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Wie schnell manche Leben vergessen werden, und wie viele Generationen sie dennoch in den Körpern derjenigen eingeschrieben bleiben, die nach ihnen kommen, spürt Mädchen am eigenen Leib. Sie merkt es an den Blicken, die sie streifen, an Bruder, der die Muttersprache nicht akzentfrei spricht, an den Büchern, in denen sie vergebens nach ihr gleichenden Figuren sucht. Aber alle Vergleiche müssen zwangsläufig scheitern, fehlt Mädchen doch bis auf wenige fragmentarische Erinnerungen das Wissen über ihre Ahnen, die weder in der offiziellen noch der familiären Geschichtsschreibung vorkommen. Aus losen Fäden, Vergangenheitsbruchstücken und Mythen beginnt daher das Alter Ego der Autorin, sich den eigenen Stammbaum mit einer der Wirklichkeit in nichts nachstehenden Radikalität zu gestalten. Seine weit verzweigten, vielblättrigen Äste reichen von der Cape-Coloured-Community in Südafrika über den Atlantik bis ins Deutschland der Gegenwart und räumen erstmals auch jenen einen Platz ein, denen eine Geschichte und Stimme bisher verweigert wurden. Gemeinsam mit Mädchen stellen sie in Simoné Goldschmidt-Lechners Debütroman Messer, Zungen nun laut die Frage nach Herkunft und »Heimat« und danach, welche Geschichten es braucht, um dem Vergessen zu entrinnen.
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Seitenzahl: 202
Veröffentlichungsjahr: 2022
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SGL
It is blasphemy to begin this way.
Beach Penguins
Chor
Adonis
Unbelonging
Weaving
Where troubles begin
Atlantiken
Leere Koffer
Trickster Gods
Die Lügen
Concrete
Geheime Namen
Confessions
Measured
Steve Biko
Underground Sharon
African Princes
Pink House on the Prairie
Smothering Times
Clarity
Ermutterung
Frantz
Witch Trials
Little Bird
Ladybug
Lekker
Undertaker
Chor II
Märchen
Vatergeländer
Confessions II (Pornography)
Purple Rain
Verbrüderlichkeiten
This Grace
Zähnen
Les montagnes, nous les détestons
1996
With all my love, Roni
Chor III (Some of us do not speak)
Morgan Freeman, she said
Pink Dogs
Comedy
Kyk jy / Chor IV
Stone Beds
Arkansas Ocean
Die Realitäten
Pappillonnage
Sleep Manna
Dinge über die Welt, die man in der Schule lernt: Pinguine leben in Eislandschaften, dicht an dicht gedrängt. Pinguine findet man in der Antarktis, wo sie Eisbären nie begegnen können. Pinguine leben in monogamen Partnerschaften. Doch so einfach sind die Zuordnungen nicht. In der Hitze existieren sie auch, diese Pinguine, an allen südlichsten, sonnigsten Punkten, in Südamerika, in Australien und hier. Hier laufen sie auf den Sandstränden, jackass penguins, die so heißen, weil ihre Rufe klingen wie klagende Maultiere. Sie bauen Nester im Dickicht am Fuße der Stadt, die in die Berge hinaufragt. Diese Stadt im globalen Gedächtnis ist gute Hoffnung, ist Friedhof der Träume, tavern of the seas, ist tausendundein Euphemismus, ist das Ende und der Anfang. Auf Schiffen, zu Land, über Grenzen hinweg, alle Wege führen dorthin, alle Anfänge und Enden, alles, was sich gewaltsam teilen lässt und wieder zusammenfindet. Mother City mit ihren vergitterten Fensterscheiben: Fläche fremder Vorstellungen. An den Küsten und auf Robben Island teilen wir uns, finden uns, fügen uns gewaltsam zusammen wie Atlantik und Pazifik, the Dutch and the English. Alle drei Stunden Klagelieder, die Maultiere weinen, ihre schwarzen Federn sind verklebt und ihre Flügel verheddern sich in Plastikflaschen.
Die Wege sind in die Erde gezeichnet, ehe die Grenzen entstehen. Wir haben dort Wasser vergraben und Vorräte, diesen kargen Boden gangbar gemacht oder sind von Norden südwärts gezogen, bis wir die Meere erreichten, die dort aufeinandertrafen, grün und blau. Ihr denkt an die verhornten Unterseiten unserer Füße, wir an unsere Geschwister. An die, die schnell schon die Wege kannte, an den, dessen Geschichten uns zum Lachen brachten. An die, die mithilfe der meerkatte (so sagt ihr es später) Schlangen zähmte, die weder Gleichgewicht besaß, stolperte noch Sand fraß, an die Kunst der einen, den Mut der anderen. Wir denken an die vielen Jahre, in denen die Schiffe an Klippen zerschellten, diese Jahre, während denen Freundschaften entstanden, Streit und Krieg entbrannten, Frieden geschlossen, gelacht und geweint wurde. Wir denken an den Takt unserer eigenen Worte, nicht an den Rhythmus, denn diese Gedanken gehören ganz euch. Wir denken nicht wir und die anderen unter uns, denn diese Gedanken gehören ganz euch. Doch wenn ihr später unsere Geschwister auf Ausstellungen, Vermessungen, Schießstände schleppt, dann denken wir daran.
Wir erinnern uns, aber nicht wie Elefanten, die auf Friedhöfe zurückkehren, denn unsere Erinnerungen passen nicht zwischen Buchrücken, zwischen Vor- und Abspann. Nicht wie die Tsotsis, diese Sowetomütter, und unsere Götter waren nie verrückt.
Und trotzdem erinnern wir uns und nehmen das mit auf unseren Wegen. Und wenn ihr manche von uns diese Wege nicht länger gehen lasst, wenn ihr Teil von uns werdet und gleichzeitig andere in uns versetzt, Versklavte von anderswo, Versklavte von hier, wenn ihr dieses gewaltvolle Wir schafft, dann verlaufen trotzdem an denselben Stellen Wasseradern. Wenn wir stehen bleiben müssen, dann erzählen wir trotzdem unseren Nachfahren, welche Wege sie abgehen, welche sie meiden müssen, kartografieren ihre Köpfe so lange, bis sie wissen, wo alles liegt. Wo wir Vorräte versteckt und Wasser vergraben haben. Wo wir den Boden gangbar gemacht haben. Wir fügen tief in ihre Gehirne die Straßen ein, die es gab, die, von denen ihr nichts wissen könnt. Von denen ihr nichts wissen könnt, weil es uns nicht geben kann, und alle Namen, die auf einmal bedeutender sind als die Erschaffung von Welten, alle Namen, die ihr uns aus unseren zerbrochenen Sprachen gebt, heißen Mensch. Aber wenn ihr sie verwendet, diese Menschennamen, dann ist das less than, und wenn wir klagen, dann zu wenig kunstvoll, dann heulen wir wie die Tiere, immer less than, in der Nacht für eure Ohren zu empfindlich, immer zu empfindlich. Dann werden wir Menschen, aber nicht wie ihr. Dann werden wir Sowetomütter und Tsotsis für euch. Dann müssen unsere Götter verrückt sein, weil es eure Götter sind oder zumindest eure Wörter, die ihr aus unseren Zungen herausgeschnitten habt.
Ihr aber, ihr erinnert euch, anders. Nie daran, wie oft wir euch zurückschlugen. Niemals an Makana oder Mlawu, selten an Shaka. Nie an Namen, die ihr uns nicht gegeben habt.
Sie teilen den Namen Herr, sie teilen den Namen Geliebter der Göttin, sie teilen sich und die Brüder, die kommen, sie kommen mit den Brüdern, tauschen Sand gegen Sand und zerfließen,
Adonis.
Die Fragen sind dieselben wie immer schon, zerfallen zwischen vier Händen, während sie einander zuflüstern, was unvergessen bleiben soll. Vielleicht sitzen sie einander gegenüber, ihre Arme ineinander verschränkt wie am Tag ihrer Geburt. Sitzen im Mondlicht, mit dem Rauschen des Meeres so nah, im Schutz dieser letzten Nacht. Der Faden soll behalten werden, soll gespannt bleiben zwischen dem Hier und wo das neue Ziel auch sein mag, versprechen sie sich und sich und werden dieses Versprechen als Erstes brechen. Die Nacht ist ruhig. Auf der Zunge des Gottesdieners lag am Vortag Zuversicht, er sprach von Herr und neuen Herren, ewig lebten die Frauen, die ihre Männer ehrten, ewig, Amen.
Welchen Göttern der Mond gehört, fragen sie. Diese unerlaubten Fragen, denn die vergangenen Zeiten sind verboten. Die trotzdem geflüsterten Antworten sind mal diesen, mal jenen, mal vielen, mal keinen. Am Schluss nur noch einem. Wenn sie an deva denken, jetzt und später, dann an Großmutter, in deren Bambushütte sie sich treffen in dieser Nacht. Hier hat sie in der Ecke geschlafen, das Gesicht stets zum Eingang gewandt. Hier hat sie jedem Gegenstand, den sie verwendete, gedankt. Wie schnell sie ihr Gesicht und die aller anderen vergessen werden, und wie lange es weitergezeichnet wird, von Mutter zu Tochter zu Mutter, diese Haare und Augen, diese Augen und Haare.
Jetzt liebkosen sie ihre weiche Haut, diese porenarme Haut, diese haarlose Haut, diese Beschreibungen, Umschreibungen, Zuschreibungen durch die tief in der Haut verankerten Follikel, durch die Wurzeln der schwarzen Haare, die durch ihre Vorderarme brechen.
Die beiden Männer, die am nächsten Tag kommen, tragen andere Kleidung und geben ihnen neue. In der Hitze sind die vielen Schichten schwer zu ertragen, die langen, dunklen Ärmel, der Über- und der Unterrock. Sie lernen die Namen aller neuer Kleidungsstücke, die Namen der Brüder. Sie nehmen eine Bibel mit und Gewürze. Sie lernen die Namen der Himmelsrichtungen von Bord aus.
In der Kabine auf dem Schiff begegnen sie ihren Herren und preisen sie, sie begegnen sich vorsichtig und liebevoll, liebkosen ihre weiche Haut, diese porenarme Haut, diese haarlose Haut, diese Beschreibungen, Umschreibungen, Zuschreibungen, sie begegnen sich desinteressiert und unter Vorbehalt, sie begegnen sich gewaltsam. Sie lesen davor aus einer fremden Bibel, ja und heer, ja und heer.
Ja
Niet
Heer
Ein neues Mantra, Adonis.
Der Sturm trägt sie sanft, und als sie ankommen, drücken sie ihre anschwellenden Bäuche in unbequemen Betten aneinander, während im Nebenraum die Brüder Land umverteilen. Von diesen Brüdern, stillen Männern, bekommen sie nur die Namen. Und wenn die Kinder kommen, dann beten sie brav die Schmerzen weg. Wenn sie ihre Kinder stillen, dann wissen sie, dass nur diese Namen wichtig sind. Dann haben sie die neue Sprache erlernt und kochen mit neuen Gewürzen alte Gerichte. Schnell begreifen sie, wie sie sich tragen müssen, wie sie sich halten müssen. Sie stehen hinter den Brüdern, die vor ihnen auf samtbeschlagenen Stühlen sitzen, während die Aufnahme gemacht wird, blicken aufs lichtje, wie ihnen geheißen, bis zum Knall.
Manchmal aber, im Geheimen, erzählt die eine der anderen von Soma, während die Kinder zu ihren Füßen spielen. Soma mit den 27 Frauen, von denen er nur eine liebte. Soma, den sie auch Chandra nennen, stahl sich mit Tara in die Nacht. Die Sterne bekriegten sich deswegen. Soma, den sie auch Nektartrunk nennen, Soma, der den Rausch bringt. How quaint, how exotic. Soma sagen die Brüder auch, soma this and that, sommer this and that.
Jahrzehnte entfernt wird das, was sie teilen, Kitsch heißen, wird übertrieben heißen, zu viel, unecht heißen, wird fake heißen. Von ihnen bleibt nur ein geteilter Name übrig, Adonis, von Jakarta, aus Semarang, von Bali, und das Foto.
Von allen Namen ist es seiner, der am schnellsten vergessen wird. Jede Annäherung daran ein bereits begangenes Vorurteil. Denn wer weiß schon, wie die Sonne stand, wo er aufbrach, warum er dies tat oder warum er so schnell seine Sprache begrub in der für ihn noch unbekannten Erde. Er fand sich jedenfalls wieder am anderen Ende der Welt, machte Früchte zu seinem Handel oder handelte nicht, betete zu Anfang noch fünfmal, dann dreimal, dann nicht mehr, gab seine Seele auf für Arbeit und Essen. Betete vielleicht doch weiterhin fünfmal oder mehr im Geheimen oder doch offen.
Er war ein Mann jeder Gestalt, jeden Alters.
Wenn Jahrhunderte später Auntie sagt, »Do you remember Lucas? He calls himself Kareem now, but we still call him Lucas. He brings his own pot to dinner, how rude, how rude is that, can you imagine? It is that girl, pretending to be friendly, they all are at first, then they lure them in«, wenn später diese Worte fallen, dann auch auf seine Ohren, weit, weit unter Sand und Erde begraben. In seinem Grab liegend spuckt er die Erde dann aus und weint vor Freude und sagt, dass er sich freue, dass es nun endlich jemanden gebe, der sich erinnere, und die Würmer, die sich durch seinen Kopf gegraben haben, sind längst selbst tot, und vielleicht verflucht er seine Nachfahren, und dann brennt sein Herz voller Zorn oder Liebe, bis er selbst zu der brennenden Gestalt wird, die sie ifrit nennen oder afrit, bis sich seine Augen durch alles hindurchbrennen und auch er Teil eines Pantheons wird, dass von Generation zu Generation überliefert wird, ohne jemals namentlich genannt zu werden, denn nein, sein Name ist nicht Kareem, aber er hat einen Namen, er hat doch einen Namen, der ihm auf der Zunge liegt. Er kann sich selbst nicht mehr erinnern, aber das heißt nichts, heißt nicht, dass es ihn nie gegeben hat.
Nar, flüstert er, das Innere der Flamme ist blau, auch wenn Kinder und Kindeskinder zweimal, dreimal, fünfzehnmal seinen Namen leugnen, bis er ganz vergessen ist. Nur die Großmütter wissen später von ihm, und sie halten ihn still im Gedächtnis, wo er ausglühen kann.
Asche in seiner Lunge.
Wenn sie Kind später fragen, wird die Antwort lauten, dass es weder Missgunst noch Neid gewesen sei, keines dieser einfachen Gefühle. Dass er es eigentlich unmöglich finde, so zu fragen, nach dem einen oder anderen. Aber sie kennen nur entweder oder, entweder oder, dort und hier.
Von hier weit entfernt holt er Wasser. Seine Füße überqueren Sand und Steine, fahren Pfade entlang, wie er es gelernt hat. Die in der Siedlung tragen Leder an ihren Füßen, in denen goggas gerne nisten, zwei Skorpione haben bereits Leben unter ihnen gekostet. Er lernt das auf dem Weg, jeden Tag.
Dass Kind und seine Mutter hier sind, wird geduldet. Aber er hat es in den fremden Augen in der Siedlung gesehen: Sie werden weiter vorrücken, besser also, sich jetzt gutzustellen. Sein Onkel widerspricht. Seine Mutter widerspricht. Sie erzählt wieder und wieder die alten Geschichten, jeden Abend, wie Auntie später, die von den Narben weiß, die sie hinterlassen werden. Sie sagt, Kind. Sie sagt, »Kind, die Dinge werden sich richten, das war schon immer so.« Es wäre einfach, sie naiv zu nennen. Denn was kann sie schon sagen, ihre Beine zu schwach zum Aufstehen, ihr Blick ohne Weitsicht. Sie werden kein Mitleid mit seiner Mutter haben, wenn sie kommen, er weiß es. Besser, sich gut stellen, solange die Sonne noch im Zenit steht. Er holt Wasser.
Beim Wasserholen begegnet Kind ihnen Tag für Tag. Sie zertrampeln die Pfade wie die Büffel, die sie wildebeest nennen. W-i-l-d-e-b-e-e-s-t. Er erschließt sich die Sprache nach und nach, sammelt sie in Tausenden Meilen des Hin- und Herlaufens wie das Wasser in seinem Krug, Tropfen für Tropfen, bis das Fass überläuft. Asche auf der Zunge, von den Feuern, die sie legen.
Am Himmel ziehen Sonne, Blitze, Regen vorbei. Die Kormorane tragen Nachrichten heran, die nur sie selbst entziffern können, malen Symbole in den Himmel über dem Meer, über dem Land, über ihm. Es riecht nach Sulfur und Staub. Die Nächte werden kühl.
Kind wäre geduldig geblieben. Er hätte gewartet, bis alle Stücke sich zusammenfügten. Er hätte sich mit den Siedlern zusammengesetzt. Ihr Vertrauen hat er ohnehin, weil er ihnen Wasser weist und Möglichkeiten, zu überleben, ihre wildebeests zu fangen und zu schlachten, die Skorpione zu vertreiben. Doch dann bringen sie die Mädchen, die Frauen, die Jungen mit den glatten, langen Haaren; jeden Tag, den sie dorthin vorstoßen, wird der Onkel darauf bestehen, weiterzuziehen, Hab und Gut neu zu setzen. Sie werden kein Mitleid mit der Mutter haben, diese Männer, die vordringen. Kind weiß es, die Mutter wird krank zurückgelassen werden, wenn diese Frauen, Kinder, Mädchen mit den glatten schwarzen Haaren, wenn sie von diesen Männern mitgebracht werden, wenn sie vordringen. Sie werden vordringen, Kind weiß es. »Afraid of the wrong ghosts«, sagt Auntie, »always afraid of the wrong ghosts.«
Vor roten Haaren haben die Sasannach Angst, sind die einzigen Worte der alten Frau, an die er sich später erinnern kann. Daran und an die Haut ihrer Hände: dünn, zerbrechlich, oft aufgerissen. Von den Eltern, den Geschwistern später nur noch Umrisse. Die Klippen ragen über das Meer, im Herbst rotbraun gerahmte Ungetüme.
Ob das so stimme, will er wissen. Sie sichern es ihm zu.
Ob das Haus aus Holz gewesen sei. Ob es im Winter von Schnee bedeckt gewesen sei, seine eigenen Hände klamm und kalt und kaum warm zu bekommen.
Sie sichern es ihm zu.
Auf dem Schiff nennen sie ihn am Anfang dearg, aber dann sagen sie glas, wegen seinen Augen. Was glas zugeflüstert wird, das behält er für sich, jedes Geheimnis, das ihm zugetragen wird, still für sich.
Diese Jungen hätten miteinander unter Deck nur gerangelt, aye, er könne es bezeugen. Seine eigenen Rangeleien behält er für sich. Natürlich sei ihm sein Mädchen treu geblieben, sichert er Sean zu und behält dessen Tränen für sich, dessen Geschichten. Über ihnen verheißt der Himmel nichts Gutes. Tagelang wieder unter Deck, die Bilder schwinden.
tha mi gad iarraidh.
Angekommen, tragen sie andere Uniformen und stehen in der ersten Reihe. Es sei eine Sache des Stolzes, sagen manche. Es gibt kaum Kollateralschäden. Es sei eine Sache des Stolzes, im Sand aufzuschlagen, mit aufgeplatzter Schädeldecke.
Sie sichern es ihm zu, aber er traut ihnen nicht, banabhuidseach.
Über diesen Ort wird man sich später Geistergeschichten erzählen. Die einzigen Gefallenen tragen Tartan, das, was bleibt sind Namen und Muster, rot und grün, blau und gelb, oder sind die schwarzen Teufel, von denen sie sich fernhalten. In den Zeltlagern, in diesen Savannennächten (»die Sterne ein endloses Meer fremder Geheimnisse« – so schreibt es Sean in seinen Notizen), kommen die ersten Fragen auf. Was das für ein merkwürdiger Komplex sei, ausgerechnet für diese Sirs und Lords das eigene Leben zu lassen? Diese Sirs und Lords, denen sie doch in Bannockburn, Boroughbridge, Halidon Hill gegenüberstanden, vor Hunderten Jahren schon. Die Wahl ist Verrat oder Verrat, und obwohl glas sich schon lange nicht mehr erinnern kann, obwohl der Geruch das Einzige ist, was bleibt zwischen Moschus und Gras und Eingemachtem, geht er los in der Nacht mit Seans Worten im Kopf und dessen Fingern für immer auf seiner Haut, darüber, darunter (auch dieses Geheimnis bleibt sicher bei ihm).
glas wandert durch Savannen und über Landesgrenzen, läuft, bis der Rhythmus seiner Schritte Erinnerungen frisst und wieder ausspuckt, bis sich die Dinge verändern, Jahr um Jahr um Jahr.
»Der ganze Ärger beginnt damit«, wird Auntie I. viele Jahrzehnte später sagen, »mit diesem sturen Bock.«
Später suchen sie zwischen den Klippen nach Geistern und finden ihn nicht, nur seinen Namen unter ihren, seine Muster zwischen ihren, eine harte, unnachgiebige Legende, die sich durch ihr Blut bahnt und in ihre Traditionen.
»Thirteen children with a Masbieker woman before he married Ouma.«
glas lässt sie zurück, diese Kinder. Sie alle schlafen mit blasser werdenden Umrissen ein, Nacht für Nacht in trockener Hitze. Zwischen fremden Gerüchen werden sie zu rastlosen, geifernden Tieren. Die meisten von ihnen werden eingehen, und ihre Körper wirken devilish für ihn, und glas kann in ihren Augen nichts sehen, was er erkennt. Deswegen sei es besser.
chan urrainn dhomh a dhol dhachaigh.
Viele andere finden auch nicht zurück.
Bei der Frau, dieser Frau mit dem viel zu weichen Körper, mit dieser verachtenswerten Nachgiebigkeit, die Ouma ist oder sein wird, bleibt er, auch wenn es keinen Unterschied macht. Sin over sin. Es fallen Liebkosungen zwischen ihnen, zwischen Gewalt oder währenddessen, aber trotz mühsam gemachter Sprache finden sie beide keine Worte. Und doch dringen ihre beruhigenden Shhhs an sein Ohr, wann immer und immer wieder er dieselben Worte aufsagt nach diesen Träumen, in denen er nicht einmal mehr die Umrisse sieht. Und doch drückt sie ihm dann den Rosenkranz in die Hand, als kannte sie Bedeutung.
Er kehrt Jahre später zwischen die Felsen zurück. Findet nichts.
Noch später hängt sein Bild als Porträt an der Wand, alle Farbe vergilbt bis auf das Blau seiner Augen. Der Wahn sei in seinen Augen, hatte die alte Frau gesagt. Aber Stolz und Wahn lägen nahe beieinander, sagte sie auch, und lieber innerlich tot, als Götzen dienen. Unter dem Bild liegen auf einer Kommode Wappen und Klanfarben auf den vielen Gegenständen, mit denen sie um seine Gunst wetteifern.
Y’re a Blackie, ugly as the night, but y’re me lass.
Es ist eine englische Legende.
Ein künstlicher Geruch haftet an seinen Händen.
Einmal ist er über den Atlantik gefahren. Er wird darüber nicht sprechen (und seine Art zu sprechen würde auch nicht verstanden werden, ehe er neu sprechen lernt).
Einmal ist der Großvater über den Atlantik gefahren. Er hat darüber nie gesprochen. Großvater hat die Sprache verlernt, oder er hat sie nie gelernt. Manchmal sagt der Großvater etwas, das wie ein Versprechen klingt oder eine Drohung, verpackt in eine alte Melodie, die ihn zum Weinen bringt.
Er nennt diesen Mann Großvater, was nicht stimmt. Er sieht es, wenn er seinen Arm neben den des Großvaters legt, und daran, wie die Großmutter den Vater ansieht, als er noch lebt. Sie, eingepfercht zwischen diesen Männern, dem Großvater, dem Vater, dem Alten und ihm.
Er ist ein Produkt, merkt er, ein gewaltsam produziertes Werkzeug, bis der Alte stirbt. Der Rest bleibt zurück, in pursuit of happiness. Jims und Krähen kreisen über ihnen. Er erkennt, dass er hier immer nur ein Wort bleiben wird, und bricht auf. Er und andere, die beschließen, den Atlantik zu überqueren, reisen nach Liberien oder hierher. Ein künstlicher Geruch haftet an seinen Händen. Er pult unter den Rändern seiner Nägel Dreck hervor. Wäscht die Hände, bis sie ganz aufgerissen sind. Der Geruch bleibt.
Er ist Teil einer neuen Freiheit. Er erkennt, dass er das Wort, das er sonst geblieben wäre, weitergeben muss, an andere, um diese Freiheit zu behalten. Er hat dieselben Stürme, dasselbe Salz auf seinen Lippen geschmeckt. Er schaut nie zurück.
Der Koffer bleibt leer.
Die anderen zurück. Es ist immer so.
Der Koffer bleibt. Schon dieses Bild ein Problem. Ein still aus einem Film. Darüber wird erzählt und geschrieben, über die Koffer, die Schuhe, die Haare, über Gegenstände. Andere finden Worte dafür, ihre Sprache bleibt verschlagen. Bei ihr nur der Koffer, schwarz und aus Leder, die Schnallen abgewetzt und verfärbt.
Alles, was sie noch weiß: ein Objekt.
Früher auf dem Hof ist alles eine Szene aus einem Film, den es noch nicht gibt: If I was a rich man.
»Was hat sie einem zukünftigen Mann denn zu bieten, ich bitte dich«, lästern die anderen Frauen im Dorf, aber die Frau mit dem Koffer hat damals die schärfste Zunge, die schneidet durch böse Blicke wie Butter, und möchte wissen, was der zukünftige Mann ihr denn zu bieten habe, und bittet die Frauen. Als einer kommt mit Gänseblümchen, sagt sie, dass sie es toll finde, dass er nicht in ihrem Blumengarten gewildert habe, und dann: »Willst sagen, ich bin eine weiß Gans, Junge?«
Er lächelt beschämt, aber sie mag es, dass er schüchtern ist. Auch Urgoßvater gefällt die Partie, und so ist mir nichts, dir nichts Heirat, Kinder, eigener Hof, der Geruch von Kuhdung und Gänseblümchen für immer. Doch es ist ein Film, den es noch nicht gibt, und die Katze verbrennt sich die Pfoten auf dem Dach, und das Feuer kommt. Ein gleißendes Feuer, das alle Gerüche für immer in Asche taucht. Es könnte mehr gesagt werden, aber alles Übrige steht in ihrem ausgehöhlten Gesicht, in ihrem terrorisierten Blick und den tiefen Augenringen. In ihrem leeren Koffer und den immer gleichen Bildern.
»Ver biztu?«, fragen die anderen, die überlebt haben oder übrig geblieben sind, und wollen damit wissen, aus welchem Dorf sie kommt, aus welchem Stadtviertel, wollen ihren Namen wissen und den ihrer Familie. Sie kann beides nicht länger benennen. Ihre Stiefel sind staubig, sie umklammert den Koffergriff, mehr weiß sie nicht. Gesehen, nicht gehört werden, möchte sie, und besser nicht gesehen werden.
Sie lernt Väterchen trotzdem kennen, zwischen einfachen Betten mit verlauster, kratziger Wäsche. Der hat Witz und Leichtigkeit, der wurde geboren, während draußen noch Vogelhochzeit war.
»Vielleicht müssen wir weiter weg.«
»Gemeinsam lassen sie Familie zurück in alten Ländern, deren Sprachen sie vergessen«, erzählt Auntie später. Die Erde hätten sie verbrannt, den Weg zurück ausgelöscht, habe sie Väterchen gesagt. Der Geruch von Asche lag ihr schwer im Mund, das Surren der Insekten ebenso schwer in den Ohren. Das erste Mal habe sie realisiert, dass sie all diese Jahre dachte, sie würden sicherlich zurückkehren.
Ihre Unterdrückung und die Unterdrückung der Welt liegen nah beieinander. Das ist vielleicht vermessen. Später werden sie und ihre Nachfahren und die Verwandten und deren Nachfahren sich auf die Seite derjenigen schlagen, die hier unterdrückt werden. Neben Mandela sitzt dann auch Goldberg auf der Anklagebank, und sie unterstützen, schreiben Flugblätter und Essays, kochen Essen und verteilen es in den Vierteln, die sie nicht betreten dürfen, werden Teil der Viertel, die sie nicht betreten dürfen. Gerne würde die Frau mit dem Koffer sagen, dass es aus Nächstenliebe geschieht. Welcher ihrer Männer es ist, der darauf antwortet, kann sie am Schluss nicht sagen. Väterchen bestimmt.
An dem Tag ist der Himmel von einzelnen weißen Wolken durchzogen, die wie leichte Pinselstriche das tiefe Himmelblau durchbrechen. Dass es fast wie ein Scherz klinge, meint glas, als er den anderen Vater trifft, a Scotsman and a Jew meet in a bar to discuss the fates of their children. glas ist älter geworden, sein Gesicht nun hager, kaum noch Zähne. Nur die Augen noch klar und stechend. Er ist als Erster in der Bar, bestellt sich bei einer dicken Malaysierin mit eingefallenen Gesichtszügen Schnaps. Die Bar ist klein und voll, einige Holzkisten sind zu Stühlen umfunktioniert worden, und neben der Bar stapeln sich andere Holzkisten voller Glasflaschen. Es sind alle Sorten von Teufeln hier, weiße und Schwarze und die dazwischen, vor allem aber englische und die Abkömmlinge der Niederländer, die sich selbst South African Dutch nennen, als ob das irgendeine Bedeutung hätte und kein Widerspruch wäre. So arrogant wie die feckin Tommys, die sich immer alles einfach herausnehmen. Er möchte raus, der gemischte Geruch dieser Körper, die er allesamt ablehnt, widert ihn an. Doch hat er versprochen zu warten.
Die Stimmen im Hintergrund vereinen sich zu einem beunruhigenden Rauschen. glas spürt ihn wieder, diesen Zorn. Vielleicht hat es sich dafür schon gelohnt herzukommen, dass die alten Worte, die unter seiner Haut glühen, wieder lichterloh glühen,
Cha bhith mi air ais sìos.
Cha bhith mi air ais sìos.
Da ist auch einer, Black as the earl of Hell’s waistcoast, der erinnert glas