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Das Tagebuch war in brüchiges braunes Leder gebunden und sah aus wie handgemacht. "woher hast du das ?", fragte Alison. Die Freunde Max und Alison könnten nicht gegensätzlicher sein: Max ist immer auf der Suche nach neuen
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Seitenzahl: 308
© 2019 Schneiderbuch.digital
verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH,
Alte Jakobstraße 83, 10179 Berlin
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel
„MINECRAFT – The Lost Journals“ bei Del Rey, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC
This translation is published by arrangement with Del Rey, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC
Copyright © 2019 Mojang AB and Mojang Synergies AB. MINECRAFT is a trademark
or registered trademark of Mojang Synergies AB.
All rights reserved.
Übersetzung aus dem Englischen: Maxi Lange
Coverillustration und -design: Elizabeth A. D. Eno
Umschlaggestaltung: Achim Münster, Overath
Satz: PPP Pre Print Partner GmbH & Co KG, Köln
In Anlehnung an das amerikanische Original
eBook: PPP Pre Print Partner GmbH & Co. KG, www.PPP.eu
ISBN 978-3-505-14081-5
www.schneiderbuch.de
Für Fiona, Blaze und all die Schildkröten
Prolog
TEIL EINS
Da kann man auch gleich Mooshrooms züchten
An der Wasseroberfläche der kleinen Bucht waren nur die Köpfe roter und orangefarbener Schafe zu erkennen, die immer wieder auf- und abtauchten und abwechselnd blökten und gurgelten. Alison schüttelte resigniert den Kopf. Die Schafe waren ausgerissen und geradewegs ins Wasser gelaufen. Wieder mal.
Sie verschränkte die Arme und beobachtete eine Weile die auf und ab schaukelnden flauschigen Quadratköpfe. Die Tiere gedachten offenbar nicht, in näherer Zukunft wieder an Land zu kommen. Was war nur los mit den Viechern? Sie waren völlig verrückt nach Wasser – mehr als jedes andere Schaf, dem Alison je begegnet war. Ihre Eltern hatten die Tiere wegen der bunten Wolle gezüchtet, aber soweit sie wusste, hatten die Schafe nie versucht, sich mit Tintenfischen zu paaren.
Apropos Tintenfische: Den dunklen Flecken im Wasser nach zu urteilen, hatten die Schafe bereits Bekanntschaft mit ein paar neuen Freunden gemacht.
Die Sonne stand hoch am Himmel, also blieb Alison genug Zeit, ins Wasser zu waten und die Schafe zurückzuholen. Sie hasste es, den kleinen Monstern hinterherzuschwimmen. Nasse Wolle stank nämlich zum Himmel.
„Großartig“, murmelte sie und krempelte die Ärmel hoch. Dann holte sie etwas Weizen aus der Tasche und trat ans Ufer.
„Was machst du da?“, rief eine Stimme hinter ihr.
Erschrocken wirbelte sie herum. Dort stand grinsend ihr bester Freund. „Max!“, rief sie. „Mach das nicht noch mal. Ich dachte, du wärst ein Creeper!“
Er zuckte mit den Schultern. „Hab ich etwa gezischt? Ich wollte nur wissen, was du hier treibst.“ Er neigte den Oberkörper zur Seite, um an ihr vorbeisehen zu können. „Oh … deine Schafe nehmen mal wieder ein Bad?“
Alison war hin und her gerissen. Sollte sie ihn auf das absolut Offensichtliche hinweisen oder ihn auffordern, sich vom Wasser fernzuhalten? Sie entschied sich für beides. „Äpfelchen und Kleiner Prinz sind wieder entwischt. Ich hole sie zurück …“ Max öffnete seinen Mund, doch Alison kam ihm zuvor: „… und zwar allein, Max. Deine Mutter bringt dich um, wenn du dem Wasser zu nahe kommst. Und dann bin ich dran.“
Max legte die Hand an die Stirn, um seine Augen vor dem Sonnenlicht abzuschirmen, und sah sich betont gründlich um. „Hm. Also ich sehe sie nirgends und … na, so was, ich stehe ja schon am Wasser!“ Vorsichtig tauchte er die Zehen ins Nass und kniff die Augen zu. Dann öffnete er sie wieder. „Bin ich gestorben?“
„Noch nicht“, zischte Alison. „Lass mich einfach die Schafe rausholen. Wenn du mir helfen willst, wirf lieber einen Blick auf den Zaun und finde heraus, wie sie schon wieder entkommen konnten.“
Max machte einen weiteren Schritt ins Wasser und beobachtete die planschenden Schafe. Alison musste zugeben, dass die Viecher wirklich einen Heidenspaß in der Bucht hatten. Genau wie der Tintenfisch, dessen Tentakel immer wieder neben den bunten Flauschköpfen auf- und abtauchten.
„Weißt du, ich glaube, sie können mich besser leiden als dich“, sagte Max. „Du brauchst meine Hilfe.“
„Das spielt keine Rolle. Sie kommen so oder so, wenn ich ihnen Futter anbiete“, gab Alison verärgert zurück. „Außerdem können sie dich überhaupt nicht besser leiden.“
Doch das taten sie sehr wohl. Und es wurmte Alison, dass die roten und orangefarbenen Exemplare der Familienherde ihren besten Freund mochten und sie ignorierten. Das zeigte sich auch jetzt wieder. Die Schafe dachten wohl, Max wäre gekommen, um mit ihnen zu spielen, denn kaum stand er bis zu den Knien im Wasser, schwammen sie verzückt blökend auf ihn zu.
Dabei hatte er nicht einmal versucht, sie mit Weizen zu locken.
„Max!“, ertönte eine schneidende Stimme, und Alison zuckte zusammen. Sie beschloss, sich lieber nicht umzudrehen. Der scharfe Ton war ihr nur zu vertraut. Max’ Mutter! „Komm auf der Stelle aus dem Wasser!“
Mit zusammengepressten Lippen fegte sie an Alison vorbei und rannte in die Bucht. Äpfelchen und Kleiner Prinz blökten panisch, drehten sich um und flohen vor dem tobenden Monstrum, das es offenbar auf Max abgesehen hatte. Auch der Tintenfisch suchte das Weite und tauchte ab.
Max’ Mutter würdigte die Kreaturen keines Blickes. Sie packte ihren protestierenden Sohn am Arm und zerrte ihn zurück an Land.
Zappelnd versuchte Max, sich zu befreien. „Mom, es ist alles gut, ich ertrinke nicht. Weiter wollte ich doch gar nicht hineingehen!“, rief er. „Ich muss Alison mit den Schafen helfen!“
„Ich werde nicht zulassen, dass ich dich noch einmal verliere!“, schluchzte seine Mutter mit Tränen in den Augen und wütendem Blick. Sie ließ ihn in den Sand fallen und stemmte die Hände in die Hüften.
„Du verlierst mich doch nicht!“, verteidigte sich Max, doch seine letzten Worte wurden abgewürgt, als seine Mutter sich plötzlich vorbeugte, um ihn fest in die Arme zu schließen.
„Hast du denn vergessen, dass ich dich schon einmal fast verloren habe?“, wiederholte sie und ignorierte seine Versuche, sich zu befreien.
Peinlich berührt sah Alison weg. In den letzten Monaten war es ihr zunehmend unangenehm, familiäre Liebesbekundungen anderer Leute zu beobachten – auch wenn sie, wie in Max’ Fall, ziemlich übertrieben waren.
„Und Alison“, fuhr Max’ Mutter fort, als sie ihren Sohn endlich losließ, um die Fäuste wieder in die Hüfte zu stemmen. „Ich dachte, du wüsstest es besser.“
„Lass es nicht an Ali aus, Mom“, schaltete Max sich ein und trat zwischen die beiden. „Sie hat mir gesagt, ich soll nicht reingehen. Ich hab nicht auf sie gehört.“
„Trotzdem sollte sie auf dich aufpassen. Schließlich ist sie älter.“
„Weniger als ein Jahr!“, protestierte Max. „Ich bin zwölf, ich brauche keinen Aufpasser.“
„Wir reden beim Abendessen weiter, ihr zwei“, verkündete seine Mom, dann drehte sie sich wieder zu Max um: „Und du gehst auf keinen Fall noch mal ins Wasser.“
Max seufzte. „Ja, okay. Ich sehe mir den Zaun an, Ali. Aber nimm dich unterwegs vor Wasser in Acht. Obwohl ich nicht weiß, wie du meine Spucke umgehen willst – vor der gibt es kein Entkommen.“ Er spuckte auf den Boden und rannte dann in gespielter Panik mit erhobenen Armen davon.
„Das ist nicht witzig!“, rief Max’ Mutter und sah ihm mit tränenverschleiertem Blick hinterher. „Ich will nicht, dass er ins Wasser geht“, erinnerte sie Alison, als fürchte sie, sie hätte es vergessen.
„Ich weiß“, gab Alison zurück. „Ich wäre auch lieber woanders, aber der Zaun ist wieder kaputtgegangen, und ich muss die Schafe zurückholen.“
Max’ Mutter wischte sich über die Wange und atmete tief durch. Gefasst sah sie Alison an, die geschwollenen Augen voller Mitleid. „Warum?“, fragte sie sanft.
„Was meinst du? Warum ich sie zurückholen will? Weil sie weggelaufen sind“, sagte Alison und blinzelte irritiert. „Oder warum der Zaun kaputt ist? Keine Ahnung, aber die Schafe sind durchgeschlüpft, und wenn das passiert, muss man sie eben wieder zurückbringen. Mein Opa hatte früher immer diesen komischen Spruch parat: ‚Wenn die Schafe ständig ausbüxen, kann man auch gleich Mooshrooms züchten.‘“
Max’ Mutter runzelte die Stirn. „Das ergibt keinen Sinn. Ich meinte, warum machst du dir so viele Gedanken um die Schafe? Sie kommen doch auch in der Wildnis klar. Du musst dich nicht mehr um sie kümmern. Wir benötigen keine Wolle, und du kannst die Verantwortung nicht gebrauchen. Es gibt keinen Grund, sie weiterhin zu züchten. Außerdem musst du wegen der ständigen Reparaturarbeiten am Zaun immer wieder zu deinem Haus zurück. Das weckt nur böse Erinnerungen, meinst du nicht?“ Das „immer wieder“ hatte sie besonders betont – wohl, um Alison daran zu erinnern, dass es ihr bestimmt nicht guttat, das zerstörte Haus wiederzusehen. Sie tätschelte Alisons Schulter. „Denk darüber nach. Wir sehen uns beim Abendessen.“
Alison starrte aufs Wasser, damit sie nicht zusehen musste, wie sie fortging. Der Schafstall stand ein gutes Stück von ihrem Haus entfernt hinter ein paar Bäumen. Eigentlich konnte sie die Ruine, die einmal ihr Zuhause gewesen war, von dort aus gar nicht sehen.
Sie besuchte den Stall oft, um die Schafe zu versorgen. Sie fand, das schuldete sie ihnen.
Aber Max’ Mutter hatte recht. Sie hatten keine Verwendung für die Wolle, und Alison verschwendete mit den ständigen Reparaturen am Zaun nur Zeit und Material – manchmal verbrachte sie ganze Nachmittage damit, entflohene Schafe einzufangen.
Andererseits waren die Tiere eins der wenigen Dinge in ihrem Leben, die ihr noch Freude bereiteten. Versonnen betrachtete sie die schwimmenden Schafe, die vergnügt mit dem Tintenfisch spielten. Es sah beinah so aus, als wolle der Oktopus Äpfelchen umarmen, während Kleiner Prinz versuchte, die Tentakel, die ihm zu nahe kamen, mit dem Kopf zu erwischen.
Alison hörte schnelle Schritte hinter sich, und ehe sie reagieren konnte, hielt Max schon geradewegs auf die Bucht zu. Jubelnd sprang er ins flache Wasser, dass es nur so spritzte, und watete dann hüpfend in Richtung der Schafe, die ihn fröhlich blökend begrüßten.
Alison lachte. Mit dem Weizen über dem Kopf wedelnd watete sie hinterher. Selbst wenn der Ärger fast schon greifbar war, gelang es Max immer wieder, sie zum Lachen zu bringen. Wenigstens in solchen Momenten vergaß sie ihre Sorgen für eine Weile.
Alisons Vater hatte nicht viel Fantasie
Max hielt Äpfelchen etwas Weizen hin, während Alison seine Reparaturen am Zaun begutachtete.
„Verfüttere nicht zu viel“, warnte sie, ohne den Freund anzusehen. „Ich kann gerade keine neuen Lämmer gebrauchen.“
„Ach, komm, willst du etwa kein süßes kleines Baby-Äpfelchen?“, fragte Max und streichelte das Schaf. „Vielleicht ein Apfelsinchen?“
„Nicht, wenn das Apfelsinchen nach seiner Mutter schlägt und ständig ausbüxt, um im Wasser zu planschen“, antwortete Alison. „Sag mal … hast du mein Werkzeug benutzt, um den Zaun zu reparieren? Oder hast du auf … eine andere Methode zurückgegriffen, hm?“ Mit gerunzelter Stirn und skeptischem Blick musterte sie die großen, sperrigen Objekte, mit denen er den Zaun geflickt hatte.
Max sah auf. „Ach, das. Ich habe mir einfach irgendwelche Blöcke geschnappt und das Loch gestopft. Ich konnte kein Holz finden, also habe ich zwei Blöcke übereinandergestapelt, falls Blaubär wieder auf die Idee kommt, Hochsprung zu üben. War das nicht richtig?“
„Ist das dein Ernst?“ Sie wedelte in Richtung Zaun. Dann ließ sie den Blick über die Lichtung schweifen. Der Hof von Alisons Familie befand sich außerhalb des Dorfes und in der Nähe von Max’ Haus. Die Lichtung war zwar groß, aber von vielen hohen Bäumen umgeben. Die Ruine ihres alten Zuhauses befand sich außerhalb ihrer Sichtweite, und Max war aufgefallen, dass sie diesem Bereich immer den Rücken zudrehte. So als wolle sie vergessen, was dort war.
„Du hattest massig Holz! Ich habe dir gutes Werkzeug gegeben!“, rief Alison und deutete in Richtung der Bäume. „Und du, du stopfst das Loch mit … Was ist das überhaupt?“
„Obsidian.“ Max wusste, dass sie noch nie echten Obsidian gesehen hatte. Er war einfach zu selten, und ihre Eltern hatten ihnen verboten, in der Nähe von Lava zu spielen.
Einen Moment lang starrte sie ihn an – bevor sie ihn mit Fragen bestürmte: „Inwiefern soll das bitte eine vernünftige Reparatur sein? Das ist doch gar kein richtiger Zaun mehr. Und woher um alles in der Oberwelt hast du Obsidian? Und warum verschwendest du es an einen Zaun? Wenn deine Mutter rauskriegt, dass du mit Wasser und Lava herumexperimentiert hast, wird sie …“
„… mich umbringen, ich weiß“, unterbrach Max den Redefluss und grinste. „Mom müsste mich ganz schön oft umbringen, wenn sie wüsste, was ich so treibe. Meinst du, sie wäre wütender wegen der Lava oder wegen des Wassers?“
Das war eine klare Aufforderung. Frag mich wegen der Blöcke. Frag mich, wo ich war. Doch statt ihm weitere Fragen zu stellen, scheuchte Alison jetzt die kleinen Wassernarren in den Stall, was die anderen Tiere (Blaubär, Gevatter Blau, Hellblau und Macht-nichts-dass-du-grau-bist, kurz Grau) misstrauisch beäugten. Die meisten Schafe hielten sich von Gewässern fern und mieden Artgenossen, die allzu vernarrt in das kühle Nass waren. Doch Äpfelchen und Kleiner Prinz schienen die Blicke der anderen egal zu sein. Seelenruhig kauten sie ihr Getreide, während sich um sie herum Pfützen bildeten. Ein Geruch nach nasser Wolle hing in der Luft.
Alison nahm ihre Schaufel und fing an, vor dem Zaun zu graben. Max stöhnte. Sie hatte mal wieder diesen entschlossenen Blick.
„Hilf mir doch einfach, wenn du dich so furchtbar langweilst“, schlug sie vor, warf ihm ihre Schaufel hin und nahm sich eine andere. „Dad fand Gräben immer hässlich. Ich hingegen finde sie nützlich, um die Schafe hinterm Zaun zu halten.“
Für einen Moment bewunderte Max die gut gearbeitete Schaufel, die Alison ihm gegeben hatte. Wenn sie nicht gerade ihren Schafen hinterherjagte, widmete sie die meiste Zeit der Werkzeugherstellung, und sie wurde mit jedem Tag besser. Sie hatte sich sogar schon an Rüstungen versucht, aber dafür brauchte man viel Material, und das hatte sie meist nicht.
Max grub sich in die andere Richtung um den Zaun herum, bis sie sich auf der hinteren Seite trafen. Sie hatten einen Graben ausgehoben, der einen Block tief und breit war. „Willst du jetzt Wasser einfüllen? Oder vielleicht sogar Lava?“, fragte er grinsend.
„Heute nicht“, antwortete Alison und steckte das Werkzeug weg. „Der Graben sollte fürs Erste ausreichen.“ Sie sprang heraus und befreite ihre Hände vom Schmutz. Dann drehte sie sich zu ihrem Freund um. „Sag schon, wo hast du die Blöcke gefunden? Ich weiß, dass du sie nicht abgebaut hast – dafür braucht man eine Diamantspitzhacke.“
Aha! Sie will es also doch wissen! Er lachte leise und hoffte, dass es irgendwie geheimnisvoll klang. „Das verrate ich dir bald. Außerdem hatte ich gehofft, du könntest mir vielleicht eine Diamantspitzhacke machen.“
Alison lief in die Richtung los, in der Max’ Zuhause lag. „Für eine Diamantspitzhacke braucht man Diamanten. Du müsstest also erst mal Diamanten finden und dann noch zufällig eine Eisenspitzhacke besitzen.“
„Die am besten verzaubert sein sollte, ich weiß“, erwiderte Max mit einem Augenrollen. All das hatte sie ihm schon mehrfach erzählt. Er wusste, sie würden ein gutes Team abgeben – sie könnte tolles Werkzeug bauen, und er würde es verzaubern. Aber aus irgendeinem Grund behauptete Alison ständig, dass es gefährlich war, mit Verzauberungen herumzuexperimentieren. „Trotzdem, wenn du zufällig das Material hättest, um eine Eisenspitzhacke zu fertigen, könntest du es tun. Mehr sage ich gar nicht. Und es wäre der nächste Schritt, um Obsidian abzubauen.“
Alison hatte innegehalten. Wollte Max andeuten, dass er das erforderliche Material für eine Eisenspitzhacke besaß? Dann schüttelte sie den Kopf und lachte leise. „Soll ich vielleicht deine Mutter bitten, mir Diamanten mitzubringen, wenn sie das nächste Mal deinen Vater im Dorf besucht? Danach kannst du mir ja verraten, wo man den Obsidian findet, den du so dringend abbauen willst.“
„Zum Obsidian kommen wir später“, gab Max zurück und beschloss, vorerst lieber nichts mehr zu sagen. Sie näherten sich seinem Haus, und wenn seine Mutter mitbekam, dass sie sich übers Abbauen und Verzaubern unterhielten oder andere gefährliche Dinge taten, wie zum Beispiel die Luft außerhalb des Grundstücks zu atmen, würde sie nur wieder einen Anfall kriegen.
Max entspannte sich etwas. Er hatte Alison ein Lächeln entlockt – eine Aufgabe, der er neuerdings immer mehr Zeit widmete. Er machte ihr deshalb keine Vorwürfe. Sie trauerte, und er verstand das gut. Vor einigen Monaten hatte es auch in seiner Familie Veränderungen gegeben, und daran hatte er immer noch zu knabbern.
Außerdem hätte er nie gedacht, dass Alison sozusagen seine Adoptivschwester würde. Klar, Freunde verbringen Zeit mit dir oder fliehen an deiner Seite vor Zombies, wenn man zu lange draußen bleibt. Aber niemand rechnet damit, dass sie urplötzlich bei dir einziehen. Aber dann war dieses schreckliche Unglück über Alison hereingebrochen: Durch eine plötzliche Creeperattacke hatte sie Haus und Familie verloren.
Trotzdem war Max dankbar, dass Alison in seine Familie gekommen war. Einige Wochen vor der Tragödie war er beim Schwimmen in der Bucht fast ertrunken, und seitdem erdrückte ihn seine Mutter mit ihrer Fürsorge. Sie hatte sogar einen Schuppen gebaut, in dem sie nun sämtliche Flüssigkeiten aufbewahrte, damit sie nur nicht in seiner Nähe waren. Max fand das furchtbar übertrieben, aber ins Gesicht gesagt hätte er ihr das nie. Und als Alison kam, vor Trauer wie gelähmt, hatte seine Mutter plötzlich jemand anderen, den sie mit mütterlicher Fürsorge überschütten konnte. Endlich konnte Max sich in Ruhe erholen. Das Gute und gleichzeitig Schlimme daran war, dass Max’ Mutter in Alison eine ältere Schwester und damit einen Aufpasser sah. Schlimm, weil Max natürlich viel zu alt für einen Babysitter war, aber gut, weil er endlich wieder das Haus verlassen durfte – obendrein mit seiner besten Freundin.
Er war längst über seine Nahtoderfahrung im Wasser hinweg, aber Alison war über den Verlust ihrer Familie immer noch sehr traurig, was Max gut verstand. Er versuchte sein Bestes, sie in solchen Momenten aufzumuntern – zum Beispiel indem er dem Zaun eine Lücke verpasste und die Schafe entkommen ließ. So hatte Alison wenigstens eine Aufgabe und musste nicht ständig in hoffnungsloser Trauer versinken. Aber natürlich würde er ihr niemals verraten, dass die Sache mit dem Zaun seine Schuld war.
Nach Alisons Einzug hatte Max’ Mutter, eine Architektin, sie willkommen geheißen, indem sie ihr einen Turm baute, der sich an die Rückwand des Hauses anschloss. So hatte Alison einen Bereich ganz für sich. Er diente ihr zum einen als Rückzugsort für Momente, in denen sie allein sein wollte, und zum anderen war so ein Turm viel cooler und kunstvoller als ein stinknormales Schlafzimmer. Es war Max damals schwergefallen, seinen Neid zu verbergen. Seine Eltern hatten nie daran gedacht, ihr architektonisches Talent dafür einzusetzen, etwas Eigenes für ihren Sohn zu schaffen. Doch dann hatte er sich daran erinnert, was Alison durchmachte und warum sie einen Rückzugsort dringender brauchte als er. So war er über die Sache hinweggekommen.
Jedenfalls fast.
Nach dem Abenteuer mit den entflohenen Schafen folgte ein gemeinsames Abendessen, bei dem Max und Alison seiner Mutter versicherten, dass es ihnen und den Schafen gut ging. Später, als Max sich vergewissert hatte, dass seine Mutter schlief, schlich er zu Alisons Tür. Leise klopfte er an.
Alison lugte hervor, das Gesicht mit Kohle beschmiert. „Was?“
„Was machst du da?“, fragte er neugierig. Schon hatte er den eigentlichen Grund für seinen Besuch vergessen.
„Schsch, komm rein“, flüsterte sie. Nach einem prüfenden Blick über die Schulter folgte er ihr zur Treppe. Doch anstatt hochzugehen, trat sie zu einer Tür, die sie in der Wand unter der Treppe platziert hatte, und öffnete sie. Sie führte direkt in den Hügel hinter Max’ Haus. Er und Alison hatten das Gebiet systematisch ausgehöhlt und ein Bastelversteck geschaffen.
Im Versteck stand eine Werkbank, die er kurz nach ihrem Einzug für sie gebaut hatte. Sie war so teilnahmslos und unglücklich gewesen, dass Max ihr schließlich aufgetragen hatte, seine Mutter für fünfzehn Minuten abzulenken. Alison hatte sie irgendetwas über schwebende Bauwerke gefragt – eine Kunst, die Max’ Mutter perfekt beherrschte –, und während sie redete, hatte Max sich nach draußen geschlichen, um die Werkbank seiner Mutter zu benutzen. Später am Abend hatte er Alison dann eine brandneue Werkbank und einige einfache Werkzeuge geschenkt und ihr damit zum ersten Mal seit dem Umzug ein Lächeln entlockt.
Seitdem gab es etwas, auf das sie sich konzentrieren konnte – etwas Handfestes, das sie beschäftigte und von ihrer Trauer ablenkte. Umgehend hatten sie mit dem Sammeln von Holz und Steinen begonnen und damit herumprobiert. Innerhalb eines Tages war in der kleinen Höhle unterhalb des Turms eine richtige Werkstatt entstanden.
Seitdem hatte sich Alisons Fertigungstalent stetig weiterentwickelt, auch Reparaturen und Verbesserungen beherrschte sie inzwischen. Und nun stand Max in der Werkstatt, die voller neuer Gegenstände war. Alison hatte offenbar seit dem Abendessen ununterbrochen gearbeitet! Auf dem Tisch lagen neue Schaufeln, Äxte, Spitzhacken, Angeln und Eimer. Sie hob eine Spitzhacke auf und hielt sie ihm stolz hin. „Ich habe Eisen gefunden“, sagte sie. „Jetzt geh los und such ein paar Diamanten, damit ich dir deine Diamantenspitzhacke machen kann.“
„Du bist ohne mich auf Eisensuche gegangen?“, erwiderte er enttäuscht. „Wieso machst du so was?“ Aus seinem Gesicht war sämtliche Fröhlichkeit gewichen.
Alison funkelte ihn an. „Weil ich dich überraschen wollte, du undankbarer Tropf.“ Demonstrativ drehte sie ihm den Rücken zu und fing an, das Werkzeug in einer Truhe neben der Werkbank zu verstauen.
Seine Empörung verpuffte. „Danke“, murmelte er und wechselte schnell das Thema. Er trat zu der Truhe, in der sie ihre Rohstoffe lagerten. „Also … was hast du noch so gefunden?“
Sie antwortete ihm nicht sofort, also öffnete er die Truhe und betrachtete den Inhalt. Sie hatte von ihrem Ausflug Eisen, Sand und Kohle mitgebracht, aber leider keinen einzigen der sagenhaften Veteranenblöcke, zu denen Gold, Smaragde, Diamanten und Lapislazuli zählten.
„Du solltest das alte Werkzeug deiner Mom gegen das neue austauschen, während sie schläft“, schlug Alison vor, sah ihn aber immer noch nicht an. Heimlich hatten sie nach und nach die beschädigten Werkzeuge von Max’ Mutter gegen neue ausgetauscht. So bekamen die Dinge, die seine Freundin herstellte, ihren Platz, und Alison konnte ihre Fähigkeiten weiter verbessern.
Max war eindeutig in ein Fettnäpfchen getreten, war sich aber nicht sicher, in welches. „Ali, es tut mir leid. Ich gehe eben gern mit dir zusammen abbauen, weißt du? Und wenn du allein gehst, habe ich das Gefühl, etwas zu verpassen.“
Sie rieb sich mit der Hand übers Gesicht, so wie ihre Mutter es immer getan hatte, und wandte sich zu ihm um. „Ich weiß, aber …“ Sie schluckte und fuhr dann fort: „Mein Dad war früher oft sauer auf mich und hat immer gesagt, ich wäre undankbar und wüsste nicht zu schätzen, was er für mich tut. Damals fand ich ihn gemein. Aber jetzt verstehe ich, was er meint … meinte. Und ich kann mich nicht mehr bei ihm entschuldigen.“
Max schämte sich so sehr, dass seine Ohren brannten. Er sah seine trauernde Freundin an, stammelte eine Entschuldigung, schnappte sich das neue Werkzeug und ließ sie allein.
Warum konnte er nicht einfach dankbar sein für das Geschenk, das sie ihm gemacht hatte? Er war ein Meister der Ablenkung, wenn es darum ging, Schafe zu befreien und Geschenke zu machen. Aber manchmal, wenn es ihr schlecht ging, brauchte Alison einfach nur einen Freund, der ihr zuhört – und das fiel ihm unheimlich schwer.
Wenn das Leben dir Lava schenkt, mach Lavasaft
In dieser Nacht stellte Alison fest, dass es ein eigenartiges Gefühl war, beide Seiten eines Streits zu betrachten. Sie erinnerte sich noch gut daran, was sie empfunden hatte, als ihr Vater mit ihr schimpfte, doch jetzt verstand sie, wie es war, etwas Schönes für einen anderen zu tun, der die Geste überhaupt nicht zu schätzen wusste.
Sie konnte nicht schlafen, also stand sie wieder auf und beobachtete ein Skelett, das auf der Lichtung vor ihrem Fenster umherwanderte.
Dann ging sie nach unten in die Werkstatt und prüfte ihre Vorräte. Sie hatte gerade genug Eisen übrig, um sich selbst ebenfalls eine Spitzhacke zu machen. Nun würden Max und sie viel schneller gemeinsam arbeiten können. Sie zog eine Karte hervor, die sie selbst mit größter Sorgfalt gezeichnet hatte. Haus und Turm schmiegten sich an den Hügel dahinter, sodass sie das Gesamtvolumen des Hügels hatte schätzen können.
Sie hatte Kohle- und Eisenadern gefunden und beides auf der Karte markiert. Sie vermutete, dass Richtung Westen unter dem Kürbisfeld von Max’ Mutter bessere Blöcke auf sie warteten. Max hatte sie die Karte noch nicht gezeigt – vielleicht morgen, falls sie sich bis dahin wieder versöhnt hatten.
Die Spitzhacke auf der Werkbank war robust und solide gefertigt. Stolz strich Alison darüber. So sehr ihr die flauschigen Nervensägen auch am Herzen lagen – ein Leben als Schafhirtin oder Schneiderin konnte sie sich nicht vorstellen. Die Fertigung von Werkzeug hingegen lag ihr – mehr noch, sie fühlte sich richtig an.
Max’ Mutter hatte noch nicht bemerkt, dass die Kinder heimlich ihre abgenutzten Werkzeuge gegen Alisons verbesserte Varianten austauschten. Jedenfalls hatte sie nichts gesagt. Und Max’ Mutter zählte nicht zu den Leuten, die ihre Gefühle vor ihren Mitmenschen verbargen. Alison bewunderte das, obwohl das meiste, was Max’ Mutter sagte, mit der übertriebenen Angst um ihren Sohn zu tun hatte. Alison hingegen sagte viel zu oft nicht das, was sie dachte. Obwohl selbst Monate nach dem Unfall es niemand übel nehmen würde, wenn ich ihm irgendwas an den Kopf werfe.
Wovor fürchtete sie sich? Sie hatte doch schon beinahe alles verloren. Doch die Antwort war offensichtlich: Alles, was ihr geblieben war, war Max’ Freundschaft und die Gastfreundschaft seiner Familie. Sie hätte es nicht ertragen, das auch noch zu verlieren.
Am nächsten Morgen sprach Max’ Mutter die Worte, die Alison und er am liebsten hörten: „Ich gehe ins Dorf, um deinen Vater zu besuchen. Bleibt ja drinnen.“
In Max’ Haus herrschte momentan ein etwas seltsames Familienarrangement: Seine Mutter arbeitete zu Hause an neuen Gebäudeentwürfen, während sein Vater seit einigen Monaten eine riesige Baustelle in der Stadt beaufsichtigte. Als Alison Max’ Mutter einmal darauf angesprochen hatte, waren ihre Gesichtszüge hart geworden, und sie hatte geantwortet, dass er den zusätzlichen Job brauchte. Dann hatte sie schnell das Thema gewechselt. Es war, als wollte sie etwas vor Alison geheim halten.
Auch Max sprach nicht gern darüber, warum seine Eltern getrennt lebten und arbeiteten, und wich Alison aus, wenn sie ihn darauf ansprach. Sie grübelte, warum plötzlich alle so verschlossen und trübsinnig waren. Früher hatte sie Max’ Familie immer als große, lustige Truppe wahrgenommen. Hin und wieder waren sie zum Essen zu Alisons Familie gekommen. Manchmal brachten sie Max’ Tanten und Onkel mit, denn seine Onkel Nicholas und Maximilian sowie seine Tante Horty wohnten ebenfalls in der Gegend. Immer wenn Onkel Nicholas zu Besuch war, lieferte er sich hitzige Wortgefechte mit Alisons Oma Dia. Und obwohl sie eigentlich jedes Mal unterschiedlicher Meinung waren, hatte ihre Mutter behauptet, dass sich die Familien nahestanden – und zwar nicht trotz des Streits unter den Älteren, sondern genau deswegen. Alison verstand das nicht, aber trotzdem vermisste sie diese Zeit.
Natürlich kannte sie nicht jedes kleinste Detail aus Max’ Familienleben, und sie wollte ihn auch nicht drängen, darüber zu reden. Alison wusste, dass es nicht gerade zu seinen Stärken gehörte, über Gefühle zu sprechen. Also würde sie warten, bis er bereit war. Bis dahin gab es genug Abenteuer zu erleben.
„Kommst du da draußen allein zurecht?“, fragte Alison jetzt Max’ Mutter.
Die lächelte irritiert. „Natürlich. Ich gehe immer allein, wenn Max in der Schule ist.“
Alison senkte den Blick. „Ich weiß. Es ist nur … Da draußen lauern gefährliche Monster.“
„Ah“, machte Max’ Mutter. „Verstehe. Aber um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen, meine Liebe. Ich kann gut auf mich selbst aufpassen. Außerdem bin ich vor Sonnenuntergang wieder zurück.“ Sie tätschelte Alisons Arm und widmete sich dann wieder den Reisevorbereitungen.
Alison versuchte, das beklommene Gefühl beiseitezuschieben, das sie beschlichen hatte, als sie sich Max’ Mutter ganz allein da draußen vorstellte.
Sie ist vor Sonnenuntergang zurück, wiederholte Alison in Gedanken. Ihr kann nichts passieren.
Während Max’ Mutter geschäftig in der Küche umherlief, um Vorräte für ihren Tagesausflug ins Dorf zu sammeln, trafen sich Max’ und Alisons Blicke am Tisch. Mehr brauchte es nicht, um einander zu vergeben und sich über ihre Pläne für den Tag auszutauschen. Schon vor einigen Wochen waren sie sich darüber einig gewesen, dass das Aushöhlen des Hügels hinter dem Haus genau genommen nicht die Regeln brach. Sie verließen das Haus ja nicht – im Gegenteil, sie erweiterten Alisons Turm nur um einige Zimmer.
„Dagegen kann sie nun wirklich nichts sagen“, hatte Max zuversichtlich festgestellt, aber Alison war sich da nicht so sicher. Doch auch sie konnte natürlich nicht der Verlockung widerstehen, neue Materialien zu finden.
Gemeinsam halfen sie seiner Mutter beim Beladen des Packesels Francine mit diversen aufgerollten Bauzeichnungen und etwas Proviant für den Weg. Ehe sie ging, machte sie noch einen kurzen Abstecher auf ihr Kürbisfeld.
Max’ Mutter redete gern darüber, wie schön ihr Garten in diesem Jahr gedieh. Trotzdem wurde sie diesmal enttäuscht, denn die Kürbisse waren noch nicht reif genug für den Verkauf auf dem Markt. Sie bückte sich und tätschelte liebevoll eins der Gewächse, während sie ihm versicherte, dass sie es das nächste Mal mit in die Stadt nehmen würde.
Max rollte mit den Augen. Alison wusste, er hasste Kürbisse und alles, was das Gemüse enthielt. Sie selbst hingegen hatte noch nicht so viel davon gegessen und genoss sämtliche Kürbisgerichte auf dem Esstisch ihrer Ersatzfamilie.
Max’ Mutter richtete sich auf. Stirnrunzelnd betrachtete sie den dichten Wald, der zwischen dem Hügel hinterm Haus und dem Garten gewuchert war. „Wenn ich zurück bin, sollten wir ein paar Bäume fällen“, sagte sie. „Aber wartet damit auf mich.“
Nach weiteren Ermahnungen, „drinnen“ zu bleiben, zog sie mit Francine im Schlepptau los.
„Sei vorsichtig!“, rief Alison und winkte ihr nach.
„Endlich!“, rief Max, als seine Mutter fort war. „Weg ist sie.“ Er rannte den Flur entlang in sein Zimmer und kehrte kurz darauf mit einigen Fackeln und seiner neuen Spitzhacke zurück.
„Ich arbeite seit einiger Zeit an einer Karte“, sagte Alison und zog den Plan aus der Tasche. „Bisher haben wir diesen Bereich ausgehoben, und ich glaube, wir sollten in dieser Richtung weitermachen.“ Sie deutete auf das Kürbisfeld. „Wenn wir ein paar Blöcke tiefer gehen als bisher, finden wir bestimmt bessere Rohstoffe.“
„Los geht’s!“, rief Max und lief zur Tür.
„Warte mal … was, wenn wir da unten irgendwas … Schreckliches finden?“, wollte Alison wissen. Diese Frage stellte sie ihm immer, aus gutem Grund – schließlich war es auf dieser Höhe wahrscheinlicher, auf eine Höhle voller Zombies zu treffen als auf Gold.
„Dann rennen wir weg“, schlug Max wie immer vor und grinste.
Alison grub sich wie eine Ameise durchs Erdreich, Max eher wie ein Grashüpfer. Sie ging methodisch vor, während er mal hier, mal da buddelte.
Alison arbeitete sich immer nach demselben Muster voran: sechzehn Blöcke in die eine Richtung, dann zwei zur Seite und sechzehn wieder zurück. Wann immer sie beschloss, tiefer zu gehen, sorgte sie dafür, dass eine Art Rampe entstand. Niemals grub sie geradewegs nach unten.
Jedes Mal, wenn sie hier entlanglief, nahm sie sich vor, richtige Treppen zu bauen, und jede Nacht, wenn ihre Beine vom ewigen Springen nicht mehr schmerzten, entschied sie, dass Treppen nichts als Ressourcenverschwendung waren.
Max grub einfach nur.
Gleich zu Beginn ihrer Grabungen hatte Alison ihn davor gewarnt, nach unten zu graben. Schließlich wusste man nie, ob man sich über einer Höhle befand. Und war man erst einmal unten gelandet, konnte es schwierig werden, heil wieder hinauszugelangen. Max hatte eingewandt, dass er mittlerweile ein Profi darin war, hochzuspringen und genau unter sich Blöcke zu platzieren, bis er wieder oben war. Doch Alisons Schwester Dextra hatte genau das auch mal versucht und war prompt abgestürzt. Sie hatten sogar einen Arzt rufen müssen. Allein der Anblick dieser Stapeltechnik hatte Alison so fertiggemacht, dass sie den Rest des Tages nicht mehr mit Max geredet hatte.
Jedenfalls war das ihr Plan gewesen. Doch dann hatte er genau vor ihrem Fenster eine Schafs-Skulptur aus roten Wollblöcken errichtet. Deren lustiger Gesichtsausdruck erinnerte Alison an Äpfelchen, und ihre Laune hatte sich schlagartig gebessert.
Danach hatte Max sich nie wieder direkt nach unten gegraben.
Nun stand Alison im ausgehöhlten Hügel und betrachtete im Licht einer Wandfackel ihre Karte. „Wir müssen uns in diese Richtung graben, um unter dem Garten zu landen“, stellte sie fest, woraufhin Max die Blöcke vor sich zerhackte und ein großes, unregelmäßiges Loch in die Wand riss. Alison seufzte, sprang einige Blöcke nach unten und arbeitete sich nach ihrem üblichen Muster voran.
Max’ Stollen schlängelte sich kreuz und quer, kreuzte sich allenthalben mit Alisons geraden Tunneln, und immer wenn er etwas fand, das nicht Stein oder Erde war, jubelte ihr Freund. Sorgfältig und fleißig arbeitete Alison weiter und erweiterte ihre Karte hier und dort um neue Markierungen. Am Ende würde sie versuchen, sich in Max’ Chaos zurechtzufinden und seine Arbeit ebenfalls auf der Karte zu verzeichnen.
Während sie so vor sich hin grub und über die Karte nachdachte, passierten plötzlich kurz nacheinander drei Dinge:
1. Max rief ihr zu, dass er zu weit gegraben und ein Loch in den Hügel über dem Kürbisfeld geschlagen hatte. Aus dem Augenwinkel erblickte Alison Tageslicht und drehte sich zu ihrem Freund um.
2. Ihre Eisenspitzhacke fräste sich durch den Sandstein vor ihr. Abgelenkt und ohne genau zu sehen, welche Blöcke sie anvisierte, öffnete sie gerade den Mund, um ihn aufzufordern, das Loch zu stopfen – als plötzlich Hitze und rotes Licht auf sie zuströmten. Schützend hielt sie eine Hand vor ihre brennenden Augen und stolperte rückwärts.
3. Ein Pfeil sirrte an ihr vorbei und blieb in der Wand zu ihrer Rechten stecken. Die Höhle, die sie gerade geöffnet hatte, war offenbar voller Lava und beherbergte wenigstens ein mit Pfeil und Bogen bewaffnetes Skelett. Dem ersten Pfeil folgten sogleich zwei weitere. Okay, definitiv mehr als ein Skelett, verbesserte Alison sich.
Sie stolperte weiter zurück, als Max erneut ihren Namen rief.
„Ali, hast du gehört? Ich bin auf das Kürbisfeld gestoßen! Wir befinden uns genau darüber!“
Lava quoll aus der Höhle, und noch mehr Pfeile flogen an Alison vorbei. Vorsichtigen Schrittes, um nicht in der Lava zu landen, kamen die Skelette auf sie zu. Zweifellos wollten sie sie dafür bestrafen, dass sie ungefragt in ihre Höhle eingedrungen war.
Alison fand ihr Gleichgewicht wieder und warf den näherkommenden Monstern einen letzten Blick zu, ehe sie sich umdrehte und in Max’ Richtung rannte. Er hatte keine Gelegenheit, irgendwelche Fragen zu stellen – ohne ein Wort griff sie nach seinem Arm und zerrte ihn durch das eben entstandene Loch.
„Vielleicht merkt sie es gar nicht“, meinte Max und betrachtete den Schlamassel.
Sie saßen auf der Krone eines der Bäume, die Max’ Mutter bald fällen würde, und sahen auf das Kürbisfeld hinunter.
Wenigstens zwanzig Skelette patrouillierten unter ihnen im Schatten über das Feld. Die Mitte mieden sie sorgfältig, denn dort befand sich nun ein brodelnder Lavasee, der ein wenig nach verbranntem Kürbiskuchen roch. Die Skelette liefen genau unter Max und Alison umher – das einzig Gute war, dass sie die Kinder dank der Zweige nicht sehen konnten.
„Damit sie das nicht bemerkt, müsstest du dich wieder in den See werfen und beinahe ertrinken“, prophezeite Alison düster und zog die Knie an die Brust. „Meinst du, das kriegen wir hin?“
Max funkelte sie an. „Ich bin nicht derjenige, der ein Loch in die Höhle der Verdammnis gerissen hat! Warum hast du das Loch nicht einfach gestopft? Du hast doch genügend Blöcke bei dir, oder nicht?“
„Pah, ich würde gern sehen, wie schnell du reagierst, während du versuchst, Pfeilen und Lavaströmen zu entkommen“, protestierte sie. „Ich bin eben einfach losgerannt!“
„Gib’s zu, du hast das Loch in die Höhle geschlagen, und jetzt ist Moms Kürbisfeld ruiniert“, sagte Max.
„Das Loch im Hügel stammt von dir“, konterte Alison, wenn auch etwas lahm. Sie war hin und her gerissen zwischen der Wut auf Max und der Angst vor möglichen Konsequenzen. Was würde passieren, wenn seine Mutter nach Hause kam? Würde sie Max Hausarrest aufdrücken und Alison hinauswerfen? Wie hatte sie das Vertrauen ihrer Gastgeberin nur derart missbrauchen können?
„Wir könnten zumindest die Skelette erledigen, ehe sie nach Hause kommt“, schlug Max vor. „Dann müssten wir uns nur noch um die Lava kümmern.“
„Skelette erledigen … umgeben von Lava? Du gewinnst ja nicht mal einen Kampf mit einem Schaf!“, fauchte Alison.
Max lief rot an. Alison erwähnte den Zwischenfall, als das graue Schaf ihm einen Stoß verpasst und in den Wassertrog befördert hatte, nicht oft. Aber wenn sie es tat, traf es ihn. Er war so stolz auf seine gute Beziehung zu den Schafen – nur dieses eine konnte ihn nicht leiden und zeigte es ihm, wann immer sich die Gelegenheit bot.
„Nur weil ich deinem Dad an dem Tag nicht erklären wollte, warum von dem Biest nur noch Wolle und Hammelfleisch übrig sind“, murmelte er.
„Im Übrigen“, fuhr Alison fort, „haben wir überhaupt keine Waffen. Was sollen wir tun? Die Skelette mit Erde bewerfen?“
Max zückte seine Spitzhacke. „Ich habe nicht gesagt, dass wir gegen die Skelette kämpfen sollen. Ich sagte, wir müssen sie erledigen.“ Damit begann er, die Äste des Baumes zu bearbeiten.
Mit Stolz erkannte Alison, welch gute Qualität die Spitzhacke hatte. Sie hatte kaum Gebrauchsspuren davongetragen … und würde ein tolles Grabmal abgeben, wenn sie und Max tatsächlich versuchten, diese Skelette inmitten brodelnder Lava zu erledigen.
Da fiel das erste Sonnenlicht durch die Blätter und traf die patrouillierenden Skelette.
Lava kann man nicht erschießen