Menschenführung in Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst - Jens Müller - E-Book

Menschenführung in Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst E-Book

Jens Müller

0,0

Beschreibung

Dieses Buch ist anders als alle bisherigen Bücher zum Thema Menschenführung! Hier werden Sie als führender Mensch in den Vordergrund gestellt, Sie werden angeregt ihre Führungsarbeit kritisch zu hinterfragen, Ihre Charaktereigenschaften als Führungskraft zu definieren, um so Ihr situationsbedingtes Verhalten zu prüfen und im besten Fall entscheidend zu verbessern. Es holt Sie in Ihrer täglichen Funktion in der Feuerwehr, bei der Polizei oder im Rettungsdienst ab und ermöglicht mit vielen selbsterlebten Beispielen und Übungen aus den Blaulichtorganisationen eine gründliche Selbstreflexion. Der Autor redet erfrischend Klartext und scheut auch vor "heißen Eisen" und Tabuthemen nicht zurück.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 385

Veröffentlichungsjahr: 2024

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jens Müller

[3]Menschenführung in Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst

Ein persönliches Arbeitsbuch

Verlag W. Kohlhammer

[4]Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Die Bilder stammen – soweit nicht anders angegeben – vom Autor.

1. Auflage 2025

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-042290-2

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17-042292-6

epub: ISBN 978-3-17-042293-3

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

[5]Inhaltsverzeichnis

Vorwort des Autors

Wie dieses Buch benutzt werden soll

Zum Aufwärmen – ein kleiner Selbsttest

1

Grundlagen und Grundsätze

1.1

Fragen zur Selbstreflexion

1.2

Der Stand der Dinge – Aus- und Fortbildung zum Thema Menschenführung

1.3

Die Zeiten ändern sich – Führungsarbeit im Wandel der Zeiten

1.4

Das Peter-Prinzip – Spielregeln in Hierarchien

1.5

Die 80-20-Regel – Effizienz und Effektivität

1.6

Der schmierige Weg nach oben – Karriere um jeden Preis?

2

Selbstführung und Psychologie

2.1

Fragen zur Selbstreflexion

2.2

Hab Acht auf Dich selbst – Selbstführung

2.3

Warum tue ich mir das an? – Inspiration und Motivation

2.4

Der innere Schweinehund – Selbstdisziplin

2.5

Der heimliche Gang zum Spind – Alkoholprobleme

2.6

Abhärten ohne Abzustumpfen – Mentale Härte

2.7

Eingesetzt und ausgebrannt – Vermeidung von Burnout

3

Ethik, Moral, Werte

3.1

Fragen zur Selbstreflexion

3.2

Die Grundlage muss stimmen – Eine Einführung

3.3

Wo es praktisch wird – Berufsethik

3.4

Erziehung ist sinnlos – Vorbilder und Nachahmer

3.5

Der Ton macht die Musik – Führungsstile

3.6

Ein Vorschlag zur Güte – Arbeit als Gottesdienst

4

Qualitäten und Qualifikationen

4.1

Fragen zur Selbstreflexion

4.2

Musst Du ein Schwein sein? – Charakterliche Anforderungen

4.3

Mist gebaut und dann? – Umgang mit Fehlern

4.4

Fit werden und fit bleiben – Fachliche Anforderungen

4.5

Menschen in Schubladen – Menschenkenntnis, Typenlehren

4.6

Krank oder böse? – Psychopathologie bei Führungskräften

5

Instrumente und Methoden

5.1

Fragen zur Selbstreflexion

5.2

Alles liegt auf meinem Tisch – Delegieren als Überlebensfrage

5.3

Nicht geschimpft, genug gelobt? – Umgang mit Lob und Tadel

5.4

Orden, Titel und Befrackung – Auszeichnung und Beförderung

5.5

Die Welt geht unter! – Führen unter Extremstress

5.6

Helfen Sie uns aussteigen, wir helfen Ihnen löschen – langfristige Personalentwicklung

5.7

Grau ist alle Theorie – Sinn und Unsinn von Führungsmodellen

6

Information und Kommunikation

6.1

Fragen zur Selbstreflexion

6.2

Wo ist der Notfallort? – Die Bedeutung guter Kommunikation

6.3

Wer sind wir und wenn ja, wie viele? – Selbstverständnis und Außenwirkung

6.4

Gedruckte Lachnummern – Sinn und Unsinn von Leitbildern

6.5

Wo die Toten besser dran sind – Reden schreiben und halten

6.6

Akten müssen reifen – Kampf dem Verwaltungswahnsinn

6.7

Unqualifiziert blödeln – Die Rolle von Humor

Bonuskapitel – Schulungsmöglichkeiten

Die Latte liegt hoch – Schlusswort

Literatur- und Quellenverzeichnis

[7]Vorwort des Autors

Nicht alles, was gedruckt und gebunden wird, ist ein Buch … Wir lernen nicht viel aus gelehrten Büchern, wohl aber aus wahren, aufrichtigen, menschlichen Büchern, aus offenen und ehrlichen Lebensbeschreibungen.

Henry David Thoreau

Und über diese hinaus, lass dich warnen, mein Sohn! Des vielen Büchermachens ist kein Ende, und viel Studieren ermüdet den Leib.

Die Bibel, Prediger 12,12

Liebe Leserin, lieber Leser,

Sie sind bereits Führungskraft, wollen oder sollen eine werden? Was darf ich Ihnen dazu aussprechen – meinen Glückwunsch oder mein Beileid? Ich selbst bin seit vielen Jahren in Ihrer Lage, zumeist im Einsatzdienst der Feuerwehr und schule seit Jahren Führungskräfte der Feuerwehr, des Rettungsdienstes, des Katastrophenschutzes und auch der Polizei. Immer wieder einmal kommt mir dabei der Spruch in den Sinn: »Wenn du Führungskraft hast, danke Gott; wenn du Führungskraft bist, gnade dir Gott.« Führungsarbeit ist ganz offensichtlich kein einfaches »Geschäft«, wenn man es ernst meint und seine Arbeit ordentlich machen will. Bei meiner Arbeit erschrecken mich regelmäßig drei Dinge:

Wie viele Führungskräfte – meistens im Ehrenamt – ohne eigenes Wollen in diese Rolle gedrängt werden (»Die haben einen Dummen gesucht.«).

Wie viele Führungskräfte im Hauptamt dazu eigentlich nicht berufen oder geeignet sind (»Ich habe mich halt beworben.«).

Wie stabil unsere Persönlichkeiten sind und wie langsam wir lernen.

Aus diesen Gründen sind es ganz oft die falschen Adressaten, die in Schulungen und Unterrichten zum Thema dieses Buches sitzen. Diejenigen, die eine Fortbildung zum Thema Menschenführung bitter nötig hätten, entziehen sich gekonnt und selbstgerecht der eigenen Hinterfragung und nehmen die Herausforderungen gar nicht erst an. Auf den unteren Führungsebenen und Dienstgraden bleibt dann häufig das resignierte Urteil: »Der Unterricht war gut, aber das müsste mein Vorgesetzter mal hören!«

Das ist bei Ihnen offenbar anders (sonst hätten Sie das Buch nicht gekauft). Und es hilft nun nichts: Sie haben dieses Werk in den Händen oder auf dem Tisch und wollen [8]sich offenbar mit dem Thema »Menschenführung« intensiv auseinandersetzen. Wenn Sie den Inhalt erfolgreich durcharbeiten, profitieren nicht nur Sie selbst. Auch und vielleicht vor allem Ihre Kameraden und Kollegen werden einen Nutzen daraus ziehen, indem sie in Ihnen eine bessere Führungskraft vor Augen gestellt bekommen. Ich finde, das ist die Sache wert. Wir alle wissen aus Erfahrung, dass gute Führung unglaublich viel gewinnen kann. Ich selbst bin wegen eines guten Vorbilds als Kind zur (Jugend-)Feuerwehr gekommen und hatte das große Vorrecht, viele echte Vorbilder im Bereich der Polizei, des Rettungsdienstes und der Feuerwehr kennenlernen zu dürfen. Umgekehrt kann miserable Führung Menschen (die Geführten) herunterziehen, demotivieren und viel Engagement und Idealismus zerstören, der doch für die Arbeit in unseren Organisationen unabdingbar ist. Es lässt sich der Schaden nicht beziffern, den schlechte Führungskräfte in Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst im zwischenmenschlichen Bereich tagtäglich anrichten.

Es läuft also auf die einfache Frage hinaus: Was sind Sie selbst (und Sie zuerst und Sie allein) bereit, in dieses Thema zu investieren? Welchen Preis wollen und können Sie für gute Führungsarbeit bezahlen? Hand aufs Herz: Sind Sie bereit, mehr in diese Welt hineinzugeben (an Zeit und Kraft), als Sie herausbekommen (an Lohn und Anerkennung)?

Lassen Sie mich in diesem Vorwort noch eine weitere, ganz grundsätzliche Frage ansprechen, der sich jeder Buchautor stellen muss: Warum sollte angesichts der oben aufgeführten Schwierigkeiten überhaupt jemand Bücher schreiben? Es gibt tausend Gründe, es nicht zu tun und seine knappe Freizeit stattdessen mit anderen Dingen auszufüllen.

Als jemand, der im Bereich der Aus- und Fortbildung tätig ist, weiß man um die geringe Halbwertszeit von Wissen. Wie viel nehmen wir in unserem Berufsleben und im Ehrenamt über die Jahre auf – wie wenig davon bleibt hängen; wie wenig wird letztlich mit Leben gefüllt und in die Praxis umgesetzt? Wie viel Geld und Zeit werden für teure Seminare ausgegeben? Wie viele Ordner von Lehrgängen und Ausbildungen stehen verstaubt in unseren Schränken? Wie viele gute Vorsätze fassen wir und wie oft fallen wir zurück in alte Muster und Gewohnheiten? Wir alle sind spätestens seit unserer Jugendzeit ganz stabile Persönlichkeiten und gefestigte Charaktere (auch schon in jungen Jahren und durchaus auch im negativen Sinne). Es ist ernüchternd und erschreckend zugleich. Weniger wäre also mehr. Die besten Bücher sind wahrscheinlich alle schon geschrieben.

Ein zweiter und dritter demotivierender Grund: Man erreicht mit ernsthaften Büchern einen zahlenmäßig vergleichsweise beschränkten Personenkreis und reich wird man beim Schreiben schon gar nicht, es sei denn, man ist ein erfolgreicher Romanautor und schafft es in die Bestsellerlisten. Um noch einen Grund drauf[9]zusetzen: Eine ganze Generation scheint überhaupt nicht mehr zu lesen und ist stattdessen andauernd in den schnelllebigen sozialen Medien unterwegs. Aber die Informationen dort, ohne einen größeren Kontext und ganz oft ohne einen Bezug zum realen Leben, werden unter günstigen Umständen zu brauchbarem Wissen, niemals zu Bildung oder gar Weisheit. Schlimmstenfalls hat man seine Zeit mit Datenmüll vertrödelt; man ist »in der Sache« keinen Schritt weitergekommen.

Wenn es denn so ist, wie ich es beschrieben habe: Was treibt Bücherschreiber also heute an? – In meinem Fall ist es der ehrliche Wunsch, etwas Gutes und Wertvolles, hoffentlich etwas Bleibendes zu meiner Branche in der Gefahrenabwehr in Beruf und Ehrenamt beizutragen. Das stiftet Sinn und macht Hoffnung in einem Arbeitsumfeld, das für alle von uns sehr häufig sehr frustrierend sein kann. Überhaupt ist das Erleben von Sinnhaftigkeit eine grundlegend wichtige Erfahrung für jeden Menschen und hat einen höheren Stellenwert als Karrierechancen und optimale Arbeitsbedingungen. Davon wird im Buch noch die Rede sein.

Zweitens hilft Schreiben einem selbst bei der Auseinandersetzung und beim Aufarbeiten von Erlebtem. Es ist wissenschaftlich erwiesen: Dinge aufzuschreiben fördert die körperliche und seelische Gesundheit, auch das Denkvermögen. Wir leben für unsere Ziele – Schreiben hilft, diesen Zielen näherzukommen. Warum sollen die Früchte dieser Tätigkeit nicht für andere gewinnbringend sein? Vielleicht kann jemand anders die eigenen gemachten Fehler vermeiden? Ich habe es bei mir selbst erlebt: Manchmal sind es kleine Dinge, einzelne Wörter und Sätze von einem wohlmeinenden Mitmenschen, manchmal jahrzehntealt, die einem anderen Menschen eine positive Richtung vorgeben. Manchmal helfen kleine Ratschläge oder eine andere Perspektive, den eigenen Tunnelblick aufzuweiten und den Wald vor lauter Bäumen oder die einzelnen Bäume vor lauter Wald wieder wahrzunehmen.

Beim Lesen und Nachdenken werden Sie merken, dass dieses Buch mit Herzblut geschrieben ist. Ich habe selbst an den Themen meine Freude gehabt und auch hinlänglich daran gelitten. Ich habe die Themen gekaut, verdaut und gelebt und verstehe alle Kolleginnen und Kollegen, Kameradinnen und Kameraden, denen es ähnlich ergeht. Dabei betrachte ich trotz mancher Unterschiede die Feuerwehrleute, Polizisten, Rettungsdienstler und Katastrophenschützer als große Familie, die ich oft erleben durfte. Und diese Familienbande umfassen auch das Haupt- und Nebenamt.

Ob Sie es glauben oder nicht: Nach so vielen Jahren im Beruf und im Ehrenamt freue ich mich immer noch (wenigstens ab und zu und ausreichend oft genug, um ein Buch zu schreiben) mit Ihnen den besten Beruf und das interessanteste Ehrenamt der Welt zu teilen und wünsche Ihnen auf Ihrem eigenen Weg maximale Erfolge! Ganz in diesem Sinne wünsche ich eine anregende, etwas anstrengende, möglichst lebens[10]verändernde Lektüre. Wir leben in herausfordernden Zeiten und brauchen begründete Standpunkte und Orientierung.

Eine kleine Anleitung, wie mit diesem Buch möglichst nutzbringend umgegangen werden soll, liefert das nächste Kapitel der Einleitung.

Dr. Jens Müller

Hinweis:

Im Buch wird im Sinne der Lesbarkeit teilweise die männliche Form der handelnden Personen genannt. Das Buch richtet sich aber gleichermaßen an alle Angehörigen der Feuerwehr, der Polizei und des Rettungsdienstes sowie grundsätzlich an alle interessierten Leserinnen und Leser.

[11]Wie dieses Buch benutzt werden soll

Jahrzehnte empirischer Forschung haben die Annahme gerechtfertigt, dass das Setzen und Anstreben von Zielen zu einer wesentlichen Verbesserung bei der Erledigung von Aufgaben führt.

Jordan B. Peterson

Sie haben sich mit diesem Buch für ein Arbeitsbuch entschieden. Es ist kein reines Lesebuch, kein Roman, auch kein Nachschlagewerk oder Lexikon und schon gar keine »leichte Kost«. Sie können und sollen von den Inhalten dieses Buches selbstgewählte, gut verdauliche Portionen abbeißen, gründlich kauen und verdauen. Das kostet Sie täglich vielleicht fünfzehn bis dreißig Minuten Beschäftigung über einen Zeitraum Ihrer Wahl. Ob Sie das Buch in Ihrer Dienstzeit, Freizeit oder im Urlaub durcharbeiten, ist Ihnen selbst überlassen.

Die Reihenfolge, in der Sie die Kapitel dieses Buches konsumieren, liegt ebenfalls ganz in Ihrem Ermessen. Es hängt vor allem davon ab, ob Sie Hauptamtlicher oder Ehrenamtler sind und wie stark Sie in Ihrem Beruf oder Ehrenamt und nebenher in Ihren täglichen Pflichten beansprucht sind. Als Urlaubslektüre ist es auch geeignet, aber dafür ist der Urlaub nicht gedacht. Wenn Sie schnell sein wollen, können Sie das Buch in einem Monat durchnehmen und sich jeden Tag eine Einheit vornehmen. Klüger wäre es allerdings, sich nicht unter Druck zu setzen. Wichtige Dinge werden nie »mal eben schnell« erledigt. Deshalb können Sie auch jede Woche eine Lektion bearbeiten, vielleicht am Abend bevor Sie in Ihrer Feuerwehr, als Polizist oder in Ihrer Hilfsorganisation zum Dienst gehen. Dann kann ich Ihnen garantieren: Wenn Sie das Ganze ernsthaft betreiben, wird Ihr Führungsstil nach dieser Zeit nicht mehr derselbe sein. Sie werden Menschen besser einschätzen können, ganz neue Erfahrungen machen und vielleicht ab und an ins Staunen kommen.

Bild 1: Der Weg durch das Buch

Ein paar praktische Tipps zum Schluss: Lassen Sie sich von der Materialfülle nicht entmutigen und gehen Sie Schritt für Schritt vor. Man überschätzt in der Regel das, was man in einer Woche schaffen kann und unterschätzt deutlich, was man in einem Jahr erledigt. Manche Menschen lesen Bücher auch zweimal: Zuerst, um einen Überblick zu erhalten und den Inhalt als Ganzes zu erfassen und ein zweites Mal, um sich mit dem Buch anzufreunden und es in den Alltag zu integrieren.

Wenn Ihnen danach ist, teilen Sie Ihre Erkenntnisse und Erlebnisse aus und mit diesem Werk mit Ihrem (Ehe-)Partner. Lassen Sie befreundete Kollegen und Kameraden teilhaben – oder auch mich. Manche der bisherigen Leserinnen und Leser haben das Buch einem Bekannten zum Lesen gegeben, der nicht aus einem [12]»Blaulichtberuf« bzw. einer Einsatzorganisation kam, aber ebenso Führungsverantwortung hatte, mit dem Ergebnis eines sehr fruchtbaren Austausches. Ich erwarte nicht, dass Sie mit allem einverstanden sind. Schreiben Sie mir in diesem Fall eine E-Mail an [email protected]. Keine Anstandsfloskel: Ich lege großen Wert auf Ihre Meinung, Ihre Anregung, Ihre Kritik.

Vielleicht wollen Sie auch Ihre eigenen Erkenntnisse und Erfahrungen mit diesem Buch in Zusammenhang bringen. Sie können nebenher ein Notizheft führen, lose Blätter in das Buch hineinlegen oder Klebezettel einheften. Sie können eine Mindmap erstellen (Anleitungen gibt es im Internet) oder ein Poster oder eine Wissenslandkarte, wenn Ihnen das liegt und Sie Ihre geistige Reise dokumentieren wollen. Sie können für sich selbst nebenher einen markanten Satz aus jedem Kapitel aufschreiben oder eine Serie von Lebensregeln entwickeln. Das ist wie Dreisatzrechnen: Sie gehen von meiner »erlebten Geschichte« an jedem Kapitelanfang zu einem allgemeinen Prinzip und dann zu Ihrem Alltag. Sie setzen alles ins Verhältnis, Sie suchen den kleinsten gemeinsamen Nenner, Sie brechen es für sich herunter.

Bild 2: Wissenslandkarte

Das Extrahieren von allgemeinen, leicht verständlichen Regeln scheint übrigens eine bewährte Methode für das Verinnerlichen komplexer Zusammenhänge zu sein. (In der bekannten Serie Navy-CSI Miami legt der Held der Serie, Leroy Jethro Gibbs, eine Reihe seiner eigenen Lebensregeln offen, die im Internet abrufbar sind und bei den Anhängern der Serie eine Art Kultstatus erlangt haben. Der kanadische Psychologe Jordan B. Peterson ist unter anderem wegen seines Buches »12 Rules for Life« weltberühmt geworden.)

Der leichteren Lesbarkeit wegen beginnt jedes Kapitel mit hilfreichen Zitaten und einer erlebten Geschichte aus einer Blaulicht-Organisation. Alle Begebenheiten haben einen realen Hintergrund und handeln von echten, mir bekannten Personen und Dienststellen. Sie sind schonungslos ehrlich, hoffentlich ohne anstößig zu sein. [13]Wegen der Echtheit der Geschichten wurden aber alle Personen und Dienststellen soweit verfremdet, dass eine Wiedererkennung ausgeschlossen sein sollte.

Ein kleiner Selbsttest im nächsten Kapitel soll Sie zur ehrlichen Auseinandersetzung mit den Inhalten dieses Buches zwingen. An jedem Kapitelanfang sind weitere Fragen enthalten, die denselben Zweck verfolgen, aber mehr auf das jeweilige Kapitel gemünzt sind. Es ist zunächst interessant und wichtig, was Sie selbst zu den Themen denken, bevor Sie eine andere Perspektive einnehmen. – Fangen wir an!

[14]Zum Aufwärmen – ein kleiner Selbsttest

Sie halten ein Arbeitsbuch in den Händen, daher können und sollen Sie zu Anfang gleich selbst tätig werden. Die folgenden Fragen sind zur Einstimmung auf die Inhalte dieses Buches gedacht. Diese Fragen können jeweils mit »Ja«, »Nein« oder »Weiß nicht« beantwortet werden. Es kommt dabei allein auf Ihre Meinung und Einschätzung an. Blättern Sie nicht nach hinten; Sie werden keine Auflösung finden. Hier geht es nicht um Richtig oder Falsch. Hier geht es um Ihre eigene Auffassung zu den Themen dieses Buches. Sie haben schließlich bereits selbst in Ihrem bisherigen Leben einen Schatz von Erfahrungen gesammelt, auch wenn Sie noch nicht in einer Führungsfunktion gewesen sind und bestimmt haben Sie eine eigene Meinung zu den angeschnittenen Themen. Über manche Themen haben Sie andererseits vielleicht noch nie nachgedacht – nicht schlimm! Sie können diese Fragen gerne auch jeweils mit Ihrer Partnerin/Ihrem Partner gemeinsam beantworten, weil Sie für sich allein und zu sich selbst möglicherweise nicht ganz ehrlich sind. Vielleicht ergeben sich auch »aus dem Stand heraus« neue Fragen und interessante Diskussionen zu den Themen, die darauffolgen. Wenn Sie ein ungeduldiger Leistungsträger sind und die Themen der folgenden Kapitel beackern und verschlingen möchten, zwingen Sie sich bitte trotzdem zur Beantwortung.

Tabelle 1: Selbsttest 1

Nr.

Frage

Ja / Nein / Weiß nicht

1

Sind Sie zufrieden mit Ihrem aktuellen Wissensstand bei dem Thema Menschenführung?

2

Sind Sie zufrieden mit sich selbst bei Ihrer Führungsarbeit; halten Sie sich selbst für eine gute Führungskraft?

3

Liegen Sie manchmal nachts wach und grübeln über Erlebnisse aus dem Dienst nach?

4

Gibt es Themen und Fragen in Ihrer Führungsarbeit, auf die Sie vermutlich niemals eine Antwort haben werden?

5

Haben Sie sich selbst für Ihre Führungsfunktion entschieden und haben Sie die Verantwortung bewusst gesucht?

6

Glauben Sie, dass manche Führungskräfte »fertig« sind in Ihrer Entwicklung und nichts mehr lernen müssten?

[15]7

Wird man als Mensch zur Führungskraft geboren; gibt es »geborene« Führungspersönlichkeiten?

8

Gibt es bestimmte Menschen, die am besten niemals Führungskräfte werden sollten oder hätten werden sollen?

9

Gibt es Erfolgsrezepte oder Erfolgsgeheimnisse, die jemanden zu einer guten Führungskraft machen?

10

Kann man lernen (v.a. durch Schulungen/Seminare), eine gute Führungskraft zu sein?

11

Wurden Sie in Ihrer Ausbildung ausreichend auf die Herausforderungen als Führungskraft vorbereitet?

12

Sind Sie freiwillig in Ihre derzeitige Führungsposition hineingekommen?

13

Haben Sie momentan den Eindruck, dass Sie sich selbst als Führungskraft weiterentwickeln?

14

Wissen Sie, was es Ihnen ermöglicht, als Führungskraft dazuzulernen und sich selbst weiterzuentwickeln?

15

Lassen Sie es zu, dass Ihnen Unterstellte auch einmal offen die Meinung sagen?

16

Haben Sie wohlmeinende Menschen um sich herum, die Sie in Ihrer Führungsrolle unterstützen?

17

Arbeiten Sie in einem Klima und Umfeld, wo Sie ausreichend Unterstützung für Ihre Tätigkeit erfahren?

18

Haben Sie »Rückendeckung« von Ihren Vorgesetzten und können sich im Dienst entsprechend entfalten?

19

Haben Sie einen Ausgleich zu Ihrer Führungsarbeit (v.a. ein Hobby), wo Sie richtiggehend abschalten können?

20

Wissen Sie, wie Sie außerhalb des Dienstes wieder auftanken können und was Ihnen immer neu Kraft gibt?

Dankeschön für Ihre Antworten! Hoffentlich haben Sie sich ausreichend Zeit bei der Beantwortung gelassen. Ganz sicher werden die einzelnen Kapitel dieses Buches Ihre Gedanken ergänzen, weiterführen und Ihnen neue Perspektiven eröffnen. Vielleicht [16]haben Sie auch einige »blinde Flecken« ausgemacht, auf die Sie noch nie einen Gedanken verschwendet haben.

Ganz am Ende Ihres Trainings oder nach dem Durcharbeiten eines Kapitels können Sie diese Seiten mit den von Ihnen angekreuzten Feldern noch einmal aufschlagen und sehen, ob, und wenn ja, wie sich Ihr Verständnis von Führung gewandelt hat. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Sie ein paar »eingefahrene Gleise« verlassen und neue Erkenntnisse über sich selbst, Ihren Kollegen- oder Kameradenkreis und Ihren eigenen Führungsstil erhalten werden.

[17]1Grundlagen und Grundsätze

1.1Fragen zur Selbstreflexion

Tabelle 2: Fragen zur Selbstreflexion 1 – Grundlagen und Grundsätze

Nr.

Frage

Ja / Nein / Weiß nicht

1

Ist Ihrer Meinung nach das Thema Menschenführung Moden, Trends und dem Zeitgeist unterworfen?

2

Gibt es bei dem Thema des Buches dauerhaft gültige Wahrheiten und zeitlose Grundsätze, die niemals veralten?

3

Haben Sie schon einmal Management-Literatur gekauft und sich mit den Grundsätzen darin intensiv beschäftigt?

4

Sind Sie davon überzeugt, dass es menschliche Hierarchien braucht, um gemeinsam etwas zu erreichen?

5

Glauben Sie, dass es in hierarchischen Organisationen feste Regeln für das eigene Vorwärtskommen gibt?

6

Sagt Ihre Erfahrung, dass in Hierarchien meistens die Fleißigen und Tüchtigen auch vorwärtskommen?

7

Würden Sie zustimmen, dass in hierarchischen Organisationen Fortbildung der Schlüssel zum eigenen Erfolg ist?

8

Ist es für Sie ein erstrebenswertes Ziel, ganz oben auf der Karriereleiter anzukommen?

9

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, welchen Preis Sie dafür bereit sind zu zahlen?

10

Sehen Sie für sich selbst in Ihrer jetzigen Position Aufstiegschancen und setzen Sie sich neue Ziele?

11

Haben Sie eine klare Vorstellung, welche Prioritäten Beruf, Ehrenamt, Familie und Freizeit in Ihrem Leben haben?

12

Wissen Sie, warum manche Menschen effizienter arbeiten und mehr erreichen als andere?

13

Kennen Sie den Unterschied zwischen Effizienz und Effektivität und könnten Sie diesen erklären?

[18]1.2Der Stand der Dinge – Aus- und Fortbildung zum Thema Menschenführung

Zielsetzung der Einheit

Die erste Hauptüberschrift dieses Buches heißt »Grundlagen und Grundsätze« und eröffnet mit einigen ganz fundamentalen Gedanken. Dieses erste Kapitel soll Orientierung geben in einer außerordentlich komplexen Materie und einstimmen auf die weiteren Inhalte des Buches. In diesem ersten Unterkapitel wird allgemein erklärt, wie es um das Thema Menschenführung in der Aus- und Fortbildung in der Welt von Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst bestellt ist. Schließlich sind die meisten Kolleginnen und Kollegen erstmalig in ihrer Ausbildung überhaupt mit dem Thema in Berührung gekommen. (Der Begriff Menschenführung meint hier den Gegenpart zur »Einsatzführung«. Außerdem ist Menschenführung hier ein deutlich weiter gefasster Begriff als »Personalführung«.) Es geht zu Anfang um das Dilemma, dass wir hier ein existenziell wichtiges Thema beackern, das aber in den Aus- und Fortbildungen von Feuerwehrleuten, Rettungsdienstlern und Polizisten im Vergleich zu den reinen, »harten« Fachthemen eher unterrepräsentiert ist. Das Kapitel soll einige wichtige Grundsätze aufzeigen, wie man sich trotzdem auf diesem ungeliebten Feld bewegen, fortbewegen und fortbilden kann.

Alle Dinge sind schwierig, bevor sie einfach werden.

Unbekannt

Zeitgeist! Unter allen Verbindungen und Ehen, welche die deutsche Sprache gestiftet hat, ist keine so unpassend und unglücklich ausgefallen wie die Vermählung der Zeit mit dem Geist.

Moritz Gottlieb Saphir

Erlebte Geschichte aus der Polizei

Es war Samstagabend; sie saß gedankenversunken in ihrer Schreibecke über den Aufgaben von der Hochschule der Polizei für das Selbststudium im Fachbereich Einsatzlehre. Neben ihr türmten sich die Vorlesungsskripte des letzten halben Jahres und dahinter drei halb verdorrte Grünpflanzen, die ganz eindeutig nach besserer Pflege verlangten. Die Aufgaben waren komplex; nichts, was man aus dem Ärmel schüttelt. Ihr Mann konnte es sich hingegen leisten, sich im Wohnzimmer mit seinem Tablet zu beschäftigen. Als junge Polizeihauptmeisterin wusste sie, dass ihr Wechsel in die nächste Laufbahnebene nicht einfach werden würde. Die Ausbildung machte [19]ihr aber Freude; schließlich liebte sie ihren Beruf und hatte sich bis heute ganz wacker geschlagen. Mit ihrem Team im Polizeirevier war sie bislang gut ausgekommen. Sie hatte sich durch ihre Gründlichkeit und ihren Fleiß Respekt verdient und hatte mittlerweile fast ihren gesamten Freundeskreis innerhalb der Polizei. Während der Ausbildung hatte sie ihren späteren Ehemann kennengelernt, der bei der Kriminalpolizei in der benachbarten Großstadt eine abwechslungsreiche Arbeit auf einem gut bezahlten Dienstposten gefunden hatte. Beide hatten sich schon in relativ jungen Jahren ein kleines Häuschen leisten können und das Angebot der Aufstiegsausbildung passte auch ganz gut in ihrer beiden Lebensplanung. Was ihr jetzt Kopfzerbrechen machte, waren weniger die Aufgaben aus dem Vorlesungsskript, die waren schaffbar. Schließlich konnte man auch bei den Vorgängerjahrgängen nachfragen oder Dienstvorschriften und Dienstanweisungen wälzen. Was ihre Gedanken kreisen ließ, waren die Spannungsfelder ihres späteren Dienstes, die sie in ihrer bisherigen Laufbahn noch nicht so sehr betroffen hatten. Sie kannte bereits die »Minenfelder« aus den Diskussionen im Kollegenkreis, hatte sich aber dazu nicht weiter positionieren müssen und manche Konflikte gekonnt umschiffen können. Das würde sich spätestens in einem Jahr ändern. Je weiter sie sich in ihre Zukunft hineindachte, desto mehr Problemfälle kamen ihr in den Sinn: die Auseinandersetzungen mit dem Personalrat, ihr älterer Kollege mit dem offenkundigen Motivationsproblem, die schwelenden Konflikte mit der Führung und die vorprogrammierte Überlastung, wollte man seine Arbeit gründlich erledigen. Schließlich wurden viele Probleme gar nicht mehr angesprochen, auch im Freundeskreis nicht. Mit ihrem Mann konnte und wollte sie auch nicht ständig über die Arbeit sprechen. Wie sie fand, kam man bei diesen Gesprächen keinen Schritt voran; es ging bei jeder Diskussion viel zu schnell um die große Politik, man war allgemein dünnhäutiger geworden und manche hatten schlicht Angst, als politisch unkorrekt zu gelten. Das zog sich durch ihre Welt wie ein roter Faden. Auch in den Lehrveranstaltungen kamen manche Dinge nicht zur Sprache, weil man sich offenbar scheute, heiße Eisen anzufassen oder Fragen aufzuwerfen, auf die es ohnehin keine Antwort gab. – Aber auf welcher Grundlage würde sie später entscheiden? Gäbe es neben den Dienstvorschriften noch andere Maßstäbe für die tausend Einzel- und Zweifelsfälle des täglichen Dienstes? Was, wenn von ihr Dinge verlangt würden, die gegen ihre innersten Überzeugungen gingen? Eine Art Musterhandbuch oder einen Telefonjoker müsste es geben für die Millionen Fragwürdigkeiten des Dienstalltags… – Für heute hatte sie sich gründlich satt. Etwas zu schwungvoll klappte sie den Laptop zu. Sie ahnte aber, dass sie früher oder später den praktischen Fragen der Mitarbeiterführung nicht würde ausweichen können. Sie würde nicht umhinkommen, sich eine [20]eigene Meinung zu bilden, ohne dass ihr irgendjemand dabei helfen könnte oder ihr die Entscheidung abgenommen würde.

Theoretische Grundlagen

Ganz sicher besteht Einigkeit darüber, dass das Thema »Menschenführung« für alle Führungskräfte in den Blaulicht-Organisationen ein fundamental wichtiges ist. Trotzdem scheint es ein Missverhältnis zu geben zwischen den Erfordernissen des Dienstalltags und der Präsenz des Themas in der Aus- und Fortbildung. »Menschenführung« scheint ein ewiges Stiefkind zu sein, eine Randerscheinung, ein Anhängsel an den wichtigen, den fachlichen Dingen. Wenn es überhaupt in den Lehrplänen unserer Bildungseinrichtungen (den Feuerwehr-, Rettungsdienst-, Polizeischulen und Hochschulen) vorkommt, wird es häufig nur oberflächlich, zu pragmatisch, zu bruchstückhaft und auszugsweise behandelt. Die Schwerpunktsetzung erscheint manchmal praxisfern und wenig greifbar. Viele Stunden stehen in den Unterrichtsplänen der Aus- und Fortbildungseinrichtungen dafür jedenfalls nicht zur Verfügung. Dabei ist dieses Thema dasjenige, wo später im Berufsleben die Schlachten geschlagen werden und wo man als Führungskraft am ehesten scheitern kann. Kaum jemand stirbt als Feuerwehrmann, Rettungsdienstler oder Polizist an fachlichen Problemen ab; hier kann man sich Hilfe besorgen, auswendig lernen und nachschlagen. Wir arbeiten schließlich immer im Team! Aber beim Zwischenmenschlichen, im persönlichen Umgang mit den Geführten und mit anderen Führungskräften trennt sich die Spreu vom Weizen. Hier kann man als Vorgesetzter ganz schnell ganz viel gutmachen, oder auch kläglich scheitern. – Warum also dann diese verschwiegene, unbewusste Geringschätzung dieses bedeutenden Themas?

Ganz oft liegt es am zwangsläufig beschränkten Wissenshorizont des Lehrpersonals, wenn zu wenige praktische Aspekte dieses großen Themenfeldes in Lehrveranstaltungen überhaupt zur Sprache kommen. Man kann auf zwei Seiten vom Pferd fallen: Wird der Unterricht in Menschenführung von Fachleuten (Feuerwehrleuten, Polizisten, Rettungsdienstlern) gestaltet, fehlt es meist an soliden psychologischen Grundlagen. Man hat das Thema »aufgedrückt« bekommen oder vom Vorgänger geerbt und musste sich das nötige Hintergrundwissen nebenher und autodidaktisch aneignen. Es gibt wenige Menschen unter dem Lehrpersonal, die selbst lange Zeit im Berufsleben gestanden haben, dabei bewusst die Themen reflektiert haben und nun in der glücklichen Lage sind, diesen Erfahrungsschatz mit einer nachkommenden Generation zu teilen und die zusätzlich noch für dieses Thema ganz und gar »aufgehen«, sich dafür begeistern können. Auf der anderen Seite steht an den Bildungseinrichtungen die Option, dass man sich Lehrpersonal »einkauft«, dass man den Themenbereich in fremde Hände gibt, ihn von ver[21]meintlichen oder echten Fachleuten auf dem Gebiet der Führung unterrichten lässt. Hier kann sich ein anderes Problem ergeben: Nicht wenige Trainer, Psychologen oder sogar Geistliche haben ein Akzeptanzproblem bei den Lernenden. Man schmort nur im eigenen Saft, man kennt nur die eigene Welt, spricht nicht dieselbe Sprache und findet keinen Draht zu den »besonderen« Berufsständen in der Gefahrenabwehr. Die Lernenden sitzen – zumindest geistig – mit verschränkten Armen und sprechen – zumindest für sich – »Was kannst du uns schon beibringen?«

Was sind die tieferen Ursachen dafür und wie kann man dem Problem möglicherweise abhelfen? Dazu müssen wir das Problem zunächst einmal anerkennen und wollen zugutehalten, dass es niemandes böser Wille ist, dass man sich so wenig um Menschenführung kümmert. Schließlich sollen die Schülerinnen und Schüler, die Anwärterinnen und Anwärter, die Auszubildenden erstmal gründlich ihr Handwerk lernen, bevor sie in die höheren Künste eingeweiht werden – oder?

Es gibt mindestens drei Gründe, warum die Dinge sind, wie sie sind: Erstens sind wir Menschen schon als Einzelne außerordentlich komplexe Wesen. Treffen zwei oder mehr Menschen im Alltag, in Hierarchien aufeinander, erhöht sich die Komplexität exponentiell. Die zwischenmenschlichen Vorgänge sind derart vielschichtig, dass eine Erfassung und Beschreibung derselben ein fast aussichtsloses Unterfangen ist. Es gelingt einem ja kaum in der eigenen Beziehung, in einer Freundschaft oder Ehe, einem vorhandenen Problem wirklich auf den Grund zu gehen, geschweige denn eine für alle gesunde und gleichermaßen akzeptable Lösung zu finden. Ein Großteil dessen, was wir von Anderen wissen oder zu wissen meinen, liegt im Un- oder Unterbewussten. Darum grübeln wir den Problemen hinterher, ohne auf eine Lösung oder mit dem Gegenüber auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Auch der Wissenschaft (bspw. der Psychologie) gelingt es bestenfalls ansatzweise, die menschliche Natur und ihr Zusammenspiel in sozialen Bezügen für einen ausgewählten Zweck befriedigend zu beschreiben.

Zweitens kommt erschwerend hinzu: Es braucht immer andere Menschen, Außenstehende und Dritte, um die eigene Lebenswirklichkeit objektiv zu erfassen. Was einen selbst angeht, ist man auf einem Auge blind, man hat selbst gehörige Defizite, man lebt mit zahlreichen Verdrängungsmechanismen und vielleicht sogar »Störungen«, man hat einen Tunnelblick und sieht »den Wald vor lauter Bäumen nicht«. Wir sind darum unglaublich auf die Reflexion von anderen Menschen auf unser Verhalten angewiesen. Diese Rückmeldungen nehmen wir aber nur an, wenn wir selbst eine gewisse seelische bzw. geistige Reife erlangt haben und wenn unser Gegenüber es gut mit uns meint und sein Wissen über uns nicht für unlautere Zwecke ausnutzt. Auch aus diesem Grund ist es gut, wenn man nicht in allzu jungen Jahren in allzu hohe Ämter katapultiert wird.

[22]Und drittens kommt das Thema Menschenführung in der Lehre eher unattraktiv daher. Mit ethischen Fragestellungen (als Teilgebiet der Menschenführung) beschäftigt sich kaum einer gern; das Fach wurde in der Schule von vielen als lästige Pflicht angesehen und vielfach nicht ganz ernst genommen. Lehrende auf diesem Feld brauchen ein hohes Frustrationspotenzial, denn ob bei den Lernenden etwas »hängen bleibt«, lässt sich kaum nachweisen. Es geht in diesen Fächern nicht um Faktenwissen, nicht um Auswendiglernen, sondern um Zusammenhänge des realen Lebens und deren Anwendung, die erst Jahre später, vielleicht in einer anderen Lebensphase einmal aktuell werden können. Das bedeutet, dass bei den Lernenden eine Begeisterung für dieses Thema überhaupt erst geweckt werden muss, die späterhin von ihnen selbst, in einem fordernden Alltag auch noch am Leben erhalten werden muss.

Mit diesem etwas sperrigen Einstieg sollte verdeutlicht werden, warum das Thema Menschenführung in der Fachwelt teilweise so stiefmütterlich behandelt wird. Man behilft sich nun eben damit, dass man in Aus- und Fortbildung das Thema entweder weitgehend ignoriert oder in der Lehre nur ausgewählte Teilaspekte behandelt. Nicht schlimm, wenn Unterrichtsstunden oder -tage ausfallen, es ist ja nicht prüfungsrelevant. Solche ausgewählten Teilfragen können nun einzelne Felder im Dienstalltag sein: Wie teile ich meine Arbeit ein? Wie löse ich Konflikte? Wie delegiere ich richtig? Wie kommuniziere ich erfolgreich? Das sind aber lediglich Einzelaspekte und ausgewählte Kompetenzen; die grundlegenderen Fragen bleiben unerwähnt und im Dunkeln. Solche fundamentalen Fragen sind zum Beispiel: Wie finde ich Sinn in meiner Arbeit? Wie erhalte ich meine eigene Motivation, wenn die Dinge nicht nach Plan laufen? Wie gehe ich mit fiesen Chefs und faulen Kollegen um? Es geht um weitaus tiefere Themen und die Abgründe der menschlichen Existenz; teilweise brutale, existenzielle Fragen, die wir so gerne ausblenden. Es geht um Glück und Unglück, um Segen und Fluch, um echte Freude und echtes Leid.

Für diese großen Themen (auch im Zusammenhang mit Menschenführung) kann man in jeder drittklassigen Bahnhofsbuchhandlung Druckerzeugnisse kaufen, deren Titel zuerst ganz verlockend klingen. Im allgemeinen Managementbereich sind das Titel, die sinngemäß so heißen: »In einer Woche eine Million Dollar verdienen« oder »Die drei Geheimnisse des Erfolgs«. Oder man hat ein Rezept oder eine bahnbrechende Managementstrategie gefunden, wie man mit den neuesten Erkenntnissen aus der Hirnforschung oder der Quantenmechanik das langweilige Manager-Dasein in einer Verwaltung zu einem lebensverändernden Abenteuer werden lassen kann und ganz nebenher die Karriereleiter nach oben sprinten kann. Es geht meist um (Erfolg-)Reichwerden prinzipiell für Jeden, mit wenig Aufwand und in sehr kurzer Zeit. Verkauft wird eigentlich kein Buch, sondern ein Heilsversprechen oder der [23]»amerikanische Traum«. Daher sind diese Art Bücher meist auch schlechte Übersetzungen aus dem Englischen. Das einzige, was diese Druckerzeugnisse in der Realität erreichen, ist das Geld von meiner Tasche in die des Autors und des Verlages wandern zu lassen. Nach dem Lesen dieser Art von Lektüre bleibt ein schaler Nachgeschmack, weil man schon im Vorhinein hätte erahnen können, dass die Welt so einfach nicht funktioniert und die einfachen Rezepte sich nicht mit dem Alltag vertragen. Es muss dann wohl letztendlich an mir selbst liegen, wenn die plausiblen Strategien nicht aufgehen. Bei jemandem anders hat es offenbar schließlich funktioniert – oder?

Was in diesem Zusammenhang hellhörig werden lassen sollte: Bemerkenswerterweise erreichen Bücher, die das Selbstwertgefühl steigern sollen (meist durch positives Denken) und auch für eine bessere »Performance« im »Job« sorgen sollen, ebenso hohe Verkaufszahlen. Hier gibt es einen interessanten Zusammenhang, den man unbedingt kennen sollte: Wenn das unhaltbare Heilsversprechen des amerikanischen Traums, die Ersatzreligion des positiven Denkens an den Mann oder die Frau gebracht wird, muss man als Normalsterblicher, als Durchschnittsmensch zwangsläufig auf der Strecke bleiben. Nicht jeder wird schön, reich, glücklich und erfolgreich im Beruf; schon gar nicht innerhalb einer Woche oder nach dem Lesen und Umsetzen eines billigen Erfolgsrezepts. Zwangsläufig bleibt dann beim Lesen ein schlechtes Gewissen übrig und es muss dann wohl an mir liegen, wenn mein eigenes Leben allzu alltäglich aussieht, meine Arbeitsstelle mich frustriert und ich es gerade so schaffe, den Lebensunterhalt für meine Familie zu verdienen; wenn am Ende des Geldes noch so viel Monat übrigbleibt. Daher die vielen Bücher zum Wiederaufpolieren meines angeschlagenen Selbst. Ähnlicher Grundgedanke – derselbe Blödsinn. Vergessen wir also das Ganze und wenden uns realistischeren Zielen zu. Lassen wir den Amerikanern ihren ungetrübten Optimismus und den Schönen und Reichen ihre Erfolgsrezepte. Wir haben genug vor der eigenen Haustür zu kehren.

Hier stehen wir wiederum in der Gefahr, auf der anderen Seite vom Pferd zu fallen: In der deutschen Literatur für Führungskräfte gibt es ebenfalls einige »blinde Flecken«, wenn das Thema nicht gänzlich totgeschwiegen wird. Wo unsere amerikanischen Freunde zu überschwänglich sind, sind wir zu pragmatisch, zu technokratisch, zu unspektakulär, zu wissenschaftslastig. Das gehört scheinbar momentan zum Zeitgeist; wir beäugen das Thema Führung sehr kritisch, eingedenk unserer problematischen, schuldhaften deutschen Geschichte. Wir konzentrieren uns ganz auf die Sache, auf das Fachliche und ignorieren alles, was nach höheren Werten und Zielen klingt. Wir sind skeptisch und zucken sofort zusammen, wenn von Ehre und Gewissen, von Sinn und Ziel die Rede ist. Ganze Wortgruppen sind mit einem Tabu belegt und klingen irgendwie nach unguter Vergangenheit: Werkstolz, Berufsehre, [24]Zucht und Ordnung. Wir sind bis aufs Messer pragmatisch und sogar die Konservativen eher mit linken Werten unterwegs. Schließlich ist alles relativ; gemeinsame Grundwerte sind problematisch und wer weiß, ob durch die Einigung und Einigkeit in der Organisation jemand ausgeschlossen oder gar diskriminiert wird?

Abschließend sei also die Frage erlaubt, ob es in unseren Berufszweigen hier nicht einen Kompromiss, eine gütliche Einigung, einen goldenen Mittelweg geben kann. Können wir uns auf etwas einigen, was uns alle weiterbringt; können wir die »heißen Eisen« anfassen? Können wir uns unvoreingenommen mit den Problemen beschäftigen, differenziert denken und uns wohlwollend »auseinander-setzen«? Auch auf diese Fragen soll dieses Buch Antworten geben. Im Bereich der Aus- und Fortbildung derweil ist es nicht nur wünschenswert, sondern dringend geboten, das Thema Menschenführung intensiver zu bedienen und die tieferen Fragen wieder auf den Tisch zu bringen. Ignorieren hilft nicht, die Probleme sind ja vorhanden.

Aufgabenstellung

Das Kapitel hat mit der Forderung nach mehr Beachtung für das Thema dieses Buches geschlossen. Wie lässt sich diese praktisch erfüllen? Nur wenige Führungskräfte in Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei können auf die Unterrichtsgestaltung an den Bildungseinrichtungen Einfluss nehmen. Aber über die Inhalte der regelmäßigen Fortbildung können die meisten durchaus entscheiden. Warum also nicht einmal selbst eine Fortbildung zu dem Thema organisieren? Vielleicht lässt sich vierteljährlich ein Themenbereich (bspw. Umgang mit Konflikten, Führungsstile, Berufsethik) in den Plan aufnehmen? Vielleicht lässt sich eine Schulung mit einer »teambildenden Maßnahme« verbinden? Folgende didaktische Grundsätze sollten beherzigt werden, egal ob man das Thema an einer Schule, Akademie oder auf der Führungsebene in der Dienststelle gestalten will oder soll:

Interesse lässt sich dadurch wecken, dass man Bezüge zum eigenen Leben und zum Alltag herstellt. Beispiel: Waren die Mängel bei der Abwicklung des letzten großen Einsatzes auf Fehler oder Schwächen bei der Führung/auf mangelnde Kommunikation zurückzuführen?

Man kann die Bedeutung des Themas nachvollziehbar darstellen, indem man vom Besonderen zum Allgemeinen geht. Beispiel: Wenn wir als Dienststelle ein Problem mit einem zu hohen Krankenstand und mangelnder Einsatzbereitschaft haben, kann es sein, dass die Ursachen tiefer liegen?

Man muss dem Teilnehmerkreis die Notwendigkeit des »Dranbleibens« an der Thematik erläutern. Grundlegende Probleme verschwinden nicht, weil eine einmalige Fortbildung stattgefunden hat. Man sollte interaktiv [25]schulen und das Thema zu einem Dauerthema über einen mehrjährigen Zeithorizont machen.

Man soll es mit didaktischem Geschick ermöglichen, dass jeder aus den »gesammelten Weisheiten« in den Schulungen für sich selbst wesentliche Kernpunkte destilliert und vielleicht als Grafik mitnimmt.

Bild 3: Lernerfolg beim Thema Menschenführung

Alles zusammengenommen und diese Tipps beherzigt, sollte sich ein Lernerfolg im Sinne einer Verhaltensänderung bei den Meisten einstellen. Die folgenden Kapitel lassen diese eher abstrakten Dinge praktischer werden.

1.3Die Zeiten ändern sich – Führungsarbeit im Wandel der Zeiten

Zielsetzung der Einheit

Wie im vorangegangenen Kapitel behandelt auch dieses ganz grundsätzliche Fragen im Themenfeld Menschenführung. Bevor wir in den nächsten Kapiteln zu eher praktischen Fragen der Führungslehre kommen, beschäftigen wir uns in dieser Einheit v.a. mit dem eigenen Verständnis von Führung: Wir alle richten uns ständig an anderen Menschen aus und orientieren uns so in der Gesellschaft. Wer dabei nur auf anderer Leute Meinungen hört und angewiesen ist und sich nur nach dem Zeitgeist richtet, wird schnell zum Spielball der Moden und Vorlieben seiner Zeit. Daher wird in diesem Teil vermittelt, dass es dauerhaft gültige Grundsätze gibt, an denen Führungskräfte festhalten sollten. Demgegenüber gibt es zeitlich veränderliche Grundsätze, die wir getrost »entsorgen« können. In Ihrem Führungsalltag sollten Sie das eine vom anderen unterscheiden und in konkreten Situationen entsprechend reagieren können.

[26]Es ist nicht die stärkste Spezies die überlebt, auch nicht die intelligenteste, es ist diejenige, die sich am ehesten dem Wandel anpassen kann.

Charles Darwin

Umstände sollten niemals Grundsätze verändern.

Oscar Wilde

Erlebte Geschichte aus der Feuerwehr

Der Moderator war erstklassig. Als Führungskräfte-Trainer hatte er jahrzehntelange Erfahrung mit Menschen und Organisationen und weil er selbst nicht aus der Feuerwehr kam, hatte er einen halbwegs objektiven Blick von außen auf das »System«. Man hatte einen gemütlichen Landgasthof gemietet und auch etwas »Geld in die Hand genommen«, um den Ehrenamtlern für die Tagung einen angenehmen Rahmen zu bieten. Schließlich hatten sie einen ganzen Samstag für die Veranstaltung geopfert. Die Ergebnisse der einzelnen Workshops wurden auf gut gemachten Flipcharts festgehalten. Die Veranstaltung nannte sich »Zukunfts-Workshop« und war eine Idee des Kreisfeuerwehrverbandes. Die angestauten Probleme müssten endlich einmal mutig angegangen werden! Auslöser waren einige Einsätze im Kreisgebiet gewesen, bei denen manche Feuerwehren an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gekommen waren. Man wusste außerdem von einigen zwischenmenschlichen Querelen, die drohten, ganze Feuerwehren zu spalten und nach außen hin dem Ansehen des Ehrenamts zu schaden. Bei dem Workshop hatte man die Problemfelder eingegrenzt, die Teilnehmer hatten sich in ihren Heimat-Feuerwehren auf das Ereignis vorbereitet und die Arbeitsatmosphäre war gut. Die Leute hatten sich eingebracht, man war lernbereit und offen. Nach dem Mittagessen sollten die Ergebnisse der Arbeitsgruppen ausgewertet und zusammengefasst werden; es sollten Leitlinien für die Zukunft aufgeschrieben werden. Hier kam der Schwung des Vormittags etwas ins Stocken. Man hatte eine Reihe von »Systemfehlern« aufgedeckt, an denen man ohnehin nichts ändern könne, weil sie nicht von den betroffenen Feuerwehren beeinflusst werden könnten. Man hatte einige »Denkverbote« ausgemacht, die einige betagte Führungskräfte und Kommunalpolitiker nicht angesprochen haben wollten. Und man hatte herausgefunden, dass es bei der »Engpass-Ressource« Personal keine befriedigenden Lösungsansätze gab. So hatte man sich bei den Workshops nur um die Fragen gekümmert, auf die man eine Antwort geben konnte. Ernüchtert mussten die Teilnehmer nun feststellen, dass das nicht die entscheidenden Fragen gewesen waren. Damit erschöpfte sich das »Zukunftspapier« auf einige kosmetische Maßnahmen und die Fachleute verließen die Veranstaltung mit einem schalen Gefühl der Resignation. Daran würde auch das [27]positive Fazit des Kreisbrandmeisters in den Lokalmedien nichts ändern können. Von den Altgedienten kam der abgedroschene Hinweis, dass früher sowieso manches besser funktioniert hatte und das ganz selbstverständlich und von selbst und ganz ohne neumodischen Workshop. In der Presse wurde die Veranstaltung in den höchsten Tönen gelobt und auch der Landrat zog am Montag darauf vor den Medienvertretern eine »durchweg positive Bilanz«.

Theoretische Grundlagen

Zukunftsgestaltung ist eine Führungsaufgabe. Insofern ist die Idee und der Vorsatz aus der einleitenden Geschichte eine gute Sache. Das bloße Verwalten des Status quo kann eigentlich nicht als Führung bezeichnet werden, sondern fällt eher in den Bereich »Management«. Je weiter man in der Hierarchie aufsteigt, einen desto größeren Anteil nimmt diese Aufgabe im Arbeitsalltag ein. Insofern ist echte Führung ausgesprochen anspruchsvoll, verlangt Erfahrung und Einsicht und den Mut, Probleme zu erkennen, beim Namen zu nennen und diese dann mit Hartnäckigkeit anzugehen. Erfolgreich im Sinne von »Erreichen positiver Veränderungen« wird man als Führungskraft nur sein, wenn einem bei diesen Gestaltungsprozessen genügend Gestaltungsspielraum bleibt. Und genau hier liegen die Probleme in allen starren, tradierten, hierarchischen Systemen. Zu diesen gehören unsere Organisationen nun einmal; allen voran die Feuerwehren, dann auch die Polizei und in mancher Hinsicht, aber vergleichsweise weniger ausgeprägt, auch die Hilfsorganisationen.

Ständig werden aber unsere Blaulicht-Organisationen zur Anpassung an veränderte Gegebenheiten gezwungen, weil das gesellschaftliche Umfeld immerwährend im Fluss ist. Ständig gibt es neue Problemstellungen, Rechtslagen, Fachfragen und Herausforderungen. Ganz allgemein gesprochen nehmen in unserer Welt Dynamik und Komplexität immer mehr zu.

Bild 4: Dynamik und Komplexität

Etwas einfacher ausgedrückt: Die Welt wird ständig komplizierter und dreht sich scheinbar immer schneller. Was gestern noch als richtig und wichtig galt, ist heute immer schneller überholt. In der Führungsarbeit muss daher heute mehr denn je unterschieden werden zwischen allezeit Gültigem und zeitlich Veränderlichem, zwischen Konstanten und Variablen. Die Meinungen über das, was es zu bewahren gilt (Tradition) und die Dinge, die angepasst oder sogar aufgegeben werden müssen (Moderne), können schon einmal weit auseinandergehen.

Eines ist jedenfalls sicher: Wer seine Organisation, seine Behörde, seine Dienststelle (beispielsweise seine Polizei-, Rettungs- oder Feuerwache) auf die Art und Weise führen will, wie noch vor 20 oder 40 Jahren, wird einiges falsch machen. Die zweite schlechte Nachricht für die Erfahrenen und Altgedienten: Erfahrung an sich ist immer noch Gold wert, aber längst nicht alles. Um es noch provokanter zu formulieren: [28]Erfahrung im Leben und/oder im Dienst kann auch ein Lernhindernis sein. Man kann auf der persönlichen Ebene seine Sache auch 30 Jahre lang schlecht machen. Aus dem Dienstalter leitet sich darum auch nicht automatisch ein Herrschaftsanspruch über die nachfolgende Generation an Führungskräften ab. Die Aufforderung an die Jugend lautet wiederum: »Erst mal besser machen.« Und das Leitmotiv für alle Generationen auf allen Führungsebenen: »Bescheiden, selbstkritisch und lernfähig bleiben.« Auf diese Art lassen sich die beiden Pole vereinigen, die sich gerne in dem bekannten Witz die erfundenen Dienstvorschriften an den Kopf werfen, die jede Veränderung unterbinden und Innovationen im Keim ersticken: Die eine mit dem Titel »Das haben wir schon immer so gemacht.«; die andere mit dem Titel »Das haben wir noch nie so gemacht.«

Wie Sie sicher bereits bemerkt haben, werden in diesem Buch eine ganze Reihe sprachlicher Bilder verwendet. Damit lassen sich sehr gut komplexe Zusammenhänge verdeutlichen und schwierige Gedankengänge auf den Punkt bringen. In diesem Kapitel kann man die gesellschaftlichen Entwicklungen und Trends, die von außen auf unsere Organisationen einwirken, mit Eisenbahnzügen vergleichen. Als gute Führungskraft sollten Sie alle diese Entwicklungen kritisch betrachten und sich ab und zu einige Fragen stellen, die weit über Ihr tägliches Dienstgeschäft hinausgehen: Zu welchem Ziel sind diese Züge eigentlich unterwegs; was kommt am Ende dabei heraus? Wohin führen die Gleise, die von Politik und Wirtschaft gerade gelegt werden? In welchen Zug sollte man einsteigen, auf welchen im Nachhinein aufspringen? Wer sind die Lokomotivführer, die Protagonisten, die Antreiber? (Wenn die [29]letzte Frage beantwortet ist, ergibt sich die Antwort auf die Frage nach dem Einsteigen oft ganz von selbst.) Keine Angst vor zu viel geistiger Mühe: Wie so häufig steckt die Antwort schon in der Fragestellung. Solche grundlegenden Fragen müssten – so glaube ich – jede Führungskraft von Zeit zu Zeit beschäftigen. Das bringt zwangsläufig auch die eine oder andere schlaflose Nacht mit sich.

Einem solchen Zug, der meines Erachtens für unsere Organisationen, die eine ehrenamtliche Basis haben, in eine ungute Richtung fährt, kann man das Etikett »Kommerzialisierung« aufkleben. Dieser gesellschaftliche Megatrend ist vor dem Hintergrund der Krise des Ehrenamts im Allgemeinen und der Freiwilligen Feuerwehren in Deutschland im Besonderen ausgesprochen fatal. Kommerzialisierung meint: Nahezu alle Bereiche unserer Gesellschaft werden zuerst unter kommerziellen und monetären Gesichtspunkten betrachtet. Jeder Dienst, jedwede Leistung wird mit Geld aufgewogen und abgegolten. Geld regiert schon immer die Welt, jedoch scheint in unseren Tagen eine Menge Idealismus den Finanzzwängen zum Opfer zu fallen. Was geschähe in Sport und Kultur, in Politik und Medien, in Kirchen und Vereinen, wenn der Geldfluss aus irgendeinem Grund versiegen würde? Vermutlich würde in mehr Abteilen unseres imaginären Zuges das Licht ausgehen, als man annehmen kann und will. Vor diesem Hintergrund kann man den Freiwilligen Feuerwehrmann, den Ehrenamtlichen im Rettungsdienst und den Hauptamtlichen mit einem Rest von Berufsehre und der Bereitschaft für eine Mehrleistung im Beruf getrost als »Dinosaurier« betiteln. Daher auch der ungeheure Kraftakt, das Ehrenamt (wiederum mit Hilfe von Geld und Werbung) in modernen Zeiten attraktiv zu machen und zu halten.