegt man.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und blickte auf sie hinunter.
Ein Teil von mir wollte unbedingt den Lichtschalter betätigen, um sie mir genauer anzuschauen. Aber ich musste ihrer Freundin recht geben: Das hätte die Atmosphäre und dieses Prickeln, das in der Luft lag, definitiv zunichtegemacht.
Stattdessen versuchte ich, mir ein Bild auf Grund ihrer Stimme und ihrer Silhouette zu malen. Ein Mädchen, vielleicht zwanzig, zweiundzwanzig Jahre alt. Helle Haare, wahrscheinlich blond, gute Figur. Die Tatsache, dass sie von ihrer Freundin hierher gebracht worden war, ließ darauf schließen, dass sie so etwas normalerweise nicht tat. Also war sie vermutlich eher unauffällig gekleidet – womöglich kaum geschminkt. Ein Mauerblümchen, wie es im Buche stand. Ein Mädchen, das seine ganze Kraft darauf konzentrierte, sich Kerle wie mich vom Leib zu halten.
Sehr spannend …
»Und? Was ist jetzt?«, fragte ich, als sie nichts anderes tat, als herumzustehen und wahrscheinlich auf ihrer Lippe zu kauen.
Sie hob den Kopf etwas an. »Was meinen Sie?« Sie klang gehetzt.
Ich verlagerte mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Deine Freundin hat etwas von ›rumknutschen‹ gesagt? Möchtest du?«
Dass ich so direkt war, lag daran, dass ich die Erfahrung gemacht hatte, dass überrumpelte Frauen sich meist mehr von mir gefallen ließen als solche, denen man zu viel Zeit zum Nachdenken gab oder die man mit Samthandschuhen anfasste. Meist. Ob diese Mauerblümchen-Señorita ebenso tickte, würde sich gleich herausstellen.
Auf meine Frage folgte weiteres Schweigen ihrerseits. Womöglich wog sie soeben das Für und Wider ab. Ich musste zugeben, dass es zwar seinen Reiz besaß, mit einer Fremden in der Dunkelheit herumzumachen, aber ich war – trotz meines Rufs – auch nicht gerade der Typ, der das auf seiner täglichen To-do-Liste stehen hatte. Für jemanden, der wie sie wahrscheinlich selten bis noch nie einen One-Night-Stand hatte, war es also eine Schippe gewagter.
Deswegen gewährte ich ihr die Zeit, die sie brauchte, um sich selbst einen Ruck zu geben. Sie wollte es – hatte es ihrer Freundin versprochen. Und ich war in der Stimmung, mit einer wildfremden Frau wild rumzumachen, um die anderen Frauen für ein paar Minuten vergessen zu können. Zudem war ich etwas beschwipst und meine Hemmschwelle entsprechend niedrig.
Die Alternative wäre, ein neues Brandyglas zu holen und womöglich einer glückstrahlenden Emilia über den Weg zu laufen … Nein, definitiv lieber hier und jetzt mit Mauerblümchen-Blondie fummeln.
Blieb nur abzuwarten, ob sie das ähnlich sah.
Ich kaute auf meiner Unterlippe herum, bis es wehtat.
Worauf hatte ich mich da nur eingelassen?
Als meine Studienfreundin und Mitbewohnerin Susan mich hierhergeschleppt hatte, hatte ich nicht gewusst, was sie plante. Sie war von ihrer Bekannten namens Emilia zu deren Hochzeit eingeladen worden. Eigentlich wäre Susans Freund ihr Plus Eins gewesen. Da sich der angehende Geologe aber gerade auf einer Exkursion befand, hatte Susan mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, sie zu begleiten, da sie ansonsten allein hätte gehen müssen.
Die dumme, hilfsbereite Melinda hatte natürlich ›Ja‹ gesagt.
Tja, und jetzt stand ich da, in einem dunklen Zimmer vor einem dunkel gekleideten Hünen von einem Mann, der mit mir rumknutschen wollte … DAS hatte ich mir definitiv nicht vorgestellt unter ›Susan zu einer Hochzeit begleiten‹. Aber meine Freundin hatte es schon immer darauf angelegt, meine Angst vor Kerlen therapieren zu wollen – ich war quasi ihr Studienobjekt Nummer eins, denn sie wollte später einmal Psychologin werden.
Ich konnte nichts dafür, dass Männer mir Angst einjagten. Sie waren meist größer als ich, rochen gut und … hatten einen Penis. Vor dem hatte ich am meisten Angst. Nun ja, also nicht vor dem Penis selbst. Als Tochter eines Arztes wusste ich über alles Bescheid, was den menschlichen Körper anging. Ich war schon im zarten Alter von sieben Jahren darüber aufgeklärt worden und konnte seither keine Biene mehr auf einer Blüte ansehen, ohne an ihren Stachel zu denken (danke, Dad … normalen Kindern wurde das mit Blütenstaub und so beigebracht … mir natürlich nicht). Meine Angst hatte aber nicht mit Bienen und ihrem Stachel zu tun, sondern damit, was Männer mit ihrem Pendant anstellen konnten.
Mein Vater nannte es ›Trauma‹. Er war nicht nur Arzt, sondern Psychiater und analysierte alles und jeden, der ihm über den Weg lief. So auch natürlich mich, seine einzige Tochter, die mit fünfzehn Jahren nach einer Party weinend nach Hause gekommen war. Mein damaliger Freund Ramón, der die Party geschmissen hatte, hatte versucht, mit mir im Zimmer seiner Eltern zu schlafen. Seither hielt ich mir Männer vom Leib … bereits sechs beeindruckende Jahre lang.
Und jetzt stand so ein gut riechender Typ vor mir und wollte …
Mann! Warum bloß hatte ich Susan versprochen, heute noch etwas Verrücktes zu tun? Weil morgen das Semester wieder begann, okay. Aber hätte ich nicht einfach einen Shot trinken oder auf dem Tisch tanzen können (ja, sogar das wäre eine bessere Alternative als das, was mir gerade bevorstand …)?
»Hör zu«, unterbrach der Fremde meine Gedanken, als ich ewig nicht antwortete. »Wir können auch einfach da rausgehen und es sein lassen. Aber so wie ich deine Freundin verstanden habe, wäre das … schade.«
Ich konnte im Halbdunkeln erkennen, wie er den Kopf schief legte. Es juckte mir in den Fingern, Licht zu machen und mir diesen Playboy genauer anzuschauen. Aber ein kleiner, dämlicher Teil von mir erwachte gerade zum Leben und fand diese Situation mit jeder Sekunde spannender.
Was wäre schon dabei, mit einem wildfremden Kerl rumzuknutschen? Er wusste nicht, wer ich war, und ich kannte ihn ebenfalls nicht. Wir würden uns nie wiedersehen, wenn wir das nicht wollten.
»Eine Bedingung«, hörte ich mich selbst sagen und erschrak ob meiner eigenen Worte.
Hatte ich gerade zugestimmt, ihn zu küssen? So ein Mist …
Ich räusperte mich, ehe ich fortfuhr: »Nur ein Kuss, nicht mehr.«
Der Fremde schnaubte leise, wahrscheinlich grinste er gerade. Auf jeden Fall klang seine Stimme amüsiert. »Keine Sorge, Bonita, ich bin nicht der Typ, der Katzen im Sack kauft. Ehe wir Schritt zwei machen, möchte ich wissen, wen ich vor mir habe – und dazu brauchen wir Licht.«
Ich spürte eine Gänsehaut bei seinen Worten.
»Nein!« Ich rief das Wort beinahe und atmete tief durch. »Nein«, wiederholte ich leiser. »Kein Licht. Und … keine Namen.«
Zum Glück hatte Susan nur meinen Spitznamen genannt. Er wusste also nicht, wie ich hieß.
»In Ordnung.« Ich konnte sehen, wie er nickte. »Dann soll das hier geheimnisvoll bleiben. Keiner von uns beiden wird wissen, wer der andere war. Wir knutschen ein wenig rum, erfüllen damit den Wunsch deiner Freundin, dich vom Mauerblümchen-Dasein zu erlösen – oder was auch immer hinter eurem Plan steckt. Danach trennen sich unsere Wege. Wenn ich mir das so recht überlege, eigentlich ziemlich prickelnd, findest du nicht? Wir könnten uns morgen im Supermarkt begegnen und würden nicht wissen, dass wir uns schon geküsst haben.«
Er machte eine Pause, erwartete wohl von mir, dass ich ihm zustimmte.
Ich tat es nur insgeheim.
Ja, okay. Er hatte recht – es war wirklich eine ziemlich prickelnde Vorstellung. Und vor allem ziemlich verrückt … es war wohl das Verrückteste, was ich in meinem bisherigen Leben getan hatte. Susan würde beeindruckt sein und mich endlich nicht mehr therapieren wollen. Das war es wert, diesen fremden Kerl da vor mir zu küssen.
»Also gut«, fuhr er fort, als ich ihm keine Antwort gab. »Danach wirst du das Zimmer als Erste verlassen. Ich warte fünf Minuten, ehe ich ebenfalls rausgehe. Das gibt dir Zeit, zu überlegen, ob du mich wirklich nicht sehen willst. Ich sehe nicht sooo übel aus, wie du vielleicht denkst.«
Ich musste unwillkürlich lächeln. »Ich denke im Moment gar nichts über dich. Nur, dass du ein Playboy bist. Und ja, dann musst du eigentlich auch gut aussehen …«
Mist, jetzt dachte ich DOCH über sein Aussehen nach …
Ich hörte ihn leise lachen. »Also, dann haben wir einen Deal?«
Zögernd nickte ich und schickte dann ein leises »Ja« hinterher, da ich nicht sicher war, ob er mich nicken gesehen hatte.
Ehe ich überlegen konnte, wie wir den Kuss beginnen würden und was ich zu tun hatte, fand ich mich in seinen Armen wieder.
Wow, der Kerl war schnell – und stark …
»Na dann«, raunte er nahe vor meinem Gesicht.
Sein Körper war wirklich breitschultrig, ich konnte seine harten Brustmuskeln spüren, als ich meine Hände darauflegte, um an seinen Schultern Halt zu suchen. Er schien gut gebaut zu sein und einen Anzug zu tragen. Der feine Stoff wirkte edel unter meinen Fingern.
Als er so nahe bei mir war, dass ich seinen Atem auf meiner Haut fühlte, drang mir sein Parfum in die Nase. Er roch wirklich gut … aber auch nach Alkohol, hatte wohl Brandy getrunken. Diesen Geruch kannte ich von meiner Mutter … sie trank ihn wie andere morgens ihren Kaffee.
Ich spannte mich an, als ich seinen Atem über meinen Mund streifen spürte. Er hatte einen Arm um meine Taille gelegt, die andere Hand ruhte in meinem Nacken. Wie bei einem Filmkuss beugte er mich etwas nach hinten, hielt mich aber so fest, dass ich keine Angst hatte, auf den Boden zu fallen.
Dann legte er seine Lippen auf meine. Sanft, warm. Er bewegte sie ein bisschen, so lange, bis ich selbst den Mut fand, meinen Mund zu öffnen. Seine Zunge strich langsam über meine Unterlippe, ehe sie begann, sich forschend weiter vorzutasten.
Oh Mann, fühlte sich das gut an … beängstigend gut. Dieser Kerl konnte vielleicht küssen … nicht wie …
Ich spürte, wie ich beim Gedanken an meinen Exfreund unwillkürlich zu zittern begann und mein alter Fluchtreflex sich meldete.
Was, wenn der Fremde trotz unseres Deals weitergehen wollte? Was, wenn er mich angelogen hatte wie damals Ramón?
Unbewusst hielt ich die Luft an, als der Unbekannte mich wieder in eine aufrechte Position brachte und sein Gesicht etwas von meinem entfernte.
War es das schon? War ich jetzt erlöst?
»Das war doch gar nicht mal so schlecht«, murmelte er. »Aber ich bin sicher, du kannst das besser.«
Er irrte sich … ich hatte seit sechs Jahren nicht mehr mit einem Mann geknutscht … sechs lange Jahre. Ich wusste nicht einmal, ob ich es richtig machte – konnte man Küssen verlernen? Wahrscheinlich schon. Ich auf jeden Fall.
Ehe ich es mich versah, hatte er mich mit sich zum Bett gezogen, das ich schemenhaft hinter ihm wahrnehmen konnte. Ich wehrte mich reflexartig gegen seinen Griff, versuchte, von ihm loszukommen.
»Was wird das?«, rief ich panisch.
»Keine Sorge, ich werde dich nicht vergewaltigen.« Seine Stimme war in den letzten Sekunden tiefer geworden. Wärmer. Intensiver … beängstigender.
Ich spürte, wie meine Wangen zu glühen begannen. Wahrscheinlich führte ich mich gerade wie die größte Idiotin auf. Aber vor meinem inneren Auge lief der ganze Abend damals auf der Party im Zeitraffer ab.
Der Alkohol, Ramóns nasse Küsse, seine Hände, die gierig meine Brüste berührt hatten … obwohl ich »Nein« rief, hatte er weitergemacht, hatte mich ausziehen wollen …
Mit aller Kraft versuchte ich, gegen die Bilder anzukämpfen. Die Gefühle zu unterdrücken, die in mir überhandnehmen wollten.
Das hier war nicht Ramón. Der fremde Mann und ich hatten eine Abmachung. Er hatte versprochen, es nur bei einem Kuss zu belassen …
Warum zog er mich dann gerade zu sich aufs Bett?!
Meine Alarmglocken schrillten so hell, dass ich mir am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Mit einem Mal sah ich nur noch rot, wollte nur noch weg von hier.
Ich trat ihm gegen das Schienbein, sodass er laut aufstöhnte. »Lass mich los!«, rief ich und spürte mit Erleichterung, dass er mich wirklich freigab.
»Verdammt, Mädchen, was soll das?«, keuchte er. »Ich wollte doch nur …«
»Ich weiß genau, was du wolltest!«, schnauzte ich ihn an. »Aber so eine bin ich nicht!« Dann wirbelte ich herum und rannte zur Tür.
Ich konnte hören, wie er sich vom Bett erhob und mir wahrscheinlich folgen wollte. Aber das würde ich zu verhindern wissen. »Wenn du dich mir noch einmal näherst, rufe ich um Hilfe!«, zischte ich und sah mit Genugtuung, wie seine dunkle Silhouette stehen blieb.
Endlich fand meine Hand die Türklinke, drückte sie nach unten und ich verließ fluchtartig das Zimmer. Ich wurde vom warmen Kerzenlicht empfangen, das der kleine Kronleuchter spendete, der im Gang hing.
So rasch ich konnte, rannte ich zurück zu den anderen Gästen – und stieß mit Susan zusammen, die wohl auf dem Weg zu mir gewesen war, um mir mitzuteilen, dass sie den Playboy nicht gefunden hatte.
Wie auch? Er war die ganze Zeit bei mir gewesen …
»Lin, was ist denn los?«, fragte sie, während sie die Arme um mich schloss. »Mensch, du zitterst ja … alles in Ordnung?«
Es fühlte sich so gut an, von jemandem in den Arm genommen zu werden, der mich nicht vergewaltigen wollte, dass mir ein Schluchzen entfuhr. Ehe ich es verhindern konnte, schossen mir die Tränen in die Augen. Es kam mir vor, als hätte ich das alles mit Ramón erst gestern erlebt. Die ganzen Gefühle waren wieder da. Die Hilflosigkeit, die Scham, die Angst … vor Ramón, vor Männern.
»Ich muss hier weg«, schluchzte ich an ihrer Schulter. »Bring mich bitte von hier weg.«
»Natürlich.« Ich spürte, wie sie nickte, und war ihr unendlich dankbar dafür, dass sie keine weiteren Fragen stellte. »Komm, wir gehen.«
Sie legte einen Arm um meine Schultern und schob mich durch die Partygäste, die inzwischen ausgelassen tanzten und es uns damit erschwerten, einen Weg durch die Menge zu finden. Als wir endlich beim Ausgang ankamen, hörte ich hinter uns einen Mann meinen Namen rufen.
»Lin! Lass uns darüber reden!«
Ich erstarrte kurz, aber da schob mich Susan bereits durch die Tür. Als ich einen Blick über die Schulter riskierte, konnte ich ihn sehen: einen hochgewachsenen Kerl mit dunkelblondem, verwuscheltem Haar und faszinierenden Augen, die gerade verzweifelt die Menge nach mir absuchten.
Mist, er sah wirklich gut aus.
Einen Moment lang war ich versucht, mich ihm zu erkennen zu geben und mir seine Erklärungen anzuhören. Er wirkte zwar wie ein Playboy, aber nicht wie ein Vergewaltiger. Aber dann schloss Susan die Tür hinter uns und sein Gesicht verschwand.
Tschüss, Mister Unbekannt. Ich hoffe, wir sehen uns nie wieder …
Auf jeden Fall würde ich morgen Supermärkte meiden …
»Scheiße!«, fluchte ich, als ich auf den Innenhof des Weingutes stürzte und gerade noch die Lichter eines Autos sah, das mit voller Geschwindigkeit davonfuhr. »So eine verdammte Scheiße!«
»Was ist denn los?«
Na prima, ausgerechnet der Bräutigam hatte mir folgen müssen.
Ich knurrte in mich hinein und drehte mich zu ihm um. Sein Latino-Gesicht war wie aus dem Ei gepellt – zum Kotzen. Was fand Emilia bloß an ihm?
»Nichts«, brummte ich.
»Für ›nichts‹ fluchst du aber ganz schön«, bemerkte der dunkelhaarige Kerl und legte den Kopf schief.
»Geht dich nichts an, García.« Ich ging an ihm vorbei zurück ins Haus … wo mir – wie könnte es auch anders sein – die glückstrahlende Emilia entgegenkam.
Sie sah wunderschön aus in ihrem schlichten weißen Kleid, das ihre Figur betonte und ihre dunklen Haare noch dunkler erscheinen ließ. Ich war froh, dass ich sie nicht während der Zeremonie hatte sehen müssen, da diese im engsten Familien- und Freundeskreis stattgefunden hatte. So hatte ich Emilia nur hier bei der Party aus der Ferne kurz bewundert, ehe ich mich mit dem Brandy ins Gästezimmer verkrochen hatte.
»Armando!« Sie musste ihre Stimme erheben, da der Lärmpegel hier drinnen durch die Musik und die angeregt plaudernden und lachenden Gäste sehr hoch war. Ehe ich an ihr vorbei und zu meinem Ziel (dem Barkeeper mit dem teuren Brandy) gehen konnte, legte sie mir eine Hand auf den Unterarm. »Was sollte das gerade? Warum sind die zwei Frauen so eilig aufgebrochen?«
Ich schloss kurz die Augen, um mich selbst daran zu hindern, ihr ebenso eine patzige Antwort wie ihrem frischgebackenen Ehemann zu servieren. »Es ist nichts passiert«, sagte ich und ergriff ihre Hand, um sie von meinem Arm zu lösen. »Ich werde jetzt gehen. Danke für die Einladung – ich wünsche euch alles Gute.«
Ihre dunklen Augen ruhten auf mir. Ich sah ihr an, dass sie etwas sagen, nachhaken wollte. Mit einem leichten Kopfschütteln gab ich ihr zu verstehen, dass ich wirklich nicht in der Stimmung für ein Verhör war.
»Also gut«, nickte sie und trat einen Schritt von mir zurück. »Danke, dass du da warst. Wegen dem Jungwein werden wir noch sprechen, wenn wir aus den Flitterwochen zurück sind.«
In dem Moment trat der Bräutigam zu ihr und legte demonstrativ einen Arm um ihre Taille.
Ich erwiderte seinen messerscharfen Blick und nickte ihm knapp zu. »Adiós.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging ich wieder zur Tür und ließ sie hinter mir ins Schloss fallen. Die kühle Abendluft hieß mich willkommen, legte sich auf mein erhitztes Gemüt. Meine Ohren dröhnten noch von der Musik und dem lauten Gelächter der Gäste. Mein Kopf war etwas benebelt von dem Brandy und dem Kuss mit der Unbekannten, von der ich nur die Rücklichter ihres Autos gesehen hatte.
Was für ein Reinfall. Ich würde nicht so rasch wieder auf eine Hochzeitsfeier gehen …
Als ich am nächsten Morgen erwachte, hämmerte mein Kopf, als hätte er sich über Nacht in einen Schmiedeamboss verwandelt. Ich stöhnte.
Nein, das war nicht nur auf den Brandy bei Emilias Hochzeitsfeier zurückzuführen, sondern auf die Tatsache, dass ich versucht hatte, den Abend in meiner Lieblingsbar hier im Napa Valley – Henry’s Cocktail Lounge – zu vergessen. Mit genügend Alkohol ließ sich das meiste Negative aus meinem Leben spülen. Leider musste ich aber auch die Konsequenzen am nächsten Tag tragen …
»Was ist?«, erklang eine verschlafene Frauenstimme neben mir.
Ah, stimmt, ich hatte diese Deborah (oder Diana?) gestern in der Bar kennengelernt – und kurzerhand mit nach Hause genommen. Noch so eine Angewohnheit von mir: Sex dafür zu nutzen, die restlichen Gefühle zu betäuben, die der Alkohol nicht vertrieben hatte.
Ich warf einen Blick zu dem nackten Frauenrücken, der sich gerade in meinen Satinlaken räkelte, und runzelte die Stirn. War sie gestern nicht blond gewesen? Ich hatte doch nach einer Blondine gesucht, die ähnlich aussah wie die Unbekannte, die ich geküsst hatte … dabei wusste ich nicht einmal, ob diese tatsächlich blond gewesen war. Ich hatte es nur vermutet …
»Steh auf«, sagte ich zu Deborah (ja, ich glaubte, sie hieß wirklich so) und schubste sie an. »Zeit für dich, zu gehen.«
Und Zeit für mich, ein paar Aspirin einzuwerfen.
Sie drehte sich zu mir um (okay, gestern hatte sie viel, viel besser ausgesehen!) und blinzelte verschlafen. »Echt? Du wirfst mich raus?« Sie klang nicht verärgert, bloß erstaunt.
»Ja.« Ich nickte mit Nachdruck. »Das war die Abmachung, oder? Nur ein One-Night-Stand, kein Frühstück.«
Sie runzelte die Stirn, während sie sich wohl zu erinnern versuchte. Dann nickte sie ebenfalls. »Ach ja, stimmt.«
Entweder war Deborah ziemlich dumm (danke, Alkohol, dass du mich das gestern nicht hast merken lassen) oder ebenso verkatert wie ich. Sie schälte sich aus den Laken und erhob sich schwankend, um ins Bad zu gehen. Ich sah ihr hinterher. Immerhin hatte ich mir ihre gute Figur nicht schön getrunken.
Ich erhob mich ebenfalls, um Aspirin zu holen. Die Packung hatte ich in weiser Voraussicht immer direkt neben der Kaffeemaschine in der Küche liegen.
Mein Apartment war stilvoll und modern eingerichtet, das meiste in Schwarz, Weiß und Grau gehalten, mit kleinen Farbakzenten. Ich konnte es mir leisten, schließlich hatte mein Vater mir ein großes Vermögen vererbt – und sein Weingeschäft.
Während ich mir einen Kaffee gönnte, winkte ich Deborah zu, die sich mit einem »Mach’s gut« von mir verabschiedete. Ich bot ihr keinen Kaffee an. Das tat ich nie bei meinen Eroberungen. Das führte dazu, dass man miteinander sprechen musste, weil sich das heiße Getränk nicht so schnell wie Alkohol runterkippen ließ. Und das wiederum führte dazu, dass man sich näher kennenlernte … denn Frauen wollten nach einer Nacht immer über persönliche Sachen sprechen. Ich nicht. Also kein Kaffee für Frauen am Morgen – ja, ich konnte ebenso sehr ein Arschloch sein, wie ich es perfektioniert hatte, Frauen um den Finger zu wickeln.
Sie verfielen mir meist innerhalb weniger Minuten …
Meist …
Meine Gedanken wanderten wieder zu der Unbekannten, die ich gestern so vehement versucht hatte zu vergessen. Sie war so schüchtern gewesen … hatte so unbeholfen geküsst, als hätte sie es noch nie getan. Und dennoch war da dieses Feuer in ihr, das ich für einen kurzen Moment gefühlt hatte.
Wer sie wohl war?
Ja, wir hatten einen Deal: keine Namen, kein Licht.
Aber – ich kannte ihren Namen. Ihrer Freundin sei Dank.
Lin.
War es eine Abkürzung? Oder war sie vielleicht Asiatin?
Ich könnte Emilia fragen – schließlich war Lin eine ihrer Hochzeitsgäste gewesen. Aber dann müsste ich mit Emilia sprechen. Nein, das ging mir definitiv gegen den Strich. Ich würde mit ihr sprechen, wenn sie zurück aus ihren Flitterwochen war. Aber nicht über andere Frauen, nur über Wein.
Dann lieber ein Leben lang darüber nachdenken, wer diese Lin hätte sein können. Vielleicht hatte sie ja auch abstehende Ohren und eine Schweinchennase … oder war noch minderjährig. Dann wäre es besser, wenn ich nicht wüsste, dass ich mit ihr geknutscht hatte.
Während ich noch über die Unbekannte nachdachte, ging ich in mein Arbeitszimmer, das neben dem Fitnessraum, dem Schlafzimmer, der offenen Küche mit dem Wohnzimmer und dem großzügigen Bad den letzten Raum in meinem Apartment darstellte. Dort plante ich die meisten Geschäfte, denn meinen Laden ein paar Blocks weiter öffnete ich nur zwischen fünfzehn und neunzehn Uhr. Die wenigsten meiner Kunden kamen für Degustationen oder ein Pläuschchen vorbei – der Großteil des Weinhandels lief über den Online-Shop.
Als mein Vater noch lebte, war das anders gewesen. Da hatte es täglich eine Menge Menschen in den Laden gezogen, den er mit viel Liebe zum Detail eingerichtet hatte. Ich selbst hatte das Geschäft nach seinem Tod umgebaut und modernisiert. Hellere, freundlichere Räume eingerichtet sowie einen kleinen Weingarten im Hinterhof, den jedoch selten jemand nutzte. Der Grund dafür war, dass ich zu ausgelastet mit den Online-Geschäften war, um mich mit der gleichen Hingabe dem Laden zu widmen wie mein Vater. Viele seiner Kunden hatten daher zu anderen Weinhändlern gewechselt. Dafür hatte ich aber auch einige online dazugewonnen.
Ich fragte mich oft, wie Dad das damals alles geschafft hatte … mich großzuziehen, den Laden zu schmeißen – alles allein. Denn meine Mom war schon früh bei einem Autounfall gestorben. Ein Schicksalsschlag, den mein Vater nie überwunden und der uns noch weiter als ohnehin schon voneinander entfernt hatte. Wahrscheinlich hatte ich die Angewohnheit, Schmerz in Wein zu ertränken, von ihm abgeschaut. Er hatte das auch immer gemacht, wenn er zu sehr an Mom erinnert worden war. Ebenso wie mein Onkel, der nach dem Tod seiner Schwester nach Europa auswanderte. Zum Glück. Ich hatte ihn nie leiden können – er hatte mich wie den letzten Dreck behandelt und wegen jeder Kleinigkeit bestraft. Ohne dass Vater oder Mutter irgendetwas dagegen unternommen hätten.
Nein, ich konnte nichts dafür, dass ich nie wirklich gelernt hatte, mit Problemen umzugehen. Das redete ich mir zumindest ein, um mich nicht vollends wie ein Versager zu fühlen.
Ich wusste, wie die Bewohner von Napa über mich sprachen. Was sie von mir dachten.
›Vögelt sich lieber durch das Valley, als das Erbe seines Vaters zu ehren.‹
›Wird den Laden ruinieren.‹
›Wenn er ebenso gut verkaufen wie trinken könnte, wäre er ein guter Geschäftsmann.‹
Sie trauten mir nichts zu. Gar nichts.
Und sie hatten nicht ganz unrecht damit, dass ich den Laden ruinieren würde.
Leider. Ich war nämlich auf dem besten Weg dahin.
Ich spürte, wie mir das alles über den Kopf wuchs. Am Anfang hatte ich geglaubt, dass ich das Geschäft ohne Probleme weiterführen könnte. Ich war mit dem Weinhandel groß geworden, hatte schon als Jugendlicher ein Faible für den roten Traubensaft entwickelt und Vater im Laden geholfen.
Doch gleichzeitig mit dem Bewusstwerden, dass Vaters Fußstapfen sehr, sehr groß waren, war Giulia in mein Leben getreten – und mit ihr mein Hang, einen über den Durst zu trinken. Er hatte sich langsam eingeschlichen und war dann immer stärker geworden. Bis ich nach der Scheidung jeden Abend mindestens zwei Flaschen Wein oder stärkeren Alkohol vernichtet hatte.
Ja, ich hatte ein Alkoholproblem. Aber ich gab nicht nur Giulia die Schuld. Ich wusste, dass es andere Wege gegeben hätte, mit Problemen umzugehen. Aber leider wusste ich auch, dass ich meine Probleme in der roten Flüssigkeit ertränken konnte, und es half mir, nicht nur über Giulia und die Scheidung hinwegzukommen sondern auch, mir nicht ständig bewusst machen zu müssen, dass ich ein Versager war. Hinzu kam der Sex mit unzähligen Frauen, der mein Selbstbewusstsein stärkte.
Aber tief in meinem Inneren war mir bewusst, dass ich das Problem damit nur noch größer machte, weil ich die Augen vor den Tatsachen verschloss.
Wenn ich bloß jemanden hätte, der sich um die Weindegustationen und den Verkauf im Laden kümmern würde, dann wäre das schon eine echte Hilfe. Aber Angestellte bedeuteten weiteren Aufwand … und ich müsste mir eingestehen, dass ich es nicht allein schaffte. Dass ich nicht …
Ach scheiß drauf! Ich musste mir eingestehen, dass ich es nicht allein schaffte. Es war an der Zeit, aufzuhören, sich mit falschem Stolz selbst aufzuhalten. Stolz konnte man nur auf etwas sein, das man erschafft hatte. Nicht auf etwas, das man gerade in den Sand setzte. Und ich war dabei, den Laden in den Sand zu setzen. Mit jedem Tag ein Stückchen mehr …
Nein, ich würde den Leuten nicht die Genugtuung geben, dass sie recht hatten. Ich würde kämpfen.
Während ich den letzten Schluck meines Kaffees nahm, fasste ich einen Entschluss (schon wieder): Ich würde jemanden für die Degustationen und den Verkauf im Laden einstellen. Wenn das gut lief, könnte ich mir überlegen, jemanden für den Vertrieb und die Buchhaltung zu suchen. Dank dem Abendkurs, den ich vor einigen Monaten besucht und erfolgreich beendet hatte (das war einer der Anläufe gewesen, aus meiner Hilflosigkeit rauszukommen), hatte ich zwar eine Menge dazugelernt, aber ich wusste auch, wo meine Stärken lagen: im Einkauf. Ich hatte ein besonderes Gespür für Weine, die meinen Kunden schmeckten. Der diesjährige Dos Santos war ein Bestseller geworden. Ein Grund, warum ich immer noch Kontakt mit Emilia und ihrem Weingut hatte. Auch wenn sie nun García hieß, hatte sie den Namen ihres Weingutes nicht geändert …
Nein, nicht an Frauen denken – sondern an das Geschäft!
Ich setzte einen Flyer auf, in welchem ich die Anforderungen für den Job, den ich anbot, genau auflistete. Ich würde ihn im College aushängen. Dort gab es genug Studenten, die nach einem Nebenjob Ausschau hielten – und wenn ich Glück hatte, würde sich jemand melden, der sich prima mit Weinen auskannte. Im Napa Valley College wurde dies unter anderem als Fachrichtung angeboten.
Als ich mit dem Flyer fertig war, war ich beinahe stolz auf mich: Ich würde es Emilia gleichtun und das Erbe meines Vaters retten. Ja, ich spürte, dass das hier der Weg war, den ich gehen musste. Zum ersten Mal in meinem Leben tat ich wahrscheinlich das Richtige und zog nicht feige den Schwanz ein.
»Jetzt schlag ihn dir doch einfach aus dem Kopf. Ich gebe es ja zu: Es war eine dumme Idee von mir, dich in dieses Zimmer zu schleppen.« Susan ergriff meine Hand, um sie daran zu hindern, das Sandwich noch kleiner zu zerstückeln.