Methodisch korrektes Biertrinken - Reinhard Remfort - E-Book

Methodisch korrektes Biertrinken E-Book

Reinhard Remfort

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Beschreibung

Eine großartige Partynacht mit Physik Dieses Buch soll eine Lanze für das wohl unbeliebteste Schulfach brechen. Richtig betrachtet, ist Physik nämlich gar nicht kompliziert, abstrakt und unverständlich – das ist Mathe! Physik ist unterhaltsam und beantwortet die brennenden Fragen der Menschheit: Warum schäumen Bierflaschen über? Was hat ein Moshpit mit Thermodynamik zu tun? Warum verbrennt man sich an den Tomaten auf der Pizza immer die Zunge? Schlägt sich der Hot-Chocolate-Effect auf die Hüften nieder?  Science-Slam-Meister Reinhard Remfort erzählt Geschichten aus dem Nachtleben eines Physikers und nimmt seine Leser mit durch einen chaotischen Silvester-Dosenbier-Punkrockabend aus der Sicht der Physik.

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Das Buch

Dieses Buch soll eine Lanze für das wohl unbeliebteste Schulfach brechen. Richtig betrachtet, ist Physik nämlich gar nicht kompliziert, abstrakt und unverständlich – das ist Mathe! Physik ist unterhaltsam und beantwortet die brennenden Fragen der Menschheit: Warum schäumen Bierflaschen spontan über? Was hat ein Moshpit mit Thermodynamik zu tun? Wie gewinnt man ein russisches Dosenroulette … und warum sollte man das wollen? Kommt einfach mit in die Kölner Straße 13a und begleitet Yuri, Mattes, Inge, Tom und mich bei einem chaotischen Silvester-Dosenbier-Punkrockabend aus der Sicht der Physik.

Der Autor

Reinhard Remfort, Mitbewohner, Biertrinker, Katzenpapa, Physiker, experimentiert an der Universität Duisburg-Essen für seine Doktorarbeit zum Thema Epitaxie hochreiner Diamantschichten zur Untersuchung oberflächennaher NV-Störstellen. Zum Spaß ist er deutscher Science-Slam-Meister 2013, die Hälfte des Wissenschaftspodcasts methodisch inkorrekt!, reist für die PopUp Tour des Goethe-Instituts nach Mexiko, macht gelegentlich Beiträge für Fernsehen und Hörfunk und noch einen Haufen anderen Kram, der ihm spontan leider nie einfällt.

Ullstein

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ISBN 978-3-8437-1210-1

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017Umschlaggestaltung und Titelabbildung: semper smile, MünchenAutorenfoto: © privatZeichnungen im Innenteil: © Reinhard Remfort

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Inhalt

Über das Buch und den Autor

Titelseite

Impressum

Widmung

In eigener Sache – Dispersion

Das Physikstudium liegt am Ende des Regenbogens

Der Rachefeldzug – Beer tapping

WG-Küche: 18.00 Uhr

Das Experiment: kleiner Stoß, große Wirkung

Die Auflösung – Kältemischung

Hausflur: 19.30 Uhr

Das Experiment: die Kältemischung

Erwachsene Kinder – Batterien

Toms Zimmer: 20.54 Uhr

Das Experiment: der Batterie-Springversuch

Illusion oder Wirklichkeit? – Wärmekapazität

WG-Küche: 22.14 Uhr

Das erste Experiment: Somewhere over the wine-bow …

Das zweite Experiment: Lookin’ for some hot stuff

Der Moment der Erkenntnis – Trägheitsmoment

Hausflur: 23.40 Uhr

Das Experiment: der Dosenrollversuch

Ort der Finsternis – Impulserhaltung

Vor der Haustür der Kölner Straße 13a: 1.30 Uhr

Der diabolische Plan

Der stinkende Haken

Das Experiment: die Schnapsrakete

Wer ist John? –Farbmischung

WG-Küche: 3.01 Uhr

Bunt, bunt, bunt sind alle meine Cocktails

Das Experiment: Shake it, Baby!

Die Überlebensunwichtigkeit der runden Form

Galavorstellung – Ideales Glas

Dachboden: 03.14 Uhr

Das geordnete Chaos des Heavy Metal

Willkommen im Leben nach dem Tode – Hot Chocolate Effect

WG-Küche: 11.30 Uhr am nächsten Morgen

Das Experiment: die Kakao-Tonleiter

Dank

Feedback an den Verlag

Empfehlungen

In eigener Sache – Dispersion

Das Wort »Physik« weckt bei den meisten lediglich Erinnerungen an ein staubiges Klassenzimmer, einen überengagierten kauzigen Lehrer, Experimente, die nie funktionieren, kryptische Formeln, die niemand versteht, und an eine Mischung aus nackter Angst und unendlicher Langeweile. Ich aber denke bei diesem Wort an eine kleine grauhaarige Dame und klebrige Schokoladenbonbons. Das Interesse an Naturwissenschaften im Allgemeinen und an Physik im Besonderen habe ich nämlich meiner Oma zu verdanken. Und das, obwohl die Gute von Naturwissenschaften in etwa so viel Ahnung hatte wie das Krümelmonster von der Ernährungspyramide. Trotzdem ist sie dafür verantwortlich, dass aus mir ein Physiker geworden ist.

Angefangen hat das Ganze auf dem Helenenfriedhof, Feld 13, Reihe 5, Grab 4, in Essen-Altendorf. Hier ruht sie nämlich, Oma Josefine, seit gut einem Vierteljahrhundert unter Stiefmütterchen, zusammen mit meinen Urgroßeltern. Als Oma noch lebte, war ich fast jeden Sonntag bei ihr, habe mit ihr ferngesehen und Storck Riesen gefuttert. Diese kleinen braunen, mit Schokolade getarnten Plombenzieher, die meine Oma trotz eines strikten Süßkram-Verbots ihres Hausarztes in großen Mengen vertilgte. Meine Oma hatte schließlich den Zweiten Weltkrieg überlebt, was sollten da ein paar Bonbons schon groß anrichten?

Nachdem meine Oma das Zeitliche gesegnet hatte, nahm meine Mutter mich häufig mit auf den Friedhof, um sie und meine anderen längst verstorbenen Verwandten zu besuchen und deren Gräber pflichtbewusst, wie es sich für einen guten Katholiken gehört, mit neuen Blumen und Kerzen zu versehen. Meine Mutter hat diesen Akt christlicher Gartenarbeit immer damit begründet, dass Oma, nur weil sie tot sei, noch lange nicht allein im Dunkeln liegen müsse. Wie ihr euch sicher vorstellen könnt, war es für meine Mutter nicht gerade leicht, einen gameboy- und fernsehverwöhnten Jungen an seinem schulfreien Tag an die frische Luft und dann auch noch auf den Friedhof zu zerren, und ihm das auch noch als Unterhaltung zu verkaufen.

An dieser Stelle kam meiner Mutter der gute deutsche Ordnungszwang zu Hilfe, der selbst vor Gottes heiligem Acker nicht haltmacht: Der Helenenfriedhof ist, wie wohl fast jeder Friedhof in Deutschland, wie am Reißbrett entworfen und fein säuberlich in Felder, Reihen und Gräber aufgeteilt. In dieser Hinsicht ist ein Friedhof ähnlich wie ein Kleingartenverein, nur, dass nicht jeden Samstag gegrillt und der Boden mit den eigenen Angehörigen gedüngt wird. Der Ordnungszwang dieses »Friedhofvereins« hatte zur Folge, dass an den Rändern des Weges an fast jeder Abbiegung und Kreuzung kleine Tafeln mit Zahlen aufgestellt waren, um die Gräber mit ihren entsprechenden Koordinaten zu versehen. An diesen endlosen Sonntagen ohne Grillwurst auf dem Friedhof beschäftigte meine Mutter mich damit, mir die Zahlen auf den Steinen beizubringen, und später dann die Zahlen entlang unseres Weges zu addieren, zu subtrahieren oder zu multiplizieren. Irgendwo habe ich gehört, dass es unter Gedächtniskünstlern eine weitverbreitete Technik ist, sich Zahlenfolgen anhand eines imaginären Weges einzuprägen. Wie dem auch sei, ich habe diesem Umstand auf jeden Fall zu verdanken, dass ich die Grundrechenarten beherrschte, bevor ich meinen eigenen Namen lesen oder schreiben konnte und auch heute noch die Jahreszahlen auf den Grabsteinen addiere, wenn ich über einen Friedhof spaziere.

Durch diese seltsame Verbindung von Tod, frischer Luft und Mathematik ist mir jedenfalls früh klargeworden, dass man etwas Abstraktes am besten lernt, wenn man es mit etwas ganz Alltäglichem oder mit einem Bild in Verbindung bringt, vollkommen egal, wie trostlos, morbide oder unpassend es auch sein mag. Vielleicht war es aber auch einfach nur der Mangel an Alternativen auf dem Friedhof, der die Mathematik für mich in ein anderes Licht tauchte. Wahrscheinlich war es am Ende eine Mischung aus beidem.

Das Fundament meiner naturwissenschaftlichen Ausbildung hatte meine Mutter also schon früh gegossen, und wie so viele Menschen verbinde ich nun seit frühster Kindheit Mathematik mit Tod und Verderben … nur etwas anders als die meisten. Danke, Mama!

Mathematik ist zwar für ein grundlegendes naturwissenschaftliches Verständnis sehr hilfreich und irgendwann auch nötig, mein Friedhofsflirt mit den Zahlen war allerdings nicht der ausschlaggebende Grund, warum ich bei den Naturwissenschaften gelandet bin. In die Arme der Physik getrieben hat mich ein magischer Moment. Wie schon gesagt, ist meine Oma an allem schuld oder genauer gesagt, die schicke neue Grablampe, die wir ihr irgendwann kauften, damit sie, wie meine Mutter immer wieder betonte, auch nachts nicht im Dunkeln liegen müsse. Es handelte sich dabei um eines dieser Standardmodelle aus Bronze, die so klangvolle Namen wie »Grablaterne Avila« oder »Leuchte Ewiges Licht« tragen. Auf einem Steinsockel ruhend, mit kleinen Glasscheiben an allen vier Seitenwänden, einer quietschenden Tür und Verzierungen, die entweder von einer katholischen Kindergartengruppe entworfen oder von einem von Arbeitslosigkeit bedrohten Designstudenten unter Protest angefertigt worden waren. Das Besondere an der Lampe meiner Oma war nicht ihr Name oder das Material, es war die Form der Glasscheiben. Um die Lampe noch schöner und dabei nur ein wenig kitschiger wirken zu lassen, waren die rechteckigen Scheiben an den Kanten jeder Seite in einem etwa 60-Grad-Winkel angeschliffen worden. Der Marketingleiter für Friedhofsequipment hatte das dann mit dem Wort »facettiert« umschrieben. Man kann sich die Form in etwa so vorstellen wie ein Stück Toblerone, auf halber Höhe abgebissen und dann auf die Seite gelegt. Etwas vergrößert sieht ein Ausschnitt in der Seitenansicht so aus:

Die Grablampe meiner lieben Oma Josefine, der ich meinen beruflichen Werdegang zu verdanken habe. Rechts in der Vergrößerung seht ihr den »facettierten« Schliff der Seitenscheiben.

Dieser simple Modeschliff, der wahrscheinlich der letzte Akt der Rebellion des verzweifelten Designstudenten gewesen ist, hatte weitreichende Folgen für den Rest meines Lebens …

An einem winterlichen Sonntagmorgen war ich wieder mit meiner Mutter auf dem Weg zum Grab meiner Oma, um neue Blumen zu pflanzen und den Drei-Tage-Brenner (auch wenn es sich so anhört, ist das keine Geschlechtskrankheit, sondern eine besondere Art von Friedhofskerze) in der Grablampe auszutauschen. Als ich wie üblich mehr oder weniger fröhlich vor mich hin addierend und multiplizierend durch die Reihen aus Tod und Verfall tanzte, bemerkte ich plötzlich, dass das Grab meiner Oma an diesem Morgen irgendwie anders aussah als sonst. Die winterliche Sonne hatte es in ein wahres Farbenmeer getaucht. Ausgehend von der neuen Lampe, ergoss sich ein Regenbogen über die alten, leicht welken Blumen und verlieh der sonst recht trostlos wirkenden Szenerie einen bunten Anstrich. Ich hatte damals nicht den Hauch einer Ahnung, was da genau vor sich ging, aber die Erklärung meiner Mutter, »den Regenbogen hat der liebe Gott gemacht, weil Oma sich freut, dass wir sie besuchen«, klang für mich, nach zehn Jahren katholischer Erziehung, durchaus plausibel. Auch wenn ich nach wie vor die Vorstellung, dass der liebe Gott den Regenbogen auf das Grab gezaubert hat, sehr mag, hege ich inzwischen doch berechtigte Zweifel an dieser Version der Geschichte. Für deutlich wahrscheinlicher halte ich es heute, dass einzelne Anteile des Lichts aufgrund der Dispersion der Phasengeschwindigkeit im angeschliffenen Glas der Grablampe unterschiedlich stark gebrochen wurden, wodurch es je nach Winkel in seine spektralen Anteile zerlegt wurde. Zugegeben, nicht nur für einen Zehnjährigen klingt die Version mit Gott und dem Regenbogen deutlich zugänglicher als die Sache mit der Dispersion. Vermeidet man aber die Fachbegriffe und erklärt das Ganze etwas vereinfacht mit anschaulichen Bildern, dann ist die physikalisch wahrscheinlichere Theorie auch nicht viel komplizierter als die Version mit dem gutmütigen Rauschebart im Himmel.

Das Physikstudium liegt am Ende des Regenbogens

Schauen wir uns genauer an, was an diesem magischen Wintermorgen am Grab meiner Oma passiert ist:

Durch die im Winter häufig tiefstehende Sonne traf das Sonnenlicht an diesem Morgen in einem sehr flachen Winkel auf die Grablampe meiner Oma. Die meisten von uns würden das Licht, das von der Sonne kommt, aber als rein weißes Licht beschreiben. Woher kamen aber die Farben, die ich als Kind sah?

Die im ersten Moment wahrscheinlich erstaunliche Wahrheit ist, dass es »weißes« Licht (also Weiß als Farbe) gar nicht gibt. Das, was wir allgemein als weißes Licht wahrnehmen, ist eine Mischung aus verschiedenen Farben. Diese sogenannte additive Farbmischung fällt uns nur nicht auf, weil unser Auge die Überlagerung von blauem, grünem und rotem Licht entsprechender Intensität als Weiß interpretiert. Das könnt ihr nachvollziehen, wenn ihr euch euer Handy- oder Computerdisplay mit einer Lupe anseht: Das, was auf den ersten Blick wie Weiß erscheint, ist nur eine Mischung aus roten, grünen und blauen Pixeln.

Der Grund dafür ist, dass unser Auge nur drei Arten von farbempfindlichen Zellen besitzt. Jede dieser drei Zellarten ist dabei auf einen bestimmten Bereich des sichtbaren Spektrums spezialisiert. Die einen Zellen erkennen am besten Licht aus dem roten Bereich, die anderen aus dem blauen und die letzten aus dem grünen. Werden alle drei Zellarten gleichzeitig mit gewisser Intensität stimuliert und melden ans Gehirn »Hey, Alter, da is was!«, dann macht unser Gehirn daraus die Farbe Weiß.

Das im Malen mit Fingerfarben und Buntstiften geübte Kind wird an dieser Stelle einwerfen, dass das so ja nicht stimmt, denn egal, wie viele verschiedene Farben es auf der neuen Tapete im Wohnzimmer zusammenmischt, es kommt einfach kein Weiß dabei heraus, sondern höchstens Braun! Was schlicht daran liegt, dass hier keine additive, sondern eine subtraktive Farbmischung stattfindet. Warum das so ist und worin genau der Unterschied besteht, erkläre ich in einem späteren Kapitel.

Wichtig für das Farbwunder auf dem Grab meiner Oma ist im Moment nur, dass es Weiß als Farbe nicht gibt, sondern sie durch die Überlagerung verschiedener Farben in unserem Kopf entsteht. Die Grablampe hat es irgendwie geschafft, die Farben zu entmischen und einzeln für unser Auge sichtbar zu machen. Die ausschlaggebende Frage ist: Wie?

An dieser Stelle kommt die sogenannte »Dispersion der Phasengeschwindigkeit« ins Spiel. Einfacher ausgedrückt: Licht unterschiedlicher Farbe breitet sich nicht überall gleich schnell aus. Zwar reden die Physiker immer von einer universellen Konstanten, wenn es um die Lichtgeschwindigkeit geht, aber gemeint ist damit immer die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum, und die beträgt auch tatsächlich genau 299.792.458 Meter pro Sekunde, und zwar immer und für jede Farbe. In einem Medium wie Luft, Glas oder Plastik sieht das Ganze aber vollkommen anders aus, hier ist die Lichtgeschwindigkeit langsamer und zusätzlich auch noch von der jeweiligen Farbe abhängig. In gewöhnlichem Glas zum Beispiel ist rotes Licht langsamer als blaues Licht. Und genau diese unterschiedlichen Geschwindigkeiten je nach Farbe bezeichnet man als »Dispersion«.

Die von Farbe und Material abhängige Lichtgeschwindigkeit hat nun weitreichende Folgen. Wir stellen uns einen weißen bzw. bunten Lichtstrahl vor, der leicht schräg auf ein Stück Glas trifft. So ein Lichtstrahl hat auch immer eine gewisse Breite, d. h., ein Teil von ihm trifft früher auf das Glas als ein anderer. Wenn aber ein Teil des Strahls früher auf das Glas trifft, heißt das auch, dass dieser Teil früher ausgebremst wird als der Teil des Lichtstrahls, der sich noch in der Luft befindet. Die Folge ist, dass der Lichtstrahl im Glas zum Lot hin gebrochen wird. Das kann man sich so vorstellen wie einen Fahrradfahrer, der sich bei voller Fahrt geradeaus mit seiner rechten ausgestreckten Hand an einer Laterne festhält. Dadurch, dass seine rechte Seite plötzlich stark abgebremst wird, biegt der Radfahrer auch unweigerlich nach rechts ab.

Beim Austritt aus dem Glas, also wieder zurück an die Luft, passiert das Ganze noch einmal, nur genau umgekehrt: Der Teil des Lichtstrahls, der zuerst das Glas wieder verlässt, ist schneller als der andere Teil, so dass der Strahl vom Lot weggebrochen wird.

Da es sich bei Glas um ein optisch dichteres Medium als Luft handelt, wird Licht beim Übergang von Luft zu Glas zum Lot hin gebrochen und beim Übergang von Glas zu Luft vom Lot weg.

Dadurch, dass die Lichtgeschwindigkeit für alle Farben in dem Glas unterschiedlich ist, wird jede Farbe beim Übergang von Glas zu Luft bzw. von Luft zu Glas ein klein wenig anders abgelenkt und dadurch aufgefächert. Bei einer glatten, dünnen Glasscheibe (z. B. bei einer einfachen Fensterscheibe) kann man diesen Effekt leider nicht beobachten, da die Oberflächen (Vorder- und Rückseite) der Glasscheibe genau parallel zueinander sind und daher die Winkel des Lichts beim Ein- und Austritt aus der Glasscheibe genau so verlaufen, dass das Licht, das beim Eintritt in die Scheibe aufgefächert wurde, beim Austritt wieder ebenso zusammenfällt.

Genau hier kommt der Modeschliff der Grablampe zum Tragen. Durch den 60-Grad-Winkel-Schliff der Kanten der Scheiben unterscheiden sich die Winkel beim Ein- und Austritt des Lichts aus der Glasscheibe, und die verschiedenen Farben fallen nicht mehr zusammen, sondern werden im Idealfall sogar noch weiter aufgefächert.

Durch die unterschiedlichen Lichtgeschwindigkeiten der verschiedenen Farben wird das »weiße« Licht in seine Bestandteile zerlegt.

Obwohl ich das alles damals noch nicht wusste, habe ich an diesem Tag angefangen, mich dafür zu interessieren, wie und warum die Welt funktioniert, wie sie funktioniert.

Gestählt durch die mathelastigen Jahre meiner Kindheit bei den toten Verwandten und durch ein gesundes Interesse an lebensbejahenden Dingen wie Tetris und dem Krieg der Sterne, wurde aus mir ein Teenager, der sich fragte, ob die imperialen Sturmtruppen nur eine konsequente Weiterentwicklung der Föderation der Planeten waren und Yoda vielleicht der letzte überlebende Urenkel von Mr. Spock. Kurz gesagt: ein Bilderbuch-Nerd, der damals wahrscheinlich auch zu einem alten weißhaarigen Mann in den Lieferwagen gestiegen wäre, wenn dieser ihm nur glaubhaft versichert hätte, er müsse zurück in die Zukunft, um seine zukünftigen Kinder zu retten.

Die unausweichliche, aber logische Konsequenz meiner Jugend war das Physikstudium. Wer jetzt glaubt, dass ich mein Studium im Schnelldurchgang und mit Bestnoten absolviert habe, der irrt leider gewaltig. Ich habe es zwar geschafft, mich durch Höhere Mathematik und Theoretische Physik 1 bis 5 zu kämpfen, aber geglänzt habe ich dabei nicht. Eine Sache, die ich mir aber trotz des ganzen Frusts bewahrt habe, ist die Herangehensweise, mir alles, selbst die kompliziertesten physikalischen Zusammenhänge, in möglichst einfachen und einprägsamen Bildern oder Situationen vorzustellen und damit einen möglichst einfachen Zugang zu den oft recht komplizierten Problemstellungen zu bekommen. Dabei ist natürlich nicht immer alles hundertprozentig korrekt, und dem ein oder anderen Mathematiker, Physiker, Chemiker und Biologen würde bei diesen Vereinfachungen das Herz bluten, aber es reicht meist, um viele Phänomene zu erklären und die grundlegenden physikalischen Prinzipien hinter den Dingen zu verstehen. Vor allem ist es super, wenn man seiner Mutter oder Freunden auf einer Party erklären möchte, was man als Physiker eigentlich den ganzen lieben langen Tag so treibt im Labor.

In diesem Buch möchte ich genau das tun: Ich werde euch zeigen, dass Physik trotz ihres massiven und teilweise berechtigten Imageproblems häufig auch unterhaltsam und in wirklich jedermanns Alltag hilfreich sein kann. Nehmen wir als Beispiel doch eine typische Studenten-WG-Silvesterparty und betrachten sie mit einer Prise Naturwissenschaft.

Der Rachefeldzug – Beer tapping

WG-Küche: 18.00 Uhr

Die Silvesterparty, von der ich euch erzählen möchte, fing eigentlich an wie jede unserer WG-Partys. Wir verbrachten den Vormittag damit, große Mengen an Pfandflaschen für schlechte Zeiten in den Keller zu schaffen, riesige Berge von alten Pizzaschachteln ins Altpapier zu befördern und dem Kater, als Vorbereitung beziehungsweise vorzeitige Wiedergutmachung für das, was in den nächsten Stunden kommen würde, eine halbe Dose Thunfisch hinzustellen. Da wir bis zum Eintreffen der ersten Gäste noch etwas Zeit hatten, googelte ich an meinem Rechner vorsorglich die Paragraphen des BGB und StGB bezüglich Ruhestörung und Erregung öffentlichen Ärgernisses, als ich an einer meiner Zimmerwände einen dumpfen Schlag vernahm. Dem Schlag folgten Flüche, Drohungen, Beleidigungen und die Kündigung einer Freundschaft. Wären Vorkommnisse solcher Art in der Kölner Straße 13a in den letzten drei Jahren nicht an der Tagesordnung gewesen, wäre ich vielleicht beunruhigt aufgestanden, um nach dem Rechten zu sehen. Wenige Minuten später hörte ich aber schon wieder die vertrauten, freundschaftlichen Sticheleien und Vorwürfe einer typischen FIFA-Partie. Mattes, einer unserer Nachbarn, war offenbar schon eingetroffen und hatte meinen Mitbewohner Tom zu einer weiteren Partie in ihrem gefühlt nie endenden Kampf auf dem virtuellen Rasen herausgefordert. Ich glaube, in den frühen Stunden dieses Silvesterabends führte Mattes die ewige Tabelle mit 174 Siegen an und war damit fast uneinholbar geworden. Viel wichtiger als der Tabellenplatz war daher das Einzelergebnis der letzten Woche, denn hier lag Mattes mit acht Siegen nur sehr knapp, um genau zu sein nur einen Sieg, hinter Tom.

Begonnen hatte diese Auseinandersetzung vor fast genau drei Jahren, kurz nachdem Mattes mit seiner englischen Bulldogge Wilhelm in die große Wohnung über uns eingezogen war. Als der riesige, gutmütige Hund eines Tages in unserer Küche gestanden und den Kater in Angst und Schrecken versetzt hatte, kam Mattes hinterhergestolpert – und ist seitdem eigentlich nie wieder gegangen.

Genau wie sein Hund ist auch Mattes gebürtiger Brite, der aber nach einer kurzen Jugend im Land von Sperrstunde und Tea time im Ruhrpott sozialisiert wurde. Seine britischen Wurzeln erkennt man im Grunde nur noch an ein paar Marotten, die er einfach nicht losgeworden ist oder vielleicht auch gar nicht loswerden wollte. Neben seiner glühenden, fast fanatischen Verehrung einiger britischer Fußballclubs und der Queen sind die auffälligsten sein Trinkverhalten und die Vorliebe für kleines, staubtrockenes Gebäck.

Mattes’ Trinkverhalten lässt sich am besten als das eines Binärtrinkers beschreiben und erinnert stark an die längst vergangenen Tage, in denen man, kurz bevor die Glocke in der Kneipe die letzte Runde einläutete, noch alles, was auch nur im Entferntesten nach Alkohol aussah, in sich hineinschüttete. Auch, wenn die Sperrstunde schon lange abgeschafft worden ist, schafft es Mattes trotzdem, auf jeder Party nur zwei diskrete Zustände einzunehmen: Er ist stocknüchtern, bis irgendwann vollkommen unvermittelt seine innere Glocke zur letzten Runde läutet und er von einem auf den anderen Moment so betrunken wirkt, dass er selbst David Hasselhoff und Harald Juhnke harte Konkurrenz macht. Auch, wenn ihn jeder von uns nach so einer Party schon eine Etage nach oben in seine Wohnung, oder sogar den weiten Weg nach Hause schleppen musste, weil ihn kein Taxi mehr mitnehmen wollte, war ihm selten jemand besonders lange böse. Grund hierfür ist eine andere seiner seltsamen Angewohnheiten, die jeder in unserem Haus zu schätzen weiß. Mattes selbst nennt diese Angewohnheit »Backen mit Hass«. Hinter dieser leicht brachial wirkenden Bezeichnung verbirgt sich nichts anderes als die Tatsache, dass Mattes seit frühester Kindheit an Schlafstörungen leidet und seine Nächte allzu oft schlechtgelaunt mit den Wiederholungen nachmittäglicher Koch- und Backshows verbrachte. Folge dieser vielen, fast schlaflosen schlechtgelaunten Nächte ist, dass Mattes seine Back- und Konditorkünste zu einer Perfektion getrieben hat, die keiner von einem über und über tätowierten englischen Buchhalter erwarten würde. Hatte Mattes mal wieder seine innere Sperrstunde überschritten, trug ihn jeder von uns gern heim, wussten wir doch, dass am nächsten Tag eine kleine Auswahl an Törtchen vor unserer Wohnungstür liegen würde. Zwar wird Engländern gerade beim Essen schlechter Geschmack nachgesagt, aber in den Jahren nach meiner WG-Zeit habe ich nie wieder auch nur vergleichbares Gebäck verköstigen dürfen.

Ein kurzes grummeliges »’tschuldigung, mir is der Controller aus der Hand gerutscht« bestätigte meinen ersten Verdacht, dass es sich bei dem dumpfen Geräusch aus der Küche um einen unserer PS3-Controller gehandelt haben musste, der mit voller Wucht gegen die Wand geschlagen worden war. Tom kannte ich zu dieser Zeit schon mein halbes Leben lang und wusste, dass den bärtigen, glatzköpfigen Religionslehrer eigentlich nichts so leicht aus der Fassung bringen konnte, es sei denn, es handelte sich um eine Partie FIFA gegen Mattes – da konnte schon mal so ein Controller quer durch die Küche fliegen.

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